2024_TRK_Tagungsband3

LBH: Leipziger Blaue Hefte 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 Proceedings zum 12. Leipziger Tierärztekongress, 18. – 20. Januar 2024 Dr. I. Emmerich Prof. Dr. J. Kauffold Prof. Dr. A. Starke Albrecht-Daniel-Thaer-Institut e.V., Universität Leipzig Prof. Dr. Uwe Truyen Institut für Tierhygiene und Öffentliches Veterinärwesen, Universität Leipzig Editoren: Dr. Reiko Rackwitz Facheditoren dieses Bandes: Prof. Dr. J.R. Aschenbach Prof. Dr. M. Fürll PD Dr. Volker Schmidt Redaktionsleitung: Dr. Reiko Rackwitz, Albrecht-Daniel-Thaer-Institut für Agrar- und Veterinärwissenschaften e.V., Universität Leipzig An den Tierkliniken 7, 04103 Leipzig blaue-hefte@uni-leipzig.de; https://www.vetmed.uni-leipzig.de/fakultaet/leipziger-blaue-hefte/ Gestaltung: Dr. Reiko Rackwitz Das Copyright der Manuskripte liegt bei den Autoren. Zitation dieses Bandes: Rackwitz R, Truyen U (Hrsg): LBH: 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 Leipzig, 2024

Editorial Die Tiermedizin bietet eine fast unüberschaubare Vielfalt an Arbeitsfeldern und Einsatzmöglichkeiten. Es ist der Anspruch des Leipziger Tierärztekongresses diese Vielfalt abzubilden, Schnittmengen zwischen den einzelnen Bereichen aufzuzeigen und den fachlichen Austausch zu fördern. In seiner zwölften Auflage ist der Leipziger Tierärztekongress deshalb thematisch noch einmal umfangreicher geworden. Neu im Programm sind unter anderem Vorträge zur tiermedizinischen Lehre und zum Praxismanagement. Die möglichst strukturierte Darstellung der Vortragsinhalte ist damit auch für die Leipziger Blauen Hefte eine Herausforderung. In diesem Jahr haben wir uns dazu entschieden, die Manuskripte zu den Vorträgen in vier Bänden herauszugeben. Diese folgen grob der Einteilung in Kleintiere, Pferde, Bestandstiere und übergreifende Fächer. Wir möchten Sie aber ausdrücklich ermuntern, auch in Manuskripte abseits Ihres Fachgebietes hineinzulesen, Neues zu entdecken und den fachlichen Fokus zu erweitern. Wir wünschen Ihnen einen erfolgreichen Kongress und viel Spaß beim Schmökern in den Leipziger Blauen Heften! Leipzig, November 2023 Prof. Dr. Uwe Truyen Dr. Reiko Rackwitz

Inhaltsverzeichnis Schwein Nachhaltigkeit in aller Munde – wie die Farm-to-fork-Strategie die Tierproduktion verändern will ................................................................................................................................... 12 Hans-Peter Schons Schweinehaltung in Deutschland weiterhin möglich? - eine wissenschaftliche Einschätzung ......... 15 Nicole Kemper One health aspects of hyperprolific sows ......................................................................................... 18 Olli Peltoniemi Geburtsmanagement bei Zuchtsauen – Gesundheit und Vitalität sichern ....................................... 19 Alexander Grahofer Update zum Einsatz von Hormonen bei der Sau .............................................................................. 23 Axel Wehrend Infektiös bedingte Aborte beim Schwein - eine diagnostische Herausforderung ............................. 24 Katrin Strutzberg-Minder Functional Effects of dietary fibre in pigs ......................................................................................... 27 Knud Erik Bach Knudsen Interaktion von Mikrobiota, Gesundheit und Leistung beim Schwein .............................................. 28 Julia Hankel und Christian Visscher Ernährung und Immunsystem beim Schwein - nur Theorie oder auch Praxis? ................................ 31 Jürgen Zentek Möglichkeiten und Limitationen der Labordiagnostik im Schweinebestand .................................... 33 Tatjana Sattler Schwein kennt keinen Schmerz – oder doch? Schmerzerkennung und Schmerzbewertung ........... 36 Elisabeth große Beilage Die Qual der Wahl des richtigen Analgetikums fürs Schwein ........................................................... 40 Lydia Kuhnert Stresserkennung beim Schwein - brauchen wir neue (molekulare) Marker? ................................... 44 Frank Edlich Digital biosecurity and real-time health surveillance in practice; a terrific tool for swine vets ........ 47 Carlos Piñeiro Feldstudie zum Einsatz von KI zur Gesundheitsüberwachung von Schweinen in Verbindung mit einem engmaschigen labordiagnostischen Monitoring .................................................................... 52 Matthias Eddicks, Franziska Feicht, Mathias Ritzmann Digitalisierung im Schweinestall – Erfahrungen aus dem Experimentierfeld DigiSchwein ............... 53 Jeanette Probst, Philipp Heseker, Imke Traulsen, Nicole Kemper Next Generation Sequencing (NGS) – Überblick und Anwendungsbeispiele für die Praxis .............. 56 Ines Spiekermeier, Henning Bischoff, Marius Beumer, Carina Helmer PCV2-SD bei geimpften Ferkeln ........................................................................................................ 58 René Renzhammer, Bettina Fasching, Heinrich Kreutzmann, Andrea Ladinig, Christine Unterweger Lahmheiten bei Mastschweinen ....................................................................................................... 62 Steffanie Senf 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 3

Laktationsrausche – Eine Statuserhebung ........................................................................................ 63 Hannah Meckel, Andreas Palzer, Hendrik Tietje, Johannes Kauffold Das ABC der Rotaviren – wenn Durchfall die Hauptrolle spielt......................................................... 66 Maxi Harzer, Belinda Euring, Kristin Heenemann, Antje Rückner, Thomas W. Vahlenkamp Aus Afrika in die Welt: ASP - ein Global Player ................................................................................. 67 Jutta Pikalo, Kristin Heenemann, Maxi Harzer, Thomas W. Vahlenkamp ASP-Bekämpfung - Erfahrungen im Landkreis Oder Spree: Praktische Erfahrungen aus der Sicht des Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsamtes des Landkreises Oder – Spree ........................... 69 Petra Senger ASP bei Haus- und Wildschwein – Konsequenzen für Landwirte und Wertschöpfungskette ........... 71 Jörg Altemeier PRRS in Spain; field experiences and research.................................................................................. 72 Gerard Eduard Martin Valls, Martí Cortey, Enric Mateu PRRSV Sequenzierung aus dem Konsiliarlabor für die Praxis ............................................................ 75 Kristin Heenemann, Stephan Galland, Frank Götz, Thomas Vahlenkamp Zoonoseerreger bei Schweinen und deren Risikopotential für TierärztInnen .................................. 77 Friedrich Schmoll, Tatjana Sattler Wiederkäuer Forschung zur Endometritis des Rindes– stellen wir die besten Fragen? ......................................... 80 Marc Drillich, Karen Wagener Regulation des Sexualzyklus - Einfluss des Stoffwechsels auf die Fruchtbarkeit .............................. 82 Marion Schmicke, Christina Schiffers Fruchtbarkeit .................................................................................................................................... 86 Heinrich Bollwein Die Wirkung einer präpartalen Vitamin D3 Behandlung auf die frühpuerperale Uteruskontraktilität und die Blutkonzentration des ionisierten Kalziums bei Milchkühen ............... 87 Árpád Csaba Bajcsy, Laura Zámbó, Gergő Kürtös, János Tibold, István Mádl, Ottó Szenci Hormonbehandlungen in der Gynäkologie des Rindes - Wie, warum und warum nicht? ................ 90 Holm Zerbe, Robert Hertzsch, Rolf Mansfeld Udder health and immune system Basics of the pathogenesis of mastitis and the influence of ketosis ........................................................................................................................................... 93 Nahum Shpigel Antibiotikaeinsatz Bereich Eutergesundheit - Reduktion und Optimierung ..................................... 94 Volker Krömker, Franziska Preine, Julia Nitz Evaluierung der Eutergesundheit einer Herde – was sagen einem die Zahlen? ............................... 97 Ulrike S. Sorge Einflüsse des antibiotischen und nichtantibiotischen Trockenstellens auf Eutergesundheit und Milchleistung ............................................................................................................................. 99 Martina Baumgartner, Michael Sigmund, Verena Urbantke, Thomas Wittek Der Start ins selektive Trockenstellen – ein Praxisbericht über Probleme, Missverständnisse und Kommunikation als Schlüssel zum Erfolg................................................... 101 Martin tho Seeth

Für Stoffwechsel Butafosfan & Vitamin B12 NEU! Catophos® 100 mg/ml + 0,05 mg/ml Injektionslösung für Pferde, Rinder, Hunde und Katzen — 3 Indikationen > Unterstützung von Stoffwechsel, Fortpflanzung, Muskelfunktion* — 4 Zieltierarten > Pferde & Rinder (i.v.), Hunde & Katzen (i.v., i.m., s.c.) Catophos® 100 mg/ml + 0,05 mg/ml - Injektionslösung für Pferde, Rinder, Hunde und Katzen. Butafosfan, Cyanocobalamin. Wirkstoffe und sonstige Bestandteile: Jeder ml enthält: Wirkstoffe: Butafosfan 100,00 mg + Cyanocobalamin (Vitamin B12) 0,05 mg. Sonstiger Bestandteil: Benzylalkohol (E 1519) 20,00 mg. Anwendungsgebiete: Als unterstützende Behandlung bei Stoffwechsel- und Fortpflanzungsstörungen, wenn eine Supplementierung von Phosphor und Cyanocobalamin erforderlich ist. Bei peripartalen Stoffwechselstörun- gen, Tetanie und Parese (Milchfieber) sollte das Tierarzneimittel zusätzlich zu Magnesium bzw. Calcium verabreicht werden. Zur Unterstützung der Muskelfunktion bei Vorliegen eines Phosphor- und/oder Cyanocobalaminmangels. Gegenanzeigen: Nicht anwenden bei bekannter Überempfindlichkeit gegen die Wirkstoffe oder einen der sonstigen Bestandteile. Nebenwirkungen: Bei Katzen können nach subkutaner Injektion zwischen die Schulterblätter Reaktionen an der Injektionsstelle (Schwellungen, Ödeme, Erytheme und Verhärtungen) beobachtet werden. Falls Sie Nebenwirkungen, insbesondere solche, die nicht in der Packungsbeilage aufgeführt sind, bei Ihrem Tier feststellen, oder falls Sie vermuten, dass das Tierarzneimittel nicht gewirkt hat, teilen Sie dies bitte Ihrem Tierarzt oder Apotheker mit. Wartezeit: Rinder, Pferde: Essbare Gewebe: Null Tage. Milch: Null Stunden. Inhalt: 100 ml oder 250 ml Flaschen. Arzneimittel unzugänglich für Kinder aufbewahren. Die Durchstechflasche im Umkarton aufbewahren, um den Inhalt vor Licht zu schützen. Sie dürfen das Tierarzneimittel nach dem auf der Durchstechflasche und der Faltschachtel angegebenen Verfalldatum „Verwendbar bis“ nicht mehr anwenden. Haltbarkeit nach dem ersten Öffnen/Anbruch des Behältnisses: 28 Tage. Verschreibungspflichtig. Zulassungsinhaber: CP-Pharma Handelsges. mbH, 31303 Burgdorf. *Genaue Informationen s. Gebrauchsinformation.

Stallsysteme mit freier Liegefläche für Milchkühe – Implikationen für die Eutergesundheit ......... 104 Maren Feldmann Mastitiden durch Serratia marcescens eine Herausforderung für die Praxis ................................. 106 Martina Baumgartner, Weißker Berit, Urbantke Verena, Wittek Thomas Wird die klinische Untersuchung in der modernen Rinderpraxis noch benötigt? .......................... 108 Johannes Lorenz Khol, Thomas Wittek Sensor-gestütztes Gesundheitsmonitoring von Rinderbeständen – ein Traum oder doch eher ein Albtraum? ......................................................................................................................... 110 Michael Iwersen, Marc Drillich Sensorsysteme in der Milchviehhaltung. Fluch oder Chance für den Tierarzt ............................... 114 Wolfgang Heuwieser Tierarztmangel in den Niederlanden und mögliche Konsequenzen für den Berufsstand .............. 115 Kerstin-Elisabeth Müller Tierärztlicher Nachwuchs - Bilden wir aus, was der Markt benötigt? ............................................. 116 Jürgen Rehage Fachagrarwirt Herdenmanagement – ein in Thüringen bewährter Weiterbildungsgang für künftige Fachkräfte in der Milchproduktion ................................................................................... 117 Karsten Donat Integrierte Tierärztliche Bestandsbetreuung – Pro und Contra...................................................... 120 Rolf Mansfeld Zu Tiergesundheit und Tierwohl in deutschen Milchkuhbetrieben – Nachlese aus der PraeRi-Studie ...................................................................................................... 124 Martina Hoedemaker, Amely Campe, Roswitha Merle, Gabriela Knubben-Schweizer, Kerstin-Elisabeth Müller, Moritz Metzner, Christina Strube, Andrea Springer Bestandsbetreuungsvertrag vs. Übernahmeverschulden ............................................................... 128 Thomas Hertzsch Geburtshilfe als Notfall ................................................................................................................... 131 Axel Wehrend, Lisa Ulrich Septikämie bei Kälbern ................................................................................................................... 134 Walter Grünberg Das festliegende Rind - Diagnostische und therapeutische Herausforderung ............................... 135 Alexander Starke Abdominaldiagnostik – Abklärung des akuten Abdomens bis zur Therapieentscheidung ............. 136 Christian Gerspach Behandlung von Unterkieferfrakturen beim Rind .......................................................................... 142 Karl Nuss Lederschäden bei Rindern in Brasilien ............................................................................................ 143 Ana Carolina Martins Bock, Saulo Henrique Weber, Rüdiger Daniel Ollhoff Schmerz- und Stressmanagement bei kleinen Wiederkäuern ........................................................ 146 Fanny Rachidi Trends bei der Anästhesie und chirurgischen Eingriffen bei kleinen Wiederkäuern ...................... 147 Martin Ganter, Lucie M. Grimm Urolithiasis beim kleinen Wiederkäuer und Neuweltkameliden - Fallberichte ............................... 150 Mahmoud Fadul 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 5

BESTANDS SPEZIFISCHE IMPFSTOFFE ■ Virus-Impfstoffe ■ Mycoplasma-Impfstoffe ■ Bakterielle Impfstoffe VETERINÄR MEDIZINISCHE DIAGNOSTIK & SERVICES ■ Pathologie, Pathohistologie ■ Mikrobiologie ■ Virologie ■ Serologie ■ PCR Sequenzierung, Bioinformatik SAN Group Biotech Germany GmbH Mühlenstraße 13 49685 Höltinghausen +49 44 73 94 38 – 30 office-de@san-group.com www.san-vet.com SAN Vet, ANICON, ANIVAC are SAN Group brands. Besuchen Sie uns am SAN Vet-Stand Vortragshinweis Freitag, 19.01.2024, 15:50 – 16:30 Ines Spiekermeier (Höltinghausen) »Next Generation Sequencing (NGS) – Überblick und Anwendungsbeispiele für die Praxis«

Coxiellose bei kleinen und großen Wiederkäuern .......................................................................... 151 T. Wittek, D. Schneeberger, R. Kreuzer, B. Lambacher Der Langschwanz beim Schaf – Warum soll er kurz sein ................................................................ 154 Axel Wehrend, Hannah Hümmelchen, Henrik Wagner Ein Jahr mit der neuen Gebührenordnung bei den Schafen ........................................................... 156 Karl – Heinz Kaulfuß Welche gesundheitlichen Hürden müssen deutsche Schafe oder deutsche Ziegen nehmen, um (in der EU) gehandelt zu werden? ............................................................................................ 159 Udo Moog Aufzuchtsysteme, Gesundheit, Gammaglobulinstatus und Zunahmen von Mastlämmern und - zicklein von Schweizer Milchschaf- und Milchziegenbetrieben ...................................................... 162 Hanna Voigt; Antonia Ruckli; Barbara Lutz; Nina Keil; Madeleine F. Scriba; Patrik Zanolari Zoonose-Risiko durch kleine Wiederkäuer ..................................................................................... 167 Ben Bauer Auftreten von Bornavirus 1 Antikörpern bei Lamas und Alpakas ................................................... 169 Thomas Wittek, Sibylle Herzog, Christine Lendl, Leonie Danner Lassen sich Spurenelementmängel mit Hilfe von Pansenboli bekämpfen? Ein Fallbericht. ........... 171 Martin Ganter und Nina Ossowski Zusammenhang zwischen der Ausscheidung von Nematodeneiern im Kot und klinischen Parametern bei Milchschafen ......................................................................................................... 173 Floriana Sajovitz, Isabella Adduci, Shi Yan, Sandra Wiedermann, Annika Gruber, Elisabeth Steindl, Lutz Arnicke, Hannah Lugmayr, Alexander Tichy, Anja Joachim, Thomas Wittek, Barbara Hinney, Katharina Lichtmannsperger Wirksamkeit von Anthelminthika – wie ist die Lage in Deutschland? ............................................. 175 Katja Voigt, Maximilian Geiger, Miriam Jäger, Gabriela Knubben-Schweizer, Christina Strube, Yury Zablotski Anthelmintika-Resistenzsituation bei Bio-Milchziegenbeständen .................................................. 178 Jörg Sander, Ben Bauer, Martin Ganter Welchen Einfluss haben verschiedene Untersucher auf den Body Condition Score (BCS) bei Alpakas und Lamas? .................................................................................................................. 181 Matthias Gerhard Wagener, Johannes Schregel, Nina Ossowski, Anna Trojakowska, Martin Ganter, Frederik Kiene Aufzucht von Crias - Untersuchungen zur Zusammensetzung von Alpakakolostrum und Alpakamilch ............................................................................................................................. 186 Thomas Wittek, Thiemo Albert, Kathrin Kober-Rychli, Volker Michael Reichmann, Maria Gaier Präanalytik – Welche Faktoren können das Laborergebnis (nicht nur) für kleine Wiederkäuer beeinflussen? .................................................................................................................................. 188 Esther Humann-Ziehank Nierenfunktionsdiagnostik beim kleinen Wiederkäuer .................................................................. 191 Frederik Kiene, Martin Ganter Mastitis bei kleinen Wiederkäuern – Welche Erreger sind relevant? ............................................. 194 Tilmann Kühn Faktorenerkrankungen des Kalbes - Praktisches Vorgehen auf einem Betrieb .............................. 195 Martin Kaske Bovine Respiratory Disease - Diagnostischer Wert der Thoraxsonographie ................................... 196 Julia Hoffelner, Walter Peinhopf- Petz, Thomas Wittek Mehr Tierwohl für das Kalb – übertrieben oder überfällig? ........................................................... 198 Ingrid Lorenz

Alimentär bedingter Durchfall beim Kalb – spielt der Sulfatgehalt in Milchaustauscher noch eine Rolle? ............................................................................................................................. 201 Alexandra Koch Personalized Disease Prevention in Humans and Cattle: Future or Wishful Thinking? .................. 204 Gerd Bobe Das Azidoserisiko in der Transitphase kennen, erkennen und vermeiden ..................................... 205 Jörg R. Aschenbach Verständnis des Immunsystems von Milchkühen als Herausforderung und Chance im Tiergesundheitsmanagement ......................................................................................................... 211 Dirk Werling Tiergesundheitskonto - Was kostet uns Tiergesundheit? ............................................................... 212 Melanie Schären-Bannert und Peter Hufe, Benno Waurich, Adriana Wöckel, Wolf Wippermann, Guntram Hermenau, Erik Bannert, Julia Wittich, Christina Felgentreu, Franz Fröhlich, Detlef May, Sven Dänicke, Hermann Swalve, Alexander Starke Evidence based veterinary medicine for emerging animal infectious diseases - generating data from the field .......................................................................................................................... 217 Eyal Klement Aktuelle Situation bei den anzeige- und meldepflichtigen virusbedingten Tierseuchen – was beschäftigt uns? ...................................................................................................................... 220 Martin Beer Pasteurellosen beim Rind - Fallbeispiele aus Sachsen .................................................................... 221 René Pützschel, Mandy Schmidt Vom Umgang mit Zielprävalenzen und Erkennungswahrscheinlichkeiten – die kalkulierte Unsicherheit in der Tierseuchenüberwachung nach EU-Recht ...................................................... 223 Karsten Donat Eignung verschiedener Probenmatrices für die gezielte Diagnostik viraler Respirationserreger beim Rind ........................................................................................................................................ 226 Belinda Euring, Simona Baumann, Maxi Harzer, Kristin Heenemann, Andrea Lindner, Mandy Eibisch, Thomas W. Vahlenkamp Umgang mit Tierseuchen im Rinderbestand und den Herausforderungen in der Praxis ............... 228 Christin Hesse, Mandy Schmidt Botulismus als Notfall im Rinderbestand ........................................................................................ 231 Gabriela Knubben-Schweizer Vorkommen und Bekämpfung von Salmonella Dublin in Österreichischen Milchviehbetrieben ... 234 Johannes Lorenz Khol, Barbara Trockenbacher, Larissa Spiß, Thomas Wittek Mycoplasma bovis und Pneumonie beim Kalb: Rolle und Bedeutung ............................................ 236 Torsten Steppin Mycoplasmas bovis - Zeit zum Handeln! ........................................................................................ 238 Martin Kaske Zusammenhänge zwischen dem Vorkommen von durch professionelle Klauenpfleger dokumentierten Klauenveränderungen und der Laktationsleistung von Milchkühen der Rasse Deutsche Holstein........................................................................................................................... 239 Katja Bäumler, Kathrin F. Stock, Andrea Fiedler, Kerstin E. Müller 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 7

Auswirkungen der Inzidenz an subakuter Pansenazidose auf die Klauengesundheit (Prävalenz an Lahmheit, Klauenläsionen, Klauengesundheitswert) von Holstein-Erstlingskühen .. 241 Johann Kofler, Michael Höfler, Thomas Hartinger, Ezequias Castillo-Lopez, Johann Huber, Alexander Tichy, Nicole Reisinger, Qendrim Zebeli Zehenerkrankungen bei Rindern auf Alpweiden ............................................................................ 244 Claudia Syring, Maher Alsaaod, Melanie Schaub, Georg Clavadetscher, Fanny Rachidi, Alexander Starke, Adrian Steiner Vergleich der Anstrengungen zur züchterischen Verbesserung der Klauengesundheit in wichtigen Ländern der Zucht von Holstein-Rindern ....................................................................... 246 Hermann H. Swalve Digitale Systeme zur Lahmheitserkennung ..................................................................................... 250 Nicholas Jonsson, Konstantina Linardopoulou Evaluierung des „In-parlour-Scoring“ (IPS) im Melkstand zur Feststellung von Lahmheiten bei Milchkühen - eine praktische und zeitsparende Methode ............................................................. 255 Jasmin Laschinger, Birgit Fürst-Waltl, Sophie Linnenkohl, Robert Pesenhofer, Johann Kofler Zusammenarbeit Klauenpfleger Tierarzt ........................................................................................ 257 Heino Westermann Klauengesundheitsmanagement – Arbeitsfeld einer spezialisierten Tierarztpraxis ....................... 258 Christoph Meis Klauengesundheitsprojekt in der Schweiz – Ein Update ................................................................. 259 Jim Weber, Magdalena Bayer, Beat Fenner, Andreas Fürmann, Analena Sarbach, Andrea Preiswerk, Maria Welham Ruiters, Claudia Syring, Adrian Steiner Ergebnisse aus der Arbeit der Klauenkompetenzstelle Sachsen .................................................... 262 Alexander Starke Verletzungen am Klauenstand - Kuh und Mensch .......................................................................... 263 Fanny Rachidi Die Änderung des Hufbeschlaggesetzes – Chancen für die Klauengesundheit .............................. 264 Hans-Joachim Herrmann, Alexander Starke, Natascha Schwarz, Jörg Willig Bewertung der Transportfähigkeit beim Rind - Hintergründe und Wissenswertes ........................ 267 Kathrin Herzog Lahmheitsgraduierung und Transportfähigkeit - Gesetzliche Regelungen in der Schweiz ............. 269 Karl Nuss Aktuelles zur Interaktion zwischen Klaue und Boden - Biomechanische Essentials zur Verbesserung der Klauengesundheit ..................................................................................................................... 270 Christoph Mülling Druckbelastung der Klaue unter verschiedenen Klauenklötzen ..................................................... 271 Franziska Biebl, Christoph K. W. Mülling Einsatz von Klauenklötzen in der Praxis - müssen wir umdenken? ................................................. 276 Andrea Fiedler Nutzgeflügel HPAI: aktuelle Situation .................................................................................................................. 279 Christian Grund

HPAI - Impfung als neue Option – Möglichkeiten und Grenzen aus praktischer Sicht ................... 280 Ronald Günther Advances in HPAI vaccination in France; feedback from a poultry veterinary practitioner ............ 283 Leni Corrand Neue Impfstoffe in der Geflügelmedizin ......................................................................................... 284 Silke Rautenschlein Möglichkeiten zur positiven Beeinflussung der frühen Mikrobiomentwicklung beim Broiler ........ 288 Matthias Todte Ernährung, Mikrobiom und Darmgesundheit: Neue Erkenntnisse aus der Forschung ................... 289 Jürgen Zentek Können Impfungen einen Beitrag zur Darmgesundheit des Geflügels leisten? .............................. 292 Arne Jung Das Grüne Leber Syndrom bei ökologisch gehaltenen Mastputen – Evaluation der infektiösen Ursachen ...................................................................................................................... 294 Larissa Cuta, Volker Schmidt Charakteristika der Haltung von Fleischtauben, Wachteln, Perlhühner, Fasanen und Wildenten . 297 Manfred Golze Gamebird disease – diagnosis and control in a changing landscape .............................................. 301 Henry Lamb Tiergesundheit & Tierschutz in der Laufvogelhaltung .................................................................... 302 Rüdiger Korbel Tiergesundheit in Mobilstallhaltungen für Legehennen – MobiWohl ............................................ 303 Ute Knierim, Katrin Dorkewitz, Daniel Gieseke Umsetzung der Geflügelsalmonellen-Verordnung in mobilen Legehennenhaltungen ................... 306 Kristian Düngelhoef Fallbeispiele aus der Behandlung von Geflügel in Hobbyhaltung ................................................... 309 Franca Möller Palau-Ribes Immunprophylaxe in kleinen Geflügelhaltungen ............................................................................ 313 Christine Ahlers Bienen Verringerung der Anfälligkeit für Amerikanische Faulbrut bei Honigbienen durch orale Vakzination mit Penibacillus larvae Bakterien ................................................................................ 316 Dalial Freitak Anwendung der neuen Faulbrutvakzine aus den USA auch in Deutschland statthaft? .................. 317 Iska Lehmann Wo lauern die stumpfen Schwerter im ewigen Kampf gegen Pathogene der Honigbiene laut Fachliteratur? ................................................................................................................................. 320 Yvonne Kosch, Ilka Emmerich Ursachensammelsurium zur nichtansteckenden Schwarzsucht der westlichen Honigbiene Apis mellifera .......................................................................................................................................... 321 Karsten Stief 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 9

Take a look at me now... (Ultra-)Struktur ausgewählter Bienenorgane nach Chronische-Bienen- Paralyse-Virus-Infektion .................................................................................................................. 322 Julia Dittes Wirksamkeit und Verträglichkeit von 60% Ameisensäure zur Behandlung der Varroose .............. 325 Ulrich Ernst, Antonia Bachert, Stefan Berg, Annely Brandt, Ralph Büchler, Marika Harz, Ingrid Illies, Marina Meixner, Valon Mustafi, Christoph Otten, Jens Radtke, Jakob Wegener

Schwein ___________________________________________________________________________________________________________ Nachhaltigkeit in aller Munde – wie die Farm-to-fork-Strategie die Tierproduktion verändern will Hans-Peter Schons Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tierzüchter e. V. (ADT), Bonn/Brüssel Im Mai 2020 hatte die Europäische Kommission die Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ (Farm to fork, F2f) vorgestellt (1), und zwar als ein „Kernstück des europäischen Grünen Deals“ und einen „neuen umfassenden Ansatz dafür, wie Europäerinnen und Europäer die Nachhaltigkeit von Lebensmitteln wertschätzen“. Das Lebensmittelsystem der EU soll zu einem globalen Maßstab in puncto Nachhaltigkeit weiterentwickelt werden. Federführend bei der Erarbeitung war nicht der Agrarkommissar, sondern die EU-Kommissarin für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, Stella Kyriakides, was verdeutlicht, dass sich die Strategie nicht nur an Landwirte als Primärerzeuger richtet, sondern ausdrücklich alle Akteure entlang der Lebensmittelkette anspricht. Am Ende des Dokuments werden 27 Maßnahmen aufgeführt, die den folgenden sechs Bereichen zugeordnet werden können: • nachhaltige Lebensmittelerzeugung • Ernährungssicherheit gewährleisten • Förderung nachhaltiger Verfahren in den Bereichen Lebensmittelverarbeitung, Großhandel, Einzelhandel, Gastgewerbe und Verpflegungsdienstleistungen • Förderung eines nachhaltigen Lebensmittelverzehrs und Erleichterung der Umstellung auf eine gesunde und nachhaltige Ernährung • Verringerung von Lebensmittelverlusten und -verschwendung • Bekämpfung von Betrug entlang der Lebensmittelversorgungskette. Mit dieser Strategie sollen neue Elemente und bestehende Initiativen in einem einheitlichen, kohärenten Rahmen gebündelt und weiterentwickelt werden. Die Ansätze bleiben dabei zum Teil hinter dem zurück, was schon jetzt in einzelnen Mitgliedstaaten umgesetzt wird (und erst recht hinter dem, was Umwelt- oder Tierschutzverbände fordern) und trotz des inflationären Gebrauchs des Wortes „nachhaltig“ (auf 24 Seiten Text und den beiden Seiten des Anhangs kommt es in verschiedenen Kombinationen nicht weniger als 129 Mal vor) ist am Ende nicht klar, ob jeder tatsächlich dasselbe darunter versteht und wie die unvermeidbaren Zielkonflikte zwischen den verschiedenen Dimensionen der Nachhaltigkeit aufgelöst werden sollen. Die Tierproduktion, darunter die Schweinehaltung, ist vor allem von den Maßnahmen im ersten Bereich betroffen, denn dort wird die bereits von der Vorgänger-Kommission auf den Weg gebrachte Überarbeitung der EU- Tierschutzgesetzgebung aufgegriffen. Die Kommission kündigt für das vierte Quartal 2023 ein Gesetzespaket mit vier Verordnungen an: eine für das Wohlbefinden von Tieren auf den Betrieben, eine für den Tierschutz während des Transports, eine für den Tierschutz bei der Schlachtung sowie der Tötung zu Tierseuchenbekämpfungszwecken und schließlich eine zum Tierwohllabelling. Wie bei solchen großen Gesetzgebungsverfahren üblich, hat die Brüsseler Behörde bereits im Vorfeld ein Dokument zur öffentlichen Konsultation freigegeben, in dem mögliche Politikoptionen näher erläutert werden (2). Weitere Details finden sich in einem frühen Entwurf der Folgenabschätzung, welche die Kommission dem Gesetzespakte beifügen muss (diese Angaben sind aber inoffiziell, weil sie aus einem Dokument stammen, das an die Presse durchgestochenen wurde. Auch ist nicht bekannt, inwieweit der Text in den weiteren Verfahrensschritten noch geändert wurde). Überdies ist an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass die Kommission nur die Vorschläge unterbreitet, die genannten Verordnungen aber letztlich gemeinsam vom Europäischen Parlament und dem Rat beschlossen werden. Da deren Positionen in Bezug auf Tierschutzfragen weit auseinander ist davon auszugehen, dass die Vorschläge der Kommission zwecks Kompromissfindung mehr oder weniger stark abgeändert werden. Dieser Vortrag legt den Schwerpunkt auf die möglichen Veränderungen für die Schweinehalter, die zum Redaktionsschluss (Mitte Oktober 2023) bekannt liegen, 12 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

Schwein ___________________________________________________________________________________________________________ waren. Da wäre als Erstes das geplante Verbot von Kastenständen zu nennen. Einer Kernforderung aus der Europäischen Bürgerinitiative zum Ende der Käfighaltung (3) folgend, hat die Kommission ihre konkrete Absicht bekundet, die Nutzung von Käfigen für all jene Tierarten und -kategorien schrittweise zu beenden und schließlich zu verbieten, auf die in der Initiative Bezug genommen wird (Legehennen, Sauen, Kälber, Kaninchen, Junghennen, Masthähnchen, Legetiere, Wachteln, Enten und Gänse). Die neuen Vorgaben sollen allerdings erst nach einer Übergangszeit gelten, deren Dauer noch festgelegt werden muss. Ein weiteres wichtiges Aktionsfeld ist ein EU-weites Verbot des Schwanzkupierens (mit ganz wenigen Ausnahmen) und der chirurgischen Kastration ohne Betäubung und Schmerzausschaltung (mit einer abweichenden Regelung für die Erzeugung schwerer Schweine). Es ist davon auszugehen, dass die Kommission auch ein Verbot der Haltung auf Vollspaltenböden (mit einer längeren Übergangszeit) vorschlagen und die Besatzdichten deutlich nach oben setzen wird (in Anlehnung an die Empfehlungen der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (4)). Die von der Kommission ins Auge gefassten Veränderungen nehmen auch die hochfruchtbaren Sauen ins Visier, denn die durchschnittliche Anzahl lebend geborener Ferkel soll auf 14 begrenzt werden. Hier müssten also entsprechende Anpassungen in den Zuchtprogrammen vorgenommen werden. Andere Ideen zielen darauf ab, das allgemeine Management der Betriebe noch stärker auf das Wohlbefinden der Tiere auszurichten. Dazu könnten die Betriebsleiter zum Beispiel dazu verpflichtet werden, einen Tiergesundheits- und Tierschutzplan aufzustellen oder regelmäßig eine Tierschutzberatung durch einen Tierarzt in Anspruch zu nehmen. Um die Risiken für Tierschutzprobleme zu verringern, könnte auch eine Liste von EU-weit harmonisierten Tierschutzindikatoren entwickelt werden, über die der Betriebsleiter dann regelmäßig an die zuständigen Behörden berichten muss. Auch die geänderte EU-Tiertransportverordnung, die laut aktueller Planung der Kommission im Dezember 2023 erwartet wird, hat Auswirkungen auf die Schweinehaltung. Das Angebot von mehr Platz, die Absenkung von maximalen Temperaturen und der Versuch, die Transportzeiten so kurz wie möglich zu halten, sind den von der EFSA veröffentlichten Empfehlungen zufolge (5) für die Verbesserung des Wohlergehens von Nutztieren beim Transport erforderlich. Für Sauen sehen die Wissenschaftler die obere kritische Temperatur jedoch schon bei 22 °C; bei Mastschweinen sind es 25 °C und bei Absetzferkeln (30 kg Lebendgewicht) etwa 30 °C. Für Schlachtschweine ist eine zeitliche Begrenzung auf 9 Stunden angedacht, Tiere zur Zucht oder Mast könnten zwei Mal 21 Stunden lang transportiert werden dürfen, wenn dazwischen eine 24-stündige Pause mit Abladung an einer Kontrollstelle erfolgt. Resümee Die Mitte Oktober 2023 bekannten Planungen der EU laufen darauf hinaus, den Anwendungsbereich der Tierwohlgesetzgebung auszuweiten (das heißt auch bisher nicht vom EU-Recht erfasste Tierarten einzubeziehen, wie z. B. Milchkühe) und die inhaltlichen Anforderungen zu erhöhen. Insbesondere sollen Käfigsysteme so weit wie möglich verboten und Tiertransportzeiten verkürzt werden. Grundlage der Überlegungen sind neben den wissenschaftlichen Gutachten der EFSA auch verschiedene von der Kommission in Auftrag gegebene sozioökonomische Studien. Es ist deutlich geworden, dass nicht alle aus Tierschutzsicht wünschenswerten Änderungen ohne größere negative Auswirkungen auf die Wirtschaftlichkeit und Wettbewerbsfähigkeit der EU-Landwirte umgesetzt werden können. Angesichts der neu aufgeflammten Diskussion über die Versorgungssicherheit dürfte die Kommission daher einen vorsichtigen und pragmatischen Weg wählen, wofür nicht zuletzt die Ankündigung eines strukturierten Dialogs zur Zukunft der Landwirtschaft in der Rede zur Lage der Union von Kommissionspräsidentin von der Leyen hindeutet. Literatur 1. Europäische Kommission. 2020. Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen „Vom Hof auf den Tisch“ – eine Strategie für ein faires, gesundes und umweltfreundliches Lebensmittelsystem. KOM (2020) 381 endgültig. https://eur-lex.europa.eu/legal- content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52020DC0381 2. Europäische Kommission. 2021a. Inception impact assessment – Revision of the EU legislation on animal welfare, https://ec.europa.eu/info/law/better-regulation/have-your-say/initiatives/12950-Animal-welfare-revision-of-EU-legislation_de 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 13

Schwein ___________________________________________________________________________________________________________ 3. Europäische Kommission. 2021b. Mitteilung der Kommission zur Europäischen Bürgerinitiative (EBI) „End the Cage Age“, C(2021)4747 final, https://ec.europa.eu/transparency/documents-register/detail?ref=C(2021)4747&lang=de 4. EFSA. 2022a. EFSA Panel on Animal Health and Welfare, Nielsen SS, Alvarez J, Bicout DJ, Calistri P, Canali E, Drewe JA, Garin-Bastuji B, Gonzales Rojas JL, Gortazar, Schmidt C, Herskin M, Michel V, Miranda Chueca MA, Padalino B, Roberts HC, Stahl K, Velarde A, Viltrop A, Winckler C, Edwards S, Ivanova S, Leeb C, Wechsler B, Fabris C, Lima E, Mosbach- Schulz O, Van der Stede Y, Vitali M and Spoolder H. Scientific Opinion on the welfare of pigs on farm. EFSA Journal 2022;20(8):7421. https://doi.org/10.2903/j.efsa.2022.7421 5. EFSA. 2022b. EFSA Panel on Animal Health and Welfare, Nielsen SS, Alvarez J, Bicout DJ, Calistri P, Canali E, Drewe JA, Garin-Bastuji B, Gonzales Rojas JL, Gortazar, Schmidt C, Michel V, Miranda Chueca MA, Padalino B, Pasquali P, Roberts HC, Spoolder H, Stahl K, Velarde A, Viltrop A, Winckler C, Earley B, Edwards S, Faucitano L, Marti S, Miranda de La Lama GC, Nanni Costa L, Thomsen PT, Ashe S, Mur L, Van der Stede Y and Herskin M. Scientific Opinion on the welfare of pigs during transport. EFSA Journal 2022;20(9):7445. https://doi.org/10.2903/j.efsa.2022.7445 Kontakt Dr. Hans-Peter Schons; Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tierzüchter e. V. (ADT), Bonn info@adt.de 14 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

Schwein ___________________________________________________________________________________________________________ Schweinehaltung in Deutschland weiterhin möglich? - eine wissenschaftliche Einschätzung Nicole Kemper Institut für Tierhygiene, Tierschutz und Nutztierethologie (ITTN), Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover Hintergrund Die Landwirtschaft in Deutschland steht vor einem gesellschaftlich und politisch geforderten massiven Transformationsprozess. Dabei spielen nicht nur die Herausforderungen bei der Umgestaltung der Nutztierhaltung hin zu mehr Tierwohl eine Rolle, sondern insbesondere auch die Klimawirkung und die damit verbundene Nutzung der Ressourcen, welche sich in einer umfassenden Nachhaltigkeitsbewertung wiederfinden müssen. Von allen Betriebszweigen ist dabei in der Schweinehaltung aufgrund der Vielzahl der erforderlichen Veränderungen und des bereits stattfindenden extremen Strukturwandels der Handlungsbedarf am größten. So sind in den vergangenen zehn Jahren über 40 % der Betriebe aus der Schweinehaltung ausgestiegen (ISN, 2023). Im Mai 2023 hielten noch 16.200 Schweinehalter knapp 21 Mio. Schweine in Deutschland (Destatis, 2023). Die zukunftsorientierte Schweinehaltung ist daher auf Nachhaltigkeit auszurichten, das heißt, sie muss so transformiert werden, dass sie gesellschaftlich akzeptiert wird und ökologische und ökonomische Aspekte miteinander dieses Transformationsprozesses wird vor allem durch die ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen, inklusive der Gewährleistung der Versorgungssicherheit, beeinflusst. Bei der Transformation sind sowohl die Bereiche Haltung, betriebliches Management und Zucht zu berücksichtigen (WBA, 2015). 2019). Die Geschwindigkeit (BMEL, in Einklang gebracht werden Alles ökologisch? Der Anteil der ökologischen Schweinehaltung ist mit unter einem Prozent an den schweinehaltenden Betrieben weiter auf einem sehr niedrigen Niveau (Destatis, 2023). Der Marktanteil für Bioschweinefleisch in Deutschland liegt aktuell bei 0,7 % (AMI, 2023), was einerseits an den erheblichen Preisaufschlägen liegt, andererseits aber auch darauf zurückzuführen ist, dass die Konsumenten, die häufig oder ausschließlich ökologische Produkte kaufen, relativ wenig Schweinefleisch konsumieren. Die politisch geforderte Ausweitung des ökologischen Landbaus auf 30% Flächenanteil erfordert Maßnahmen in allen Produktlieferketten, darunter auch in der ökologischen Schweinehaltung. Offene Fragestellungen in der Schweinehaltung sind dabei neben der Gestaltung und des Umbaus der Haltungssysteme der Umgang mit einer höheren parasitären Belastung, die generelle Resilienz der Schweine (auch gegen Witterungseinflüsse) sowie Fragen der Tierernährung die adäquate Versorgung der Tiere betreffend. Für die im Abschlussbericht der Zukunftskommission Landwirtschaft (2021) geforderte nachhaltige Umgestaltung der Nutztierhaltung in Deutschland sind gesunde, robuste und trotzdem leistungsfähige Tiere eine Grundvoraussetzung. Hier kann die Tierzucht mit der Berücksichtigung neuer Merkmale einen wichtigen Beitrag leisten. Von einer kompletten Umstellung auf ökologische Schweinehaltung ist nicht auszugehen, vielmehr wird eine Anpassung der Haltungssysteme hin zu den Kriterien, wie sie bislang in der ökologischen Haltung gefordert sind, über die höheren Haltungsstufen erfolgen. Klar ist aber auch, dass all dies nur mit einem Mehraufwand realisieren lässt, der sich letzten Endes beim Preis von Schweinefleisch niederschlägt. Zukunftsfähige Umgestaltung von Haltungssystemen Waren bei der Gestaltung der Schweinehaltung bislang vor allem Leistung, Effizienz und Biosicherheit entscheidend, so sind zukünftige Haltungssysteme auf Grundlage der Anforderungen, die sich aus dem Tierverhalten ergeben, zu planen. Dies umfasst die Anpassung an die Bedürfnisse nach Ruhen, Bewegung, Fressen, Wasseraufnahme, Ausscheidung und Komfortverhalten. Ziel ist es, das Haltungssystem so zu gestalten, dass Wohlbefinden, Gesundheit und Wohlbefinden von Mensch und Tier gefördert werden. In allen Systemen sind bezüglich einer besseren Tiergerechtheit folgende Kriterien adäquat zu berücksichtigen: 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 15

Schwein ___________________________________________________________________________________________________________ (bzw. weitestgehender Verzicht darauf), Platzangebot, Buchtenstruktur (Trennung der Fixierung Funktionsbereiche Ruhen - Fressen - Ausscheiden), Gestaltung von Klimazonen (evtl. mit Außenklimareiz) und Angebot von Raufutter/Beschäftigung. Haltungsverfahren mit freier Lüftung, ggf. mit Auslauf, getrennten Funktionsbereichen und größerem Platzangebot werden vermehrt zur Anwendung kommen. Umfassende Informationen zu zukunftsfähigen Haltungssystemen für Schweine inklusive Planungsbeispielen finden sich in den Broschüren „Gesamtbetriebliches Haltungskonzept Schwein - Sauen und Ferkel“ (BLE, 2021) und „Gesamtbetriebliches Haltungskonzept Schwein - Mastschweine“ (BLE, 2019). Die umfassende Bewertung dieser Konzepte hat unter Einbezug der Praxis wissenschaftlich fundiert und belastbar zu erfolgen. Im Idealfall ermöglicht ein zukunftsfähiges Haltungssystem die Haltung von unkupierten Schweinen, die Vermeidung von Verhaltensstörungen und eine optimale Tiergesundheit. Des Weiteren müssen selbstverständlich auch arbeitswirtschaftliche Aspekte, verfahrenstechnische Machbarkeit, Biosicherheit und die ökonomischen Anforderungen berücksichtigt werden. Eine wesentliche Herausforderung bei der Gestaltung des Umbaus der Schweinehaltung liegt in der Ökonomie begründet. Es müssen tragfähige, finanzierbare Lösungen gefunden werden, um den Um- und Neubau zukunftsfähiger Haltungssysteme zu ermöglichen. Auch eine Abstimmung bei der Neugestaltung tiergerechter Ställe zwischen Bau- und Umweltrecht ist erforderlich. Für Zielkonflikte, beispielsweise zwischen Tierwohl, Emissions- und Seuchenschutz bei Haltungssystemen mit Auslauf, müssen und können konstruktive Lösungsmöglichkeiten gefunden werden. Der Auslauf ist beispielsweise so zu gestalten, dass die Verschmutzung und somit die Größe von emittierenden Oberflächen minimiert wird. Flexible Haltungssysteme müssen auch ohne den Zugang zum Auslauf in Zeiten von Tierseuchen funktionsfähig sein. Ausblick Schweinehaltung wird auch in Deutschland weiterhin möglich sein, allerdings sind bei der Umgestaltung alle beteiligten Akteure stark gefordert. Es müssen nicht nur die Haltungssysteme angepasst werden, sondern auch das Management und die Zucht (z.B. über die stärkere Berücksichtigung funktionaler Merkmale) leisten ihren Beitrag zu einer nachhaltigen Umgestaltung. Ein optimiertes betriebliches Tiergesundheitsmanagement verringert dabei indirekt über eine bessere Futterverwertung sowie geringeren Medikamenteneinsatz ebenfalls die Umweltbelastung. Hier kann die Digitalisierung einen ergänzenden Beitrag leisten. Bezüglich möglicher Zielkonflikte zwischen tierwohlorientiertem Bauen und Umweltwirkungen bedarf es eines klaren rechtlichen Rahmens. Ebenso müssen die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Investitionen zur zukunftsfähigen Umgestaltung der Schweinehaltung und die langfristige Perspektive klar definiert werden. Nur so lässt sich die Versorgung mit hochwertigem Schweinefleisch aus Deutschland weiterhin sicherstellen. Literatur 1. AMI (2023) https://www.ami-informiert.de/ami-maerkte/maerkte/ami-maerkte-oekolandbau/ (Zugriff am 02.10.2023) 2. BLE (2019) Gesamtbetriebliches Haltungskonzept Schwein - Mastschweine. https://www.ble-medienservice.de/1007-1- gesamtbetriebliches-haltungskonzept-schwein.html (Zugriff am 02.10.2023) 3. BLE (2021). Gesamtbetriebliches Haltungskonzept Schwein - Sauen und Ferkel. https://www.ble-medienservice.de/0073-1- gesamtbetriebliches-haltungskonzept-schwein.html (Zugriff am 02.10.2023) 4. BMEL (2019). Nutztierstrategie - Zukunftsfähige Tierhaltung in Deutschland, Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, Berlin. https://www.nutztierhaltung.de/nutztierstrategie/ (Zugriff am 02.10.2023) 5. Destatis (2023). https://www.destatis.de/DE/Themen/Branchen-Unternehmen/Landwirtschaft- Forstwirtschaft- 6. Fischerei/Tiere-Tierische-Erzeugung/schweine.html (Zugriff am 02.10.2023) ISN 2023. https://www.schweine.net/news/viehzaehlungsergebnisse-niedrigster-schweinebestan.html (Zugriff am 02.10.2023) 7. Wissenschaftlicher Beirat für Agrarpolitik (WBA) (2015). Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung. Kurzfassung des Gutachtens https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/_Ministerium/Beiraete/agrarpolitik/GutachtenNutztierhaltung- Kurzfassung.pdf%3F__blob%3DpublicationFile%26v%3D2 (Zugriff am 02.10.2023) Zukunftskommission Landwirtschaft (2021). Abschlussbericht: Zukunft Landwirtschaft - eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Empfehlungen der Zukunftskommission Landwirtschaft. www.bmel.de/goto?id=89464 (Zugriff am 02.10.2023) 8. 16 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

Schwein ___________________________________________________________________________________________________________ Geburtsmanagement bei Zuchtsauen – Gesundheit und Vitalität sichern Alexander Grahofer Schweineklinik, Departement für klinische Veterinärmedizin, Vetsuisse Fakultät, Universität Bern, Schweiz Einleitung Reproduktionsstörungen im Geburtszeitraum gehören zu den wirtschaftlich bedeutendsten und häufig auftretenden Problemen der modernen Schweineproduktion und stellen die Hauptursache für das Ausmerzen von Sauen in Zuchtbeständen dar. In den letzten drei Jahrzehnten hat sich die Wurfgrösse der Sauen züchtungsbedingt fast verdoppelt und somit hat sich die Austreibungsphase der Geburt bis ums fünffache verlängert. Aufgrund dessen hat die Prävalenz für Geburtsstörungen sowie das postpartale Dysgalaktie-Syndrom stark zugenommen. Diese Entwicklung hat negative Folgen für die Gesundheit und Vitalität der Sau und Ferkel. Deshalb ist ein strukturiertes Geburtsmanagement wichtiger denn je. In der Literatur ist beschrieben, dass Dystokien bei Sauen größtenteils mütterlichen Ursprungs sind, wobei die Wehenschwäche die häufigste Ursache ist. Die Wehenschwäche wird anhand der Ursache und des zeitlichen Auftretens wie folgt charakterisiert: primäre, sekundäre und iatrogen Wehenschwäche. Die primäre Wehenschwäche ist charakterisiert durch fehlende oder unzureichende Wehentätigkeit in der Eröffnungsphase der Geburt. Damit verbunden kommt es zu einem Ausbleiben der Bauchpresse, da die Ferkel nicht in das Becken eintreten. Die primäre Wehenschwäche ist auf eine hormonelle Imbalance wie z.B. einen erhöhten Progerstongehalt oder einen Mangel an Oxytocin oder Prostaglandin sowie die Anzahl an Rezeptoren im Uterus zurückzuführen. Stress, der beispielsweise durch ein mangelhaftes Ausleben des Nestbauverhaltens der Sauen verursacht wird, ist eine der wichtigsten Ursachen. Andere Ursachen sind ernährungsbedingte Faktoren, z. B. ballaststoffarme und energiereiche Futterration, die zu Verstopfung und Verfettung der Sau führen. Bei der sekundären Wehenschwäche hingegen ist, anfangs eine normale Eröffnungsphase mit guter Wehentätigkeit und Bauchpresse vorhanden, im Verlauf der Geburt tritt jedoch die Wehenschwäche auf. Dies tritt meistens als Folge einer verlängerten Geburt auf, die insbesondere aufgrund grosser Würfe zurückzuführen ist. Eine iatrogene Wehenschwäche kann durch eine fehlerhafte Anwendung von PGF2a und Oxytocin im Geburtszeitraum ausgelöst werden. Um Geburtsstörungen frühzeitig zu erkennen, sollte eine kontinuierliche Geburtsüberwachung alle 30 - 60 min durchgeführt werden. Die Verwendung digitaler Technologien und Auswertung laufender Monitoringsysteme eigenen sich dafür und sind schon heute elementare Bestandteile im Geburtsmanagement. Für die Beurteilung des Abferkelprozesses stehen eine Vielzahl an verschiedenen Kamerasystemen für die Landwirtschaft zur Verfügung. Diese ermöglichen eine hochwertige Videoübertragung direkt auf das Smartphone oder andere Endgeräte. Dadurch kann der Abferkelprozess kontrolliert werden ohne durch physischer Präsenz Unruhe im Abferkelabteil hervorzurufen, welche negative Folgen auf den Geburtsablauf haben kann. Treten Geburtsstörung in der Abferkelgruppe auf, kann anhand des ausgearbeiteten Schemas vorgegangen werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass immer auf die individuelle Situation der Sau eingegangen wird. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 19

Schwein ___________________________________________________________________________________________________________ Forschungsergebnisse unserer Arbeitsgruppe In der aktuellen Literatur sind wenig Beschreibungen und Untersuchungen zur Geburtshilfe und – management bei Zuchtsauen in freier Abferkelung vorhanden. Einsatz Wehenmittel (1,2) Unsere Forschungsgruppe hat den Einfluss von Prostaglandin E2 (PGE2), ein Wehenmittel, welches in der Humanmedizin eigesetzt wird, untersucht. Ziel der Studie war es die Wirksamkeit von intravaginalen (PGE2ivag) (1,0 mg) und intramuskulär (PGE2im) (2,5 mg) applizierten PGE2 nach Geburt des vierten Ferkels im Vergleich zu intramuskulären Oxytocingabe (Oxyim) (20 IE) und einer Placebogruppe, die intravaginales Gel erhielt, zu untersuchen. Insgesamt wurden 201 Sauen in die Studie eingeschlossen und anhand der Parität unterteilt. Die Sauen wurden randomisiert in die folgenden Gruppen eingeteilt: 50 (PGE2ivag), 49 (PGE2im), 48 (Oxyim), 54 (Placebo). Die Abferkeldauer (Zeit zwischen dem ersten und dem letzten Ferkel), das Ferkelintervall und die Austreibungsphase der Plazenta (Zeit zwischen der ersten und der letzten Plazenta) wurden aufgezeichnet, und jedes Ferkel wurde hinsichtlich Mekoniumverschmutzung und Vitalität bewertet. Des Weiteren wurden totgeborene Ferkel in prepartale und intrapartale Todesfälle eingeteilt. Die Abferkeldauer variierte zwischen den verschiedenen Gruppen (Oxyim 156 min, PGE2ivag 188 min, Placebo 219 min, PGE2im 238 min) und es konnte nur ein signifikanter Unterschied zwischen der Gruppe Oxyim im Vergleich zu PGE2im (p-Wert = 0,0063) festgestellt werden. Die anderen Parameter wiesen keine signifikanten Unterschiede zur Placebogruppe auf. In dieser Studie hatten die verschiedenen Behandlungen im Vergleich zur Kontrollgruppe einen begrenzten signifikanten Einfluss auf den Geburtsprozess bei Sauen mit freier Abferkelung. Die Anwendung von PGE2 hatte keinen positiven Einfluss auf den Geburtsprozess. Einfluss von Plazentaaustreibung und Plazentaeigenschaften auf Geburtsablauf (3) Des Weiteren wurde in einer anderen Studie der Zusammenhang zwischen dem Geburtsablauf, verschiedenen Parameter bei Sauen und Plazentaeigenschaften in der freien Abferkelung bei 48 Zuchtsauen untersucht. Es konnte ein signifikanter Zusammenhang (p = 0,001) zwischen Abferkeldauer (260,3 ± 199,5 min) und der Austreibungsphase der Plazenta (388,7 ± 300,2 min) festgestellt werden. Des Weiteren konnte ein signifikanter Unterschied in der Abferkeldauer in Abhängigkeit des Zeitpunkts der ersten Austreibung der Plazenta beobachtet werden. Sauen, die den ersten Plazentateil gleichzeitig mit dem letzten Ferkel oder sogar vor der Geburt des letzten Ferkels austrieben, zeigten im Vergleich zu Sauen, die den ersten Plazentateil nach der Geburt des letzten Ferkels ausstießen, einen signifikant verlängerte Abferkeldauer (305 ± 216 min vs. 139,0 20 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

Schwein ___________________________________________________________________________________________________________ ± 34,9 min; p <0,01). Außerdem konnte festgestellt werden, dass die Anzahl an Plazentateilen den Geburtsablauf beeinflusst. Sauen mit 2-4 Plazentateilen hatten eine signifikant kürzere Abferkeldauer (292,91 ± 117,92 min) und Austreibungsphase der Plazenten (160,73 ± 104,00 min) als Sauen mit 5-7 Plazentateilen (634,63 ± 330,79 min Abferkeldauer; 460,77 ± 337,32 min Plazentaaustreibung) und Sauen mit 8-10 Plazentateilen (599,00 ± 138,20 min Abferkeldauer; 438,43 ± 117,98 min Plazentaaustreibung) (p < 0,01). Des Weiteren zeigten Sauen mit einer Plazenta-Effizienz <5 eine signifikant höhere Anzahl lebender Ferkel als Sauen mit einer Plazenta-Effizienz ≥ 5 (17,1 ± 2,7 Ferkel gegenüber 13,6 ± 2,8 Ferkeln; p = 0,002). Außerdem beeinflusst die Rückenspeckdicke der Sauen den Geburtsablauf. Sauen mit einer hohen Rückenspeckdicke (≥ 12.5mm) hatten mehr totgeborene Ferkel p=0.016) sowie eine längere Abferkeldauer (p = 0.050) als dünnere Sauen. Während die Abferkeldauer in der freien Abferkelung im Vergleich zu Daten vom Sauen im Kastenstand kürzer war, konnte eine längere Plazentaaustreibungsphase in unserer Studie festgestellt werden. Aufgrund der Korrelation zwischen Abferkeldauer und Plazentaaustreibung, gehen verlängerte Geburten immer mit einer verzögerten Plazentaaustreibung einher. Der Zeitpunkt der Austreibung der ersten Plazenta sowie die Anzahl der Plazentateile könnten verlässliche, auch für Tierhalter anwendbare Parameter sein, um Sauen mit Geburtsstörungen zu erkennen, selbst wenn keine kontinuierliche Geburtsüberwachung im Bestand implementiert ist. Des Weiteren konnte festgestellt werden, dass Sauen mit einer hohen Rückenspeckdicke eine signifikant längere Abferkeldauer und vermehrt totgeborene Ferkel hatten. Die Überwachung und Bewertung all dieser Parameter hilft somit, Störungen bereits während der Geburt frühzeitig zu erkennen und angemessene geburtshilfliche Eingriffe rechtzeitig durchzuführen. Einfluss von 1.25VitD auf Geburtsablauf und Puerperium (4) Ziel dieser Studie war es, die Auswirkungen eines Vitamin D Präparates (1.25(OH)2D3-gly (1.25VitD)) auf den Geburtsablauf bei Sauen und die Vitalität der Saugferkel sowie die Aufzuchtleistung und postpartale Gesundheit inklusive der Uterusinvolution zu untersuchen. Es wurden 100 Zuchtsauen aus einer arbeitsteiligen Ferkelproduktion bei der Besamung in zwei gleich große Gruppen eingeteilt („Kontrolle“ bzw. „1.25VitD“- Fütterung). Die 1.25VitD Gruppe erhielt eine definierte Menge 1.25VitD zusätzlich zur normalen Futterration (260 - 300 mg/Sau/Tag während der gesamten Trächtigkeit und 700 mg/Sau/Tag während der Laktation; in der Futterration bereits enthalten 1000 IU/kg Vitamin D3). Die Anzahl total-geborener Ferkel bei Sauen mit 1.25VitD Supplementation war höher (16.0 vs. 15.1) und die Geburtsdauer war kürzer (494 vs. 586 min) als in der Kontrollgruppe. Aufgrund der hohen Varianz konnte in der univariablen Auswertung jedoch keine Signifikanz festgestellt werden. In einem Multiple Regression Model mit den Variablen „Geburtsdauer“, „Anzahl total-geborener Ferkel“ und „1.25VitD“ konnte ein signifikanter Unterschied gezeigt werden. 1.25VitD war assoziiert mit einer kürzeren Geburtsdauer (p = 0,055). Es wurden aber auch signifikant mehr Mumien (p < 0,01) und kurz gerissene Nabelschnüre (p < 0,05) in der 1.25VitD- Gruppe festgestellt. Postpartal war die rektale Körpertemperatur der Sauen in der 1.25VitD Gruppe signifikant niedriger (p < 0,05) als bei der Kontrollgruppe (Tag 1: 38.6 vs. 38.9 °C; Tag 2: 38.5 vs. 38.7 °C; Tag 3: 38.4 vs. 38.7 °C; Tag 4: 38.4 vs. 38.6 °C; Tag 5: 38.5 vs. 38.9°C). Obwohl kein signifikanter Unterschied an lebendgeborenen Ferkeln nach der Geburt festgestellt wurde, unterschied sich die Ferkelanzahl an Tag 7 nach der Geburt und zum Absetzen, mit mehr Ferkel in der 1.25VitD Gruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe (Tag 7: 14 (Min:12; Max: 15) vs. 14 (Min:11; Max: 15) p = 0,002; Absetzen: 14 (Min:11; Max 15) vs. 14 (Min:11; Max 15) p = 0,02). Außerdem war der Gewichtsverlust der 1.25VitD Sauen niedriger (52 vs. 59 kg p < 0,05). Die Uterusinvolution unterschied sich zwischen den Gruppen nicht. Diese klinische Studie zeigte einen positiven Effekt von 1.25VitD auf den Geburtsprozess ohne die Ferkelvitalität bei der Geburt zu beeinflussen. Postpartal zeigte sich ein positiver Einfluss auf die Körpertemperatur der Sau und die Aufzuchtleistung. Fazit für die Praxis Anhand eines adäquaten Geburtsmanagaments können Geburts- und Puerperalstörungen frühzeitig erkannt und notwendige weiterführende Massnahmen eingeleitet werden. Damit kann die Tiergesundheit sowie das Tierwohl auf einem Sauenbestand gesteigert werden. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 21

Schwein ___________________________________________________________________________________________________________ Literatur 1. Grahofer, A., Bill, R., & Nathues, H. (2021). Observation of dose dependent intravaginal Prostaglandin E2 application in free farrowing sows during parturition - a pilot study. Porcine health management, 7(1), 28. https://doi.org/10.1186/s40813-021-00208-z 2. Bill, R., Carmo, L. P., Vidondo, B., Nathues, H., & Grahofer, A. (2021). Effect of intramuscular and intravaginal PGE-2 3. 4. treatment compared to intramuscular oxytocin treatment in eutocic sows on the farrowing performance in a free farrowing system. Theriogenology, 161, 1–7. https://doi.org/10.1016/j.theriogenology.2020.11.013 Trachsel, C., Küker, S., Nathues, H., & Grahofer, A. (2021). Influence of different sow traits on the expulsion and characteristics of the placenta in a free farrowing system. Theriogenology, 161, 74–82. https://doi.org/10.1016/j.theriogenology.2020.11.023 Jahn, L., Schuepbach-Regula, G., Nathues, H., & Grahofer, A. (2022). Effect of 1,25-Dihydroxyvitamin D3-Glycosides on the Farrowing Process and Piglet Vitality in a Free Farrowing System. Animals: an open access journal from MDPI, 12(5), 611. https://doi.org/10.3390/ani12050611 Kontakt PD Dr. Alexander Grahofer, Schweineklinik Bern alexander.grahofer@vetsuisse.unibe.ch 22 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

Schwein ___________________________________________________________________________________________________________ Infektiös bedingte Aborte beim Schwein - eine diagnostische Herausforderung Katrin Strutzberg-Minder IVD Gesellschaft für Innovative Veterinärdiagnostik mbH, DVG-Konsiliarlabor für Leptospira spp., Seelze Abstract Fruchtbarkeitsprobleme bei der Sau und insbesondere Aborte stellen häufig eine diagnostische Herausforderung dar, weil bei den Sauen zuvor oft keine klinischen Symptome wahrgenommen werden, und weil sowohl nicht-infektiöse Ursachen als auch infektiöse Ursachen die Auslöser sein können. Daher ist eine gute und sorgfältige Anamnese von besonderer Bedeutung und es sollte als erstes festgestellt werden, ob eben nicht-infektiöse oder infektiöse Ursachen in Betracht kommen. Je nach Art des Fruchtbarkeitsproblems, von Abort bis SMEDI, kommen verschiedene Infektionserreger als Verursacher in Frage. Dabei können auch allgemeine Infektionen der Sau, z.B. eine Influenza oder Rotlauf, durch Fieber, Inappetenz und Abmagerung zum Abort bei einer tragenden Sau führen. In diesen Fällen findet man den Erreger allerdings nicht im Abortmaterial und man muss die Allgemeininfektion der Muttersau diagnostizieren. Einige Erreger können Embryonen aber auch direkt schädigen, was zu Fruchttod, Mumifikation oder lebensschwachen Ferkel, dem SMEDI-Syndrom, führen kann. Hat man bereits Anhaltspunkte für einen bestimmten Erreger, so können Früchte und Plazenta gezielt auf den vermutetet Erreger untersucht werden. Virale Erreger werden dabei gewöhnlich mittels PCR und bakterielle Erreger mittels Kultur und /oder PCR nachgewiesen oder ausgeschlossen. Auch der Ausschluss von Erregern ist ein wichtiger Bestandteil im Rahmen der Abortdiagnostik und der Wert dieser Information wird vielfach unterschätzt. Ohne Verdachtsdiagnose sollten alle Früchte und wenn möglich die Plazenta unter Berücksichtigung aller Informationen pathologisch begutachtet werden, was wiederum Hinweise auf einen speziellen Erreger liefern kann oder ein Organ-Mix von Feten/Ferkeln eines Wurfes kann mittels PCR- Screenings auf potenzielle Erreger untersucht werden. Auch Tierseuchen wie die Klassische (KSP) und Afrikanische (ASP), die Aujezkysche Krankheit und Brucellose können Aborte verursachen und müssen unter Umständen bei Fruchtbarkeitsproblemen differenzialdiagnostisch berücksichtigt werden. [1,2] Virale Erreger im Zusammenhang mit Fruchttod und Aborten beim Schwein Als bedeutende virale Erreger kommen Parvoviren (PPV), Porcine Circoviren (PCV) und das Porcine Reproduktive und Respiratorische Syndrom Virus (PRRSV) mit einer direkten Schädigung bzw. Beteiligung am Fruchttod in Frage. Infektionen der tragenden Sau mit Influenza-A-Viren (IAV), die im Allgemeinen mit hohem Fieber einhergehen, können sekundär zum Fruchttod führen. IAV sind nicht in Feten, Ferkeln oder Plazenta nachzuweisen. Für den Nachweis einer Influenza bei der Sau bedarf es eines Nasentupfers während der fiebrigen Phase oder Trachea- oder Lungengewebe von frisch toten oder euthanasierten, respiratorisch akut kranken Sauen. Der Erreger kann mittels PCR nachgewiesen und im positiven Falle auch noch weiter typisiert werden. Die Serologie zum Nachweis von Antikörpern gegen Influenza-A-Viren mittels ELISA und/oder HAH kann bei der Diagnose von Influenza-Infektionen in der Sauenherde sehr hilfreich sein, sofern der Status der Sauen hinsichtlich Influenza bekannt ist und Impfungen bei der Interpretation der Ergebnisse berücksichtigt werden. PPV1 gilt als eine der Hauptursachen von Totgeburten, Mumifizierung, embryonalem Tod und Unfruchtbarkeit, dem SMEDI-Syndrom, insbesondere für erstgebärende Sauen, die immunologisch naiv gegenüber PPV sind [3]. Bei Verdachtsdiagnose erfolgt der Nachweis von PPV mittels PCR an Mumien, an frisch toten oder lebensschwachen Ferkeln aus einem Wurf mit Mumien, bzw. fetaler Lunge, Leber u.a. Organen, Darm-Lymphknoten inkl. Plazenta. Bei umrauschenden Sauen mit Verdacht auf PPV kann der Nachweis mittels PCR an Rektumtupfer hilfreich sein. 24 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

Schwein ___________________________________________________________________________________________________________ Das PCV2-Virus ist überall in der Schweinepopulation zu finden und kann zu klinischen Erkrankungen als auch zu subklinischen Infektionen führen, dabei können intrauterine PCV2-Infektionen von Feten durch die Besamung oder transplacentale Übertragung je nach Trächtigkeitsstadium der Sau und Immunkompetenz der Feten Spätaborte, mumifizierte, totgeborene oder lebensschwache Ferkel verursachen. Die Diagnose von PCV2-assoziierten Fruchtbarkeitsstörungen kann durch den Nachweis von PCV-2 mittels qPCR und/oder Immunhistochemie im Herz erfolgen, da dies das Hauptzielorgan bei einer fetalen Infektion ist. Werden die Sauen kontinuierlich serologisch hinsichtlich PCV2 beobachtet, so können Abweichungen festgestellt und bei Verwendung von ELISA mit guter Korrelation zum IPMA auch Titer errechnet werden, die Hinweise auf eine PCV2-Infektion geben können. Impfmaßnahmen bei den Sauen sind bei der Beurteilung serologischer Ergebnisse entsprechend zu berücksichtigen. Sauenblutproben sind für den direkten Nachweis von PCV2 als Aborterreger mittels qPCR ungeeignet, da erst die Infektion die Reproduktionsprobleme verursacht und nicht die PCV2-Virämie der Sau. intrauterine PRRS ist charakterisiert durch Atemwegsproblemen bei Ferkeln und jungen Schweinen und durch Reproduktionsstörungen bei Sauen mit späten Aborten, frühen oder verzögerten Abferkelungen mit toten und mumifizierten Feten oder Totgeburten und lebensschwachen Ferkeln [1]. In der akuten Phase kann es zur Zunahme an Umrauschern kommen. Die Ursache ist höchstwahrscheinlich eine virusbedingte Schädigung der Plazenta und der Gebärmutterschleimhaut [4]. Pools fetaler Organe oder Thorakalflüssigkeit eines Wurfs sind geeignete Probenmaterialien zum direkten Nachweis mittels qPCR. Auch Processeing Fluids (PF) von entsprechenden Würfen oder Piglet Tongue Fluid (PTF; [5]) können zum Nachweis von PRRSV diagnostisch genutzt werden. Bei PRRS kann auch der Nachweis von PRRSV mittels PCR im Serum von akut erkrankten Muttersauen diagnostisch hilfreich sein. Die Serologie bei Sauen mit Reproduktionsproblemen ist nur im Rahmen von Monitorings durch die frühzeitige Beobachtung von etwaigen Veränderungen im serologischen Profil nützlich, aber aufgrund von Impfungen und auch persistenten Infektionen mit PRRSV im Sauenbestand häufig nur begrenzt hilfreich. Weitere virale Erreger wie das Japanische Encephalitis Virus (JEV), Enteroviren, atypische Pestiviren u.a. sind im Zusammenhang mit Reproduktionsproblemen inkl. Aborten beschrieben, kommen aber selten als Verursacher vor und werden deshalb in der Routinediagnostik gewöhnlich nicht berücksichtigt. Metagenomische Nachweise könnten in solchen Fällen zukünftig zur weiteren, umfassenderen diagnostischen Abklärung dienen. Bakterielle Erreger im Zusammenhang mit Fruchttod und Aborten beim Schwein Leptospiren können beim Schwein primär Reproduktionsstörungen verursachen (Leptospirose), obwohl die überwiegende Mehrheit der Leptospireninfektionen beim Schwein subklinisch verlaufen. Klinische Infektionen sind bei jungen Ferkeln und tragenden Sauen am wahrscheinlichsten und zwar beim ersten Eintrag in eine empfängliche Herde oder wenn die Herdenimmunität allgemein geschwächt ist. Während die akute Leptospirose (Leptospirämie) aufgrund geringer Symptome oft unbemerkt bleibt, sind Aborte, Totgeburten, die Geburt lebensschwacher Ferkel und reduzierte Wurfgrößen erste Anzeichen für eine chronische Leptospirose, insbesondere bei einer Pomona-Infektion. Umrauschen ist dagegen charakteristisch für eine Infektion mir der Serovar Bratislava. Die Diagnostik erfolgt serologisch mit dem Mikro-Agglutinations-Test (MAT) durch Nachweis von Antikörpern gegen Leptospiren bei der Sau, bevorzugt am Serumpaar. Fetale Niere, Lunge und Leber, auch Gehirn und Körperflüssigkeiten können zum direkten Nachweis und zur Differenzierung von Leptospiren mittels real-time PCR genutzt werden. [1] Auch die akute septikämische Form des Rotlaufs kann bei der tragenden Sau zum Abort führen. Aufgrund der flächendeckenden Impfung von Sauen kommt eine Infektion mit Erysipelothrix rhusiopathiae aber nur selten vor. Bei typischen Backsteinblattern und Todesfällen von Sauen ist der Rotlauf-Erreger relativ leicht aus verschiedenen Organen wie Herz, Lunge, Leber, Milz, Nieren und Gelenken kulturell nachzuweisen. Mittels ELISA an einem Serumpaar von Sauen kann eine Rotlauf-Infektion nachgewiesen werden, allerdings ist nur eine grobe Differenzierung zwischen Infektion und Impfung möglich. [2] Weitere bakteriellen Infektionserregern wie Pasteurellen (Actinobacillus pleuropneumoniae (App), Glaesserella parasuis (GPS)), Streptokokken, Escherichia coli (EC), Arcanobacterium (A.) pyogenes, Campylobacter u.a., die durch Fieber und Allgemeinerkrankung und/oder Toxinwirkung im Fetus, Aborte beim 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 25

Schwein ___________________________________________________________________________________________________________ Schwein verursachen, können routinemäßig kulturell bei der Sau nachgewiesen und die Spezies-Identifizierung oder weitere Charakterisierungen erfolgt mittels PCR (z.B. App, Gps, EC, Streptococcus suis, etc.). Fazit Die Diagnostik infektiös bedingter Aborte bleibt auch zukünftig eine Herausforderung, da wir es zum einen mit Erregern zu tun haben, die den Abort direkt durch Infektion der Feten/Ferkel auslösen und es sich andererseits um Allgemeininfektionen der Sau handeln kann, die zum Abort führen können. Es müssen also die richtigen diagnostischen Möglichkeiten (Pathologie/Histologie, PCR, Kultur, Serologie, NGS) am richtigen Probenmaterial genutzt werden. Eine sorgfältige Anamnese ist deshalb ein wesentlicher Bestandteil der Diagnostik, der über den Erfolg der weiteren Diagnostik entscheidet. Grundsätzlich stehen für alle bekannten Erreger Nachweise zu Verfügung, allerdings kommt man je nach Fall auch nur durch Ausschluss und Kombinationen verschiedenster diagnostischer Ansätze der Abortursache auf den Grund. Das ist unter Umständen aufwändig, teuer und wird als unbefriedigend empfunden, liegt aber an den meist komplexen Ursachen für Aborte. Literatur 1. 2. 3. 4. 5. Different chapters in: Zimmerman JJ, Karriker LA, Ramirez A, Schwartz KJ, Stevenson GW, Zhang J, editors. Diseases of Swine. John Wiley & Sons, Inc.; Hoboken, NJ, USA: 2019 Bickhardt KH, Heinritzi K, Lahrmann KH. Lehrbuch der Schweinekrankheiten, 4. ed.; Waldmann KH, Wendt M, editors. Parey: 2004. Streck AF, Truyen U. Porcine Parvovirus. Curr Issues Mol Biol 2020, 37, 33-46, doi:10.21775/cimb.037.033. Karniychuk UU, Nauwynck HJ. Pathogenesis and prevention of placental and transplacental porcine reproductive and respiratory syndrome virus infection. Vet Res 2013, 44. Machado IF, Magalhaes ES, Poeta Silva APS, et al. Porcine reproductive and respiratory syndrome virus RNA detection in tongue tips from dead animals. Front Vet Sci 2022, 9, 993442, doi:10.3389/fvets.2022.993442. Kontakt Dr. Katrin Strutzberg-Minder; IVD GmbH, Seelze strutzberg@ivd-gmbh.de 26 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

Schwein ___________________________________________________________________________________________________________ Interaktion von Mikrobiota, Gesundheit und Leistung beim Schwein Julia Hankel und Christian Visscher Institut für Tierernährung, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover Einleitung Die Ansammlung von Mikroorganismen in einer definierten Umgebung, wie dem Darm, wird als Mikrobiota bezeichnet (1). Die Bakterien und ihr Wirt können in einer neutralistischen Beziehung leben oder in einer engen Beziehung stehen, die für den Wirt vorteilhaft aber auch nachteilig sein kann (2). Diese Beziehungen zwischen dem Tier als Wirt und den seinen Verdauungstrakt besiedelnden Mikroorganismen, sind das Ergebnis einer langen und komplexen Koevolution (3,4). Die Pathogenität von Bakterien resultiert aus starken und oft sehr spezifischen Wechselwirkungen mit ihrer mikrobiellen Umgebung oder ihrem Wirt (5). Diese Eigenschaft, in unterschiedlichem Kontext von „harmlos“ zu „schädlich“ überzugehen, erschwert ihre Einordnung (6). Die Grenze zwischen Krankheitserreger und Kommensale kann fließend sein (6,7). Das bedeutet, dass nunmehr in der Erforschung von Infektionserkrankungen weniger die Identifizierung des einzelnen Erregers (8), sondern auch die mikrobielle Gemeinschaft in Bezug auf ihre Vielfalt und Zusammensetzung der bakteriellen Spezies sowie ihre Stoffwechselleistung im Fokus steht (9). Ein besseres Verständnis über die beeinflussenden Faktoren, die Plastizität der Erreger und die Interaktionen zwischen dem Wirt und seiner Mikrobiota, könnte bestehende Bekämpfungsstrategien bereichern und ihre Wirksamkeit gegen den Zielerreger verbessern (5). Die Rolle der intestinalen Mikrobiota zur Erhaltung der Gesundheit des Wirtes Erreger-Wirt Beziehungen sind komplexer, vielschichtiger Natur. Selbst wenn ein primärer Erreger identifiziert werden kann, kann seine Wirkung durch Symbionten abgeschwächt sein (8), weshalb das Konzept des "Pathobioms" definiert wurde, welches den Krankheitserreger in seiner biotischen Umgebung integriert darstellt (5) und die Interaktion der Symbionten, des Wirtes und der Umwelt in ein neues Verständnis der Ätiologie von Krankheiten einbezieht (8). Dies wirft Fragen nach den Faktoren auf, die das Entstehen potenziell krankmachender Pathobiome fördern und nach der Art und der Vielfalt der Mikrobiota eines gesunden Individuums (5). Das hohe Maß an Variabilität erschwert die Definition einer gesunden Mikrobiota (10,11), weshalb eine resiliente Mikrobiota als Surrogat für eine gesunde Mikrobiota verwendet werden könnte (12). Eine gesunde Mikrobiota kann demnach als die Mikrobiota eines gesunden Wirtes verstanden werden, welche die Fähigkeit besitzt nach einer Störung schnell und vollständig zum Ausgangswert zurückzukehren und sich nicht in Richtung Dysbiose zu verändern (13). Sie trägt letztendlich auch zur Resilienz ihres Wirtes bei. Ursache der porzinen proliferativen Enteropathie (PPE) ist der bakterielle Erreger Lawsonia (L.) intracellularis (14). Trotz einer Infektion mit dem gleichen Erreger verläuft die durch L. intracellularis hervorgerufene Erkrankung beim Schwein akut, chronisch oder subklinisch (15). Dies bedeutet, dass der Kontakt mit dem Erreger nicht zwangsläufig zu einer klinischen Erkrankung führt. Schweine mit subklinischer PPE z.B. zeigen während der Mast i.d.R. verringerte Zunahmen (15). Des Weiteren führte eine experimentelle L. intracellularis-Infektion von gnotobiotischen Schweinen weder zu einer nachweisbaren Besiedlung mit dem Erreger, noch förderte die Besiedlung die Entwicklung von Läsionen am Darmepithel (16). An dieser Stelle stellt sich die Frage, ob die intestinale Mikrobiota eine Rolle bei der Ausprägung der Symptome einer L. intracellularis- Infektion spielen könnte. Ein Vergleich der fäkalen Mikrobiota von natürlich exponierten und L. intracellularis- positiven Schweinen zeigte Unterschiede in der Zusammensetzung der Mikrobiota v.a. zwischen geimpften bzw. nicht geimpften, klinisch unauffälligen und nicht geimpften, klinisch auffälligen Schweinen (17). Ob derartige Unterschiede ursächlich an der Milderung der Symptome beteiligt sind, oder ein Indikator für eine ungestörte Futteraufnahme und/oder ausgeglichene präcaecale Nährstoffverdaulichkeit, bleibt zu klären (17). Gesundheit und Leistung beim Schwein Unter bakteriellen Infektionen des Magen-Darm-Trakts von Schweinen sind die Einbußen in der mittleren Wachstumsrate besonders hoch, deutlich höher als beispielsweise unter respiratorischen Erkrankungen, und 28 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

Schwein ___________________________________________________________________________________________________________ können insgesamt bis zu 40 % betragen (18). Die Futteraufnahme ist unter bakteriellen Infektionen des Magen- Darm-Trakts nur moderat reduziert und beträgt geschätzt -15 %, während die Einbußen in den Tageszunahmen zwei- bis dreifach stärker ausgeprägt sein können, als in Folge der Reduktion der Futteraufnahme zu erwarten wäre (18). Je nach Darmpathogen löst eine Infektion verschiedene pathophysiologische Mechanismen aus, die bei Schweinen Durchfall verursachen: Hypersekretion, Malabsorption, Entzündung und/oder erhöhte Darmpermeabilität (19). Dementsprechend ist die Verringerung der Wachstumsraten nicht nur eine Folge der verringerten Futteraufnahme als Reaktion auf die Infektion, sondern auch das Ergebnis veränderter Verdauungs- und Stoffwechselprozesse und der Aktivierung des Immunsystems (20). Eine maximale Nutzung der verfügbaren Nährstoffe für die Assimilation in Gewebezuwachs während der schnellen Wachstumsphase junger Tiere ist nur möglich, wenn ein Gesundheitszustand aufrechterhalten wird, in welchem die Aktivierung einer proinflammatorischen Immunantwort auf ein Minimum, für das Überleben unerlässliches Maß, reduziert wird (21). Schlussfolgerung In der Erforschung von Infektionserkrankungen steht nicht nur die Identifizierung des einzelnen Erregers im Fokus, sondern auch die mikrobielle Gemeinschaft in Bezug auf ihre Vielfalt und Zusammensetzung sowie ihre Stoffwechselleistung. Dies wirft Fragen nach den Faktoren auf, die das Entstehen potenziell krankmachender Pathobiome fördern, aber auch nach der Art und der Vielfalt der Mikrobiota eines gesunden Individuums. Eine resiliente Mikrobiota könnte als Surrogat für eine gesunde Mikrobiota verwendet werden und kann zur Resilienz ihres Wirtes beitragen. Letztendlich ist eine maximale Verwertung der Nährstoffe für das Wachstum von Schweinen nur möglich, wenn ein allgemeiner Gesundheitszustand aufrechterhalten wird. Literatur 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. Marchesi, JR and Ravel, J. The vocabulary of microbiome research: a proposal. Microbiome. 2015; 3(1):1-3. Boutin, S; Bernatchez, L; Audet, C and Derôme, N. Network analysis highlights complex interactions between pathogen, host and commensal microbiota. PloS one. 2013; 8(12):e84772. Ley, RE; Lozupone, CA; Hamady, M; Knight, R and Gordon, JI. Worlds within worlds: evolution of the vertebrate gut microbiota. Nat Rev Microbiol. 2008; 6(10):776-88. Alessandri, G; Rizzo, SM; Ossiprandi, MC; van Sinderen, D and Ventura, M. Creating an atlas to visualize the biodiversity of the mammalian gut microbiota. Curr Opin Biotechnol. 2022; 73(28-33. 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Schwein ___________________________________________________________________________________________________________ 17. 18. 19. 20. 21. Hankel, J; Sander, S; Muthukumarasamy, U; Strowig, T; Kamphues, J; Jung, K and Visscher, C. Microbiota of vaccinated and non-vaccinated clinically inconspicuous and conspicuous piglets under natural Lawsonia intracellularis infection. Front Vet Sci. 2022; 9( Pastorelli, H; Van Milgen, J; Lovatto, P and Montagne, L. Meta-analysis of feed intake and growth responses of growing pigs after a sanitary challenge. animal. 2012; 6(6):952-61. Moeser, AJ and Blikslager, AT. Mechanisms of porcine diarrheal disease. Journal of the American Veterinary Medical Association. 2007; 231(1):56-67. Sandberg, F; Emmans, G and Kyriazakis, I. The effects of pathogen challenges on the performance of naïve and immune animals: the problem of prediction. animal. 2007; 1(1):67-86. Elsasser, T; Caperna, T; Li, C-J; Kahl, S and Sartin, J. Critical control points in the impact of proinflammatory immune response on growth and metabolism. J Anim Sci. 2008; 86(14):E105-E25. Kontakt Dr. Julia Hankel; Institut für Tierernährung, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover julia.hankel@tiho-hannover.de 30 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

Schwein ___________________________________________________________________________________________________________ Ernährung und Immunsystem beim Schwein - nur Theorie oder auch Praxis? Jürgen Zentek Institut für Tierernährung, Freie Universität Berlin Einleitung Das Immunsystem schützt den Organismus vor Umwelteinflüssen, wobei auf der einen Seite angeborene, unspezifische Abwehrmechanismen und auf der anderen Seite erworbene Reaktionskaskaden von Bedeutung sind. Die Fähigkeit zur Abwehr entwickelt sich beim Schwein in den ersten Lebenswochen. Das Ferkel wird immunologisch unreif geboren, sodass die erste Lebensphase, d. h. von der Geburt bis zum Absetzen mehr oder weniger von der passiven Immunisierung über das Kolostrum der Sau abhängt (Huting et al. 2021). Die Bedeutung einer frühzeitigen, qualitativ und quantitativ ausreichenden Kolostrumaufnahme ist für die erste Lebensphase nicht zu unterschätzen (Inoue und Tsukahara 2021). Der Organismus des Ferkels wird teils schon während der Säugephase, insbesondere aber nach dem Absetzen mit einer Vielzahl von Faktoren konfrontiert, die als ständige Konfrontation des Immunsystems mit Antigenen zu interpretieren sind. Die immunologische Kapazität des Ferkels sollte sich idealerweise so entwickeln, dass Pathogene effizient abgewehrt werden können und andererseits, dass das Tier lernt, mit Futterantigenen "umzugehen" (Bailey et al. 1993, Lewis et al. 2012). Bedeutung der Ernährung für das Immunsystem Aus Sicht der Tierernährung ist die Unterstützung des Immunsystems durch optimal verdauliches und mit allen notwendigen Nährstoffen versehenes Futter von primärer Bedeutung. In diesem Zusammenhang sind die bedarfsgerechte Versorgung mit Protein bzw. Aminosäuren (Yang und Liao 2019), die Fettsäurenmuster der Nahrung (Lauridsen 2020) sowie mit Vitaminen und Spurenelementen als wesentliche Grundlage für die Reaktionsfähigkeit des Immunsystems zu betrachten (Pluske et al. 2018, Yang und Ma 2021). In der Praxis werden vielfach Futtermittelzusatzstoffe diskutiert, um eine positive Beeinflussung des Immunsystems zu erreichen. Beispiele sind Spurenelemente, Probiotika aber auch Zellwandbestandteile aus Hefezellen oder ein breites Spektrum sekundärer Pflanzeninhaltsstoffe (Windisch et al. 2008, Espinosa und Stein 2021, Luise et al. 2022). Eine Schlüsselrolle scheint nach dem heutigen Verständnis nicht nur die direkte Interaktion mit dem Wirtsorganismus zu spielen, sondern auch die Effekte auf die intestinale Mikrobiota, da auch diese mit dem Immunsystem des Wirts interagiert. Eine ausgewogene mikrobielle Besiedlung des Verdauungstrakts wird als wichtige Voraussetzung für die Erhaltung der Gesundheit und die Sicherung der Leistungsfähigkeit sowie der Entwicklung der Immunkompetenz von Schweinen gesehen. Aktuelle Erkenntnisse, zeigen, dass das Mikrobiom erheblichen Veränderungen durch die Fütterung unterworfen ist. Die sogenannte Eubiose wird häufig als strategisches Element zur Sicherung der Tiergesundheit bezeichnet, wenn auch eine verbindliche Definition des optimalen Zustands des intestinalen Mikrobioms bislang nicht erfolgt ist (Trevisi et al. 2021). Zu diesem Thema konnten in den letzten Jahren interessante neue Erkenntnisse gewonnen werden, wobei die Untersuchung der Zusammenhänge beim Schwein aufgrund der üblichen Haltungsbedingungen und der multifaktoriellen Einflüsse ausgesprochen schwierig ist. Umsetzung in der Praxis Wesentliche Maßnahmen, die zur Unterstützung des Immunsystems eingesetzt werden, umfassen die bedarfsdeckende Versorgung mit praecaecal verdaulichem Protein bzw. essenziellen Aminosäuren. Für nahezu alle essenziellen Aminosäuren konnte gezeigt werden, dass es Interaktionen mit der Immunfunktion gibt. Die Fettversorgung, insbesondere der Relation von n-3- und n-6-Fettsäuren kann zahlreiche immunologische Reaktionswege beeinflussen. Weiterhin werden Wirkstoffe verwendet, die mit dem intestinalen Mikrobiom und dem Immunsystem interagieren, zum Beispiel Probiotika und präbiotisch wirksame Kohlenhydrate. In den letzten Jahren ist auch die Bedeutung der pflanzlichen Faserstoffe der Nahrung weiter klar geworden, die für zahlreiche Prozesse im Verdauungstrakt sowie im assoziierten Immunsystem wichtig sind (Grześkowiak et al. 2023). Es empfiehlt sich für die praktische Anwendung, die Grundlagen der 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 31

Schwein ___________________________________________________________________________________________________________ Nährstoffversorgung anhand der Empfehlungen wissenschaftlicher Gesellschaften einzustellen, Ration Formulierungen auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse durchzuführen und gegebenenfalls die Beratung von Spezialist*innen heranzuziehen. Schlussfolgerung Wissenschaftlich liegen zahlreiche Erkenntnisse zu Fütterungsmaßnahmen zur Verbesserung der Immunfunktion beim Schwein vor. Es ist davon auszugehen, dass das Immunsystem evolutionär eine hohe Priorität hat. Seine Funktion wird daher auch unter ungünstigen Fütterungsbedingungen so weit wie möglich aufrechterhalten. Gezielte Maßnahmen rücken jedoch zunehmend in den Fokus praktischer Überlegungen. Hier sind aber noch wesentliche Fragen zu klären, einerseits zu möglichen Effekten der Rationskomponenten, ihrer hygienischen Qualität (Myktoxine), der Nährstoffversorgung und die Interaktion mit einer Vielzahl von biologisch aktiven Futterinhaltsstoffen. Literatur 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. Bailey M, Miller BG, Telemo E, Stokes CR, Bourne FJ (1993). Specific immunological unresponsiveness following active primary responses to proteins in the weaning diet of piglets. Int Arch Allergy Immunol 101: 266-271. Espinosa CD, Stein HH (2021). Digestibility and metabolism of copper in diets for pigs and influence of dietary copper on growth performance, intestinal health, and overall immune status: a review. J Anim Sci Biotechnol 12: 13. Grześkowiak Ł, Saliu EM, Martínez-Vallespín B, Aschenbach JR, Brockmann GA, Fulde M, Hartmann S, Kuhla B, Lucius R, Metges CC, Rothkötter HJ, Vahjen W, Wessels AG, Zentek J (2023). Dietary fiber and its role in performance, welfare, and health of pigs. Anim Health Res Rev: 1-29. Huting AMS, Middelkoop A, Guan XN, Molist F (2021). Using Nutritional Strategies to Shape the Gastro-Intestinal Tracts of Suckling and Weaned Piglets. Animals 11. Inoue R, Tsukahara T (2021). Composition and physiological functions of the porcine colostrum. Anim Sci J 92: e13618. Lauridsen C (2020). Effects of dietary fatty acids on gut health and function of pigs pre- and post-weaning. J Anim Sci 98. Lewis MC, Inman CF, Patel D, Schmidt B, Mulder I, Miller B, Gill BP, Pluske J, Kelly D, Stokes CR, Bailey M (2012). Direct experimental evidence that early-life farm environment influences regulation of immune responses. Pediatr Allergy Immunol 23: 265-269. Luise D, Bosi P, Raff L, Amatucci L, Virdis S, Trevisi P (2022). Bacillus spp. Probiotic Strains as a Potential Tool for Limiting the Use of Antibiotics, and Improving the Growth and Health of Pigs and Chickens. Front Microbiol 13: 801827. Pluske JR, Turpin DL, Kim JC (2018). Gastrointestinal tract (gut) health in the young pig. Anim Nutr 4: 187-196. Trevisi P, Luise D, Correa F, Bosi P (2021). Timely Control of Gastrointestinal Eubiosis: A Strategic Pillar of Pig Health. Microorganisms 9. Windisch W, Schedle K, Plitzner C, Kroismayr A (2008). Use of phytogenic products as feed additives for swine and poultry. Journal of animal science 86: E140-E148. Yang P, Ma Y (2021). Recent advances of vitamin D in immune, reproduction, performance for pig: a review. Anim Health Res Rev 22: 85-95. Yang Z, Liao SF (2019). Physiological Effects of Dietary Amino Acids on Gut Health and Functions of Swine. Front Vet Sci 6: 169. Kontakt Prof. Dr. Jürgen Zentek; Institut für Tierernährung, Freie Universität Berlin juergen.zentek@fu-berlin.de 32 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

Schwein ___________________________________________________________________________________________________________ Möglichkeiten und Limitationen der Labordiagnostik im Schweinebestand Tatjana Sattler Klinik für Klauentiere, Abteilung Schweine und Reproduktionsbiologie, Universität Leipzig Einleitung Diagnostik in der Bestandsbetreuung beim Schwein ist unabdingbar mit der Einbeziehung von diagnostischen Labors verbunden. Dabei wird in der Regel das Hauptaugenmerk auf die Diagnostik von Infektionskrankheiten gelegt. Abhängig vom Bestandsproblem werden dabei Antikörperuntersuchungen und/oder der Nachweis von Erregern bzw. deren Bestandteilen angefordert. Die Auswahl der zur Untersuchung eingesandten Medien sowie die Stichprobenanzahl müssen dabei sorgfältig durchdacht werden. Es wird jedoch nicht einfacher, wenn eine nicht infektiöse Ursache des Bestandsproblems vermutet wird oder die Befunde der Infektionsdiagnostik nicht ausreichend zur Problemlösung beitragen. Die naheliegende und häufig erfolgversprechende Herangehensweise ist die Analyse und Optimierung der Futterration zur bestmöglichen Versorgung der Tiere mit Nährstoffen zur Gesunderhaltung und der Verbesserung der Futterverwertung (1). Zuweilen sind jedoch weiterführende stoffwechselbasierte Untersuchungen zur Diagnostik, zur Wirkung eingesetzter Substanzen oder für wissenschaftliche Studien notwendig und gewünscht. Im Folgenden werden einige Beispiele angeführt, die Möglichkeiten und Grenzen dieser Untersuchungen aufzeigen. Stoffwechsel und Fettsäuremuster bei gegen Ebergeruch geimpften männlichen Mastschweinen Die Impfung mit dem GnRH-Analogon Improvac® zur Vermeidung von Ebergeruch stellt (wie die chirurgische Kastration auch) einen Eingriff in den Hormonhaushalt der Eber dar. Daher erscheint es wichtig und notwendig, potentielle Auswirkungen auf den Stoffwechsel geimpfter Tiere zu ermitteln, um eine optimale Haltung und Fütterung zu gewährleisten. Obwohl sich einzelne Unterschiede bei Stoffwechselparametern zwischen geimpften und ungeimpften Mastebern ergaben, wie geringere Konzentrationen der Alkalischen Phosphatase (AP), von Kreatinin und Harnstoff bei geimpften Schweinen, sowie rassebedingte Differenzen bei AP, Ca und P- Konzentrationen, lagen die untersuchten Parameter alle im Referenzbereich (2). Da kaum Studien zu hämatologischen Parametern bei Schlachtschweinen vorliegen, wurden diese bei mit Improvac® geimpften Schweinen im Vergleich zu intakten Ebern untersucht, wobei keine Unterschiede zwischen beiden Gruppen festgestellt werden konnten (3). Somit konnte geschlussfolgert werden, dass eine Impfung mit Improvac® bei Fütterung einer Standarddiät für Mastschweine keine erkennbaren negativen Auswirkungen auf den Stoffwechsel hat. Das Fettsäuremuster im Rückenfett lässt Rückschlüsse auf die Fleischqualität zu und stellt damit einen indirekten Stoffwechselparameter dar. Mit Improvac® geimpfte männliche Mastschweine mehr langkettige, mehrfach ungesättigte Fettsäuren im Rückenfett aufwiesen als chirurgisch kastrierte und damit ein ähnliches Fettsäuremuster wie intakte Eber hatten (4). Untersuchungen zum antioxidativen und Stoffwechselstatus in Schweinebeständen Die Untersuchungen wurden mit dem Ziel durchgeführt, klinische Stoffwechselparameter sowie Parameter des antioxidativen Status zur Eignung als Bewertungskriterium der Gesundheit von Schweinebeständen zu evaluieren. Dazu wurden in einem Hochleistungsbetrieb Abhängig vom Reproduktionsstadium und dem Alter der Tiere aktuelle Richtwerte bei Sauen bestimmt und mit den in verschiedenen Literaturquellen veröffentlichten Referenzwerten verglichen. Hier zeigte sich, dass vor allem Parameter wie Kreatinin, die AP und die Creatinkinase, die durch den Protein- und Muskelstoffwechsel beeinflusst werden, eine Anpassung bestehender Referenzbereiche notwendig sein kann (5). Als Parameter des antioxidativen Status kamen dabei die Superoxid-Dismutase (SOD), die Trolox Equivalent Antioxidative Capacity (TEAC), die Glutathionperoxidase (GPX), die Antioxidative Kapazität der wasserlöslichen (ACW) und der lipidlöslichen Substanzen (ACL) sowie die Vitamine A, E und Selen zum Einsatz. Der antioxidative Status bei Schweinen unterliegt durch Trächtigkeit, Geburt und Laktation moderaten 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 33

Schwein ___________________________________________________________________________________________________________ Veränderungen und unterscheidet sich zum Teil zwischen Jung- und Altsauen (6). Insgesamt sind Veränderungen der Parameter des antioxidativen Status jedoch schwer zu beurteilen, lassen kaum Rückschlüsse auf die Ursache von Belastungen zu (7) und sind damit für Routineuntersuchungen wenig geeignet. Mineralstoffe und Spurenelemente oder Kyphose/Lordose Moderne Schweinerassen verfügen über ein hohes genetisches Potential zum Ansatz von Muskelfleisch. Besonders Mastanpaarungen erweisen sich als sehr schnellwüchsig. Neben der Zunahme der Muskulatur ist hierbei jedoch auch notwendig, dass das Skelettsystem adäquat aufgebaut wird, um die steigende Körpermasse tragen zu können. Rationen für Mastschweine beinhalten daher in der Regel eine ausgewogene Menge an Ca und verfügbarem P sowie zugesetztem Vitamin D. Nicht immer führt das jedoch zum gewünschten Effekt und Erkrankungen des Skelettsystems können die Folge sein, die sich in Lahmheiten, Hinterhandschwäche führen Futtermitteluntersuchungen oftmals nicht zum Ziel und eine gezielte Diagnostik am Tier ist erforderlich, um die Ursache der Symptome zu erkennen infektiöse Ursachen ausschließen zu können. Die Konzentrationen von Ca und P im Blut, sowie die Aktivität der AP geben hier oftmals keine ausreichenden Hinweise. Eine erhöhte Aktivität der Kreatinkinase kann Rückschlüsse auf das Vorliegen einer Erkrankung des Bewegungsapparates geben. Aussagekräftiger sind hier die Bestimmung von Vitamin D2 und D3 im Blut. Auch wenn keine Referenzwerte für Schweine vorliegen, können Vergleichswerte zu gesunden Schweinen, Referenzwerte für Kinder sowie Konzentrationen unter der Nachweisgrenze Hinweise geben. In Verdachtsfällen sollten weiterführende Untersuchungen zum Mineralstoffgehalt im Knochen eingeleitet werden. Hierfür eignen sich Humerus oder Femur. Bei Vorliegen einer ungenügenden Mineralisierung der Knochen (Rachitis) ist eine Anpassung der Futterration dringend nötig (8). können. Hier der Wirbelsäule äußern Futtermittelfehlmischungen sind selten, aber nicht ausgeschlossen. Um bei gravierenden Bestandsproblemen wie plötzlicher Lahmheit eines hohen Prozentsatzes der Schweine mit Entzündungen des Kronsaums bis hin zu Todesfällen schnell zu einer Diagnose zu kommen, können neben der Untersuchung des Futtermittels auch Blutuntersuchungen hilfreich sein. Im vorliegenden Fall konnte durch eine massiv erhöhte Selenkonzentration im Serum der Verdacht einer Selenvergiftung betätigt werden (eigene Untersuchungen, unveröffentlicht). Weitere Möglichkeiten labordiagnostischer Untersuchungen Zusätzliche Untersuchungen wie die Analyse der Blutgerinnung oder der Säure-Basenstatus inclusive der Blutgase, die bei anderen Tierarten zur Routine gehören, sind prinzipiell auch beim Schwein möglich. Hier ist zu beachten, dass die Laboranalyse oft zeitnah nach der Blutentnahme Bedingung ist. Dazu ist entweder eine Bestimmung vor Ort (Schnelltests) oder eine zeitnahe Übersendung ins Labor nötig. Für die Analyse des Säure- Basen-Status bei neugeborenen Ferkeln direkt im Stall wird beispielsweise das epoc® Blutanalysegerät angeboten. Für Einzeltieruntersuchungen ist das Gerät durchaus geeignet. Sollen jedoch viele Ferkel zeitnah untersucht werden, stößt das Gerät schnell an Limitationen und die Aussagekraft der Untersuchung sinkt (9). Der Blutgerinnungsstatus wurde bei neugeborenen Ferkeln mit Nabelbluten und deren Müttern untersucht. Die aktivierte Partielle Thromboplastinzeit der betroffenen Ferkel war verlängert, der Quick vermindert. Die Befunde der Sauen waren im Referenzbereich. Eine Ursache der Gerinnungsstörung konnte durch diese Untersuchungen jedoch nicht ermittelt werden (eigene Untersuchungen, unveröffentlicht). Fazit Die Untersuchung des Stoffwechsels, des Säure-Basenstatus, des Blutbildes, des antioxidativen Status und der Blutgerinnung sowie weiterer Parameter beim Schwein sind prinzipiell möglich und für wissenschaftliche Untersuchungen oftmals sinnvoll. Es sind jedoch keine Routineuntersuchungen und ihr Einsatz im Einzelfall abzuwägen. Untersuchungen des Mineralstoff- und Spurenelementhaushaltes können in Problembeständen hingegen wichtig sein und sind in diesen Fällen meist zielführend. 34 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

Schwein ___________________________________________________________________________________________________________ Literatur 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. Wu, Y, Zhao, J, Xu, C et al. Progress towards pig nutrition in the last 27 years. J Sci Food Agric. 2020;100(14):5102- 10. Sattler, T, Wipf, R, Sauer, F, Lösel, K, Schmoll F. Clinical chemistry in entire boars and boars vaccinated with Improvac®. Proceedings 21st IPVS congress, 18.-21.7.2010, Vancouver, Kanada, S. 1136. Sattler, T, Wipf, R, Sauer, F, Lösel, K, Schmoll F. Hematology of entire boars and boars vaccinated with Improvac®. Proceedings 21st IPVS congress, 18.-21.7.2010, Vancouver, Kanada, S. 1135. Sattler, T, Sauer, F, Schmoll, F. Effect of time of second GnRH vaccination on feed intake, carcass quality and fatty acid composition of male fatteners compared to entire boars and barrows. Berl Münch Tierärztl Wsch 2014;127(7/8):10-16. Scholmann, C, Sattler, T, Müller, S, Fürll, M, Recontrolling of reference values of hematological and clinical-chemical parameters in healthy sows of a high performance herd. Proceeedings 13th ICPD, 29.7.– 4.8.2007, Leipzig. Sellmann, J. Antioxidativer Status bei gesunden Sauen in Trächtigkeit und Laktation [Dissertation]. Leipzig: Universität Leipzig; 2011. Derkx, S. Antioxidativer und Stoffwechselstatus bei Sauen im peripartalen Zeitraum unter besonderer Berücksichtigung des Mastitis-Metritis-Agalaktie-Komplexes [Dissertation]. Leipzig: Universität Leipzig; 2009. Sattler, T, Vervuert, I, Jäger, K, Theuß, T, Schmoll, F. Hinterhandschwäche bei Mastläufern – ein Fallbericht. Leipziger Blaue Hefte 2010; 5. Leipziger Tierärztekongress, Band 2, 76-79 Haller, H, Wahl, L. Blutgasanalysen im Nabelblut bei gesunden und lebensschwachen neugeborenen Ferkeln. 2023, persönliche Mitteilung. Kontakt PD Dr. Tatjana Sattler, Universität Leipzig, Klinik für Klauentiere, Abteilung Schweine und Reproduktionsbiologie tasat@vetmed.uni-leipzig.de 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 35

Schwein ___________________________________________________________________________________________________________ Schwein kennt keinen Schmerz – oder doch? Schmerzerkennung und Schmerzbewertung Elisabeth große Beilage Außenstelle für Epidemiologie, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover Einleitung Schmerzerkennung, -bewertung und -behandlung wird bei Schweinen, im Vergleich zu anderen lebensmittelliefernden Säugetieren, häufig vernachlässigt (Contiero et al., 2019; Hellebrekers, 2000; Herskin and Di Giminiani, 2018; Hewson et al., 2007; Ison et al., 2016; Luna et al., 2020). Das gilt insbesondere für Schmerzen, die durch spontan vorkommende Erkrankungen und Verletzungen hervorgerufen werden, während Schmerzen durch zootechnische Maßnahmen, wie z.B. Kastration, Kupieren von Schwänzen, intensiver untersucht sind (Contiero et al., 2019; Miller et al., 2023; Prunier et al., 2021; Sutherland, 2015). Dieses Ungleichgewicht ist möglicherweise aus den Diskussionen entstanden, in denen Schmerzen durch zootechnische Maßnahmen als vermeidbar – und im Umkehrschluss Schmerzen durch spontan vorkommende Erkrankungen/Verletzungen als eher „unvermeidbar“ angesehen werden. Tierärztinnen und Tierärzte tragen die Verantwortung, den von ihnen behandelten Schweinen eine angemessene Schmerzbehandlung zukommen zu lassen (Vinuela-Fernandez et al., 2007). Das setzt voraus, dass Schmerzen in einer klinischen Untersuchung unter Praxisbedingungen sicher erkannt und hinsichtlich der Schwere bewertet werden. Mit der Schmerzerkennung und -bewertung unterstützen bestandsbetreuende Tierärztinnen und Tierärzte die Tierhalter, ihrer Verpflichtung nachzukommen, Schweine vor vermeidbaren Schmerzen zu schützen nach (98/58/EC, 1998). Die International Association for the Study of Pain (IASP) definiert Schmerz als „ein unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis, das mit einer tatsächlichen oder potentiellen Gewebeschädigung einhergeht oder einer solchen ähnelt" (Raja et al., 2020). Die IASP stellt die in Human- und Veterinärmedizin meistzitierte Definition von Schmerz, die zudem über die Jahre mehrfach an aktuelle Forschungsergebnisse angepasst wurde. Die Verwendung dieser Definition in Human- und Veterinärmedizin berücksichtigt, dass die neuroanatomischen Strukturen bei Menschen und Wirbeltieren sehr ähnlich sind und davon auszugehen ist, dass Ereignisse, die für Menschen schmerzhaft sind, dies auch für Tiere sind (Klinck and Troncy, 2016). Die Analogie der Schmerzentstehung und des Schmerzempfindens hat dazu geführt, dass Schweine als Modelltiere in Tierversuchen für die Entwicklung von Schmerztherapien bei Menschen häufig genutzt werden (Ison et al., 2016). Das Unvermögen, Schmerzen verbal zu kommunizieren, schließt Schmerzen nicht aus, zumal auch in der humanmedizinischen Schmerzdiagnostik das non-verbale Verhalten (Mimik, Aktivität, Entlastung, Stimme) bei der Untersuchung berücksichtigt wird (Williams and Craig, 2016). Schmerzerkennung und -bewertung Die klinische Schmerzerkennung und -bewertung bei Schweinen basiert auf einer Untersuchung des „Verhaltens“ (Flecknell, 2008; Vinuela-Fernandez et al., 2007; Wilson et al., 2014). Der Begriff des „Verhaltens“ umfasst dabei alle sensomotorischen Äußerungen eines Tieres (grosse Beilage and Wendt, 2013), die hinsichtlich Häufigkeit oder Ausführung von dem Verhalten abweichen, das die meisten Tiere der jeweiligen Spezies zeigen (Broom, 1991). Für die Schmerzerkennung und -bewertung bei Schweinen werden insbesondere die Reaktionen des Tieres auf seine Umgebung, die Interaktion mit anderen Schweinen der Gruppe sowie Lautäußerungen, Muskelaktivitäten, Abweichungen von der physiologischen Haltung und Bewegungsstörungen herangezogen (Tabelle 1). Grundsätzlich empfiehlt es sich bei klinischen Einzeltieruntersuchungen im Bestand, unauffällige Schweine derselben Gruppen oder benachbarter Buchten als Referenz heranzuziehen. Deutlich abweichende Befunde sind dabei gut erkennbar, während geringgradige Abweichungen leicht übersehen werden. Schmerz wird üblicherweise in einer klinischen Untersuchung kaum an einem einzelnen Parameter, sondern eher an einer Kombination verschiedener abweichender Befunde erkannt. Dieser Prozess läuft meist unbewusst ab und ist daher fehleranfällig. Für die standardisierte 36 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

Schwein ___________________________________________________________________________________________________________ Schmerzuntersuchung und -bewertung sind sogenannte Schmerz-Skalen für bestimmte Tierarten und definierte Verletzungen oder Erkrankungen entwickelt worden. D.h. die Anwendung einer Schmerz-Skala ist auf die Tierart und den Zweck, für die sie entwickelt wurde, begrenzt. Für spontan vorkommende Erkrankungen oder Verletzungen bei Schweinen stehen Schmerz-Skalen bisher nicht zur Verfügung, so dass bis auf weiteres die in Tabelle 1 genannten Verhaltensänderungen Grundlage der klinischen Feststellung und Bewertung von Schmerzen bei Schweinen sind. Tabelle 1: Verhaltensänderungen als Schmerzindikatoren bei Schweinen Indikator Aufmerksamkeit Ausprägung Unbeeinträchtigt: Schwein reagiert auf Umgebung durch Bewegung von Kopf, Augen, Hals; Bewegung in Richtung des Auslösers der Aktion Beeinträchtigt: Lustlos bis lethargisch; Kopf gesenkt Unbeeinträchtigt: Nase-zu-Nase-Kontakt Grunzen, Liegen mit Kontakt zu anderen Schweinen der Gruppe (Temperatur-abhängig), Erhalt der Position in der Rangordnung, Spielen (Ferkel) Beeinträchtigt: Separierung, Liegen ohne Kontakt, bevorzugtes Liegen an der Wand oder in Ecken, Abwehr in Rangordnungskämpfen reduziert, Abrutschen in der Rangordnung Unbeeinträchtigt: Säugen endet mit Sättigung der Ferkel oder „leerem“ Gesäuge Beeinträchtigt: Sau unterbricht das Säugen und/oder säugt weniger häufig Unbeeinträchtigt: altersspezifisch normale Futteraufnahme (Menge/Dauer) Beeinträchtigt: Futteraufnahme eingeschränkt (Inappetenz bis Anorexie) Unbeeinträchtigt: Grunzen Beeinträchtigt: Quieken, Schreien, Stöhnen Unbeeinträchtigt: Physiologische Kaubewegungen zur Zerkleinerung des Futters Beeinträchtigt: Zähneknirschen Unbeeinträchtigt: Physiologischer Tonus Beeinträchtigt: Zittern Unbeeinträchtigt: Geringelt oder entspanntes Hängen mit leichtem Schwingen Beeinträchtigt: Schwanz eingezogen bis „zwischen die eine geklemmt“; Schwanzwedeln Stehen Soziale Interaktion Säugen Futteraufnahme Vokalisation Kaumuskulatur/Zähne Muskulatur Bewegungsapparat Schwanzhaltung, Schwanzbewegung Körperhaltung Sitzen Liegen Unbeeinträchtigt: Körpergewicht physiologisch auf alle Gliedmaßen verteilt Beeinträchtigt: Karpen, Trippeln, Niederwerfen Unbeeinträchtigt: Körpergewicht weitegehend gleichmäßig auf beide Sitzbeinhöcker verteilt, Hintergliedmaßen rechts und links des Körpers positionierte, Rückenlinie gerade Beeinträchtigt: Körpergewicht ruht vermehrt auf eine Sitzbeinhöcker, Rückenlinie „verdreht“; Entlastung schmerzhafter Körperteile; Bewegung mit nachziehen der Hinterhand (Hinterhandschwäche) Unbeeinträchtigt: Brust-Bauch- oder Seitenlage mit physiologischer Belastung der Belastung und Entlastung der Körperteile, Positionswechsel ohne Einschränkung möglich Beeinträchtigt: Entlastung von Körperteilen, Unvermögen aufzustehen Bewegung Reaktion auf Schmerzbehandlung Rückenlinie Unbeeinträchtigt: Physiologisch Beeinträchtigt: Im Stehen aufgekrümmt, im Liegen verdreht Unbeeinträchtigt: regelmäßige und gleichmäßige Belastung aller Gliedmaßen Beeinträchtigt: Lahmheit; Steifheit Keine Reaktion: Erkrankung/Verletzung nicht schmerzhaft oder keine Schmerzlinderung erreicht Sichtbare Besserung (Verhalten, Entlastung): Schmerz ist als Ursache des geänderten Verhaltens wahrscheinlich, wenn die Behandlung Erfolg hat und sehr wahrscheinlich, wenn die Schmerzanzeichen bei einmaliger Behandlung nach Ende der Wirkdauer wieder auftreten 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 37

Schwein ___________________________________________________________________________________________________________ Unter dem Parameter “Aufmerksamkeit” wird zusammengefasst, wie ein Schwein auf seine Umgebung, z.B. Menschen oder Umgebungsgeräusche, reagiert. Unauffällige Schweine werden sich Aktionen in der Umgebung interessiert zuwenden, während reduziertes Interesse als lustlos (geringgradig) bis lethargisch (hochgradig) beschrieben werden kann (Wilson et al., 2014). Die „soziale Interaktion“ beschreibt, wie Schweine auf Artgenossen reagieren. Auffällig sind Schweine, die sich von anderen Schweinen absondern (Prunier et al., 2021; Wilson et al., 2014) und sich bevorzugt an der Wand und in Ecken der Bucht aufhalten. Betroffene Schweine vermeiden Rangordnungs- oder Territorialkämpfe. Das Säugeverhalten ist ebenfalls als Schmerzindikator geeignet. Das Abbrechen des Säugens durch die Sau und auch weniger häufiges Säugen der Ferkel geben Hinweise auf Schmerzen infolge einer Mastitis. Eine reduzierte Futteraufnahme bis hin zur Futterverweigerung kann durch Schmerz, allerdings auch durch Unwohlsein verursacht werden. Eine unzureichende Futteraufnahme ist daher im Kontext weiterer Befunde zu bewerten. Die Erhebung einer akut reduzierten Futteraufnahme bei einem Einzeltier ist bei allen Schweinen, die in Gruppen gehalten und ad libidum gefüttert werden, allerdings schwierig (Wilson et al., 2014). Eine über längere Zeit bestehende reduzierte oder erloschene Futteraufnahme ist anhand eingefallener Flanken und später auch anhand einer Abmagerung zu erkennen. Lautäußerungen wie Quieken, Schreien und Stöhnen, können Hinweise auf Schmerzen geben. „Schreien“ ist aber auch eine Lautäußerung, die durch eine Abwehrreaktion, z.B. gegen andere Schweine, beim Treiben oder Fixieren, ausgelöst werden kann und daher im Kontext der Situation zu interpretieren ist. „Schreien“, das im Zusammenhang mit einer Bewegungsstörung und ohne Intervention anderer Schweine oder eines Menschen gezeigt wird, lässt auf Schmerzen schließen. Zähneknirschen zeigt hochgradige Schmerzen an (Wilson et al., 2014), allerdings wird typische Geräusch häufig überhört, weil es leicht von den Umgebungsgeräuschen (Fütterung, Lüftung, andere Schweine) überlagert wird. Muskelzittern, das sich auf einzelne Muskeln oder Körperpartien beschränkt, lässt ebenfalls auf Schmerzen schließen, während „Ganzkörperzittern“ eher durch Frieren ausgelöst wird (Kluivers-Poodt et al., 2013; Wilson et al., 2014). Die Haltung des Schwanzes kann Hinweise auf Schmerzen geben, allerdings sind der Bewertung der Schwanzhaltung bei Schweinen mit kurz kupiertem Schwanz enge Grenzen gesetzt. Bei Schweinen mit nicht oder nur wenig kupierten Schwänzen zeigt der eingezogene oder sogar zwischen den Hinterbeinen eingeklemmte Schwanz, Schmerzen an. Hochfrequente seitliche Schwanzbewegungen (Schwanzwedeln) können ebenfalls auf Schmerzen hinweisen. Die Körperhaltung ist als Reaktion auf Schmerzen bei betroffenen Schweinen häufig verändert. Trippeln, d.h. die schnelle Verlagerung des Gewichtes zwischen den Gliedmaßen, Karpen, die Gewichtsaufnahmen auf den Karpalgelenken oder Niederwerfen zeigen erhebliche Schmerzen an. Eine aufgekrümmte Rückenlinie ist ein typisches Schmerzzeichen. Bei Schweinen in sitzender Position zeigt eine vermehrte Gewichtsaufnahme auf einem Sitzbeinhöcker und Entlastung des anderen sowie eine „verdrehte“ Rückenlinie eine Entlastungsreaktion an, die auf Schmerzen schließen lässt. Eine Steifheit der Bewegung oder eine Lahmheit ist die typische Reaktion, mit der Tiere versuchen, Schmerzen durch Entlastung zu vermeiden oder wenigstens zu reduzieren. Schmerzen, die in einer Gliedmaße lokalisiert sind, führen dabei zu einer deutlicher ausgeprägten und damit leichter erkennbaren Lahmheit als Schmerzen, die an zwei oder mehr Gliedmaßen lokalisiert sind. Ein Schwein mit Schmerzen an mehr als einer Gliedmaße versucht die betroffenen Gliedmaßen jeweils nur kurz zu belasten; das Gangbild ist dabei weniger „spektakulär“ gestört als bei der Entlastung einer schmerzenden Gliedmaße. In Zweifelsfällen kann eine „diagnostische Schmerzbehandlung“ helfen, Schmerzen bei einem Tier festzustellen und zu bewerten. Eine erfolgreiche Reduzierung der Schmerzen nach Applikation eines Schmerzmittels und die Verschlechterung bei Ende der Wirkdauer zeigen Schmerzen an. Stress, Leiden oder Angst als Ursache einer Verhaltensabweichung wären mit einem Schmerzmittel nicht zu beeinflussen. Allerdings muss bei fehlendem Effekt einer Schmerzbehandlung auch ein „Versagen der Behandlung“ differentialdiagnostisch in Erwägung gezogen werden. Literatur 98/58/EC, C.D., 1998. Protection of animals kept for farming purposes. 1. 2. Broom, D.M., 1991. Animal welfare: concepts and measurement. J Anim Sci 69, 4167-4175. 3. Contiero, B., Cozzi, G., Karpf, L., Gottardo, F., 2019. Pain in Pig Production: Text Mining Analysis of the Scientific Literature. Journal of Agricultural and Environmental Ethics 32, 401-412. Flecknell, P., 2008. Analgesia from a veterinary perspective. Br J Anaesth 101, 121-124. 4. 38 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

Schwein ___________________________________________________________________________________________________________ 5. grosse Beilage, E., Wendt, M., 2013. Diagnostik und Gesundheitsmanagement im Schweinebestand. Verlag Eugen Ulmer Stuttgart/UTB, ISBN 978-3-8252-8502-9. 6. Hellebrekers, L.J., 2000. Pathophysiology of pain in animals and its consequence for analgesic theraPY:. Van der Wees, Utrecht, The Netherlands. 7. Herskin, M.S., Di Giminiani, P. 2018. 11 - Pain in pigs: Characterisation, mechanisms and indicators, In: Špinka, M. (Ed.) Advances in Pig Welfare. Woodhead Publishing, 325-355. 8. Hewson, C.J., Dohoo, I.R., Lemke, K.A., Barkema, H.W., 2007. Canadian veterinarians' use of analgesics in cattle, pigs, 9. and horses in 2004 and 2005. The Canadian veterinary journal = La revue veterinaire canadienne 48, 155-164. Ison, S.H., Clutton, R.E., Di Giminiani, P., Rutherford, K.M., 2016. A Review of Pain Assessment in Pigs. Frontiers in veterinary science 3, 108. 10. Klinck, M.P., Troncy, E., 2016. BSAVA manual of canine and feline anaesthesia and analgesia. The physiology and pathophysiology of pain. BSAVA Library. 11. Kluivers-Poodt, M., Zonderland, J.J., Verbraak, J., Lambooij, E., Hellebrekers, L.J., 2013. Pain behaviour after castration of piglets; effect of pain relief with lidocaine and/or meloxicam. Animal: an international journal of animal bioscience 7, 1158- 1162. 12. Luna, S.P.L., de Araújo, A.L., da Nóbrega Neto, P.I., Brondani, J.T., de Oliveira, F.A., Azerêdo, L.M.D.S., Telles, F.G., Trindade, P.H.E., 2020. Validation of the UNESP-Botucatu pig composite acute pain scale (UPAPS). PloS one 15, e0233552-e0233552. 13. Miller, R., Grott, A., Patzkéwitsch, D., Döring, D., Abendschön, N., Deffner, P., Reiser, J., Ritzmann, M., Saller, A.M., Schmidt, P., Senf, S., Werner, J., Baumgartner, C., Zöls, S., Erhard, M., Bergmann, S., 2023. Behavior of Piglets in an Observation Arena before and after Surgical Castration with Local Anesthesia. Animals 13, 529. 14. Prunier, A., Tallet, C., Sandercock, D.A. 2021. Evidence of pain in piglets subjected to invasisve management procedures., In: Edwards, S. (Ed.) Understanding the behaviour and improving the welfare of pigs. Burleigh dodds, Science publishing, Cambridge, 281-347. 15. Raja, S.N., Carr, D.B., Cohen, M., Finnerup, N.B., Flor, H., Gibson, S., Keefe, F.J., Mogil, J.S., Ringkamp, M., Sluka, K.A., Song, X.J., Stevens, B., Sullivan, M.D., Tutelman, P.R., Ushida, T., Vader, K., 2020. The revised International Association for the Study of Pain definition of pain: concepts, challenges, and compromises. Pain 161, 1976-1982. 16. Sutherland, M.A., 2015. Welfare implications of invasive piglet husbandry procedures, methods of alleviation and alternatives: a review. N Z Vet J 63, 52-57. 17. Vinuela-Fernandez, I., Jones, E., Welsh, E.M., Fleetwood-Walker, S.M., 2007. Pain mechanisms and their implication for the management of pain in farm and companion animals. Veterinary journal (London, England: 1997) 174, 227-239. 18. Williams, A.C.C., Craig, K.D., 2016. Updating the definition of pain. Pain 157, 2420-2423. 19. Wilson, R., Holyoake, P., Cronin, G., Doyle, R., 2014. Managing animal wellbeing: a preliminary survey of pig farmers. Australian Veterinary Journal 92, 206-212. Kontakt Prof. Dr. Elisabeth große Beilage; Außenstelle für Epidemiologie, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover, Bakum elisabeth.grosse.beilage@tiho-hannover.de 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 39

Schwein ___________________________________________________________________________________________________________ Die Qual der Wahl des richtigen Analgetikums fürs Schwein Lydia Kuhnert Institut für Pharmakologie, Pharmazie und Toxikologie, Veterinärmedizinische Fakultät, Universität Leipzig Einleitung Schmerz ist nach Definition der International Association for the study of pain eine subjektive Empfindung eines Gewebeschadens oder etwas, das diesem ähnelt (1). Da Schweine Fluchttiere sind, sind Schmerzen nicht leicht zu erkennen. Dennoch ist die Schmerzbekämpfung bei Schweinen nicht nur im Interesse des Tierschutzes, sondern auch von wirtschaftlichem Interesse für den Tierhalter. So führen insbesondere chronische Schmerzen bei Masttieren zu Leistungseinbrüchen, wie geringere Mastzunahmen (2). Die Ursachen von Schmerzen sind vielfältig und können in Schmerzen infolge von zootechnischen Maßnahmen, wie Kastration, sowie infolge von Erkrankungen/Verletzungen unterschieden werden. Für die Schmerztherapie des Schweines sind in Deutschland und der EU verschiedene Analgetika zugelassen: Aus der Gruppe der nicht- steroidalen Antiphlogistika (NSAIDs) sind Acetylsalicylsäure, Natriumsalicylat, Flunixin, Meloxicam, Ketoprofen und Tolfenaminsäure als Tierarzneimittel für das Schwein in Deutschland und der EU zugelassen (3, 4). Paracetamol und Metamizol zählen zu den NSAID-ähnlichen Wirkstoffen und sind ebenfalls in Deutschland und der EU als Tierarzneimittel zugelassen (3, 4). Stark-wirkende Opioide sind nach aktuellem Kenntnisstand für das Schwein nicht zugelassen. Eine aktuelle Übersicht über in Deutschland zugelassene und auf dem Markt verfügbare Arzneimittel finden Sie unter: Veterinärmedizinischer Informationsdienst für Arzneimittelanwendung, Toxikologie und Arzneimittelrecht (VETIDATA: https://vetidata.de/). Einteilung und Wirkmechanismus der Analgetika NSAIDs hemmen sowohl lokal im Entzündungsgebiet als auch systemisch die Cyclooxygenase und reduzieren die Freisetzung von Entzündungsmediatoren, wie Prostaglandinen. NSAIDs haben je nach Selektivität analgetische (schmerznehmende), antiphlogistische (entzündungshemmende) und antipyretische (fiebersenkende) Wirkung (5–7). Da Prostaglandine eine zentrale Rolle in der Pathophysiologie der Enterotoxämie spielen, werden NSAIDs auch erfolgreich zur Therapie von Septikämien eingesetzt (8). Eingeteilt nach ihrer Selektivität gegenüber den unterschiedlichen Cyclooxygenase-Isoformen sind in Deutschland und der EU (Tabelle 1): COX-1 selektive (Acetylsalicylsäure und Natriumsalicylat), COX1-/COX- 2 unspezifische (Flunixin, Ketofprofen, Tolfenaminsäure), sowie COX-2 präferentielle (Meloxicam) für das Schwein zugelassen (3, 4, 7). Paracetamol ist als einziges für das Schwein als Tierarzneimittel zugelassen und wirkt hauptsächlich zentral antipyretisch über die Hemmung der COX-3 Isoform (7). Metamizol hat eine sehr starke zentral analgetische und antipyretische Wirkung, bei der eine Beteiligung des COX-3, Cannabinoid- und Opioid-Systems vermutet wird (9). Zusätzlich weist Metamizol eine spasmolytische Wirkung auf die glatte Muskulatur des Gastrointestinaltraktes auf (7). Pharmakotherapie von Erkrankungen Die Auswahl des idealen Schmerzmittels richtet sich nach dem Wirkmechanismus, der Schmerzursache und dem rechtlichen Rahmen. Bitte beachten Sie im Rahmen des Zulassungsprimates (EU VO 2019/6) die Angaben der Fachinformation des jeweiligen Präparates. Erkrankungen der Atemwege mit Fieber Erkrankungen der Atemwege gehen häufig mit Fieber einher, sodass eine Kombination aus Analgetikum mit antipyretischer Wirkung und einem geeigneten Antibiotikum indiziert ist. Durch die Freisetzung von Entzündungsmediatoren erfolgt im Gehirn eine Verschiebung des Soll-Wertes, was sich als Fieber präsentiert (10). Zur Fiebersenkung sind zentral antipyretisch wirksame Wirkstoffe, wie Acetylsalicylsäure oder Natriumsalicylat geeignet. Diese COX-1 spezifischen NSAIDs zählen zu den schwach-analgetisch-wirksamen NSAIDs mit zentral antipyretischer Wirkung (4). Gegenanzeigen stellen trächtige und laktierende Sauen, sowie 40 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

Schwein ___________________________________________________________________________________________________________ Ferkel unter 4 Wochen dar, da die Salicylsäure-Derivate die Knorpel- und Knochenreifung stören können (7, 11). Durch die zentral antipyretische und analgetische Wirkung ist auch Paracetamol zur Fiebersenkung geeignet (8). Da Paracetamol kein klassisches NSAID ist, führt es nicht zu einer erhöhten Blutungsneigung oder typischen gastro-intestinalen Nebenwirkungen (7). Ketoprofen wies in unterschiedlichen Studien eine sehr gute antipyretische und antiphlogistische Wirkung vor allem in Kombination mit einer Antibiose gegenüber Infektionen mit Actinobacillus pleuropneumoniae und Haemophilus parasuis auf (8). Flunixin zeigte in den Studien eine sehr gute antiphlogistische Wirkung, jedoch konnte bei Infektionen mit Actinobacillus pleuropneumoniae, Pasteurella multocida und PRRSV keine Fiebersenkung erreicht werden (8). Tabelle 1. Einteilung der für das Schwein in Deutschland und der EU zugelassenen Analgetika mit deren Indikationsgebiet laut Fachinformation (4, 8) Gruppierung „klassische“ NSAIDs Selektivität COX-1 selektiv Wirkstoff Acetylsalicylsäure Natriumsalicylat COX-1/COX-2 unspezifisch Flunixin Ketoprofen COX-2 präferentiell Tolfenaminsäure Meloxicam Coxibe NSAID-ähnliche Arzneimittel COX-2 selektiv COX-3 Keine zugelassen Paracetamol COX-1/2, COX-3 Cannabinoid- und Opioid-System Metamizol Grau: in Deutschland/EU als Tierarzneimittel für das Schwein nicht zugelassen MMA-Komplex Hauptindikation Fieber (mit Antibiose) Kolienterotoxämie Entzündungen Entzündliche Atemwegserkrankungen (mit Antibiose) Fiebersenkung Atemwegserkrankungen (mit Antibiose) MMA-Komplex und puerpurale Septikämie/Toxämie Fiebersenkung Atemwegserkrankungen (mit Antibiose) MMA-Komplex Postoperativer Weichteilschmerz (z.B. Kastration) MMA-Komplex Postoperativer Weichteilschmerz (z.B. Kastration) Erkrankungen am Bewegungsapparat (nicht-infektiös) MMA-Komplex und puerpurale Septikämie/Toxämie Fieber (mit Antibiose) bei Atemwegserkrankungen Fieber bei Atemwegserkrankungen und MMA-Komplex Erkrankungen des Bewegungsapparates Akuter Durchfall Der Metritis-Mastitis-Agalaktie-Komplex (syn. PDS, postpartal dysgalactia syndrome) ist eine postpartale Erkrankung der Sau und geht häufig mit hohen Verlusten der Saugferkel einher. Alle für das Schwein zugelassene Antiphlogistika (Flunixin, Meloxicam, Ketoprofen und Tolfenaminsäure) zeigten in den Studien eine sehr gute antiphlogistische und antipyretische Wirkung als Begleittherapie von MMA (8, 12). Weichteiloperation (z.B. Kastration) Schmerzhafte chirurgische Eingriffe, wie Kastrationen, bedürfen immer einer geeigneten Narkose mit zusätzlicher Analgesie. Die Applikation des Schmerzmittels sollte hierbei entsprechend seines Wirkeintritts vor 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 41

Schwein ___________________________________________________________________________________________________________ der Operation erfolgen. Die beste post-operative analgetische Wirkung konnte für Meloxicam und Ketoprofen belegt werden, wenn diese ca. 30 Minuten vor der Operation appliziert wurden (8). Eine weitere Vergleichsstudie zeigte eine stärkere postoperative analgetische Wirkung von Flunixin und Ketoprofen im Vergleich zu Meloxicam (13). Aktuell sind jedoch nur Meloxicam und Ketoprofen für dieses Indikationsgebiet beim Schwein zugelassen (3, 4). Bewegungsapparat Zur analgetischen Behandlung von Erkrankungen des Bewegungsapparates gibt es nur sehr wenige Studien. Ketoprofen hat von den zugelassenen NSAIDs für das Schwein die stärkste analgetische Wirkung und unterdrückt auch Schmerzen am Bewegungsapparat (8). Jedoch ist nach Fachinformation der einzelnen Präparate kein Ketoprofen-haltiges Tierarzneimittel für das Schwein zur Behandlung von Schmerzen am Bewegungsapparat zugelassen (4), jedoch kann hier eine Umwidmung des Indikationsgebietes innerhalb der Tierart in Betracht gezogen werden. Bei Sauen mit Lahmheit konnte ein sehr ausgeprägter analgetischer Effekt von Flunixin und Meloxicam beobachtet werden (14). Meloxicam ist für dieses Indikationsgebiet für Schwein in Deutschland als Tierarzneimittel zugelassen (4). Wichtige Nebenwirkungen Klassische NSAIDs inhibieren auch das COX-1-Isoenzym. Dieses Enzym wird ubiquitär im Körper exprimiert und ist insbesondere für den Aufrechterhalt physiologischer Funktionen, wie der Magenschutzbarriere, verantwortlich. Eine Inhibition von COX-1 kann zu typischen gastrointestinalen Nebenwirkungen führen, wie Magen-Darm-Blutungen und Ulzerationen (7). Durch die antithrombotische Wirkung (Hemmung der Thromboxanbildung in den Thrombozyten) der Salicylsäurederivate (Acetylsalicylsäure, Natriumsalicylat) besteht bis zu 7 Tagen nach Beendigung der Behandlung eine erhöhte Blutungsneigung. Ähnlich wie die klassischen NSAIDs kann Metamizol zu gastrointestinalen sowie renalen Nebenwirkungen führen. Darüber hinaus kann Metamizol zu Bronchospasmen führen (7). Literatur 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 42 Raja SN, Carr DB, Cohen M, Finnerup NB, Flor H, Gibson S et al. The revised International Association for the Study of Pain definition of pain: concepts, challenges, and compromises. Pain 2020; 161(9):1976–82. Steagall PV, Bustamante H, Johnson CB, Turner PV. Pain Management in Farm Animals: Focus on Cattle, Sheep and Pigs. Animals (Basel) 2021; 11(6). EMA. (European Medicine Agency). Search medicines; 2023. Verfügbar unter: https://medicines.health.europa.eu/veterinary/en. (Letztes Abfragedatum: 29.09.2023) VETIDATA. Veterinärmedizinischer Informationsdienst für Arzneimittelanwendung, Toxikologie und Arzneimittelrecht; 2023. Verfügbar unter: https://vetidata.de/. (Letztes Abfragedatum: 29.09.2023) Burian M, Geisslinger G. COX-dependent mechanisms involved in the antinociceptive action of NSAIDs at central and peripheral sites. Pharmacol Ther 2005; 107(2):139–54. Vane JR, Botting RM. Anti-inflammatory drugs and their mechanism of action. Inflamm Res 1998; 47 Suppl 2:S78-87. Löscher W, Richter A, Potschka H, Hrsg. Pharmakotherapie bei Haus- und Nutztieren: Begründet von W. Löscher, F.R. Ungemach und R. Kroker. 9. Auflage. Stuttgart: Enke; 2014. Schoos A, Devreese M, Maes DG. Use of non-steroidal anti-inflammatory drugs in porcine health management. Vet Rec 2019; 185(6):172. Jasiecka A, Maślanka T, Jaroszewski JJ. Pharmacological characteristics of metamizole. Pol J Vet Sci 2014; 17(1):207–14. Balli S, Shumway KR, Sharan S. StatPearls: Physiology, Fever. Treasure Island (FL); 2023. Veyx-Pharma GmbH. Fachinformation: Pyrinagil 100%; 2014. Jeeraphokhakul S, Theerakulpisut T, Khampoomee P, Chaiwangna J, Taechamaeteekul P, Dumniem N et al. Administration of ketoprofen in postpartum sows to control the incidence of post-parturient disorders and improve piglet survival rate. Anim Biosci 2023; 36(8):1293–303. Nixon E, Carlson AR, Routh PA, Hernandez L, Almond GW, Baynes RE et al. Comparative effects of nonsteroidal anti-inflammatory drugs at castration and tail-docking in neonatal piglets. PLoS One 2021; 16(11). Pairis-Garcia MD, Johnson AK, Abell CA, Coetzee JF, Karriker LA, Millman ST et al. Measuring the efficacy of flunixin meglumine and meloxicam for lame sows using a GAITFour pressure mat and an embedded microcomputer-based force plate system. J Anim Sci 2015; 93(5):2100–10. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

Schwein ___________________________________________________________________________________________________________ Stresserkennung beim Schwein - brauchen wir neue (molekulare) Marker? Frank Edlich Veterinär-Physiologisch-Chemisches Institut, Universität Leipzig Einleitung Im Rahmen der Bemühungen um Tierwohl und -gesundheit in der modernen Schweinezucht ist die objektive Bewertung von Stress von übergeordneter Bedeutung für die Anpassung von Haltung und Produktionsprozessen einerseits und die Bewertung der Haltungsbedingungen andererseits. Dabei werden Reize betrachtet, die vom Organismus bewusst oder unbewusst als ungünstig bewertet werden, weil sie zum Beispiel die Fähigkeit des Organismus zur Selbstregulierung übersteigen (1). Teil der Bewertung durch den Organismus sind Signale, die molekular eine Stressantwort abbilden. Dabei können vergleichbare Situationen bei unterschiedlichen Individuen deutlich verschiedene Signale auslösen (2). Ein weiteres Problem der Bewertung dieser Signale liegt darin, dass sehr unterschiedliche Reize als Stress empfunden werden können und entsprechend über separate Signalwege kommuniziert werden (3). Hinzu kommt, dass häufig die molekularen Mechanismen der Stresssignalwege nicht vollständig verstanden sind. Die Situation wird dadurch noch komplexer, dass viele Moleküle, die mit Stresssignalen assoziiert werden, keine Stressantwort darstellen, sondern ein Bindeglied in der Signalkette. Daraus folgt, dass gemessene Konzentrationen der Signalmoleküle nicht mit Schwellenwerten verglichen werden können und daher auch nicht allein die Informationen beinhalten, ob Stress empfunden wurde oder nicht. Also führt nur die kontinuierliche Bestimmung von Molekülen, deren Auftreten mit Stress assoziiert ist, zu einer Korrelation eines molekularen Signals mit Stress; eine objektive Stressbewertung ist häufig nicht möglich. Der große Bedarf nach objektiver Stressbewertung für die Anpassung der Schweinehaltung in Bezug auf das Stressniveau, das auf Schweine einwirkt, kann durch konventionelle Analysen potentieller Stresssignale nur sehr eingeschränkt bedient werden. Etablierte molekulare Analysen von Stress beim Schwein Untersuchungen molekularer Stresssignale können mit Beobachtungen des Verhaltens korreliert werden. Allerdings ist Verhalten komplex und häufig ungeeignet zur objektiven Bestimmung, ob ein Individuum Stress empfindet oder nicht. Bisher analysierte Moleküle im Zusammenhang mit Stress sind häufig Hormone, die Teil eines spezialisierten Signalsystems, wie des sympathischen Nervensystems, der Hypothalamus-Hypophysen- Nebennieren-Achse oder der Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse sind (3). Von herausgehobener Bedeutung sind die Untersuchungen der Konzentration des Steroidhormones Cortisol, das eine breite Palette von Reaktionen in Leber, Muskeln, ZNS und Fettgewebe als Antwort auf das adrenocorticotrope Hormon in der Blutbahn reguliert. Während eine kinetische Bestimmung häufig eine Korrelation der Cortisolkonzentration im Blut mit auftretenden Ereignissen zeigt, die als Stress gewertet werden können (4), ist eine objektive Bewertung von Stress durch Cortisol auch aus den oben genannten Gründen nicht möglich. Neben der dafür verantwortlichen grundsätzlichen Rolle des Cortisols als Vermittler in einem Signalweg gibt es eine Reihe von Einflüssen auf die Cortisolkonzentration, die zusätzlich die Stressanalyse durch Bestimmung des Cortisols beeinträchtigen. Beispielsweise gibt es große Schwankungen der Cortisolkonzentration im Tagesverlauf. Außerdem bestehen große interindividuelle Unterschiede (5). Zudem liegt Cortisol im Plasma zu einem großen Teil in proteingebundener Form vor, während vermutlich nur das freie Cortisol biologische aktiv ist (6). Weil der Ansatz der Cortisolbestimmung durch die notwendige Analyse einer Reihe von Messungen in kurzer zeitlicher Abfolge in der Praxis kaum möglich scheint, wurden Messungen an der Körperoberfläche, beispielsweise im Haar, vorgeschlagen. Die Identifizierung messbarer Cortisolkonzentrationen im Haar hat auch zu der Hypothese geführt, dass nicht nur akuter, sondern auch chronischer Stress analysiert werden könne. Exakte Analysen haben allerdings gezeigt, dass die Cortisolkonzentration im Haar mit der Entfernung von der Haarwurzel und in Bereichen, die mit Harn in Kontakt kommen, ansteigt (7). Durch die Abhängigkeit der Cortisolbestimmung im Haar vom Eintrag durch Urin sind diese Analysen grundsätzlich ungeeignet für eine Bestimmung von möglichen Stressereignissen, da der Ursprung des Cortisols zeitlich vom Stressereignis und möglicherweise auch vom Stresserleben des Individuums getrennt ist. 44 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

Schwein ___________________________________________________________________________________________________________ Bedarf allgemeiner molekularer Stressantworten Neben Cortisol wurden unter anderem α-Amylase, Immunglobolin A und Interleukin-18 als potentielle molekulare Stressmarker diskutiert (8–10). Während einzelne Schwierigkeiten in der Analyse, wie beispielsweise der ausgeprägte Tagesrhythmus, weniger prominent auftreten als bei Cortisol, bleibt bei all diesen Molekülen das grundsätzliche Problem erhalten, dass es sich um Vermittler in einem Signalweg handelt. Das bedeutet, dass Schwellenwerte für eine absolute Bestimmung von Stress nur bedingt möglich ist und häufig nur spezifische Stresssignale durch den Signalweg, der das jeweilige Molekül betrifft, übertragen werden. Für die Aufgabenstellung, Stress objektiv zu bewerten, offerieren diese Ansätze die Möglichkeit eine Kombination verschiedener Analysen zu versuchen, um Stress molekular zu identifizieren. Für diesen Versuch ergibt sich trotzdem das Problem, Stresssignale aus unterschiedlichen Analysen miteinander zu vergleichen. Demzufolge könnte ein grundsätzliches Umdenken in der molekularen Stressanalyse hilfreich sein. Gesucht werden Moleküle, die verschiedene Formen von Stress integrieren und idealerweise anzeigen, ob die gegenwärtige Situation als Stress empfunden wird. Hinweise für allgemeine Stressantworten in der Zelle Während die objektive Stressanalyse auf der Ebene des Individuums sehr komplex erscheint, finden sich im Mikrokosmos der Zellen Programme, die Stress jeglicher Herkunft zu einer gemeinsamen Antwort zusammenfügen. Alle Körperzellen erkennen und bewerten Reize unterschiedlicher Herkunft als Stress und besitzen verschiedene Programme, um auf diesen Stress adäquat reagieren zu können. Wenn die Zelle nicht in der Lage ist, im Rahmen ihrer Selbstregulierung auf einen Reiz zu reagieren, bleibt die Möglichkeit den geregelten Zelltod einzuleiten (11). Das prominenteste Zelltodprogramm ist die Apoptose, die zum Ziel hat, die Zelle rückstandsfrei aus dem Verband zu entfernen und damit benachbarte Zellen vor ihr oder ihren Bestandteilen zu schützen (12). Das Apoptose-Programm reagiert auf Infektionen, Stresssignale durch andere Zellen, mechanischen Stress, Nährstoffentzug, Hitze, Stress durch Sauerstoff, Stress durch DNA-Schäden, Bestrahlung und vieles mehr (13). Dabei werden die unterschiedlichen Stressreize in eine allgemeine Stressbewertung integriert, die für jede Zelle und jeden Zeitpunkt ihrer Existenz unterschiedlich sein kann. Dieses System ist also in der Lage, für die Zelle eine individuelle und relevante Bewertung der Reize vorzunehmen und bei Überschreiten eines gemeinsamen Schwellenwertes des Zellstresses die adäquate Antwort des regulierten Zelltodes zu initiieren. Es ist durch wissenschaftliche Entdeckung der letzten Jahre möglich, den momentan gültigen Status der Stressbewertung einer Zelle zu analysieren (14). D. h. die Apoptose-Prädisposition einer Zelle kann molekular analysiert werden und induzierter Stress zeigt anschließend die vorhergesagte Stressantwort (15). Da Apoptose, wie auch andere Programme zur Zellstressbeantwortung universell vorkommen, sind sie in jedem Zelltyp des Schweins zu finden und nicht an einen spezifischen Stresssignalweg geknüpft. Perspektive für eine objektive Stressbewertung Wenn es gelingt, die Brücke zwischen Stresserfahrung durch makroskopische Reize und universeller Stressantwort innerhalb der Zelle zu schlagen, bietet die Erforschung von Zellstressantworten eine große Bandbreite möglicher Ansatzpunkte zur objektiven Stressbewertung. Mögliche Ansatzpunkte für diesen Brückenschlag sind die molekulare Verknüpfung der Stresssignalwege mit den bekannten Zellstressprogrammen, wie beispielsweise das Identifizieren von Apoptose infolge von Stresssignalen infolge erhöhter Cortisolkonzentrationen im Blut. Möglicherweise ist eine Hauptaufgabe für diesen Brückenschlag auch das Erkennen geeigneter Zellpopulation, in denen makroskopische Reize in besonderem Maße zu molekularen Veränderungen führen. Fraglos ist ein Konzentrieren auf neue Ansätze zur Stressidentifizierung notwendig, denn eine objektive Einordnung von Stressereignissen ist mit konventionellen Analysen nur sehr eingeschränkt möglich. Literatur 1. Koolhaas, J. M. et al. Stress revisited: a critical evaluation of the stress concept. Neurosci. Biobehav. Rev. 35, 1291– 1301 (2011). 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 45

Schwein ___________________________________________________________________________________________________________ 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. Koolhaas, J. M. & Van Reenen, C. G. ANIMAL BEHAVIOR AND WELL-BEING SYMPOSIUM: Interaction between coping style/personality, stress, and welfare: Relevance for domestic farm animals. J. Anim. Sci. 94, 2284–2296 (2016). Martínez-Miró, S. et al. Causes, consequences and biomarkers of stress in swine: an update. BMC Vet. Res. 12, 171 (2016). Mormède, P. et al. Exploration of the hypothalamic-pituitary-adrenal function as a tool to evaluate animal welfare. Physiol. Behav. 92, 317–339 (2007). Ponsuksili, S., Du, Y., Murani, E., Schwerin, M. & Wimmers, K. Elucidating molecular networks that either affect or respond to plasma cortisol concentration in target tissues of liver and muscle. Genetics 192, 1109–1122 (2012). Aardal, E. & Holm, A. C. Cortisol in saliva--reference ranges and relation to cortisol in serum. Eur. J. Clin. Chem. Clin. Biochem. J. Forum Eur. Clin. Chem. Soc. 33, 927–932 (1995). Heimbürge, S., Kanitz, E., Tuchscherer, A. & Otten, W. Within a hair’s breadth - Factors influencing hair cortisol levels in pigs and cattle. Gen. Comp. Endocrinol. 288, 113359 (2020). Contreras-Aguilar, M. D. et al. Changes in alpha-amylase activity, concentration and isoforms in pigs after an experimental acute stress model: an exploratory study. BMC Vet. Res. 14, 256 (2018). Blecha, F. & Kelley, K. W. Cold stress reduces the acquisition of colostral immunoglobulin in piglets. J. Anim. Sci. 52, 594–600 (1981). Muneta, Y. et al. Interleukin-18 expression in pig salivary glands and salivary content changes during acute immobilization stress. Stress Amst. Neth. 14, 549–556 (2011). Galluzzi, L. et al. Molecular mechanisms of cell death: recommendations of the Nomenclature Committee on Cell Death 2018. Cell Death Differ. 25, 486–541 (2018). Green, D. R. Apoptotic Pathways: Ten Minutes to Dead. Cell 121, 671–674 (2005). Youle, R. J. & Strasser, A. The BCL-2 protein family: opposing activities that mediate cell death. Nat. Rev. Mol. Cell Biol. 9, 47–59 (2008). Edlich, F. & Martinou, J.-C. Bcl-2 Protein Interplay on the Outer Mitochondrial Membrane. in Mitochondria and cell death 69–83 (Springer, 2016). Edlich, F. The great migration of Bax and Bak. Mol. Cell. Oncol. 2, e995029 (2015). Kontakt Prof. Dr. Frank Edlich; Veterinär-Physiologisch-Chemisches Institut, Universität Leipzig 46 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

Schwein ___________________________________________________________________________________________________________ Digital biosecurity and real-time health surveillance in practice; a terrific tool for swine vets Carlos Piñeiro Animal Data Analytics SL Abstract Swine health monitoring is crucial for ensuring the welfare and productivity of swine herds. Diseases in swine production can lead to economic losses, compromised food safety, and negative impacts on growth rates, reproductive performance, and mortality rates. Traditional methods of health monitoring, such as paper recording and periodic veterinary check-ups, have limitations in terms of accuracy and real-time information. Therefore, there is a need for more advanced and efficient health monitoring systems. This manuscript explores the significance of swine health monitoring in swine production and the challenges faced in current monitoring methods. It discusses the limitations of traditional methods and the need for more advanced surveillance techniques. The thesis also examines the role of digital biosecurity control in swine farms and its synergistic benefits when integrated with real-time health monitoring. The findings highlight the importance of real-time health monitoring in preventing disease outbreaks and ensuring early detection of potential health issues. The use of digital technologies, such as sensors and data analytics, can provide continuous and objective monitoring of critical swine health parameters. This enables prompt intervention and improved disease management in swine farms. This work emphasizes the role of biosecurity measures in limiting disease transmission and improving production parameters. It discusses the benefits of respecting farm-specific clothing, footwear, handwashing protocols, and movement restrictions in preventing the spread of infectious pathogens. The integration of digital biosecurity control systems, including beacons, cameras, and access controls, enhances farm security and helps monitor compliance with biosecurity protocols. Overall, the manuscript highlights the synergistic benefits of integrating real-time health monitoring and digital biosecurity control in swine production. This comprehensive approach to disease prevention and management can improve herd health, biosecurity, and productivity in the swine industry. The findings of this work provide valuable insights for stakeholders, veterinary practitioners, and government authorities involved in swine production. The significance of swine health monitoring in swine production Monitoring the health of swine is of utmost importance to ensure the welfare and productivity of the entire herd. Diseases pose a significant threat to swine production, leading to economic losses and jeopardizing food safety. The impact of diseases on swine farms is far-reaching, causing reduced growth rates, compromised feed efficiency, increased antibiotics use and mortality rates, and decreased reproductive performance. These factors directly affect the profitability and sustainability of swine farms. Furthermore, certain diseases can be transmitted to humans through contaminated pork products, underscoring the need for diligent swine health monitoring to protect both animal welfare and public health. Current challenges in health monitoring Efficient and sustainable swine production relies on the prevention and control of diseases. To achieve this, it is crucial to have access to up-to-date information on the health status of the swine population. This information enables stakeholders, veterinary practitioners, and government authorities to implement effective measures in a timely manner. New surveillance methods are being developed, utilizing various data types as indirect health indicators. These innovative surveillance methods allow for data collection from diverse sources in a cost-effective and timely manner. Data mining techniques and time series analyses are employed to analyze the data and generate 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 47

Schwein ___________________________________________________________________________________________________________ dynamic, reproducible reports. This approach enables surveillance to be conducted in near real-time, enhancing the ability to detect and respond to health issues promptly. As a reference in the EU swine production, the Spanish swine sector has experienced significant growth in recent years, particularly in Catalonia and Aragon, where over 50% of pig herds are concentrated. Large-scale operations have seen an increase in the number of sows, and many facilities are part of integrated industries with specialized farrowing, post-weaning, and finishing sites. In such a context, maintaining a good sanitary status is of utmost importance to ensure the well-being and productivity of the swine population. The limitations of traditional health monitoring methods Traditional methods of swine health monitoring, such as manual observation and periodic veterinary check- ups, are not without limitations. Manual observation relies on subjective interpretation and visual cues, which can result in missed or delayed detection of health issues. This approach is time-consuming and labor-intensive, particularly in large-scale swine production operations. Periodic veterinary check-ups, while valuable, may not provide real-time information on the health status of individual pigs or the entire herd. This delay in diagnosis and treatment can lead to the spread of diseases and increased economic losses. Furthermore, traditional methods often fail to capture subtle changes in pig behavior or early signs of disease, making timely interventions challenging. Consequently, swine production necessitates the adoption of more advanced and efficient health monitoring systems. Additionally, the current control system is based on the periodic use of key performance indicators (KPIs) that affect reproduction, production, and health. However, these KPIs may not always function accurately and smoothly in many cases. As a result, the prevalence and incidence of diseases, as well as the use of antibiotics, are not frequently known. Antibiotic treatments are typically associated with purchasing rather than actual use on the farm, including specific pathologies and timing. Furthermore, pictures, videos, and lab results are often not associated with specific batches, barns, or farms, making it difficult to link them to routine health and production control. To address these limitations, one approach is to rely on syndromic observations performed by properly trained farm staff. These staff members are able to recognize and record symptoms related to respiratory, enteric, nervous, skin, biting, lameness, and unspecific issues (image 1). Image 1. Screenshots of the app for health data capture 48 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

Schwein ___________________________________________________________________________________________________________ By promptly recognizing and interpreting early signs of disease, fast interventions can be implemented to decrease the risk of disease spread within the swine population. The observations and actions that occur on each farm can be promptly recorded, allowing for remote surveillance by veterinarians. This enables them to check the prevalence, incidence, treatment results, and associated images or videos, providing valuable support for monitoring the health of farms. Moreover, the system is designed to aggregate batches, farms, or companies, providing a robust overview of desired groups or subgroups of farms. Additionally, variables such as medicines, vaccines, feed additives, breeding, or equipment can be monitored to facilitate easy field trials. Additionally, every veterinarian or clinic can easily build up his own health database allowing the big data study, time series or even be useful as the basis for predictive analytics, contributing to a better understanding and control of swine diseases. Without continuous monitoring and data collection, these subclinical diseases may go undetected, leading to undiagnosed and untreated cases within the swine population. Given these limitations, there is a pressing need for more advanced and efficient health monitoring techniques in swine production. Real-time health monitoring, facilitated by technologies such as sensors, Internet of Things (IoT) devices, and data analytics, can provide continuous and objective monitoring of critical swine health parameters. This enables early detection of abnormalities, prompt intervention, and improved disease management in swine farms. The role of digital biosecurity control in swine farms The swine industry has experienced significant advancements in production efficiency thanks to technological improvements in genetics, nutrition, and integrated production systems. These developments have shifted from small, diverse farms to large-scale operations with vertical integration, where production companies own the entire pork production chain. However, with increased herd sizes and farm workers, the risk of infectious diseases spreading and persisting within the herd has also increased. Infectious diseases in pigs have substantial economic consequences, resulting in decreased production and additional costs for disease control and elimination efforts. Therefore, implementing strong biosecurity protocols is crucial for maintaining productivity levels. These protocols aim to limit or prevent the transmission of pathogens, which can occur through various routes such as direct contact with infected animals, indirect contact through people, semen, manure, rodents, aerosols, feed, water, or fomites. Biosecurity measures have numerous benefits, including reducing disease incidence, decreasing antimicrobial usage, improving production parameters, and increasing farm profitability. Farm structure and working practices play a significant role in antimicrobial usage reduction. The European Animal Health Law emphasizes the importance of biosecurity in preventing the spread of infectious diseases. Farm-specific clothing, footwear, and handwashing protocols are essential for minimizing pathogen spread. Additional dressing rooms for different animal categories further reduce the risk of transmission. Following a specific sequence when visiting different units with various animal categories is crucial, as younger animals are more susceptible to pathogens, while older animals may harbor infectious agents without showing noticeable symptoms. Biosecurity encompasses management strategies to protect herds from the introduction and spread of infectious agents. External biosecurity focuses on preventing the introduction of new diseases, while internal biosecurity aims to control disease spread within the herd and eliminate it. The success of biosecurity protocols varies between farms, indicating differences in their implementation and application. Fomite transmission, the spread of pathogens through objects, plays a significant role in swine herd disease spread. Internal biosecurity strategies focus on limiting the movement of people and tools that could carry infectious pathogens within the farm. Sow farms commonly implement internal biosecurity protocols such as all-in-all-out flow, decontamination of rooms between groups, the use of footbaths, and movement restrictions from high-risk areas. However, the validation and quantification of the benefits of these protocols are lacking, mainly due to the challenges of measuring their implementation under field conditions. The success of internal biosecurity protocols depends on the compliance of farm employees and visitors, which can be influenced by human behavior, personalities, 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 49

Schwein ___________________________________________________________________________________________________________ and perceptions. Monitoring biosecurity compliance within farms is crucial to ensure consistent protocol adherence. The application of new technologies in animal production aimed at improving animal health can play a vital role. Technologies used in human healthcare, such as sensors to monitor handwashing hygiene, could be valuable in monitoring internal biosecurity compliance in swine production. Keeping track of compliance is essential to ensure consistent adherence to protocols on farms. Digital biosecurity control entails the implementation of digital technologies, including beacons, cameras, and access controls, to enhance biosecurity measures in swine farms. Digital biosecurity control offers numerous advantages in preventing disease outbreaks, ensuring traceability, and fortifying farm security. Firstly, it enables real-time monitoring and early detection of potential disease outbreaks. Beacons and other devices allow tracking of farm staff movements within and among farms, allowing to control if they respect the rules of internal movements moving from younger to older animals and from higher health to low health and also among farms and sites of different health status This proactive approach helps prevent the spread of diseases within the farm and to other farms, minimizing their impact on the swine industry (image 2). Digital biosecurity control systems bolster farm security by monitoring and controlling access to the premises. Access controls, such as biometric systems or keycard entry, restrict entry to authorized personnel, thereby mitigating the risk of unauthorized access and potential biosecurity breaches. Additionally, cameras integrated into the biosecurity control systems deliver constant surveillance, deterring theft or vandalism and providing evidentiary support in case of any incidents. Integrating real-time health monitoring and digital biosecurity control systems in swine production presents various possibilities for improving overall herd health, biosecurity, and productivity. By combining these technologies, swine farmers can adopt a comprehensive and proactive approach to disease prevention and management. Image 2. Screenshots of the dashboards controlling farm staff and vehicles’ movements both within and among farms. The synergy between real-time health monitoring and digital biosecurity control The swine industry has experienced significant advancements in production efficiency thanks to technological improvements in genetics, nutrition, and integrated production systems. These developments have shifted from small, diverse farms to large-scale operations with vertical integration, where production companies own the entire pork production chain. However, with increased herd sizes and farm workers, the risk of infectious diseases spreading and persisting within the herd has also increased. 50 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

Schwein ___________________________________________________________________________________________________________ Integrating real-time health monitoring and digital biosecurity control systems in swine production offers remarkable synergistic benefits. Real-time health data informs of biosecurity measures, while biosecurity control systems enhance the accuracy and effectiveness of health monitoring. Biosecurity measures have numerous benefits, including reducing disease incidence, decreasing antimicrobial usage, improving production parameters, and increasing farm profitability. Farm structure and working practices play a significant role in antimicrobial usage reduction. The European Animal Health Law emphasizes the importance of biosecurity in preventing the spread of infectious diseases. Farm-specific clothing, footwear, and handwashing protocols are essential for minimizing pathogen spread. Additional dressing rooms for different animal categories further reduce the risk of transmission. Following a specific sequence when visiting different units with various animal categories is crucial, as younger animals are more susceptible to pathogens, while older animals may harbor infectious agents without showing noticeable symptoms and digital technologies can help to ensure that rules are respected. The application of these technologies in animal production aimed at improving animal health can play a vital role in supporting and improving the role of veterinarians in the swine industry. Contact address Carlos Piñeiro; Segovia Carlos.pineiro@ada-animaldata.com 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 51

(normalerweise im Ampelsystem grün, gelb, rot) Schwein ___________________________________________________________________________________________________________ Feldstudie zum Einsatz von KI zur Gesundheitsüberwachung von Schweinen in Verbindung mit einem engmaschigen labordiagnostischen Monitoring Matthias Eddicks1, Franziska Feicht2, Mathias Ritzmann1 1Klinik für Schweine der LMU München, Oberschleißheim; 2Tierärzte Wonsees GmbH, Wonsees leuchteten durchgehend Insgesamt wurden zwei Aufzuchtdurchgänge nacheinander Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurde der Einsatz einer sound-basierten Künstlichen Intelligenz (SoundTalks®) zur Einschätzung des respiratorischen Gesundheitsstatus von Aufzuchtferkeln eingesetzt. Parallel zu der KI-basierten Erfassung des respiratorischen Gesundheitsstatus der Tiere, wurden die erfassten Tiergruppen dreimal wöchentlich von einer Tierärztin visitiert, der Hustenscore erhoben und Oral Fluids (n = 4) und Bioaerosole (n = 2) gewonnen. Die Studientierärztin war über den gesamten Untersuchungszeitraum hinsichtlich der Ergebnisse der Echtzeit KI-Monitoring-Ergebnisse verblindet. Leuchtdioden an den Monitorboxen in blau im selben Abteil (Wissenschaftsmodus). ausgewertet. Nach Entblindung der Monitorergebnisse wurden die Proben der ersten fünf und des letzten Studientages sowie Proben, die sieben Tage vor bis vier Tage nach einer Phase des ReHS ≤ 60 (Phase mit deutlicher Hustensymptomatik nach KI-Befund) gewonnen wurden, molekularbiologisch auf PRDC assoziierte Erreger (IAV, PRRSV, PCV2, G. parasuis, S. suis, B. bronchiseptica, M. hyopneumoniae und A. pleuropneumoniae) mittels real-time PCR untersucht. Insgesamt wurden 124 von 160 OFS und 62 von 80 AS ausgewertet. In beiden Durchgängen trat im Verlauf der Aufzucht Husten auf. Während im ersten Durchgang eine milde respiratorische Klinik festgestellt wurde, verlief die Krankheitsepisode im zweiten Durchgang akut und sehr deutlich. Während im ersten Durchgang ein niedriger klinischer Hustenscore ermittelt werden konnte zeigte die KI eine moderate Verschlechterung des respiratorischen Gesundheitszustands an. Bei der im zweiten Durchgang deutlicher auftretenden respiratorischen Klinik konnte SoundTalks® durch das kontinuierliche Monitoring, retrospektiv betrachtet, einen Tag vor der Feststellung durch das klinische Husten-Monitoring, eine Verschlechterung des Gesundheitsstatus erkennen. In der vorliegenden Studie war sowohl qualitativ als auch quantitativ nur der Nachweis bzw. das Ergebnis der RT-qPCR von IAV mit Warnungen durch SoundTalks® assoziiert. Dieser Effekt konnte unabhängig vom Probenmaterial beobachtet werden. Die gewonnenen Ergebnisse legen nahe, dass IAV in diesem Bestand die Hauptursache der respiratorischen Symptomatik war. Die IAV Ct-Werte korrelierten signifikant und stark mit dem ReHS (respiratory health score) der KI und dem klinischen Hustenscore, was auf einen Zusammenhang zwischen der Viruslast bzw. der Nukleinsäuremenge in OFs bzw. Airsamples und der Ausprägung der klinischen Symptome bei IAV vermuten lässt. Der Nachweis von IAV in AS stimmte substanziell mit dem Nachweis in OFS überein. Hier ist zu beachten, dass die Einstufung des gesamten Abteils an einem Studientag als „positiv“ oder „negativ“ abhängig von den beiden Probenmaterialien betrachtet wurde. Die Proben wurden nicht 1:1 miteinander verglichen. Beim Vergleich des Ct-Werts der PCR für IAV beider Probenmaterialien konnte bei Einschluss aller ausgewerteten Proben kein Unterschied festgestellt werden. Kontakt Dr. Matthias Eddicks; Klinik für Schweine der LMU München, Oberschleißheim m.eddicks@lmu.de 52 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

Schwein ___________________________________________________________________________________________________________ Digitalisierung im Schweinestall – Erfahrungen aus dem Experimentierfeld DigiSchwein Jeanette Probst1, Philipp Heseker1,3, Imke Traulsen2,3, Nicole Kemper1 1Institut für Tierhygiene, Tierschutz und Nutztierethologie (ITTN), Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover; 2Institut für Tierzucht und Tierhaltung, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel; 3Systeme der Nutztierhaltung, Georg-August-Universität Göttingen Hintergrund zum Experimentierfeld DigiSchwein Das Projekt DigiSchwein ist eines von 14 digitalen Experimentierfeldern des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) und hat zum Ziel, Precision Livestock Farming (PLF) sowie die Anwendung integrierter Farmmanagement-Systeme problemorientiert in der Schweinehaltung zu erproben. Durch die automatische, sensorgestützte, unverzügliche Bereitstellung von Tier-, Umwelt- und Anlagendaten sollen Landwirt*innen bei ihren täglichen Kontrollgängen im Stall sowie bei der allgemeinen Betriebsführung unterstützt werden (Vranken et al. 2017). Dies kann den Handlungsspielraum der Tierhaltenden, vor allem in Zeiträumen welche außerhalb des Stalles verbracht werden, deutlich erweitern. In einem interdisziplinären Verbund werden die Praxistauglichkeit marktverfügbarer Sensortechnik auf Datenplausibilität, Funktionssicherheit und Kompatibilität getestet und ihre Einsatzmöglichkeiten bei der Früherkennung von Krankheiten, des Geburtsbeginns und bei Verhaltensstörungen wie Schwanzbeißen evaluiert. Erste Ergebnisse aus dem Abferkelbereich – Geburtsüberwachung und Krankheitsfrüherkennung Die Überwachung des Geburtsbeginns ist personal- und zeitaufwendig, entscheidet jedoch über die Gesundheit und weitere Leistung der Sau und ihrer Ferkel. Angesichts des §30 Abs. 2b Tierschutz- Nutztierhaltungsverordnung, der eine Fixierung der Sauen im Ferkelschutzkorb von maximal fünf Tagen vorsieht, kann die Information über den Geburtsbeginn helfen, das Zeitfenster der Fixierung optimal zum Schutz der Ferkel auszunutzen. Zudem birgt der peripartale Zeitraum Risiken, die die Entstehung des postpartalen Dysgalaktie-Syndroms (PPDS) bei Sauen begünstigen (Kemper 2020). Monitoring des Tränkewasserverbrauchs Vor diesem Hintergrund wurde der individuelle Wasserverbrauch von Sauen im peripartalen Zeitraum anhand eines Durchflussmessgerätes, installiert in der Wasserzuleitung zu Aqualeveltrog und Mutter-Kind- Tränke, automatisch aufgezeichnet. Die Sauen waren einzeln in Bewegungsbuchten mit temporärer Fixierungsmöglichkeit eingestallt und der Zeitpunkt der Geburt des ersten Ferkels wurde durch Videoauswertung bestimmt. Bei allen Sauen wurde ab dem Tag der Geburt bis drei Tage postpartum zweimal täglich die Rektaltemperatur der Sauen gemessen und ein Gesundheitscheck auf PPDS-Symptome durchgeführt. Bei Betrachtung des mittleren, täglichen Wasserverbrauchs aller Sauen ist eine Steigerung des Wasserverbrauchs am Tag vor der Abferkelung sowie ein nachgeburtlicher Abfall der Wasserabnahme zu beobachten. Tiere, die an PPDS erkrankten, nahmen im vorgeburtlichen Zeitraum tendenziell weniger Wasser ab und zeigten am Tag nach der Geburt einen signifikant reduzierten Wasserverbrauch. Diese ersten Ergebnisse verdeutlichen, dass das Monitoring des Wasserverbrauchs im peripartalen Zeitraum das Potential besitzt, den Geburtsbeginn und eine mögliche Krankheitsgefährdung von Sauen zu identifizieren und damit Tierhaltende bei ihrem Gesundheits-, Fixierungs- und Abferkelmanagement zu unterstützen. Um ein robustes automatisches Frühwarnsystem unter Herausgabe von Alarmsignalen zu gestalten, müssen weitere Analysen auf tierindividueller Ebene erfolgen. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 53

Schwein ___________________________________________________________________________________________________________ Erste Ergebnisse aus der Ferkelaufzucht – Prävention und Erkennung von Schwanzbeißen Das Auftreten von Schwanzbeißen in der Schweinehaltung ist ein multifaktorielles Problem und beeinträchtigt Tiergesundheit, Leistung und Tierwohl. Eine Vielzahl von Risikofaktoren beeinflussen die Entstehung, unter anderem schlechtes Stallklima und ein Mangel an Beschäftigungsmaterial (EFSA 2007). Stallklima Zur Überwachung des Stallklimas wurden sechs Ferkelaufzuchtbuchten während neun Durchgängen jeweils mit Sensoren zur kontinuierlichen Messung von Ammoniak (NH3), Kohlenstoffdioxid (CO2), Luftfeuchte und Lufttemperatur sowie Lichtintensität ausgestattet. Dabei wurden in den vorderen Buchten (Eingangstür/Türganglüftung) höhere Messwerte für NH3, CO2, Lufttemperatur und Luftfeuchte gemessen. Der Unterschied war zwischen Bucht 1 und Bucht 6 signifikant (p < 0,01). Außerdem wurden durch die kontinuierliche Aufzeichnung des Stallklimas starke tageszeitliche Schwankungen auch mit Überschreitungen der gesetzlich festgelegten Grenzwerte sichtbar. Über den kontinuierlichen, buchtenindividuellen Einsatz von Stallklimasensoren können umweltbedingte Risikofaktoren einfach und eindeutig identifiziert werden. Die Überprüfung und Optimierung des Stallklimas ist entscheidend für die Tiergesundheit und das Tierwohl und hilft, Schwanzläsionen zu vermeiden. Beschäftigungsmaterial Da eine regelmäßige Vorlage von frischem Material zeit- und arbeitsaufwendig ist, wurde die Nutzung von automatisch vorgelegtem Beschäftigungsmaterial und dessen Einfluss auf Schwanzbeißen analysiert. (Luzernepellets Eine automatische Beschäftigungsanlage mit Futterkette und Volumendosierern wurde zur buchtenindividuellen Vorlage verbaut, bei der das Beschäftigungsmaterial (Lu), Haferschälkleiepellets (Ha) sowie eine 1:1 Mischung (Mi)) in 2, 4 oder 6 Vorlagen/Tag (240g/Vorlage) zum Erkunden und Manipulieren auf eine Kunststoffmatte fiel. Das Verhalten der unkupierten Aufzuchtferkel wurde von 5 min vor bis 15 min nach Vorlage anhand von Videoaufnahmen analysiert. Es wurde beobachtet, dass eine Minute nach der Vorlage im Mittel 41,9 % der Schweine einer Bucht das Material bearbeiteten. Die Nutzung nahm mit zunehmendem Alter der Tiere ab. Bei den Materialien (Ha, Lu, Mi) unterschied sich die Nutzung des Beschäftigungsmaterials eine Minute nach Vorlage mit 45,3 % bei Ha, 42,3 % bei Mi und 37,6 % bei Lu geringfügig. Schwanzverletzungen nahmen im Verlauf der Aufzucht stark zu. Der Anteil an unversehrten Schwänzen am Ende der Aufzucht war bei der Vorlage von Ha im Vergleich zu Lu und Mi mit 33,9 %, 48,2 % und 48,3 % am niedrigsten. Die meisten Schwanzverletzungen traten bei den Durchgängen mit 2 Vorlagen/Tag im Vergleich zu 4 und 6 Vorlagen/Tag auf. Diese Ergebnisse verdeutlichen, dass frisch vorgelegtes Beschäftigungsmaterial sehr gut von Aufzuchtferkeln zum Erkunden und Manipulieren genutzt wird und häufigere Vorlagen am Tag zur Prävention von Schwanzverletzungen beitragen können. Früherkennung Neben präventiven Maßnahmen ist die frühzeitige Erkennung eines Schwanzbeißgeschehens im Stall essentiell, um den Schaden für Tiergesundheit und Tierwohl möglichst gering zu halten. Die Ausstallung des Tätertieres ist eine wirkungsvolle Interventionsstrategie (Schrøder-Petersen und Simonsen 2001), jedoch ist die Identifizierung dieses Tieres bei den täglichen Kontrollgängen nicht einfach. Um Schwanzbeißereignisse sowie das Tätertier aufzuspüren, wurden buchtenindividuell Videos mit Tonspur aufgezeichnet und Schreie von Schweinen in Buchten mit Schwanzbeißereignissen retrospektiv ausgewertet. Es wurden 2.846 Schreie aus vier Buchten erfasst. Diese entstanden zu 53,6 % durch Schwanzbeißen, kamen zu 24,9 % aus anderen Buchten, 8,7 % waren nicht zuzuordnen und 12,8 % traten wegen anderer Manipulationen an den Schweinen auf. Die Tätertiere konnten, anhand der Kombination aus Schreianalyse und Videos, ein bis neun Tage vor ihrer Ausstallung durch das Stallpersonal, mit Hilfe der angewandten Methode erkannt werden. Ein Monitoringsystem, welches die Tiervokalisation in Verbindung mit Videobildern nutzt, hat das Potential, Tierhaltenden auch in ihrer Abwesenheit über den Tierwohlstatus in ihrem Bestand zu informieren und die sofortige Handlungsfähigkeit zu erhöhen. 54 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

Schwein ___________________________________________________________________________________________________________ Herausforderungen und Probleme Trotz vielversprechender Ergebnisse traten im Verlauf des Projektes diverse technische Schwierigkeiten auf. Vor allem die Datenvernetzung zwischen den Systemen, Netzwerkausfälle, aber auch die individuelle Erkennung der Tiere, sowie die Haltbarkeit einzelner Sensoren und der Pflegeaufwand der Technik stehen derzeit einer flächendeckenden Nutzung von PLF in der Schweinehaltung entgegen. Für eine Anwendung in der Praxis müssen robuste Systeme unter Anwendung von verlässlichen Algorithmen mit einer guten Interoperabilität zwischen Herstellerfirmen geschaffen werden. Erste Ergebnisse zeigen deutlich das Potential, welches in der Weiterentwicklung sensorbasierter Stalltechnologien liegt. Danksagung Die Förderung des Vorhabens erfolgt aus Mitteln des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) aufgrund eines Beschlusses des deutschen Bundestages. Die Projektträgerschaft erfolgt über die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) im Rahmen der Förderung der Digitalisierung in der Landwirtschaft mit den Förderkennzeichen 28DE109E18 und 28DE109F18. Literatur 1. Erik Vranken, Dries Berckmans, Precision livestock farming for pigs, Animal Frontiers, Volume 7, Issue 1, January 2017, Pages 32–37, https://doi.org/10.2527/af.2017.0106 2. Nicole Kemper, Update on postpartum dysgalactia syndrome in sows, Journal of Animal Science, Volume 98, Issue Supplement_1, August 2020, Pages S117–S125, https://doi.org/10.1093/jas/skaa135 3. EFSA (2007): Scientific Report on the risks associated with tail biting in pigs and possible means to reduce the need for tail docking considering the different housing and husbandry systems. In: The EFSA Journal (611), S.1-13. 4. Schrøder-Petersen, D. L.; Simonsen, H. B. (2001): Tail biting in pigs. In: Veterinary journal (London, England: 1997) 162 (3), S. 196–210. DOI: 10.1053/tvjl.2001.0605. Kontakt Dr. Jeanette Probst; Institut für Tierhygiene, Tierschutz und Nutztierethologie (ITTN), Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover jeanette.probst@tiho-hannover.de 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 55

Schwein ___________________________________________________________________________________________________________ Next Generation Sequencing (NGS) – Überblick und Anwendungsbeispiele für die Praxis Ines Spiekermeier, Henning Bischoff, Marius Beumer, Carina Helmer SAN Group Biotech Germany GmbH, Höltinghausen Einleitung Eine fundierte Diagnostik ist für eine erfolgreiche Bestandsbetreuung unerlässlich. Dazu stehen in der modernen Labordiagnostik vielfältige Methoden zur Verfügung. Im vorliegenden Beitrag wird die molekularbiologische Technologie des Next Generation Sequencing (NGS) näher vorgestellt, die eine Sequenzierung vollständiger Erregergenome ermöglicht. Der Zusatznutzen des NGS im Vergleich zur schnellen und kosteneffektiven Sanger-Sequenzierung liegt in der Unabhängigkeit von erregerspezifischen Primern in Verbindung mit einer deutlich erhöhten Datenausbeute (1). Somit ist auch die Detektion neuer Varianten unabhängig vom Anwendungsbereich sind für den praktizierenden Schweinetierarzt sowohl die ungerichtete als auch die gerichtete Sequenzierung relevant. Bei der ungerichteten Sequenzierung werden alle Nukleinsäuren einer Probe analysiert. So wird ein umfassender Überblick über die vorhandenen Pathogene gegeben. Bei der gerichteten Sequenzierung hingegen werden Nukleinsäuren eines bestimmten Erregers angereichert, so dass die Informationsausbeute für dieses Pathogen erhöht werden kann und phylogenetische Analysen mit höherer Aussagekraft möglich sind. von Mutationen an primer-Bindungsstellen möglich. Ausgehend Methodik der gerichteten und ungerichteten Sequenzierung Das geeignete Probenmaterial für die Sequenzierung ist abhängig von der Hauptlokalisation der Erreger in Assoziation mit der Klinik. So kann beispielsweise im Falle eines Durchfallgeschehens eine Untersuchung von Durchfallkot geeignet sein, bei einer Hustenproblematik ist z. B. eine Lungenprobe geeignet. Generell kann fast jedes Probenmaterial einer Sequenzierung unterzogen werden, wenn ein entsprechendes Protokoll zur Extraktion der Nukleinsäuren vorliegt. Die Probengewinnung für das NGS entspricht der einer PCR-Probe. Dabei sollte allerdings berücksichtigt werden, dass der komplette Nukleinsäuregehalt einer Probe analysiert wird und deshalb eine Kontamination des Probenmaterials vermieden werden sollte. Darüber hinaus sollte beim Pooling von Proben darauf geachtet werden, dass nicht verschiedene Organe mit möglicherweise stark unterschiedlicher mikrobieller Flora gepoolt werden. Zur Abschätzung der Praktikabilität bei einer gerichteten Sequenzierung ist es häufig sinnvoll, den Erreger zuerst mittels PCR nachzuweisen, um so den Erfolg einer Vollgenomsequenzierung abzuschätzen. Eine große Bedeutung kommt der bioinformatischen Analyse beim NGS zu. Nach dem Filtern der Sequenzergebnisse basierend auf Qualitätsmerkmalen, die während des Sequenzierungsprozesses gesammelt werden, beginnt eine taxonomische Einordnung der Sequenzen. Dabei werden gewonnene Sequenzfragmente jeweils einem nächsten Verwandten zugeordnet. Basierend auf diesem Verfahren kann innerhalb kurzer Rechenzeit eine Übersicht darüber erzeugt werden, welche Erreger sich in der Probe nachweisen lassen. Außerdem wird im Rahmen der sog. „de-novo assembly“ nach identischen Sequenzen innerhalb der Sequenzfragmente gesucht, die für eine Konkatenation der Reads genutzt werden können. Somit lassen sich viele kurze Sequenzfragmente zu längeren Abschnitten zusammenfügen, sofern ausreichend Sequenzdaten vorliegen. So können auch Genome bisher gänzlich unbekannter Erreger generiert werden. Bei der gerichteten Sequenzierung werden nach dem Assembly jene gewonnenen Sequenzen identifiziert, die dem Zielerreger zugeordnet werden. Diese Sequenzen werden dann entsprechend der erregerspezifischen Anforderungen ausgewertet. Anwendungsgebiete in der tierärztlichen Praxis Je nach diagnostischer Fragestellung ist zu entscheiden, ob die ungerichtete oder gerichtete Sequenzierung als diagnostisches Tool herangezogen werden sollte. 56 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

Schwein ___________________________________________________________________________________________________________ Die ungerichtete Sequenzierung bietet sich vor allem für Praxisfälle an, bei denen entweder keine konkrete Verdachtsdiagnose vorliegt oder die vorhandenen Verdachtsdiagnosen bereits ausgeschlossen wurden, allerdings dennoch ein infektiöses Geschehen vermutet wird. Somit können auch seltene Erreger, für die keine PCR-Methoden verfügbar sind, oder Erreger, die nicht in Standardkultur wachsen, nachgewiesen werden. Auch besteht die Möglichkeit bisher unbekannte Erreger zu detektieren. Wichtig ist dabei eine gewissenhafte Einordnung und Unterteilung der gefundenen Erreger in Kommensalen und krankheitsauslösende Keime. Die gerichtete Sequenzierung findet beim Schwein besonders für Erreger Anwendung, die einer großen genetischen Variabilität unterliegen, beispielsweise Influenza- oder PRRS-Viren. Während beispielsweise die klassische Sanger-Sequenzierung des Open-Reading Frame 5 (ORF5) bei der PRRSV-Analyse nur einen bestimmten Teil des Gesamtgenoms abdeckt, können mittels NGS bei ausreichender Datenlage auch Rekombinationen in anderen Teilen des Gesamtgenoms detektiert und somit der Anteil an falsch klassifizierten „Vaccine-like“ Stämmen reduziert werden (2, 3). Zusammenfassung NGS hat sich für die Routinetätigkeit in der tierärztlichen Praxis zu einem nutzbaren Tool entwickelt, aus dem ein diagnostischer Mehrwert generiert werden kann. Literatur 1. 2. 3. Hu T, Chitnis N, Monos D et al. Next-generation sequencing technologies: An overview. Human Immunology. 2021;82(11):801-11. Seung-Chai K, Sung-Hyun M, Chang-Gi J et al. Whole-genome sequencing and genetic characteristics of representative and respiratory syndrome virus (PRRSV) isolates in Korea. Virology J. 2022;19:66. Lalonde C, Provost C, Gagnon CA. Whole-Genome sequencing of Porcine Reproductive and Respiratory Syndrome Virus from field clinical samples improves the genomic surveillance of the virus. J of Clin Micorbiol. 2020;58(11). Kontakt Dr. Ines Spiekermeier; SAN Group Biotech Germany GmbH, Höltinghausen ines.spiekermeier@san-group.com 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 57

Schwein ___________________________________________________________________________________________________________ PCV2-SD bei geimpften Ferkeln René Renzhammer1, Bettina Fasching2, Heinrich Kreutzmann1, Andrea Ladinig1, Christine Unterweger 1Universitätsklinik für Schweine, Veterinärmedizinische Universität Wien; 2Genostar GmbH, Gleisdorf Vorbericht Anfang Dezember 2022 wurden vom Landwirt eines kombinierten PRRS-unverdächtigen Betriebes mit 240 Zuchtsauen im Drei-Wochen-Rhythmus in einem Gebiet mit hoher Schweinedichte erstmals Probleme mit Kümmern bei ca. einem Viertel der zwei Wochen abgesetzten Ferkeln beobachtet. Die Mortalitätsrate jener Absetzgruppe betrug 4 %. Bei der darauffolgenden Absetzgruppe fielen ebenfalls ca. zwei Wochen nach dem Absetzen Kümmern (ca. 50 %) sowie eine erhöhte Mortalitätsrate (5,6 %) auf. Interessant war vor allem der Umstand, dass ca. 2 % der Absetzferkel eine ikterische Hautfarbe aufwiesen. Aufgrund dessen wurden unverzüglich alle Futterkomponenten zum Ausschluss alimentär bedingter Ursachen von Ikterus und Kümmern ausgetauscht. Des Weiteren nahm die Betreuungstierärztin am 2. Jänner 2023 Kontakt mit der Universitätsklinik für Schweine der Veterinärmedizinischen Universität Wien zum Ausschluss infektiös bedingter Ursachen für den observierten Ikterus auf. Erste Schritte Im ersten Schritt wurden von fünf Ferkeln mit ikterischer Hautfarbe Blutproben entnommen und mittels PCR auf DNA von Porzinem Circovirus 2 (PCV2) bzw. Mycoplasma (M.) suis untersucht. Während die PCR zum Nachweis von M. suis DNA negativ verlief, konnte in den Serumproben PCV2 DNA in einer Höhe von 105 – 2*109 Genomäquivalenten (GE)/ml Serum nachgewiesen werden. Fragestellungen Wenngleich die mittels quantitativer PCR nachgewiesenen hohen Mengen an PCV2 DNA als ein Indikator für PCV2 – systemic disease (SD) gelten, war die Trias zur Diagnosestellung von PCV2 –SD noch nicht erfüllt. Des Weiteren stellte sich insbesondere die Frage, wieso diese hohen Mengen an PCV2 DNA im Serum der in der vierten Lebenswoche gegen PCV2 geimpften Aufzuchtferkel nachgewiesen werden konnten. Aufgrund dessen wurde am 14. Jänner ein Betriebsbesuch zum Auffinden möglicher Ursachen durchgeführt. Dabei wurde der Fokus insbesondere auf folgende potentielle Probleme gelegt: 1. Fehler bei der Impfstofflagerung, bzw. Impfstoffapplikation 2. Management bedingte Probleme 3. Ausschluss von Infektionserregern, welche mit Immunsuppression assoziiert werden Betriebsbesuch Alle Impfstoffe wurden in einem sich in der Hygieneschleuse befindlichen Kühlschrank gelagert, welcher zum Zeitpunkt des Betriebsbesuches eine Temperatur von 6 °C aufwies. Den Aussagen des Landwirtes zu Folge wurden immer 2 ml der PCV2 Vakzine appliziert und Impfflaschen noch am Tag des Anbruches komplett aufgebraucht. Während die Impfpistolen regelmäßig gereinigt wurden, wurden beim Impfen der Saugferkel die Impfnadeln zwischen den Würfen nicht gewechselt. Am Betrieb befanden sich insgesamt vier verschiedene Abferkelabteile, deren Abferkelbuchten sich in Anzahl sowie Erbauungszeit stark unterschieden. Aufgrund dessen war eine Trennung der Abferkelgruppen und folglich die Belegung im Rein/Raus-Verfahren sowie eine raumweise Reinigung und Desinfektion nicht adäquat durchführbar. Während die Sauen vor dem Einstallen in die Abferkelung nicht gewaschen wurden, wurde der Kot hinter den Sauen mehrmals täglich entfernt. Des Weiteren dauerte die Abferkelung einer Gruppe meistens über einen Zeitraum von fünf Tagen an. Zum Zeitpunkt des Betriebsbesuches waren einige lebensschwache Saugferkel auffällig. Ein Wurfausgleich fand über die gesamte Säugephase bei ca. einem Drittel der Saugferkel statt. 58 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

Schwein ___________________________________________________________________________________________________________ Alle (ca. 450) Absetzferkel wurden gleichzeitig am ca. 25. Lebenstag nach ihrer Größe sortiert und in zwei Absetzabteile, welche im konsequenten Rein-Raus-Verfahren belegt sowie zuvor gereinigt, desinfiziert und auf 30 °C vorgeheizt wurden, abgesetzt. Während sich im ersten Absetzabteil sechs Buchten á ca. 50 Ferkel befanden, verfügte das zweite Absetzabteil über vier Buchten mit je 40 Tieren. Zum Zeitpunkt des Betriebsbesuches befand sich bereits die dritte Absetzgruppe mit klinischen Symptomen im Flatdeck. Bei jenen bereits drei Wochen abgesetzten Ferkeln betrug die Mortalitätsrate bereits 4,9%. Auffällig waren in beiden Absetzabteilen vor allem Auseinanderwachsen sowie ein vermindertes Allgemeinverhalten bei einigen Ferkeln. Außerdem fielen einige Kümmerer sowie Ferkel mit mindergutem bzw. schlechtem Ernährungszustand auf (Tabelle 1). Auffällig war bei einigen Ferkeln zusätzlich das vermehrte Auftreten von Niesen sowie eine erhöhte innere Körpertemperatur (IKT). Im zweiten Absetzabteil (Buchten 7 – 10) wurde bei einigen Ferkeln Husten beobachtet. Tabelle 1: klinische Untersuchung der Tiere in beiden Absetzabteilen Bucht Ferkel gesamt N (Kümmerer) Respiratorische Symptome Innere Körpertemperatur Abteil 1 2x Husten & 35x Niesen in 2,5 Minuten 0x Husten & 33x Niesen in 2,5 Minuten 39.7°C; 39.9°C; 40.0°C; 40;1°C 39.8°C; 40.9°C Nicht gemessen Nicht gemessen Nicht gemessen 39.7°C; 39.7°C; 39.8°C Nicht gemessen 39.9°C, 40.2°C Nicht gemessen 39.5°C; 39.6°C; 39.8°C; 40.4°C Abteil 2 96x Husten in 2.5 Minuten 39°C, 39.4°C, 39.5°C, 39.6°C, 39.7°C, 39.8°C, 40.8°C Nicht gemessen 39.9°C, 40.4°C, 40.7°C, 40.8°C Nicht gemessen 39.7°C, 39.8°C, 40.4°C Nicht gemessen 39.7°C, 39.7°C, 39.8°C, 40.4°C, 40.4°C 8 10 6 3 5 8 12 14 9 13 45 46 49 51 44 41 34 34 36 42 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 Aufgrund dessen wurden von zehn Ferkeln mit einer IKT über 40 °C Nasentupfer und Serumproben entnommen. Mittels RT-PCR konnten in den am Betrieb entnommenen Serumproben bzw. Nasentupfern weder RNA von PRRSV noch RNA von Influenza A Virus (IAV) nachgewiesen werden. Im Rahmen der Betriebsbegehung wurden außerdem vier Ferkel mit typischen Symptomen ausgewählt, welche am folgenden Montag weiterführend untersucht werden sollten. Pathologische Untersuchung der vier Ferkel Pathoanatomisch waren bei allen vier Tieren hgr. vergrößerte Lymphonodi (Lnn.) mediastinales sowie eine Konsolidation der Spitzen – sowie Mittellappen auffällig. Pathohistologisch wiesen die Lungen aller vier Tiere pneumonisch veränderte Areale sowie Infiltrate mit neutrophilen Granulozyten und Makrophagen auf. Auffällig 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 59

Schwein ___________________________________________________________________________________________________________ war außerdem bei allen Ferkeln eine mgr. peribronchiale und perivaskuläre Fibroplasie. Des Weiteren wurden in den Lnn. inguinales superficiales, Lnn. mesenterii sowie den Peyer’schen Platten bei Ferkel 3 und 4 eine hgr. Lymphozytendepletion sowie bei Ferkel 1 und 2 Infiltrate mit Histiozyten sowie mehrkernigen Riesenzellen nachgewiesen. Als besonders bemerkenswert präsentierten sich die pathohistologischen Läsionen der Lebern. Während bei drei Ferkeln mgr. – hgr. Infiltrate mit Lymphozyten bzw. Histiozyten sowie hypereosinophile Hepatozyten mit pyknotischem Zellkern auffällig waren, wiesen die Leberbälkchen von zwei dieser Tiere eine hgr. Dissoziation auf. Mikrobiologische/Virologische Untersuchungen: Aufgrund der Tatsache, dass Ferkel 4 von Sonntag auf Monat verendete, wurden die bakteriologischen sowie hämatologischen Untersuchungen lediglich bei Ferkel 1 – 3 durchgeführt (Tabelle 2). Tabelle 2: Weiterführende Untersuchungen der vier selektierten Ferkel. Untersuchungsmeth ode M. hyopneumoniae PCR Probenmaterial Ferkel 3 Ferkel 1 Ferkel 2 Negativ negativ Ferkel 4 Lunge negativ negativ M. hyorhinis Anzucht Bakteriologische Untersuchung Bakteriologische Untersuchung Leptospira spp. PCR Lunge + ++ +++ ++ Lunge negativ S. suis (+) S. suis +++ P. multo- cida ++ - Milz, Leber, Niere negativ negativ negativ negativ Milz, Leber, Niere negativ negativ negativ negativ PRRSV1 ORF1 RT- qPCR Lunge, Tonsille, Lnn. tracheo- bronchialis negativ negativ negativ negativ IAV RT-PCR Lunge negativ negativ negativ negativ PCV2 qPCR PCV2 ISH Ln. inguinalis superficialis Ln. inguinalis superficialis, Leber, Lunge 3.3 x 1011 GE/g 4.7 x 1011 GE/g 4.2 x 1011 GE/g 3.9 x 1011 GE/g +++ +++ +++ +++ Mittels Genotyp-spezifischer PCR konnten für PCV2d – typische Nukleotidsequenzen nachgewiesen werden. Follow up Zur Feststellung, ob die Ferkel bereits vor der Geburt mit PCV2 infiziert waren, wurden in weiterer Folge wurden Herzen von vier totgeborenen Ferkeln entnommen und mittels qPCR ebenfalls auf PCV2 DNA untersucht. In drei von vier Herzen konnten geringe Mengen an PCV2 DNA (< 105 GE/g Gewebe) nachgewiesen werden. Aufgrund des Nachweises von PCV2-DNA in den Herzen der totgeborenen Ferkel wurden im Anschluss alle Sauen bestandsweise zweimalig im Abstand von vier Wochen gegen PCV2 vakziniert. 60 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

Schwein ___________________________________________________________________________________________________________ Des Weiteren wurden ab Ende Jänner alle Ferkel zweimalig – in der ersten sowie vierten Lebenswoche – mit einer auf PCV2a und PCV2b basierenden Vakzine geimpft. Während bei den Ende Jänner abgesetzten Ferkeln, welche lediglich einmalig mit jener Vakzine geimpft worden sind, Symptome wie Kümmern und Ikterus noch auffällig waren, wurde bei der darauf folgenden Absetzgruppe Kümmern lediglich bei ca. 5 % der abgesetzten Ferkel beobachtet. Sowohl die Anzahl der kümmernden Ferkel als auch die Mortalitätsrate in der Aufzucht sind vom damaligen Zeitpunkt an auf demselben Niveau wie vor dem Beginn der Problematik. Wenngleich die Änderung des Impfstoffes sowie des Impfregimes zu einer Besserung der Symptome geführt hat, bleibt offen, worin nun das tatsächliche Problem für das Auftreten von PCV2-SD bei den geimpften Tieren lag. Nichtsdestotrotz zeigt der Fall, wie essentiell die Auswahl des geeigneten Impfzeitpunktes bzw. Impfregimes gegen PCV2 sind. Jene können von Betrieb zu Betrieb stark variieren, da sie von mehreren Faktoren – wie beispielsweise dem Infektionszeitpunkt, dem Virusisolat oder der maternalen Immunität – abhängen. Aufgrund dessen ist es empfehlenswert jene Punkte regelmäßig zu überprüfen bzw. zu hinterfragen, um das Impfregemime ggf. an die aktuelle Situation anpassen zu können. Kontakt Dr. René Renzhammer; Universitätsklinik für Schweine, Veterinärmedizinische Universität Wien rene.renzhammer@vetmeduni.ac.at 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 61

Schwein ___________________________________________________________________________________________________________ Lahmheiten bei Mastschweinen Steffanie Senf Klinik für Schweine der LMU München, Oberschleißheim In einem süddeutschen Schweinebestand (70 Sauen) wurden ab circa 50 kg KGW bei 8 % der Tiere Lahmheiten mit umfangsvermehrten Gelenken beobachtet. Die Tiere zeigten eine kyphotische Rückenlinie, Zehenspitzengang, entlasteten die Hintergliedmaßen, lagen viel und blieben im Wachstum zurück. Betroffene Tiere wurden separiert und mit Lincomycin antibiotisch behandelt, woraufhin sich keine Besserung zeigte. Die Gabe von Glukokortikoiden führte nur zu einer kurzfristigen Linderung. In der Regel mussten die erkrankten Tiere euthanasiert werden. Pathologisch-anatomisch zeigten sich die Gelenke von zwei Mastschweinen gering- bis mittelgradig mit gelb-flockigem, viskösem Inhalt gefüllt. Radiologisch konnten osteophytäre Zubildungen am Carpus und Tarsus bis hin zu Ankylosierungen sowie subchondrale Sklerosierungen detektiert werden. Bei der bakteriologischen Untersuchung eines Gelenkstupfers konnte Erysipelothix (E.) rhusiopathiae isoliert werden. Die mikrobiologische Untersuchung (Gelenkkapsel) auf Mycoplasma (M.) hyosynoviae, M. hyorhinis, Streptococcus suis und Glaesserella parasuis verlief negativ. Die Ergebnisse der durchgeführten Untersuchungen in Kombination mit dem Vorbericht sowie dem klinischen Erscheinungsbild sprechen für eine chronische E. rhusiopathiae-Infektion, welche in diesem Fall zu den Gelenksläsionen führte. Mit fortschreitender Krankheitsdauer kommt es zu periartikulären Fibrosierungen und weitreichender Gelenkknorpelzerstörung mit nachfolgender Ankylosierung des Gelenkes. Mögliche Ursachen für das klinische Auftreten von Rotlauferkrankungen im Bestand wären einerseits ein Antikörper- Mangel und andererseits eine schlechte Abwehrlage durch Stressoren sowie Hygienemängel. Bei akutem Rotlauf ist eine frühzeitige Therapie indiziert. Das Bakterium ist sehr empfindlich gegenüber Penicillin, weshalb dies weiterhin das Mittel der Wahl darstellt (1). Zusätzlich sollte der Einsatz von Glukokortikoiden oder nichtsteroidalen Antiphlogistika als Entzündungshemmer in Erwägung gezogen und erkrankte Tiere separiert werden. Aufgrund des geringen therapeutischen Erfolgs bei chronischem Rotlauf sind präventive Maßnahmen von großer Bedeutung. Zur Prophylaxe werden üblicherweise die Sauen mit inaktivierten Kombinationsimpfstoffen (Parvo/Rotlauf) termin- oder reproduktionsorientiert geimpft. Während Infektionen mit Erysipelothrix spp. jahrzehntelang nur minimale Auswirkungen auf die Viehbestände hatten, scheint die Krankheit jetzt wieder vermehrt aufzutauchen (2-5). Diskutierte Gründe für das erneute Auftreten sind ein mangelhafter Impfschutz durch die aktuell verfügbaren Impfstoffe, Änderungen der Tierschutzbestimmungen, welche mehr organisches Anreicherungsmaterial wie Stroh vorschreiben, eine Zunahme der ökologischen Landwirtschaft sowie der Auslauf- und Freilandhaltung, die Reduktion der Anwendung antimikrobieller Wirkstoffe sowie Klimaveränderungen (2). Literatur 1. Opriessnig T, Coutinho TA: Erysipelas. In: Zimmerman JJ, Karriker LA, Ramirez A, et al., Herausgeber. Diseases of Swine. 11. Aufl. John Wiley & Sons, Inc; 2019. S. 835-43. 2. Opriessnig T, Forde T, Shimoji Y. Erysipelothrix Spp.: Past, present, and future directions in vaccine research. Front Vet Sci. 2020; 7: 174. 3. Gerber PF, MacLeod A, Opriessnig T. Erysipelothrix rhusiopathiae serotype 15 associated with recurring pig erysipelas 4. 5. outbreaks. Vet Rec. 2018; 182: 635. To H, Sato H, Tazumi A, et al. Characterization of Erysipelothrix rhusiopathiae strains isolated from recent swine erysipelas outbreaks in Japan. J Vet Med Sci. 2012; 74(7): 949-53. Zou Y, Zhu X, Muhammad HM, et al. Characterization of Erysipelothrix rhusiopathiae strains isolated from acute swine erysipelas outbreaks in Eastern China. J Vet Med Sci. 2015; 77(6): 653-60. Kontakt Dr. Steffanie Senf; Klinik für Schweine der LMU München, Oberschleißheim s.senf@lmu.de 62 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

Schwein ___________________________________________________________________________________________________________ Laktationsrausche – Eine Statuserhebung Hannah Meckel1,4, Andreas Palzer2, Hendrik Tietje3, Johannes Kauffold4 1Tierärzte Hohenlohe, Dres. Wesselmann & Zankl Partnerschaft, Wallhausen; 2Tierarztpraxis Scheidegg, Scheidegg; 3Statistikamt Nord, Referat 23: Umwelt, Energie, Gesamtrechnungen, Preise, Tourismus, FDZ, Analysen Kiel; 4Universität Leipzig, Veterinärmedizinische Fakultät, Klinik für Klauentiere, Abt. Schweine und Reproduktionsbiologie, Leipzig Einleitung Die laktierende Sau ist obligat anöstrisch, so „sagen“ es einschlägige Lehrbücher. Grund dafür sind endokrine Ereignisse, die durch das Saugen der Ferkel negativ auf das Gonadotropin-Releasing-Hormon (GnRH) und die Gonadotropine LH und FSH rückkoppeln. Durch deren verminderte Verfügbarkeit ist das Follikelwachstum gehemmt oder reduziert; eine Ovulation bleibt aus. Eine katabole Stoffwechsellage in der Abferkelung mag zusätzlich negativ wirken (über Insulin/IGF-I vermittelt). Soweit die Theorie. Tatsächlich mehren sich Berichte über Sauen mit Laktationsrausche. Derartige Sauen weisen in der dritten, vornehmlich vierten Laktationswoche eine Brunst auf, die in der Mehrzahl der Tiere mit einer Ovulation verbunden ist. Dieses Phänomen betrifft gelegentlich bis zu 20 % der Sauen und hat möglicherweise saisonalen Charakter (6). Die Gründe dafür sind nicht wirklich bekannt. Kurzzeitiges gewolltes oder ungewolltes Unterbrechen des Saugens der Ferkel wird als Ursache vermutet, wie es z.B. bei Ammensauen zu beobachten oder bei dem Verfahren des „split-weaning“ gewollt ist. Ziel dieser Untersuchungen war die Erfassung der Häufigkeit von Laktationsrausche in Betrieben in Süddeutschland und die Identifizierung möglicher Ursachen. Ausgewählte Ergebnisse dieser Studie werden präsentiert. Tiere, Material & Methoden Die Untersuchungen erfolgten zwischen März 2022 und März 2023. Insgesamt wurden 7 Ferkelerzeugerbetriebe in unterschiedlichen Regionen Süddeutschlands inkludiert. Alle Betriebe arbeiteten mit 4-wöchiger Säugezeit und 3-Wochen- bzw., im Betrieb 7, 1-Wochen Rhythmus. Die Betriebe beherbergten zwischen 180 – 1.800 Sauen. Nach dem Absetzen (Donnerstag) gelangten die Sauen ins Deckzentrum, in dem sie in Kastenständen standen. Die Gruppengröße betrug 24 – 130 Sauen. Die Brunstkontrolle begann am Samstag und wurde ab dann zweimal täglich morgens und abends immer mithilfe eines Ebers durchgeführt. In allen Betrieben wurde das Follikelwachstum stimuliert, indem eCG/PMSG (1000 IE; Pregmagon®, Ceva Tiergesundheit GmbH, Düsseldorf, Deutschland; in Betrieben 1,2,3,5,6 & 7) oder Peforelin (2 ml; Maprelin®, Veyx-Pharma GmbH, Schwarzenborn, Deutschland; im Betrieb 4) 24 Stunden nach dem Absetzen verabreicht wurde. In den Betrieben 4,5 & 7 wurde duldungsorientiert besamt. In den Betrieben 1,2,3 und 6 wurde zusätzlich ein GnRH-Analogon (1 ml; Gonavet®, Veyx-Pharma GmbH) verabreicht, um die Ovulation auszulösen. In diesen Betrieben wurde terminorientiert besamt. Hauptbesamungstag war immer der Montag, an dem unabhängig von duldungs- oder terminorientiert zweimal besamt wurde (morgens & abends). Insgesamt wurden 719 Sauen inkludiert (100-110 Sauen pro Betrieb). Keine der Sauen diente als Amme. Die Sauen waren unterschiedlicher Genetik (Topigs, BW-Genetik, German Genetic, Hermitage LW, Choice- Namia) und unterschiedlichen Alters (Parität 1-11). Die Betriebe wurden gewöhnlich alle 2-3 Monate besucht. Dabei wurden je nach Größe der Besamungsgruppe 20-25 Sauen einmalig am Hauptbesamungstag nach der morgendlichen Besamung transkutan ulltrasonographisch untersucht, um die Ovarien bzw. dessen Funktionskörper zu beurteilen (2). Ziel war vor allem, den Anteil der Tiere mit Laktationsrausche zu erfassen (basierend auf dem Nachweis von Corpora lutea). Für die ultrasonographischen Untersuchungen kam das Ultraschallgerät Vinno5Vet® (Physia GmbH, Neu-Isenburg, Deutschland) zur Anwendung (Konvexschallkopf, Frequenz 9 MHz, Eindringtiefe 8 cm, Gain 65), das gleichfalls für die Erfassung der Rückenspeckdicke verwendet wurde (4;5). Zeitgleich wurden die Sauen bonitiert (Schema nach (1), mit einer Skala von 1-6). Zudem wurden ausgewählte Produktionsdaten erfasst, zu denen unter u.a. anderem Trächtigkeitsdauer und 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 63

Schwein ___________________________________________________________________________________________________________ Wurfcharakteristika gehörten. Zu anderen erfassten Parametern gehörte u.a. die Saison (Monat der Besamung). Ergebnisse Insgesamt wiesen 35 (4,9 %) der insgesamt 719 untersuchten Sauen am Hauptbesamungstag Copora lutea (Gelbkörper) auf, die Resultat einer Laktationsrausche waren (Tabelle 1). Es handelte sich um Sauen der Paritäten 1-8. Sie wiesen entweder keine oder keine „ausgeprägten“ Brunstsymptome auf. Der Anteil an Sauen mit Laktationsrausche variierte betriebsabhängig (p = 0,036). So war er im Betrieb 3 (1,0 %) kleiner als im Betrieb 7 (8,7 %). Der überwiegende Anteil der Sauen wies am Hauptbesamungstag peri-ovulatorische Funktionskörper auf (Corpora haemorrhagica oder/und präovulatorische Follikel; Tabelle 1) und war in Brunst. Drei Sauen (eine in Betrieb 2, zwei in Betrieb 7) wiesen ausschließlich ovarielle Zysten (POD, polyzystische Ovardegeneration) auf. In Tabelle 2 sind Sauen mit Laktationsrausche denen mit normaler Brunst gegenübergestellt. Parität sowie Trächtigkeits- und Laktationsdauer unterschieden sich nicht. Die Anzahl insgesamt geborener Ferkel war gleich. Interessant ist, dass Sauen mit Laktationsrausche besser konditioniert waren, höhere Ferkelverluste aufwiesen und weniger Ferkel absetzten. Die Saison hatte keinen Einfluss auf das Auftreten von Laktationsrausche. Tabelle 1. Ovarielle Funktionskörper von Altsauen in 7 Betrieben bei ultrasonographischer Untersuchung am Hauptbesamungstag (n = 719) Ovarielle Funktionskörper n CL CH CH & Präovulatorische Follikel Präovulatorische Follikel POD Betrieb 1 2 3 4 5 6 7 110 100 100 100 105 101 103 6 0 33 71 0 2 0 27 70 1 1 0 21 78 0 8 1 31 60 0 2 2 35 66 0 7 1 17 76 0 9 2 29 61 2 CL: Corpora lutea; CH: Corpora haemorrhagica; Präovulatorische Follikel: sprungreife Follikel; POD: Polyzystische Ovardegeneration Tabelle 2. Produktionsdaten und Wurfcharakteristika von Sauen mit oder ohne Corpora lutea (CL) P-Value3 Parameter Parität 0,1205 0,6478 Trächtigkeitsdauer 0,4973 Laktationsdauer 0,0004 BCS IGF 0,2660 0,0001 Ferkelverlust AgF 0,0001 Sauen ohne CL2 MW ± SD 3,25 ± 1,90 114,64 ± 1,26 26,39 ± 2,26 2,98 ± 0,52 16,69 ± 3,74 2,81 ± 2,36 12,48 ± 1,91 Sauen mit CL1 MW ± SD 3,74 ± 1,90 114,46 ±1,44 25,93 ± 2,98 3,14 ± 0,50 17,43 ± 3,16 5,57 ± 1,99 9,34 ± 3,20 1Sauen mit Laktationsrausche; 2Sauen mit Brunst; 3Kruskal-Wallis; BCS: Body Condition Score; IGF: Insgesamt geborene Ferkel; AgF: Abgesetzte Ferkel 64 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

Schwein ___________________________________________________________________________________________________________ Diskussion In dieser Studie konnte bestätigt werden, dass Laktationsrausche bei „normal“ laktierenden Sauen (das heißt keine Ammensauen) vorkommt. Dazu zählen Sauen, die Gelbkörper oder POD (ovarielle Zysten) aufwiesen. Die mit Gelbkörper hatten eine Ovulation, die mit POD sehr wahrscheinlich Follikelwachstum ohne Ovulation. Das Phänomen tritt betriebsübergreifend auf, ist in seiner Häufigkeit aber betriebsspezifisch. Es handelte sich um Sauen unterschiedlicher Paritäten (1-8), die sich dahingehend und in der durchschnittlichen Laktationslänge nicht von Sauen mit „normaler“ Brunst nach dem Absetzen unterschieden. Es betraf mehrere Zuchtlinien/Genetiken, die - basierend auf der durchschnittlichen Anzahl insgesamt geborener Ferkel – alle als mehr oder weniger proliferativ einzuschätzen sind (detaillierte Daten nicht in dieser Zusammenfassung genannt). Anders als vormals berichtet bzw. suggeriert konnte in dieser Studie kein saisonaler Effekt nachgewiesen werden (6;7). Möglicherweise war die Anzahl untersuchter Sauen/Betrieb/Saison zu gering, um einen derartigen Effekt zu detektieren. Wesentliche Ergebnisse dieser Untersuchung bei derzeitigem Auswertungsstand sind, dass es sich bei Sauen mit Laktationsrausche i) offensichtlich um besser konditionierte Sauen und ii) solche mit geringerer Laktationsleistung handelte (basierend auf der Anzahl abgesetzter Ferkel). So mag sich in dieser Studie folgendes Zusammenspiel zugetragen haben: Weniger Ferkel saugen weniger. Es ist das Saugen der Ferkel, dass das Follikelwachstum während der Laktation inhibiert und die laktierende Sau in die Anöstrie zwingt (soweit die Theorie; siehe Einleitung). Je geringer die Intensität des Saugens, desto geringer die Inhibition. Weniger Ferkel bedeuten aber auch weniger Milchproduktion. Diese laktierende Sau ist metabolisch weniger gefordert als Sauen mit mehr Ferkeln. Das für das Follikelwachstum, funktioniert besser oder, im Falle von Sauen mit Laktationsrausche, früher als bei „normal“ agierenden Sauen. Beide Elemente mögen „Laktationsrausche“ erklären. Insulin/IGF-I- System, gleichfalls notwendig Die extremen Ferkelverluste, weitaus höher bei Sauen mit Laktationsrausche im Vergleich zu solchen mit normaler Brunst, mögen in oben skizziertem Szenario gleichfalls Bedeutung besitzen. So ist anzunehmen, dass Würfe von Sauen mit Laktationsrausche „irgendwann“ in der Laktation ernsthaft krank wurden; einige der Ferkel verendeten, andere, vermutlich gleichfalls erkrankte, genasen. All diese reduzierte die Intensität des Saugens. Basierend auf den Ergebnissen bei jetzigem Auswertungsstand ist anzunehmen, dass Laktationsrausche Resultat verminderten Saugens und eines weniger strapazierten Metabolismus in der Laktation ist. Sollte das Ziel sein, Laktationsrausche (die per se keine Erkrankung ist) zu vermeiden, sind beide Elemente zu adressieren. Alternativ können Sauen mit Rausche in der Laktation besamt werden (3). Literatur 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. Bilkei G, Bölcskei A. Die Auswirkung der Fütterung im letzten Trächtigkeitsmonat auf die perinatalen Parameter bei verschiedener Körperkondition und Parität der Muttersauen. Tierärztliche Umschau. 1993;48:629–635. Kauffold J, Peltoniemi O, Wehrend A, Althouse GC. Principles and Clinical Uses of Real-Time Ultrasonography in Female Swine Reproduction. Animals (Basel). 2019;9(11):950. Kongsted AG, Hermansen JE. Induction of lactational estrus in organic piglet production, Theriogenology. 2009;72(9):1188-1194. Müller S, Polten S. Vergleichsuntersuchungen zur Ultraschall-Speckdickenmessung beim Schwein im Rahmen der Eigenleistungsprüfung. Archiv Tierzucht. 2004;47(3):249-263. Peppmeier ZC, Howard JT, Knauer MT, Leonard SM. Estimating backfat depth, loin depth, and intramuscular fat percentage from ultrasound images in swine. animal. 2023;17(10):1751-7311. Sigmarsson H, Legler N, Kauffold J. Laktationsrausche ein Update. Leipziger blaue Hefte. 2016;8(5):199-202. Sigmarsson H, Kauffold J. Incidence and fertility of sows with lactational estrus in a mid-size commercial sow farm with danish genetic. Proceedings 24th IPVS/8th ESPHM 2016; 08.06.2016; Dublin. p.115. Kontakt Hannah Meckel, Tierärzte Hohenlohe, Wallhausen meckel@tierarztpraxis-hohenlohe.de 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 65

Schwein ___________________________________________________________________________________________________________ Das ABC der Rotaviren – wenn Durchfall die Hauptrolle spielt Maxi Harzer1, Belinda Euring1, Kristin Heenemann1, Antje Rückner2, Thomas W. Vahlenkamp1 1Institut für Virologie, Veterinärmedizinische Fakultät der Universität Leipzig; 2Klinikum St. Georg gGmbH, Leipzig Bedeutung und Ziel der Studie therapeutischer Interventionen kommt es Durchfall gehört zu den häufigsten Erkrankungen der Ferkel (1). Dies beeinflusst sowohl die Wirtschaftlichkeit der Ferkelproduktion, als auch das Wohlbefinden der Schweine (2). Trotz prophylaktischer und immer noch häufig zu Durchfallerkrankungen, die die durchschnittliche tägliche Gewichtszunahme der betroffenen Tiere erheblich beeinträchtigen. Durchfallerkrankungen sind ein multifaktorielles Geschehen. Neben ernährungsbedingten und stallklimatischen Faktoren spielen verschiedene Erreger (Viren, Bakterien, Parasiten) eine wichtige Rolle. Manche Tierarztpraxen berichten von Einzelfällen, Implementierung von Managementmaßnahmen und angepassten Impfregimen keine Verbesserung der Klinik eintritt. in den ersten Lebenstagen in denen trotz der In welchen dieser Fälle Rotaviren einen nicht zu unterschätzenden Faktor darstellen, wurde retrospektiv analysiert. Methoden und Ergebnisse Es wurden molekularbiologische und serologische Daten von 2018 bis heute ausgewertet. Es zeigte sich dabei, dass Rotaviren trotz der Anwendung spezifischer Impfstoffe langfristig in Beständen zirkulieren können. Dabei entscheiden herdenspezifische Faktoren über das Ausmaß und das zeitliche Auftreten der Klinik. Neben allgemeinen Hygienemaßnahmen ist die Qualität des maternal vermittelten Immunschutzes über das Kolostrum bzw. die Milch ein entscheidender Faktor. Bei ausbleibendem Erfolg trotz des Einsatzes „passender“ Impfstoffe sollte der immunologische Status der Muttersauen zu verschiedenen Zeitpunkten im Reproduktionszyklus erhoben werden. Daraus können sich gegebenenfalls Anpassungen im Management ergeben. Neben diesen immunologischen Schaltstellen entscheidet manchmal auch der nachgewiesene Rotavirus- Stamm über den Erfolg tiermedizinscher Interventionen. So werden bestimmte Sero-/Genotypen innerhalb der Rotaviren der Gruppe A, aber auch Rotaviren der Gruppe C nachgewiesen, für die zum jetzigen Zeitpunkt keine Sero-/Genotypen-spezifischen Vakzinen existieren. Hier gilt es neue therapeutische bzw. prophylaktische Methoden zu entwickeln. Ausblick In diesem Vortrag werden Hinweise zur Aufarbeitung von Rotavirus-Infektionen gegeben. Neben der bloßen Bestandaufnahme wird es dabei auch um immunologische Aspekte und neue therapeutische Ansätze gehen. Literatur 1. Vlasova AN, Amimo JO, Saif LJ. Porcine Rotaviruses: Epidemiology, Immune Responses and Control Strategies. Viruses 2017; 9(3). doi: 10.3390/v9030048. 2. Groth D. Clinical management of rotavirus. In: Proceedings of the 45th AASV Annual Meeting. American Association of Swine Veterinarians; 2014:561-562. Kontakt Maxi Harzer, Institut für Virologie, Veterinärmedizinische Fakultät der Universität Leipzig maxi.harzer@vetmed.uni-leipzig.de 66 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

Schwein ___________________________________________________________________________________________________________ Aus Afrika in die Welt: ASP - ein Global Player Jutta Pikalo1, Kristin Heenemann2, Maxi Harzer2, Thomas W. Vahlenkamp2 1Institut für Parasitologie, Veterinärmedizinische Universität Wien; 2Institut für Virologie, Veterinärmedizinische Fakultät, Universität Leipzig Seit Januar 2021 bis Oktober 2023 ist die Afrikanische Schweinepest (ASP) weltweit in 52 Ländern gemeldet worden. Seit 2021 haben 10 Länder das erste Auftreten der ASP in ihrem Land gemeldet, während 12 Länder die Ausbreitung in neue Gebiete meldeten. Dies zeigt, dass sich die Seuche kontinuierlich in neue Länder und in neue Gebiete in bereits betroffenen Ländern ausbreitet. Diese Ausbreitung bestätigt die globale Bedrohung und unterstreicht, wie wichtig die Umsetzung von Biosicherheitsmaßnahmen, ein frühzeitiges Melde- und Reaktionssystem sowie die Aufrechterhaltung eines hohen Niveaus an Krankheitsbewusstsein bei allen an der Wertschöpfungskette beteiligten Akteuren sind. Der Erreger, das Virus der Afrikanischen Schweinepest (ASPV), infiziert ausschließlich Schweine (Haus-, Wild-, Warzenschweine). Afrikanische Warzen- und Buschschweine beherbergen das Virus und bilden ein natürliches Reservoir. Die ASP hat sich auch in Afrika in den letzten Jahrzehnten weit über ihre traditionellen Grenzen im östlichen und südlichen Afrika hinaus ausgebreitet und ist derzeit in der Mehrzahl der Länder mit einem nennenswerten Schweinebestand auf diesem Kontinent präsent. Wie kommt es trotz vielfältiger Aufklärungs- und Bekämpfungsmaßnahmen dennoch zu dieser weiten Verbreitung der Infektion? Hier sind in den verschiedenen Bereichen (Hausschweinesektor – Eurasische Wildschweine – Interaktion zwischen Hausschweinen und Wildtieren) z.T. länderspezifische Aspekte zu berücksichtigen. Im Hausschweinesektor müssen wirksame Präventions- und Bekämpfungsmaßnahmen für die ASP die Merkmale der Schweineproduktionssysteme und der damit verbundenen Wertschöpfungsketten berücksichtigen. Aus den Grundprinzipien der Übertragung von Infektionskrankheiten geht hervor, dass sich eine Infektionskrankheit umso schneller in einer Population ausbreitet, je höher die Dichte der empfänglichen Tiere und der Schweinehaltungsbetriebe und je höher die Rate der indirekten oder direkten Kontakte zwischen Schweinen und Betrieben ist. Die ASP ist in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Da es bislang keine wirksamen Impfstoffe gibt ist es von entscheidender Bedeutung die verschiedenen Übertragungsmechanismen der ASP innerhalb und zwischen den Betrieben zu verstehen. Bei den meisten Untersuchungen von ASP-Ausbrüchen kann die Einschleppungsquelle nicht zuverlässig identifiziert werden, was von Landwirten und anderen Beteiligten oftmals als Rechtfertigung dafür angesehen wird, keine Änderungen im Biosicherheitsverhalten durchzuführen. Da ASPV über längere Zeit in der Umwelt und in verschiedenen biologischen Matrices überleben kann, spielen kontaminierte Materialien bei der Übertragung eine wichtigere Rolle als bei vielen anderen Infektionskrankheiten. Diese Mechanismen werden von Landwirten und anderen Beteiligten offenbar oftmals unterschätzt. Die Tatsache, dass das Virus in verarbeitetem Schweinefleisch mehrere Wochen lang überlebt, ist für Verbraucher und andere Beteiligte vielfach nicht nachvollziehbar. Die Verflechtung der Lebensmittelsysteme für Schweinefleisch und ihre Verbindungen zu Wildschweinpopulationen spielen eine Schlüsselrolle bei der Aufrechterhaltung des Virus sowohl innerhalb lokaler, nationaler und regionaler Systeme als auch bei der Ausbreitung über große Entfernungen. Trotz einer komplexen Epidemiologie mit weltweit vier potenziell miteinander verbundenen Übertragungszyklen (I) zwischen Warzenschweinen und Weichzecken, (II) zwischen der Umgebung von Wildschweinkadavern und potenziell anfälligen Suiden, (III) zwischen Weichzecken und Hausschweinen und innerhalb von Hausschweinen wird die ASPV- Übertragungsdynamik mit wenigen Ausnahmen vom Hausschweinzyklus innerhalb des Schweinefleisch- Nahrungssystems bestimmt. Dies ist heute in den meisten Teilen Afrikas der Fall, in großen Teilen der betroffenen Länder in Europa und im Kaukasus und in den betroffenen Ländern in Ost- und Südostasien. Die einzigen Ausnahmen sind die Länder der Europäischen Union, in denen die Krankheit unabhängig von Hausschweinen in der Wildschweinpopulation erhalten bleibt und sich fortpflanzt. In der Europäischen Union gibt es einen starken institutionellen Rahmen, in dem politische Maßnahmen recht effektiv durchgeführt werden können. Den meisten betroffenen Ländern in der Europäischen Union ist es daher gelungen, während der (IV) 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 67

Schwein ___________________________________________________________________________________________________________ aktuellen Epidemie eine Ausbreitung der ASP im Hausschweinesektor zu verhindern. In osteuropäischen Ländern jedoch, in denen ein substantieller Anteil des gesamten Schweinebestands von nicht gewerblichen Haltern aufgezogen wird, ist es sehr schwer institutionelle Maßnahmen konsequent durchzuführen. In den ost- und südostasiatischen Ländern ist die Bedeutung des Schweinefleischkonsums sehr unterschiedlich. China und Vietnam haben eine viel schnellere wirtschaftliche Entwicklung durchgemacht als andere Länder mit niedrigem bis mittleren Einkommen in dieser Region und hatten 2017 zusammen mit den EU-Ländern den höchsten Pro-Kopf-Verbrauch an Schweinefleisch weltweit. Thailand hat in den letzten 15 Jahren eine allmähliche wirtschaftliche Entwicklung erfahren. Die Struktur seines Schweinefleischsystems hat sich an die geografisch unterschiedliche Nachfrage nach Schweinefleisch angepasst. Dies bedeutet, dass die großen kommerziellen Schweinezuchtbetriebe jetzt in städtischen und stadtnahen Gebieten konzentriert sind, wo die Transportkosten für Futtermittel und zu den Märkten niedrig sind und die Nachfrage relativ stabil ist. Kleine Schweineproduzenten sind in ländlichen und abgelegenen Teilen des Landes häufiger anzutreffen und beliefern kleinere Märkte, auf denen die Nachfrage schwanken kann. Im Vergleich dazu hat das jüngere und schnellere Wirtschaftswachstum ihre nationalen Schweinefleisch- Nahrungsmittelsysteme in erster Linie mit einer Erhöhung der Zahl der kleinen Betriebe und nicht mit einer Vergrößerung der einzelnen Herden reagiert haben. Die Betriebsführung und das Hygieneverhalten entlang der Wertschöpfungskette wurden jedoch nicht verbessert und können daher das erhöhte Risiko der Ausbreitung von Infektionserregern aufgrund der größeren Anzahl von Betrieben und des verstärkten Handels nicht ausgleichen. Aus epidemiologischer und ökosozialer Sicht stellen die Lebensmittelsysteme für Schweinefleisch in Europa und derzeit in Afrika eine viel einfachere Herausforderung dar als das System in China mit seiner extrem hohen Dichte an Schweinen auf einem großen zusammenhängenden geografischen Raum. in Vietnam und China dazu geführt, dass Hinsichtlich der Situation bei Eurasischen Wildschweinen ist festzuhalten, dass nach der ersten Einschleppung des ASPV-Genotyps I nach Europa in den 1960er Jahren die gemeldete Seroprävalenz bei Wildschweinen in mediterranen Lebensräumen zwischen 0,5 und 10,5 % lag. Damals ging man davon aus, dass Wildschweine nicht in der Lage sind, das Virus in ihren Populationen zu halten, wenn es nicht zu Reinfektionen durch Kontakte mit infizierten Hausschweinen kommt. Seit der Einschleppung des ASPV- Genotyp II nach Georgien im Jahr 2007 wurden jedoch wichtige Beobachtungen gemacht, von denen einige diesen ursprünglichen Schlussfolgerungen widersprechen. (I) Da 95 % der seit 2014 in der Europäischen Union gemeldeten Fälle in Wildschweinpopulationen aufgetreten sind, ist nun klar, dass das Virus je nach ökologischem Kontext in Wildschweinpopulationen ohne Wiedereinschleppung durch infizierte Hausschweine überleben kann. (II) führt die Übertragung zwischen Wildschweinen zu einer langsamen Ausbreitungsrate, die je nach der örtlichen Wildschweindichte zwischen 1,5 und 5 km/Monat liegt. (III) kann ASPV in Wildschweinkadavern und in der Umgebung monatelang persistieren und die Fähigkeit behalten, andere empfängliche Wildschweine zu infizieren. ASPV kann in stehenden Gewässern 50 bis 176 Tage infektiös bleiben. Zum Verhalten von Wildschweinen bei Kontakt mit Kadavern ihrer eigenen Art liegen unterschiedliche Beobachtungen vor. Es kann deshalb nicht abschließend beurteilt werden. Einzelne Länder haben modifizierte Lebendimpfstoffkandidaten gegen ASPV-Genotyp II zugelassen oder führen Feldversuche durch. Wie bei allen Impfstoffen ist es aber auch trotz der brisanten ökonomischen Konsequenzen durch ASP für die betroffenen Länder wichtig nur qualitativ hochwertige Impfstoffe mit nachgewiesener Wirksamkeit und Sicherheit zu verwenden. Jede Impfstrategie gegen die ASP sollte im Rahmen eines gut durchdachten Impfprogramms durchgeführt werden, welche Faktoren wie die lokale Epidemiologie der ASP, die erwarteten Ziele sowie die Angemessenheit und Nachhaltigkeit der entsprechenden technischen, finanziellen und personellen Ressourcen berücksichtigt. Das Impfprogramm sollte auch die Überwachung und Beobachtung nach der Impfung sowie eine Ausstiegsstrategie für die Beendigung der Impfung umfassen. Hierauf hat unlängst die WOAH nochmals explizit hingewiesen. Zudem bleibt es weiterhin wichtig das Auftreten der ASP zu melden und die relevanten epidemiologischen Informationen weiterzugeben, um die Transparenz zu erhöhen und die globale Kontrolle der Krankheit zu unterstützen. Kontakt Prof. Dr. Dr. Thomas W. Vahlenkamp; Institut für Virologie, Veterinärmedizinische Fakultät, Universität Leipzig 68 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

Schwein ___________________________________________________________________________________________________________ ASP-Bekämpfung - Erfahrungen im Landkreis Oder Spree: Praktische Erfahrungen aus der Sicht des Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsamtes des Landkreises Oder – Spree Petra Senger Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsamtes des Landkreises Oder – Spree Zahlen und Fakten zum Landkreis Oder – Spree Flächenlandkreis - 2.256,75 km² Einwohnerzahl zurzeit 178.980 ~ 5000 Tierhalter, ~ 2500 Lebensmittelbetriebe, 10 Schlachtbetriebe, davon 1 Geflügelschlachthof Hähnchen Schweinebestände vor ASP – 99 mit 27.700 Schweinen, davon 22 mit 1.700 Sauen Schwarzwildbestände ~ 20.000, Strecke 2020 - 6.500 Beginn der ASP Bekämpfung mit Eingrenzung einer Kernzone um Fundort nach amtlicher Feststellung der ASP am 10.09.2020 im Landkreis Spree – Neiße. 12 km Wildschutzzaun um ersten Fundort an einem Tag errichtet und mit Strom versorgt. Wichtigste Aufgabe – intensive Fallwildsuche  tatsächliche Ausdehnung des Kerngebietes ermitteln (MA LOS, THW, FW, BW, KSB). Erste verendete Rotte deutet auf Dorchetal als Fundort in LOS! Erweitertes Kerngebiet, gefährdetes Gebiet und Pufferzone festgelegt! Bergung, Beprobung und Entsorgung unverzüglich nach Meldung über Fund – Hotline, Funktionsmailadresse und Tierfundkataster – zunächst Mitarbeiter VLÜA und Fischereibehörde, inzwischen Bergungsteam mit 10 Mitarbeitern! Errichtung der Festzäune um Kerngebiet und weiße Zone – Bauamt einbinden! Einrichtung einer weißen Zone – ca. 3-5km Entfernung zum Zaun um Kerngebiete. Darstellung der Befunde mit Liegezeiten im GIS - Schlussfolgerungen für Ausbreitungs-tendenzen. Gewässerläufe im Landkreis Oder Spree – Ausbreitungstendenz  Nord – West Neuzeller Niederung  Dorchetal  Oelsetal (25km!)  Schlaubetal  Lingisches Tal verhindern (inzwischen erreicht!)  Spreetal verhindern! Bauzaun und 4-litziger E-Zaun als vorläufige Zaunführung bewährt. Halten auch Schäden durch Schneebruch und Unfällen mit Wild stand - Abschnitte 1,20m Höhe setzen für Schalenwild, bzw. nur 1,20m hohen beschaffen. Entscheidungen für Trassenverlauf Festzaun nach diesen Erfahrungen. Entnahme von Schwarzwild durch Fallen, Einzelansitz und kleinere Bewegungsjagden in weißer Zone mit höchster Priorität. Weitere Bekämpfung mit dem Ziel Tilgung: Bildung von 5 Segmenten in der weißen Zone – Zuordnung der Jagdgebiete, Benennung von Verantwortlichen für die Umsetzung, regelmäßige Beratung mit den Beteiligten – Ziel Verwertung der gesund erlegten Tiere nach negativem ASP Befund. Bildung von 4 Hot Spots in den Kerngebieten – analog, Bergung, Beprobung, Entsorgung SW durch Bergeteam. Weitere Kerngebiete durch Einträge entlang des gesamten Oder- Neiße Grenzverlaufes – Nutzung der gemachten Erfahrungen und effektive Umsetzung aller Maßnahmen zur Verhinderung der Ausbreitung in Richtung Westen Aufhebung Kerngebiet 1 und 3 im Mai 2021 möglich, Kerngebiet 4 und 5 im Herbst 2022 Aufhebung der Sperrzone II und Teilen der Sperrzone I südlich der BAB 12 durch die EU-Kommission im Juli 2023! 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 69

Schwein ___________________________________________________________________________________________________________ PRRS in Spain; field experiences and research Gerard Eduard Martin Valls, Martí Cortey, Enric Mateu 1 Departament de Sanitat i d’Anatomia Animals, Facultat de Veterinària de la Universitat Autònoma de Barcelona, Campus de la UAB, 08193, Cerdanyola del Vallés. Abstract During the first half of 2020, a highly virulent PRRSV-1.1 emerged in northeastern Spain. This strain was phylogenetically related to highly virulent Italian isolates but showed evidence of recombination with other PRRSV-1.1 viruses. The infection rapidly spread in Spain but no reports of this strain have been received from European countries. Outbreaks of this new virus are associated with sow mortality, abortion storms, increased numbers of stillbirths and mummies and high mortality in the nurseries (>20%). When tested, infected animals yield low Ct values, suggesting high viral loads. This feature is consistent with the high titres when conducting primary isolation in vitro. In farms, the impact of the infection is huge and, in some cases, more than 10 months are needed to restore productivity. The impact in vaccinated herds can be considerable as well. Nevertheless, the course of the infection varied in different farms by reasons not fully understood yet. It was also found that the circulation of this strain affected the infection patterns of influenza A virus (IAV), with increased recurrent infections and its duration in a same animal, suggesting an impairment of the immune response. The data obtained by using whole genome sequencing showed that the virus is diversifying at an unparalleled rate and, at present, several clades can be recognised. Moreover, about two-thirds of the examined isolates have evidence of recombination with field or vaccine strains. In conclusion, a PRRSV-1 with enhanced virulence has been introduced and has spread in Spain causing high impact at productive level. Manuscript During the first half of 2020, a highly pathogenic PRRSV-1 (HP-PRRSV) strain emerged in northeastern Spain (1). The HP-PRRS strain caused severe outbreaks characterized by reproductive failure and sow mortality, and a high rate of mortality in suckling piglets and growers. The HP-PRRSV strain was shown to derive from a previously reported highly virulent clade circulating in Italy (2). However, whole genome sequencing revealed that the strain circulating in Spain have undergone several recombination events with other PRRSV-1 isolates (1). Some of these recombination events probably took place locally in Spain, as identified in the analysis of the available Spanish sequences. Since 2020, the HP-PRRSV strain has been increasingly detected in pig farms from northeastern Spain, and nowadays represent most of the new outbreak detections indicating that the virus has successfully become prevalent in the area. According to the available data, the impact of the infection is variable but usually high. In some farms, the infection causes mainly reproductive failures with increased abortions (up to 40-50% of the present pregnant sows) and stillbirths. In the most severe cases, sow mortality reach up to 10% of the present breeders. Nevertheless, in other cases, the impact at the reproductive level may be low. In most cases, the mortality in suckling pigs, weaners and fatteners is always increased, but can be very variable. Mortality rates in nurseries are usually over 10% and is not infrequent to rise above 20%. Another aspect that has been reported is the recurrence of the outbreak in a same farm and even in the same sows. Whether these repeated cases are due to introduction of new immune escape variants of the same virus, or with an impaired immune response of the animals remains to be explored. Finally, there is a high variation in terms of time needed to return to baseline production; in some cases, the outbreaks seem to be abrupt, with a high impact but short in time, while in other ones the time to recover may extend several months. Also, based on the perception of veterinary practitioners, this could be related with the management system, where farms working with weekly farrowing batches seem to suffer longer outbreaks than farms that schedule farrowing batches every 3-5 weeks. However, there is not enough available data to support this hypothesis yet. Apparently, the introduction of HP-PRRSV may also change the dynamics of other infections. Two longitudinal studies were carried out in a PRRSV-infected farm in autumn 2021 and spring 2022. The first study 72 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

Schwein ___________________________________________________________________________________________________________ was carried out before the introduction of HP-PRRSV, and the second right after its introduction. Animals were sampled from 1w to 8 weeks of age and were tested for PRRSV and Influenza A virus (IAV). The results showed that both infections started in the farrowing crates. While in the first longitudinal study 20% of the animals died between birth till the end of the nursery, in the second up to 50% of animals died during the same period (3). Interestingly, there was a dramatic change in the infection patterns of IAV when the farm was infected by HP- PRRSV, with increased duration of the IAV circulation, prolonged period of shedding in the infected individuals and the presence of animals that were infected twice by the same IAV isolate. These results are highly suggestive of an impairment of the immune response in the HP-PRRSV infected animals. In other studies, it was shown that the infection with the Italian PR40 strain (a predecessor of the Spanish HP-PRRSV) was associated with an impairment of the immune response and thymus atrophy (4). The evolution and impact of this Spanish HP-PRRSV strain has been studied in a recent paper (5). In that report the virus affected a part of a pyramidal production system that included some PRRSV-1 positive farms. While some breeding farms and their nurseries were infected with this highly virulent strain, others were unaffected and remained positive to the previous endemic PRRSV-1 strain. As management, biosecurity procedures and genetics were very similar within all the system (same company, same genetics) this allowed us to compare HP-PRRSV affected farms with the farms infected by the classical PRRSV-1 of moderate virulence. Briefly, from December 2020 to October 2021 these farms were monthly sampled and tested for PRRSV-1. All positive samples were further isolated in pulmonary alveolar macrophages (PAMs) and whole genome sequences were obtained and analysed. Productive data from early 2019 to late 2021 were compared for 4 breeding farms, 3 affected by HP-PRRSV and 1 by a conventional PRRSV-1 strain. Regarding the productive impact of HP-PRRSV, the three evaluated farms showed increased reproductive and productive problems when compared with other PRRSV positive farms. However, the impact varied among farms. The impact of the infection in the first affected farm was extremely high (early 2020), with an average abortion rate above 27% during 17 weeks before returning to the baseline production and >9% of mortality in sows during that period. The other two farms, later infected by other clades of HP-PRRSV suffered a lower impact, but in breeders it took 10 months to recover baseline productivity. In all cases, the impact in the nurseries was huge with mortality rates reaching peaks between 28 and 50%. Return to baseline mortality in nurseries could take one year or more. Sequencing showed that four phylogenetically distinct clades of HP-PRRSV were detected in the system, probably the result of four independent introductions. Each clade was detected for at least 6 months in a breeding herd or its related nurseries. The clades never jumped from one group of farms to another. The diversification of the HP-PRRSV was high (with substitution rates reaching 1.1% nucleotides/year) compared to that of the classical PRRSV-1 in the same production system (up to 0.17%), probably caused by the fast spread of the new virus into a naïve population and its adaptation. Evidence of two recombination events between HP-PRRSV and the resident PRRSV-1 strain previously present in the farms was found. In both events, recombination involved nsp9 (the virus replicase). These results couldn’t be observed if whole genome sequencing was not carried out, pointing out to the importance of whole genome sequencing for the adequate identification of new viral introductions. Finally, it is worth to note that the viral loads observed after isolation in PAMS was 10 to 100 times higher for HP-PRRSV compared to conventional PRRSV-1, an indicator associated with higher virulence. To sum up, a highly virulent PRRSV-1 strain has been introduced in Spain and has been successfully spreading among pig farms in the northeastern region. This is the second HP-PRRSV-1 reported, indicating that high virulence may also develop in PRRSV-1 not only associated PRRSV-1 subtype 3 or PRRSV-2. The future emergence of new highly virulent PRRSV-1 strains is therefore a real possibility. This fact points out the importance of fast and increased surveillance systems using a whole genome sequencing approach, especially when clinical outcomes exceed normality. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 73

Schwein ___________________________________________________________________________________________________________ References 1. 2. 3. 4. 5. Martín-Valls GE, Cortey M, Allepuz A, Illas F, Tello M, Mateu E. Description of a New Clade within Subtype 1 of Betaarterivirus suid 1 Causing Severe Outbreaks in Spain. Microbiol Resour Announc. 2022; doi: 10.1128/mra.00304- 22. Canelli E, Catella A, Borghetti P, Ferrari L, Ogno G, De Angelis E, Corradi A, Passeri B, Bertani V, Sandri G, Bonilauri P, Leung FC, Guazzetti S, Martelli P. Phenotypic characterization of a highly pathogenic Italian porcine reproductive and respiratory syndrome virus (PRRSV) type 1 subtype 1 isolate in experimentally infected pigs. Vet Microbiol. 2017; 210:124-133. Martín-Valls GE, Cortey M, Aguirre L, Coronado L, Mateu E. Infection by a highly virulent PRRSV1 strain modifies the dynamics and shedding pattern of influenza A virus in an endemic pig farm. At 12th International Congress for Veterinary Virology (ESVV2022); 23.09.2033; Ghent. Ogno G, Rodríguez-Gómez IM, Canelli E, Ruedas-Torres I, Álvarez B, Domínguez J, Borghetti P, Martelli P, Gómez- Laguna J. Impact of PRRSV strains of different in vivo virulence on the macrophage population of the thymus. Vet Microbiol. 2019; 232:137-145. Martín-Valls GE, Cortey M, Allepuz A, Illas F, Tello M, Mateu E. Introduction of a PRRSV-1 strain of increased virulence in a pig production structure in Spain: virus evolution and impact on production. Porcine Health Manag. 2023; 3;9(1):1. Contact adress PhD Gerard E. Martin-Valls; Facultat de Veterinaria de la Universitat Autònoma de Barcelona gerard.martin@uab.cat. 74 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

Schwein ___________________________________________________________________________________________________________ PRRSV Sequenzierung aus dem Konsiliarlabor für die Praxis Kristin Heenemann1, Stephan Galland2, Frank Götz3, Thomas Vahlenkamp1 1Institut für Virologie, Zentrum für Infektionsmedizin, Veterinärmedizinische Fakultät, Universität Leipzig, Leipzig, 2Zoetis Deutschland GmbH, 3GVG Diagnostics GmbH, Leipzig Eine derzeit in der Schweinehaltung besonders relevante Krankheit ist das porzine reproduktive und respiratorische Syndrom (PRRS). Die Infektion mit diesem Erreger, das Porzine Reproduktive und Respiratorische Syndrom Virus (PRRSV), verursacht Spätaborte bei Sauen sowie respiratorische Erkrankungen bei Absatzferkeln und Läufern, verbunden mit stark verringerter Leistung und somit sehr hohen ökonomischen Verlusten. Der entsprechende Krankheitserreger, das PRRS-Virus (PRRSV), infiziert selektiv Makrophagen des respiratorischen Traktes (1). Das Virus gehört zur Virusfamilie Arteriviridae und wurde um 1990 gleichzeitig in Europa und Nordamerika in zwei unterschiedlichen Genotypen beschrieben, die heute als PRRSV-1 (Betaarterivirus suid 1, europäischer Typ) bzw. PRRSV- 2 (Betaarterivirus suid 2, nordamerikanischer Typ) bezeichnet werden (https://ictv.global/taxonomy). Seither haben sich beide Genotypen weltweit verbreitet und sich außerdem rasch durch Mutation und Rekombination diversifiziert, was auch zum Auftauchen hochpathogener Varianten zum Beispiel in China (PRRSV-2) und in Europa (PRRSV-1) führte (2-4). Seit 2021 ist diese Erkrankung in Deutschland meldepflichtig (5). In der Praxis werden verschiedene molekularbiologische und serologische Methoden zum Nachweis des viralen Genoms und von spezifischen Antikörpern eingesetzt. Das Vorliegen einer Immunantwort gegen PRRSV wird zumeist mittels enzyme-linked immunosorbent assay (ELISA) bestimmt, wobei in der Regel das Vorhandensein von Antikörpern gegen das Nukleokapsidprotein (N) des Virus gemessen wird. Diese Antikörper werden im Wirtsorganismus typischerweise innerhalb von zwei Wochen nach Infektion bzw. Impfung gebildet, sind aber nicht neutralisierend, da sich das N-Protein nicht an der Oberfläche der Viruspartikel befindet. Ebenfalls ist ein Nachweis von spezifischen Antikörpern mittels zellkulturbasierten Verfahren wie Immunfluoreszenztest (IFA) oder Serumneutralistationstest (SNT) möglich. Molekularbiologisch finden verschiedene Reverse-Transkriptase-Polymerase-Kettenreaktion (RT-PCR) Anwendung, die verschiedene offene Leseramen (open reading frame, ORF) zum Ziel haben (6-9). Nachfolgende Sequenzierungen des RT- PCR Produktes können helfen, eine Unterscheidung zwischen PRRSV-Feld- und Impfviren zu ermöglichen oder Rückschlüsse über eine Herkunft zuzulassen. Die Sequenzierung der nächsten Generation (Next Generation Sequencing, NGS) stellt eine Methode dar, mit deren Hilfe molekulare Epidemiologie und somit Virusepidemiologie ermöglicht wird. Es besteht die Möglichkeit Genomprofile zu erstellen und mögliche Erregervarianten (Quasispezies) zu identifizieren. Ein entscheidender Faktor bei den molekularbiologischen Methoden stellt das Probenmanagement dar, da Fehler bei der Entnahme der Proben aber vor allen Dingen bei der Lagerung und/oder dem Versand die Probenqualität beeinträchtigen können. Im Rahmen der Präsentation werden daher die Grenzen und Möglichkeiten der verschiedenen Diagnostikverfahren zusammengefasst und die Herausforderungen für den Nachweis und die Sequenzierung von PRRSV dargestellt. Literatur 1. 2. 3. 4. 5. Renken C, Nathues C, Swam H, et al. Application of an economic calculator to determine the cost of porcine reproductive and respiratory syndrome at farm-level in 21 pig herds in Germany. Porcine Health Manag. 2021;7(1):1- 12. Luo Q, Zheng Y, He Y, et al. Genetic variation and recombination analysis of the GP5 (GP5a) gene of PRRSV-2 strains in China from 1996 to 2022. Front. Microbiol. 2023; 14:1238766. Martín-Valls G E, Cortey M, Allepuz A, et al. Introduction of a PRRSV-1 strain of increased virulence in a pig production structure in Spain: virus evolution and impact on production. Porcine Health Manag. 2023;9(1):1. Mötz M, Stadler J, Kreutzmann H, et al. A conserved stem-loop structure within ORF5 is a frequent recombination hotspot for porcine reproductive and respiratory syndrome virus 1 (PRRSV-1) with a particular modified live virus (MLV) strain. J. Viruses. 2023; 15(1):258. Stockmann A. Das Tiergesundheitsrecht der Europäischen Union. Dt. TÄBl. 2021;69 (5):544-51. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 75

Schwein ___________________________________________________________________________________________________________ 6. 7. 8. 9. Mardassi H, Wilson L, Mounir S, et al. Detection of porcine reproductive and respiratory syndrome virus and efficient differentiation between Canadian and European strains by reverse transcription and PCR amplification. J. Clin. Microbiol. 1994; 32 (9):540:2197–2203. Pesch S. Etablierung einer Nachweismethode für die zwei Genotypen von dem Porcine Reproductive and Respiratory Syndrome Virus (PRRSV) und ein Beitrag zu seiner molekularen Epidemiologie [Dissertation]. Leipzig: Veterinärmedizinische Fakultät der Universität Leipzig; 2003. Dortmans J C F M, Buter G J, Dijkman R, et al. Molecular characterization of type 1 porcine reproductive and respiratory syndrome viruses (PRRSV) isolated in the Netherlands from 2014 to 2016. 2019; PLoS One, 14(6):e0218481. Schneider-Buehl L, Hiller E, Frey T, et al. Comparative ORF and whole genome sequencing analysis of the porcine reproductive and respiratory syndrome virus (PRRSV) in routine samples reveal a recombinant virus strain. Berl Munch Tierarztl Wochenschr. 2020; 133. Kontakt Dr. Kristin Heenemann; Institut für Virologie, Veterinärmedizinische Fakultät, Universität Leipzig kristin.heenemann@vetmed.uni-leipzig.de 76 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

Schwein ___________________________________________________________________________________________________________ Zoonoseerreger bei Schweinen und deren Risikopotential für TierärztInnen Friedrich Schmoll1, Tatjana Sattler1,2 1AGES, Institut für Veterinärmedizinische Untersuchungen Mödling, Österreich; 2Klinik für Klauentiere, Abteilung Schweine und Reproduktionsbiologie, Universität Leipzig Einleitung Tierärzte sind im Zuge Berufsausübung einer Vielzahl an Infektionserregern ausgesetzt. Dabei handelt es sich vorrangig um Zoonoseerreger, das heißt vom Tier auf den Menschen (und teilweise vice versa) übertragbare Krankheitserreger. Je nach Tätigkeitsfeld spielen dabei unterschiedliche Erreger eine tragende Rolle. Im Folgenden wird speziell auf die Zoonoseerreger eingegangen, mit denen Schweinetierärzte potentiell am häufigsten in Berührung kommen sowie die Gefahr, die von diesen als Krankheitserreger ausgeht. Konkret handelt es sich dabei um das Hepatitis E Virus (HEV), Leptospiren, Ascaris suum, Methicillin-resistente Staphylococcus aureus (MRSA), Brucella suis und Influenza A-Viren. Erregern wie Campylobacter, pathogene E. coli, Listeria monocytogenes, Pasteurella spp., Salmonella spp. sowie Toxoplasma gondii sind Tierärzte ebenfalls in besonderem Maße ausgesetzt (1). Hepatitis E Virus Das zoonotische Risikopotential des HEV ist gut erforscht. In Industrieländern verlaufen HEV-Infektionen beim Menschen zumeist asymptomatisch. Sporadische klinisch apparente Hepatitiden treten jedoch auf. Infektionen beim Menschen werden im Europäischen Raum hauptsächlich durch den Genotyp 3 des HEV verursacht. Als Reservoir gelten hier vorrangig Haus- und Wildschweine. In eigenen Untersuchungen vom über 1000 Schlachtschweinen aus 72 Schweinemastbetrieben in Österreich wurden bei Schweinen aus 75 % dieser Betriebe Antikörper gegen das HEV gefunden. In 30 Betrieben wurde HEV-Genom mittels PCR in Leber und/oder Kot nachgewiesen. Auch das Vorkommen von HEV bei Wildschweinen wurde mittels PCR untersucht und bei 23 % der getesteten Wildschweine (17 von 75) nachgewiesen. HEV-Antikörper konnten bei 39 % der untersuchten Wildschweine gefunden werden. Schweinepraktiker gelten wie auch weitere Berufsgruppen mit engem Schweinekontakt als Risikogruppe für eine Infektion mit HEV. Untersuchungen von Antikörpern gegen HEV ergaben einen signifikant häufigeren Nachweis bei Schweinepraktikern (34 % der untersuchten Tierärzte) gegenüber Tierärzten ohne Schweinekontakt (18,2 % positive Proben) (2). Einer Metaanalyse zufolge liegen Risiko einer Infektion sowie die Seroprävalenz bei Tierärzten mit Schweinekontakt signifikant über denen der Gesamtbevölkerung (3). Leptospira spp. Infektionen mit pathogenen Leptospira spp. treten sporadisch beim Menschen auf und können oftmals auf einen Tierkontakt als Infektionsquelle zurückgeführt werden (4). Der Nachweis von Leptospiren im Schwein gestaltet sich nachweislich schwierig, auch wenn des Öfteren klinische Bestandsprobleme auftreten und Antikörper gefunden werden (5). Meist verlaufen die Infektionen beim Menschen asymptomatisch und werden nur zufällig oder im Rahmen wissenschaftlicher Studie durch vorhandenen Antikörper festgestellt. In Österreich hatten im Jahre 2017 1,2 % der getesteten Tierärzte Antikörper gegen mindestens eins der 16 getesteten Leptospira-Serovare. Dabei wurde kein Unterschied zwischen Schweinepraktikern und anderen Tierärzten gefunden (2). Klinische Fälle beim Menschen können jedoch sehr schwerwiegend sein und in einigen Fällen zum Tod führen. Ascaris suum Ascaris suum ist ein in den Schweinebeständen weltweit verbreitet vorkommender Parasit, dessen Hauptwirt das Schwein ist. Infektionen beim Menschen, meist asymptomatisch, in Einzelfällen aber auch mit schweren klinischen Verläufen, werden beschrieben. Da besonders die Eier von Ascaris suum als sehr resistent gelten, wird eine Infektionsgefahr für den Menschen sowohl in Schweinebeständen als auch nach Ausbringen von Gülle auf Feldern diskutiert (6). Bei 60,4 % der untersuchten österreichischen Schweinetierärzte wurden 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 77

Schwein ___________________________________________________________________________________________________________ Antikörper gegen Ascaris suum gefunden, was signifikant über dem Anteil an Antikörper-positiven anderen Tierärzten lag (40,4%) (2). MRSA Da der Kontakt mit MRSA in der Regel nicht zu einer Infektion beim Menschen führt, sondern lediglich zu einer Kolonisierung, wurde bei österreichischen Tierärzten im Rahmen einer Studie ein Nasentupfer zum Nachweis von MRSA entnommen. Dabei wurde festgestellt, dass Schweinepraktiker mit 38,3 % signifikant häufiger mit MRSA kolonisiert waren als die übrigen Tierärzte (6,5 %). Dabei war die Kolonisierung umso häufiger nachweisbar, je öfter pro Woche die Tierärzte Schweinebestände besuchten (2). Brucella suis Brucella spp. gelten als Erreger mit hohem zoonotischen Potential. Das Schwein ist der Hauptwirt für Brucella suis. Der Erreger wird bei Wildschweinen und hin und wieder auch in Hausschweinebeständen nachgewiesen. Menschen, Hasen, Hunde und andere Spezies sind Nebenwirte. Klinische Erkrankungen mit Brucella suis beim Menschen sind selten. Bei einer Untersuchung von österreichischen Tierärzten im Jahre 2022 (unveröffentlicht) konnten bei keinem der untersuchten Tierärzte Antikörper gegen Brucella spp. gefunden werden. Dennoch sollte der Erreger nicht unterschätzt und Sicherheitsmaßnahmen eingehalten werden. Influenza A Viren In europäischen Schweinebeständen zirkulieren verbreitet Influenza A-Viren. Hauptsächlich handelt es sich dabei um die Stämme H1N1, H1N2 und H3N2 sowie das pandemische H1N2. Letzteres hat erwiesenermaßen ein hohes zoonotisches Potential, was sich in Form des pandemischen Verlaufes im Jahr 2019 zeigte. Schlussfolgerungen Tierärzte sind in besonderem Maße Infektionserregern mit zoonotischem Potential ausgesetzt. Dies ist einer finnischen Studie zufolge dem Großteil der Tierärzte bewusst (1). Präventive Maßnahmen wie adäquate Schutzkleidung, das Tragen von Handschuhen sowie das Waschen und Desinfizieren der Hände sorgen nicht nur für eine Infektkettenunterbrechung zwischen den Schweinebetrieben, sondern dienen ebenso effektiv dem Selbstschutz. Dies wird von Tierärzten bereits in hohem Maße umgesetzt und führt nachweislich zu einer geringeren Infektionshäufigkeit (1,2). Auch wenn klinische Fälle der genannten Zoonoseerreger beim Menschen selten sind, können jedoch Vorerkrankungen, Immunsuppressiva oder eine Schwangerschaft ein erhöhtes Risiko darstellen. Literatur 2. 1. Kinnunen PM, Matomäki A, Verkola M, Heikinheimo A, Vapalathi O, Kallio-kokko H, Virtala AM, Jokelainen P. Veterinarians as a risk group for zoonoses: Exposure, Knowledge and protective practices in Finnnland. Saf Health Work 2022;13:78-85. Taus K, Schmoll F, El-Khatib Z, Auer H, Holzmann H, Aberle S, Pekard-Amenitsch S, Monschein S, Sattler T, Steinparzer R, Al-lerberger F, Schmid D. Occupational swine exposure and Hepatitis E virus, Lepto-spira, Ascaris suum seropositivity and MRSA colonization in Austrian veterinarians, 2017–2018—A cross-sectional study. Zoon Publ Health 2019;66:842-851. 3. Mrzljak A, Balen I, Barbic L, Ilic M, Vilibic-Cavlek T. Hepatitis E virus in professional exposed: A reason for concern? World J Hepatol 2021;13(7):723-730. 4. Sánchez A, Prats-van der Ham M, Tatay-Dualdo J, Paterna A, de la Fe C, Gómez-Martin Á, Corrales JC, Contreras A. Zoonoses in veterinary students: A systematic review of the literature. PLOS one 2017;12(1):e0169534. 5. Steinparzer R, Duerlinger S, Schmoll F, Steinrigl A, Bagó Z, Willixhofer D, Al Salem O, Taács S, Knecht C, Renzhammer R, Schwendenwein I, Ladinig A, Unterweger C. Leptospira interrogans Serovar Icterohaemorrhagiae failed to establish distinct infection in naïve gilts: Lessons learnt from a preliminary experimental challenge. Pathogens 2023;12:135. 6. Schneider R, Auer H. Incidence of Ascaris suum-specific antibodies in Austrian patients with suspected larva migrans visceralis (VLM) syndrome. Parasitol Res 2016;115:1213-1219. Kontakt Prof. Dr. Friedrich Schmoll; Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit, Institut für Veterinärmedizinische Untersuchungen Mödling, Österreich friedrich.schmoll@ages.at 78 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Forschung zur Endometritis des Rindes– stellen wir die besten Fragen? Marc Drillich1, Karen Wagener2 1Abteilung für Reproduktionsmedizin und Eutergesundheit, Nutztierklinik, Fachbereich Veterinärmedizin, Freie Universität Berlin; 2Abteilung für Bestandsbetreuung bei Wiederkäuern, Veterinärmedizinische Universität, Wien (Österreich) Einleitung Gebärmuttererkrankungen nach der Kalbung zählen bei Milchkühen zu den am häufigsten auftretenden Erkrankungen. Im Frühpuerperium treten Metritiden mit klinischen Erscheinungen, vor allem pathologischem Vaginalausfluss, mit und ohne Fieber auf. Gegen Ende des Puerperiums und darüber hinaus stellen sich Gebärmuttererkrankungen meist als Endometritiden oder subklinische Endometritiden dar. Als Folgen von Metritiden und Endometritiden werden, neben der akuten Beeinträchtigung des Tierwohls, insbesondere die reduzierte Reproduktionsleistung der Tiere und die damit verbundenen negativen ökonomischen Effekte angesehen. Forschungsaktivitäten Seit Jahrzehnten beschäftigen sich weltweit verschiedene Forschungsgruppen mit der bovinen Endometritis. Eine einfache und oberflächliche Literatursuche mit PubMed (https://pubmed.gov) und den Suchbegriffen „(endometritis OR uterine infection) AND (cow OR cattle)“ ergab 1435 Veröffentlichungen in den letzten 60 Jahren. Interessanterweise ist die Anzahl der Publikationen in den letzten 20 Jahren (2002–2021; n = 1078) im Vergleich zu den 40 Jahren zuvor (1962–2001: n = 492) deutlich gestiegen. Dies lässt sich zum Teil durch eine allgemeine Steigerung der Publikationstätigkeit oder eine umfangreichere elektronische Ablage von Publikationen in Datenbanken erklären. Darüber hinaus haben wir die gefundenen Referenzen nicht auf ihre Eignung überprüft, da die Abfrage lediglich die Forschungsaktivitäten in diesem Bereich veranschaulichen sollte, aber keine profunde Literaturrecherche darstellte. Wissenszuwachs Es besteht kein Zweifel, dass unser Wissen über Gebärmuttererkrankungen bei Rindern enorm zugenommen hat. Dies reicht von den zugrundeliegenden Mechanismen von Infektionen, Entzündungen und der Immunantwort über die große Vielfalt der Bakterien, die in der Gebärmutter zu verschiedenen Stadien des Reproduktionszyklus zu finden sind, bis hin zu Strategien zur Vorbeugung und Behandlung von Endometritiden. Die Scientific community hat Risikofaktoren sowohl auf Einzeltier- als auch auf Herdenebene identifiziert und Erkenntnisse über genetische Prädispositionen für Endometritis gewonnen. Als Forschungs- und Wissenschaftsgemeinschaft haben wir viele GUTE und wichtige Fragen gestellt, unzählige Hypothesen getestet und sind in bisher ungeahnte Sphären vorgestoßen. Wir wissen viel – aber hat sich dadurch die Situation auf den landwirtschaftlichen Betrieben verändert? Die Prävalenz von Endometritiden liegt bei bis zu 40 % und die Chancen der betroffenen Kühe, rechtzeitig trächtig zu werden, sind trotz klinischer Heilung immer noch geringer. Einige Behandlungsansätze sind weniger verbreitet als früher, z. B. die intrauterine Anwendung von Desinfektionsmitteln, andere, z. B. antimikrobielle oder hormonbasierte Strategien, wurden verfeinert oder modifiziert. Neue Ansätze, z.B. Impfungen gegen Endometritis scheinen aus Forschersicht vielversprechend zu sein, haben den Weg auf den Markt jedoch (noch) nicht geschafft. Allerdings deutet die Vielfalt der Behandlungsmöglichkeiten auch darauf hin, dass bisher keine Strategie als so erfolgreich angesehen werden kann, dass damit die Mehrzahl der Fälle erfolgreich behandelt werden kann und somit Einigkeit über die beste Behandlungsstrategie bestehen würde. Wir sollten uns daher selbstkritisch fragen, ob wir in der Forschung wirklich die BESTEN Fragen gestellt haben? Welche Forschung ist erforderlich und welche Methoden sind heute geeignet und verfügbar, um die Gesundheit und Reproduktionsleistung der betroffenen Kühe deutlich zu verbessern? 80 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Ausblick Die bovine Endometritis ist eine komplexe Erkrankung mit zahlreichen Risikofaktoren und einer Vielzahl beteiligter Bakterien. Für die Autoren ist eine der zentralen Fragen für die Entwicklung neuer Präventions- und Behandlungsstrategien, wie man das Mikrobiom in einem physiologischen Zustand hält und somit Erkrankungen vermeiden kann. In der Vergangenheit wurden die am häufigsten vorkommenden und nachgewiesen pathogenen Bakterien eingehend untersucht und es wurden faszinierende Mechanismen der Infektion und auch der Abwehr beschrieben. Aktuelle Studien zielen darauf ab, die Wechselwirkungen innerhalb der mikrobiellen Gemeinschaft zu verstehen. Zukünftige Forschung wird hoffentlich die Wechselwirkungen und Dynamiken des gesamten Mikrobioms von der Kalbung bis zur nächsten Konzeption analysieren und entschlüsseln. Darüber hinaus wird die Zusammensetzung des Mikrobioms durch interne Faktoren wie die Immunantwort beeinflusst, die wiederum mit der Energiebilanz oder anderen Ernährungsfaktoren zusammenhängt. Aktuell beschäftigen sich beispielsweise viele ForscherInnen weltweit mit Fragen rund um uterine Abwehrmechanismen mit dem langfristigen Ziel, diese positiv beeinflussen zu können. Hinzu kommen externe Faktoren auf Herdenebene, z.B. die Besatzdichte oder das Stallklima, die berücksichtigt werden müssen, wenn ein Gesamtbild der Dynamik der mikrobiellen Zusammensetzung gezeichnet und der Wendepunkt von physiologischen zu pathologischen Zuständen gefunden werden soll. Angesichts der enormen mikrobiellen Diversität in der Gebärmutter, der Komplexität der Mikrobiom-Wirt Interaktionen sowie der riesigen Menge an tier- und umweltbezogenen Daten wird dies nicht ohne die Unterstützung von Spezialisten, z.B. aus der Bioinformatik, möglich sein. Für diese komplexen Analysen sind Datenwissenschaftler und Modellierungskapazitäten für die Entwicklung von Vorhersagemodellen erforderlich. Basierend auf allen oben genannten Analysen können dann unterschiedliche Ansätze zur Modulation des Mikrobioms getestet und in die Praxis umgesetzt werden. Dies ist nur ein Ausschnitt mehrerer Überlegungen, in welche Richtung zukünftige Forschung gehen könnte. Die Autoren dieser Präsentation haben nicht die BESTEN Fragen und sicherlich haben wir nicht die besten Antworten, aber wir hoffen, eine fruchtbare Diskussion über zukünftige Forschungsstrategien anregen zu können. Kontakt Prof. Dr. Marc Drillich; Abteilung Reproduktionsmedizin und Eutergesundheit, Nutztierklinik, Fachbereich Veterinärmedizin, Freie Universität Berlin 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 81

Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Regulation des Sexualzyklus - Einfluss des Stoffwechsels auf die Fruchtbarkeit Marion Schmicke, Christina Schiffers Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover, Klinik für Rinder, AG Veterinär-Endokrinologie und Labordiagnostik, Hannover Einleitung Der Stoffwechsel hat auf verschiedenen Ebenen einen wichtigen Einfluss auf die Fruchtbarkeit. Dieser Einfluss ist unter anderem über endokrine Interaktionen zwischen endokrinen Regelkreisen oder immun- endokrinen Einflüsse vermittelt. Hierbei sind als metabolische endokrine Regelkreise die somatotrope und thyreotrope Achse zu nennen, die ihrerseits klassische Stoffwechselwege integrieren und gleichzeitig die Fertilität beeinflussen können (1,2). Hierbei erfolgt die Wirkung der Interaktion auf Vielfältige Art und Weise. Wachstumshormon (Growth hormone, GH,) oder der insulinähnliche Wachstumsfaktor 1 (Insulin like Growth Factor 1, IGF-1) wichtige Hormone der somatotropen Achsen wirken sich dabei, z.B. durch die Verbesserung der Steroidgenese, Gametogenese und der Ovulation direkt auf die Fortpflanzungsfunktionen des Tieres aus (3-5). Gleichzeitig interagieren diese endokrinen Achsen auch bereits auf der Ebene von Hypothalamus und Hypophyse mit der gonadotropen Achse und beeinflussen so die Reproduktion über die Interaktion zwischen verschiedenen endokrinen Regelkreisen (6,7). Eine Interaktion des Stoffwechsels auf endokrine Achsen und damit wiederum auf die Fruchtbarkeit wird im Folgenden an den Beispielen der somatotropen und thyreotropen Achse beschrieben. Viele andere Hormone, wie Cortisol können ebenfalls durch den Stoffwechsel beeinflusst werden und die Fruchtbarkeit beeinflussen. Die gesamten endokrinen Veränderungen in Abhängigkeit einer Stoffwechselsituation bedingen den Einfluss auf die Fruchtbarkeit. Einfluss des Stoffwechsels auf endokrine Achsen Die Ernährung und damit die Stoffwechselsituation der Tiere beeinflusst direkt verschiedene Hormonsysteme wie Insulin, Leptin, FGF21, die Schilddrüse und die somatotrope Achse (21-23). Insbesondere bei Milchkühen im peripartalen Zeitraum zeigt sich eine besondere Anpassungsreaktion der Schilddrüse, von Insulin und der somatotropen Achse unter anderem als Ausdruck auf eine geänderte Stoffwechselsituation. Mit einer Reduktion des Rezeptors für Wachstumshormon in der Leber und damit auch der hepatischen IGF-1 Synthese und der IGF-1 Konzentration im Plasma (24). Zu diesem Zeitpunkt befinden sich Milchkühe oftmals in einer negativen Energiebilanz (NEB). Diese entsteht dadurch, dass die Tiere die Aufnahme von Energie über das Futter nicht so sehr steigern können, wie die Laktation den Bedarf an Energie erhöht (25, 26). Um diesen gesteigerten Energiebedarf abzudecken, beginnen die Tiere Körperfett zu mobilisieren, dass in der Leber für die Gluconeogenese eingesetzt wird (27, 28). In der Folge führt eine erhöhte Konzentration von nicht- veresterten freien Fettsäuren (non-esterified fatty acids, NEFA) im Blut der Tiere und eine Überlastung der Gluconeogenese zur Einlagerung von Fett in der Leber und Hyperketonämie (29). Einer dieser, dann im Blut ansteigenden Ketonkörper, ist die β-Hydroxybuttersäure (BHB). Das BHB spiegelt dabei wider, in welchem Maß die Kapazität der Leber, Energie zur Verfügung zu stellen, überschritten wurde. Kann die Leber die Fettsäuren nicht mehr zu Acetyl-CoA oxidieren, steigt die Konzentration von Ketonkörpern, wie BHB, im Blut der Tiere an (30). BHB wird daher als Parameter zur Bestimmung der Stoffwechselbelastung der Tiere, des Ausmaßes der NEB und einer möglichen subklinischen Ketose verwendet (31-33). In dieser Phase ist allerdings auch das Endokrinum der Tiere deutlich verändert. Neben dem bereits genannten erniedrigten IGF-1 (34), ist auch Insulin vermindert und es konnte zudem gezeigt werden, dass auch das aktive Schilddrüsenhormon Tetrajodothyronin (TT3) vermindert ist. Es besteht eine positive Korrelation von IGF-1, Insulin uns T3 mit der Menge an verfügbarem Futter (34,35). Kurzzeitiges Fasten der Tiere sorgt in diesem Zusammenhang für eine Reduktion von systemischem IGF-1, hat aber keinen Einfluss auf IGF-1 lokal in den Follikeln (36). Bei länger anhaltenden Perioden von Unterversorgung spiegeln sich endokrine Veränderungen aber auch direkt in den Ovarien und der Follikelflüssigkeit wieder. In eigenen Untersuchungen konnten wir zeigen, dass im Plasma von Milchkühen an Tag 30 ± 2 post partum BHB und IGF-1 negativ miteinander korrelieren und dass für IGF-1 und ein wichtiges 82 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Transportprotein IGFBP-2 ein Transfer zwischen somatotroper Achse und IGF-System im Follikel besteht und somit endokrine Veränderungen direkt einen Einfluss auf parakrine Vorgänge an den Ovarien haben können. Somatotrope und thyreotrope Achse Die somatotrope Achse besteht aus GH und IGF-1. Hinzu kommen zugehörige Bindungsproteine und die entsprechenden Rezeptoren. GH wird von den somatotropen Zellen in der Adenohypophyse produziert und die GH-Synthese durch die Peptide Growth-Hormon-Releasing-Hormon (GHRH) und Growth-Hormon-Inhibiting- Hormon (GHIH, auch Somatostatin) aus dem Hypothalamus reguliert (8,9). GH hat, gerade im peripartalen Zeitraum, in dem seine hypophysäre Ausschüttung ansteigt, Wirkung auf Laktation und Wachstum der Tiere, aber auch auf deren Reproduktion (10-12). Diese Auswirkungen von GH werden durch GH-Rezeptoren (GHR) vor allem in der Leber, aber auch in verschiedenen anderen Geweben, reguliert (13,14). GH löst mit der Bindung an den GHR die Synthese von IGF-1 aus (15,16). IGF-1 im Follikel wirkt sich verstärkend auf dessen Sensibilität gegenüber Follikelstimulierendem Hormon (FSH) und luteinisierendem Hormon (LH) und damit auf endokrine Einflüsse der gonadotropen Achse während der Follikelselektion aus (17). Da IGF-1 vor allem über die Ernährung und Energiebilanz der Tiere beeinflusst wird und gleichzeitig Einfluss auf Ovar und Follikel nimmt, wird ein Transfer von der somatotropen Achse auf das IGF-System im Follikel oft als Verbindung zwischen metabolischer und Reproduktions-Situation einer Kuh betrachtet (18-20). Die thyreotrope Achse besteht aus hypothalamisch gebildetem Thyreotropin-Releasing Hormon und dem in (TSH). Die Schilddrüsenhormone der Hypophyse gebildeten Thyroidea-stimulierenden Hormon Tetraiodothyronin (Thyroxin, T4) und Triiodthyronin (T3) werden in der Schilddrüse gebildet und mittels peripherer Deiodinasen wird T4 zu T3 aktiviert. Über 80 % des gesamten T4 wird durch Deiodierung abgebaut, wobei eine Hälfte zu T3 und die andere Hälfte zu rT3 abgebaut wird. Demnach entstehen mindestens 80 % des gesamten T3 und fast 100 % des rT3 durch periphere Deiodierung in der Zielzelle von T4 und nicht direkt in der Schilddrüse. Die Selendeiodase 1 (DIO1) ist in Leber, Niere und Schilddrüse aktiv und vor allem für die Bereitstellung von im Serum zirkulierendem T3 zuständig (38) bildet vorwiegend T3 aus T4 für autokrine und parakrine Wirkung, ist in Skelettmuskel, Herz, Plazenta, Ovarien, ZNS, Hypophyse und Schilddrüse anzutreffen und ist für die Bereitstellung des intrazellulären T3 in spezifischen Geweben zuständig. Somit ist die Selendeiodase 2 ein Teil des intrahypophysären Regelmechanismus, der die negative Rückkopplungsreaktion von T4 auf die TSH-Freisetzung bewirkt. In der Humanmedizin ist ein negativer Zusammenhang zwischen einer Unterfunktion der Schilddrüse und Fertilitätsstörungen klar beschrieben. Beim Rind ist das Krankheitsbild der Hypothyreose seltener beschrieben, allerdings befindet sich die Milchkuh auch peripartal in einem „hypothyreoten“ Zustand mit erniedrigten T3 Konzentrationen. Bei Tieren mit Ketose ist der T3 Wert nochmal deutlich niedriger (39). Dies ist stoffwechselassoziiert und kann zu Einflüssen auf die Fertilität an vielen verschiedenen Ebenen führen (40). Schilddrüsenhormone spielen unter anderem eine wichtige Rolle bei der Follikelentwicklung und bei der frühen embryonalen Entwicklung. Zusammenfassung Der Einfluss des Stoffwechsels auf die Reproduktion von Tieren ist zu großen Teilen in der Wechselwirkung zwischen endokrinen Regelkreisen wie der somatotropen und thyreotropen Achse mit Reproduktionsorganen und Reproduktionsendokrinologie begründet. Veränderungen in Veränderungen der verschiedenen Achsen die ihrerseits direkt mit der Fertilität von Tieren zusammenhängen. Die Auswirkungen auf die Fertilität ist dann wiederum sehr vielfältig und reicht von der Follikelentwicklung bis hin zum embryonalen und fetalen Wachstum. Optimale Fertilitätsleistungen sind nur bei physiologischer Stoffwechselsituation zu erreichen. im Energiestoffwechsel resultieren Literatur 1. Fenwick MA, Fitzpatrick R, Kenny DA, Diskin MG, Patton J, Murphy JJ, Wathes DC. Interrelationships between negative energy balance (NEB) and IGF regulation in liver of lactating dairy cows. Domestic Animal Endocrinology, 2008;34(1):31-44. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 83

Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. Fiore E, Giambelluca S, Morgante M, Piccione G, Vazzana I, Contiero Borefice T, Arfuso F, Giansella M. Changes in thyroid hormones levels and metabolism in dairy cows around calving. AActa Veterinaria-Beograd 2017, 67 (3), 318-330 Houseknecht KL, Dwyer DA, Lanna DPD, Bauman DE. Effect of somatotropin on adipose tissue metabolism: Ontogeny of the enhanced response to adrenergic challenge in the lactating cow. Domestic Animal Endocrinology, 1995;12(1):105-113. Nicolini P, Carriquiry M, Meikle A. A polymorphism in the insulin-like growth factor 1 gene is associated with postpartum resumption of ovarian cyclicity in Holstein-Friesian cows under grazing conditions. Acta Veterinaria Scandinavica. 2013;55(1):11. Hull KL, Harvey S. 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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ 30. 31. 32. 33. 34. 35. 36. 37. 38. 39. 40. 41. Leblanc S. Monitoring Metabolic Health of Dairy Cattle in the Transition Period. Journal of Reproduction and Development. 2010;56(S):S29-S35. McNamara S, Murphy JJ, Rath M, O’Mara FP. Effects of different transition diets on energy balance, blood metabolites and reproductive performance in dairy cows. Livestock Production Science. 2003;84(3):195-206. Ospina PA, Nydam DV, Stokol T, Overton TR. Associations of elevated nonesterified fatty acids and β- hydroxybutyrate concentrations with early lactation reproductive performance and milk production in transition dairy cattle in the northeastern United States. Journal of Dairy Science. 2010;93(4):1596-603. González FD, Muiño R, Pereira V, Campos R, Benedito JL. Relationship among blood indicators of lipomobilization and hepatic function during early lactation in high-yielding dairy cows. Journal of Veterinary Science. 2011;12(3):251. Vandehaar MJ, Sharma BK, Fogwell RL. Effect of Dietary Energy Restriction on the Expression of Insulin-like Growth Factor-I in Liver and Corpus Luteum of Heifers1. Journal of Dairy Science. 1995;78(4):832-41. Rausch M, Tripp M, Govoni K, Zang W, Webert W, Crooker B. The influence of level of feeding on growth and serum insulin-like growth factor I and insulin-like growth factor-binding proteins in growing beef cattle supplemented with somatotropin. Journal of animal science. 2002;80(1):94-100. Spicer LJ, Crowe MA, Prendiville DJ, Goulding D, Enright WJ. Systemic but Not Intraovarian Concentrations of Insulin-Like Growth Factor-I are Affected by Short-Term Fasting1. Biology of Reproduction. 1992;46(5):920-5. Schiffers C. Assoziation zwischen Bestandteilen des IGF-Systems im Blut und lokal in der Eizellenmikroumgebung (Follikelflüssigkeit) bei Milchkühen (2022). Dissertation Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover. van der Breggen (2018). Interaktion der somatotropen und thyreotropen Achse in Bezug auf die Ketoseinzidenz bei der Hochleistungsmilchkuh. Dissertation Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover Köhrle J, Schomburg L, Schweizer U. Schilddrüsenhormone–Zentrale Regulatoren von Entwicklung, Wachstum, Grundumsatz, Stoffwechsel und Zelldifferenzierung. Löffler/Petrides Biochemie und Pathobiochemie. 2014:512- 27. Doufas AG, Mastorakos G. The hypothalamic‐pituitary‐thyroid axis and the female reproductive system. Annals of the New York Academy of Sciences. 2000;900(1):65-76. Dosiou . 2020 Apr;30(4):479-486. Thyroid and Fertility: Recent Advances Kontakt Prof. Dr. Marion Schmicke; Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover, Klinik für Rinder, Hannover marion.schmicke@tiho-hannover.de 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 85

Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Die Wirkung einer präpartalen Vitamin D3 Behandlung auf die frühpuerperale Uteruskontraktilität und die Blutkonzentration des ionisierten Kalziums bei Milchkühen Árpád Csaba Bajcsy1, Laura Zámbó2, Gergő Kürtös3, János Tibold4, István Mádl4, Ottó Szenci5 1Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover, Klinik für Rinder, Hannover; 2Tierspital, Veszprém (Ungarn); 3Turul Veterinärklinik und Pharmazie, Gödöllő (Ungarn); 4Bonafarm Agroprodukt Agrar GmbH., Pápa, Zsigaháza (Ungarn); 5Veterinärmedizinische Universität, Budapest (Ungarn) Abstrakt Die aufgrund einer Hypokalzämie verminderte Kontraktilität der Gebärmutter während des Frühpuerperiums kann bei Milchkühen zu einer verzögerten Involution führen. Ziel dieser Studie war es, die Wirkung einer einzelnen präpartalen Vitamin D3 Behandlung auf die frühe postpartale Uteruskontraktilität und die Ca2+- Konzentration des Blutes bei Milchkühen zu untersuchen. Sieben Tage vor dem erwarteten Kalbetermin wurden Milchkühe intramuskulär mit 10 Millionen I.E. Vitamin D3 behandelt (nD = 9). Intrauterine Druckveränderungen (IUP) von diesen, sowie von nicht vorbehandelten normokalzämischen (nNC = 8) und hypokalzämischen Kühen (nHC = 12), wurden während der ersten zwei Tage nach der Kalbung untersucht. Ausschließlich Kühe ohne Nachgeburtsverhaltungen wurden einbezogen. Die ersten 4-stündigen IUP-Aufzeichnungen begannen 14–17 Stunden nach den Kalbungen. Darauf folgten drei weitere 60-minütige Aufzeichnungen in 12-stündigen Intervallen. Druckwerte wurden auf Kontraktionsfrequenz (FREQ), Amplitude (AMP), Dauer (DUR), gemittelte und gesamte Oberfläche unter den Druckkurven pro Stunde (AUC und TAUC) analysiert. Die Blutentnahme aus der Schwanzvene für die Bestimmung der Ca2+- Konzentrationen im Blut war mit den IUP-Aufnahmen verknüpft. Bei TAUC traten signifikant höhere Werte in der mit Vitamin D3 vorbehandelten Gruppe gegenüber den anderen Gruppen auf (P = 0,0131). Trotz der numerisch höchsten FREQ-, AMP- und AUC-Werte, konnten in dieser Gruppe keine weiteren signifikanten Unterschiede nachgewiesen werden. Alle IUP-Parameter nahmen mit der Zeit deutlich ab (P < 0,001). In Gruppe D sanken die postpartalen Ca2+-Konzentrationen nie unter 1,04 mmol/L. Gruppe HC wies niedrigere Ca2+-Werte als Gruppe D (P = 0,0034) oder Gruppe NC (P = 0,0029) auf. Abschließend lässt sich festhalten, dass eine präpartale Behandlung mit Vitamin D3 bei Milchkühen einen starken Abfall der Blut Ca2+-Konzentration während der ersten zwei Tage nach dem Abkalben wirksam verhinderte und sich positiv auf die Kontraktilität des Myometriums auswirkte. Einleitung Für den Erfolg einer termingerechten Folgebesamung nach der Abkalbung ist bei Milchkühen eine ordnungsgemäße Involution erforderlich. Während der puerperalen Veränderungen spielt die Muskelaktivität der Gebärmutter eine primäre Rolle. Hauptsächlich sorgen die physiologischen Kontraktionen der Uterusmuskulatur für die Ausstoßung des Uterusinhalts, einschließlich der Nachgeburt und der Lochien. Bei einer gestörten Muskelaktivität verlängert sich jedoch der Prozess der Rückbildung. In dieser Zeit sind die Tiere häufig auch mit Stoffwechselstörungen belastet, welche Reproduktionsstörungen, oder weitere gesundheitliche Schädigungen der betroffenen Kühe zur Folge haben. Hypokalzämie stellt eine dieser Stoffwechselstörungen dar. Diese kann in schwerer Form als Gebärparese (Milchfieber) auftreten und betrifft vor allem ältere Hochleistungsmilchkühe in den ersten Tagen nach der Kalbung (1). In der Praxis werden zahlreiche Möglichkeiten genutzt, um die negativen Auswirkungen einer schweren Hypokalzämie zu überwinden oder diese abzuschwächen. Eine Möglichkeit der Milchfieberprophylaxe stellt die präpartale Behandlung mit Vitamin D3 dar (2-4). Die Wirkung einer parenteralen Vitamin D3 Behandlung auf die Kontraktilität des Uterus, sowie auf die Ca2+-Konzentration des Blutes wurde in dieser Studie unter Bedingungen in einem landwirtschaftlichen Betrieb getestet. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 87

Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Material und Methode Neun zufällig ausgewählte Holstein-Friesian Kühe auf einem großen ungarischen Milchviehbetrieb wurden mit einer Einzeldosis von 10 mL Vitamin D3 inj. (1 Million I.E. Cholecalciferol/mL, CP-Pharma, Burgdorf; Gruppe D) 7 Tage vor dem errechneten Kalbetermin intramuskulär behandelt. Der Behandlungstermin wurde anhand des Betriebsdurchschnitts (280 Tage) berechnet. Nach Abkalbung wurden 8 weitere Kühe, deren zwischen 14 und 17 Stunden postpartum gemessene Blut Ca2+-Konzentration im normokalzämischen Bereich lag (Gruppe NC, Blut Ca2+ ≥ 1,06 mmol/L) und 12 Kühe, deren Werte im hypokalzämischen Bereich lagen (Gruppe HC, Blut Ca2+ < 1,06 mmol/L), in die Studie einbezogen (5). Nach der Abkalbung der Tiere wurde die Kontraktilität der Gebärmutter durch die Messung des intrauterinen Drucks (intrauterine pressure, IUP) mit Anwendung eines offenen Kathetersystems (Hewlett-Packard, Andower, MA) und eines drucksensitiven Transducers (Ohmeda Inc., Murray Hill, NJ) gemessen. Nach einer analog- digitalen Konversion der Signale (DAQCard-1200, National Instruments Corp., Austin, TX) wurden diese in digitalisierter Form aufgezeichnet (6,7). In die aktuellen Auswertungen wurden nur Kühe einbezogen, deren Nachgeburt innerhalb von 12 Stunden nach der Abkalbung abgegangen ist. IUP-Kurven mit einer anfänglichen Dauer von 4 Stunden wurden 14–17 Stunden nach der Abkalbung aufgenommen. Weitere drei, jeweils einstündigen Aufnahmen wurden in 12-stündigen Intervallen ab Beginn der vorherigen Aufnahmen durchgeführt. Druckwerte wurden vom zuvor trächtigen Uterushorn elektronisch registriert und analysiert (LabVIEW® 5.0, National Instruments, Austin, TX). Die Kontraktionsfrequenz (FREQ), die Amplitude (AMP), die Dauer (DUR), sowie der Mittelwert und die Gesamtfläche unter den Druckkurven pro Stunde (AUC und TAUC) wurden berechnet. Blutproben aus der Schwanzvene wurden zu Beginn und am Ende der ersten IUP Aufnahme und am Ende aller anderen IUP Aufnahmen entnommen und dessen Ca2+-Konzentrationen innerhalb von 30 Minuten vor Ort analysiert (ABLTM 77 Blutgas- und Elektrolytanalysator, Radiometer, Kopenhagen, Dänemark). Mithilfe von Varianzanalysen mit wiederholten Messungen wurden gruppen- und zeitbezogene Unterschiede berechnet (8). Ergebnisse Nach der Behandlung mit Vitamin D3 am 273. Tag der Trächtigkeit kam es zwischen 1 und 9 Tagen nach der Behandlung zu tatsächlichen Abkalbungen, was einem Durchschnitt von 4,00 (± 2,87) Tagen (MW ± SD) entspricht. Von den IUP-Parametern ergaben sich nur bei TAUC signifikante Gruppenunterschiede, mit signifikant höheren Werten in Gruppe D über den gesamten Zeitraum (P = 0,0131). Obwohl diese Gruppe die numerisch höchsten Mittelwerte für FREQ, AMP und AUC aufwies, waren die Gruppenunterschiede statistisch nicht signifikant. Die DUR-Werte unterschieden sich zwischen den drei Gruppen nicht. Bei allen IUP-Parametern war eine konsequente und signifikante Abnahme im Zeitverlauf erkennbar (P < 0,001). Die auch statistisch höheren TAUC Werte in Gruppe D, im Vergleich zu den zwei behandlungsfreien anderen Gruppen weisen darauf hin, dass die präpartale Anwendung des Vitamin D3 postpartum zu einer Steigerung der myometrialen Kontraktilität führt. Die Blut Ca2+-Konzentrationen schwankten in allen Gruppen innerhalb eines engen Bereiches und fielen in Gruppe D zu keinem untersuchten Zeitpunkt unter 1,04 mmol/L. Bei diesem Parameter konnten signifikante Gruppenunterschiede zwischen den Gruppen D und HC (P = 0,0034), und zwischen den Gruppen NC und HC (P = 0,0029) festgestellt werden. Wobei Gruppe HC in beiden Vergleichen niedriger war, während zwischen den Gruppen D und NC kein Unterschied gefunden wurde. Die Ca2+-Konzentrationen im Blut sanken bis 25 Stunden allmählich ab und stiegen bis zum Versuchsende bei 49 Stunden kontinuierlich an (P = 0,0039). Vitamin D3 bewirkte eine gewisse Stabilität des Kalzium-Haushaltes, was dadurch prophylaktisch der Entwicklung eines Milchfiebers entgegenwirkt. Schlussfolgerung Zusammenfassend lässt sich sagen, dass eine präpartale Behandlung mit Vitamin D3 im Durchschnitt vier Tage vor der tatsächlichen Abkalbung bei Milchkühen einen starken postpartalen Abfall der Blut Ca2+- Konzentration während der ersten zwei Tage nach der Geburt wirksam verhindern konnte. Es erwies sich auch 88 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ als vorteilhaft für die Aufrechterhaltung einer besseren puerperalen Uteruskontraktilität bei behandelten Kühen, als bei unbehandelten, unabhängig von der anfänglichen Blut Ca2+-Konzentration. Zur Klärung dieses Effekts sind jedoch weitere Untersuchungen erforderlich. Literatur 1. Oetzel GR. Parturient paresis and hypocalcemia in ruminant livestock. Vet Clin North Am Food Anim Pract. 1988;4:351-64. 2. 3. Horst RL, Goff JP, Reinhardt TA. Role of vitamin D in calcium homeostasis and its use in prevention of bovine Thilsing-Hansen T, Jørgensen RJ, Østergaard S. Milk fever control principles: A review. Acta Vet Scand. 2002;43:1-19. periparturient paresis. Acta Vet Scand Suppl. 2003;97:35-50. 4. Goff JP. The monitoring, prevention, and treatment of milk fever and subclinical hypocalcemia in dairy cows. Vet J. 2008;176:50-7. 5. Kvart C, Björsell KA, Larsson L. Parturient paresis in the cow. Serum ionized calcium concentrations before and after treatment with different calcium solutions--classification of different degrees of hypo- and hypercalcemia. Acta Vet Scand. 1982;23:184-96. 6. Bajcsy ÁC, Szenci O, Doornenbal A, van der Weijden GC, Csorba C, Kocsis L, Szücs I, Ostgard S, Taverne MAM. Characteristics of bovine early puerperal uterine contractility recorded under farm conditions. Theriogenology. 2005a;64:99- 111. 7. Bajcsy ÁC, van der Weijden GC, Doornenbal A, Breeveld-Dwarkasing VNA, de Jong RC, Szenci O, Taverne MAM. Validation of pressure measurements and electromyographic results for the uterus of cattle during the early postpartum period. Am J Vet Res. 2005b;66:1605-15. 8. Statsoft, Inc. 2004. STATISTICA v. 6.1. www.statsoft.com Kontakt Prof. Dr. Árpád Csaba Bajcsy, Klinik für Rinder, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover csaba.bajcsy@tiho-hannover.de 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 89

Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Hormonbehandlungen in der Gynäkologie des Rindes - Wie, warum und warum nicht? Holm Zerbe1, Robert Hertzsch2, Rolf Mansfeld1 1LMU München, Tierärztliche Fakultät, Klinik für Wiederkäuer mit Ambulanz und Bestandsbetreuung, 2Tierarzt Plus GmbH, Berlin Die moderne Rinderhaltung steht aktuell im Fokus einer Diskussion rund um das Thema Hochleistung. Einer der in diesem Zusammenhang immer wieder diskutierten Punkte ist der Einsatz von Hormonen, eine Praxis, die von Teilen der Öffentlichkeit bereits allein aufgrund des Begriffs kritisch gesehen wird. Zur Versachlichung der Debatte soll nachfolgend ein kurzer Überblick zur aktuellen Verwendung dieser Wirkstoffe gegeben werden. Der Einsatz von Hormonen in der Rindermedizin lässt sich grob in zwei Hauptanwendungsgebiete unterteilen: Dies ist zum einen die Anwendung im Bereich Fruchtbarkeit bei Einzeltieren und Tiergruppen, zum anderen die Anwendung im Rahmen der Geburtssteuerung. Beispiele für Wirkstoffe, die überwiegend im Fertilitätsmanagement verwendet werden, sind Progesteron, GnRH und Analoga sowie LH, FSH, PMSG (=eCG) und hCG. Im Gegensatz dazu werden Oxytocin, Carbetocin, Dexamethason und Clenbuterol überwiegend geburtshilflich eingesetzt. PGF2฀ und seine Analoga werden zu beiden Zwecken verwendet. Die Anwendung von Arzneimitteln zur Erhöhung der Fruchtbarkeit steht im Gegensatz zur geburtshilflichen Anwendung stärker im Fokus der Debatte. Direkt die Milchleistung fördernde Wirkstoffe wie Bovines Somatotropin bST sind im Gegensatz zu den USA in der EU nicht zugelassen. Aktuelle Erhebungen zur Quantität des Hormoneinsatzes im Reproduktionssektor Rind liegen den Autoren für Deutschland nicht vor. In einer jüngeren Studie aus den Niederlanden wurde für dortige Verhältnisse eine erste Erhebung zum Einsatz von Hormonen in der Reproduktionsmedizin beim Rind erarbeitet (1). Im Untersuchungszeitraum 2017 bis 2019 waren Prostaglandine das am häufigsten verwendete Reproduktionshormon bei niederländischen Milchkühen (62,9%), gefolgt von GnRH (33,1%) und Progesteron (4,0%). Weitere hormonell wirksame Stoffe wurden aufgrund von Geringfügigkeit in der Studie nicht erfasst. Nur 5,8% der Milchviehbetriebe verwendeten keine Reproduktionshormone. Interessanterweise hat der Einsatz von Herdenmanagementprogrammen einen von Reproduktionshormonen. Diese Betriebe verwendeten mehr Reproduktionshormone als Betriebe ohne Herdenmanagementprogramme. Auch war der Einsatz von Reproduktionshormonen in Betrieben mit automatischen Melksystemen höher als in Betrieben mit einem konventionellen Melksystem, während ökologisch wirtschaftende Betriebe weniger Reproduktionshormone verwendeten. Die Autoren heben hervor, dass es hier noch reichlich Forschungsbedarf gibt, auch um die tatsächlichen Effekte des Hormoneinsatzes auf Kuhebene und auch die Reproduktionsleistung der Herde herauszuarbeiten. In einem Übersichtsartikel wird aufgezeigt, dass aufwendige v.a. in den USA entwickelte und angewendete Strategien zur Verbesserung der Trächtigkeitsraten (z. B. Double-OVSYNCH und PRESYNCH-OVSNCH) in Europa aufgrund erheblicher Medikamentenkosten und Dauer der Programme, aber auch der kritischen öffentlichen Wahrnehmung wenig Akzeptanz und Anwendung finden (2). signifikanten Einfluss auf die Verwendung Der Begriff „Hormon“ wird im Zusammenhang mit dem Einsatz bei Lebensmittel liefernden Tieren in der breiten Öffentlichkeit häufiger mit der Problematik von Rückständen im Lebensmittel verbunden. Aus pharmakologischer Sicht besteht bei Beachtung der in der Zulassung festgelegten Wartezeiten hierzu kein Anlass. Die Peptidhormone (hCG, LH, FSH, GnRH, PMSG/eCG) haben alle 0 Tage Wartezeit und sind unkritisch, da eine orale Resorption nicht in relevantem Maß stattfindet und sie eine sehr kurze Halbwertszeit besitzen. Progesteron, welches auch im Fleisch und der Milch von unbehandelten Tieren natürlich enthalten ist, hat ebenfalls 0 Tage Wartezeit. Eine kurze Wartezeit von 2 Tagen auf das essbare Gewebe besteht z.B. bei Dinoprost und dem PGF2฀-Analogon Cloprostenol. Dexamethason und Clenbuterol sind die aus Sicht des Verbraucherschutzes relevantesten Wirkstoffe und haben entsprechend längere Wartezeiten. Ihr Auftreten in 90 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ von Rindern gewonnenen Lebensmitteln wird z.B. im Rahmen des nationalen Rückstandskontrollplans regelmäßig überwacht. Neben der Rückstandsthematik steht bei bestimmten Wirkstoffen auch der Herstellungsprozess in der Kritik. Von besonderem Interesse ist dabei insb. die Gewinnung von PMSG/eCG (Pregnant Mare Serum Gonadotropin/Equines Choriongonadotropin). Dieses Hormon wird bis heute mangels synthetischer Alternativen aus dem Blut trächtiger Stuten gewonnen. Die dabei zur Anwendung kommenden Haltungs- und Produktionsprozesse insb. in Ländern wie Argentinien oder Uruguay sind dabei eindeutig nicht mit grundlegenden Anforderungen an den Tierschutz vereinbar. Erst kürzlich sind nun Pferdehaltungen in Island im Zusammenhang mit der Gewinnung von PMSG/eCG in die Kritik geraten. Die Schweiz verpflichtet sich seit jüngstem, auf den Einsatz von PMSG/eCG zu verzichten. Auch in Deutschland findet PMSG-Produktion an mindestens einem Standort statt. Der Einsatz in der Rindermedizin ist jedoch dem Einsatz in der Schweinemedizin deutlich untergeordnet. Zudem werden beispielsweise bei der Superovulationsbehandlung im Rahmen des Embryotransfer beim Rind ganz überwiegend Präparate mit FSH/LH-Wirkung eingesetzt. Die Gewinnung der hormonellen Wirkstoffe erfolgt hier aus Schweinehypophysen nach der Schlachtung. Ebenfalls verwendet wird das humane Choriongonadotropin, hCG. Für dieses existieren zwar prinzipiell synthetische Analoga, jedoch findet auch weiterhin die Gewinnung aus dem gespendeten Urin schwangerer Frauen statt. Die Herstellung von hCG und anderer für die Rindermedizin zugelassener Hormone ist nach aktuellem Kenntnisstand als unkritisch zu bewerten. Arzneimittelrechtlich schwierig mit den Anforderungen der Praxis zu vereinbaren ist das Thema der Abgabe von Arzneimitteln im Voraus. Dies trifft insbesondere auch auf Hormonpräparate für die Rindermedizin zu. Die Abgabe im Voraus ist dabei von der verbotenen Abgabe auf Vorrat zu unterscheiden und grundsätzlich an bestimmte Bedingungen geknüpft: • Zuerst muss eine Untersuchung und Diagnosestellung durch den Tierarzt im Bestand durchgeführt werden. • Wird dabei festgestellt, dass künftig weitere Tiere aus dem untersuchten Bestand behandlungsbedürftig werden dürften, können auf der Basis von unterstützenden Erfahrungswerten aus dem Bestand und auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse für die voraussichtlich zukünftig behandlungsbedürftigen Tiere Arzneimittel abgegeben werden. • Dabei muss auch für Hormone die 31-Tage-Frist für die Abgabe verschreibungspflichtiger Medikamente beachtet werden. • Darüber hinaus muss der Behandlungserfolg regelmäßig kontrolliert werden. Diese Voraussetzungen lassen sich insb. bei den in Frage kommenden Anwendungsgebieten von Hormonen wie z.B. Fruchtbarkeitsmanagementprogrammen in der Regel nur im Rahmen einer tierärztlichen Bestandsbetreuung erfüllen. Rechtlich klar verboten ist die Abgabe von Wirkstoffen, die laut Verordnung über Stoffe mit pharmakologischer Wirkung nur von Tierarzt oder Tierärztin angewendet werden dürfen. Bei den für Rinder zugelassenen Hormonpräparaten betrifft dies die Wirkstoffe Clenbuterol und Progesteron. Ebenfalls klar verboten ist eine Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel über den 31-Tage Zeitraum hinaus sowie eine Abgabe ohne Erfüllung der Bedingungen einer ordnungsgemäßen Behandlung. Für die rechtlich zulässige Abgabe im Voraus kann als Beispiel die Behandlung eines Einzeltieres nach Diagnose durch den Tierarzt benannt werden, wobei die Indikation eine mehrmalige Anwendung in einem gewissen zeitlichen Abstand notwendig macht. Ebenfalls möglich ist die Abgabe im Voraus für Tiergruppen, bei denen die Behandlungsnotwendigkeit durch tierärztliche Untersuchung festgestellt wurde und die im Rahmen eines schriftlich fixierten Behandlungsplans z.B. ein Brunstsynchronisationsprogramm oder eine Superovulationsbehandlung im Rahmen des Embryotransfer durchlaufen sollen. Auch hier ist die 31-Tage- Regel zu beachten und eine regelmäßige Kontrolle des Therapieerfolgs muss zur Erfüllung des Begriffs der ordnungsgemäßen Behandlung stattfinden. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 91

Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Fazit Wir Tierärztinnen und Tierärzte sind für die Produktion von aus lebensmittelhygienischer Sicht unbedenklichen Fleisch- und Milchprodukten mitverantwortlich. Ein wichtiger Punkt ist deshalb der sorgfältige Einsatz von Stoffen mit hormoneller Wirkung in der Milchviehzucht - auch, um einer gewissen Skepsis beim Verbraucher bezüglich des Gebrauches von Hormonen in der modernen Landwirtschaft entgegenzuwirken. Besondere Bedeutung haben hier die Einhaltung der Regeln für die Abgabe von Arzneimitteln im Voraus und der Anwendungsangaben der Fachinformationen für das jeweilige Hormonpräparat. Grundsätzlich müssen wir uns in Kooperation mit den Landwirten in erster Linie um die Verbesserung des Managements zur Verbesserung von Tiergesundheit und Fruchtbarkeit bemühen, um beispielsweise einem exzessiven und kompensatorischen Gebrauch von Hormonpräparaten entgegenzuwirken. Literatur 1. 2. van der Laan, J. S. M., Vos, P. L. A. M., van den Borne, B. H. P., Aardema, H., & van Werven, T. (2021). Reproductive hormone use and its association with herd-level factors on Dutch dairy farms. Journal of Dairy Science, 104(10), 10854-10862. Crowe, M. A., Hostens, M., & Opsomer, G. (2018). Reproductive management in dairy cows-the future. Irish veterinary journal, 71(1), 1-13. Kontakt Prof. Dr. Holm Zerbe, Prof. Dr. Rolf Mansfeld Klinik für Wiederkäuer mit Ambulanz und Bestandsbetreuung, LMU München Sonnenstr. 16, 85764 Oberschleißheim h.zerbe@lmu.de r.mansfeld@lmu.de Dr. Robert Hertzsch Tierarzt Plus GmbH Wöhlertstraße 12-13, 10115 Berlin robert.hertzsch@tierarztpluspartner.de 92 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Antibiotikaeinsatz Bereich Eutergesundheit - Reduktion und Optimierung Volker Krömker1, Franziska Preine2, Julia Nitz2 1Universität Kopenhagen, Veterinärmedizin und Tierwissenschaften - Produktion, Tierernährung und Gesundheit, Rinderherdengesundheit, Kopenhagen-Frederiksberg 2Hochschule Hannover, Fak.II – Bioverfahrenstechnik, Mikrobiologie, Hannover Zur Mastitisbekämpfung werden Antibiotika erfolgreich eingesetzt. Diese Art der Therapie ist insgesamt für ca. 70 % aller in der Milchkuhhaltung verwendeten antibiotischen Dosen verantwortlich. Die Anwendungsgebiete sind die Behandlung subklinischer Infektionen der Milchdrüsen zum Trockenstellen und klinischer Mastitiden in der Laktation. In einzelnen Betrieben werden auch subklinisch erkrankte Tiere in der Laktation behandelt. Antibiotikaeinsatz im Eutergesundheitsbereich Der antibiotische Aufwand wird primär durch die Häufigkeit von Mastitiden in einem Betrieb und die gewählte in vielen therapeutische Vorgehensweise signifikant beeinflusst. Die Häufigkeit von Mastitiden Milchviehbetrieben in den letzten Jahren rückläufig. ist Bei klinischen Mastitiden können im Vergleich zu älteren konventionellen Therapiekonzepten durch eine vorsichtige Adaption an moderne therapeutische Konzepte 43 % und durch Anwendung der sogenannten ‚gezielten Mastitistherapie‘ 71 % der antibiotischen Dosen ohne Nachteile für die Heilungsrate eingespart werden (Preine und Krömker 2022). Ähnliche Einsparmöglichkeiten bietet das selektive Trockenstellen im Vergleich zum Trockenstellen aller Kühe unter antibiotischem Schutz (Müller et al. 2023). Auf die Behandlung subklinischer Infektionen in der Laktation kann, mit Ausnahme von der Bekämpfung sich schnellausbreitender Mikroorganismen wie S. agalactiae oder S. canis im Rahmen von Herdensanierungen, ohne Nachteile für die Herdengesundheit verzichtet werden. Üblicherweise dienen diese Behandlungen auch eher der kurzfristigen Zellzahlsenkung und weniger einer wirklichen Problemlösung. Daten aus Praxisbetrieben zeigen, dass die Spannweite von Tagen mit Antibiotikagabe pro 100 Kuhjahren unter Risiko von 4,8 bis 250 Tagen sehr groß ist (Preine und Krömker 2022). Durch eine gezielte Reduktion der gegebenen antibiotischen Dosen können Resistenzentwicklung vermieden und Kosten reduziert werden. Nicht zuletzt steht der antibiotische Aufwand in einem Produktionsbereich der Nutztierhaltung auch in direkter Proportionalität zur Ablehnung dieses Bereichs durch gesellschaftliche Gruppen. Gezielte Mastitistherapie In der gezielten Mastitistherapie wird die lokale Gabe antibiotischer Dosen auf Mastitisfälle beschränkt, die davon in Form von erhöhten Heilungsraten gegenüber Spontanheilungen profitieren. Dies sind Infektionen mit Gram positiven Mikroorganismen bei ‚therapiewürdigen‘ Tieren (nicht 3 x > 700.000 Zellen/ml; nicht >2 Mastitisfälle in der Laktation). Schwere Mastitiden werden systemisch antibiotisch behandelt, um eine etwaige Bakteriämie abzuwehren. Leichte und mittlere Mastitiden werden nur lokal antibiotisch behandelt. Eine unterstützende nicht-antibiotische Therapie ist sinnvoll (NSAID, Infusionstherapie bei schweren Mastitiden). Einfachen beta-Laktam Antibiotika wird in der lokalen Therapie der Vorzug gegeben. Eine Optimierung der Heilungsraten könnte durch eine Verlängerung der lokalen antibiotischen Therapie bei Infektionen mit S. uberis erreicht werden. Gram negative Mastitiden werden nicht lokal antibiotisch behandelt (Krömker et al. 2018, Schmenger et al. 2020). Selektives Trockenstellen unter antibiotischem Schutz Die Behandlung infizierter Drüsenviertel zum Zeitpunkt des Trockenstellens kann die Heilungschancen von Drüsenvierteln mit Gram positiven Mastitiserregern (insbesondere Streptokokken) verbessern. In einem Milchviehbetrieb mit einer mittleren Eutergesundheit und einer typischen Erregerverteilung sind etwa 30 % der Euterviertel zum Zeitpunkt des Trockenstellens im Viertelanfangsgemelk nach aseptischer Probenahme). Untersuchungen zeigen, dass von diesen Eutervierteln (Nachweis eines Mastitiserregers infiziert 94 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ 75 % ohne eine antibiotische Therapie in der Trockenperiode ausheilen würden. Etwa 10 % der Viertel können nur durch antibiotische Therapie geheilt werden. Weitere 10 % der Euterviertel können nicht im Infektionsstatus beeinflusst werden und 5 % der Viertel heilen zunächst aus, erleiden aber eine Reinfektion in der Trockenperiode (Müller et al. 2023). Der geringe Anteil von Eutervierteln, der erfolgreich durch antibiotische Therapie geheilt werden kann, wird vor allem durch Streptokokkeninfektionen dominiert. Die antibiotische Therapie bewirkt also bei 30 % x 10 % = 3 % aller Euterviertel eine über die Selbstheilung hinausgehende bakteriologische Heilung. Von den 70 % zum Zeitpunkt des Trockenstellens nicht infizierten Eutervierteln bleiben ca. 55 % über die Trockenperiode hinweg nicht infiziert. 20 % erleiden eine Neuinfektion bis Tag 3 nach der Abkalbung und 25 % eine Neuinfektion bis Tag 17 (Nitz et al. 2021). Ob eine Trockenperiode für die Eutergesundheit zum Erfolg wird hängt also viel mehr von etwaigen Neuinfektionen (30 % x 5 % = 1,5 %; 70 % x 45 % = 31,5 %; 33 % Neuinfektionen vs. 3 % Heilungen) ab, als von erfolgreichen Heilungen. Entsprechend ist der Erfolg des selektiven Trockenstellens vor allem von der Anwendungshygiene (Medikamentenapplikation) und der Haltungshygiene bzw. von geburtsnahen Erkrankungen abhängig, die Einfluss auf die Neuinfektionswahrscheinlichkeit nehmen. Da die Sorge einer Verschlechterung der Heilungsrate nach der Einführung des selektiven Trockenstellens groß ist, sollten Methoden mit hoher Sensitivität für die Auswahl von mit Gram positiven Mikroorganismen infizierten Milchkühen verwendet werden. Hohe Sensitivitäten der Auswahl lassen sich durch die Kombination verschiedener Kriterien, durch niedrige Zellzahlgrenzwerte oder durch bakteriologische Untersuchungen erreichen. Dabei wird eine niedrige Spezifität in Kauf genommen. Die umfangreiche Reduktion von antibiotischen Dosen im Rahmen des Trockenstellprozesses ist somit dann kein großes Problem, wenn es gelingt, Neuinfektionen im Milchviehbetrieb in dieser Zeit gering zu halten. Eine tierärztliche Beratung zur korrekten und hygienischen Arzneimittelapplikation sowie zur Haltungshygiene in der Trockenperiode und zur Vermeidung von geburtsnahen Erkrankungen kann den Übergang zum selektiven Trockenstellen erheblich vereinfachen. Die Auswahl potentiell infizierter Tiere für eine antibiotische Therapie kann hingegen recht einfach erfolgen (z.B. anhand eines niedrigen Zellzahlgrenzwertes in der Milchleistungsprüfung (50.000 Zellen/ml oder 100.000 Zellen/ml)) (Müller et al. 2023). Subklinische Mastitiden in der Laktation Die antibiotische Therapie subklinischer Mastitiden in der Laktation wird kontrovers diskutiert. Üblicherweise wird nicht die durch diese Behandlung mögliche bakteriologische Heilung in Frage gestellt, sondern vielmehr ob diese Behandlung und damit die bakteriologische Heilung nachhaltig ist, also kurzfristig keine Neuinfektionen der entsprechenden Drüsenviertel stattfinden. In den nordischen Mastitis-Leitlinien wird diese Behandlung abgelehnt, da wenig Evidenz existiert, dass diese Behandlung nachhaltig ist (Landin 2009). Die Nachhaltigkeit dieser Behandlung hängt von mehreren Faktoren ab. Vom Zeitpunkt der Behandlung in der Laktation (je früher desto besser), vom sicheren Nachweis einer persistierenden Infektion mit behandelbaren Mikroorganismen (Zellzahl über zwei Monate erhöht, z.B. Streptokokkennachweis) und vom Neuinfektionsdruck in der Herde (nur in Herden mit einer überdurchschnittlich niedrigen Neuinfektionsrate). Zusammenfassung Trotz sehr vieler wissenschaftlicher Arbeiten im Mastitisbereich ist die Anzahl von klinisch randomisierten Studien oder gar Metaanalysen im Bereich der Mastitistherapie sehr begrenzt. Entsprechende Studien auf der Basis standardisierter Protokolle und entsprechender Zielvariablen sind zwingend erforderlich. Eine Reihe von Arbeiten zeigen, dass eine differenzierte Therapie, die die epidemiologischen Bedingungen des jeweiligen Betriebs berücksichtigt, erheblich weniger antibiotische Dosen erfordert. Eine Verschlechterung der therapeutischen Ergebnisse ist bei korrekter Anwendung nicht zu erwarten. Deutlich ist, dass eine sorgsame Diagnostik vor der Therapie mit Hilfe von on farm-tests oder/und verfügbaren Daten im Betrieb bestmögliche Ergebnisse garantiert. Literatur 1. Krömker V, Schmenger A, Kock J, Klocke D, Paduch JH, Leimbach S (2018): Aspekte einer modernen Mastitistherapie [Aspects of Modern Mastitis Treatment]. Der Praktische Tierarzt 99, Heft 02/2018, 180–189; DOI 10.2376/0032-681X-17-75 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 95

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ 2. 3. 4. 5. 6. 7. Landin H. The NMSM Animal Health Group, Manifest 2009. Nordic Guideline for Mastitis Therapy Nordic-guidelines- for-mastitis-therapy-tryckfil.pdf (juverportalen.se) Müller S, Nitz J, Tellen A, Klocke D, Krömker V. Effect of Antibiotic Compared to Non-Antibiotic Dry Cow Treatment on the Bacteriological Cure of Intramammary Infections during the Dry Period—A Retrospective Cross-Sectional Study. Antibiotics. 2023; 12(3):429. https://doi.org/10.3390/antibiotics12030429 Müller S, Preine F, Katthöfer P, Klocke D, Nitz J, Wente N, Zhang Y, Leimbach S, Krömker V (2023): Selektives Trockenstellen – Worauf kommt es an. Der Praktische Tierarzt 104 4/2023, 370–382 Nitz J, Wente N, Zhang Y, Klocke D, tho Seeth M, Krömker V (2021): Dry Period or Early Lactation—Time of Onset and Associated Risk Factors for Intramammary Infections in Dairy Cows. Pathogens 2021, 10(2), 224; https://doi.org/10.3390/pathogens10020224 Preine F, Krömker V. Associations between udder health, udder health management and antimicrobial consumption: Insights into the mechanisms influencing antibiotic usage in German dairy farms. Milchwissenschaft – Milk Sci Int. 2022; 75:7-15. https://doi.org/10.48435/MSI.2022.2. Schmenger A, Leimbach S, Wente N, Zhang Y, Biggs AM, Krömker V (2020) Implementation of a targeted mastitis therapy concept using an on-farm rapid test: antimicrobial consumption, cure rates and compliance. Veterinary Record Kontakt Prof. Dr. Volker Krömker; Universität Kopenhagen, Veterinärmedizin und Tierwissenschaften - Produktion, Tierernährung und Gesundheit, Rinderherdengesundheit, Kopenhagen-Frederiksberg 96 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Evaluierung der Eutergesundheit einer Herde – was sagen einem die Zahlen? Ulrike S. Sorge Tiergesundheitsdienst Bayern e.V., Fachabt. Eutergesundheitsdienst und Milchhygiene, Poing Als Tierarzt fokussiert man sich vielfach vor allem auf das erkrankte Einzeltier. Die Frage ist jedoch, was ist normal und ab wann sind es zu viele euterkranke Kühe in einer Herde. Gibt es Trends in der Eutergesundheit der Herde (Verbesserung oder Verschlechterung) und welche Tiergruppe ist besonders betroffen. Indem man das Problem eingrenzt, können Gegenmaßnahmen gezielt eingeleitet werden, um die Herde dauerhaft gesünder zu halten. Denn das Ziel sollte immer sein, Neuinfektionen zu verhindern, weil einmal euterkranke Tiere ein deutlich erhöhtes Risiko haben, wieder an Mastitiden zu erkranken. Für die Identifikation der ursächlichen Erreger von Euterinfektionen auf Kuh-Ebene braucht es Viertelgemelksproben und Erregernachweise. Diese werden auf vielen Betrieben jedoch nicht regelmäßig für die Herde durchgeführt. Meist werden lediglich einige klinische oder vereinzelte Kühe vor dem Trockenstellen beprobt, um Behandlungsentscheidungen des Einzeltieres zu treffen. Zwar können anhand dieser Daten auch Rückschlüsse für die Herde gezogen werden, die Diversität der Stichprobe von Herde zu Herde macht eine standardisierte Interpretation auf Herdenebene jedoch unmöglich. Stattdessen nutzt man die Probemelkergebnisse der Einzeltiere, um einen guten Überblick über die Eutergesundheit einer Herde zu erhalten. Diese Daten werden standardisiert, mit vergleichsweise geringem Aufwand und regelmäßig von fast allen laktierenden Kühen erhoben. Roboter erheben zwar noch häufiger Daten, die Euter- bzw. Gesundheitsdaten zielen vor allem darauf, erkrankte Einzeltiere zügig zu erkennen und nehmen dabei eine hohe in Kauf (1). Die Kennzahlen basieren daher auf Probemelkergebnisse. Sie sind unabhängig von der Herdengröße oder dem Melksystem. Kennzahlen helfen die „Infektionsentwicklung“ in der Herde besser einzuordnen – auch wenn es hier weniger um tatsächliche Infektionen als vielmehr um die Reaktion des Immunsystems (Zellzahlen/ml) geht. falsch-positiv Rate Verständlicherweise sollte der Großteil der Herde eutergesund sein und keine erhöhten Zellzahlen aufweisen. Dies bedeutet, dass mehr als 65% der Laktierenden bei aufeinander folgenden Probemelkungen (PM) unter 100.000 Zellen/ml aufweisen sollten („gesund“) und die meisten Kühe mit Zellzahlen von >100.000 Zellen/ml beim nächsten PM wieder unter 100.000 Zellen/ml liegen sollte (> 60 % der Erkrankten heilen aus). Der Anteil der Kühe einer, deren Zellzahl von ≤ 100.000 auf > 100.000 Zellen/ml ansteigt, sollte unter 15 % liegen. Zudem sollten nur wenige Kühe wiederholt > 100.000 Zellen/ml aufweisen (< 5 % der Herde). Letztere werden in verschiedenen Softwaresystemen als „chronisch“ bezeichnet. Dieses „chronisch“ sollte aber nicht mit „therapieresistent“ gleichgesetzt werden. „Chronische“ Kühe sind vielmehr Tiere, deren Immunsystem an aufeinander folgenden PM („wiederholt“) im subklinischen Bereich war. Hierbei ist natürlich unbekannt, wie hoch die Zellzahlen in den Wochen zwischen den Tests waren- sie können im subklinischen Bereich geblieben sein oder aber auch auf ein gesundes Niveau gesunken (geheilt) und dann vor dem nächsten Test wieder angestiegen sein („Neuinfektion“). Therapieresistente Kühe sind hingegen Tiere, die in der Laktation ≥ 3x über 700.000 Zellen/ml aufgewiesen haben (Ziel: < 1 % der Herde). Hier ist die antibiotische Behandlung nicht dauerhaft zielführend und die Kühe sollten aus der Herde gemerzt werden. Ähnlich zur Laktation gibt es vergleichbare Kennzahlen auch für die Trockenstehphase. Gesunde Tiere sollten gesund aus der Trockenstehphase herauskommen. Ein Neuinfektionsrisiko von < 15 % sollte auch für die Trockenstehphase das Ziel sein. Beim ersten Probemelken sollten nur wenige Tiere subklinische Mastitiden aufweisen. Dies gilt auch für Erstlaktierende. Haben mehr als 15 % von Erstlaktierenden oder Trockenstehern Neuinfektionen, so muss das Management und Hygiene der Transitphase überprüft werden. Hierzu gehört auch die postpartale Phase und die damit auch das Anmelken der Tiere (inkl. hygienische Kolostrumgewinnung). Oftmals sind die Melkzeuge von Melkeimern nicht ausreichend gewartet. Für die Überprüfung des Behandlungserfolges (> 60 % behandelter Kühe sollten über die Trockenstehphase ausheilen), eignen sich die Zahlen ebenfalls – auch wenn hier die bakteriologische Heilung für Kuh-assoziierte Infektionen zusätzlich überprüft werden sollte (d.h. Viertelgemelksproben am Tag der Abkalbung). Heilen Kühe mit hohen Zellzahlen nicht aus, so müssen mehrere Fragen gestellt werden: 1) wurde die Infektion dieser Kuh richtig diagnostiziert, 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 97

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ 2) hat sie die richtige Therapie für ihren Fall bekommen und 3) ist das Neuinfektionsrisiko währen der Trockenstehphase so hoch, dass dauerhafte Ausheilungen trotz Therapie nicht möglich sind. Nur so können Management oder Therapie gezielt angepasst werden. Online LKV Auswertungen oder Softwareprogramme erlauben diese Auswertungen. Beim Beitrag werden verschiedene Auswertungen und ihre Interpretation gezeigt. Literatur 1. Bausewein M, Mansfeld R, Doherr MG, Harms J, Sorge US. Sensitivity and Specificity for the Detection of Clinical Mastitis by Automatic Milking Systems in Bavarian Dairy Herds. Animals 2022, 12(16), 2131. Kontakt Dr. Ulrike Sorge; Tiergesundheitsdienst Bayern e.V., Poing Ulrike.Sorge@tgd-bayern.de 98 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Einflüsse des antibiotischen und nichtantibiotischen Trockenstellens auf Eutergesundheit und Milchleistung Martina Baumgartner, Michael Sigmund, Verena Urbantke, Thomas Wittek Universitätsklinik für Wiederkäuer, Department für Nutztiere und öffentliches Gesundheitswesen in der Veterinärmedizin Hintergrund der Studie Das Trockenstellen der Kuh soll gewährleisten, dass auf eine Resorptions- und Involutionsphase eine gute Neolaktogenese mit Bildung hochwertigen Kolostrums erfolgen kann. Aus Sicht der Eutergesundheit handelt es sich um eine entscheidende Phase für die Ausheilung von Infektionen aus der vorangegangenen Laktation, aber auch um eine Risikoperiode, in welcher neue Infektionen auftreten können, die in der Frühlaktation als klinische Mastitiden zu Mehrkosten durch Milchleistungseinbußen, Verlust von Eutervierteln oder wertvollen Zuchttieren führen können. Das Antibiotische Trockenstellen aller Kühe wurde in vielen Hochleistungsherden über Jahrzehnte mit gutem Erfolg praktiziert. Bedingt durch die zunehmenden Antibiotikaresistenzen sowohl in der Human-, als auch in der Veterinärmedizin, wird das selektive antibiotische Trockenstellen mittlerweile als alternativlos angesehen. Dabei werden nur jene Tiere antibiotisch behandelt, die entweder subklinisch erkrankt, oder durch tierindividuelle Prädispositionen ein erhöhtes Mastitisrisiko haben. Das Infektionsrisiko in der Trockenstehzeit soll durch ein proaktives Management (Hygienemaßnahmen, Milchleistungskontrolle, Einsatz von Zitzenversieglern etc.) so weit gemindert werden, dass Tiere ohne antibiotischen Schutz keinem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt werden. In den letzten Jahren beschäftigten sich zahlreiche Studien mit dem selektiven Trockenstellen: Zellzahlgrenzwerte für die Auswahl jener Kühe, die vom antibiotischen Trockenstellen profitieren und die Auswirkungen des selektiven antibiotischen Trockenstellens auf die Milchleistung und Eutergesundheit stehen dabei im Vordergrund. Die Bedeutung der bakteriologischen Untersuchung von Viertelgemelksproben vor dem Trockenstellen und die Frage des erregerspezifischen Trockenstellens hingegen wird kaum diskutiert. Im Rahmen des Vortrages werden die Ergebnisse von zwei österreichischen retrospektiven Studien zu den Auswirkungen des antibiotischen Trockenstellens auf Milchleistung und Zellzahl in der Folgelaktation präsentiert und vor dem Hintergrund der Ergebnisse der bakteriologischen Untersuchung von Viertelgemelksproben vor dem Trockenstellen diskutiert. Österreichische Studienergebnisse zu den Auswirkungen des antibiotischen Trockenstellens auf Zellzahl und Milchleistung in der Folgelaktation In einer ersten Studie von Wittek et al. (2018) wurden Daten aus dem Gesundheitsmonitoring (Rind) ausgewertet. In dieses Datenerfassungssystem fließen seit 2010 Daten aus der Milchleistungsprüfung und den tierärztlichen Diagnoseerhebungen. Ziel der Studie war es festzustellen, wie hoch der Anteil an Betrieben mit selektivem Trockenstellen ist, welches die Motivationen für die Verwendung bzw. für den Verzicht auf antibiotische Trockenstellformulierungen ist, und wie sich das jeweilige Verfahren auf die Milchleistung, die Zellzahl und das Auftreten von Mastitiden in der Frühlaktation auswirkte. Dazu wurden Daten von 88.534 Laktationen aus den Jahren 2013 bis 2015 ausgewertet. Es zeigte sich, dass lediglich 31,3 % der Kühe unter antibiotischem Schutz trockengestellt wurden. Neben dem Auftreten klinischer Mastitiden in der Laktation und dem somatischen Zellgehalt vor dem Trockenstellen, erhöhte eine gute Milchleistung die Wahrscheinlichkeit für den Einsatz von Antibiotika zum Trockenstellen. Mittels Regressionsanalyse wurde weiters errechnet, dass das antibiotische Trockenstellen einen signifikant positiven Effekt auf Milchleistung und Zellzahl, jedoch keinen Einfluss auf das Auftreten von klinischen Mastitiden zu Laktationsbeginn hatte. In einer Folgestudie von Sigmund et al. (2023) bestätigte sich der positive Einfluss des antibiotischen Trockenstellens auf die Milchleistungs- und Zellzahlentwicklung in der Folgelaktation. Allerdings konnte bei Kühen mit einer Zellzahl >200.000 Zellen pro ml vor dem Trockenstellen ein 2-fach höheres Risiko für eine Erhöhung auch nach dem 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 99

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Abkalben festgestellt werden, und zwar unabhängig davon, ob eine antibiotische Behandlung zum Trockenstellen durchgeführt wurde oder nicht. Das antibiotische Trockenstellen konnte auch das Auftreten klinischer Mastitiden in der Folgelaktation nicht signifikant beeinflussen. Diese Ergebnisse verweisen darauf, dass neben der Zellzahl auch die beteiligten Mastitis-Pathogene und die Chronizität der Erkrankung eine Rolle spielen. Aufgrund zu geringer Tierzahlen mit bakteriologischem Befund konnte eine pathogenspezifischer Effekt nicht eindeutig geklärt werden. Die Auswertungen der Kontrolluntersuchungen vor dem Trockenstellen aus dem diagnostischen Labor der Klinik für Wiederkäuer ergeben regelmäßig, dass Nicht Aureus Staphylokokken (NAS) neben Streptokokken und Staphylococcus aureus jene Bakterien sind, die am häufigsten aus Kontrollproben zum Trockenstellen isoliert werden. Weiters wissen wir aus unseren Untersuchungen in Betrieben mit Zellzahlproblemen, dass einerseits Kühe mit Nachweis von S. aureus und NAS oft über einen Zellzahlgrenzwert von 200.000 Zellen im Einzelgemelk nicht detektiert werden, und dass Tiere, die bereits über Monate eine erhöhte Zellzahl haben, deutlich schlechtere bakteriologische Heilungsraten aufweisen. Diese Ergebnisse verweisen darauf, dass das Erregerspektrum im Betrieb nicht nur in Bezug auf klinische, sondern auch auf subklinische Mastitiden regelmäßig untersucht werden sollte. Kontrolluntersuchungen vor dem Trockenstellen ermöglichen zudem ein Monitoring der subklinischen Mastitiden im Bestand, das auch für die Bestandsbetreuung (erregerspezifische Prophylaxemaßnahmen) genutzt werden kann. Literatur 1. Wittek T, Tichy A, Grassauer B, Egger-Danner C. Retrospective analysis of Austrian health recording data of antibiotic or nonantibiotic dry-off treatment on milk yield, somatic cell count, and frequency of mastitis in subsequent lactation. J Dairy Sci. 2018 Feb;101(2):1456-1463. doi: 10.3168/jds.2017-13385 2. Sigmund M, Egger-Danner C, Firth CL, Obritzhauser W, Roch FF, Conrady B, Wittek T. The effect of antibiotic versus no treatment at dry-off on udder health and milk yield in subsequent lactation: A retrospective analysis of Austrian health recording data from dairy herds. J Dairy Sci. 2023 Jan;106(1):452-461. doi: 10.3168/jds.2022-21790. Kontakt Dr. Martina Baumgartner; Klinik für Wiederkäuer, Veterinärmedizinische Universität Wien martina.baumgartner@vetmeduni.ac.at 100 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Der Start ins selektive Trockenstellen – ein Praxisbericht über Probleme, Missverständnisse und Kommunikation als Schlüssel zum Erfolg Martin tho Seeth Tierarztpraxis Freren, Freren Einleitung Eutergesundheitsstörungen stellen milchviehhaltende Betriebe weiterhin vor große wirtschaftliche Herausforderungen. Behandlungen, Milchverluste, Sperrmilch und Abgänge verursachen Kosten und Mehrarbeit (1,2). Die Mastitis der bovinen Milchdrüse ist zudem weiterhin der häufigste Grund für antibiotische Therapien (3-5). Für die Eutergesundheit einer Milchviehherde spielt die Trockenstehperiode eine wichtige Rolle. Das Drüsengewebe kann sich von der vorangegangenen Laktation regenerieren und sie bietet eine gute Möglichkeit für die Ausheilung bestehender Infektionen. Jedoch besteht zu Beginn und am Ende der Trockenstehzeit und während der ersten Laktationstage ein erhöhtes Risiko für intramammäre Infektionen (6- 8). Die Anwendung antibiotischer Trockenstellpräparate zum Trockenstellen von Milchkühen ist in Deutschland weit verbreitet. Jedoch profitieren nicht alle Tiere gleichermaßen von einer antibiotischen Trockenstelltherapie (9). Antibiotische Therapien sind zudem nur bei bestehenden Infektionen sinnvoll und auch der, die Infektion verursachende, Mastitiserreger hat Einfluss auf die Effektivität der Behandlung (10). Zur Prävention von intramammären Neuinfektionen gibt es zudem effektive Alternativen und die Verordnung 2019/6 der Europäischen Union (EU), welche seit 2022 in Kraft ist, verbietet den prophylaktischen Einsatz antibiotischer Präparate. Selektive Trockenstellprogramme, welche mit einer Überprüfung sowie ggf. Optimierung des Eutergesundheitsmanagements einhergehen und ein effektives Monitoring der Eutergesundheit beinhalten, stellen eine gute Möglichkeit dar, den Verbrauch an antibiotischen Präparaten zu senken, ohne die Eutergesundheit der Milchviehherde zu gefährden. Die Identifizierung der Tiere bzw. Euterviertel, welche von einer antibiotischen Trockenstelltherapie profitieren, kann über verschiedene Wege gelingen. In der Praxis hat sich beispielsweise die Kombination aus der Zellzahl der letzten MLP und einem Schalmtest am Tag des Trockenstellen bewährt. Aber auch Konzepte, welche beispielsweise auf einer bakteriologischen Untersuchung basieren sind möglich (11-13). Trotz des aktuellen Wissenstands bezüglich funktionierender sowie praktikabler Konzepte zum selektiven Trockenstellen, gibt es noch immer viele milchviehhaltende Betriebe, die sich große Sorgen um die Eutergesundheit ihrer Milchviehherde machen. Dies ist verständlich und zeigt, dass es Bereiche gibt, in denen die Beratung auf den Betrieben noch Verbesserungspotential besitzt. Ziel dieser aktuell laufenden Untersuchung ist es, mögliche Bedürfnisse, Sorgen und Probleme der Landwirtinnen und Landwirte in Bezug auf das selektive Trockenstellen zu beleuchten, um einen möglichen Beratungsbedarf zu identifizieren. Auf diesem Weg soll die Kommunikation zwischen Tierarztpraxis und milchviehhaltendem Betrieb verbessert, die Beratung zum Thema Trockenstehzeit und selektivem Trockenstellen optimiert und zur Zukunftsfähigkeit der Milchviehbetriebe beigetragen werden. Material und Methoden In einer aktuell laufenden anonymen Onlineumfrage werden seit August 2023 deutsche Milchviehbetriebe zu den Thematiken des antibiotischen Trockenstellens bzw. des selektiven Trockenstellens befragt. Zudem flossen Daten von Milchviehbetrieben ein, welche im Rahmen der Eutergesundheitsberatung der Praxis besucht wurden. Die Umfrage richtet sich gezielt an Betriebe, für die das selektive Trockenstellen bisher nicht zur festen Arbeitsroutine gehörte. Abgefragt werden betriebliche Daten, die Erwartungen an das antibiotische Trockenstellen und mögliche Probleme, welche im Zusammenhang mit dem selektiven Trockenstellen in den Betrieben befürchtet werden oder bereits aufgetreten sind. Zudem werden Erfahrungen mit dem Einsatz interner Zitzenversiegler und der Bedarf nach tierärztlicher Beratung zum selektiven Trockenstellen abgefragt. Die Daten werden gesammelt, analysiert und mögliche Beratungsbedarfe abgeleitet. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 101

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Aktueller Stand und Ausblick Die ersten Auswertungen der noch laufenden Befragung zeigen, dass viele Probleme sowie Befürchtungen der Milchviehbetriebe im Zusammenhang mit dem selektiven Trockenstellen und der Trockenstehzeit in ähnlichen Bereichen liegen. Auch zeigen sich hinsichtlich des Beratungsbedarfs Gemeinsamkeiten unter den befragten Betrieben. Insgesamt zeigt sich bisher, dass neben der geplanten Therapie in der Trockenstehzeit, mit dem Ziel der Ausheilung bestehender intramammärer Infektionen, der Schutz vor Neuinfektionen bei vielen Betrieben weiterhin einer der Gründe ist, warum antibiotische Trockensteller eingesetzt werden. Hierzu passt, dass von einem Großteil der Betriebe die Befürchtung von vermehrten Neuinfektionen und klinischen Euterentzündungen genannt wird, wenn auf ein antibiotisches Trockenstellen verzichtet wird. Zudem beschreiben viele Betriebe, dass genau diese Probleme aufgrund des Verzichts auf ein antibiotisches Trockenstellpräparat bereits aufgetreten sind. in die in der Trockenstehzeit bis An diesen Beispielen zeigt sich bereits, dass hinsichtlich des Transfers der umfassenden wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Thema Trockenstehzeit und selektivem Trockenstellen in die Praxis noch Optimierungsbedarf besteht. In vielen Betrieben steht hinsichtlich des antibiotischen Trockenstellens der Präventionsgedanke im Vordergrund. An dieser Stelle sollte die Beratung ansetzen und Alternativen zum Schutz vor Neuinfektionen in der Trockenstehzeit aufzeigen. Dabei sollte beispielsweise gezielt die Haltungshygiene frühe Laktation, die Anwendungshygiene beim Trockenstellen, das Auftreten abkalbenaher Erkrankungen und die Möglichkeit der Anwendung eines internen Zitzenversieglers überprüft werden. Dies verbessert nicht nur die Prävention von intramammären Infektionen in der Trockenstehzeit, sondern hilft auch dabei, mögliche Ursachen für bereits aufgetretene Problem bezüglich des selektiven Trockenstellens zu finden. Zudem sollten sinnvolle Kriterien im selektiven Trockenstellkonzept etabliert werden, um Tiere bzw. Euterviertel zu identifizieren, welche von einer antibiotischen Therapie profitieren. Das Konzept sollte gemeinsam mit dem Betrieb erarbeitet, an die individuellen Bedingungen angepasst und der Erfolg regelmäßig anhand der Eutergesundheitskennzahlen überprüft werden. Wichtig erscheint hier, das antibiotische Trockenstellen im Rahmen des betrieblichen Eutergesundheitskonzept eindeutig als geplante Therapie zu etablieren und die Prävention durch die bereits genannten Alternativen zu optimieren. Im weiteren Verlauf der Untersuchung sollen noch weitere Faktoren untersucht werden, die den Milchviehbetrieben den Einstieg in das selektive Trockenstellen erschweren, um so die Beratung und die Kommunikation auf den Betrieben nachhaltig zu verbessern. Literatur 1. International Dairy Federation. 2005. Economic consequences of mastitis. In: Bulletin of the International Dairy Federation Brussels No 394. 2. Hogeveen H, Huijps K, Lam TJ. Economic aspects of mastitis: new developments. N. Z. Vet. J. 2011;59:16–23. 3. Stevens M, Piepers S, Supre S, et al. Quantification of the antimicrobial consumption in adult cattle on dairy herds in Flanders, Belgium, and the association with udder health, milk quality and production performances. J. Dairy Sci. 2016;99:2118-2130. Leite de Campos J, Kates A, Steinberger A, et al. Quantification of antimicrobial usage in adult cows and preweaned calves on 40 large Wisconsin dairy farms using dose-based and mass-based metrics. J. Dairy Sci. 2021;104:4727-4745. 4. 5. Pol M, Ruegg PL. Treatment practices and quantification of antimicrobial drug usage in conventional and organic dairy farms in Wisconsin. J. Dairy Sci. 2007,90:249-261. 6. Bradley AJ, Green MJ. The importance of the nonlactating period in the epidemiology of intramammary infection and strategies for prevention. Vet. Clin. N. Am. Food Anim. Pract. 2004;20:547–568. 7. Hurley WL. Mammary gland function during involution. J. Dairy Sci. 1989;72:1637-1646. 8. Nitz J, Wente N, Zhang Y, et al. Dry Period or Early Lactation—Time of Onset and Associated Risk Factors for Intramammary Infections in Dairy Cows. Pathogens. 2021;10:224 9. Østerås O. Mastitis epidemiology practical approaches and applications. Proceedings of the XXIV World Buiatrics Congress; 2006; Nice. S. 203–215. 10. Müller S., Nitz J., Tellen A., et al. Effect of Antibiotic Compared to Non-Antibiotic Dry Cow Treatment on the Bacteriological Cure of Intramammary Infections during the Dry Period-A Retrospective Cross-Sectional Study. Antibiotics. 2023;12:429. 11. Kiesner K, Wente N, Volling O, et al. Selection of cows for treatment at dry-off on organic dairy farms. Dairy Res. 12. 2016;83:468-475. tho Seeth M, Wente N, Paduch JH, et al. Different selective dry cow therapy concepts compared to blanket antibiotic dry cow treatment. Tierarztl Prax Ausg G. 2017;6:343-349. 102 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Stallsysteme mit freier Liegefläche für Milchkühe – Implikationen für die Eutergesundheit Maren Feldmann Rindergesundheit Schweiz, Zürich Freie Liegeflächen mit Stroh- oder Kompostboden bieten einen der Weide vergleichbaren Liegekomfort. Die Bewegungsabläufe beim Ablegen, Liegen und beim Aufstehen finden weitgehend ungehindert statt. Auf der anderen Seite kann die ungesteuerte Wahl des Liegeplatzes ein erhebliches Risiko für die Eutergesundheit darstellen, wenn die hygienischen Bedingungen nicht stimmen. Folgen von funktionellen Unzulänglichkeiten, Konstruktionsmängeln oder unzureichendem täglichen Management der Liegefläche sind meist hohe Neuinfektionsraten mit umweltassoziierten Mastitiserregern. Freie Liegefläche mit Stroh (Tieflaufställe) Ein- und Zweiflächenbuchten finden sich in der Milchviehhaltung in erster Linie in den Sonderbereichen. Vor in diesen Varianten gebaut, deren allem Trockensteher-, Abkalbe- und Krankenbuchten werden Bewirtschaftung sich nicht immer optimal gestaltet. In den ersten zwei Wochen nach dem Trockenstellen und dem geburtsnahen Zeitraum ist das Neuinfektionsrisiko für die Milchdrüse besonders groß (1). Treten in einem Betrieb mehr als 15 % neu infizierte Kühe in der Trockenperiode auf, so spielt neben anderen Faktoren das Haltungsumfeld eine herausragende Rolle. In diesem Zusammenhang lohnt es sich, die Eutersauberkeit aller Tiere im jeweiligen Bereich zu kontrollieren. Ergeben sich hier bei mehr als 10 % der Kühe mäßig bis starke Verschmutzungen ist die Haltungshygiene verbesserungswürdig. Die Hygiene beginnt mit der Umstallung in die reichlich und frisch eingestreute Abkalbebucht. Die Liegefläche sollte weich, trittsicher und trocken sein. Zur Schaffung einer Strohmatratze müssen 10 bis 12 kg Stroh pro Tier und Tag nachgelegt werden. In der Praxis ist eine komplette Entmistung, Reinigung sowie allenfalls fachgerechte Desinfektion nach jeder Abkalbung kaum umsetzbar und birgt zudem die Gefahr des Ausgrätschens standunsicherer Tiere (z.B. Hypocalcämie, Geburtstrauma). Ein regelmäßiges Misten und Reinigen, je nach Frequenz der Kalbungen alle zwei bis vier Wochen bleibt allerdings unerlässlich. Das eingesetzte Stroh sollte stets von einwandfreier Qualität sein. Praktisch für die Abkalbung sind auch sog. «just-in-time» Boxen, in die Kühe unmittelbar mit Einsetzen der Geburt umgestallt werden und diese nach wenigen Stunden wieder verlassen. Die Flächen dieser Boxen sind mit verformbarem Bodenbelag ausgestattet, der sich nach jeder Kalbung gut reinigen lässt. Nestbau und die Bindung von Feuchtigkeit werden durch etwa 5 kg Strohhäcksel-Einstreu bei etwa 14 m2 Grundfläche gewährleistet. Die Platzierung der Box in der Nähe der Gruppe der Transitkühe ermöglicht einen kurzen Weg zur Umstallung und den Sichtkontakt zur Herde. Strohställe für laktierende Kühe sind aus Sicht der Eutergesundheit eher weiniger empfehlenswert. Zu den Schwächen gehört, eine angemessene Sauberkeit der Kühe zu gewährleisten. Kühe in Strohbuchten sind schmutziger als Kühe in Liegeboxenhaltung, was noch durch eine zu hohe Belegungsdichte verschärft wird. Ein Anstieg des somatischen Zellgehalts sowie eine höhere Inzidenz klinischer Mastitiden sind die Folgen (2). Weiterhin machen hohe Strohpreise und -verbrauch verbunden mit großem Arbeitsaufwand im Vergleich zu Liegeboxen-Ställen diese Aufstallungsform ökonomisch uninteressant. Freie Liegefläche mit Kompost Den Kompostierungsstall kennzeichnet eine große Liegefläche, die regelmäßig mit Sägespänen, Hackschnitzeln oder Spelzen eingestreut wird. Die Fläche wird zur ausreichenden Sauerstoffzufuhr zwei- bis dreimal täglich mechanisch mit einem Grubber oder einer Fräse durchlüftet und regelmäßig nachgestreut. Der Sauerstoff, das kohlenstoffhaltige Einstreumaterial und das Kot-Harn-Gemisch der Tiere als Stickstoffquelle setzen einen aeroben Rotteprozess in Gang. Das Substrat erwärmt sich aufgrund der Verstoffwechselung der 104 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ organischen Substanz durch Mikroorganismen. Die Temperatur steigt auf ca. 45 bis 65 °C, so dass die über die Exkremente eingebrachte Feuchtigkeit aus der Liegefläche verdunstet. Das Endprodukt weist einen Trockensubstanzgehalt von ca. 40 bis 60 % auf und ist in der Zusammensetzung vergleichbar mit Kompost. Die Erwärmung unterscheidet das Haltungssystem vom sogenannten Kompoststall, in dem bereits fertig kompostiertes Material eingestreut wird (3). Auf den Rotteprozess baut das Konzept des Kompostierungsstalles auf. Der Ablauf kann in seiner Intensität und Geschwindigkeit durch Materialzugabe und Zusammensetzung aktiv gesteuert werden. Essentiell sind Sauerstoffzufuhr und ein ausreichendes Angebot an Kohlenstoff. Der Prozessablauf ist also ein empfindliches System und kann bei falscher Bewirtschaftung für die Eutergesundheit von Nachteil sein. Besonders in Sägespänen oder anderen holzartigen Materialien kommen im Vergleich zu andersartiger Einstreu (Stroh, Sand) häufiger coliforme Keime funktionierenden Kompostierungsprozess wird zu wenig organische Masse umgesetzt, d.h. das Temperaturoptimum wird nicht erreicht. In der Folge verdampft zu wenig Flüssigkeit und die Liegefläche «versumpft». Dies zeigt sich auch daran, dass deutliche Verschmutzungen an den Tieren zu beobachten sind (5). Ein weiteres Problem sind hohe Aussentemperaturen im Sommer, so dass bei ungenügend belüfteten Ställen der Hitzestress bei Kühen infolge der warmen Liegefläche noch weiter ansteigt. Im Winter ist dagegen ein guter Kompostierungsprozess schwieriger. Wichtige Maßnahmen für den Kompoststall sind daher (6): (4). Bei einem nicht (v.a. Klebsiellen) vor • Optimale Belegungsdichte mit etwa 9 bis 15 m2 pro Kuh je nach Standort, Klimabedingungen, Rasse • Regelmäßige Überprüfung von Feuchte (50 bis 60 % in der Tiefe: Kugeltest: Aus dem Substrat wird mit den Händen eine Kugel geformt. Beim Zusammenpressen sollte kein Wasser austreten, Kugel sollte wieder zerfallen), Temperatur (40 bis 60 °C), Geruch (Substrat in 25 cm Tiefe hat einen waldbodenähnlichen Geruch; Ammoniakgeruch weist auf Probleme bei der Kompostierung hin) • Regelmäßiges Nachstreuen alle zwei bis fünf Wochen (je nach Feuchte der oberen Liegeschicht) etwa 8 cm hoch; wenn bereits Einstreumaterial an den Kühen haftet, ist es für diese Maßnahme bereits zu spät. • Ausnahmslos zweimal tägliche Bearbeitung der Liegefläche • Bei stockendem Kompostierungsprozess "nachfeuern" mit z. B. Dinkelspelzen (große Oberfläche mit Sauerstoffeintrag) • Eine möglichst hohe, offene Stallkonstruktion sorgt für eine optimale Luftzirkulation und Verdunstung auf der Liegefläche Lagerung von Sägespänen trocken und sauber • • Kein Zugang zu den Tränken von der Liegefläche aus Literatur 1. Bradley AJ, Green MJ. The importance of the nonlactating period in the epidemiology of intramammary infection and 2. strategies for prevention. Vet. Clin Food Anim. 2004; 20:547-568. Fregonesi JA, Leaver JD. Behaviour, performance and health indicators of welfare for dairy cows housed in strawyard or cubicle systems. Livestock Production Science 2001; 68: 205–216 3. Pöllinger A, Pöllinger-Zierler B, Kapp C, Schwaiger M, Konrad M, Reisinger S, Kopper M. Kompoststall für Rinder – wichtige Parameter für einen guten Kompostierungsverlauf. Österreichische Fachtagung für Biologische Landwirtschaft 2016, Raumberg-Gumpenstein: 1-6. Laub B. Untersuchungen zur Häufigkeit von Klebsiella spp.-Mastitiden in Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Prakt. Tierarzt 2011; 92(5): 426-429. 4. 5. Eckelkamp EA, Taraba JL, Akers KA, Harmon RJ, Bewley JM. Understanding compost bedded pack barns: Interactions 6. among environmental factors, bedding characteristics, and udder health. Livest. Sci.. 2016; 190:35-42. Leso L, Barbari M, Lopes MA, Damasceno FA, Galama P, Taraba JL, Kuipers A. Invited review: Compost-bedded pack barns for dairy cows. J. Dairy Sci. 2019; 103: 1072-1099. Kontakt Dr. Maren Feldmann; Rindergesundheit Schweiz, Zürich maren.feldmann@rgs-ntgs.ch 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 105

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Mastitiden durch Serratia marcescens eine Herausforderung für die Praxis Martina Baumgartner1, Weißker Berit2, Urbantke Verena1, Wittek Thomas1 1Universitätsklinik für Wiederkäuer, Department für Nutztiere und öffentliches Gesundheitswesen in der Veterinärmedizin; 2Institut für Mikrobiologie, Department für Pathobiologie, Veterinärmedizinische Universität Wien Hintergrund der Studie Während kuhassoziierte Mastitiserreger durch strikte Melkhygiene, konsequentes Ausmerzen chronisch infizierter Tiere und gezielte Therapieverfahren in vielen Betrieben deutlich an Bedeutung verloren haben, stellen umweltassoziierte Bakterien nach wie vor eine große Herausforderung im Mastitismanagement dar (RUEGG 2017). So wurden in den letzten Jahren immer wieder Bestandsprobleme durch gramnegative Bakterien der Gattungen Serratia und Pseudomonas spp. beschrieben. Der Anstieg von Mastitiden durch Serratia marscescens ist auch anhand der Untersuchungsergebnisse des Milchlabors der Klinik für Wiederkäuer nachvollziehbar. Wurden zwischen 2008 und 2012 lediglich 38 positive Viertelgemelksproben dokumentiert, stieg der Anteil in den Jahren zwischen 2013 bis 2017 auf 92 und in den letzten 5 Jahren (2018 bis 2022) weiter auf 313 positive Euterviertel an. Zu dem markanten Anstieg positiver Viertelgemelksproben haben auch mehrere Ausbrüche auf Herdenebene beigetragen. Serratia (S.) marcescens, ein gramnegatives Stäbchenbakterium aus der Familie der Enterobacteriacaeae, gehört zu den Coliformen, ist fakultativ anaerob und wächst auf Columbia Agar mit Schafblut in großen grauen und schleimigen Kolonien, die teilweise (und nach mehrtägiger Inkubation) auch Hämolyse bilden können. Einige Stämme von S. marcescens bilden weiters ein Pigment (Prodigiosin), welches für das charakteristische rot/orange Wachstum auf farblosen Nährböden verantwortlich ist. Auf MacConkey wachsen Serratia spp. durch unvollständige Laktosespaltung in blassrosa Kolonien. S. marcescens ist ein ubiquitär vorkommender Bodenkeim, der auch aus Kot und pflanzlichen Materialien sowie aus der Einstreu isoliert werden kann. Mastitiden können sowohl als schwere akute und fieberhafte klinische Euterentzündungen, als auch als milde Mastitiden mit Milchveränderung oder als subklinische Erkrankungen mit hoher Zellzahl verlaufen. Die Erkrankungen erweisen sich als schwer therapierbar, rekurrierende Mastitiden werden nach Infektionen häufig beschrieben. Grundsätzlich verlaufen S. marcescens Mastitiden zwar weniger schwer als Mastitiden durch E. coli, neigen aber häufiger zu chronischen Verlaufsformen. In der Humanmedizin ist S. marcescens ein gefürchteter Erreger nosokomialer Infektionen (Harnwegsentzündungen, Sepsis) bei abwehrgeschwächten Personen. Viele Serratia species sind antibiotisch kaum therapierbar: Sie weisen eine Reihe von intrinsischen Resistenzen z. B. gegenüber Ampicillin, Amoxicillin oder Cephalosporinen der ersten und zweiten Generation auf, sodass in der Humanmedizin oft auf Aminoglykoside wie Amikacin oder Carbapeneme zurückgegriffen wird. Untersuchungen haben gezeigt, dass S. marcescens nach dem Einbau entsprechender Plasmidabschnitte auch Extended Spectrum Beta-Laktamasen (ESBL) bilden kann (Tavarres-Carreon et al. 2022). Bei Ausbrüchen von Mastitden auf Herdenebene wird oft eine Infektionsquelle in der tierischen Umgebung vermutet. Zusammenhänge zwischen dem gehäuften Auftreten von Serratia Mastitiden und der Verwendung Chlorhexidin-haltiger Dippmittel sind in der Literatur beschrieben. Über das Resistenzverhalten gegenüber anderen, in der Melkhygiene eingesetzten Desinfektionsmittel, wie z. B. der Milchsäure ist bisher wenig bekannt. Im Milchlabor der Klinik für Wiederkäuer wurde in den letzten Jahren eine Stammsammlung von mastitisassoziierten S. marcescens Stämmen aufgebaut. Im Rahmen einer Diplomarbeit wurden 100 mastitisassoziierte Stämme gegenüber ausgewählten antibiotischen Wirkstoffen mittels Agardiffusionstest und Mikrodilutionsverfahren getestet. 106 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Material und Methode Für die Untersuchungen werden 100 S. marcescens-Stämme, die aus Viertelgemelksproben mit Mastitisvorbericht in Reinkultur isoliert und für Folgeuntersuchungen kryokonserviert wurden, verwendet. Sie werden auf Columbiaagar rekultiviert und phänotypisch charakterisiert (Kolonienmorphologie, Pigmentbildung, Hämolyseform). Anschließend wird das Resistenzprofil mittels Mikrodilutionsverfahren sowie mittels Agardiffusionstest bestimmt. einer Übernachtkultur von Die Bestimmung der Minimalen Hemmkonzentration (MHK) erfolgte von allen Isolaten mit Hilfe des kommerziell erhältlichen Testsystems MICRONAUT-S-Mastitis 3® (Merlin Diagnostika, D). Das Testpanel umfasst neben der Wachstumskontrolle elf antibiotische Wirkstoffe in unterschiedlichen und aufsteigenden Konzentrationen: Penicillin (0,125 mg/l - 8 mg/l), Ampicillin (4 mg/l - 16 mg/l), Cefazolin (4 mg/l - 32 mg/l), Cefoperazone (2 mg/l - 16 mg/l), Cefquinom (1 mg/l - 8 mg/l), Oxacillin (1 mg/l - 4 mg/l), Pirlimycin (1 mg/l - 4 mg/l), Erythromycin - 32/16 mg/l), Kanamycin/Cefalexin (4/0,4 mg/l - 32/3,2 mg/l) und Marbofloxacin (0,25 mg/l - 2 mg/l). Für die Untersuchung wurden von jeweiligen Übernachtkulturen Suspensionen entsprechend einem McFarland Standard von 0,5 hergestellt. Davon wurden je 100 µl in 10 ml einer Müller Hinton Bouillon übertragen, gut homogenisiert und auf die mit standardisierten Wirkstoffkonzentrationen beimpften Vertiefungen einer Mikrotiterplatte übertragen (je 100 µl pro well). Nach 18 bis 24 h Inkubation bei 37 °C werden die Platten visuell abgelesen. Als MHK wird jene Konzentration abgelesen bei der erstmals kein Wachstum (in Form eines Zellpellets) am Boden des wells sichtbar ist. 4 mg/l), Amoxillin-Clavulansäure (0,125 mg/l - (4/2 mg/l Parallel dazu wurde auch ein Agardiffusionstest durchgeführt. Dazu wurde die jeweilige Keimsuspension der Dichte Mc Farland 0,5 auf Müller Hinton Agar ausplattiert und es wurden folgende veterinär- als auch humanmedizinisch relevanten Wirkstoffe nach den Vorschriften von EUCAST und CLSI getestet: Ampicillin, Amoxicillin Clavulansäure, Cefazolin, Cephepime, Cefoperazon, Gentamycin, Imipenem, Meropenem, Ciprofloxacin, Tetrazyklin, Amikazin, Sulfamethoxazole/Trimethoprim und Kanamycin. Die Ergebnisse dieser Studie sind in Ausarbeitung und werden im Jänner am Tierärztekongress präsentiert. Literatur 1. 2. Friman, M.J., Eklund, M.H., Pitkälä, A.H. et al. Description of two Serratia marcescens associated mastitis outbreaks in Finnish dairy farms and a review of literature. Acta Vet Scand 61, 54 (2019). https://doi.org/10.1186/s13028-019-0488-7 Tavares-Carreon F, De Anda-Mora K, Rojas-Barrera IC, Andrade A. 2022. Serratia marcescens antibiotic resistance mechanisms of an opportunistic pathogen: a literature review. PeerJ 11: e14399. doi: 10.7717/peerj.14399. Kontakt Dr. Martina Baumgartner; Klinik für Wiederkäuer, Department für Nutztiere und öffentliches Gesundheitswesen in der Veterinärmedizin, Veterinärmedizinische Universität Wien martina.baumgartner@vetmeduni.ac.at 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 107

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Wird die klinische Untersuchung in der modernen Rinderpraxis noch benötigt? Johannes Lorenz Khol1, Thomas Wittek2 1Universitätsklinik für Wiederkäuer, Außenstelle Tirol, Vetmeduni Wien (Österreich); 2Universitätsklinik für Wiederkäuer, Vetmeduni Wien (Österreich) Einleitung Die Fähigkeit eine systematische klinische Untersuchung an Tieren durchzuführen und, wenn notwendig, weiterführende Untersuchungen anzuschließen oder anzufordern war lange Zeit ein Alleinstellungsmerkmal des tierärztlichen Berufes. Die klinische Untersuchung hatte als wesentliches diagnostisches Werkzeug historisch einen hohen Stellenwert in den Betriebsstrukturen mit immer größeren Betrieben und der ständigen Zunahme allgemein verfügbarer diagnostischer Mittel der Stellenwert der klinischen Untersuchung in der Rinderpraxis geändert? Dieser Frage soll im folgenden Beitrag nachgegangen werden. Einsatz und Aussagekraft der klinischen Untersuchung in der Veterinärmedizin. Hat sich durch Änderungen Die klinische Untersuchung stellt einen systematischen Untersuchungsgang dar, der nach unterschiedlichen Gesichtspunkten aufgebaut, darauf abzielt, Befunde zu erheben, zusammenzufassen und zu bewerten (1,2). Sie stellt somit die Grundlage für den diagnostischen Prozess und differentialdiagnostische Überlegungen dar. Ergänzt bzw. vervollständigt wird die klinische Untersuchung von weiterführenden Untersuchungen, die in der Lage sein sollten, weiterführende Aussagen zu Diagnose, Therapie und Prophylaxe zu liefern. Zur Sensitivität der klinischen Untersuchung liegen in der Tiermedizin im Vergleich zur Humanmedizin leider deutlich weniger Studien vor. So wurde in einer Untersuchung festgestellt, dass nur 6 % der Kälber mit utrasonographisch sichtbaren Lungenveränderungen im Rahmen der Lungenauskultation als erkrankt diagnostiziert werden konnten (3). In einer anderen Untersuchung wies die Auskultation der Lunge hingegen eine Sensitivität von 80 % auf, bei Kombination mit anderen klinischen Symptomen konnte die Sensitivität sogar auf 100 % gesteigert werden (4). Diese beiden Studien zeigen einerseits, wie schwierig derartige Vergleiche durchzuführen sind, da zuverlässige Referenzmethoden oft fehlen und die Studienpopulationen (Patienten) heterogen und schwer vergleichbar sind. Andererseits weist das Ergebnis der zweiten Studie aber auf eine Stäke der klinischen Untersuchung, nämlich der Kombination möglichst vieler klinischer Parameter zur Diagnosestellung, hin. Zusätzlich ist die klinische Untersuchung von zahlreichen Faktoren abhängig, wie den eingesetzten Untersuchungsverfahren, den Eigenschaften des Tieres, den Fähigkeiten und Fertigkeiten des Untersuchers bzw. der Untersucherin, der Ausstattung der Umgebung und den persönlichen Eigenschaften. Diagnostische (Hilfs)mittel Die in der Rinderpraxis zur Verfügung stehenden diagnostischen Mittel haben in letzter Zeit rasant zugenommen. Neben der auch in der Rinderpraxis seit längerer Zeit gängigen Sonographie sind Point of care Tests für zahlreiche Parameter verfügbar. Drüber hinaus sind eine ständig wachsende Anzahl an Sensoren erhältlich, die im Rahmen des Precision Livestock Farmings eine große Datenmenge zu zahlreichen Parametern, wie der inneren Körpertemperatur, dem Wiederkauverhalten und der Aktivität erfassen (5). Diese Sensoren erfreuen sich auch in kleineren Betrieben einer steigenden Beliebtheit und sind aus der zeitgemäßen Nutzierhaltung kaum noch wegzudenken. Die von den Sensoren erfassten Daten sollen zur Früherkennung von Erkrankungen oder beispielsweise der Brunst beitragen. Wenn diese Sensoren auch immer besser werden und durch die Verknüpfung mit anderen Parametern ein großes diagnostisches Potential aufweisen, so ist die Interpretation der von ihnen gesammelten Daten zeitaufwändig, muss erlernt werden und ist stets im Zusammenhang mit anderen tierbezogenen Parametern zu interpretieren. Wird die klinische Untersuchung noch benötigt? Mit größeren Herden und der damit verbundenen zunehmenden Bedeutung der Bestandsmedizin und dem Einsatz von Datenerfassungs- und -analysesystemen stellt sich die Frage, ob die klinische Untersuchung des 108 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Einzeltieres überhaupt noch gefragt ist. Ein zunehmender Kosten- und Zeitdruck tragen zusätzlich dazu bei, dass die klinische Untersuchung eventuell nicht oder nur sehr oberflächlich und in stark abgekürzter Form durchgeführt wird. Dabei sprechen viele Gründe weiterhin für deren korrekter Durchführung. So ist auch in größeren Herden der Wert des Einzeltieres weiterhin hoch und rechtfertigt dessen detaillierte Untersuchung um eine möglichst fundierte Diagnose zu stellen (6). Zudem ist die klinische Untersuchung kostengünstig, bei entsprechender Übung rasch durchzuführen und führt zu unmittelbaren und gut dokumentierbaren Ergebnissen. Nicht zu vernachlässigen ist auch die in die Untersuchung einfließende eigene Erfahrungen der Untersuchenden, die das Zusammenfassen und Abwägen der Befunde ermöglicht, was automatisierte Systeme nicht erbringen können. Die im Rahmen der Einzeltieruntersuchung gewonnen Erkenntnisse können dann wiederum auf die gesamte Herde umgesetzt werden und sind somit auch ein wichtiger Bestandteil der integrierten tierärztlichen Bestandsbetreuung. Die Zukunft der klinischen Untersuchung Wie in allen Bereichen der Veterinärmedizin ist auch die klinische Untersuchung durch den stetigen Wissensfortschritt und der Entwicklung neuer diagnostischen Möglichkeiten dem aktuellen Stand der Wissenschaft anzupassen. So sollte kritisch hinterfragt werden, ob alle Aspekte des klinischen Untersuchungsganges noch in derzeitiger Form und Ausmaß benötigt werden. Nicht zuletzt ist die klinische Untersuchung, wo notwendig ergänzt durch weiterführende Untersuchungen aber eine Tätigkeit, die Tierärztinnen und Tierärzten vorbehalten ist und bei gewissenhafter Durchführung, auch abgerechnet werden kann und sollte. Darüber hinaus ist es unumgänglich, dass Tierärztinnen und Tierärzte lernen, mit den zunehmend zur Verfügung stehenden großen Datenmengen umzugehen um diese als Ergänzung der klinischen Untersuchung interpretieren und zum Wohle des Einzeltieres und der Herde einsetzen zu können. Literatur 1. Baumgartner W, Wittek T, Herausgeber: Klinische Propädeutik der Haus- und Heimtiere, Auflage: 9. Aufl. Erlangen: Enke; 2017 2. Dirksen G, Gründer HD, Stöber M, Herausgeber: Die klinische Untersuchung des Rindes: Begründet von Gustav Rosenberger. 4. Aufl. Erlange: Enke; 2017 3. Buczinski S, Forté G, Francoz D, et al. Comparison of thoracic auscultation, clinical score, and ultrasonography as indicators of bovine respiratory disease in preweaned dairy calves. J. Vet. Intern. Med. 2014;28(1):234-42. 4. Blakebrough-Hall C, Dona A, D'occhio MJ, et al. Diagnosis of Bovine Respiratory Disease in feedlot cattle using blood 1H NMR metabolomics. Sci. Rep. 2020;10(1):115. 5. Gusterer E, Kanz P, Krieger S, et al. Sensor technology to support herd health monitoring: Using rumination duration and activity measures as unspecific variables for the early detection of dairy cows with health deviations.Theriogenology. 2020;157:61-69. 6. De Vries A. Symposium review: Why revisit dairy cattle productive lifespan? Dairy Sci. 2020;103(4):3838-3845. Kontakt Prof. Dr. Johannes Lorenz Khol; Universitätsklinik für Wiederkäuer, Außenstelle Tirol, Vetmeduni Wien, Innsbruck, Österreich Johannes.khol@vetmeduni.ac.at 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 109

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Sensor-gestütztes Gesundheitsmonitoring von Rinderbeständen – ein Traum oder doch eher ein Albtraum? Michael Iwersen1, Marc Drillich2 1Veterinärmedizinische Universität Wien (Österreich), Universitätsklinik für Wiederkäuer, Abteilung Bestandsbetreuung; 2Freie Universität Berlin, Nutztierklinik, Abteilung Wiederkäuer und Kameliden, Arbeitsgruppe Reproduktionsmedizin und Eutergesundheit Einleitung Die Landwirtschaft ist weltweit seit Jahren einem strukturellen Wandel unterworfen. Dies ist inzwischen durch zahlreiche Berichte nicht nur dem Fachpublikum bekannt. Auch weite Teile der Bevölkerung wissen, dass das Bild einer Familien-geprägten, kleinstrukturierten Landwirtschaft in den meisten Fällen ein Bild einer vermeintlich besseren Vergangenheit ist. Für viele Menschen ist der strukturelle Wandel in der Milchviehhaltung vor allem mit einer größeren Anzahl gehaltener Tiere und einer intensiven Stallhaltung verbunden. Über die damit verbundene technische Umstellung in der Tierhaltung und die möglichen Konsequenzen wird erst seit kürzerer Zeit intensiver diskutiert [1]. Die Technisierung betrifft viele Bereiche, in denen vor allem eine Arbeitserleichterung oder Zeitersparnis für die Landwirt:innen und ihre Mitarbeiter:innen erreicht werden soll. Da es in vielen Regionen zunehmend schwieriger wird, Arbeitskräfte für die Landwirtschaft zu gewinnen, ist eine weitere Technisierung heutzutage für viele Betriebe zudem unverzichtbar, um die anfallenden Arbeiten generell erledigen zu können bzw. den Berufstand für nachfolgende Generationen attraktiver zu gestalten. Im Zuge und unter dem Begriff der Digitalisierung geht ein aktueller Trend dahin, nicht nur einzelne Abläufe technisch zu steuern, sondern vorhandene oder zu generierende Daten zu nutzen und/oder zu verknüpfen, um daraus Informationen zu erhalten, die wiederum zur Unterstützung des Betriebsmanagements genutzt werden können. Precision Dairy Farming Unter dem Begriff „Precision Livestock Farming“ (PLF) versteht man generell den Einsatz moderner und Sensor-basierter Technologien zur automatisierten Erfassung von physiologischen Parametern, Verhaltensweisen und Produktionsdaten auf Einzeltierebene [2]. Im Bereich der Milchviehhaltung wird häufig auch der Begriff „Precision Dairy Farming“ (PDF) verwendet, der spezifischer für diesen landwirtschaftlichen Produktionszweig ist. Durch die kontinuierliche Erfassung objektivierbarer Kriterien und die Erstellung von Risikoanalysen, sollen PDF-Technologien dazu beitragen, die Tiergesundheit und das Tierwohl auf Einzeltier- und Herdenebene sowie das Herdenmanagement zu verbessern und somit auch den betriebswirtschaftlichen Erfolg zu steigern. Durch einen optimierten Einsatz der entsprechenden Ressourcen (z.B. Futtermittel, Arbeitskraft und Arbeitszeit, Arzneimitteleinsatz) werden zudem ökologische und soziale Belange berücksichtigt. Was verbirgt sich hinter PDF-Technologien? PDF-Technologien zum kontinuierlichen Monitoring von Tieren in Echtzeit beruhen oftmals auf Sensoren, die am Tier (z.B. in Ohrmarken integriert oder an einem Halsband bzw. Fesselband angebracht), im Tier (z.B. im Netzmagen) oder in der Nähe der Tiere (z.B. Video-basierte Systeme, Waagen) angebracht werden. In Abbildung 1 sind exemplarisch verschiedene Parameter aufgeführt, die sich Sensor-basiert erfassen und überwachen lassen. Anders als in der klassischen Diagnostik, in der beispielsweise spezifische Stoffwechselparameter direkt im Blut analysiert werden, beruhen derzeit viele Sensor-gestützte Systeme auf der Auswertung von Bewegungs- und anderer Aktivitätsdaten und stellen somit indirekte Informationen zur Verfügung, die vor einer Aussage zum Status des Tieres zunächst weiterverarbeitet werden müssen. Das „Gehirn“ dieser Systeme sind Algorithmen, die aus den Rohdaten Informationen zu den gewünschten Zielparametern herausfiltern und anschließend dem Nutzer die Ergebnisse der Analyse vereinfacht auf einer höher aggregierten Informationsebene darstellen. 110 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Damit diese Algorithmen eine hohe Genauigkeit erzielen können, müssen sie zunächst an die jeweiligen Ereignisse trainiert und mit der Realität abgeglichen werden, d.h. es muss die Übereinstimmung ermittelt werden, mit denen ein bestimmtes Aktivitätsmuster mit einem physiologischen oder pathologischen Befund einhergeht. Abb. 1: Einsatzmöglichkeiten von Sensortechnologien Eine weitere grundlegende Methodik der PLF-Technologien ist die automatisierte Bilderkennung und Bildauswertung, die auch als „Computer Vision“ bezeichnet wird. Diese Technologie bietet sich z.B. zur Erkennung von Lahmheiten (Schlageter-Tello et al., 2014), zur Beurteilung der Körperkondition [3] und zur Überwachung der Futteraufnahme an [4]. Weitere Anwendungsmöglichkeiten bestehen in der Lokalisierung von Tieren („Animal Tracking“, [5]) und in der automatisierten Erkennung von Verhaltensweisen [6], so dass z.B. Rückschlüsse auf tierindividuelle Zeitbudgets und das Sozialverhalten möglich werden. Die Grenzen dieses Systems liegen zum Teil in der technischen Realisierbarkeit und den schwierigen Aufnahmebedingungen in der Praxis (z.B. Stallhöhe, Staub, Feuchtigkeit), die eine ausreichend genaue Vorhersage bisher nicht ermöglichen. Neben den zuvor genannten Systemen gibt es zusätzliche Methoden zur automatisierten Messung spezifischer Parameter direkt im oder am Tier. Sensoren, die z.B. den pH-Wert im Pansen in Echtzeit ermitteln und übertragen (Gasteiner et al., 2015), zählen ebenfalls zu PLF-Technologien. Es ist anzunehmen, dass in Zukunft weitere Systeme (u.a. „Bio-Sensoren“) auf den Markt kommen werden, die eine direkte, kontinuierliche und kabellose Bestimmung von Parametern im und am Tier ermöglichen. Einen Überblick über die verschiedenen kommerziell erhältlichen oder in der Forschung verwendeten PLF- Technologien zu geben, ist auf Grund der Dynamik in diesem Feld schwierig. Ein Manko in der Einführung von PLF-Technologien besteht darin, dass viele Produkte angeboten werden, ohne dass diese zuvor unabhängig, mit einer entsprechenden Tierzahl und unter verschiedenen Feldbedingungen getestet worden sind [2]. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 111

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Weitere Einsatzmöglichkeiten PLF-Technologien bieten auch die Möglichkeit, objektivierbare Kriterien zur Beurteilung des Tierwohls zu definieren [7]. Bisherige Beurteilungsschemata, wie das international anerkannte Welfare Quality® Protocol, beruhen meist auf der direkten Tierbeobachtung. Dies bedeutet jedoch, dass Daten nur über einen beschränkten Zeitraum und in einer manuell erfassbaren Menge erhoben werden können, d.h. es wird zumeist nur eine Momentaufnahme beurteilt. Mittels kontinuierlichem Tiermonitoring könnte diese Situation verbessert werden, insofern die entsprechenden Daten tatsächlich Rückschlüsse auf das Tierwohl zulassen. Dies setzt voraus, dass grundlegende Parameter, die zur Beurteilung des Tierwohls dienen, wie beispielsweise das Liegen, Stehen, Bewegen sowie die Futter- und Wasseraufnahme und Schmerzanzeichen durch die Analyse von z.B. Aktivitätsdaten korrekt erfasst werden. Hier gilt es zu beachten, dass die unterschiedlichen Sensor- Systeme nicht verallgemeinernd als geeignet oder weniger geeignet angesehen werden können, sondern hinsichtlich ihrer Genauigkeit unterschieden werden müssen [8]. Neben der Art des Sensors ist auch die Platzierung, beispielsweise am Ohr oder an den Gliedmaßen, für die Genauigkeit der Erkennung von grundlegenden Verhaltensweisen von großer Bedeutung. Da in der öffentlichen Diskussion über landwirtschaftliche Tierhaltung das Tierwohl neben der Tiergesundheit und ökologischen Verträglichkeit als starkes Verbraucherinteresse angesehen wird, bietet das kontinuierliche Monitoring in Echtzeit Ansätze für eine transparente Darstellung moderner Milchviehhaltung. Dies könnte als Marketing-Instrument genutzt werden; eine entsprechende Umsetzung steht bisher jedoch noch aus. Im Zusammenhang mit einer zunehmenden Digitalisierung in der Milchviehhaltung, wird häufig Skepsis gegenüber technischen Möglichkeiten zur Erkennung physiologischer und pathologischer Zustände der Tiere geäußert, wenn diese in der Hand der Landwirt:innen liegen. Manche Kolleg:innen sehen darin gar eine Bedrohung für den tierärztlichen Berufsstand im Nutztierbereich. Die Autoren dieses Artikels sehen dies weniger kritisch und sind, im Gegenteil, davon überzeugt, dass ein digitales Monitoring einer Herde sehr gute Ansatzpunkte bietet, die tierärztliche Bestandsbetreuung auf ein höheres Niveau zu heben und gleichzeitig die Einzeltierbetreuung wieder mehr in den Fokus gerückt und optimiert werden kann. Diese Sichtweise ergibt sich daraus, dass die zunehmende Informationsfülle eines lückenlosen Monitorings zwar eine deutlich höhere Intensität aufweist, als die klassische tierärztliche Untersuchung auf Einzeltier- oder Herdenebene und den Landwirt:innen automatisierte Analysen angeboten werden, für die Interpretation der gesammelten und aufbereiteten Daten der tierärztlichen Sachverstand jedoch weiterhin essentiell ist. Somit sollten neue Informationsquellen innerhalb eines milcherzeugenden Betriebes als zusätzliche diagnostische Möglichkeit auf Einzeltier- und Herdenebene angesehen und genutzt werden. Schlussfolgerung Digitale, Sensor-basierte, Algorithmen-gestützte, mit „Künstlicher Intelligenz“ versehene technische Systeme sind noch weit davon entfernt, die denkenden Tierärzt:innen oder Landwirt:innen zu ersetzen. Sie sind Werkzeuge, die wir kennen und nutzen sollten und deren Stärken und Schwächen uns bewusst sein müssen. Vor Einführung in die Praxis sollte eine unabhängige Evaluierung der Technologien erfolgen, die auch eine ökonomische Bewertung beinhaltet. Die Technisierung in der Landwirtschaft ist eine Entwicklung, die seit Jahrzehnten den allgemeinen technischen Fortschritt widerspiegelt. Der Einsatz von Sensortechnologien im Tier(gesundheits)monitoring ist daher weder Traum noch Albtraum, sondern eine konsequente Weiterführung bestehender Prozesse, die eine Anpassung an sozio-ökonomische Rahmenbedingungen beinhaltet. Es sollte daher eine bodenständige und ergebnisoffene Bewertung dieser Technologien erfolgen. Literatur 1. 2. 3. Barkema, H.W., et al., Invited review: Changes in the dairy industry affecting dairy cattle health and welfare. Journal of Dairy Science, 2015. 98(11): p. 7426-7445. Bewley, J., Precision Dairy Farming: Advanced analysis solutions for future profitability, in The First North American Conference on Precision Dairy Management. 2010: Toronto, Canada. Bewley, J.M., et al., Potential for Estimation of Body Condition Scores in Dairy Cattle from Digital Images. Journal of Dairy Science, 2008. 91(9): p. 3439-3453. 112 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ 4. 5. 6. 7. 8. Bloch, V., H. Levit, and I. Halachmi, Assessing the potential of photogrammetry to monitor feed intake of dairy cows. Journal of Dairy Research, 2019. 86(1): p. 34-39. Guzhva, O., et al., Now you see me: Convolutional neural network based tracker for dairy cows. Frontiers Robotics AI, 2018. 5(SEP). McDonagh, J., et al., Detecting dairy cow behavior using vision technology. Agriculture (Switzerland), 2021. 11(7). Rushen, J., N. Chapinal, and A.M. De Passillé, Automated monitoring of behavioural-based animal welfare indicators. Animal Welfare, 2012. 21(3): p. 339-350. Chapa, J.M., et al., Accelerometer systems as tools for health and welfare assessment in cattle and pigs – A review. Behavioural Processes, 2020. 181. Kontakt Dr. Michael Iwersen; Veterinärmedizinische Universität Wien, Universitätsklinik für Wiederkäuer, Abteilung Bestandsbetreuung michael.iwersen@vetmeduni.ac.at 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 113

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Fachagrarwirt Herdenmanagement – ein in Thüringen bewährter Weiterbildungsgang für künftige Fachkräfte in der Milchproduktion Karsten Donat Thüringer Tierseuchenkasse, Tiergesundheitsdienst, Jena Die rechtliche Verpflichtung von Tierhaltern zum Erwerb der Kenntnisse über Tiergesundheit Die Verordnung (EU) 2016/429 als die Basisverordnung zum gesamten EU-weit gültigen Tiergesundheitsrecht verpflichtet in ihrem Artikel 11 Unternehmer (Tierhalter) dazu, in Abhängigkeit von den Arten und Kategorien der gehaltenen Tiere und den jeweiligen Aufgaben, über angemessene Kenntnisse zur Tiergesundheit zu verfügen. Das betrifft insbesondere Tierseuchen und Zoonosen - - Grundsätze des Schutzes vor biologischen Gefahren (Biosicherheit) - Wechselwirkung zwischen Tiergesundheit, Tierwohl und menschlicher Gesundheit - - Resistenzen gegen Behandlungen, einschließlich der Antibiotikaresistenz, und ihre Auswirkungen. die gute Tierhaltungspraxis für die in ihrer Obhut befindlichen Tierarten Damit gehen diese neuen Anforderungen deutlich über die bisher bestehende Verpflichtung nach § 3a des Tiergesundheitsgesetzes hinaus, die lediglich forderte, dass Tierhalter sich im Hinblick auf die Übertragbarkeit anzeigepflichtiger Tierseuchen bei den von ihnen gehaltenen Tieren sachkundig zu machen haben. Für die geforderte Wissensvermittlung ist ohne Zweifel tierärztliche Kompetenz erforderlich. Artikel 12 der o.g. Verordnung nimmt uns Tierärzte in die Pflicht, sich aktiv an der Sensibilisierung für Tiergesundheit und für die Wechselwirkung zwischen Tiergesundheit, Tierwohl und menschlicher Gesundheit sowie für Resistenzen gegen Behandlungen zu beteiligen. Ein wichtiger Schwerpunkt dabei ist die Vermittlung zu Kenntnissen bezüglich der Antibiotikaresistenz und ihrer Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit. Tierärzte sollen dabei mit der zuständigen Behörde, den Tierhaltern (Unternehmern) und den Angehörigen der anderen mit Tieren befassten Berufe zusammenarbeiten. Fortbildungen für Landwirte zur Tiergesundheit sind in Thüringen seit Jahrzehnten etabliert Ein wichtiger Anstoß in Bezug auf Fortbildungen für Landwirte zur Tiergesundheit in Thüringen war die Etablierung der gemeinsamen Tagung zu Fragen der Tiergesundheit im Jahr 1997. Diese war getragen vom „Aktionsbündnis Landwirt – Tierarzt für gesunde Tiere!“ des Thüringer Bauernverbandes und der Thüringer Landestierärztekammer. Diese Gemeinsame Tagung der Tierärzte und Landwirte ist 2023 zum 26. Male durchgeführt worden und eine feste Größe ich der Thüringer Fortbildungslandschaft. Parallel dazu gibt seit 2006 es eine jährlich vom Schafgesundheitsdienst organisierte und sehr erfolgreiche Tagung zur Schaf- und Ziegengesundheit, die sich an Schäfer, Ziegenhalter und Tierärzte gleichermaßen richtet. Ergänzt wird dieses Fortbildungsangebot durch Vorträge zur Tiergesundheit auf den Schulungen der Ämter für Landwirtschaft oder der Zuchtvereine (Rinder, Schafe, Geflügel), durch die mittlerweile verbreiteten und vielfältigen Angebote von „Fokus Tierwohl“ und die Tage der Rinder-, Schweine-, oder Pferdegesundheit der Thüringer Tierseuchenkasse. tiergesundheitlichen Eine strukturierte weiterführende Fortbildung von Landwirten ist in Thüringen mittlerweile breit etabliert. Große Breitenwirkung unter den Mitarbeitern tierhaltender Betriebe haben Sachkundelehrgänge zu spezifischen Klauengesundheit, Kälbergesundheit, Fruchtbarkeit, Eigenbestandsbesamer, Isofluran-Narkose Schwein, tierschutzgerechtes Töten). Sie schließen in der Regel mit einer Sachkundeprüfung ab. Fortbildungsträger ist Landvolkbildung Thüringen e.V. Diese themenspezifischen Qualifizierungen erfordern in der Regel einen hohen Anteil tierärztlicher Kompetenz in der Wissensvermittlung. Beispielsweise wurden Laufe der Jahre 2020-2022 insgesamt 69 Teilnehmer aus 27 Betrieben in 7 Lehrgängen mit insgesamt je 16 Stunden sowie einer Eutergesundheit, Themen, beispielsweise 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 117

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ theoretischen und einer praktischen Prüfung zur Durchführung der Isofluran-Narkose zur Ferkelkastration qualifiziert. Die Fortbildung „Fachagrarwirt Herdenmanagement“ fokussiert auf Praktiker mit Tierverstand Ein wichtiges Ziel der Thüringer Fortbildungsangebote ist die Qualifizierung produktionstechnischer Spezialisten für die Arbeit am Tier aus der Praxis heraus. Die Erfahrung hat gezeigt, dass Hochschulabsolventen nach einigen Jahren in der Praxis oft in andere Tätigkeiten wechseln und den Betrieben nicht mehr zur Verfügung stehen. Um diese Lücke zu schließen stehen in Thüringen im Wesentlichen zwei Fortbildungsgänge zur Verfügung: - Tierwirtschaftsmeister (Träger: Fachschule für Agrarwirtschaft Stadtroda, gegenwärtig Referat des Thüringer Landesamtes für Landwirtschaft und ländlichen Raum) - Geprüfter Fachagrarwirt Herdenmanagement (Träger: Landvolkbildung Thüringen e.V.) Dabei entsprechen die ersten beiden Qualifizierungen der Stufe 6 des bisherigen Europäischen Qualifikationsrahmen und sind damit auf einem Niveau mit dem Bachelor-Abschluss angesiedelt. Während der Lehrgang Tierwirtschaftsmeister den Schwerpunkt auf Betriebsführung legt, qualifiziert der Fachagrarwirt Herdenmanagement zur Umsetzung des Herden- und Tiergesundheitsmanagements mit Spezialkenntnissen zur Haltung, Fütterung, Tiergesundheit, zu Leistungswerten der Herde und zum Erkennen von Krankheiten. Der Lehrgang „Fachagrarwirt Herdenmanagement“ basiert auf der Prüfungsordnung zur Durchführung der Fortbildungsprüfung zum/zur Geprüften Fachagrarwirt/-in Herdenmanagement vom 17. Juli 2006 (ThürStAnz Nr. 32/2006 S. 1290), zuletzt geändert am 4. November 2011. Ziel ist, im Landwirtschaftsbetrieb einen nichttierärztlichen Ansprechpartner für Fragen der Tiergesundheit und damit einen kompetenten Ansprechpartner für die betreuenden Tierärzte zu etablieren. Im Rahmen der Fortbildung werden auch der „Befähigungsnachweis Tiertransporte“, der „Sachkundenachweis nach Tierschutz-Schlachtverordnung zum Töten von Tieren“ und der Nachweis „Ersthelfer“ erworben. Der Anteil der durch Tierärzte geleisteten Stunden ist je nach Stoffgebiet unterschiedlich, jedoch in bestimmen Bereichen beträchtlich. Insgesamt wurde ca. ein Drittel der Unterrichtseinheiten von Tierärzten sichergestellt. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um die Tierärzte des Thüringer Tiergesundheitsdienstes (77 %), Kollegen aus den Veterinärämtern (19 %) und praktizierende Tierärzte (4 %). Tabelle 1: Übersicht über den Rahmenstoffplan für die Ausbildung "Geprüfte/r Fachagrarwirt/in Herdenmanagement“ in Thüringen 2008 bis 2024 mit Angabe der Anzahl und des Anteils der von Tierärzten geleisteten Unterrichtseinheiten (UE) Themenbereich I. II. III. IV. V. VI. VII. VIII. Gesamt Europäische und nationale Strukturpolitik und deren Einfluss auf betriebliches Management Anatomie, Physiologie und Tiererkrankungen Hygiene Herdenmanagement Tierzucht und Leistungsprüfung Rechtsvorschriften für Tierhalter Praktikum Prüfungsvorbereitung UE 12 104 56 190 28 64 80 16 550 UE % UE Tierärzte Tierärzte - 96 8 52 - 24 - 8 188 - 92 % 14 % 27 % - 38 % - 50 % 34 % Diese Fortbildung umfasst 550 Stunden, setzt einen Berufsabschluss voraus und ist berufsbegleitend durchzuführen. Die Lehrveranstaltungen finden wöchentlich an einem vollen Arbeitstag statt. Der Präsenzunterricht wird ergänzt durch das Angebot der Online-Teilnahme. Hierfür erhalten die Teilnehmer entsprechend ausgestattete Laptops. Wesentliche Teile, unter anderem ein zweiwöchiges Praktikum in einem 118 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ fremden Betrieb, finden als praktische Übung im Landwirtschaftsbetrieb statt. Der Kurs schließt mit zwei schriftlichen und einer praxisbezogenen Prüfungsaufgabe mit Prüfungsgespräch ab. Hierfür wird ein Prüfungsausschuss von der Thüringer Landwirtschaftsverwaltung berufen. Der Lehrgang wird aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds gefördert. Wichtig war von Anbeginn, dass alle Teile praxisrelevant und an entsprechenden teilnehmerbezogenen Beispielen abgearbeitet werden und in die Fortbildung praktizierende Tierärzte und andere Referenten einbezogen werden. Die Schwerpunkte sind in Tabelle 1 angegeben. Bisher wurden 7 Kurse mit je 10-15 Teilnehmern durchgeführt, der Kurs 2022-2024 wird gegenwärtig von 21 Teilnehmern belegt. Diese nunmehr etwa 80 ausgebildeten Fachagrarwirte für Herdenmanagement unterstützen in den Rinder- und Schweinebeständen. insbesondere die Prävention und Tiergesundheitsüberwachung Die Fortbildung schließt mit zwei schriftlichen und einer praxisbezogenen Prüfungsaufgabe mit Prüfungsgespräch ab. Auf Grund der neuen Fortbildungsprüfungsregelung im Berufsbildungsgesetz kann der Lehrgang im bisherigen Stundenumfang nicht fortgeführt werden, sondern wird umstrukturiert in einen Lehrgang zum Geprüften Berufsspezialisten für Herdenmanagement mit notwendigem Stundenumfang von mind. 400 Stunden. Die 2. Fortbildungsstufe vom mindestens 1200 Stunden soll künftig durch den Tierwirtschaftsmeister Fachrichtung Rinderhaltung abgedeckt werden. Die Überarbeitung der Lehrpläne wird gegenwärtig vollzogen. Zusammenfassung Es kann zusammengefasst werden, dass 1. das Tiergesundheitsrecht die Fortbildung von Landwirten in Fragen der Tiergesundheit als tierärztliche Aufgabe definiert, 2. die Erfahrungen aus Thüringen zeigen, dass eine strukturierte Fortbildung von Landwirten zu tiergesundheitlichen Fragen wichtig ist und gut angenommen wird und 3. über den Fortbildungsgang Fachagrarwirt Herdenmanagement (künftig: Geprüfter Berufsspezialist für Herdenmanagement) engagierte Tierwirte an produktionstechnische Schlüsselaufgaben herangeführt werden können. Kontakt Prof. Dr. Karsten Donat, Thüringer Tierseuchenkasse, Jena kdonat@thtsk.del 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 119

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Integrierte Tierärztliche Bestandsbetreuung – Pro und Contra Rolf Mansfeld Klinik für Wiederkäuer mit Ambulanz und Bestandsbetreuung, LMU München, Oberschleißheim Zusammenfassung Seit Inkrafttreten der Verordnung EU 2016/429, dem so genannten „EU-Tiergesundheitsrechtsakt“ (Animal Health Law [AHL]) in Deutschland wird viel über die tierärztliche Bestandsbetreuung (ITB) und deren rechtliche Verankerung gesprochen. Der rechtliche Rahmen spricht eindeutig für die ITB und weist Tierärzt*innen bei Tiergesundheit und Tierwohl eine Schlüsselrolle zu. Die Ergebnisse von Prävalenzstudien aus der jüngeren Vergangenheit haben zum Teil erhebliche Gesundheitsdefizite in deutschen Milchviehbeständen aufgezeigt. Diesen könnte mit den Werkzeugen der ITB erfolgreich entgegengewirkt werden. Die Optimierung von Tiergesundheit und Tierwohl in Verbindung mit der entstehenden Transparenz könnte erheblich zu einer Verbesserung der gesellschaftlichen Akzeptanz der Milchviehhaltung beitragen. Weitere positive Effekte der ITB sind u.a. die zu erwartende Verbesserung des betriebswirtschaftlichen Erfolgs des Tierhaltungsbetriebs und positive Auswirkungen auf die Effizienz der tierärztlichen Tätigkeit. Ein flächendeckendes Angebot und/ oder eine flächendeckende Anforderung der ITB gibt es in Deutschland bisher nicht. Für eine flächendeckende Einführung wird daher eine öffentliche Förderung der Einführung der ITB in deutschen Rinderbeständen für erforderlich gehalten. Pro ITB Rechtlicher Rahmen Spätestens seit dem 21.04.2021, seitdem die Verordnung EU 2016/429, der so genannte „EU- Tiergesundheitsrechtsakt“ (Animal Health Law, AHL), auch in Deutschland gilt, wird sehr viel über die Integrierte Tierärztliche Bestandsbetreuung (ITB) in Milcherzeugerbetrieben gesprochen. Im Zusammenhang mit den im AHL vorgeschriebenen „Tiergesundheitsbesuchen“ durch Tierärzt*innen wird eine rechtliche Verankerung der ITB gesehen. Die stärkere Betonung eines risikobasierten Ansatzes bei der Tiergesundheit, der Vorbeugung und der Biosicherheit untermauern diese Bewertung. Den Tierhalter*innen, den Tierärzt*innen und den zuständigen Behörden wird durch das AHL für Tiergesundheit und Tierwohl eine größere Verantwortung zugewiesen. Dabei sind die Tierhalterinnen und Tierhalter primär für die Gesundheit ihrer Tiere, für Biosicherheit und die landwirtschaftlichen Praxis“ zuständig. Für sie ergeben sich u.a. mehr Umsetzung einer „Guten Überwachungspflichten bezüglich der Gesundheit und des Verhaltens ihrer Tiere. Das bedeutet, dass die Tierhalterinnen und Tierhalter dort, wo ihnen die fachliche Kompetenz fehlt, z.B. bei der Umsetzung eines zielgerichteten und kontrollierten Tiergesundheitsmanagements, sie diese durch Hinzuziehung entsprechender Fachleute, in diesem Fall Tierärzt*innen, anderweitig in Anspruch nehmen müssen, um ihrer eigenen Verantwortung gerecht werden zu können. Dementsprechend steht in den Erwägungsgründen zum AHL u.a., dass die Zusammenarbeit zwischen Landwirt*innen und Tierärzt*innen verbessert werden soll, und dass praktizierende Tierärztinnen und Tierärzte das wichtigste Bindeglied zwischen den Tierhalter*innen und der jeweils zuständigen Behörde darstellen sollen. Die „Tiergesundheitsbesuche“ werden im AHL inhaltlich und bezüglich der Besuchsfrequenzen nicht näher definiert. Wenn diese sinnvoll gestaltet werden und auf eine stabile Optimierung der Tiergesundheit und des Tierwohls hinwirken sollen, müssen die vorgeschriebenen „Tiergesundheitsbesuche“ nach Ansicht des Autors mit einer ITB hinterlegt werden. Nur dann werden die anlässlich eines Tiergesundheitsbesuchs benötigten Informationen zur Tiergesundheit und zum Tierwohl in geeigneter Form zur Verfügung stehen, so dass regelmäßig Risikobeurteilungen vorgenommen werden können. Nur mit einer sinnvoll gestalteten ITB können die Tierärzt*innen zur Erreichung der Ziele des AHL, wie Verbesserung von Tierwohl und Tiergesundheit, der Lebensmittelsicherheit der Zusammenarbeit zwischen Landwirt*innen und Tierärzt*innen und zur Antibiotikaminimierung wirkungsvoll beitragen. 120 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Der rechtliche Rahmen spricht demnach eindeutig für eine ITB. Er ordnet den Tierärzt*innen aufgrund ihrer Ausbildung bezüglich Tiergesundheit und Tierwohl eine „Schlüsselrolle“ zu. Situation in der Milchrinderhaltung Milchkühe sind aufgrund ihrer hohen Leistungen „Hochleistungsportler“. Dementsprechend hoch sind ihre Ansprüche an Haltung, Fütterung und Management. Viele wissenschaftliche Studien und technische Entwicklungen der letzten Jahre tragen dazu bei, dass Tiergesundheit und Tierwohl auf Einzeltierebene immer besser gemessen und damit kontrolliert, d. h. gesteuert werden können. Die Ergebnisse von Prävalenzstudien aus der jüngeren Vergangenheit sprechen aber dafür, dass diese Möglichkeiten zu wenig oder nicht richtig genutzt werden. So zeigten sich in deutschen Milchviehbetrieben z. B. in einem Teil der Fälle extrem hohe Lahmheitsprävalenzen. Bei Befragungen der Tierhalter zeigte sich darüber hinaus, dass diese das Vorkommen von Lahmheiten in ihrer jeweiligen Herde drastisch unterschätzten. Auch die sehr unterschiedlichen Ergebnisse bezüglich der Körperkondition von Kühen, mit zum Teil hohen Anteilen an über- oder unterkonditionierten Tieren, sprechen ebenfalls dafür, dass die Möglichkeiten eines zielorientierten, kontrollierten Tiergesundheitsmanagements nicht ausreichend genutzt werden (2). Ganz offensichtlich gibt es bei Tiergesundheit und Tierwohl in deutschen Milchviehställen trotz aller, ohne Zweifel vorhandener Bemühungen der Tierhalter*innen um ein gutes Tiergesundheitsmanagement ein erhebliches Verbesserungspotenzial. Mit Hilfe der ITB könnte dieses sehr gut genutzt werden. Der aktuelle Stand bezüglich Tiergesundheit und Tierwohl spricht demnach eindeutig für die Notwendigkeit einer Verbesserung des Situationsbewusstseins und eine kontrollierte Optimierung mit Hilfe von ITB. Durch die kontinuierliche Zusammenarbeit zwischen Tierhalter*innen und Tierarzt*innen unter Verwendung geeigneter periodisch angewendeter Indikatoren kann die Tiergesundheitssituation verbessert und dauerhaft auf einem hohen Niveau gehalten werden. In einer aktuellen, nicht repräsentativen Befragung in verschiedenen Regionen Bayerns gaben rund 30 % der befragten Betriebsleiter, die eine ITB in Anspruch nehmen, an, ohne speziellen Anlass mit ITB begonnen zu haben, um die Tiergesundheit zu verbessern. Knapp 52 % haben nach auftretenden Gesundheitsproblemen im Bestand mit der ITB angefangen (1). Gesellschaftlicher Rahmen Die landwirtschaftliche Tierhaltung steht seit geraumer Zeit unter besonderer gesellschaftlicher Beobachtung. Sowohl die hohe Leistung, die Tieren abverlangt wird, als auch die Anwendung von Arzneimitteln, insbesondere Antibiotika, stehen in der Kritik. Für den Antibiotikaeinsatz bestehen sogar gesetzliche Einschränkungen und eine Minimierungspflicht. Außer der Mitwirkung in den Verantwortungskomplexen Tiergesundheit, Tierwohl, Tierschutz und Lebensmittelsicherheit, kann die ITB die Tierhalter*innen bei der Schaffung der erforderlichen Transparenz und der Kommunikation mit Überwachungsbehörden, wie auch bei der Eigenkontrolle gemäß § 11 Tierschutzgesetz unterstützen. Auch weitere von den Tierhalter*innen zu erstellende Dokumentationen und Berichte (Qualitätsprogramme der Molkereien und des Handels, QS- Dokumentationen, QCheck-Report etc.) oder auch routinemäßig durchzuführende Audits (z.B. QM-Milch) können mit den Informationen aus der ITB versorgt werden. Die aktuellen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen mit einem großen Interesse an Tierwohl und Tierschutz sprechen daher eindeutig für die ITB. Das wirft die Frage auf, ob die ITB, oder wenigstens deren Einführung in einem Betrieb, nicht öffentlich gefördert werden müsste. Der rechtliche Rahmen, der den Tierärzten eine besondere Verantwortung und Schlüsselrolle zuschreibt, und das große öffentliche Interesse sprechen eindeutig dafür. Die Diskussion um diese Frage läuft seit einiger Zeit. Indirekte Förderungen, wie zum Beispiel das Projekt „Spezialistennetzwerk“ in Bayern oder auch die Einführung des Masterstudiengangs „Tiergesundheitsmanagement“ für Tiermediziner an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf, gibt es bereits. Eine direkte Förderung, zumindest der Einführung der ITB in einem Betrieb, wäre dringend erforderlich, um die Nutzung der tiermedizinischen Möglichkeiten und damit Tiergesundheit und Tierwohl in den Betrieben zu optimieren. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 121

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Geplantes und effizientes Arbeiten Wird im Rahmen der ITB ein kontrolliertes Tiergesundheitsmanagement erfolgreich umgesetzt, ist davon auszugehen, dass die Zahl akuter Krankheitsfälle zurückgeht. Außerdem hat der bestandsbetreuende Tierarzt zu jeder Zeit genaue Kenntnis bezüglich der Gesundheit des jeweiligen Tierbestands. Die mit der jeweils vereinbarten Frequenz periodisch durchzuführenden ITB-Bestandsbesuche sind planbar und umfassen u.a. die Untersuchung und gegebenenfalls Behandlung von einer Reihe von Tieren. Dabei ist, nach Etablierung der ITB in einem Betrieb, der Aufwand nicht nur vorher planbar, sondern aufgrund der genauen Kenntnis der Situation auch von vornherein relativ gering. Die Planbarkeit und die genaue Kenntnis der aktuellen Situation und der Entwicklung von Tiergesundheit und Tierwohl sprechen ebenso für eine ITB, wie die sich ergebende hohe Effizienz der tierärztlichen Tätigkeit. Ökonomischer Erfolg In einer aktuellen, nicht repräsentativen Befragung in Bayern schätzen rund 54% der Betriebsleiter*innen, die eine ITB in Anspruch nehmen, diese als gewinnbringend, 46% als gerade kostendeckend ein. Die ökonomischen Vorteile werden v.a. als Folge der Verbesserung der Tiergesundheit (59 %) gesehen (1). Bei dem Vergleich von Gesundheitsdaten zwischen Betrieben mit bzw. ohne ITB wiesen die ITB-Betriebe in einer 5-Jahres-Auswertung u. a. niedrigere Zellgehalte in der Milch auf (∅ 166.980 Zellen/ml bzw. 209.340 Zellen/ml (1). Contra ITB Es gibt sowohl auf der Seite der Tierhalter*innen als auch auf der der Tierärzt*innen verschiedene Gründe, die trotz der oben dargestellten Argumente pro ITB, in praxi oft gegen die Umsetzung einer ITB sprechen. Nicht erkannter Bedarf Auf Tierhalterseite ist das zum Beispiel nicht selten das fehlende Erkennen eines Bedarfs für eine zielgerichtete, systematische Zusammenarbeit mit der Hoftierarztpraxis. Auch entspricht die gezielte und geplante, regelmäßige Inanspruchnahme von Tierärzt*innen für das Tiergesundheitsmanagement in vielen Regionen Deutschlands nicht der traditionellen Rollenverteilung in diesem Metier. Außerdem wird von tierärztlicher Seite oft eine fehlende Bereitschaft der Tierhalter, für Beratung zu bezahlen, beklagt. Umfrageergebnisse unter Betriebsleiter*innen, die keine ITB in Anspruch nehmen, sprechen dagegen. Auf die Frage, was sie von einer ITB abhält, gaben lediglich rund 20 % finanzielle Gründe an. Fehlendes Angebot Ebenfalls 20 % der Befragten gaben an, dass es kein entsprechendes Angebot seitens ihrer Hoftierarztpraxis gäbe und 27 % wussten nicht, ob es ein solches gibt. Tatsächlich ist davon auszugehen, dass es bislang in Deutschland kein flächendeckendes Angebot für die Durchführung einer ITB durch die Hoftierarztpraxen gibt. Zum Teil spielt vermutlich fehlende Spezialisierung eine Rolle. Durch entsprechende Fort- und Weiterbildungsangebote wird versucht, diesem Umstand entgegenzuwirken. Das größere Problem scheint jedoch die sehr hohe Auslastung der Tierarztpraxen bei gleichzeitigem Mangel an geeigneten Mitarbeiter*innen zu sein. Das macht es schwer, neue Leistungsangebote zu entwickeln, zu bewerben und erfolgreich in die Praxis zu bringen. Die Einführung einer ITB in einer Reihe von Betrieben tangiert das Praxismanagement erheblich. Die termingebunden und erfordert einen hohen Organisationsgrad. Nicht jede Praxis ist von vornherein im Stande, das zu leisten. Auch die aufgrund der geringen Tierarztdichte in manchen ländlichen Regionen fachlich breite Aufstellung der Praxen wirkt einer weitreichenden Spezialisierung und einem entsprechenden Angebot für die Tierhalter*innen in einem Teil der Fälle vermutlich eher entgegen. ist absolut ITB Erfolg und Misserfolg Wird zwischen Tierhalter*innen und Tierarzt*innen eine ITB vereinbart und umgesetzt, kann es auch während dieser engen, zielorientierten Zusammenarbeit von Zeit zu Zeit zu gewissen Schwankungen bei der Tiergesundheit und -leistung kommen. Solche „Zwischentiefs“ müssen dann gemeinsam durchschritten werden 122 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ - was durch Umsetzung geeigneter Maßnahmen in der Regel gut gelingt. Auch das, in Kombination mit dem erforderlichen hohen Organisationsgrad der ITB mag die/den eine/n oder andere/n von einem Auf- und Ausbau der ITB in seiner Praxis abhalten. Automatisierung Die zunehmende Automatisierung in der Tiergesundheitsüberwachung mit immer besser werdenden Messsystemen bietet viel tagaktuelle Information auf Einzeltierebene. Der Gedanke, dass diese Informationen für ein gezieltes Tiergesundheitsmanagement ausreichend sind, könnte naheliegen. Tatsächlich wird eine tiermedizinische Expertise benötigt, um die Ergebnisse automatisierter Messungen zu interpretieren, diese mit den jeweiligen Verhältnissen im Betrieb in Zusammenhang zu bringen, zu bewerten und bei festgestellten Abweichungen geeignete Maßnahmen für eine Verbesserung der Situation abzuleiten. Dies ist originär tierärztliche Tätigkeit. Forderungen der Tierhalterinnen und Tierhalter In der Befragung von Albrecht (2023) forderten die Tierhalter*innen von Betrieben mit und ohne ITB mehrheitlich u. a. eine „maßgeschneiderte Anpassung der tierärztlichen Bestandsbetreuung an die individuellen Bedingungen des jeweiligen Bestandes“, ein „Angebot der ITB in definierten Leistungspaketen“, eine „Ausgestaltung der ITB im Sinne eines zielorientierten Tiergesundheitsmanagements mit regelmäßigen Erfolgskontrollen“ (1). Logische Konsequenz Für eine kurzfristige und nachhaltige Verbesserung von Tiergesundheit und Tierwohl wäre die flächendeckende Einführung einer systematischen Zusammenarbeit zwischen Tierhalter*innen und Tierärzt*innen in Form einer ITB erforderlich. Die Möglichkeiten für Tierärzt*innen zur Spezialisierung, inklusive Fortbildungsveranstaltungen zum Thema „Praxismanagement“ sollten weiter verbessert werden. Dort, wo ITB nicht geleistet werden kann, sollte nach Kooperationsmöglichkeiten Ausschau gehalten werden. Ohne eine solche enge Zusammenarbeit zwischen Tierhalter*innen und Tierärzt*innen kann die Tierärzteschaft die ihr per EU-Verordnung zugedachte Mitverantwortung nicht wirklich übernehmen. Ein großes Interesse der Gesellschaft an Tiergesundheit, Tierschutz, Tierwohl und Lebensmittelsicherheit rechtfertigt die Forderung, die ITB, zumindest deren Einführung auf einem Betrieb, mit öffentlichen Mitteln zu fördern. Die Einführung könnte dadurch wesentlich beschleunigt werden. Die Erfahrung von ITB-Tierärzt*innen ist, dass Betriebsleiter*innen, die einmal mit der ITB begonnen haben, diese in aller Regel nicht wieder aufgeben. Literatur 1. Albrecht K. Analyse zum Stellenwert der Integrierten Tierärztlichen Bestandsbetreuung (ITB) für die Optimierung von Gesundheits- und Leistungsparametern in bayerischen Milchviehbetrieben [Masterarbeit]. Weihenstephan, München: Hochschule Weihenstephan-Triesdorf, LMU-München; 2023. 2. Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE), Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL). „Tiergesundheit, Hygiene und Biosicherheit in deutschen Milchkuhbetrieben – eine Prävalenzstudie, Abschlussbericht; 2020; https://ibei.tiho-hannover.de/praeri/uploads/report/Abschlussbericht_komplett_2020_06_30_korr_2020_10_22.pdf Kontakt Prof. Dr. Rolf Mansfeld; Klinik für Wiederkäuer mit Ambulanz und Bestandsbetreuung, Oberschleißheim r.mansfeld@lmu.de 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 123

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Zu Tiergesundheit und Tierwohl in deutschen Milchkuhbetrieben – Nachlese aus der PraeRi-Studie Martina Hoedemaker1, Amely Campe2, Roswitha Merle3, Gabriela Knubben-Schweizer4, Kerstin-Elisabeth Müller5, Moritz Metzner4, Christina Strube6, Andrea Springer6 1Klinik für Rinder, Tierärztliche Hochschule Hannover; 2Institut für Biometrie, Epidemiologie und Informationsverarbeitung, Tierärztliche Hochschule Hannover; 3Institut für Veterinär-Epidemiologie und Biometrie (IVEB), FB Veterinärmedizin, FU, Berlin; 4Klinik für Wiederkäuer mit Ambulanz und Bestandsbetreuung, Tierärztliche Fakultät, LMU, München; 5Klinik für Klauentiere, FB Veterinärmedizin, FU, Berlin; 6Institut für Parasitologie, Zentrum für Infektionsmedizin, Tierärztliche Hochschule Hannover Einleitung in Deutschland durchgeführt. Im ersten Schritt wurde zunächst Im Rahmen der „PraeRi-Studie“ mit dem offiziellen Titel „Tiergesundheit, Hygiene und Biosicherheit in deutschen Milchkuhbetrieben – eine Prävalenzstudie (PraeRi)“ wurde eine repräsentative Beschreibung der Tiergesundheit in der Milchkuhhaltung einschließlich der Kälber- und Jungtierhaltung unter den aktuellen Bedingungen festgestellt, welche Gesundheitsschäden bei den in Milchkuhbetrieben gehaltenen Tieren hauptsächlich vorkommen und mit welchen Indikatoren sie erfasst werden können. Im zweiten Schritt wurden dann die Faktoren ermittelt, die möglicherweise ursächlich für das Vorkommen dieser Gesundheitsschäden sein können, so dass sich hieraus Handlungsoptionen ergeben. Im Folgenden werden die Ergebnisse zur Tiergesundheit bei Milchkühen dargestellt, wobei die erhobenen Daten zum Teil auch als Tierwohlindikatoren genutzt werden (1). Die hier vorgestellten Ergebnisse repräsentieren nur einen kleinen Teilausschnitt der erhobenen Daten. Material und Methoden Die Untersuchungen fanden in 765 Milchkuhbetrieben in drei strukturell unterschiedlichen Regionen in Deutschland statt (Region Nord (N): Niedersachsen, Schleswig-Holstein, n=253; Region Ost (O): Mecklenburg—Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Thüringen, n=252; Region Süd (S): Bayern, n=260). Die Betriebe wurden nach einem kontrollierten Zufallsprinzip ausgewählt und einmalig besucht. Da es in Deutschland zurzeit noch kein flächendeckendes Gesundheitsmonitoring gibt, welches für alle Betriebe die Feststellung der Prävalenz der wichtigsten beim Milchrind auftretenden Erkrankungen ermöglicht, wurden unterschiedliche Datenquellen genutzt. Zunächst wurden Informationen zu Erkrankungen bei den Milchkühen über eine direkte Befragung der TierhalterInnen erhalten. Ausgewertet wurde der Zeitraum des Jahres vor dem Betriebsbesuch. Um indirekte Hinweise auf bestimmte Gesundheitsstörungen zu erhalten, wurden die Daten der monatlichen Milchleistungsprüfung tierbezogene Daten durch Einzeltierbeurteilung erhoben: (MLP) herangezogen sowie • • • • • • -Fett-/Eiweißquotient (FEQ): Ketose-/Azidose-Risiko -Somatische Zellzahlen: Eutergesundheit (2,3) -Bewegungsscore: Lahmheit (4) -Haltungsassoziierte Leiden- und Schäden: Läsionen an Sprunggelenken, Nacken, Rücken, Schwanz (5-7) -Antikörper (AK) gegen Ostertagia ostertagi, Fasciola, Dictyocaulus in der Tankmilch: Parasitenbelastung -Kulturelle Untersuchung von Umweltproben auf Mycobacterium avium ssp. paratuberculosis: Para- Tbc Ergebnisse und Diskussion Nach Angaben der TierhalterInnen ergaben sich mittlere Inzidenzen von < 5 % für Lungenentzündung, Ketose, Labmagenverlagerung, Fremdkörpererkrankung, klinische Mastitis mit Allgemeinstörung, Färsenmastitis und Aborte, im Bereich von < 5 bis 10 % für Lahmheit, Milchfieber, Nachgeburtsverhaltung und 124 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Gebärmutterentzündung und im Bereich von > 10 % bis 15 % für klinische Mastitis ohne Allgemeinstörung. Es stellte sich allerdings heraus, dass diese Daten für weitere Auswertungen eher nicht geeignet waren, da sie zum großen Teil auf Schätzungen beruhten. In Tabelle 1 sind die mittleren Inzidenzen von Stoffwechselerkrankungen wie Ketose und Azidose basierend auf den MLP-Ergebnissen dargestellt. Auch wenn die Wertigkeit dieser Daten in ihrer Bedeutung eingeschränkt ist und man besser von einem Erkrankungsrisiko spricht, so zeigen die Zahlen, dass in Hinsicht auf Ketose im Schnitt doch jede 3. Kuh und bei der Azidose regionsabhängig jede 2. bis 3. Kuh einem erhöhten Risiko ausgesetzt ist. Tabelle 1: Inzidenz/Prävalenz von Befunden (Lahmheit, Läsionen), Indikatoren für ein Krankheitsrisiko (Stoffwechsel) bzw. den Gesundheitszustand (Eutergesundheitskennzahlen), von Infektionen (Parasitenbelastung, Para-Tbc) sowie Abgangs- und Mortalitätshäufigkeiten. Bzgl. der Variation der Daten siehe (8). Nord Region Ost Stoffwechsel % Tiere/Betrieb (Median) mit FEQ > 1,5* (nur Tiere < 100 Tage Laktation) mit FEQ < 1,0* Lahmheit % lahme Tiere/Betrieb (Median)** Läsionen % Tiere/Betrieb (Median) mit Läsionen am Tarsalgelenk Alle Läsionen Schwere Läsionen (Wunde/Schwellung) Achsabweichung/Schwellung Schwanz Schwanzamputation Nackenläsionen Rückenläsionen (Boxenlaufställe) Eutergesundheitskennzahlen (MLP) % Tiere/Betrieb (Median) % Eutergesund % Neuinfektion Laktation % Chronisch krank % Färsenmastitis % Heilung Trockenstehperiode % Neuinfektion Trockenstehperiode Parasitenbelastung % Betriebe mit positiven Proben Ostertagia Tankmilch AK Fasciola Tankmilch AK Dictyocaulus Tankmilch AK Para-Tbc % Betriebe mit positiven Umweltproben (Kultur) Abgänge/Mortalität/Alter % Abgänge/Betrieb (Median) % Mortalität/Betrieb (Median) Durchschnittsalter/Betrieb in Jahren (Median) 27,0 32,6 22,8 78,4 11,1 8,0 1,0 12,2 14,1 60,7 17,1 0,9 28,4 62,5 23,5 49,0 16,9 4,5 12,0 32,9 3,2 4,7 27,7 45,0 39,4 73,5 12,8 14,1 0,3 28,5 8,0 59,0 19,9 1,1 35,7 57,2 25,1 35,1 1,0 2,4 40,0 35,9 3,9 4,3 Süd 30,8 50,0 14,3 77,2 11,2 3,0 0,0 15,4 3,9 60,2 18,3 0,4 23,5 60,0 23,5 39,4 24,9 0,4 3,8 36,3 1,8 4,3 *FEQ = Fett/Eiweißquotient; mindestens 1x Überschreitung im Jahr vor dem Betriebsbesuch **Bewegungsscore (4) > 3 Erschreckend hoch sind die Ergebnisse für die Lahmheit, wobei die Inzidenz in O deutlich höher ist als in N und S. Die Diskrepanz zu den von den TierhalterInnen angegebenen Zahlen zeigt, dass Lahmheit von diesen 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 125

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ oft nicht als solche wahrgenommen wird. Das Ausmaß von Lahmheit muss als tierschutzrelevant angesehen werden. Auch die Häufigkeiten von haltungsassoziierten Schäden (Tab. 1) deuten darauf hin, dass es oft nicht gelingt, die Haltung entsprechend der Bedürfnisse der Tiere anzupassen, woraus sich eine Verschlechterung des Tierwohls ergibt. Die Eutergesundheit kann anhand der Euterkennzahlen (1) gut beurteilt werden. Die in der Tabelle 1 angegebenen Häufigkeiten sind Mittelwerte der einzelnen Testtage aus dem letzten Jahr vor dem Betriebsbesuch. Sie zeigen, dass Mastitis nach wie vor eine der wichtigsten Infektionskrankheiten bei Milchkühen ist. Dies ergibt sich aus hohen Neuinfektionsraten in der Laktation und Trockenstehperiode und einem hohen Prozentsatz von Tieren, die ihre erste Laktation schon nicht eutergesund beginnen. Die Untersuchung von Tankmilchproben auf Antikörper gegen verschiedene Weideparasiten zeigte, dass eine Belastung mit Lungenwürmern in allen drei Regionen kaum eine Rolle spielte. Dagegen war eine Auseinandersetzung mit Leberegeln in N und S häufiger anzutreffen, wobei bei einem positiven Befund die Prävalenz innerhalb einer Herde meist sehr hoch bei > 50 % lag. Positive Tankmilch AK gegen Ostertagia ostertagi als Indikator für eine Belastung mit Magen-Darm-Würmern waren in N mit knapp 50 % am höchsten, aber auch in O und S wurden Häufigkeiten von über 30 % festgestellt. Die Untersuchungen zur Para-Tbc wurden in einem Add-on-Projekt (PraeMap) mit Proben aus dem PraeRi- in O viele Betriebe mit dieser insbesondere Projekt durchgeführt. Die Ergebnisse zeigen, dass Infektionskrankheit zu kämpfen haben. Abgangsraten von im Median 33 % bis 36 % erscheinen auf den ersten Blick etwas hoch. Hier muss allerdings berücksichtigt werden, dass diese Zahlen auch die freiwilligen Abgänge (z. B. Verkauf zur Zucht, infolge Alter oder ungenügender Leistung) enthalten. Aus den Abgangsgründen (Daten nicht gezeigt) ergibt sich, dass ca. 50 % der Tiere aufgrund von Unfruchtbarkeit, Euterkrankheiten, Gliedmaßenerkrankung, Stoffwechselerkrankung und sonstigen Krankheiten den Betrieb verlassen. Dazu kommt noch ein hoher Anteil an Kühen, für deren Abgang „sonstige Gründe“ dokumentiert wurden (31 % N, 22 % O, 15 % S). Bezüglich der Mortalität ist festzustellen, dass in jedem 2. Betrieb mehr als 3 % der Kühe im Laufe eines Jahres sterben, d.h. der gewünschte Wert von 2 % bis 3 % wird nur von der Hälfte der Betriebe erreicht. Insgesamt ist eine umfängliche Beurteilung der Tiergesundheit aufgrund der unsicheren Datenlage nicht möglich. Die Verwendung von Hilfsparametern und eigene Untersuchungen zeigen aber, dass das Krankheitsaufkommen von den TierhalterInnen oft unterschätzt wird mit der Konsequenz von herabgesetztem Tierwohl und wirtschaftlichen Verlusten. Prophylaxe, Krankheitsfrüherkennung, gute tierärztliche Diagnostik auf Betriebs- und Einzeltierebene mit Evidenz-basierten und ökonomisch abgewägten Therapiemaßnahmen sind notwendige Werkzeuge, um das Management und damit die Tiergesundheit und das Tierwohl nachhaltig zu verbessern. Dies erfordert aber eine intensive Zusammenarbeit von TierhalterInnen mit TierärztInnen und anderen Berufsgruppen (z.B. KlauenpflegerInnen). Danksagung Die Studie wurde vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) unter der Trägerschaft der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) mit den FKZ 2814HS006-008 gefördert. Die Autoren danken den TierhalterInnen für ihre Teilnahme und große Kooperation bei der Datenerhebung. Literatur 1. DLQ. DLQ Richtlinie 2.0. Definitionen und Berechnungen von Indikatoren und zugehörigen Vergleichswerten zur Durchführung der betrieblichen Eigenkontrolle und des nationalen Tierwohlmonitorings. https://www.nutztierhaltung.de/rind/milch/tierwohl- indikatoren-bei-milchkuehen/. 2020. 2. DeKruif A, Hoedemaker M, Mansfeld R. Tierärztliche Bestandsbetreuung beim Milchrind. 3. Aufl., Stuttgart: Enke Verlag; 2014. 3. Glatz-Hoppe J, Mohr E, Losand B. Nutzung von Milchinhaltsstoffen zur Beurteilung der Versorgungssituation von Milchkühen. 2. Mitteilung: Bewertungsschema zur Beurteilung der Inhaltsstoffe auf Betriebsebene. Züchtungskunde. 2019;91(6):449-473. 4. Sprecher DJ, Hostetler DE, Kaneene JB. A lameness scoring system that uses posture and gait to predict cattle reproductive performance. Theriogenology. 1997;47(6):1179-1187. 5. Kielland C, Ruud LE, Zanella AJ et al. Prevalence and risk factors for skin lesions on legs of dairy cattle housed in freestalls in Norway. J Dairy Sci. 2009;92(11):5487-5496. 126 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ 6. Kielland C, Boe KE, Zanella AJ et al. Risk factors for skin lesions on the neck of Norwegian cows. J Dairy Sci. 2010;93(9):3979- 3989. 7. Cook NB, Hess, JP, Foy MR et al. Management characteristics, lameness, and body injuries of dairy cattle housed in high- performance dairy herds in Wisconsin. J Dairy Sci. 2016;99(7):5879-5891. 8. PraeRi: Tiergesundheit, Hygiene und Biosicherheit in deutschen Milchkuhbetrieben – eine Prävalenzstudie (PraeRi). Abschlussbericht, 30.06.2020, https://ibei.tiho-hannover.de/praeri/pages/69#_AB. 2020. Kontakt Prof. Dr. Martina Hoedemaker; Klinik für Rinder, Tierärztliche Hochschule Hannover Martina Hoedemaker@tiho-hannover.de 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 127

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Bestandsbetreuungsvertrag vs. Übernahmeverschulden Thomas Hertzsch Rechtsanwaltskanzlei Thomas Hertzsch, Leipzig Bestandsbetreuungsvertrag Begriffsbestimmungen in 255-261 konkrete „Bestandsbetreuungsvertrag“ hat offensichtlich einen fachlichen und einen juristischen Inhalt. Indes bleibt das Suchen nach einer Legaldefinition* der Bestandsbetreuung erfolglos: Die TAppV (1) und auch die GOT (2) setzen „Bestandsbetreuung“ voraus. Die GOT unterscheidet Bestandsbetreuung Nutztiere, Maßnahmen zur Qualitätssicherung im Erzeugerbetrieb (Nr. 255) und Bestandsbetreuung Tierheime (Nr. 262). Während die Bestandsbetreuung Nutztiere tierärztliche Tätigkeiten aufzählt, beschreibt die Bestandsbetreuung Tierheime in laufender Nr. 262 wiederkehrende tierärztliche Leistungen im Rahmen der Bestandsbetreuung. Die BTK beschreibt den Weiterbildungsgang „Zusatzbezeichnung tierärztliche Bestands- betreuung und Qualitätssicherung im Erzeugerbetrieb-Rind“ (3) mit den Aufgaben Optimierung von Produktionsabläufen, Verbesserung und Sicherung der Produktqualität in Rinderbeständen, Sicherung und Steigerung der Tiergesundheit und des Tier-schutzes, des Verbraucherschutzes, wobei die Erhaltung eines hohen Niveaus der Gesundheit der Rinderbestände im Sinne einer präventiven Veterinärmedizin vorrangig ist und im Wesentlichen die fachlichen Inhalte der integrierten tierärztlichen Bestandsbetreuung (ITB), ergänzt durch Aspekte des Umweltmanagements, Anwendung finden. Die Weiterbildungsordnung für Tierärzte der Sächsischen LTK weist die tierärztliche Bestandsbetreuung Rinder / Schweine in Anlage zu § 8 Abs. 2 (4), in enger Anlehnung an die Beschreibung durch die BTK, erweitert um die beratende Mitwirkung im Herdenmanagement, aus. Der BPT befasst sich seit Jahrzehnten inhaltlich mit der strategischen Ausrichtung der Bestandsbetreuung und knüpft in seinen Leitlinien (5) rechtlich an den Bestandsbetreuungsvertrag an; Standartwerke veterinärmedizinischer Fachliteratur (6) widmen sich seit Jahrzehnten der Bestandsbetreuung. Im Ergebnis ist der bestandsbetreuende Tierarzt auf einer Vielzahl an Einzelfeldern tätig, welche in ihrer Komplexität Gesundheit des Tierbestandes und den wirtschaftlichen Ertrag des jeweiligen Bestandes entscheidend beeinflussen. „Vertrag“ – auch hierzu existiert keine Legaldefinition – ist die zwei- oder mehrseitige Regelung eines (7). Der Rechtsverhältnisses, die Bestandsbetreuungsvertrag des Tierarztes ist ein Dienstvertrag (§§ 611 bis 630 BGB); die Bestandsbetreuung ist sein Gegenstand (611 Abs 2 BGB). von den Vertragsparteien einverständlich getroffen wird Übernahmeverschulden „Übernahmeverschulden“ ist ein Rechtsinstitut ** des Arzthaftungsrechts: Der Arzt hat bei der Übernahme einer Behandlung zu prüfen, ob er die notwendigen praktischen und theoretischen Fähigkeiten und Kenntnisse besitzt, den gebotenen Standard einzuhalten. Die sachlichen und räumlichen Verhältnisse müssen für die sach- gemäße Behandlungsdurchführung ausreichen (8). Auch der Tierarzt hat vorab zu prüfen, ob er die zur Behandlung notwendigen Kenntnisse und Erfahrungen, die erforderlichen Geräte, Einrichtungen, und ggf. nötige Hilfskräfte besitzt (9). Ärztliches Übernahmeverschulden zieht regelmäßig Schadensersatz nach sich, kann aber auch strafrechtliche Konsequenzen haben (10). Strafurteile gegen Tierärzte aufgrund Übernahmeverschuldens sind in den professionellen juristischen Datenbanken*** – anders als bei den Ärzten – nicht aufzufinden. * Legaldefinition ist die Definition eines Rechtsbegriffs in einem Gesetz durch den Gesetzgeber ** Rechtsinstitut (auch Rechtseinrichtung und Rechtsfigur) bezeichnet die Summe der Rechtsgrundsätze, die durch Gesetzgebung, Rechtsprechung und Rechtswissenschaft zur rechtlichen Beurteilung eines bestimmten Lebenssachverhalts entwickelt worden sind ***Recherchen am 29.09.2023 in juris, Wolters Kluver Online und beck-online 128 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Zivilrechtliche Haftung aus Betreuungsvertrag aufgrund Übernahmeverschuldens Tierärztliche Bestandsbetreuung einschließlich Integrierter Tierärztlicher Bestandsbetreuung (ITB) umfassen eine Vielzahl an Leistungen, die vom Tierarzt immer entsprechend des jeweils geltenden Standards zu erbringen sind. Da die Bestandsbetreuung naturgemäß eine Vielzahl an Tieren umfasst, geht es um erhebliche wirtschaftliche Werte (wie Werte der Einzeltiere, vom Tierbestand stammende Produkte). Schlechterfüllung des Betreuungsvertrages mit seinen vielfältigen In-halten kann Schadensersatzforderungen des Tierhalters in erheblichem Umfange nach sich ziehen (§§ 611, 280 Abs. 1, 249 Abs. 1 BGB). Dies sollte für den bestandsbetreuenden Tierarzt Anlass sein, mit dem Tierhalter einen schriftlichen Bestandsbetreuungsvertrag mit haftungsverhindernder / haftungsmindernder Wirkung abzuschließen. Ab 1995 insoweit vom Verfasser durchgesehene Bestandsbetreuungsverträge wären im Konfliktfall mangels Regelungsstringenz vorhersehbar ungeeignet gewesen. Im wohlverstandenen tierärztlichen Eigeninteresse erscheinen die Festschreibung konkreter Pflichtenverteilung zwischen Tierarzt und Tierhalter und eine Haftungsbeschränkung tierärztlicher Haftung unabdingbar. tierbezogenen Bestandsbetreuung ohne ausreichend hohe Berufshaftpflichtversicherung birgt nicht kalkulierbare wirtschaftliche Risiken. So hatte ein Rinderhalter versucht, über Land-gericht, Oberlandesgericht und Bundesgerichtshof bei einem „Hoftierarzt“ als vermeintlich bestandsbetreuenden Tierarzt eine Hauptforderung von 1,15 Mio Euro einzuklagen, was abgewehrt werden konnte. Pikanterweise endete die Haftpflichtversicherungssumme des betroffenen Tierarztes unterhalb der Hälfte der eingeklagten vermeintlichen Schadensersatzforderung. Zusammenfassend gilt es mittels aktueller Kenntnisse und Fertigkeiten, hinreichend Betreuungszeit und ggf. ausreichender materieller Ausstattung sowie eines krisentauglichen schriftlichen Bestandsbetreuungs-vertrages und sachgerechter Vertragsabwicklung, eine Schadensersatz-Inanspruchnahme möglichst zu vermeiden / zu vermindern. Strafrechtliche Verantwortlichkeit aus Betreuungsvertrag aufgrund Übernahmeverschulden im Kontext mit der Die strafrechtlichen Risiken eines Übernahmeverschuldens tier-ärztlichen Bestandsbetreuung dürften im Normalfalle überschaubar sein: Kommt der Tierarzt seinen vertraglich übernommenen Verpflichtungen aus dem Bestandsbetreuungsvertrag z.B. aufgrund fehlender spezieller Kenntnisse, unzureichender Zeit bei den Bestandsbesuchen etc. nicht nach, kann ein Übernahmeverschulden vorliegen. Hieraus mag der Tierhalter ggf. gegen den Tierarzt einen zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch geltend machen. Übernimmt der Tierarzt allerdings im Rahmen der Bestandsbetreuung originäre Pflichten des Tierhalters (wie z.B. die tägliche in Augenscheinnahme der Nutztiere gemäß § 4 Abs. 1 Ziff. 2 TierSchNutztV (13) und erledigt diese nicht wie geboten, kann dies in der Folge den Ordnungswidrigkeitstatbestand von § 18 I Nr. 1 TierSchG oder sogar den Straftatbestand des § 17 2. b TierSchG ausfüllen. Da nach der Erfahrung des Verfassers die Veterinärämter hin-sichtlich der Einhaltung des Tierschutzes in Nutztierbeständen immer genauer hin-schauen, sollte der bestandsbetreuende Tierarzt hier vorausschauend im Sinne einer juristischen „Eigenprophylaxe“ denken und handeln: Strafverfahren / Ordnungswidrigkeitsverfahren erleben (oder wohl zutreffender erleiden) zu müssen, sollten entbehrliche Erfahrungen bleiben. Literatur 1. 2. 3. 4. 5. Verordnung zur Approbation von Tierärztinnen und Tierärzten vom 27. Juli 2006 (BGBl. I S. 1827), die zuletzt durch Artikel 7 des Gesetzes vom 15. Au-gust 2019 (BGBl. I S. 1307) geändert worden ist Gebührenordnung für Tierärztinnen und Tierärzte (Tierärztegebührenordnung - GOT) vom 15. August 2022 (BGBl. I S. 1401), die durch Artikel 2 der Ver-ordnung vom 15. März 2023 (BGBl. 2023 I Nr. 70) geändert worden ist Bundestierärztekammer e. V. https://www.bundestieraerztekammer.de/btk/musterordnungen/weiterbildung/ - Abruf 28.09.2023 Sächsische Landestierärztekammer https://www.tieraerztekammer-sachsen.de/seite/484311/weiterbildungsordnung- anlagen.html – Abruf 28.09.2023 Bundesverband Praktizierender Tierärzte e.V. https://www.tieraerzteverband.de/weblication/grid5/tmpHTTP/_download_d26023b6794 3008dcdf02131ec4ca6c2/ITB-Leitlinien_Rind.pdf Leitlinien für die Durchführung einer „Tierärztlichen Bestandsbetreuung“ Spezieller Teil Rinder-bestände Version: September 2019 – Abruf 28.09.2023 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 129

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. z.B. Aart de Kruif, Rolf Mansfeld, Martina Hoedemaker (Herausgeber) Tier-ärztliche Bestandsbetreuung beim Milchrind, 3., überarbeitete Auflage 2013 Enke bei Thieme Beckscher Online-Kommentar zum BGB, Hau/Poseck BeckOK BGB/H.-W. Eckert, 67. Ed. 1.8.2023, BGB § 145 Rn. 2) Bundesgerichtshof, Urteil vom 27. September 1983 – VI ZR 230/81 BGHZ 88, 248-260 (Anfänger-OP); Bundesgerichtshof Urt. v. 15.06.1993, Az.: VI ZR 175/92 NJW 1993, 2989-2992 (Assistenzarzt); Bundesgerichtshof Urt. v. 30.05.1989, Az.: VI ZR 200/88 NJW 1989, 2321 (unzureichende apparative Ausstattung Eikmeier/Fellmer/Moegle: Lehrbuch der gerichtlichen Tierheilkunde, 1. Aufl. 1990, Verl. Paul Paray, Seite 85 z.B. Bundesgerichtshof, Urt. vom 29. 4. 2010 - 5 StR 18/10 BGHSt 55, 121 (Körperverletzung mit Todesfolge nach Brechmittegabe) BGH Urt. v. 07.07.2011, Az.: 5 StR 561/10 BGHSt 56, 277 (Körperverletzung mit Todes-folge nach verzögerter Klinikeinweisung) Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. August 2006 (BGBl. I S.2043), die zuletzt durch Artikel 1a der Ver-ordnung vom 29. Januar 2021 (BGBl. I S. 146) geändert worden ist Tierschutzgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. Mai 2006 (BGBl. I S. 1206, 1313), das zuletzt durch Artikel 2 Absatz 20 des Gesetzes vom 20. Dezember 2022 (BGBl. I S. 2752) geändert worden ist Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. August 2006 (BGBl. I S. 2043), die zuletzt durch Artikel 1a der Ver-ordnung vom 29. Januar 2021 (BGBl. I S. 146) geändert worden ist Kontakt Rechtsanwalt Diplomveterinärmediziner Thomas Hertzsch; Rechtsanwaltskanzlei Thomas Hertzsch, Leipzig kontakt@hertzsch-rechtsanwaltskanzlei.de 130 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Geburtshilfe als Notfall Axel Wehrend, Lisa Ulrich Tierklinik für Reproduktionsmedizin und Neugeborenenkunde, Justus-Liebig-Universität Gießen Es gibt keinen anderen Abschnitt im Leben eines Tieres, in dem der Übergang von Physiologie zu Pathologie so eng beieinandersteht wie in der Geburt. Sie ist ein dynamischer Prozess, was bedeutet, dass sich aus einer physiologischen Situation sehr schnell eine pathologische Situation entwickeln kann. Definitionen Aus medizinischer und forensischer Sicht ist es sinnvoll, einige Definitionen klarzustellen, da es sich im Konfliktfall häufig zeigt, dass bei der Beurteilung eines spezifischen Falles derartige Definitionen herangezogen werden. Allgemein ist ein Notfall ein plötzlicher Zustand, der mit der Gefahr das Leben zu verlieren oder der irreversiblen Organschädigung verbunden ist und / oder zu anhaltenden starken Schmerzen führt. Wird diese allgemein anerkannte Definition eines medizinischen Notfalls auf die Situation der Geburt angewandt, so ergibt sich, dass jede Dystokie ein Notfall ist. Der griechische Begriff Dystokie setzt sich aus den Wortbestandteilen Dys-(= gestört, übel, schlecht) sowie –tokos (= Geburt) zusammen und ist ein Synonym für eine erschwerte Geburt oder Schwergeburt. Ellerbrock und Wehrend (1) haben sich in diesem Zusammenhang mit der Definition einer Dystokie auseinandergesetzt. Danach muss eine Geburt mindestens eine der folgenden Kriterien erfüllen, um als Dystokie bezeichnet zu werden: - Gefahr der Schädigung von Muttertier oder Neonat/Fetus durch den Geburtsvorgang - Notwendigkeit der menschlichen Hilfe zur Beendigung der Geburt Für die tierärztliche Praxis ergeben sind bei einem Notfall verschiedene Konsequenzen. Diese sind u.a., dass eine Verpflichtung zur Erstbehandlung besteht und der Fall eine bevorzugte Behandlung vor „Nichtnotfällen“ erfahren sollte. Daraus folgt die Notwendigkeit einen Notfall zu erkennen und über die Kenntnisse zur Erstbehandlung zu verfügen. Ein Problem ergibt sich, wenn keine Möglichkeit zur tierärztlichen Erstbehandlung besteht, weil keine Praxis mit der entsprechenden Expertise zur Verfügung steht – ein Szenario, welcher bei eingeschränkter Verfügbarkeit von Tierärzten im Nutztiersektor denkbar und erlebbar ist. Momont (2) definiert reproduktionsmedizinische Notfälle beim Rind, wobei er für die Kuh die Eihautwassersucht, den Vaginalprolaps, den Abort, die Dystokie, die Gebärmutterverdrehung, den Uterusprolaps und Blutungen nach Geburtshilfe nennt. Dystokie Die Gefahr der irreversiblen Schädigung während einer Dystokie ist für den Neonaten deutlich größer als für das Muttertier. Hauptursache ist die sich verstärkende, intrauterine Hypoxie bei verzögerter Geburt mit ihren Sekundärkomplikationen, die das Krankheitsrisiko auch bei Überleben der Geburt erhöht. Dies ist in einer verzögerten Kolostrumaufnahme aber auch einer gestörten Resorption von Kolostruminhaltsstoffen durch Darmschädigung verursacht. Geburtsverletzungen spielen ebenfalls eine Rolle. Neuere Untersuchungen konnten zeigen, dass die verstärkte intrauterine Hypoxie auch zu einer Herzschädigung des Kalbes führen kann (3). Insgesamt gilt die Dystokie als einer der häufigsten Gründe für Kälberverluste bis zum Zeitpunkt des Absetzens, wenn die Sekundärerkrankungen nach Dystokie (z.B. Durchfall, Bronchopneumonie und Nabelentzündungen einbezogen werden. Es gibt eine Vielzahl von Untersuchungen zur Mortalität und Morbidität von Kühen in Zusammenhang mit Schwergeburten. Das Ausmaß der Schädigung des Muttertieres hängt dabei von der Dauer der Schwergeburt - steigt signifikant nach über drei Stunden an - und der Durchführung der Geburtshilfe ab. Bei einer Untersuchung von 104 Milchkühen post partum, die festlagen, wurde festgestellt, dass in 96,2 % der Fälle eine Schädigung des Nervus ischiadicus vorlag. Eine Schädigung des knöchernen Beckens lag in 2,8 % der Fälle vor (4). 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 131

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Neben einer korrekten tierärztlichen Geburtshilfe und Kälbererstversorgung (5, 6, 7) ist eine systematische Geburtsüberwachung notwendig, damit der Notfall „Dystokie“ nicht zur irreversiblen Schädigung führt. Bereits Grunert (8) weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass passend für die jeweilige geburtshilfliche Situation die richtige geburtshilfliche Maßnahme zu ergreifen ist. Es kommt nicht nur darauf an, dass etwas, sondern das das Richtige getan wird. Torsio uteri Eine Torsio uteri intra partum stellt beim Rind in Vergleich zu anderen Haussäugetieren am häufigsten die Ursache einer Dystokie dar. In der Literatur variieren die Angaben zwischen 2,7 – 65 % bezogen auf alle Geburtsstörungen (9, 10). Bezogen auf alle Geburten tritt eine Torsio uteri in 0,5 – 1 % der Fälle auf. Kühe zeigen ein höheres Risiko eine Torsio uteri zu entwickeln im Vergleich zu Färsen. Auch die Rasse hat einen Einfluss auf das Vorkommen; am häufigsten treten Gebärmutterverdrehungen bei Braunviehkühen auf. Rassen, wie Angus, Hereford und Jersey weisen dagegen ein geringeres Risiko für eine Uterustorsion auf. Die Ursachen für eine Drehung der Gebärmutter sind nicht geklärt. Es wird ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren vermutet, wie ein herabgesetzter Tonus der Uterusmuskulatur, sowie eine verminderte Fruchtwassermenge. Die Größe des Kalbes spielt vermutlich eine Rolle. Im Rahmen von Untersuchungen fiel auf, dass das durchschnittliche Geburtsgewicht der Kälber nach Torsio uteri meist höher ist als das rassetypische Durchschnittsgewicht. Die Schädigung für das Kalb entsteht durch die mangelhafte Versorgung durch die Kompression der uterinen Gefäße und die Anreicherung von toxischen Metaboliten im Blut, für die Kuh durch die direkte Gewebsschädigung (10, 11, 12, 13). Bei Retorsion kann es zum Reperfusionssyndrom kommen, wenn sich eine Anflutung toxischer Stoffwechselprodukte aus dem minderversorgten Gewebe bei Wiederherstellung der Durchblutung einstellt. Problematisch ist es, eine Kuh mit Torsio uteri rechtzeitig zu entdecken. Im Initialstadium zeigen viele betroffene Kühe auffällige, unproduktive Bauchpressen, die dann im weiteren Verlauf in ein klinisch unauffälliges Stadium übergehen. Stellen sich erneut Symptome ein, ist die Gewebsschädigung in der Regel schon weit fortgeschritten. Jeder Rinderhalter sollte soweit in die Untersuchung eines Rindes eingewiesen sein, dass er eine Torsio uteri erkennen kann, um unverzüglich den Tierarzt zu benachrichtigen. Uterusvorfall Der Vorfall der Gebärmutter post partum kommt zwischen 0,002 bis 1 % bezogen auf die Gesamtzahl der Geburten vor (14). Die Todesraten betroffener Tiere liegen zwischen 8 und 40 %. Tritt die Erkrankung auf, müssen unmittelbar Maßnahmen ergriffen werden, um die Wahrscheinlichkeit des Überlebens der Kuh zu erhöhen. Neben den Kreislaufstörungen durch das vorgefallene Gewebe können Verletzungen zu starken Blutungen führen. Für die Reposition sind unterschiedliche Methoden beschrieben. Nach Meinung des Verfassers hat sich die Behandlung durch die Einführung des Gynbag (15) erheblich verbessert. Beachtenswert ist, dass durch eine Infusionstherapie bei Kühen mit gestörtem Allgemeinbefinden die Prognose erheblich verbessert werden kann. Literatur 1. Ellerbrock M, Wehrend A. Definition, Häufigkeit und Ursachen der Dystokie beim Pferd – eine Literaturübersicht. Tierarztl Prax Ausg G Grosstiere Nutztiere. 2023 ;51(1):22-34. 2. Momont H. Bovine Reproductive Emergencies. Vet Clin Food Anim 2005, 21,711-727. 3. Nowak J, Joerling J, Sickinger M, Wehrend A. Comparative study of electrocardiographic parameters in calves born after eutocia versus dystocia. Vet World. 2022;15(11):2603-2610. 4. Poulton P J, Fisher A D, Mansell P D, Pyman MF. Clinical findings from 104 cases of calving paralysis in dairy cows from Gippsland, Australia. New Zealand Veterinary Journal 2019, (4), 214–218 5. Homberg J, Sendag S, Koca D, Cetin N, Wehrend A. Vergleich verschiedener Erstbehandlungsmethoden bei neugeborenen 6. Kälbern nach Schwergeburten. Tierarztl Prax Ausg G Grosstiere Nutztiere ;51(4):202-210. Tsousis G, Becker M, Lüpke M, Goblet F, Heun C, Seifert H, Bollwein H. Extraction methods in bovine obstetrics: comparison of the demanded energy and importance of calf and traction method in the variance of force and energy. Theriogenology. 2011;75(3),495-9. 7. Bleul U. Respiratory distress syndrome in calves. Vet Clin North Am Food Anim Pract. 2009 ;25(1):179-93. 8. Grunert, E, Arbeiter K (Hrsg.) Tiergeburtshilfe. Pathologie der Geburt. 4. Auflage, 1993, Parey-Verlag, Berlin 132 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ 9. Erteld E, Krohn J, Dzhakupov I T, Wehrend A. Torsio uteri beim Rind--Therapie und Folgen für das Kalb und die Kuh. Tierarztl Prax Ausg G Grosstiere Nutztiere 2014, 42, 297–303. 10. Erteld E, Wehrend A, Goericke-Pesch S. Torsio uteri beim Rind - Häufigkeit, klinische Symptomatik und Theorien zur Pathogenese. Tierarztl Prax Ausg G Grosstiere Nutztiere 2012, 40(3), 167–175. 11. Klaus-Halla D, Mair B, Sauter-Louis C, Zerbe H. Torsio uteri beim Rind: Therapie sowie Verletzungsrisiko für die Kuh und Prognosestellung für das Kalb. Tierarztl Prax Ausg G Grosstiere Nutztiere 2018, 46 (3), 143–149. 12. Klein C, Wehrend A. Lichtmikroskopische Untersuchungen von Kühen mit Torsio uteri um 360°. Tierarztl Prax Ausg G Grosstiere Nutztiere 2006;34 (5), 289–294. 13. Sendag S, Sickinger M, Arslan T, Schuler G, Wehrend A. Effect of uterine torsion intrapartum on concentrations of placental estrogens and progesterone in cattle. Vet Med Sci. 2023;9(4):1764-1770. 14. Martin AD, Groseth PK, Munthe-Kaas M, Nødtvedt A Treatment and survival of Norwegian cattle after uterine prolapse. Acta Vet Scand. 2023, 11;65(1):38. 15. https://www.youtube.com/watch?v=djYDn5v9VE8 Kontakt Prof. Dr. Axel Wehrend; Tierklinik für Reproduktionsmedizin und Neugeborenenkunde der Justus-Liebig- Universität Gießen axel.wehrend@vetmed.uni-giessen.de 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 133

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Abdominaldiagnostik – Abklärung des akuten Abdomens bis zur Therapieentscheidung Christian Gerspach Departement für Nutztiere, Vetsuisse Fakultät, Universität Zürich Abstract Das Ziel der Untersuchung eines Tieres mit akutem Abdomen soll sein, den Schmerz zu lokalisieren (intraabdominal, extraabdominal; enteral, extraenteral) eine möglichst genaue Diagnose zu stellen und die Prognose einschätzen zu können. Die gründliche klinische Untersuchung ist die Grundlage jeglicher klinischen Abklärungen. Die Ultraschalluntersuchung bietet die Möglichkeit, die Lage, Größe und pathologische Veränderungen einzelner Organe zu beurteilen. Die wichtigsten Punkte bei der Beurteilung von Kühen mit akutem Abdomen sind zusammenfassend die Anamnese mit Informationen über die Dauer der Symptome und das Ansprechen auf eine Therapie, und die klinische Untersuchung, insbesondere der Grad der Dilatation des Abdomens, der Kreislaufzustand, die Befunde der rektalen Untersuchung und die Kalium- und die Chloridkonzentration im Blut. Weiterführende Untersuchungen können helfen, die Diagnose zu präzisieren und die Entscheidung für das therapeutische Vorgehen zu erleichtern. Die Abklärungen führen zur Entscheidung über das therapeutische Vorgehen, welches in vier Optionen unterteilt werden kann: 1. Sofortige Operation (chirurgischer Notfall), 2. Stabilisation gefolgt von Operation, 3. Operation eventuell nach konservativer Therapie nötig, 4. Konservative Therapie. Einleitung Der Begriff akutes Abdomen steht im Zusammenhang mit einem Krankheitsbild, bei dem akute oder akut rezidivierende Schmerzen (Kolik) reduzierter Kotabsatz, gestörter Allgemeinzustand, Störungen des Kreislaufsystems bis zum Schock und Toxämie vorliegen können. In den meisten Fällen liegt die Ursache in einer Erkrankung innerhalb des Abdomens. Jedoch müssen auch extraabdominale Ursachen sowie metabolische und toxische Krankheitsbilder abgeklärt werden. Der Weg zu einer gezielten und möglichst raschen Diagnose führt über einen guten Vorbericht, eine sorgfältige klinische Untersuchung sowie weiterführende Untersuchungen. Die Untersuchungen führen idealerweise zu einer optimalen Therapie und Maßnahmen, die grob folgendermaßen eingeteilt werden können: − Sofortige Operation (chirurgischer Notfall) − Stabilisation gefolgt von Operation − Operation eventuell nach konservativer Therapie nötig − Konservative Therapie Die weiterführende Diagnostik, besonders die Laboruntersuchung und die Ultraschalluntersuchung, hilft bei der Zuordnung von Kühen mit akutem Abdomen zu den oben genannten Kategorien. Vorbericht Für die Beurteilung eines Tieres mit Kolik ist der Vorbericht sehr wichtig. Neben Rasse, Alter, Nutzungsform und Produktionsstadium spielen auch vorherige Erkrankungen und der Verlauf der Symptome eine wichtige Rolle. Vorbehandlungen, die die klinischen Symptome zum Zeitpunkt der Untersuchung sowie die Interpretation von Laborresultaten beeinflussen können, müssen bekannt sein. Die durch den Besitzer beobachteten Befunde und Informationen über Kotabsatz und –Konsistenz sind sehr wertvoll. Die Tierbesitzer erwähnen oft keine früheren Erkrankungen oder Ereignisse, die sie nicht im Zusammenhang mit der aktuellen Erkrankung sehen. Klinische Untersuchung Tiere mit akutem Abdomen sollten einer sorgfältigen und ausführlichen klinischen Untersuchung unterzogen werden. Es sollte versucht werden, den Schmerz zu lokalisieren. Zur Beurteilung der Schmerzen wird zwischen viszeralem Schmerz (Überdehnung intraabdominaler Organe, spastische Kontraktionen, Hypoxie) und 136 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ parietalem Schmerz (von parietalem Peritoneum, Netz oder Mesenterialwurzel ausgehend) unterschieden. Kühe mit viszeralem Schmerz zeigen einen durchgebogenen Rücken (Lordose) und Koliksymptome wie gegen den Bauch schlagen, Trippeln, Unruhe oder häufiges Abliegen und Aufstehen. Kühe mit parietalem Schmerz zeigen einen aufgekrümmten Rücken, eine flache Atmung, sie bewegen sich ungern und die Bauchdecke ist gespannt. Bei diesen Tieren wird in der Regel keine aktive Kolik beobachtet. Differentialdiagnosen für abdominalen Schmerz sollten zuerst in intra- und extraabdominal kategorisiert werden. Zu den extraabdominalen Differentialdiagnosen gehören Ektoparasiten, Myopathien, Klauenerkrankungen, Photodermatitis (Juckreiz) und Schmerzen im Sakrumbereich zeigen oft Trippeln und Tenesmus, was fälschlicherweise als Kolik interpretiert werden kann. Diese Tiere sind oft auch ataktisch, überköten und können eine After-Blasen-Schwanz-Lähmung entwickeln. Daher ist es immer wichtig, das Gangbild und den Schwanztonus zu kontrollieren. Bei intraabdominalen Schmerzen sind enterale und extraenterale Schmerzen zu differenzieren. Die wichtigsten extraenteralen Ursachen sind Torsio uteri, Urolithiasis und Cholestase. im Thorax. Kühe mit Trauma Bei einer obstruktiven Erkrankung des Harnapparates zeigen die Kühe häufig Koliksymptome, wobei die Fresslust vorhanden sein kann. Häufig handelt es sich um rezidivierende Kolikepisoden. Bei einer Cholestase entwickeln die Tiere neben Kolik einen Ikterus und eine Hyperbilirubinämie und im weiteren Verlauf erste Anzeichen für eine Photosensibilität. Bei einem Ileus durchlaufen Rinder 3 Kolikstadien. In der ersten Phase fallen die Tiere durch plötzliche Anorexie, Tachykardie, Tachypnoe und Kolik auf. Mit fortschreitendem Krankheitsgeschehen entwickelt sich das Indolenzstadium. Der Allgemeinzustand ist zunehmend gestört, die Tiere werden apathisch und im Rektum ist nur noch wenig, pappiger und mit Schleim überzogener Kot. Im Intoxikationsstadium entwickeln die Tiere Schocksymptome, mit Tachykardie, Untertemperatur und kühler Körperoberfläche. Außerdem haben die Tiere injizierte Skleralgefässe, verwaschene Schleimhäute und ein trockenes Flotzmaul. Die zeitliche Abfolge dieser Stadien hängt sehr von der Art des Darmverschlusses und der Lokalisation ab. So führt zum Beispiel eine Torsion der Colonscheibe um den Gekröseursprung zu hochgradiger Kolik und einen Übergang zum Intoxikationsstadium innerhalb von Stunden. Bei einem Volvulus der Flexura sigmoidea duodeni wird seltener Kolik beobachtet, weil prästenotisch der Labmagen liegt, der eine höhere Dehnungskapazität hat als Dünndärme. Solche Tiere fallen durch einen sich verschlechternden Allgemeinzustand über 2-3 Tage auf. Die Tiere entwickeln ein hochgradiges Refluxsyndrom. Durch die metabolischen Konsequenzen und die Dehydratation verschlechtert sich der Allgemeinzustand allmählich. Bei Obstruktionen oder Invaginationen wird weniger Kolik beobachtet, im Vergleich zu einem Volvulus oder einer Torsion (1). Kühe mit Toxämie können Symptome entwickeln, die auch im Zusammenhang mit dem akuten Abdomen gesehen werden. Bei 55 % der Kühe ist der Kotabsatz stark reduziert, bei 69 % ist die Darmmotorik und bei einigen Kühen ist die Schwingauskultation (28 %) und die Perkussionsauskultation (17 %) positiv. Kolikverhalten wird bei 26 % der Kühe beobachtet (2). Rektale Untersuchung: Dilatierte Dünndarmschlingen können oft nicht palpiert werden, wenn sie weit proximal liegen und nach ventral absinken. In manchen Fällen kann eine Invagination (feste Masse zwischen dilatierten Därmen) palpiert werden. Eine Blinddarmdilatation ohne Retroflexion kann in der Regel rektal gut palpiert werden. Eine Untersuchung der linken Nieren der Ureteren (nur palpierbar wenn dilatiert) und der Harnblase soll entzündliche oder obstruktive Erkrankungen des Harnapparates bestätigen oder ausschliessen. Beim männlichen Tier kann zusätzlich bei Urolithiasis eine Pulsation der Urethra palpiert werden. Eine Torsio uteri als Kolikursache kann rektal palpiert werden. Laboruntersuchung Die Messung von Laborparametern hilft bei der Diagnosestellung, aber besonders bei der Beurteilung von Schweregrad und Dauer der Erkrankung, der Beurteilung der Stehfähigkeit der Kuh sowie bei der Beurteilung der Prognose. Die Beurteilung von Laborwerten muss immer im Kontext mit den Befunden der klinischen Untersuchung stehen. Auch das Laktationsstadium sollte berücksichtigt werden, weil zum Beispiel in der Frühlaktation zusätzlich metabolische Erkrankungen vorliegen können. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 137

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Hämatokrit und Plasmaproteinkonzentration sollten nach Möglichkeit zur Beurteilung der Hydratation bestimmt werden. Ein normaler oder erhöhter Hämatokritwert bei Hypoproteinämie kann für eine Sekretion proteinreicher Flüssigkeit in das Abdomen sprechen, wie zum Beispiel bei einer generalisierten Peritonitis. Eine Toxämie kann Folge einer Schädigung der Darmwand sein, aber auch Ursache für einen paralytischen Ileus. So fallen bei vielen Kühen mit toxischer Mastitis gastrointestinale Symptome auf (3). Bei Kühen mit gastrointestinalem Reflux treten mit einer Hypokaliämie, einer Hypochlorämie und einer metabolischen Alkalose die typischen Veränderungen auf. Das Ausmaß dieser Veränderungen hängt von den Faktoren Zeit und Lokalisation ab. Je weiter proximal die Veränderung und je länger das Krankheitsgeschehen, desto ausgeprägter sind die typischen Veränderungen für ein abomasales Refluxsyndrom. Somit helfen diese Werte, die Lokalisation des Problems abzuschätzen. Das abomasale Refluxsyndrom ist also als zeitlich dynamisches Geschehen anzusehen und ist nicht spezifisch für eine bestimmte Erkrankung. Eine Hypokaliämie bei normaler Chloridkonzentration wird bei kranken Rindern häufig beobachtet. Die Ursache dafür liegt in der Regel in der mangelnden Aufnahme infolge einer Anorexie und zusätzlich über renale Verluste. Zusätzlich wird Kalium mit der Milch ausgeschieden, kann im Gastrointestinaltrakt sequestriert werden und infolge einer Alkalose kommt es transient zu einem vermehrten Shift in den intrazellulären Raum (z.B. beim abomasalen Refluxsyndrom). Bei einer Kaliumkonzentration im Serum < 2.5 mmol/l steigt das Risiko für Muskelschwäche, Festliegen und Arrhythmien. Eine Hypokalzämie kann Ursache für einen paralytischen Ileus sein, aber auch Folge eines mechanischen Ileus. Vor einer Laparotomie sollten stets Elektrolyte supplementiert werden, um die Stehfähigkeit der Kuh zu verbessern. Die Laktatkonzentration kann einen Hinweis auf die systemische Perfusion geben. Bei Tieren die stark dehydriert sind und bei hochgradiger lokaler Ischämie (z.B. der Labmagenwand) steigt die Konzentration an. Tabelle 1: Übersicht über Erkrankungen beim akuten Abdomen und deren Zuordnung zu den einzuleitenden Maßnahmen. Chirurgischer Notfall Stabilisation gefolgt von Operation Operation evtl. nach konservativer Therapie nötig Konservative Therapie Abomasaler Volvulus Intestinale Obstruktion Torsio mesenterialis Intestinaler Volvulus Inkarzeration Blinddarmtorsion Invagination Hernie Urolithiasis Torsio uteri Reticuloperitonitis traumatica Blinddarmdilatation Labmagenulkus Cholsetase Pyelonephritis Paralytischer Ileus Enteritis Toxämie Thorakale Erkrankung Sakrumtrauma Neurologische Erkrankung Ultraschalluntersuchung Abhängig von Technik und Erfahrung eignet sich die Ultraschalluntersuchung sehr gut zur Beurteilung der intraabdominalen Organe. Am besten können die Strukturen dargestellt werden, die an der Bauchwand anliegen. Die meisten Organe sind daher nicht vollständig darstellbar. Die Untersuchung kann durch Hochträchtigkeit und Gas im Abdomen (z.B. nach Laparotomie) erschwert sein. 138 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Dünndarmileus Ein Dünndarmileus kann mechanisch bedingt sein, es kann aber auch ein paralytischer Ileus vorliegen (z.B. bei Hypokalzämie oder Toxämie). Bei der Ultraschalluntersuchung in der rechten Flanke und über der rechten, rippengestützten Bauchwand werden die Dünndärme nach Durchmesser, Inhalt und Motilität beurteilt. Bei einem Ileus sind die Därme dilatiert (> 3,5 cm) und die Motilität ist deutlich reduziert. Der Darminhalt wird durch die Atmung und Bewegungen im Abdomen passiv hin und her bewegt, aber die Därme ändern kaum noch den Durchmesser. Auf diese Weise können prästenotische Darmschlingen festgestellt werden. Poststenotische Darmschlingen sind nicht dilatiert, aber die Motorik kann auch reduziert sein. Die häufigsten Ursachen für einen Dünndarmileus sind Inkarzerationen, Kompressionen, Volvulus, Torsio mesentarialis und das Haemorrhagic Bowel Syndrom (HBS). In manchen Fällen kann die Läsion gesehen werden, wenn sie der Bauchwand anliegt. Beim HBS konnten in einer retrospektiven Studie bei 19 % der Kühe Blutkoagula im Darmlumen dargestellt werden (3). Bei Kühen mit jejuno-jejunaler Invagination kann in manchen Fällen „Darm-in-Darm“ dargestellt werden. In einer retrospektiven Studie konnte die Invagination in 5.7 % der Fälle sonographisch dargestellt werden (4). Invaginationen, Obstruktionen, Strangulationen, Die Anzahl der dilatierten Darmschlingen lässt auf die Lokalisation schließen. Eine oder wenige dilatierte Darmschlingen sprechen für einen Ileus im Duodenum oder kranialen Jejunum, während mehr als 5 dilatierte Darmschlingen für einen Ileus im Jejunum oder Ileum sprechen. Insgesamt kann bei einem Darmverschluss die Richtigkeit der Diagnose von 25.4 % (klinische Untersuchung) auf 97.6 % (klinische Untersuchung + Ultraschall) verbessert werden (4). Zäkumdilatation Eine einfache Zäkumdilatation kann in der Regel rektal palpiert werden. Bei einer Retroflexion ist die klinische Diagnostik erschwert. Dilatierte Dickdarmschlingen können in der rechten Flanke und in den letzten drei Interkostalräumen (5) dargestellt werden. Die Darmschlingen können nicht komplett dargestellt werden und erscheinen als aneinander liegende echogene Kuppeln. Labmagenverlagerung Besonders bei der rechtsseitigen Labmagenverlagerung können Kühe Kolik zeigen. Die Ultraschalluntersuchung erfolgt in der rechten Flanke und in den letzten drei Interkostalräumen. Normalerweise sind in der Flanke Därme mit guter Motorik sichtbar. In den letzten drei Interkostalräumen ist dorsal die Leber und weiter ventral Dünndärme sichtbar. Bei einer rechtsseitigen Labmagenverlagerung wird die Leber von der Bauchwand verdrängt und der dilatierte Labmagen wird sichtbar. Der Labmagen enthält ventral flüssigen Futterbrei (echogen), oft können die Falten der Labmagenschleimhaut gesehen werden. Dorsal befindet sich die gashaltige Kuppel des Labmagens. Hier können Reverberationsartefakte dargestellt werden. Bei der linksseitigen Labmagenverlagerung wird der dilatierte Labmagen zwischen linker Bauchwand und Pansen dargestellt. Cholestase Eine Cholestase kann zu akuten Koliksymptomen führen, die von Ikterus und Photosensibilisierung gefolgt sein kann. Die häufigste Ursache fibrinös-eitrigen Entzündungsprodukten und Konkrementen, die im Rahmen einer Cholangitis infolge eines Befalls mit Fasziola hepatica entsteht. Bei der Ultraschalluntersuchung fällt das dilatierte Gallensystem auf. Bei einer intrahepatischen Stauung sind die sonst kaum darstellbaren intrahepatischen Gallengänge deutlich sichtbar. Bei einer Stauung im Bereich der Papilla duodeni sind primär die extrahepatischen Gallengänge und die Gallenblase dilatiert. ist die Bildung von für eine Cholestase Urolithiasis Kolik infolge Erkrankungen des Harnapparates entsteht besonders im Zusammenhang mit einer Pyelonephritis und einer Nephrolithiasis. In beiden Fällen können sich Steine oder entzündliche Konkremente in den Ureteren ablagern. Bei der Untersuchung wird auf hyperechogene Strukturen mit distalem Schallschatten im Nierenparenchym geachtet. Dilatierte Ureteren stellen sich mit hypoechogenem Inhalt (gestauter Harn) dar. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 139

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Eventuell können hyperechogene Konkremente dargestellt werden. Die Stauung kann bis in den Sinus renalis bzw. die Markpyramiden nachverfolgt werden. Die rechte Niere kann hochdorsal in der rechten Hungergrube dargestellt werden. Die linke Niere kann teilweise weiter kaudal der rechten Niere transabdominal gesehen werden. Die linke Niere sollte per transrektaler Ultraschalluntersuchung untersucht werden. Hierbei können auch die Ureteren und die Harnblase untersucht werden. Ziel der Untersuchung ist nicht nur die Diagnose, sondern im Falle einer Erkrankung des Harnapparates der Nachweis, dass nur eine oder beide Nieren betroffen sind. Dies beeinflusst die Entscheidung, ob eine Nephrektomie durchgeführt werden sollte oder nicht. Es muss beachtet werden, dass beide Nieren nicht vollumfänglich dargestellt werden können. Zur Absicherung kann eine endoskopische Untersuchung der Harnblase erfolgen, um die Durchgängigkeit der Ureteren zu beurteilen. Normalerweise sollte an beiden Mündungen das Einspritzen von Harn beobachtet werden können. Röntgenuntersuchung Bei akuten gastrointestinalen Erkrankungen oder akut auftretender Anorexie muss immer eine Fremdkörpererkrankung in Betracht gezogen werden. Bei unklaren Befunden ist eine Röntgenuntersuchung zur Darstellung eines Fremdkörpers angezeigt. Einschätzung der Prognose Das Ziel einer umfangreichen Untersuchung ist es, neben der Diagnose auch die Prognose für das Tier einschätzen zu können. Sowohl die klinische Untersuchung als auch die weiterführenden Untersuchungen können Hinweise geben und sie sollten im Zusammenhang betrachtet werden. Mit zunehmender Krankheitsdauer, zunehmenden Umfang des Abdomens und zunehmender Störung des Allgemeinzustandes wird die Prognose generell immer ungünstiger. Die Beachtung der L-Lactat-Konzentration hat zugenommen. L-Lactat ist ein Marker für Gewebe-Hypoxie, Sepsis und Schweregrad einer Erkrankung. Bei Kühen mit rechtsseitiger Labmagenverlagerung wurde eine initiale Konzentration von > 6 mmol/l mit einer schlechten Prognose in Verbindung gesetzt (6). Es ist anzunehmen, dass die Lactatkonzentration bei zunehmender Ischämie der Labmagenwand ansteigt. Allerdings führen eben auch Dehydratation, Schock und Endotoxämie zu einer erhöhten Lactatkonzentration. Neuere Untersuchungen ergaben, dass der Vergleich der initialen Lactatkonzentration mit der 6 Stunden nach Operation zu einer besseren Einschätzung der Prognose führt (7). Bei Kühen mit rechtsseitiger Labmagenverlagerung waren in einer retrospektiven Studie eine Pulsfrequenz von > 90 / Minute, eine Serumharnstoffkonzentration von > 10 mmol/l, eine Serumkaliumkonzentration von < 3.3 mmol/l, sowie eine Serumchlordkonzentration von < 85 mmol/l mit einer ungünstigen Prognose verbunden (8). Mittels klinischer Untersuchung oder Ultraschalluntersuchung kann eine einfache rechtsseitige Labmagenverlagerung von einem Volvulus nicht sicher unterschieden werden. Eine erhöhte Aktivität der GGT kann möglicherweise einen Hinweis auf einen Volvulus geben (8). Bei der Ultraschalluntersuchung des Abdomens sind im Zusammenhang mit einem Ileus, einer Cholestase oder einer Labmagenverlagerung generell Anzeichen für eine Peritonitis mit einer schlechten Prognose verbunden. Bei Anzeichen einer Peritonitis sollte mittels Ultraschalls untersucht werden, ob eine lokale oder eine generalisierte Peritonitis vorliegt. Mittels Röntgenuntersuchung der Haube können eventuell perforierende Fremdkörper dargestellt werden. Ein Labmagenulkus kann nur äußerst selten direkt dargestellt werden (9). Literatur 1. Braun U, Gerspach C, Volz C, Boesiger M, Hilbe M, Nuss K. A retrospective review of small intestinal intussusception in 126 cattle in Switzerland. Veterinary Record 2023: DOI: 10.1002/vro2.58 2. Bleul U, Sacher K, Corti S, Braun U. Clinical findings in 56 cows with toxic mastitis. Veterinary Record 2006: 159, 677-680. 3. Braun U, Forster E, Steininger K, Irmer M, Gautschi A, Previtali M, Gerspach C, Nuss K. Ultrasonographic findings in 63 cows with haemorrhagic bowel syndrome. Veterinary Record, 2010: 166, 79-81. 4. Braun U, Gerspach C, Volz C, Hilbe M, Nuss K. Dilated small and large intestines combined with a severely abnormal demeanor are characteristic of mesenteric torsion in cattle. JAVMA 2023: Vol 261 No 10. 140 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ 5. Braun U, Nuss K, Knubben-Schweizer G, Gerspach C. Kolikdiagnostik mittels Ultraschall beim weiblichen Rind. Tierärztl Prax 2011: 39(G), 289-298. 6. Boulay G, Francoz D, Dore E, Dufour S, Veillette M, Badillo M, Belanger AM, Buczinski S. Preoperative cow-side-lactatemia measurement predicts negative outcome in Holstein dairy cattle with right abomasal disorders. J Dairy Sci 2014: 97, 212-221. 7. Giertzuch S, Lorch A, Lausch CK, Knubben-Schweizer G, Trefz FM. Prognostic utility of pre- and postoperative plasma L-lactate measurements in hospitalized cows with acute abdominal emergencies. J Dairy Sci 2020: 103, 11769-11781. 8. Meylan M. Prognostic indicators in cattle with right-sided displacement of the abomasum and abomasal volvulus. Schweiz Arch Tierheilkd 1999: 141, 413-418. 9. Gerspach C, Oschlies C, Kuratli J, Braun U. Ultrasonographic documentation of type-3 abomasal ulcer in a cow with left displacement of the abomasum. Acta Vet Scand 2020: 62, 29. Kontakt Prof. Dr. Christian Gerspach, Departement für Nutztiere, Vetsuisse Fakultät, Universität Zürich cgerspach@vetclinics.uzh.ch 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 141

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Lederschäden bei Rindern in Brasilien Ana Carolina Martins Bock, Saulo Henrique Weber, Rüdiger Daniel Ollhoff Pontifícia Universidade Católica do Paraná – PUCPR, Programa de Pós-Graduação em Ciência Animal – PPGCA, Curitiba (Brasilien) Danksagung: Gruppe Durli Couros für den Zugang zu ihren Fabriken; CAPES – Coordenadoria de aperfeiçoamento de pessoal de nível superior für das Stipendium von A.C.M.Bock Einführung Die Haut als ein Spiegel der Gesundheit – dies ist für alle Kliniker eine Selbstverständlichkeit. Die Haut und das Haarkleid übernehmen die ersten und wichtigsten Schutzfunktionen des Körpers und sind an vielen Krankheiten, wenn nicht primär doch sekundär beteiligt. Trotzdem wird der Rinderhaut im Rinderland Brasilien nicht immer die angemessene Aufmerksamkeit zuteil. Konsequenz davon ist eine hohe Quote von minderwertigen Ledern in der lederverarbeitenden Industrie. Leder und dessen Schäden haben aber auch das Potential, als epidemiologisches Instrument für die Tiermedizin herangezogen zu werden, da viele Lederschäden mit Krankheiten des lebendigen Rindes in kausale Verbindung gebracht werden können. Die Identifizierung der Verantwortlichen für diese Lederschäden, ausgehend vom „wet blue“ – Leder, war Ziel dieser Studie. Abb. 1: Beispiel aus dem Klassifizierungsschlüssel: Makroskopisches und mikroskopisches Bild von wet-blue Leder, mit der Verdachtsdiagnose von Zeckenschäden. Methode Zuerst wurden die sichtbaren Lederveränderungen (wet-blue Leder) makroskopsich sowie unter 25facher Vergrößerung beschrieben (Abb.1). Das Beschriebene wurde mit der Literatur verglichen und es wurden Verdachtsdiagnosen gestellt, was mit dieser Haut vor oder nach der Verarbeitung zu Leder passiert sein könnte. Dies wurde mit Lederproben aus sechs verschiedenen Standorten und Bundesländern in Brasilien gemacht. So wurde ein Klassifizierungsschlüssel erstellt. Dieser wurde danach zur Bestimmung der Lederschäden angewandt. Der Klassifizierungsschlüssel enthielt folgende Bezeichnungen für Rindlederschäden: Zecken; Mücken; Vernarbte Dassel; Offene Dassel; Injektionsdermatitis; Warzen; Dermatitis; Offene Wunden; Vernarbte Wunden; Brandzeichen. Es wurden Leder aus den Bundesländern Pará - PA, Rondônia - RO, Mato Grosso - MT, Tocantins - TO, Bahia - BA, Rio Grande do Sul – RS untersucht. Die Leder wurden auf dem Lederklassifikationstisch fotografiert und danach die Bilder auf Lederschäden untersucht sowie deren Anzahl und Größe gezählt und vermessen mit der Software ImageJ vers.1.8.0_72. Die Häufigkeit der Schäden bezogen auf die untersuchte Lederregion (Abb. 2) wurde ebenfalls registriert. Um die Mittelwerte der Lederschäden zu vergleichen, wurde eine ANOVA gefolgt von einem Tukey-Test herangezogen. Statgraphics Centurion wurde für die statistische Analyse benutzt (p < 0,05). 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 143

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Abb. 2: Rindleder mit den verschiedenen untersuchten Regionen: 1-Rücken, 2-Hals, 3- Seiten, 4-Schwanz Tabelle 1: Übersicht über die Lederschäden (n= 7967) von Rindern aus sechs verschiedenen brasilianischen Bundesländern RO MT PA TO 1476 1147 329 BA RS 1100 873 227 990 671 319 Leder insgesamt Männliche Rinder Weibliche Rinder 1827 1169 658 1325 880 445 1249 739 510 Zecken Mücken 492,70±217,96b 286,88±114,25e 357,98±101,51c 249,79±72,84f 522,93±235,5a 326,76±82,78d 285,99±123,27b 313,06±121,56a 251,54±85,31c 288,41±114,52b 252,95±77,57c 297,26±123,6 Vernarbte Dassel 0,14±1,65b 0,09±0,94b 0,15±1,37b 0,07±0,73b 0,55±1,99a 4b 0,42±2,15a Offene Dassel 0,05±0,65b 0,05±0,55b 0,1±0,83ab 0,07±0,73b 0,19±1,23a 0,19±1,26a Injektionsdermatitis 0,02±0,21d 0,16±0,39b 0,71±0,53a 0,12±0,34c 0,02±0,18d 0,04±0,25d Warzen Dermatitis 0,16±0,86b 0,05±0,30c 0,30±0,53a 0,05±0,29c 0,16±0,74b 0,22±0,5b 0,01±0,12e 0,23±0,46a 0,05±0,3d 0,09±0,29bc 0,12±0,33b 0,06±0,24c Offene Wunden 0,05±0,22c 0,15±0,4b 0,15±0,39b 0,3±0,46a 0,17±0,39b 0,14±0,35b Vernarbte Wunden 0,51±0,52a 0,28±0,53c 0,31±0,52bc 0,36±0,67b 0,17±0,77d 0,31±0,64bc Brandzeichen 1,00±0,00c 1,00±0,10c 1,07±0,30a 1,00±0,00c 1,03±0,17b 1,00±0,00c Insgesamt Schäden 780,63± 345,46a 601,95± 239,48a 612,36± 191,59a 540,26 ± 190,87a 778,29±318,87a 626,40±211,8 1a Verschiedene Buchstaben in derselben Linie sind unterschiedliche Mittelwerte (p < 0,05) Für alle Variablen wurde keine Homoskedastizität beobachtet (P < 0,0001) Ergebnisse Insgesamt konnten 7967 Rindleder untersucht werden. Die Hauptergebnisse sind in der Tabelle 1 dargestellt. Weitere Ergebnisse können hier tabellarisch, da noch unveröffentlicht, nicht dargestellt werden, sind aber im Vortrag vorhanden. Wie aus der Tab. 1 zu erkennen ist, machen allein Zecken 56,78 % der Anzahl der 144 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Lederschäden aus, gefolgt von Mücken (42,87 %), Schäden durch abgeheilte Dasseln (0,04 %), offene Dasseln (0,02%), Injektionsdermatitis (0,03 %), Warzen (0,02 %), Dermatitis (0,01 %), offenen und vernarbte Wunden mit jeweils 0,02 und 0,05 % und Brandzeichen (0,15 %). Die Seiten des Leders waren am meisten (77,20 %) betroffen, gefolgt von der Position Rücken (15,11 %), Hals (6,69 %) und Schwanz (0,02 %). Die größten Lederoberflächenschäden wurden von den Dermatitiden beansprucht mit 39,30 %, gefolgt von Warzen (20,17 %), vernarbten Wunden (12,73 %), offenen Wunden (10,93 %), Brandzeichen (9,58 %), Injektionsdermatitis (4,38 %), offene Dassel (1,52%), vernarbte Dassel (1,34 %) und Zecken und Mücken mit insgesamt 0,03 % der betroffenen Oberfläche. Biotische Schäden machten 99,74 % und abiotische Schäden 0,26 % in Anzahl aller gefundenen Schäden aus, jedoch flächenmäßig waren biotische Schäden für 62,38 % und abiotische für 37,62 % der Lederschäden verantwortlich. Schlussfolgerungen Zusammenfassend kann man feststellen, dass es möglich, ist Lederschäden als epidemiologisches Instrument heranzuziehen, obwohl die Interpretation der Ergebnisse eine große Herausforderung sein kann. Uns wurde nicht erlaubt, die erhobenen Daten auf Farmebene zu verfolgen, so dass dieser Mangel weiterführender Daten die Ausarbeitung und eine tiefgreifendere Diskussion der Ergebnisse behinderte. Auch ist die Brücke des gemeinsamen Verständnisses und Kooperation zwischen Lederindustrie und tiermedizinischer Forschung in Brasilien noch nicht eindeutig geschlagen. Obwohl die Mehrzahl der Schäden eindeutig während des Lebens des Rindes in den Farmen entstanden ist, besteht von Seiten des Landwirtes keine Dringlichkeit, grundlegende Veränderungen der Haltungsbedingungen einzuführen, da die Haut, bzw. die Qualität dieser von den brasilianischen Schlachthöfen nicht gesondert bezahlt wird. Damit besteht kein größerer und insbesondere finanzieller Anreiz für eine Besserung. Ein besseres Bewusstsein der Rinderhalter im Hinblick auf das Tierwohl im Allgemeinen und optimaleren Zuchtergebnissen bei gesünderen Rindern könnten die Lederqualität fördern. Literatur Auf Wunsch bei den Autoren. Kontakt Prof. Dr. Daniel Ollhoff; Pontifícia Universidade Católica do Paraná, Curitiba daniel.ollhoff@pucpr.br 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 145

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Trends bei der Anästhesie und chirurgischen Eingriffen bei kleinen Wiederkäuern Martin Ganter, Lucie M. Grimm Klinik für kleine Klauentiere, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover Routineeingriffe bei Schafen und Ziegen Routinemäßige chirurgische Eingriffe wie Kastration, Schwanzkupieren, Enthornung oder Mulesing werden bei kleinen Wiederkäuern weltweit praktiziert und unterliegen in den einzelnen Ländern unterschiedlichen Vorschriften (1,2). Der Sinn und die Notwendigkeit dieser chirurgischen Routineeingriffe werden jedoch aus Gründen des Tierschutzes zunehmend in Frage gestellt. In Deutschland ist zur Kastration von Lämmern bis zu einem Alter von 4 Wochen nach § 5 Abs. 3 Nr. 1 TSchG eine Betäubung nicht erforderlich. Gemäß dem Wortlaut des & 5 Abs. 1 auch bei den Eingriffen, bei denen nach TSchG eine Betäubung nicht erforderlich ist sind alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um die Schmerzen und Leider der Tiere zu lindern. Somit ergibt sich, dass die Ausnahme einer Betäubungspflicht für die Kastration unter 4 Wochen alter Lämmer nicht gleichzeitig bedeutet, dass auf die Gabe von Schmerzmitteln verzichtet werden kann. Hier stoßen Tierärzte schnell an Grenzen, da nicht-steroidale Entzündungshemmer und Analgetika in Deutschland für den Einsatz bei kleinen Wiederkäuern nicht zugelassen sind und umgewidmet werden müssen. NSAIDs sollten 20 Minuten vor dem schmerzhaften Eingriff appliziert werden um voll effektiv zu sein. In Tabelle 1 sind die Dosierungen für NSAIDs bei Schafen und Ziegen aufgeführt. Zur Vermeidung des Schwanzkupierens wird zunehmend die Zucht auf kurze Schwänze gefordert. Dies erscheint aufgrund der hohen Heritabilität der Zucht auf kurze Schwänze in wenigen Generationen machbar (3). Gesetzliche Regelungen liegen hierzu allerdings noch nicht vor, während die entsprechenden Praxisversuche durchaus positiv verliefen (4). Da die Zucht auf Hornlosigkeit zu einer erhöhten Anzahl von Zwittern mit dem PI-Syndrom führt, sollte diese Zucht jedoch aufgegeben werden. Zur Enthornung von Ziegen gibt es im TSchG keine Ausnahmeregelung vom Amputationsverbot wie beim Rind. Der Gesetzgeber erlaubt die Enthornung deshalb nur bei individueller medizinischer Indikation und unter Vollnarkose oder zumindest größtmöglicher Schmerzausschaltung. Neben dem Einsatz von NSAIDs sollte die Allgemeinanästhesie bei allen schmerzhaften Eingriffen mit Lokalanästhetika kombiniert werden, da starke Analgetika außerhalb der Klinik für Routineeingriffe unpraktikabel sind. Dazu gehören die lumbosakrale und sakrokozygeale Epiduralanästhesie sowie die konduktive oder retrograde intravenöse Anästhesie. Derzeit ist für kleine Wiederkäuer nur das Procain als Lokalanästhetikum zugelassen, dessen analgetische Wirkung aufgrund der kurzen Halbwertzeit für länger dauernde Eingriffe nicht ausreicht (5). Hier ist die Umwidmung von Lidocain oder Mepivacain indiziert und möglich. Für Scheidenvorfälle ist vielfach eine mehrstündige Analgesie und Unterbrechung des Pressreizes notwendig. Hier kann bei der sakrokokzygealen Anästhesie durch die Gabe von 0,07 mg Xylazin/kg Kgw + 0,5 mg Lidocain/kg KGW die Schmerzempfindung für über 24 Stunden ausgeschaltet werden (6). Anästhesie bei länger dauernden Eingriffen Neben den Routineeingriffen werden von Hobbyhaltern zunehmend chirurgische Eingriffe nachgefragt, wie sie in der Kleintierpraxis oder der Humanmedizin durchgeführt werden, z. B. Amputation verletzter Gliedmaßen, Osteosynthese, Implantation von Stents oder Anlage von Blasen- oder Harnröhrenfisteln. Darüber hinaus gewinnen kleine Wiederkäuer in der experimentellen Chirurgie zunehmend an Bedeutung. Bei geplanten abdominalen Eingriffen ist es zur Vermeidung von Regurgitation, Blähungen oder Pansen- und Darmtympanie ratsam, die Tiere mindestens 36 Stunden lang hungern zu lassen und hierzu auch ohne Stroh zu halten. Wasser sollte stets zur freien Verfügung zugänglich sein. Außerdem ist die Intubation bei kleinen Wiederkäuern eine große Hürde und erfordert nicht nur eine tiefe Narkose, sondern auch einen besonders langen Laryngoskopspatel. Zusätzlich zur Intubation sollte eine Pansensonde durch die Speiseröhre eingeführt 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 147

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ werden, um eine erhöhte Gasansammlung im Pansen zu verhindern. Der Pansensaft sollte aufgefangen und dem Tier nach der Operation über die Schlundsonde wieder zugeführt werden. Tabelle 1: Dosierungsvorschläge für Analgetika und Anästhetika für Schafe und Ziegen* Sedation und Schafe Ziegen Prämedikation α2 –Adrenoceptor Agonisten α2 –Adrenoceptor Antagonisten Acepromazin 0,05-0,1 mg /kg KGW i.m. oder 0,01-0,05 mg /kg KGW i.v 0,2 mg/kg KGW i.m. oder 0,05- 0,1 mg/kg KGW i. Xylazin 0,3-0,6 mg/kg KGW i.m. oder 0,1-0,2 mg/kg KGW i.v 0,05-0,1 mg/kg KGW i.m. (incl. Bergschafe) Romifidin* Detomidin* 0,01-0,02 mg/kg KGW i.m 0,05 mg/kg KGW i.m Medetomidin* 0,01-0,02 mg/kg KGW i.m, Lämmer 0,03 mg/kg KGW i.v 0,01-0,02 mg/kg KGW i.m. 15 µg/kg KGW i.m., Kitze 5 µg/kg KGW i.v. Yohimbin* 0,2 mg/kg kGW i.v. 0,125 mg/kg KGW i.v Tolazolin* 2 mg/kg KGW i.v. Atipamezol* 0,2 mg/kGW i.v. Benzodiazepine Diazepam* 0,2-0,5 mg/kg i.v. 1,5 mg/kg KGW i.v. 0,08 mg/kg KGW i.v. 0,1-0,5 mg/kg i.v. Analgetika Buprenorphin* 5-10µg/kg KGW i.v. 0,02 mg/kg KGW i.v. Fentanyl* Fentanyl- Pflaster* Flunixin/ 50-100 µg/Stunde NSAIDs Meglumin° 1-2,5 mg/kg 1xtgl. i.m., s.c. 1-2 mg/kg KGW/2 x täglich i.v., i.m., p.os) Phenylbutazon 4 mg/kg i.v., p.os 1 x tgl. 4 mg/kg/Tag i.v., i.m., tgl. Carprofen° Ketoprofen° 3 mg/kg/Tag i.v., tgl. Meloxicam° 1 mg/kg i.m. 4-10 mg/kg KGW/Tag p. os 4 mg/kg/Tag i.v., i.m., tgl. 3 mg/kg/Tag i.v., tgl. 0,5 mg/kg i.v., s.c. Phenzyclidine Ketamin Allgemeinanästhesie Xylazin + Ketamin Diazepam + Ketamin* Ketamin + Guafenesin* Ketamin + Xylazin + Guafenesin (Triple Drip)* Thiopental Pentobarbital- Na Propofol* Alphaxalon /Alphadolon (Saffan®)* 10-15 mg/kg KGW i.v., i.m. gefolgt von 0,015 mg/kg/min 0,1-0,3 mg Xylazin/kg KGW i.m. gefolgt von 10-15 mg Ketamin/kg KGW i.v. oder i.m. 0,25 mg Diazepam/kg KGW i.m. gefolgt von 10-15 mg Ketamin/kg KGW i.v. oder i.m. 10-15 mg/kg KGW i.v., i.m. gefolgt von 0,015 mg/kg/min 0,05-0,1 mg Xylazin/kg KGW i.m. gefolgt von 10-15 mg Ketamin/kg KGW i.v. oder i.m. 0,25 mg Diazepam/kg KGW i.m. gefolgt von 10-15 mg Ketamin/kg KGW i.v. oder i.m. 44- 88 mg Guafenesin/kg KGW + 0,66-1,1 mg/kg KGW i.v. (100 mg Guafenesin +2-4 mg Ketamin + 0,2 mg)/kg/h i.v. 7-20 mg/kg KGW i.v. 11-54 mg/kg KGW i.v. Schaflamm 15-26 mg/kg KGW i v 2-6 mg/kg KGW gefolgt von 0,3- 0,8 mg/kg KGW/min i.v. 10-22 mg/kg KGW i.v. 20-30 mg/kg KGW i.v., Kitz 20 mg/kg KGW i.v. 4--7 mg/kg KGW gefolgt von 0,3-0,8 mg/kgKGW/min i.v. 2,2 bis 4,4 mg/kg KGW i.v., Lämmer 4,4 mg/kg KGW i.v. 2,2 bis 4,4 mg/kg KGW i.v., Kitze 6 mg/kg KGW i.v. Muskelrelaxans Guafenesin* 50 mg/kg KGW i.v. 66-132 mg/kg KGW i.v. *Nach Ganter 2021 (6) modifiziert 148 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Wenn möglich, sollte die Rückenlage während der Vollnarkose vermieden werden, da dies arteriovenöse Shunts im Lungenkreislauf der Schafe verursacht, die auch bei Beatmung mit Sauerstoff zu Hyperkapnie führen können (7). Länger anhaltende Schmerzen können durch Dauertropfinfusion einer Kombination aus einem Opioid, Likdocain und Ketamin (= Trifusion) bekämpft werden. Neben Butorphanol kann auch Morphin in der Kombination verwendet werden. Zu Beginn der Trifusion sollte eine Initialdosis von 0,05-0,1 mg Butorphanol /kg KGW i.m. oder i. v. + 1 mg Lidocain langsam i.v. appliziert werden, gefolgt von der Erhaltungsdosis von + 1,2 mg Lidocain /kg/h + 0,6 mg Ketamin/kg/h + 0,02 mg Butorphanol/kg/h im Dauertropf. Hierdurch kann auch über mehrere Stunden ein hochgradiger Viszeralschmerz ausgeschaltet werden (8). Literatur 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. Bauer B, Hannemann R, Lendl C, Strobel H, Ganter M. Painful procedures in small ruminants – castration of rams and bucks. An overview. Tierarztl Prax Grosstiere Nutztiere 2018;46:115–27. Hannemann, R.; Bauer, B.; Ganter, M.; Strobel, H. (2017): Schmerzhafte Eingriffe beim Schaf - Schwanzkupieren: Eine Übersicht. Tierärztliche Praxis Ausgabe G: Großtiere -Nutztiere 45 (5), S. 302–311. Oltenacu EAB, Boylan WJ. Inheritance of Tail Length in Crossbred Finnsheep. The Journal of Heredity 1974, 65:331- 334. Hümmelchen H, Wagner H, König S, Wehrend A. Bedeutung der Schwanzlänge beim Schaf und Zucht auf Kurzschwänzigkeit. Tierarztl Prax Ausg G Grosstiere Nutztiere 2022; 50(03): 187-194 Anonymus, the European Agency for the Evaluation of Medicinal Products. Veterinary Medicines Evaluation Unit, Committee for veterinary medicinal products; Procaine, summary report. EMEA 1998. EMEA/MRL/217/97-FINAL. Ganter M. Anästhesie und Analgesie. In Bostedt H, Ganter M, Hiepe T. (Hrsg.) Klinik der Schaf- und Ziegenkrankheiten. 2. Auflage. Georg Thieme verlag Stuttgart 2021. S. 660-8. Grimm LM, Ganter M. Analysis of pH and Electrolytes in Blood and Electrolytes in Ruminal Fluid, including Kidney Function Tests, in Sheep Undergoing General Anaesthesia for Laparotomy. Animals 2022, 12(7), 834; https://doi.org/10.3390/ani12070834 Abrahamsen,E.(2009) Managing severe pain in ruminants. In Current Veterinary Therapy: Food Animal Medicine, 5th edn (eds D. Anderson and D. Rings). Saunders/Elsevier, St. Louis, 2009. S. 570-574. Kontakt Prof. Dr. Martin Ganter; Klinik für kleine Klauentiere der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover Martin.Ganter@tiho-hannover.de 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 149

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Coxiellose bei kleinen und großen Wiederkäuern T. Wittek, D. Schneeberger, R. Kreuzer, B. Lambacher Universitätsklinik für Wiederkäuer, Veterinärmedizinische Universität Wien, Österreich Einleitung Der Vortrag beinhaltet generelle Informationen zum Erreger Coxiella burnetii, zu Infektionen bei Mensch und Tieren (Q-Fieber, bzw. Coxielliose), zu Diagnostik, Therapie und Prophylaxe sowie zur Verbreitung in . Im zweiten Teil werden die Ergebnisse der Untersuchung zum Auftreten von Coxiella burnetii Antikörpern in der Tankmilch österreichischer Milchviehherden dargestellt. Coxiellose/Q-Fieber/Coxiella burnetii Coxielliose (Q-Fieber) ist eine weltweit vorkommende Infektionserkrankung (Ausnahmen: Neuseeland und Antarktis) mit einem weiten Wirtsspektrum (Vertebraten und Nichtvertebraten), sowie zoonotischem Potential (Balkangrippe, Krimfieber). Coxiella burnetii ist ein obligat intrazelluläres gramnegatives Bakterium, das einen starken Tropismus zu Monozyten, Makrophagen, und Trophoblasten der Plazenta aufweist. Das Bakterium ist stark infektiös. Coxiella burnetii tritt in zwei Varianten auf:  LCV – large cell variant (vegetativ, stoffwechselaktiv, in lebenden Zellen auftretend, vermehrungsfähig)  SCV – small cell variant (durch Lysis der Wirtszelle freigesetzt, stoffwechselinaktiv, vermehrt sich nicht, entwickelt sich zu einer sporenähnlichen Form, hohe Tenazität, gegenüber chemischen und physikalischen Einwirkungen) Eine Infektion führt zur Ausbildung einer Immunität, die die klinische Erkrankung limitiert und auch zu einer Verringerung der Erregerausscheidung führt. Der Erreger hat verschiedene Mechanismen entwickelt, sich der körpereigenen Abwehr zu entziehen. Er überlebt in Makrophagen, was zur Reaktivierung der Krankheit während der Trächtigkeit und Geburt oder zu einer Immunsuppression führen kann. Die Ausprägung des für gramnegative Bakterien typischen Lipopolysaccharids (LPS) tritt in zwei phasenspezifischen Antigenvariationen auf:  Phase I: Bakterien mit langkettigen, glatten, vollständigen Polysaccharid, starke Virulenz  Phase II: häufige Passagen führt zur Verkürzung und Aufrauhung des LPS, Verringerung bis Verlust der Virulenz, Phase II-Antikörper rufen keine schützende Immunität hervor Die Antikörper der verschiedenen Phasen erscheinen in zeitlichem Abstand zur Infektion. Dieses Phänomen wird vor allem in der Humanmedizin zur Terminisierung der Infektion bei epidemiologischen Abklärungen eingesetzt. Man kann von regional und tierartlich unterschiedlichen Infektionsraten unter den landwirtschaftlichen Nutztieren ausgehen, jedoch spielen Wiederkäuer und besonders kleine Wiederkäuer eine wichtige Rolle im Infektionsgeschehen, während Pferde, Schweine, Haustiere und Neuweltkamele eine untergeordnete Rolle einnehmen. Im Naturherdinfektionszyklus sind unter anderem einheimische Zecken von Bedeutung, die bei einer Infektion als Zwischenwirt fungieren. Sowohl in Deutschland als auch in Österreich kann man davon ausgehen, dass Coxiella burnetii weit verbreitet für Milchrindbetriebe mittels Tankmilchprobenuntersuchung Herdenprävalenzen von 50 bis 60 % an größeren Stichproben festgestellt werden konnten, liegen für kleine Wiederkäuer weniger Daten vor, so dass eine Einschätzung der gegenwärtigen Situation schwieriger ist. ist. Während Infizierte Tiere scheiden die Erreger über Sekrete, vor allem Fruchtwasser aus. Die Ausscheidung über Milch ist tierartlich verschieden und hat wahrscheinlich beim Rind größere Bedeutung als bei den kleinen WDK. Zudem kann die Ausscheidung über Urin und Kot erfolgen. Nach einer Infektion bleiben viele infizierten Tiere subklinisch oder zeigen nur kurzfristige unspezifische Symptome. Es kann eine hämatogene Besiedlung von Genitalien und Milchdrüse erfolgen, die monate- bis 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 151

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ jahrelange persistent ist und während der folgenden Gravidität häufig zu Reaktivierungen führt. Aborte treten je nach Immunstatus vor allem bei naiven Ziegen auf, während bei Rindern und Schafen Aborte eher selten sind. Neugeborene Jungtiere sind oft schwach bzw. eingeschränkt lebensfähig. Beim Rind treten gehäuft Fruchtbarkeitsstörungen (Retentio secundinarum, Endometritis, verlängerte Zwischenkalbezeiten) im Zuge einer Coxielliose in den Herden auf. Q Fieber beim Menschen Die Infektion der Menschen kann über verschiedene Wege erfolgen. Während der direkte Kontakt mit infizierten Tieren und deren Exkreten, die orale Aufnahme (z. B. erregerhaltige Milch) oder die Übertragung Mensch zu Mensch zu Infektion einzelner Personen führt, treten durch die Inhalation von erregerhaltigem Staub oder Aerosol sogenannte Kleinraumepidemien auf. Der Ursprung dieser Kleinraumepidemien stellten bisher immer infizierte Schaf- oder Ziegenherden dar. Dabei werden die Erreger über mehrere Kilometer mit dem Wind verbreitet und infizieren Menschen, die keinen direkten Kontakt mit den Tieren haben. Menschen mit erhöhtem Risiko sich durch direkten Kontakt zu infizieren sind Tierärzte und Tierärztinnen, Landwirte und Landwirtinnen, Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen an Schlachthöfen und andere Personen mit intensivem Tierkontakt bei Transporten, Schur oder ähnlichen Aktivitäten. Auch beim Menschen entstehen etwa 60 % subklinische Infektionen. Etwa 40 % der infizierten Personen entwickeln akute grippeähnliche Symptome. Man muss davon ausgehen, dass bei einem hohen Prozentsatz keine ätiologische Diagnose gestellt wird. Zirka 1 % der akuten Fälle geht in eine chronische Erkrankung über, die mit verschiedenen Organmanifestationen (z. B. Endocarditis, granulomatöse Hepatitis, Osteomyelitis, Arthritis, Meningoencephalitis, Post-Q-Fieber-Müdigkeitssyndrom - QFS) assoziiert sein kann. Todesfälle sind im Verhältnis zur Anzahl der Infektionen selten. Eine höhere Mortalität existiert bei Menschen mit Vorerkrankungen und durch Komplikationen nach chronischem Q-Fieber. Schwangere Frauen sind besonders infektionsgefährdet, Aborte treten im ersten Trimester auf, weiters kommt es bei Neugeborenen erkrankter Mütter zu geringeren Geburtsgewichten. Rechtliche Regelung Im AHL ist Coxiellose als Kategorie E-Seuche (überwachungspflichtig) bei Bison, Bos, Bubalus, Ovis und Capra gelistet. Im Gegensatz zu Deutschland ist in Österreich das Auftreten von Q-Fieber bei Mensch und Tier nicht zusätzlich geregelt. Es soll noch darauf hingewiesen werden, dass es in Deutschland ein Q-GAPS: Gemeinschaftsprojekt unter Beteiligung Human- und Veterinärmedizinischen Kooperationspartnern (z. B.: TIHO Hannover, LAVES, FLI, Fraunhofer Institut, Bundeswehr, Universitätsklinikum Erlangen und weitere) gibt, das 2023 eine neue Version des Q-Fieber-Leitfadens „Informationen und Handlungsempfehlungen für das öffentliche Gesundheits- und Veterinärwesen zu Infektionen mit Coxiella burnetii bei Menschen und Hauswiederkäuern“ herausgegeben hat, die auf der Homepage www.q-gaps.de öffentlich zugänglich ist. Diagnostik Der Erregernachweis aus Nachgeburtsmaterial, Genitaltupfern, Milch, Kot, Urin oder Umweltproben erfolgte klassisch über die Anzucht in Zellkulturen oder in embryonierten Hühnereiern. Diese Techniken sind durch die PCR abgelöst worden. Zur genomischen Typisierung sind weitere molekularbiologische Methoden möglich. Der serologische Nachweis der Antikörper kann über verschiedenen Techniken wie ELISA, KBR, IFT oder MAT erfolgen. Am häufigste wird der Elisa angewandt. Produktabhängig ist der diagnostische Wert in der Regel sehr gut. Es werden Sensitivitäten und Spezifitäten von über 90 % erreicht. Die Antikörper werden vorzugsweise in Blut und Milch bestimmt, wobei bei der Milch sowohl Einzelproben als auch Tankmilchproben zum Herdenscreening Anwendung finden. Zu beachten ist, dass beim akuten Ausbruch der Krankheit in naiven Beständen die Tiere serologisch oft noch negativ sind, jedoch Erreger ausscheiden. Zudem ist der Impfstatus der Tiere zu beachten, da es sich nicht um DIVA-Impfstoffe handelt. Es sind Antigenphasen spezifische IFT und ELISAs verfügbar, um vor allem beim Menschen eine Unterscheidung zwischen akuter und chronischer Infektion zu ermöglichen. 152 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Therapie und Prophylaxe Die antibiotische Therapie erfolgt beim Tier klassisch mit Oxytetrazyklin und führt bei positivem Erfolg zu einer klinischen Besserung, jedoch nicht zu einer signifikanten Reduzierung der Erregerausscheidung. Die Bekämpfung von Q-Fieber bei Nutztieren konzentriert sich auf präventive Maßnahmen  Zukauf aus Beständen mit gleichem Infektionsstatus  Freiwilliges Q-Fieber Monitoring (v. a. Streichelzoos, Schaubauernhöfe)  Serologische Kontrolluntersuchungen (ELISA), PCR-Untersuchungen bei Geburten und Aborten (Genitaltupfer, Abortmaterial)  Akarizid-Behandlung in Regionen mit starkem Zeckenbefall  Das Vermeiden von Hunden und Katzen in den Stallungen  Testung der zutretenden Tiere Hygienemaßnahmen in infizierten Herden dienen vor allem dem Schutz von Menschen vor Infektionen und der Verminderung der Ausscheidung sowie Verbreitung der Erreger in den Herden  Tragen von Arbeitsschutzkleidung, Atemschutzmaske bei Reinigung und Desinfektion  Vermeidung von Aerosolbildung und Staub Verwirbelung  Geburten in geschlossenen Ställen  Nachgeburten und Totgeburten in geschlossenen Behältern sammeln und fachgerecht entsorgen  Schaf- und Ziegenherden nicht in der Nähe von Wohnsiedlungen halten/lammen lassen  Ausreichend lange Lagerung des Mists (mind. 3 Monate, Empfehlung 9 Monate), Ausbringung bei Windstille/Regen  Schutzimpfung der Bestände (v. a. zutretenden weibliche Tiere vor der Trächtigkeit) zur Verringerung des Infektionsrisikos. Vakzination für Rind, Schaf und Ziege über mehrere Jahre notwendig  Aufklärung der Tierhalterinnen und Tierhalter  Desinfizieren der Stallungen, Arbeitsmaterialien und Arbeitskleidung  Rohmilch oder Rohmilchprodukte nicht an den Verbraucher abgeben (Pasteurisieren inaktiviert C. burnetii)  Sperrung des Betriebes für betriebsfremde Personen, keine Ausstellungen, Hoffeste, etc. Kontakt Prof. Dr. Thomas Wittek; Universitätsklinik für Wiederkäuer, Veterinärmedizinische Universität Wien, Österreich Thomas.Wittek@vetmeduni.ac.at 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 153

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Der Langschwanz beim Schaf – Warum soll er kurz sein Axel Wehrend, Hannah Hümmelchen, Henrik Wagner Tierklinik für Reproduktionsmedizin und Neugeborenenkunde, Justus-Liebig-Universität Gießen Problemstellung Das Für- und Wider der Teilamputation von Schwänzen beim Schaf wird derzeit emotional diskutiert, wobei häufig vergessen wird, dass dieser Eingriff nach dem deutschen Tierschutzgesetz schon seit längerer Zeit grundsätzlich verboten ist eine Einzelfallgenehmigung notwendig. In diesem Zusammenhang muss die Selbstverständlichkeit betont werden, dass es sich beim Schwanz um einen innervierten, gut durchbluteten Körperteil handelt (2). trotzdem durchgeführt werden, ist (1). Soll die Amputation (z. B. Hygieneprobleme bei Durchfall, Einnistungsmöglichkeiten Das Mufflon als ursprünglicher Vorfahre der meisten heutigen Schafrassen verfügt über einen kurzen, dünnen Schwanz, so dass davon ausgegangen werden kann, dass lange Schwänze im Zuge der Domestikation entstanden sind. Lange bewollte Schwänze waren bei vielen Rassen in der Vergangenheit ein wertvolles Zuchtmerkmal, welches einst für die Wollproduktion von Bedeutung war. Die Vergrößerung der Körperoberfläche führte zu einem erhöhten Wollertrag pro Einzeltier und stellte somit einen wirtschaftlichen Vorteil dar. In den letzten Jahrzehnten verlor die Wollproduktion an Bedeutung, so dass die Nachteile der langen Schwänze für Fliegenmaden, Verletzungsgefahr des Schwanzes, Aufwand beim Scheren des Schwanzes, minderwertige Schwanzwolle, Deckhindernis) überwiegten und diese seither gekürzt werden (1,3). Die Funktion und Bedeutung des Schwanzes der verschiedenen Tierarten sind vielfältig. So dient er unter anderem dem Gleichgewicht, der Kommunikation und der Abwehr bzw. Verteidigung. Außerdem übernimmt der Schwanz bei ausreichender Länge eine Schutzfunktion für den Anogenitalbereich. Die Schwanzbewegungen sind beim Schaf im Gegensatz zu den Fleischfressern deutlich herabgesetzt. So wird lediglich ein Anheben des Schwanzes bei Gefahr bzw. Flucht und Kot- und Urinabsatz beobachtet. Lämmer zeigen wedelnde Bewegungen des Schwanzes bei der Milchaufnahme und adulte Tiere zum Abwehren von Insekten. Nach derzeitigem Kenntnisstand ist nicht davon auszugehen, dass eine kürzere Schwanzlänge negative Auswirkungen auf die innerartliche Kommunikation und den Bewegungsablauf hat. Zucht auf Schwanzlänge beim Schaf als Alternative zum Kupieren Die Verpaarung von kurzschwänzigen Finnschafen mit langschwänzigen Rassen zeigte, dass die Nachkommen einen zu 33 % kürzeren Schwanz aufwiesen als vergleichbare reinrassige Tiere. Zudem konnte herausgefunden werden, dass die Heritabilität für die Schwanzlänge bei Finnschafen 0,77 beträgt. Bei der Anpaarung von Mufflon und Rambouillet Schafen, wobei die Mufflons mit 11 Schwanzwirbeln als kurzschwänzig und die Rambouillet-Schafe mit 18 - 24 Schwanzwirbeln als langschwänzig gelten, zeigte sich, dass die Nachkommen dieser Verpaarung die mittlere Schwanzlänge der Elterntiere aufwiesen. Es konnte eine Heritabilität für die Schwanzlänge bei Rambouillet-Schafen von 0,38 errechnet werden. Der Vererbungsmechanismus der Schwanzlänge bei Merinoschafen wurde anhand von 2.667 Lämmern in einer australischen Studie untersucht. Den Ergebnissen zufolge hat die Schwanzlänge bei Merinoschafen eine Heritabilität von 0,58, ebenso wie die Wirbelsäulenlänge. Bei der Verpaarung von 18 kurzschwänzigen Merinoböcken und 21 Merinoböcken mit normaler Schwanzlänge mit Mutterschafen ohne bekannte Kurzschwänzigkeit, wiesen von den 572 Nachkommen der Böcke mit normaler Schwanzlänge kein einziges Tier einen kurzen Schwanz auf. Dagegen wurden von den 612 Nachkommen der kurzschwänzigen Böcke 77 Lämmer mit kurzem Schwanz geboren (1). Neuere Untersuchungen an Merinolandschafen konnten zeigen, dass es innerhalb nur weniger Generationen zu einer signifikanten Schwanzverkürzung bei Einsatz kurzschwänziger Böcke kommt (4). Zudem steht mittlerweile ein Gentest für die Zucht auf Kurzschwänzigkeit zur Verfügung (5). Einem breiten Gebrauch der Zucht auf Kurzschwänzigkeit steht unter Feldbedingungen damit nichts mehr im Wege. 154 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Literatur 1. Hümmelchen H, Wagner H, König S, Wehrend A. Bedeutung der Schwanzlänge beim Schaf und Zucht auf Kurzschwänzigkeit. Tierarztl Prax Ausg G Grosstiere Nutztiere. 2022 Jun;50(3):187-194. 2. Hümmelchen H, Wenisch S, Brügemann K, König S, Wagner H. Phänotypisierung des Schafschwanzes – Darstellung von Methoden zur Charakterisierung im Rahmen der Zucht auf Kurzschwänzigkeit. Tierarztl Prax Ausg G Grosstiere Nutztiere. 2023 ;51(1):6-14. 3. Hümmelchen H, Wagner H, Brügemann K, Wenisch S, König S, Wehrend A. Frequency and Characterisation of Anomalies and Fractures of the Caudal Spine in Sheep with Undocked Tails. Animals (Basel). 2023; 13(8):1419. doi: 10.3390/ani13081419. 4. Oberpenning J, Bohlouli M, Engel P, Hümmelchen H, Wagner H, Wehrend A, König S. Multiple-trait and structural equation 5. modelling approaches to infer genetic relationships between tail length and weight traits in Merinoland sheep. J Anim Breed Genet. 2023;140(2):132-143. Lagler DK, Hannemann E , Eck K, Klawatsch J, Seichter D, Russ I, Mendel C, Lühken G, Krebs S , Blum H, Upadhyay M, Medugorac I. Fine-mapping and identification of candidate causal genes for tail length in the Merinolandschaf breed. Commun Biol. 2022 6;5(1):918. doi: 10.1038/s42003-022-03854-3. Kontakt Prof. Dr. Axel Wehrend; Tierklinik für Reproduktionsmedizin und Neugeborenenkunde der Justus-Liebig- Universität Gießen axel.wehrend@vetmed.uni-giessen.de 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 155

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Ein Jahr mit der neuen Gebührenordnung bei den Schafen Karl – Heinz Kaulfuß Tierarztpraxis Kaulfuß, Heimburg/Harz Eine regelmäßige Novellierung der Gebührenordnung für tierärztliche Leistungen ergibt sich folgerichtig aus den sich ständig ändernden wirtschaftlichen und strukturellen Veränderungen der in Deutschland tätigen praktischen Tierärzte, sowie den sich fortlaufend verändernden Behandlungsmethoden (fachlicher Fortschritt). Nach einer zweimaligen Preisanpassung in den Jahren 2007 und 2017 stand somit im Jahr 2022 die Etablierung einer vollständig überarbeiteten Gebührenordnung für tierärztliche Leistungen an, die dann am 22.11.2022 in Kraft trat. Generell ist festzustellen, dass die darin enthaltenen Anpassungen (Einteilung der Leistungen und deren Vergütung) von der Tierärzteschaft begrüßt und bedingt durch steigende Kosten (z.B. Mitarbeiterentlohnung) notwendig wurden. Die Einteilung der einzeln abrechenbaren Positionen sowie deren Preis sind ein Spiegel der tierärztlichen Tätigkeiten in Deutschland bei denen ca. 10mal so viele Kleintier- bzw. kombinierte klein- und nutztierpraktizierende Tierärzte tätig sind als reine Nutztierpraktiker. Des Weiteren ging man davon aus, dass unabhängig von der Praxisform ca. 70-80% der Einnahmen aus selbstständiger tierärztlicher Tätigkeit erfolgen und sich somit eine Gebührenerhöhung positiv auf die Einnahmesituation der Tierärzte auswirkt. Spezialfall kleine Wiederkäuer Auch für die kleinen Wiederkäuer fand eine Anpassung der Gebührenordnung statt. Diese sind nach eigener Erfahrung des Autors im Bereich der Hobbyhaltung von kleinen Wiederkäuern problemlos umsetzbar. Schafe können in Kleinsthaltungen für den Besitzer den gleichen Stellenwert einnehmen wie Hund, Katze oder Pferd. Demgegenüber steht die tierärztliche Betreuung von Schafherden im Haupt- und Nebenerwerb. Neben der verhältnismäßig geringen Anzahl von „Schafpraktikern“ und der Übernahme tierärztlicher Tätigkeiten durch Schafgesundheitsdienste (mit und ohne Arzneimittelabgabe) existieren kaum fundierte Studien (auch über dessen Ökonomie) für die tierärztliche Bestandsbetreuung bei kleinen Wiederkäuern (Kaulfuß 2016, 2022, 2023). Dieses Missverhältnis spiegelt sich auch in der Gebührenordnung wider. Schafe und die Gebührenordnung Nach Meinung des Autors berücksichtigt die Gebührenordnung Tätigkeiten in der Bestandsbetreuung von Schafherden (nicht den Fall der Behandlung von Einzeltieren!) nur unvollständig. Hier sind es vorrangig so genannten Massentätigkeiten (Impfungen, Applikationen, Blutentnahmen, Trächtigkeits-untersuchung etc.) deren Einzelpreis eine reale Berechnung der tierärztlichen Tätigkeit kaum zulässt. So ist es problemlos möglich 300 Schafe pro Stunde zu impfen bzw. bei ihnen Trächtigkeitsuntersuchungen durchzuführen, was dann einen Realstundenlohn von 1800,- Euro netto bei Injektion oder 3000,- Euro netto bei der ultrasonographischen Trächtigkeitsuntersuchung entsprechen würde. Bei der Abrechnung nach Zeit (15 Minuten = 42,67 Euro netto) käme man hingegen nur auf 170,68 Euro netto. Die Diskrepanz ist erkennbar, nicht angesprochen die Diskrepanz zum Realstundenlohn des Schäfers, ca. 5-10 Euro/Stunde. Kritisch angemerkt: Die Beihilfekosten für staatlich angeordneten Blutentnahmen (Brucellosemonitoring) haben sich nicht der neuen GOT angepasst und werden somit ungerechtfertigter Weise auf den Schafhalter umgelegt. Ökonomische Auswirkungen der neuen Gebührenordnung auf Tierarzt und Schäfer Zu Beginn muss festgestellt werden, der Anteil tierärztlicher Leistung an den Gesamteinnahmen in einer ausschließlichen Schafpraxis liegt nicht wie bei Kleintier etc. bei ca. 70 - 80 % sondern nur bei ca. 20 % (Kaulfuß 2016) was sich aus dem Missverhältnis für den Preis einer einmaligen Herdendiagnostik und den sich anschließenden Arzneimittelverbrauch bei einer Herdenbehandlung ergibt, z.B. Herdenbesuch und Kotprobe versus Antiparasitikamenge (Preis) für 1000 Schafe. Somit ist davon auszugehen das sich die neue Gebührenordnung bei den „Schafpraktikern“ in ihren Einnahmen kaum widerspiegeln wird. 156 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Demgegenüber steht dessen der Schafhalter 10-15 Euro Tierarztkosten/Mutterschaf incl. dessen Lämmer und Jahr erlaubt (Siersleben 2023, 2022). Auch wenn diese Zahlen nur die Wirtschaftsjahre 2019/2020 und 2020/2021 widerspiegeln (bedingt durch den zeitlich um 2 Jahre versetzten steuerlichen Betriebsabschluss) ist davon auszugehen, dass diese Werte auch für das Jahr 2023 gelten, da sich die Einnahmesituation in den Schafhaltungen erst mit Beginn der neuen Agrarförderperiode 2023 und deren Erstauszahlung im Jahr 2024 ändern könnte (theoretischer Einkommenszuwachs von ca. 100 Euro/Mutterschaf und Jahr). ökonomische Situation ca. Wirtschaftliche Betrachtung der eigenen Schafpraxis Die Tierarztpraxis Kaulfuß betreut ausschließlich Schaf- und Ziegenhalter, was eine ökonomische Wertung der Auswirkung der Einführung der neuen GOT erlaubt. Methodisch erfolgt ein Vergleich der Praxiserlöse in den Monaten Januar-Oktober 2023 mit den gleichen Zeiträumen der Jahre 2020-2022. Hierbei ist festzustellen, dass sich für 2023 der Gesamtumsatz bis Oktober um 11.000 Euro erhöht hat. Ob sich diese Differenz auch am Jahresende darstellt ist jedoch zweifelhaft, da seit Juni 2023 die Einnahmen im Vergleich zu den Vorjahren rückläufig sind. Ich rechne mit ähnlichen Einnahmen wie in den Jahren davor, da den Schafhaltern nicht mehr (sondern eher weniger – steigender Mindestlohn, Energiekosten, Futtermittelpreis) Geld für die Gesunderhaltung der Mutterschafe zur Verfügung steht wie in den Jahren davor. – „Man kann nur das verdienen was zu bezahlen geht“. Entscheidender sind die Veränderungen der einzelnen Gewinnpositionen: So stiegen die Einnahmen aus tierärztlicher Tätigkeit um 4,43 % bzw. um 11500,- Euro in 9 Monaten als direkte Auswirkung der neuen GOT. Demgegenüber sank jedoch der Umsatz an angewandten Arzneimitteln um 8,13 % und die reine Abgabe an Arzneimittel stieg um 3,7 %. Schlussfolgerung In den nächsten Jahren werden bei den Schafhaltern die bisher kalkulierten Tiergesundheitskosten, wenn auch nicht linear, ansteigen. Die verbesserten Fördersätze der Agrarförderung werden dies in geringem Umfang ermöglichen, was aber bedeutet, dass, wie in vielen anderen Positionen (Energie, Pachten etc.), der Schafhalter das vermeintlich gestiegene Einkommen nur, in diesem Fall an den Tierarzt, durchreicht. Damit wird ihm wiederum ein Teil der Chance genommen, aktiv und zukunftsweisend die Tiergesundheit und das Tierwohl zu verbessern. Des Weiteren könnten steigende Gebühren der tierärztlichen Tätigkeit dazu führen, dass der Schafhalter aktiv gegensteuert: • weniger Besuche oder Behandlungen • Einsparung der prophylaktischen Diagnostik • • weniger tragende Schafe und somit Einstellung der kostenintensiven Lämmerproduktion verstärkte Selbstapplikation Letzteres sollte nicht die Regel werden. Eine GOT mit Augenmaß, auch für die Minderheit der Schäfer wäre wünschenswert gewesen. Ob überhaupt praktische schafbestandsbetreuende Tierärzte an deren Erarbeitung beigetragen haben bleibt fraglich. Literatur 1. Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung. Prüfung der finanziellen und strukturellen Auswirkungen hinsichtlich der Angemessenheit der Gebührensätze der Gebührenordnung für Tierärzte. 2021 2. Kaulfuß K-H. Praktische Bestandsbetreuung – Eine Analyse. Hannover, 2016, BpT-Kongreß, 3. Kaulfuß K-H. Bestandsbetreuung bei Schaf und Ziege in Kleinstbeständen und Hobby-haltungen. Hannover, 2022, BpT- Kongreß. 4. Kaulfuß K-H. Praktische Bestandsbetreuung bei Schafen und Ziegen – Eine Analyse unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Bad Langensalza, 2023, Modul 37, Weiterbildungskurs, Fachtierarztkurs Klauentier- kleine Wiederkäuer. 5. Siersleben K. Wirtschaftliche Situation weiterhin schwierig. Dtsch. Schafzucht 2023;114 (3): 13-17. 6. Siersleben K. Jahresversammlung des Kontroll- und Beratungsring Lämmermast. 2023 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 157

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Welche gesundheitlichen Hürden müssen deutsche Schafe oder deutsche Ziegen nehmen, um (in der EU) gehandelt zu werden? Udo Moog Thüringer Tierseuchenkasse, Jena A: Traces-Dokument (1) 1. Die o.g. Tiere sind gemäß Artikel 45 Absätze 2 oder 4 oder gemäß Artikel 46 Absatz 1 der Delegierten Verordnung (EU) 2019/2035 der Kommission gekennzeichnet. nach amtlicher Kenntnis seuchenfrei und gemäß der Durchführungsverordnung (EU) 2021/620 weder seuchen- noch ansteckungsverdächtig. 2. Der Herkunftsbestand oder der sonstige Standort der Tiere ist seit mindestens 35 Tagen bzgl. auf für Schafe und Ziegen übertragbare anzeigepflichtige Tierseuchen und meldepflichtige Tierkrankheiten seuchenfrei und liegt nicht in einer Schutz- oder Überwachungszone. 3. Die o.g. Tiere wurden ununterbrochen im Herkunftsbetrieb gehalten. 3.1 Sie sind im Zeitraum von 35 Tagen vor dem Auftrieb nicht mit gehaltenen Schafen oder Ziegen in Berührung gekommen, die einen niedrigeren Gesundheitsstatus aufwiesen oder Verbringungsbeschränkungen aus tierseuchenrechtlichen Gründen unterlagen, 3.2 Sie sind nicht direkt oder indirekt mit gehaltenen Tieren in Berührung gekommen, die während eines Zeitraumes von 30 Tagen vor dem Versand der Tiere aus einem Drittland oder Gebiet in die Union verbracht wurden. 4. Die Tiere kommen aus Betrieben, in denen keine anormale Mortalität ungeklärter Ursache aufgetreten ist. 5. Die Herkunftsbestände der Tiere sind amtlich anerkannt Brucellose frei. 6.a). Es handelt sich um gehaltene Schafe, und sie kommen aus Betrieben, in denen während der letzten 42 Tage vor dem Versand keine Infektionen mit dem Mycobacterium tuberculosis Komplex (M. bovis, M. caprae, M. tuberculosis) gemeldet wurde**. 6.b). Es handelt sich um gehaltene Ziegen, und sie kommen aus Betrieben, in denen zumindest während der letzten 12 Monate vor dem Versand Überwachungsmaßnahmen in Bezug auf Infektionen mit dem Mycobacterium-tuberculosis-Komplex (M. bovis, M. caprae und M. tuberculosis) gemäß Artikel 15 Absatz 3 der Delegierten Verordnung (EU) 2020/688 durchgeführt wurden. 7 Sie kommen aus Betrieben, in denen während eines Zeitraumes von 30 Tagen vor dem Versand bei gehaltenen Landtieren, keine Infektion mit dem Tollwutvirus gemeldet wurden. 8. Sie kommen aus Betrieben, um die in einem Gebiet mit einem Radius von min. 150 km in den letzten 2 Jahren vor dem Versand keine Infektion mit dem Virus der Epizoonotischen Hämorrhagie bei gehaltenen Tieren von für diese Seuche gelisteten Arten gemeldet wurde. 9. Sie kommen aus Betrieben, in denen während eines Zeitraumes von 15 Tagen vor dem Versand kein Fall von Milzbrand bei Huftieren gemeldet wurde**. 10. Sie kommen aus Betrieben, in den während eines Zeitraumes von 30 Tagen vor dem Versand kein Fall von Surra (Trypanosoma evansi) gemeldet wurde**. 11. Bei unkastrierten Schafböcken: (Ziegenböcke werden explizit nicht aufgeführt!) 11.1 Sie kommen aus Betrieben, in denen in einem Zeitraum von 12 Monaten vor dem Versand kein Fall von infektiöser Epididymitis (Brucella ovis) gemeldet wurde. 11.2 Sie wurden einer serologischen Untersuchung auf die Infektiöse Epididymitis (Brucella ovis) unterzogen, die anhand einer Probe, die in einem Zeitraum von 30 Tagen vor dem Versand entnommen wurde, durchgeführt wurde und deren Befund negativ war. 12. Scrapie (2): Die gilt nur für Zuchttiere! 12.1 Sie kommen aus einem Betrieb, dem gemäß Anhang VIII Kapitel A Teil A Nummer 1.2 der Verordnung (EG) Nr. 999/2001 der Status „vernachlässigbares Risiko klassischer Scrapie“ zuerkannt wurde und der von 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 159

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ der zuständigen Behörde des Mitgliedsstaates gemäß Nummer 1.1 des genannten Teils als solcher gelistet wurde. 12.2 Sie kommen aus einem Betrieb, dem gemäß Anhang VIII Kapitel A Teil A Nummer 1.3 der Verordnung (EG) Nr. 999/2001 der Status „kontrolliertes Risiko klassischer Scrapie“ zuerkannt wurde und der von der zuständigen Behörde des Mitgliedsstaates gemäß Nummer 1.1 des genannten Teils als solcher gelistet wurde. 12.3 Sie kommen aus einem Betrieb, der keinen Maßnahmen gemäß Anhang VII Kapitel B Teile 3 und 4 der Verordnung (EG) Nr. 999/2001 unterworfen wurde, und die Tiere gehören und die Tiere gehören zur Art der Schafe und gehören dem Prionprotein-Genotyp ARR/ARR an, oder die Tiere gehören zur Art der Ziegen und weisen mindestens eines der Allele K222, D146 oder S146 auf.  siehe Abb. 1 Und/Oder: Sie kommen aus einer amtlich zugelassenen Einrichtung, einem amtlich 12.4. zugelassenen Institut oder einem amtlich zugelassenen Zentrum im Sinne von Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe c der Richtlinie 92/65/EWG des Rates und sind auch für eine solche Einrichtung, ein solches Institut oder ein solches Zentrum bestimmt.] 12.5 Sie erfüllen die Anforderungen gemäß Anhang VIII Kapitel A Teil A Nummer 4.1 Buchstaben d der Verordnung (EG) Nr. 999/2001. 13. Bluetongue-Virus/Blauzungenkrankheit 13.1 Die zu verbringenden Tiere erfüllen die Bedingungen nach Anhang V, Teil II, Kap. 2, Abschnitt 1, Nummer 1 der Delegierten Verordnung (EU) 2020/689. 13.2 Insofern der Betrieb in einer BTV-Zone liegt gelten folgende zusätzliche Bedingungen nach Anhang V, Teil II, Kap. 2, Abschnitt 1, Nummer 2 bis 8 der Delegierten Verordnung (EU) 2020/689: 13.2.1 Die Ergebnisse der durchgeführten BTV-Blutuntersuchungen und die BTV-Impfungen sind in der HI-Tier-Datenbank eingetragen. 13.2.2 Die Tiere sind während der Beförderung an den Bestimmungsort gegen Angriffe durch den Vektor Culicoides geschützt worden. Das Insektizid/ Abwehrmittel: ________________ (Name eintragen) gegen Vektorangriffe wurde am: ____________________(Datum eintragen) auf die oben genannten Schafe aufgetragen. 13.2.3 Insofern Tiere im Rahmen des Verkaufs bei der Auktion anschließend innerhalb von Mitgliedsstaaten der EU verbracht werden sollen gelten die zusätzlichen Bedingungen nach Art. 32 Absatz 1 Buchstaben a, b oder c oder gemäß Artikel 32 Absatz 2 der Delegierten Verordnung (EU) 2020/688. 14. Diese Bescheinigung hat unter dem Vorbehalt des Widerrufs bei Seuchengefahr eine Gültigkeit von 10 Tagen nach dem Tag der Ausstellung dieser Bescheinigung. Abb. 1: Gesetzliche Möglichkeiten der Scrapie-Status Anerkennung nach genetisch bedingter Resistenz oder nach Durchlaufen eines Anerkennungsverfahrens 160 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ B: Sanierungsverfahren Im Traces Dokument werden die für die Ziegenzucht bzw. Ziegenmilchproduktion relevanten Krankheiten CAE, Pseudotuberkulose und Paratuberkulose nicht benannt. Ebenso wenig die für alle Schafrassen relevanten Erkrankungen Pseudotuberkulose und Paratuberkulose sowie für spezielle Schafrassen bedeutsame Erkrankungen wie Maedi/Visna und Lungenadenomatose. Es obliegt dem Käufer, sich die Freiheit von diesen Erkrankungen durch Vorlage entsprechender Atteste bescheinigen zu lassen. C: Zoonoseerreger Aborterreger, wie Coxiella burnettii oder Chlamydia abortus, die auch bedeutsame Zoonoseerreger sind, werden nicht explizit angesprochen. Sie werden allgemein unter Punkt 2 beschrieben und dürfen in den letzten 35 Tagen im Herkunftsbestand nicht nachgewiesen worden sein. Quelle: 1. EUROPÄISCHE UNION 91/68 (2020/772) EIII Ovine/Caprine for breeding (Traces) 2. Verordnung (EG) Nr. 999/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 mit Vorschriften zur Verhütung, Kontrolle und Tilgung bestimmter transmissibler spongiformer Enzephalopathien; Amtsblatt Nr. L 147 vom 31/05/2001 S. 0001 – 0040, laut Änderung vom 16.7.2021 http://data.europa.eu/eli/reg/2021/1176/oj Kontakt Dr. Udo Moog; Schaf- und Ziegengesundheitsdienst der Thüringer Tierseuchenkasse, Jena umoog@thueringertierseuchenkasse.de 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 161

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Aufzuchtsysteme, Gesundheit, Gammaglobulinstatus und Zunahmen von Mastlämmern und -zicklein von Schweizer Milchschaf- und Milchziegenbetrieben Hanna Voigt1,2; Antonia Ruckli1; Barbara Lutz1; Nina Keil1; Madeleine F. Scriba1*; Patrik Zanolari2* 1Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen, Zentrum für tiergerechte Haltung: Wiederkäuer und Schweine, Agroscope, Ettenhausen (Schweiz); 2Universität Vetsuisse Bern, Wiederkäuerklinik, Bern, Schweiz; *beide AutorINNen haben in gleichem Maβe an der Arbeit mitgewirkt Einleitung und Zielsetzung Die anhaltend hohe Nachfrage nach Schaf- und Ziegenmilchprodukten (1) sorgt jährlich für eine große Anzahl von Jungtieren auf Schweizer Milchschaf- und Milchziegenbetrieben (2). Der größte Teil wird nicht für die Remontierung benötigt und daher für die Fleischproduktion gemästet (3). Junge Wiederkäuer sind gesundheitlich anfällig (4), auch, weil sie agammaglobulinämisch und somit ohne belastbaren Immunschutz geboren werden. Für den Aufbau eines passiven Immunschutzes sind sie auf eine ausreichende Versorgung mit Gammaglobulinen aus Kolostralmilch angewiesen (5, 6). Üblicherweise werden Jungtiere entweder muttergebunden aufgezogen oder direkt nach der Geburt von der Mutter getrennt und bis zum Abtränken mutterlos, z.B. mit Milchaustauscher, aufgezogen. Die Aufzucht der Jungtiere erfolgt entweder auf dem Herkunftsbetrieb selbst oder auf spezialisierten Mastbetrieben (3, 7, 8). Mögliche Einflüsse der verschiedenen Aufzuchtsysteme auf den Gesundheitsstatus der Jungtiere können deren Entwicklung bis zur Schlachtung maßgeblich Bisher ist nur wenig über die Aufzucht von nicht zur Nachzucht bestimmten Lämmern und Zicklein von Schweizer Milchschaf- und Milchziegenbetrieben bekannt. Das Ziel dieser Studie war daher, die in der Schweiz üblichen Aufzuchtsysteme, die Gammaglobulinversorgung, die Gewichtszunahmen sowie die Gesundheit dieser Lämmer und Zicklein zu beschreiben. Vorgehen Der Studienzeitraum erstreckte sich von November 2021 bis Mitte 2023. Auf 22 Schaf- und 17 Milchziegenbetrieben sowie deren Mastbetrieben fanden Datenerhebungen zu Management und Aufzucht sowie Einzeltiererhebungen statt. Alle Betriebe nahmen freiwillig teil. In einem Interview mit den Tierverantwortlichen wurden Informationen zu Betrieb, Aufzuchtform, Dauer des Aufenthalts bei der Mutter sowie den Tränkesystemen und verwendeten Futtermittel gesammelt. Zusätzlich wurden Absetz- und Schlachtalter erhoben. Zur Bestimmung des Gesundheitsstatus und der täglichen Zunahmen wurde eine Stichprobe von Jungtieren im Alter von 1-19 Tagen zufällig ausgewählt. Pro Betrieb und Gruppe handelte es sich um 10 % des jährlich erwarteten Nachwuchses, mit einer minimalen Anzahl von 10 und einer maximalen Anzahl von 34 Tieren. Insgesamt wurden 543 Lämmer und 247 Zicklein auf diese Weise ausgewählt. Diese wurden bei der ersten Datenerhebung (V1, Durchschnittsalter 8±3 Tagen) und der zweiten Datenerhebung (V2: V1+30±2 Tage) tierärztlich untersucht und gewogen. Das Auftreten von reduziertem Allgemeinbefinden (Kyphose, Schwäche, Apathie), Lungenproblemen (deutlich verschärftes Atemgeräusch und/ oder Nebengeräusche), Hinweisen auf Durchfall (beobachteter Durchfall und/ oder mittelgradige Verschmutzung der Anogenitalregion (modifizierter DAG-Score)) und Auffälligkeiten im Bewegungsapparat (umfangsvermehrte Gelenke und/ oder Lahmheit) wurden berücksichtigt. Sofern die Jungtiere während des Erhebungszeitraumes auf einen Mastbetrieb umgestallt wurden, wurde V2 auf diesem Betrieb durchgeführt. Bei V1 wurden zusätzlich von jeweils 5-8 Tieren der Stichprobe Blutproben gewonnen. Diese wurden auf den Gehalt an Gammaglobulinen untersucht, welche als Indikator für die Kolostrumversorgung verwendet wurden. lippengrindartigen Krusten, 162 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Ergebnisse Die Aufzuchtsysteme der besuchten Schaf- und Ziegenbetriebe zeigten sich sehr betriebsindividuell. Tabelle 1 gibt einen Überblick über die besuchten Betriebe, eingeteilt in die Kategorien «muttergebunden» und «mutterlos». Diese Einteilung wurde nach dem bei V1 verwendeten Aufzuchtsystem festgelegt. 23 % der Schaf- und 12 % der Ziegenbetriebe verwendeten innerhalb des Betriebs verschiedene Aufzuchtformen. In diesen Fällen wurde die bei der Beprobung für die Masttiere vorherrschend vorgefundene Form beschrieben. Tabelle 1: Überblick über die Charakteristiken der untersuchten Milchschaf- und Milchziegenbetriebe und ihres Fütterungsmanagements in Abhängigkeit davon, ob die Betriebe zum Zeitpunkt der ersten Datenerhebung V1 ihre Jungtiere muttergebunden (MG) oder mutterlos (ML) aufzogen Aufzuchtsystem Anzahl Betriebe davon Bio davon im Bergebiet davon mit Mastkreuzungen Betriebsgrösse Lammende (MW±SD) (Min-Max) Trennung von der Mutter vor Abtränken MW (Min-Max) Restriktive Milchmenge V1 MW (Min-Max) Restriktive Tränkehäufigkeit V1 MW (Min-Max) Restriktive Milchmenge V2 MW (Min-Max) Restriktive Tränkehäufigkeit V2 MW (Min-Max) Abgabe von Jungtieren an Mastbetriebe bis V2 Ja Ja, aber nicht alle (MW=Mittelwert, SD=Standardabweichung, d=Tage, n=Anzahl, Betr.=Betriebe, V1=erste Untersuchung (Ø Alter Jungtiere 8±3), V2=zweite Untersuchung (V1+ 30±2)) Ziegenbetriebe ML MG 11 6 27 83 66 64 55 50 75±31 38±13 (20-50) (18-120) 11 1 1.5 10.0 (0-3) - 0 6 1.58 (1.0-2.4) 7 0 2.4 (2-3) 0 2 2.5 (0-3.0) 1 0 ML 11 55 36 64 191±142 (50-600) 11 2.6 (1-5) 5 1.20 (0.8-1.6) 7 3.3 (2-6) 8 1.86 (0.9-1.6) 9 2.0 (2.0-6.0) 3 2 Einheit n % Betr. % Betr. % Betr. n/ Betr. n/ Betr. n Betr. d d n Betr. l/d l/d n Betr. n/d n/d n Betr. l/d l/d n Betr. n/d n/d n Betr. n Betr. Schafbetriebe MG 11 45 36 64 111±47 (25-200) 6 12.0 (10-18) 0 0 5 1.47 (0.9-2.0) 5 4.5 (2.5-8.0) 2 1 1 2.30 - 1 2.0 0 0 Die Dauer der Milchtränke lag planmäßig zwischen 4 und 10 Wochen für Lämmer und 5 und 12 Wochen für Zicklein. Die meisten Zicklein wurden am Ende dieser Zeit standardmäßig geschlachtet, wobei vor allem Gewicht und Jahreszeit für den Schlachtzeitpunkt ausschlaggebend waren. Nur zwei der Betriebe gaben an, regelmäßig Zicklein bis in den Sommer oder den Herbst zu mästen. Die Lämmer wurden, je nach Nachfrage, als Milchlamm geschlachtet, weiterverkauft oder innerhalb von 4 bis 13 Monaten auf etwa 40 bis 50 kg ausgemästet. Jungtiere von 8 Milchschaf- und einem der Milchziegenbetriebe wurden auf Mastbetriebe umgestallt und mit Tränkeeimern (Lämmer) oder -automat (Zicklein) abgetränkt. Die untersuchten Lämmer und Zicklein, welche auf einem externen Mastbetrieb aufgezogen wurden, verliessen den Herkunftsbetrieb durchschnittlich im Alter von 13 bzw. 9 Tagen. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 163

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ 100% der Schaf- und 94% der Ziegenbetriebe gaben an, bereits in den ersten Tagen Heu für die Jungtiere zur Verfügung zu stellen. Acht der Schaf- und einer der Ziegenbetriebe verwendeten während der Tränkephase Kraftfutter. In der mutterlosen Aufzucht der Lämmer wurden während der gesamten Tränkezeit hauptsächlich (64%) Tränkeeimer und Flaschen eingesetzt, dies traf zu V1 auch auf über die Hälfte der mutterlos aufziehenden Milchziegenbetriebe zu. Zu V2 verwendeten 82% dieser Betriebe Tränkeautomaten. Mehrheitlich wurde bei den Lämmern Kuh- oder Mischmilch vertränkt. Fast die Hälfte der mutterlos aufziehenden Milchziegenbetriebe setzte Milchaustauscher für Kälber ein. Insgesamt war das Management hinsichtlich Änderungen in der Fütterungsweise bei den Lämmern im Laufe der Tränkephase deutlich variabler als bei den Zicklein (Abb. 1). Dies traf nicht nur auf zwischenbetrieblicher, sondern auch auf innerbetrieblicher Ebene zu. Einige Schafbetriebe teilten die Tränkephase in mehrere Abschnitte hinsichtlich Tränkesystem, Milchfuttermittel und Tränkehäufigkeit ein. Abb. 1: Verwendete Milchquelle und Maststandort bei den Lämmern und Zicklein an Besuch V1 (Ø Alter 8±3) und V2 (V1+30±2 Tage). Die Milch- und Pulver-Milchfuttermittel für die künstliche Aufzucht wurden hier in «arteigen» und «artfremd» unterteilt. Diskussion und Ausblick Die deskriptive Auswertung der Daten dieser Studie ermöglicht einen ersten Überblick über die Aufzucht von nicht zur Nachzucht bestimmten Lämmern und Zicklein von Schweizer Milchschaf- und Milchziegenbetrieben. Es zeigte sich, dass das Management der Betriebe sehr variabel war. Neben der muttergebundenen und mutterlosen Aufzucht gab es auch eine Zwischenform, bei der während der Tränkephase von muttergebunden zu mutterlos gewechselt wurde. Die Mast erfolgte entweder vollständig auf dem Herkunftsbetrieb oder es erfolgte ein Wechsel zu einem Mastbetrieb. Zwar können wir davon ausgehen, dass die Vielfalt der Vorgehensweisen die Schweizerischen Verhältnisse weitestgehend repräsentiert, jedoch ist durch die Freiwilligkeit der Teilnahme sowie der begrenzten Stichprobengrössen eine Über- oder Unterrepräsentation einzelner Aufzuchtsysteme wahrscheinlich. Die Gammaglobulingehalte, Zunahmen und die Untersuchungsbefunde wiesen ebenfalls eine hohe Varianz innerhalb und zwischen den Aufzuchtsystemen auf. Da pro Betrieb je nur eine limitierte Anzahl von Jungtieren über einen begrenzten Zeitraum verfolgt wurde, dürften zufällige Ereignisse wie akute Infektionsgeschehen einen nicht zu vernachlässigbaren Einfluss auf die Ergebnisse haben. Des Weiteren konnten wir feststellen, 164 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ dass das Management stetigen Anpassungen an die jeweilige Markt- und Betriebssituation unterworfen ist. Somit sind die präsentierten Daten eine Momentaufnahme zum Zeitpunkt des jeweiligen Besuchs. Mit der vorgefundenen Datengrundlage zur Gammaglobulinversorgung der Tiere können möglicherweise Aufzuchtsysteme identifiziert werden, die sich als besonders vielversprechend in Hinblick auf Tiergesundheit und -Entwicklung darstellen. Diese müssen in weitergehenden Untersuchungen systematisch auf ihre Eignung überprüft werden. Interessant wäre zudem auch einzubeziehen, inwiefern sich Unterschiede zwischen den Verfahren wirtschaftlich niederschlagen. zur Gesundheit, Gewichtsentwicklung und 8.5±2.3 37.7±2.8 --- 36.2±1.2 7.5±3.1 37.0±3.2 --- 36.7±3.1 7.5±2.8 37.9±3.4 ML 180 162 10 0 ML 311 276 72 16 TMG --- 12 0 0 TMG --- 115 45 55 Ziegenbetriebe MG 67 53 0 0 Schafbetriebe MG 232 102 0 4 7.8±3.1 38.4±4.1 7.25±1.42 16.66±3.14 0.31±0.08 65 0.96±0.47 Tabelle 2: Gewichtszunahmen, Versorgung mit Gammaglobulinen und Gesundheitsdaten der beprobten Jungtiere der Schaf- und Ziegenbetriebe unterteilt nach muttergebundener (MG) und mutterloser Aufzucht (ML) zu V1; MG spaltet sich zu V2 in MG und teilweise muttergebundene (TMG; V1=muttergebunden, V2=mutterlos) Aufzucht auf Tierart Aufzuchtsystem Anzahl Jungtiere V1 (n) V2 (n) davon auf Mastbetrieben (n) davon abgesetzt (n) Alter V1 (d, MW±SD) V2 (d, MW±SD) Gewicht V1 (kg, MW±SD) V2 (kg, MW±SD) Tageszunahmen (kg/d, MW±SD) Gammaglobuline V1 Proben (n) Gehalt (g/dl, MW±SD) Lippengrindartige Veränderungen 3.0 V1 (%) V2 (%) 2.0 Gestörtes Allgemeinbefinden 4.7 V1 (%) V2 (%) 3.9 Lungengeräusche 5.9 V1 (%) V2 (%) 5.9 Kotverschmutzung/ Durchfall 2.6 V1 (%) V2 (%) 3.9 Bewegungsapparat V1 (%) V2 (%) (MW=Mittelwert, SD=Standardabweichung, d=Tage, n=Anzahl, V1=erste Untersuchung (Ø Alter Jungtiere 8±3), V2=zweite Untersuchung (V1+ 30±2), % = Anteil der untersuchten Tiere, die das entsprechende Symptom zeigten) Danksagung und Förderhinweis 6.11±1.26 12.83±3.02 0.22±0.08 72 0.92±0.61 6.60±0.98 12.79±1.73 0.21±0.04 32 1.28±0.54 5.63±1.20 12.32±2.69 0.23±0.07 63 1.36±0.81 --- 10.69±1.08 0.16±0.02 --- --- 13.42±2.42 0.21±0.07 --- --- 0.0 --- 0.0 --- 7.0 --- 8.7 0.0 0.0 0.0 1.9 0.0 0.0 1.5 0.0 0.0 0.0 3.9 5.6 0. 6 7.4 --- 16.7 --- 0.0 4.8 12.3 1.9 2.9 --- 21.7 --- 0.9 5.8 4.7 2.0 6.6 --- 11.3 1.3 13.8 1.7 4.9 --- 0.0 0.0 11.1 9.4 4.3 1.7 1.2 Wir bedanken uns bei allen teilnehmenden Landwirten und Landwirtinnen für ihre Unterstützung und beim BLV und der Eva-Husi Stiftung für Tierschutz für die Finanzierung der Studie. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 165

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Literatur 1. Agristat (2021): Milchstatistik der Schweiz, MISTA2021_def_online.pdf (sbv-usp.ch), erschienen September 2022, Kapitel 7.3., Seite 76 Identitas AG (2023): Tierstatistik Schweiz (https://tierstatistik.identitas.ch/, abgerufen am 31.08.2023) 2. 3. Meijer E, Goerlich VC, van den Brom R, et al., Perspectives for buck kids in dairy goat farming. Front Vet Sci.,2021, 8:662102, doi.10.3389/fvets.2021.662102. 4. Binns S.H, Cox I.J., Rizvi S. et al., Risk factors for lamb mortality on UK sheep farms, Preventive Veterinary Medicine, 2002, Volume 52, Issues 3–4, Pages 287-303, doi.10.1016/S0167-5877(01)00255-0. 5. Alves AC, Alves NG, Ascari IJ, et al., Colostrum composition of Santa Inês sheep and passive transfer of immunity to lambs, Journal of Dairy Science, 2015, 98(6):3706-16, doi.10.3168/jds.2014-7992. 6. Agenbag B, Swinbourne A M, Petrovski K et al., Lambs need colostrum: A review, Livestock Science, 2021, Volume 251,104624, doi.10.1016/j.livsci.2021.104624 7. Belanche A, Cooke J, Jones et al., Short- and long-term effects of conventional and artificial rearing strategies on the health and performance of growing lambs, Animal, 2019, 13(4):740-749, doi.10.1017/S1751731118002100. 8. Bélanger-Naud S, Cinq-Mars D, Julien C, Arsenault J, Buczinski S, Lévesque J, Vasseur E, A survey of dairy goat kid-rearing practices on Canadian farms and their associations with self-reported farm performance, Journal of Dairy Science, Volume 104, Issue 9, 2021, Pages 9999-10009, doi.10.3168/jds.2020-18663. Kontakt Hanna Voigt; Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen, Zentrum für tiergerechte Haltung: Wiederkäuer und Schweine, Agroscope, Ettenhausen (Schweiz) hanna.voigt@agroscope.admin.ch 166 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Zoonose-Risiko durch kleine Wiederkäuer Ben Bauer Klinik für kleine Klauentiere, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover Gemäß der WHO ist eine Zoonose "eine Krankheit oder Infektion, die auf natürlicherweise von Wirbeltieren auf den Menschen übertragen werden kann". Zoonotische Erreger können bakteriell, viral, parasitär oder pilzartig sein. Sie können auf verschiedene Art und Weisen auf den Menschen übertragen werden, wie beispielsweise durch direkten Kontakt, Inhalation, alimentär oder durch Vektoren wie Zecken und Stechmücken. Das Bewusstsein für zoonotische Erreger bei kleinen Wiederkäuern hat in den letzten Jahren zugenommen. In Europa sind in den letzten beiden Jahrzehnten verschiedene zoonotische Krankheiten aufgetreten. In den Niederlanden verursachten mit Coxiella burnetii-infizierte Milchziegen den weltweit größten Ausbruch an humanem Q-Fieber-Fällen von 2007 bis 2012 [1]. Enorme Anstrengungen wurden unternommen, um die Infektion auf Milchziegenbetrieben zu kontrollieren. Darüber hinaus trug die intensive Forschung dazu bei, ein besseres Verständnis für C. burnetii zu entwickeln. In anderen europäischen Ländern sind humane Q-Fieber- Fälle mit lammenden Schafen in Verbindung gebracht worden [2]. Neue Forschungsergebnisse zeigen, dass ganzjährige Lammung das Risiko von C. burnetii in Schafherden erhöht [3]. Die Impfung weiblicher Nachkommen vor der Bedeckung ist eine wirksame und kostengünstige Methode zur Verhinderung von C. burnetii-Ausbrüchen in Schafherden [4]. Der Konsum von Rohmilch/-produkten erfreut sich immer größerer Beliebtheit und über neue Vertriebswege wie Verkaufsautomaten und Internetverkauf wird Rohmilch/-produkte angeboten. Durch Rohmilch/-produkte können nicht nur klassische Pathogene wie thermophile Campylobacter und Listerien übertragen werden, sondern auch weniger im Fokus stehende Erreger. In mehreren Ländern wie Deutschland, der Slowakei und Kroatien haben sich Personen mit dem Frühsommer-Meningoenzephalitis-Virus (FSMEV) durch den Konsum von Ziegenrohmilch/-käse infiziert [5-7]. FSMEV wird von infizierten Zecken auf Ziegen übertragen. Diese scheiden das FSMEV bis zu 23 Tagen nach der Infektion mit der Milch aus und stellt damit ein Risiko dar, alimentär sich mit dem Virus zu infizieren [8]. Daher ist es empfehlenswert die Milch zu pasteurisieren. Mit der stetigen Weiterentwicklung von molekularbiologischen Methoden ist die Identifizierung des zoonotischen Potentials bisher vernachlässigter Pathogenen möglich. Zum Beispiel wird das klassische Borna- Virus (BoDV-1) nach aktuellem Wissensstand nicht von infizierten Schafen auf Menschen übertragen. Die Feldspitzmaus (Crocidura leucodon) gilt als Reservoir des BoDV-1, und der Erreger wird durch deren Ausscheidungen auf Menschen, Schafe, Pferde und Alpakas übertragen [9]. Trotz des Risikos der Erregerübertragung von kleinen Wiederkäuern auf den Menschen, können kleine Wiederkäuer auch für Surveillance-Programme als Sentinel-Tiere eingesetzt werden, um frühzeitig Infektionen von zoonotischen Erregern (z. B. FSMEV und Rifttal-Fieber-Virus) zu identifizieren [10,11]. Ein interdisziplinärer Ansatz ist dringend erforderlich, um die Übertragung von Zoonoseerregern zu verhindern. Deshalb ist die enge Zusammenarbeit zwischen Human- und Veterinärmedizin sowie Wissenschaftlern aus anderen Bereichen wie Ökologie und Meteorologie wünschenswert. Die Verknüpfung von Daten aus passiven und aktiven Überwachungsprogrammen zukünftige Krankheitsausbrüche erhöhen. Literatur verschiedener Disziplinen kann die „Awareness“ für 1. 2. 3. Vellema, P.; van den Brom, R. The rise and control of the 2007-2012 human Q fever outbreaks in the Netherlands. Small Rumin. Res. 2014, 118, 69-78. https://doi.org/10.1016/j.smallrumres.2013.12.006 Georgiev, M.; Afonso, A.; Neubauer, H.; Needham, H.; Thiery, R.; Rodolakis, A.; Roest, H.J.; Stark, K.D.; Stegeman, J.A.; Vellema, P. Q fever in humans and farm animals in four European countries, 1982 to 2010. Eur Surveill 2013, 18. Wolf, A.; Prüfer, T.L.; Schoneberg, C.; Campe, A.; Runge, M.; Ganter, M.; Bauer, B.U. Risk factors for an infection with Coxiella burnetii in German sheep flocks. Epidemiol. Infect. 2020, 148, 1-9. https://doi.org/10.1017/S0950268820002447 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 167

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. Böttcher, J.; Bauer, B.U.; Ambros, C.; Alex, M.; Domes, U.; Roth, S.; Boll, K.; Korneli, M.; Bogner, K.H.; Randt, A., et al. Long-term control of Coxiellosis in sheep by annual primary vaccination of gimmers. Vaccine 2022, 40, 5197-5206. https://doi.org/10.1016/j.vaccine.2022.07.029 Markovinović, L.; Kosanović Ličina, M.L.; Tešić, V.; Vojvodić, D.; Vladušić Lucić, I.; Kniewald, T.; Vukas, T.; Kutleša, M.; Krajinović, L.C. An outbreak of tick-borne encephalitis associated with raw goat milk and cheese consumption, Croatia, 2015. Infection 2016, 44, 661-665. https://doi.org/10.1007/s15010-016-0917-8 Dorko, E.; Hockicko, J.; Rimárová, K.; Bušová, A.; Popaďák, P.; Popaďáková, J.; Schréter, I. Milk outbreaks of tick- borne encephalitis in Slovakia, 2012-2016. Cent. Eur. J. Public Health 2018, 26 Suppl, S47-s50. https://doi.org/10.21101/cejph.a5272 Brockmann, S.; Oehme, R.; Buckenmaier, T.; Beer, M.; Jeffery-Smith, A.; Spannenkrebs, M.; Haag-Milz, S.; Wagner- Wiening, C.; Schlegel, C.; Fritz, J., et al. A cluster of two human cases of tick-borne encephalitis (TBE) transmitted by unpasteurised goat milk and cheese in Germany, May 2016. Eurosurveillance 2018, 23, 17-00336. https://doi.org/10.2807/1560-7917.ES.2018.23.15.17-00336 Balogh, Z.; Egyed, L.; Ferenczi, E.; Bán, E.; Szomor, K.N.; Takács, M.; Berencsi, G. Experimental infection of goats with tick-borne encephalitis virus and the possibilities to prevent virus transmission by raw goat milk. Intervirology 2012, 55, 194-200. https://doi.org/10.1159/000324023 Bauswein, M.; Eidenschink, L.; Knoll, G.; Neumann, B.; Angstwurm, K.; Zoubaa, S.; Riemenschneider, M.J.; Lampl, B.M.J.; Pregler, M.; Niller, H.H., et al. Human Infections with Borna Disease Virus 1 (BoDV-1) Primarily Lead to Severe Encephalitis: Further Evidence from the Seroepidemiological BoSOT Study in an Endemic Region in Southern Germany. Viruses 2023, 15, 188. https://doi.org/10.3390/v15010188 Bauer, B.U.; Könenkamp, L.; Stöter, M.; Wolf, A.; Ganter, M.; Steffen, I.; Runge, M. Increasing awareness for tick- borne encephalitis virus using small ruminants as suitable sentinels: Preliminary observations. One Health 2021, 12, 100227. https://doi.org/10.1016/j.onehlt.2021.100227 Lichoti, J.K.; Kihara, A.; Oriko, A.A.; Okutoyi, L.A.; Wauna, J.O.; Tchouassi, D.P.; Tigoi, C.C.; Kemp, S.; Sang, R.; Mbabu, R.M. Detection of Rift Valley fever virus interepidemic activity in some hotspot areas of Kenya by sentinel animal surveillance, 2009–2012. Vet. Med. Int. 2014, 2014. https://doi.org/10.1155/2014/379010 Kontakt PD Dr. Ben Bauer; Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover, Klinik für kleine Klauentiere Benjamin.Bauer@tiho-hannover.de 168 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Auftreten von Bornavirus 1 Antikörpern bei Lamas und Alpakas Thomas Wittek1, Sibylle Herzog2, Christine Lendl3, Leonie Danner1 1Universitätsklinik für Wiederkäuer, Veterinärmedizinische Universität Wien (Österreich); 2Institut für Virologie, Justus-Liebig-University Gießen (Deutschland); 3Tierarztpraxis Dr. med. vet. P. Stelzer, Berg (Deutschland) Einleitung Die Bornasche Krankheit ist eine häufig akut oder selten chronisch verlaufende Meningoenzephalomyelitis, die außer bei Equiden und Schafen, gelegentlich auch bei anderen Spezies auftreten kann. Neben den klinischen Erkrankungen kommt es bei einer Reihe von Tieren zu subklinisch verlaufenden Infektionen. Der Erreger Borna Disease Virus 1 (BoDV1) wird über die Feldspitzmaus (Crocidura leucodon) übertragen und ist ein einzelsträngiges, behülltes RNA-Virus, das der Ordnung Mononegavirales der Familie Bornaviridae zugeordnet ist. Die Feldspitzmaus stellt das Virusreservoir dar, Infektionen ausgehend von den infizierten Nebenwirten treten nicht auf. Zielstellung der Untersuchung In den letzten Jahren hat es in Deutschland auch bei domestizierten Neuweltkamelen Berichte über tödlich verlaufende Erkrankungen nach Infektion mit dem Bornavirus gegeben. Die Verbreitung des Virus in der Alpaka- und Lamapopulation ist aber nur ansatzweise bekannt. Daraus leitet sich die Zielstellung der Untersuchung ab, die Prävalenz von Antikörpern gegen Bornavirus 1 in der österreichischen und süddeutschen (Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg) Neuweltkamelpopulation an einer größeren Stichprobe von Tieren zu untersuchen. Material und Methoden Die Herden nahmen freiwillig an den Untersuchungen teil, beim Betriebsbesuch wurden unabhängig von der Herdengröße pro Herde von maximal 5 Tieren Blutproben entnommen. Des Weiteren wurden Fragebögen eingesetzt, um die Halterinnen und Halter der Tiere hinsichtlich ihres Wissens über die Bornasche Krankheit, deren Symptome, eventuelle aufgetretene Todesfälle und Schadnagerbekämpfung zu befragen. In Österreich wurden 438 Blutproben von Alpakas und Lamas aus 86 Herden ausgewertet. Die Untersuchung in Süddeutschland ist gegenwärtig noch nicht abgeschlossen. Es ist geplant ebenfalls ca. 500 Proben zu sammeln. Die Serumproben wurden auf Antikörper gegen das Virus der Bornaschen Krankheit (BoDV 1) am Institut für Virologie der Justus-Liebig-Universität Gießen mittels indirekter Immunfluoreszenz getestet. Ergebnisse Von den 438 österreichischen Blutproben stammten 263 von Alpakas und 175 von Lamas. Positive Antikörpertiter wurden bei fast 12 % der Tiere (52/438) nachgewiesen. Hierbei waren 22 der 158 weiblichen Alpakas (14 %) und 7 der 104 männlichen Alpakas (6,7 %) positiv, während 11 von 72 weiblichen Lamas (15,3 %) und 11 von 102 männlichen Lamas (10,8 %) einen Antikörpertiter aufwiesen. Positive Tiere kamen in Wien (5/21) häufiger vor als in Salzburg (0/38) (p=0,0086) und Oberösterreich (3/66) (p=0,0032). Im Burgenland (4/24), der Steiermark (15/100), Niederösterreich (10/64), Kärnten (8/61), Tirol (3/48) und Vorarlberg (1/17) konnten ebenfalls Antikörper nachgewiesen werden. Rund 85 % der befragten Halter (23/27) war die Bornasche Krankheit unbekannt. Ein Drittel gab an, Symptome, die bei BoDV auftreten können, wie Lahmheit, Gleichgewichtsstörungen, Apathie oder Gewichtsverlust, bemerkt zu haben. Knapp ein Viertel verzeichneten auch plötzliche Todesfälle, die mit neurologischen Störungen einhergingen, jedoch wurde in keinem Krankheitsfall auf das Virus getestet. Die Ergebnisse der Untersuchungen in Süddeutschland liegen gegenwärtig noch nicht vollständig vor, es sind aber auch in Süddeutschland Antikörper aufgetreten. Die Ergebnisse werden zumindest teilweise während des Vortrages auf der Tagung vorgestellt. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 169

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Schlussfolgerungen Die Studie bestätigt, dass Alpakas und Lamas in Österreich Kontakt mit dem BoDV hatten. Bei 11,9 % der klinisch unauffälligen Tiere konnten Antikörper gegen BoDV nachgewiesen werden. Die höhere Seroprävalenzrate in den östlichen und südlichen Bundesländern stimmt mit einer stärkeren Verbreitung der Feldspitzmaus (Crocidura leucodon) in diesen Regionen überein. Auch wenn klinische Erkrankungen offensichtlich selten auftreten, muss die Bornasche Krankheit in die Differentialdiagnostik bei zentralnervösen Erkrankungen einbezogen werden. Literatur 1. Danner LI, Herzog S, Lendl C, Wittek T. Seroprevalence of Borna disease virus antibodies in alpacas and llamas in Austria. Wien Tierarztl Monat – Vet Med Austria. 2023;110:Doc4. DOI: 10.5680/ wtm000018 2. Schulze V, Grosse R, Fürstenau J, Forth LF, Ebinger A, Richter MT, et al. Borna disease outbreak with high mortality in an alpaca herd in a previously unreported endemic area in Germany. Transbound Emerg Dis. 2020;67:2093–2107. Kontakt Prof. Dr. Thomas Wittek; Universitätsklinik für Wiederkäuer, Veterinärmedizinische Universität Wien Thomas.Wittek@vetmeduni.ac.at 170 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Lassen sich Spurenelementmängel mit Hilfe von Pansenboli bekämpfen? Ein Fallbericht. Martin Ganter und Nina Ossowski Klinik für kleine Klauentiere der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover Einleitung Die Hersteller von Spurenelementboli betreiben sehr viel Werbung bei den Schafhaltern durch die Argumentation, dass Boli in extensiven Haltungen in vielen anderen Ländern, insbesondere in England, routinemäßig eingesetzt werden. Bei derartigen Versprechungen ist zu beachten, dass Boli auf verschiedenen Herstellungstechniken basieren können. Die im deutschen Landhandel frei verkäuflichen Boli bestehen zumeist aus Wachs, in welches die Spurenelemente eingemischt und gepresst werden. Meist werden zwei Teilboli zeitgleich eingegeben, die sich gegenseitig im Pansen abreiben sollen. Die Versorgung der mit Boli ausgestatteten Schafe häng einerseits von den Mengen der eingearbeiteten Spurenelemente, sowie vom verwendeten Wachs und Pressdruck ab. Zweifel über die Wirksamkeit tauchen bei den Tierhaltern auf, wenn bei der Schlachtung der Tiere Monate nach der Bolus-Eingabe die Boli kaum verändert im Pansen vorgefunden werden. Die Hersteller argumentieren in diesen Fällen, dass die nur in sehr geringen Mengen benötigten Spurenelemente mit Eisen und Inertem Eisen vermischt sind und zu sehr hoch verdichteten Presslingen (Pellets) verarbeitet werden. Diese Presslinge geben die Spurenelemente nicht ab indem sie sich auflösen, sondern durch mikroskopisch kleine Poren. Die Trägersubstanz verbleibt nach der aktiven Zeit noch eine gewisse Zeit in der Haube der Tiere. Irgendwann korrodieren die Boli und werden ausgeschieden. So bleiben immer einige Boli im Netzmagen, was durchaus Teil des Systems ist, denn sie reiben aneinander und halten sich so gegenseitig ihre Oberfläche frei, die ansonsten von einer Kalkschicht überzogen wird, was die Abgabe der Spurenelemente erschwert. Problematisch ist insbesondere, dass ein Teil der Boli in Deutschland nicht verfügbar oder für die Anwendung bei Lämmern nicht geeignet ist. Bei einer anderen Sorte Boli werden die Spurenelemente in ein Spezialglas eingegossen, das sich sowohl bei Sonnenlicht, als auch im Pansen langsam zersetzt. In der Vergangenheit wurden wir immer wieder gefragt, wie effektiv die Gabe von Spurenelementboli sei. Es gibt immer wieder Hinweise darauf, dass je nach Herstellungstechnik ein Mangel an beispielsweise Selen und Cobalt nicht in ausreichendem Maße ausgeglichen werden kann. Aufgrund dieser Unsicherheiten hat ein Schäfer seine Lämmer mit unterschiedlichen Boli versorgt und bat uns vier Wochen nach Bolus-Eingabe die Selenkonzentration im Plasma zu überprüfen. Anamnese In einem niedersächsischen Schafzuchtbetrieb mit 500 Moorschnucken-Kreuzungs-Muttern zeigten sich vermehrt Sauglämmer mit anfänglicher Saugunlust und Mastlämmer mit geringen Tageszunahmen und strohigem Vlies. Die Herde weidet hauptsächlich auf Naturschutzflächen in Moor und Heide. In der Vergangenheit wurde trotz Gabe von ausreichend Mineralfutter wiederholt Selen- und auch Kupfermangel in Routineblutproben festgestellt. Es wurde versucht, diesen durch die erhöhte Gabe von Mineralfutter mit 50mg/kg Selen auszugleichen. Obwohl sich bei der Überprüfung der Spurenelementversorgung die Selenkonzentrationen im Serum kontinuierlich erhöhten, wurde die untere Grenze des Referenzbereichs nicht erreicht. Untersuchungen Aufgrund dessen wurde die Fütterung in 2022 kontrolliert, jedoch konnte hier keine weitere Ursache für die Symptomatik festgestellt werden. Die Mutterschafe sind nur während des Ablammens im Stall, den Rest des Jahres grasen sie auf extensiven Heide- und Moorflächen. Um eine Endoparasitose als mögliche Ursache auszuschließen, wurden Kotproben entnommen in welchen keine hohe Belastung mit gastrointestinalen 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 171

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ sowie Kokzidien nachgewiesen werden stichprobenartig Nematoden Allgemeinuntersuchungen bei auffälligen Lämmern durchgeführt, die die Symptome bestätigten. Abschließend wurden Serumproben entnommen um die Spurenelementversorgung zu überprüfen. In 30 Serumproben von klinisch auffälligen Tieren lag der Selengehalt bei 22 Tieren unter der Referenzgrenze von 80 µg/l. konnte. Zudem wurden Darüber hinaus schickte der Schäfer Leberproben von geschlachteten Lämmern ein um den Kupfer-, Kobalt- und Selengehalt untersuchen zu lassen. Auch hier ließ sich der gravierende Spurenelementmängel bestätigen. Um den Selenmangel auszugleichen, applizierte der Schafhalter selenhaltige Pansenboli zwei verschiedener Hersteller (Bolus 1 mit Wachs-Matrix; Bolus 2 mit Glas-Matrix) an jeweils zehn Lämmer. Alle Tiere hatten ad libitum Zugang zu Mineralfutter. Vier Wochen nach der Bolusverabreichung zeigten Kontrollblutproben, dass nur Tiere, die mit Bolus 2 versorgt wurden, einen signifikanten Anstieg des Serum- Selenspiegel um etwa 30% verzeichnen konnten. In der Lämmergruppe, die mit Bolus 1 versorgt war, stieg die Selen-Serumkonzentration nicht signifikant um 11% an und fast alle Tiere blieben weiterhin unter der Referenzgrenze. Differentialdiagnosen Als Differentialdiagnose für solche unspezifischen Symptome kommt eine Vielzahl von Ursachen in Frage. Endoparasiten können die Magen- und Darmschleimhaut nachhaltig schädigen, so dass die im Futter enthaltenen Nährstoffe nicht ausreichend aufgenommen werden können. Sowohl eine chronische Unterversorgung als auch eine chronische Überversorgung mit Spurenelementen, wie z.B. Selen, kann die auftretenden Symptome verursachen. Eine pauschale Empfehlung zur Behandlung von Selen-Mängeln durch die Gabe von selenhaltigen Boli kann nicht ohne Einschränkungen gegeben werden. Eine regelmäßige Kontrolle des Behandlungserfolges ist angeraten. Kontakt Prof. Dr. Martin Ganter; Klinik für kleine Klauentiere der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover Martin.Ganter@tiho-hannover.de 172 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Zusammenhang zwischen der Ausscheidung von Nematodeneiern im Kot und klinischen Parametern bei Milchschafen Floriana Sajovitz1, Isabella Adduci2, Shi Yan2, Sandra Wiedermann2, Annika Gruber2, Elisabeth Steindl2, Lutz Arnicke2, Hannah Lugmayr1, Alexander Tichy3, Anja Joachim2, Thomas Wittek1, Barbara Hinney2, Katharina Lichtmannsperger1 1Universitätsklinik für Wiederkäuer, Veterinärmedizinische Universität Wien (Österreich); 2Institut für Parasitologie, Veterinärmedizinische Universität Wien (Österreich); 3Plattform Bioinformatik und Biostatistik, Veterinärmedizinische Universität Wien (Österreich) Einleitung Gastrointestinale Nematodeninfektionen, besonders jene mit Trichostrongyliden, können führen. Besonders bei Milchschafen in der Schafhaltung zu erheblichen wirtschaftlichen Einbußen finden Anthelminthika während der Laktationsperiode aufgrund der Wartezeit nur begrenzt Anwendung (Auswertung des Fragebogens im Zuge der Studie). Eine gezielte selektive Behandlung (targeted selective treatment) soll dazu beitragen infizierte Schafe zu erkennen und jene zu behandeln, welche am meisten davon profitieren. Zur Identifizierung solcher Tiere werden unterschiedliche Überwachungsparameter angewandt (z.B. FAMACHA©, Body Condition Score (BCS), Verschmutzungs-Score „Dag Score“), welche im Zuge der klinischen Untersuchung beurteilt werden können. Zur Identifizierung von Einzeltieren, welche erheblich für die Weidekontamination verantwortlich sind, können die Eizahlen pro Gramm Kot untersucht werden. Frühere Studien haben gezeigt, dass sich klinische Parameter mit zunehmender Eiausscheidung verändern können. Ziel dieser Studie war es, Zusammenhänge zwischen der parasitologischen Untersuchung (Eizahl pro Gramm Kot) und Befunden der klinischen Untersuchung in Milchschafherden in Österreich zu untersuchen. Material und Methode Betriebe (n=16) wurden auf freiwilliger Basis in die Studie einbezogen. Insgesamt wurden 1.195 laktierende Milchschafe im Zeitraum zwischen Februar und Juni einzeln beprobt und hinsichtlich der Farbe der Lidbindehäute (FAMACHA© Score), der Körperkondition (BCS) und des Verschmutzungsgrades (Dag-Score) beurteilt. Hierzu wurden standardisierte Arbeitsanweisungen herangezogen. Zur Bestimmung der Eizahl pro Gramm Kot wurde die Mini-FLOTAC-Methode verwendet. Anschließend folgten Untersuchungen in Pools auf Betriebsebene (Larvendifferenzierung) und innerhalb des Betriebes (Sedimentation, Baermann-Wetzel- Methode). Zur Berechnung des Zusammenhangs der einzelnen Parameter zur fäkalen Eizahl wurden Spearman-Rangkorrelationskoeffizienten berechnet. Ergebnisse Alle inkludierten Betriebe zeigten eine Infektion mit gastrointestinalen Trichostrongyliden, wobei insgesamt 95 % der untersuchten Schafe positiv getestet wurden. Neben einer hohen Anzahl an infizierten Schafen mit Haemonchus contortus konnten auch kleine und große Leberegel, sowie kleine Lungenwürmer nachgewiesen werden. Der FAMACHA© Score korrelierte schwach positiv mit der Eiausscheidung, während die Körperkondition (BCS) eine negative Korrelation aufwies. Für den Verschmutzungsgrad (Dag-Score) konnte kein signifikanter Zusammenhang mit der Eiausscheidung nachgewiesen werden. Diskussion Die Studie konnte zeigen, dass das Ergebnis der klinischen Untersuchung hinsichtlich des FAMACHA© Scores und des BCS jeweils mit der Eiausscheidung pro Gramm Kot bei Milchschafen in Österreich schwach korreliert. Der Dag Score zeigte keinen statistischen Zusammenhang. Obwohl bei der Mini-FLOTAC-Methode ausschließlich Trichostrongylideneier berücksichtigt wurden, sollte beachtet werden, dass neben H. contortus, auch der große Leberegel, Fasciola hepatica, für Anämien parasitären Ursprungs verantwortlich sein kann und somit das Ergebnis beeinflussen kann. Auch muss bei solchen Untersuchungen beachtet werden, dass die 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 173

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Wurmbürde und die Eiausscheidung nicht miteinander korrelieren und eine diskontinuierliche Eiausscheidung zu erwarten ist. Eine Limitation ist hier die Beprobung an nur einem Zeitpunkt. Schlussfolgerung Die Ergebnisse zeigen, dass klinische Parameter schwach bis nicht mit der Eiausscheidung pro Gramm Kot korrelieren. Durch die alleinige Beurteilung klinischer Parameter können somit keine Schafe mit einer hohen Eiausscheidung erkannt werden. Hochausscheider, welche für den Großteil der Weidekontamination verantwortlich sind, können für empfängliche Schafe ein hohes Risiko in der Herde darstellen. Die Studie unterstreicht, dass nicht nur verschiede Aspekte, wie die Immunität der Schafe, die Wurmbürde, andere Parasiteninfektionen oder auch die Fruchtbarkeit einzelner Wurmspezies zu berücksichtigen sind, sondern auch die klinische Untersuchung des Einzeltieres nicht vernachlässigt werden darf. Je nachdem, welches Ziel die Untersuchung hat Identifizierung erkrankter Tiere) sollte dementsprechend gehandelt werden. Literatur (Identifizierung Hochausscheider vs. 1. Sajovitz F. et al., Correlation of faecal egg counts with clinical parameters and agreement between different raters assessing FAMACHA©, BCS and dag score in Austrian dairy sheep, zur Veröffentlichung eingereicht Kontakt Mag. Floriana Sajovitz; Universitätsklinik für Wiederkäuer, Vetmeduni Wien, Österreich Floriana.Sajovitz@vetmeduni.ac.at 174 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Wirksamkeit von Anthelminthika – wie ist die Lage in Deutschland? Katja Voigt1, Maximilian Geiger1, Miriam Jäger2, Gabriela Knubben-Schweizer1, Christina Strube3, Yury Zablotski1 1Klinik für Wiederkäuer mit Ambulanz und Bestandsbetreuung, Ludwig-Maximilians-Universität München; 2Labor ParaDocs, Veterinär-biologische Spezialdiagnostik, Ismaning; 3Institut für Parasitologie, Zentrum für Infektionsmedizin, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover Einleitung Anthelminthikaresistenzen gefährden zunehmend die Kleinwiederkäuerhaltung weltweit. Während Benzimidazolresistenzen in Deutschland seit längerem bekannt sind und als weit verbreitet eingeschätzt werden, ist die Resistenzlage anderer Anthelminthikaklassen nur wenig untersucht. Bisherige Studien und Fallberichte aus Deutschland geben jedoch Hinweise auf die Existenz von Resistenzen gegen Avermectine, Moxidectin und Levamisol. Daten zu Monepantel und Closantel liegen bislang nicht vor, ebensowenig wie ein aktuelles, deutschlandweites Bild bezüglich des Ausmaßes und der Verbreitung einer möglichen Unwirksamkeit durchgeführter Behandlungen gegen Magen-Darm-Strongyliden kleiner Wiederkäuer. In dieser deutschlandweit angelegten Studie sollte daher der Erfolg in der Praxis durchgeführter anthelminthischer Behandlungen in vivo mittels Eizahlreduktionstest untersucht werden. Material und Methoden Teilnahmeberechtigt waren schaf- oder ziegenhaltende Betriebe mit mindestens 15 Tieren aller Altersgruppen, Weidegang und einer Ausgangs-Eiausscheidung von >200 Eiern pro Gramm Kot (EpG) in der initialen Kotuntersuchung. Drei Poolproben zu je fünf Tieren wurden je Herde mittels eines modifizierten McMaster-Verfahrens jeweils vor und, soweit teilnahmeberechtigt, 7-21 (Median: 12) Tage nach Behandlung untersucht. Zudem wurde vor und nach Behandlung der Anteil an Haemonchus-contortus-Eiern mittels Fluoreszenzfärbung bestimmt. Behandlungen wurden durch die Tierhalter/innen in Zusammenarbeit mit den betreuenden Tierärzten/Tierärztinnen durchgeführt. Korrekte Probennahme und Behandlung waren durch genaue Handlungsanweisungen beschrieben, und über Fragebögen wurden Informationen zur Herde und zur durchgeführten Behandlung erhoben (u.a. verwendetes Produkt, Applikationsart, Dosierung). Tierartspezifisch wurden je nach verwendeter Dosierung die Behandlungen als „korrekt“, „unterdosiert“ oder „überdosiert“ eingeteilt. Unterdosierte Tiergruppen wurden von der Auswertung des Behandlungserfolgs ausgeschlossen. Bei einer ermittelten Eizahlreduktion einer untersuchten Tiergruppe von ≥ 95 % wurde die Behandlung als erfolgreich eingestuft. Statistische Analysen erfolgten in R Version 4.0.3. Tabelle 1: Anteil nicht erfolgreicher Behandlungen (Eizahlreduktion <95%) an der Gesamtzahl von 253 Behandlungen aus 223 Kleinwiederkäuerherden pro verwendeter Anthelminthikaklasse. Anthelminthikaklasse (Anwendung in Schaf- / Ziegenherden (Anzahl Behandlungen)) Anzahl und Anteil nicht erfolgreicher Behandlungen Moxidectin1 (86/14) Avermectine2 (5/3) Levamisol3 (41/3) Monepantel1 (25/3) Benzimidazole1 (44/12) Closantel & Mebendazol1 (17/0) (Kombinationspräparat) Schaf 39 (45.3%) 3 (60%) 6 (14.6%) 3 (12.0%) 23 (52.3%) 2 (11.8%) Ziege 3 (21.4%) 3 (100%) 3 (100%) 1 (33.3%) 6 (50%) - 1orale Präparate; 2Injektionspräparate mit Ausnahme einer mit Pour-on Präparat behandelten Ziegengruppe; 3orale Präparate mit Ausnahme einer per injectionem behandelten Schafgruppe 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 175

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Ergebnisse Insgesamt konnten nach Ausschluss unterdosierter Ziegengruppen (n=17 aus 10 Beständen) sowie einzelner Tiergruppen wegen Nicht-Einhaltung des akzeptierten Untersuchungsabstands gepaarte Proben aus 223 Kleinwiederkäuerherden (192x Schaf-, 29x Ziegen-, 2x gemischte Herden) aus 14 Bundesländern (mit Ausnahme von Berlin und Bremen) untersucht werden. Da in manchen Herden verschiedene Tiergruppen mit unterschiedlichen Anthelminthikaklassen behandelt wurden, konnten aus diesen Herden 253 Behandlungen evaluiert werden. Tabelle 1 gibt einen Überblick über den Behandlungserfolg, gemessen an einer Eizahlreduktion von ≥95%, während die deskriptive Statistik der erhobenen Eizahlreduktionswerte in Tabelle 2 zusammengefasst ist. Tabelle 2: Deskriptive Statistik der Eizahlreduktion (EZR) infolge Behandlung mit den verschiedenen Anthelminthikaklassen (253 Behandlungen aus 223 Kleinwiederkäuerherden) pro verwendeter Anthelminthikaklasse. SD = Standardabweichung; IQR = Interquartil-Range Anthelminthikaklasse (Anwendung in Schaf- / Ziegenherden (Anzahl Behandlungen)) Moxidectin1 (86/14) Avermectine2 (5/3) Levamisol3 (41/3) Monepantel1 (25/3) Benzimidazole1 (44/12) Closantel % Mebendazol 1 (17/0) (Kombinationspräparat) Mittlere EZR (Schaf/Ziege) 81.8%/94.3% 56.6%/90.0% 97.7%/87.3% 97.4%/90.0% 66.9%/78.3% 94.0%/ - SD (Schaf/Ziege) Median der EZR (Schaf/Ziege) IQR (Schaf/Ziege) 27.8/11.4 52.1/1.7 3.9/1.2 7.2/15.6 39.9/34.6 15.4/ - 95%/100% 83%/89% 100%/88% 100%/98% 93%/96% 100%/ - 21.5/4.5 100/1.5 3.0/1.0 0.0/1.4 59.3/30.0 1.0/ - 1orale Präparate; 2Injektionspräparate mit Ausnahme einer mit Pour-on Präparat behandelten Ziegengruppe; 3orale Präparate mit Ausnahme einer per injectionem behandelten Schafgruppe Unterschiede in der erzielten Eizahlreduktion waren zwischen den verschiedenen Anthelminthikaklassen bei Schafen hochsignifikant (p<0.001). Benzimidazole zeigten die schlechteste Wirksamkeit, gefolgt von Moxidectin. Auch die beobachtete Wirksamkeit durchgeführter Avermectinbehandlungen war sehr schlecht, allerdings aufgrund der geringen Anzahl Herden, die diese Produkte verwendeten, statistisch nicht zuverlässig zu evaluieren. Bei Ziegen konnte aufgrund der geringen Fallzahlen keine Signifikanz gezeigt werden. Unwirksamkeit durchgeführter Behandlungen war in vielen Fällen (insbesondere Moxidectin und Benzimidazole) mit einem selektiven Überleben von Haemonchus contortus assoziiert, eine signifikante Reduktion des Anteils an Haemonchus-contortus-Eiern über alle untersuchten Behandlungen hinweg wurde nur durch Closantel & Mebendazol, Monepantel und Levamisol erreicht. Für alle Anthelminthikaklassen wurden jedoch auch unwirksame Behandlungen im Zusammenhang mit dem Überleben von nicht-Haemonchus- Gattungen sowie von Mischpopulationen beobachtet. Schlussfolgerungen Das beobachtete Ausmaß nicht erfolgreicher Behandlungen ist besorgniserregend und höchstwahrscheinlich in einer Unwirksamkeit der verwendeten Präparate begründet. Unwirksame Behandlungen wurden für verschiedene Nematodengattungen und für alle Anthelminthikaklassen beobachtet, einschließlich des jüngsten zugelassenen Wirkstoffs, Monepantel. Weitere Details zur Studie Voigt K, Geiger M, Jäger MC, Knubben-Schweizer G, Strube C, Zablotski Y (2022): Effectiveness of anthelmintic treatments in small ruminants in Germany. Animals 2022, 12, 1501. DOI: 10.3390/ani12121501 176 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Anthelmintika-Resistenzsituation bei Bio-Milchziegenbeständen Jörg Sander, Ben Bauer, Martin Ganter Klinik für kleine Klauentiere, Hannover Einleitung Mit Eprecis® 20mg/ml Injektionslösung und Eprecis® 5mg/ml Lösung Pour-on stehen seit 2021 erstmalig zugelassene Anthelmintika-Präparate für die Anwendung bei der Ziege zur Verfügung. Der Wirkstoff in beiden Präparaten ist das makrozyklische Lakton Eprinomectin. Aus arzneimittelrechtlichen Gründen müssen Ziegen hiermit entwurmt werden (EU-Verordnung 2019/6 in Verbindung mit dem Tierarzneimittelgesetz). Sehr schnell nach der Markteinführung von Eprecis® traten jedoch die ersten Berichte über eine unzureichende Wirkung von Eprecis® auf (1,2). Im Rahmen des Weide-Innovations-Netzwerk Schaf-Ziege (WinSchaZie) werden regelmäßige parasitologische Kotuntersuchungen vor und auch nach der Entwurmung durchgeführt. Wird dabei eine deutlich reduzierte Wirksamkeit von Eprecis® bei der Ziege festgestellt, so werden Präparate, die für Schafe oder Rinder zugelassen sind, umgewidmet. Material und Methoden Im Rahmen des WINSchaZie Projekts (gefördert durch BMEL und BLE) werden seit 2022 in insgesamt 29 Schaf- und Ziegenbetrieben regelmäßig quantitative parasitologische Kotuntersuchungen vornehmlich mittels Sammelkotproben durchgeführt. Bei hochgradigen Eiausscheidungen erfolgt auch eine Differenzierung von Eiern von Haemonchus contortus. Ergeben sich Hinweise auf eine unzureichende Wirksamkeit eines Anthelmintikums wird diese nach den Vorgaben der World Association for the Advancement of Veterinary Parasitology (WAAVP) mittels Eizahlreduktionstests (EZRT) (3,4,5) überprüft. Hierzu wird am Tag der Anthelmintika-Behandlung von 10 bis 15 Ziegen (Lämmern) eine Einzeltierkotprobe entnommen und mittels McMaster-Verfahren quantitativ untersucht. Von den 10 Tieren mit den höchsten Eiausscheidungen bei der Erstuntersuchung, werden 8-14 Tage später erneut Einzeltierkotproben entnommen und ebenfalls mittels McMaster-Verfahren untersucht. Aus der individuellen Differenz der Eier/g Kot vor und nach der Entwurmung der 10 Tiere wird die durchschnittliche prozentuale Reduktion der Eizahlen errechnet (3,4,5). Es gilt folgendes Bewertungsschema: • Eine Reduktion ≥ 95 %: das Präparat ist wirksam, keine Anzeichen für Resistenzen • Eine Reduktion ≥ 90 %: und < 95 %: das Präparat ist eingeschränkt wirksam, eine Resistenz wird vermutet • Eine Reduktion ≥ 80 %: und < 90 %: das Präparat ist eingeschränkt wirksam, eine Resistenz ist wahrscheinlich • Eine Reduktion < 80 %: das Präparat ist nicht wirksam, eine Resistenz ist sehr wahrscheinlich (4) Zunächst wurden alle Milchziegen mit Eprecis®20 mg/ml Injektionslösung behandelt und ein Eizahlreduktionstest durchgeführt. Betrug die Eizahlreduktion nach Eprecis®-Anwendung < 95 %, wurden zusätzlich die Benzimidazole Fenbendazol (Panacur® 2,5 %) und Albendazol (Valbazen® 1,9 %),) sowie das makrozyklische Lakton Moxidectin (Cydectin® 0,1 % oral) mittels Einzahlreduktionstest geprüft. Das Imidazothiazol Levalmisol (Ripercol® Drench 88,5 mg/ml) sowie der Wirkstoff Monepantel (Zolvix® 25 mg/ml) wurden in den gleichen Betrieben nur bei Jungtieren (nicht milchliefernden Tieren) getestet, da diese Wirkstoffe nicht für die Anwendung bei milchliefernden Tieren zugelassen sind. Im Rahmen der Besuche auf den Betrieben wurde auch festgestellt, dass die aktuell geltenden arzneimittelrechtlichen Vorgaben den wenigsten Tierhaltern bekannt sind. Auch fehlt es an Bewusstsein für ein aktives Parasitenmanagement mit Fokus auf die Weideführung (6,7) sowie Maßnahmen zur Reduktion der Ausbreitung von Anthelmintikaresistenzen wie dem Targeted Selective Treatment (TST) (8,9). Viel Aufklärung zum Thema Probenentnahme und Diagnostik, Auswahl der Tiere, Auswahl des Wirkstoffs und richtiger 178 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Zeitpunkt für eine Maßnahme sind erforderlich, um der Verbreitung von Anthelmintika-Resistenzen entgegen zu wirken (8). Das wichtigste und zugleich erschreckendste Ergebnis unserer Untersuchungen ist eine unzureichende Wirksamkeit von Eprinomectin (Eprecis® 20 mg/ml Injektionslösung) bei der Hälfte aller getesteten Betriebe. Um ein Therapieversagen zu verhindern ist es deshalb unabdingbar, nach der Anwendung von Eprinomectin eine Kontrolluntersuchung durchzuführen und eine Wirksamkeit oder Unwirksamkeit zu dokumentieren. Tabelle 1: Ergebnisse der Eizahlreduktionstests in Bio-Milchziegenbetrieben in 2022/2023: Die „alte“ Wirkstoffgruppe der Benzimidazole zeigte in den getesteten Betrieben keine volle Wirksamkeit, jedoch erscheint sie noch ausreichend für eine Anwendung beim TST. Das Reserve-Anthelmintikum Monepantel (Zolvix®) weist noch eine volle Wirksamkeit auf. Im Rahmen unserer Untersuchungen können wir bestätigen, dass Zolvix® für Quarantäne-Behandlungen und bei Unwirksamkeit der anderen Wirkstoffgruppen als letzte Möglichkeit geeignet ist, für milchliefernde Tiere ist es jedoch nicht zugelassen. Ausblick In Anbetracht der Resistenzsituation bei Ziegen- (aber auch Schaf-) Herden in Deutschland, ist es dringend geboten, die Tierhalter für dieses Problem zu sensibilisieren. Die Möglichkeiten der Diagnostik im Vorfeld von Entwurmungen müssen besser vermittelt und genutzt werden. Die Auswahl der Anthelmintika darf nicht aufgrund von gelungenen Werbemaßnahmen entschieden werden. Die Wirksamkeit der verwendeten Anthelmintika muss regelmäßig überprüft werden. Erste Hinweise auf eine unzureichende Wirkung ergeben sich meist schon, wenn Sammelkotproben 8-14Taqe nach der Entwurmung parasitologisch untersucht werden. Bei entsprechendem Verdacht sollte ein Eizahlreduktionstest angeschlossen werden. Literatur 1. Voigt K, Geiger M, Jäger MC, Knubben-Schweizer G, Strube C, Zablotski Y. Effectiveness of Anthelmintic Treatments in Small Ruminants in Germany. Animals 2022, 12, 1501 2. Bordesa L, Dumontb N, Lespinec A, Souila E, Sutrac J-F, Prévota F, Griseza C, Romanosa L, Dailledouzea A, Jacquieta P. First report of multiple resistance to eprinomectin and benzimidazole in Haemonchus contortus on a dairy goat farm in France. Parasitology International 76 (2020) 102063 3. COST (European Cooperation in Science and Technology) Faecal egg count reduction test (FECRT) Protocol gastrointestinal nematodes. COST Action COMBAR CA16230 (2017-2022) 4. Kaplan R M, Denwood M J, Nielsen M K, Thamsborg S M, Torgerson P R, Gilleard J S, Dobson R J, Vercruysse J, Levecke B. World Association for the Advancement of Veterinary Parasitology (W.A.A.V.P.) 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 179

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ guideline for diagnosing anthelmintic resistance using the faecal egg count reduction test in ruminants, horses and swine. Veterinary Parasitology 318 (2023) 109936 5. Geurden T; Smith E R; Vercruysse J; Yazwinski T; Settje T; Nielsen M K. World association for the advancement of veterinary parasitology (WAAVP) guideline for the evaluation of the efficacy of anthelmintics in food-producing and companion animals: general guidelines. Vet. Parasitol. 2022, 304, 109698. 6. https://www.scops.org.uk 7. https://www.weide-parasiten.de 8. Bollinger J; Hertzberg H; Hässig M; Knubben-Schweizer G. Gezielte anthelminthische Behandlung bei Ziegen: Evaluation verschiedener Bewertungskriterien und Entwicklung eines praxisnahen Enscheidungsschlüssels. Schweizer Archiv für Tierheilkunde, 158(8):557-564 9. Trapp, C. S. u. M. Ganter (2014): Erprobung des "Targeted Selective Treatment" zur Endoparasitenbekämpfung bei Lämmern. Hannover, tierärztl. Hochsch., Diss. Kontakt Dr. Jörg Sander; Klinik für kleine Klauentiere, Tierärztliche Hochschule Hannover joerg.sander@tiho-hannover.de 180 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Welchen Einfluss haben verschiedene Untersucher auf den Body Condition Score (BCS) bei Alpakas und Lamas? Matthias Gerhard Wagener, Johannes Schregel, Nina Ossowski, Anna Trojakowska, Martin Ganter, Frederik Kiene Klinik für kleine Klauentiere und forensische Medizin und Ambulatorische Klinik, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover Hintergrund Im Krankheitsfall werden Lamas und Alpakas häufig erst spät vorgestellt. Viele Tiere stellen sich in der Klinik stark abgemagert und/oder anämisch dar (1). In einer Auswertung von 300 in unserer Klinik vorgestellten Alpakas und Lamas wiesen 60 % der Alpakas und 70 % der Lamas einen Body Condition Score (BCS) unterhalb des optimalen Wertes von drei auf (1). Gleichzeitig gab die Hälfte der neuweltkamelhaltenden Betriebe in Deutschland in einer Online-Umfrage an, dass sie noch nie Probleme mit Abmagerung hatten (2). Ein Viertel der Betriebe beobachtete weniger als einen Fall von Abmagerung pro Jahr. Diese Umfrage zeigte auch, dass größere Betriebe eher Probleme mit Endoparasitosen und Abmagerung hatten als kleinere Betriebe. Die Diskrepanz zwischen der hohen Anzahl abgemagerter Tiere, die in der Klinik vorgestellt werden, und einem eher geringen Bewusstsein für Abmagerung in den Betrieben deuten darauf hin, dass der Beurteilung des Ernährungszustandes bei Alpakas und Lamas eine besondere Bedeutung zukommen sollte. Ursachen für einen schlechten Ernährungszustand und damit niedrigen BCS können in inadäquatem Fütterungsmanagement, chronischen Krankheiten, Zahnproblemen und insbesondere Magen-Darm-Parasiten begründet liegen (3-5). Eine Verschlechterung der Körperkondition wird vom Tierhalter rein adspektorisch aufgrund des dichten Haarkleides der Tiere häufig nicht bemerkt, außerdem zeigen Alpakas und Lamas klinische Anzeichen einer Krankheit erst in einem sehr späten Stadium (3). Der BCS sollte bei diesen Tieren deshalb palpatorisch ermittelt werden, da eine alleinige visuelle Untersuchung des BCS nicht ausreichend ist und zu falschen Ergebnissen führen kann (6). Für eine standardisierte Beurteilung des Ernährungszustandes bei Neuweltkamelen gibt es mehrere Beschreibungen der BCS-Ermittlung. Die meisten Autoren empfehlen dabei die palpatorische Untersuchung der Lendenwirbelsäule (6), je nach Quelle werden bei Alpakas und Lamas jedoch auch andere Körperregionen wie der Thorax hinter dem Ellenbogen, die Fossa paralumbalis oder der Bereich zwischen Vorder- und Hinterbeinen in die Bewertung des BCS einbezogen (3, 7). Bei Rindern ist der BCS schon länger ein wichtiges Instrument im Herdenmanagement (8), hier liegen mehrere Studien zur Erlernbarkeit und Reproduzierbarkeit des BCS durch verschiedene Untersucher vor (9- 12). Ähnliche Daten liegen auch für Schafe vor (13-15). Um die Interrater-Reliabilität (16) für den BCS bei Neuweltkamelen zu überprüfen, haben wir die Ergebnisse von sechs Untersuchern mit unterschiedlicher Erfahrung bei der Beurteilung des BCS bei Alpakas und Lamas während eines Bestandsbesuches in Norddeutschland ausgewertet. Material und Methoden Herde Die gemischte Lama- und Alpakaherde aus Norddeutschland hatte im Frühsommer 2022 eine Größe von 35 Tieren. Vor dem Bestandsbesuch im August 2022 verendeten fünf Tiere innerhalb weniger Wochen. Im gleichen Zeitraum wurden zwei Crias geboren, sodass die Herde zum Zeitpunkt des Besuchs aus insgesamt 32 Tieren (23 Lamas und neun Alpakas) bestand. Das Alter der Tiere lag zwischen 10 Tagen und 19 Jahren, alle Tiere wurden zwischen April und Mai 2022 geschoren. Ziel des Besuchs war es, den Gesundheitszustand der verbliebenen Tiere zu überprüfen. Jedes Tier wurde nach dem Routineprotokoll der Klinik klinisch untersucht und gegen Clostridien geimpft. Der BCS der Tiere wurde im Rahmen der klinischen Untersuchung von sechs verschiedenen Personen unabhängig voneinander bewertet. Insgesamt wurden BCS-Werte von 20 Lamas und neun Alpakas, die von sechs verschiedenen Personen erhoben wurden, in diese Studie aufgenommen. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 181

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Beurteilung des BCS Der BCS wurde durch Palpation der Lendenwirbelsäule hinter den letzten Rippen beurteilt (6) und ein Score zwischen 1 und 5 vergeben: BCS 1 – abgemagert BCS 2 – dünn BCS 3 – optimal BCS 4 – übergewichtig BCS 5 – adipös Alle Untersucher tasteten die Dorn- und Querfortsätze der Lendenwirbel sowie die dazwischenliegende Muskel- und Fettschicht ab. Bei Tieren mit optimalem Ernährungszustand (BCS 3) sollte die Linie zwischen Dorn- und Querfortsatz eine Gerade bilden. Je konkaver die Linie, desto niedriger wurde der BCS eingestuft (BCS 1 und 2), je konvexer die Linie, desto höher wurde der BCS eingestuft (BCS 4 und 5). Dazwischen waren Abstufungen in 0,5er Schritten möglich. Statistische Auswertung Die Datenanalyse erfolgte mit Excel (Microsoft Excel for Office 365), SAS (SAS Enterprise Guide 7.1) und R [(R Foundation for Statistical Computing, Wien, Österreich, https://www.R-project.org) in Kombination mit RStudio (Integrated Development for RStudio, Inc., http://www.rstudio.com)]. Deskriptive Statistiken umfassten Mittelwert, Minimum und Maximum des BCS für jedes Tier, sowie Mittelwert, Minimum und Maximum des von jedem Untersucher bewerteten BCS. Neben den Ergebnissen der sechs Untersucher wurde ein Goldstandard BCS (gsBCS) ermittelt, der sich aus den Befunden der beiden Untersucher mit der längsten Erfahrung ergab. Die Anzahl der Abweichungen vom gsBCS wurde für jeden Untersucher durch Subtraktion ermittelt. Die Überprüfung der Interrater-Reliabilität fand mittels Spearman's und Kendall's Rangkorrelationskoeffizienten (r) (τ), sowie Cohen's kappa (κw) statt. Außerdem wurde ein allgemeiner Kendall'scher Konkordanzkoeffizient (W) errechnet. Tabelle 1: Übersicht über die Ergebnisse der einzelnen Untersucher und die Anzahl der bewerteten Body Condition Scores (BCS), die vom gsBCS abweichen. Min-Max MW n Gesamt- score 1,5–5 1,5–4 1,5–4,5 573 95 93 3,28 3,21 3,29 1,5–4,5 95,5 3,38 2–5 3,45 1,5–5 3,1 1,5–4 98 100 90 3,33 1,5–4,5 96,5 Alle Untersucher 174 3,29 29 29 29 29 29 29 29 gsBCS Untersucher 1 Untersucher 2 Untersucher 3 Untersucher 4 Untersucher 5 Untersucher 6 182 Abweichung vom gsBCS ±0 BCS 92 (52,9%) 0 19 (65,5%) 12 (41,4%) 12 (41,4%) 12 (41,4%) 13 (44,8%) 24 (82,8%) ±0,5 BCS 69 (39,7%) 0 10 (34,5%) 15 (51,7%) 12 (41,4%) 14 (48,3%) 13 (44,8%) 5 (17,2%) ±1,0 BCS 10 (5,7%) 0 0 (0%) 2 (6,9%) 3 (10,3%) 3 (10,3%) 2 (6,9%) 0 (0%) ±1,5 BCS 3 (1,7%) 0 0 (0%) 0 (0%) 2 (6,9%) 0 (0%) 1 (3,4%) 0 (0%) 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Ergebnisse Der Konkordanzkoeffizient nach Kendall (W) betrug 0,78. Dies deutet auf eine insgesamt hohe Übereinstimmung zwischen den sechs Untersuchern hin. Die Abweichungen der einzelnen Untersucher sind in Tabelle 1 dargestellt, die Übereinstimmungen in Tabelle 2. Tabelle 2: Übereinstimmungen [Spearman's Rangkorrelationskoeffizient (r), Kendall's Rangkorrelationskoeffizient (τ) und Cohens gewichtetes Kappa (κw)] aller Untersucher mit dem gsBCS (Zeile "gsBCS"; n=6) und der einzelnen Untersucher mit jedem der anderen Untersucher (Zeilen "Untersucher 1" bis "Untersucher 6"; jeweils n=5). gsBCS Untersucher 1 r = τ = κw = MW±SD 0,81 ± 0,12 0,77 ± 0,09 Min–Max 0,66–0,95 0,62–0,83 MW±SD 0,74 ± 0,14 0,68 ± 0,09 Min–Max 0,57–0,92 0,52–0,75 MW±SD 0,75 ± 0,11 0,74 ± 0,06 Min–max 0,63–0,92 0,64–0,79 Untersucher 2 0,71 ± 0,08 0,59–0,79 0,62 ± 0,07 0,51–0,69 0,65 ± 0,11 0,50–0,78 Untersucher 3 0,63 ± 0,08 0,52–0,70 0,53 ± 0,07 0,43–0,61 0,62 ± 0,06 0,54–0,69 Untersucher 4 0,80 ± 0,07 0,70–0,89 0,71 ± 0,07 0,61–0,80 0,68 ± 0,08 0,54–0,74 Untersucher 5 0,71 ± 0,12 0,52–0,81 0,61 ± 0,11 0,43–0,71 0,60 ± 0,10 0,50–0,74 Untersucher 6 0,77 ± 0,09 0,70–0,89 0,67 ± 0,09 0,60–0,80 0,72 ± 0,05 0,67–0,79 Diskussion Betrachtet man den gesamten Konkordanzkoeffizient nach Kendall (W), so war die Übereinstimmung zwischen den erhobenen BCS-Werten der verschiedenen Untersucher in der gemischten Lama- und Alpakaherde erstaunlich hoch. Die größte Abweichung des BCS von 2 Punkten wurde nur bei zwei Tieren festgestellt, während der geschätzte BCS bei 22 der 29 Tiere (75,9%) sich nur um maximal 1 Punkt zwischen den Untersuchern unterschied. Bei Verwendung des gsBCS als Definition des korrekten BCS für jedes Tier wichen nur drei (1,7 %) der 174 in dieser Studie bewerteten BCS um mehr als einen Punkt vom gsBCS ab. Bei der Interpretation der Abweichungen vom gsBCS wichen die anderen Untersucher (2-5) bei nicht mehr als 40 % der Tiere vom gsBCS ab und bei mehr als 80 % der Tiere um nicht mehr als 0,5 Punkte. Es war auffällig, dass die größten Unterschiede in der BCS-Bewertung zwischen den Untersuchern bei den Tieren mit einem mittleren gsBCS von etwa 3 auftraten, was einem optimalen Ernährungszustand entspricht. In unserer Studie wurde nur die Interrater-Reliabilität bewertet, Daten zur Intrarater-Reliabilität des BCS bei Neuweltkamelen sind bisher nicht verfügbar. Letztere beschreibt, wie reproduzierbar die Beurteilung des BCS bei einem Tier durch den gleichen Untersucher ist. Die Intra-Rater-Reliabilität des BCS bei Kühen und Schafen wurde bisher in verschiedenen Studien untersucht (11-15, 17, 18). Daten zur Intrarater-Reliabilität bei Wiederkäuern deuten darauf hin, dass erfahrenere Untersucher höhere Kappa-Werte erzielen als weniger erfahrene Untersucher (11, 12). Kristensen et al. (12) kamen ebenfalls zu dem Schluss, dass selbst ein kurzes Training zu einer signifikanten Verbesserung der Genauigkeit der BCS-Bewertung führen kann. Für Altweltkamele gibt es ebenfalls Beschreibungen zur Bestimmung eines BCS. Hierbei werden verschiedene Körperregionen einschließlich des Höckers mit einbezogen (19-22). Untersuchungen zur Reproduzierbarkeit der Ergebnisse bei der Bewertung des BCS bei Altweltkameliden gibt es bisher ebenfalls nicht. Da der BCS sowohl bei Neuweltkamelen als auch bei Altweltkamelen einen wichtigen Hinweis auf den Ernährungszustand und mögliche Infektionen mit Endoparasiten geben kann, sollte die Genauigkeit und Reproduzierbarkeit des BCS auch bei diesen Tierarten weiter untersucht werden. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 183

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Schlussfolgerungen Eine regelmäßige Überprüfung des BCS ist besonders bei Alpakas und Lamas wichtig, um Abmagerung frühzeitig zu erkennen. Die Untersuchung des BCS durch Palpation an der Lendenwirbelsäule liefert auch bei verschiedenen Untersuchern vergleichbare Ergebnisse. Deshalb sollten die Halter von Neuweltkamelen zu einem regelmäßigen Monitoring des BCS bei ihren Tieren ermuntert werden, damit die korrekte Bestimmung des BCS mit ihnen zusammen trainiert werden kann. Dieser Beitrag basiert auf Inhalten aus: Wagener MG, Schregel J, Ossowski N, Trojakowska A, Ganter M, Kiene F. The influence of different examiners on the Body Condition Score (BCS) in South American camelids—Experiences from a mixed llama and alpaca herd. Front Vet Sci. 2023;10:1126399. Literatur 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. Wagener MG, Neubert S, Punsmann TM, Wiegand SB, Ganter M. Relationships between Body Condition Score (BCS), FAMACHA©-Score and Haematological Parameters in Alpacas (Vicugna pacos), and Llamas (Lama glama) Presented at the Veterinary Clinic. Animals. 2021;11(9):2517. Neubert S, von Altrock A, Wendt M, Wagener MG. Llama and Alpaca Management in Germany—Results of an Online Survey among Owners on Farm Structure, Health Problems and Self-Reflection. Animals. 2021;11(1):102. Van Saun RJ. Nutritional requirements and assessing nutritional status in camelids. Vet Clin North Am Food Animal Practice. 2009;25(2):265-279. Van Saun RJ. Nutritional diseases of llamas and alpacas. Vet Clin North Am Food Animal Practice. 2009;25(3):797- 810. Frezzato G, Stelletta C, Murillo CEP, Simonato G, Cassini R. Parasitological survey to address major risk factors threatening alpacas in Andean extensive farms (Arequipa, Peru). J Vet Med Sci. (2020) 82:1655–1661. Wagener MG, Ganter M. Body Condition Scoring bei Neuweltkamelen. Prakt Tierarzt. 2020;101:684-696. Johnson LW. Llama medicine. Nutrition. Vet Clin North Am Food Animal Practice. 1989;5(1):37-54. Markusfeld O, Galon N, Ezra E. Body condition score, health, yield and fertility in diary cows. The Veterinary Record. 1997;141(3):67-72. Ferguson JD, Galligan DT, Thomsen N. Principal descriptors of body condition score in Holstein cows. J Dairy Sci. 1994;77(9):2695-2703. Kleiböhmer G, Heuwieser W, Bergmann J, Ochsmann A. Body condition scoring of cows - accuracy and learning the method. Prakt Tierarzt. (1998) 79:50–61. Pothmann H, Erlen A, Pichler M, Huber J, Drillich M. Relationship and repeatability of body condition scoring and backfat thickness measurement in dairy cows by different investigators. Berl Munch Tierarztl Wochenschr. 2015;128(7-8):319-325. Kristensen E, Dueholm L, Vink D, Andersen J, Jakobsen E, Illum-Nielsen S, et al. Within-and across-person uniformity of body condition scoring in Danish Holstein cattle. J Dairy Sci. 2006;89(9):3721-3728. Phythian CJ, Hughes D, Michalopoulou E, Cripps PJ, Duncan JS. Reliability of body condition scoring of sheep for cross-farm assessments. Small Ruminant Res. 2012;104(1):156-162. Keinprecht H, Pichler M, Pothmann H, Huber J, Iwersen M, Drillich M. Short term repeatability of body fat thickness measurement and body condition scoring in sheep as assessed by a relatively small number of assessors. Small Ruminant Res. 2016;139:30-38. Corner-Thomas R, Sewell A, Kemp P, Wood B, GrayD, Blair H, et al. Body condition scoring of sheep: intra-and inter- observer variability. New Zealand J Animal Sci Prod. (2020) 80:107–112. de Raadt A, Warrens MJ, Bosker RJ, Kiers HAL. A Comparison of Reliability Coefficients for Ordinal Rating Scales. J Classification. 2021;38(3):519-543. Kenyon P, Maloney S, Blache D. Review of sheep body condition score in relation to production characteristics. New Zealand J Agric Res. (2014) 57:38–64. Calavas D, Sulpice P, Lepetitcolin E, Bugnard F. Assessing the accuracy of the practice of a method of scoring the body condition of ewes within a professional framework. Vet Res. 1998;29(2):129-138. Faye B, Bengoumi M, Cleradin A, Tabarani A, Chilliard Y. Body condition score in dromedary camel: A tool for management of reproduction. Emirates Journal of Agricultural Science. 2001;13:01-6. Iglesias C, Navas F, Ciani E, Arbulu AA, González A, Marín C, et al. Zoometric characterization and body condition score in Canarian camel breed. Archivos de zootecnia. 2020;69(265):14-21. Menchetti L, Zappaterra M, Nanni Costa L, Padalino B. Application of a protocol to assess camel welfare: Scoring system of collected measures, aggregated assessment indices, and criteria to classify a pen. Animals. 2021;11(2):494. Padalino B, Menchetti L. The first protocol for assessing welfare of camels. Front Vet Sci. 2021;7: 631876. 184 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Aufzucht von Crias - Untersuchungen zur Zusammensetzung von Alpakakolostrum und Alpakamilch Thomas Wittek1, Thiemo Albert2, Kathrin Kober-Rychli3, Volker Michael Reichmann4, Maria Gaier1 1Universitätsklinik für Wiederkäuer, Veterinärmedizinische Universität Wien (Österreich); 2Institut für Lebensmittelhygiene, Veterinärmedizinische Fakultät der Universität Leipzig; 3Institut für Lebensmittelsicherheit, Lebensmitteltechnologie und öffentliches Gesundheitswesen in der Veterinärmedizin, Veterinärmedizinische Universität Wien (Österreich); 4TierMed Krieglach OG, Krieglach (Österreich) Einleitung Das Kolostrum versorgt die neugeborene Crias mit Nährstoffen und Immunglobulinen. Immunglobuline und ihr intestinaler Transfer spielen eine wichtige Rolle für das Immunsystem der Neugeborenen, da sie ebenso wie Lämmer, Kitze und Kälber agammaglobulinämisch geboren werden. Obwohl Crias relativ frühzeitig beginnen Raufutter aufzunehmen, stellt die Milch in den ersten Lebensmonaten die Ernährungsgrundlage dar. Bei gesundheitlichen Problemen, die zu Milchmangel führen, oder dem Verenden der Stute wird eine mutterlose Ernährung notwendig, die je nach Zeitpunkt des Auftretens Kolostrum und Milch oder nur Milch umfasst. Der Wissensstand hinsichtlich Zusammensetzung des Kolostrums und der Milch von Neuweltkamelen ist jedoch relativ gering. Ziel der Untersuchungen war es die Konzentrationen an Mineralstoffen, Fett, Eiweiß und Laktose in Alpakakolostrum und -milch an unterschiedlichen Probezeiträumen zu ermitteln. Zusätzlich sollte im Kolostrum der Verlauf der Immunglobulinkonzentration über vier Tage nach der Geburt bestimmt werden. Die gemessenen Parameter werden mit dem Kolostrum und der Milch von milchliefernden Nutztieren verglichen. Damit sollen Informationen gesammelt werden, um eine mutterlose Versorgung von neugeborenen und älteren Crias optimieren zu können. Material und Methode Es wurden Milchproben von insgesamt 17 Alpakastuten beginnend im ersten Laktationsmonat über vier Monate im Abstand von 28 bzw. 29 Tagen genommen. Die Kolostrumproben wurden täglich von 20 pluriparen Alpakastuten während der ersten vier Tage nach der Geburt entnommen. Die IgG-Konzentrationen des Kolostrums wurden durch Radiale Immunodiffusion (RIA) mit einem Camelid IgG Test Kit bestimmt. Die Milchfettkonzentration wurde mit der Weibull-Berntrop gravimetrischen Methode, die Laktosekonzentration mit der UV-Laktose/Galaktose-Methode und die Proteinkonzentration mit der Kjehldahlmethode ermittelt. Kolostrum- und Milchproben wurden mittels ICP-OES-Analyse auf ihren Gehalt an Schwefel, Phosphor, Natrium und Kalium sowie mittels ICP-MS-Methode auf ihren Gehalt an Lithium, Bor, Magnesium, Aluminium, Calcium, Mangan, Eisen, Cobalt, Nickel, Kupfer, Zink, Arsen, Selen, Strontium, Molybdän, Cadmium, Zinn, Barium, Thallium, Blei und Uran untersucht. Ergebnisse Die Konzentrationen an Fett im Kolostrum stiegen von Tag 1 (durchschnittlich 1 %) zu Tag 4 (durchschnittlich 4,5 %). Die Laktosekonzentration am Tag der Geburt (Tag 1, durchschnittlich 4 %) war im Vergleich zu den Tagen 2, 3 und 4 (durchschnittlich 5 %) geringer. Die Eiweißkonzentration im Kolostrum verminderte sich schrittweise innerhalb der 4 Tage nach der Geburt (Tag 1 durchschnittlich 20 %, Tag 4, durchschnittlich 8 %). In der reifen Milch variierten die Konzentrationen von Fett (durchschnittlich 4,5 %), Eiweiß (durchschnittlich 6 %) und Laktose (durchschnittlich 4,8%) während der Laktation nicht. Die IgG-Konzentration sank signifikant von durchschnittlich 26319 mg/dl an Tag 1 auf durchschnittlich 3849 mg/dl an Tag 4. Es gab signifikante Korrelationen zwischen der IgG-Konzentration und den anderen Bestandteilen des Kolostrums. Während die Korrelationen zwischen IgG und Fett (r=-0,69, p=<0,001) und Laktose (r=-0,64, p=<0,001) negativ waren, waren die Korrelationen mit Protein (r=0,91, p=<0,001), Magnesium 186 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ (r=0,86, p=<0,001) und Kobalt (r=0,87, p=<0,001) stark positiv. Aufgrund des starken linearen Zusammenhangs könnte die Kolostrum-Protein-Konzentration für eine kurze Abschätzung des IgG-Gehalts verwendet werden. Die Konzentrationen der einzelnen Mineralstoffe in der Alpakamilch und im -kolostrum waren sehr variabel, es gab für die Mineralstoffkonzentrationen im Laufe der Laktation keine statistisch signifikanten Unterschiede. Ein Vergleich der Mineralstoffkonzentrationen von Alpakamilch mit den Werten aus der Literatur für die Milch von Alpakas, Lamas, Kamelen, Kühen, Schafen, Ziegen und Wasserbüffeln gestaltete sich schwierig, da sich die Methoden und Bedingungen der Studien teilweise sehr voneinander unterschieden. Betrachtet man nur die Mengenelemente Calcium und Phosphor, welche für ein im Wachstum befindliches Jungtier wichtige Mineralstoffe darstellen, so zeigt sich, dass Alpakamilch einen ähnlich hohen Calciumgehalt aufweist wie Kuh- und Ziegenmilch. Der Phosphorgehalt ähnelt der Milch von Schaf- und Ziegenmilch. Zusammenfassung Das Kolostrum der Alpakas weist arttypische Merkmale auf, die von Ersatzpräparaten nur bedingt erfüllt werden können. Die günstigste Variante ist die Gewinnung von Erstkolostrum von Stuten mit hoher Milchleistung, das gefroren gelagert werden kann, über Wirksamkeit von Fremdkolostrum (z. B. Rind) liegt kein belastbares Wissen vor. Die derzeit vorherrschende Ansicht, dass Ziegenmilch die ideale Option für die Fütterung mutterloser Crias darstellt, wird von den Ergebnissen der Studie nicht unterstützt, Alpakamilch ähnelt in der Zusammensetzung eher der Kuh- und Schafmilch. Literatur 1. Mößler M, Aichner J, Müller A, Albert T, Wittek T. 2021. Concentrations of Fat, Protein, Lactose, Macro and Trace Minerals in Alpaca Colostrum and Milk at Different Lactation Stages. Animals, 11 (7). DOI: 10.3390/ani11071955 2. Mößler M, Rychli K, Reichmann VM, Albert T, Wittek T. 2022. Immunoglobulin G Concentrations in Alpaca Colostrum during the First Four Days after Parturition. Animals, 12 (2). DOI: 10.3390/ani12020167 Kontakt Prof. Dr. T. Wittek, Universitätsklinik für Wiederkäuer, Veterinärmedizinische Universität Wien Thomas.Wittek@vetmeduni.ac.at 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 187

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Präanalytik – Welche Faktoren können das Laborergebnis (nicht nur) für kleine Wiederkäuer beeinflussen? Esther Humann-Ziehank LABVETCON – Laboratory Veterinary Consulting, Burgdorf Die Präanalytik beschreibt die Phase von der Probengewinnung bis zur eigentlichen Messung des gewünschten Analyten im Labor. In dieser Phase findet häufig bereits ein erheblicher Einfluss auf das Untersuchungsergebnis statt. Studien aus der Humanmedizin zeigen, dass Mängel in der Probengewinnung, -behandlung und lagerung bis zu 90 % der Fehler im gesamten diagnostischen Prozess ausmachen (1). Konzepte zur Vermeidung präanalytischer Fehler und zur Standardisierung der Prozesse werden in der Humanmedizin z.B. von der European Federation of Clinical Chemistry and Laboratory Medicine intensiv bearbeitet (2), für die Veterinärmedizin wurde hierzu nur wenig wissenschaftlich publiziert. Allerdings stellen viele Veterinärlabore ausführliches Informationsmaterial für die Kunden bereit. Die präanalytische Phase in der Veterinärmedizin umfasst die Auswahl geeigneter Parameter, Tierauswahl (bei Herdenuntersuchungen) und tierspezifische Einflussgrößen, Auswahl des Probengefäßes und der Antikoagulanzien, Blutentnahme, ggf. Kontamination, Beschriftung und Lagerung der Probe, Transport der Probe zum Labor sowie Vorbereitung der Probe für den analytischen Prozess. Im Folgenden sollen einige wichtige Punkte herausgestellt werden, für vertiefende Details sei auf eine Übersichtsarbeit verwiesen (3). Tierspezifische Einflussgrößen Ein Beispiel für einen altersbezogenen Parameter ist die Alkalische Phosphatase, die bedingt durch hohes Knochenwachstum physiologisch höhere Aktivitäten bei Jungtieren zeigt. Lipidämie stört photometrische Untersuchungsmethoden. Hohe Gehalte an freien Fettsäuren konkurrieren mit Bilirubin um die Aufnahme in die Hepatozyten und können dadurch einen sog. Inanitionsikterus bedingen. Endoparasiten setzten oft die Gesamtprotein-Konzentration herab, Dehydration kann diese dagegen relativ erhöhen. Blutparasiten können die Plasma-Glukose-Konzentration fortlaufende Glykolyse massiv reduzieren (4). Chronobiologische Rhythmen, z.B. für bestimmte Hormone, sowie Fütterungszeitpunkte (z.B. für Glukose, ß- Hydroxybutyrat, Freie Fettsäuren, Kalium) sollten beachtet werden (5). Zur Reduzierung tageszeitassoziierter Variationen sollte insbesondere bei Verlaufsuntersuchungen mit wiederholter Probenentnahme jeweils die gleiche Tageszeit zur Beprobung gewählt werden. im Vollblut durch Antikoagulanzien Häufig passen die gewünschte Untersuchung und das verwendete Antikoagulanz nicht zusammen. Viele Routineparameter sind aus Serum und/oder Lithium-Heparin-Plasma gut bestimmbar, bei Unsicherheit sollte im Labor nachgefragt werden. Unterschiede der Konzentrationen verschiedener Parameter in Serum und Plasma des gleichen Tieres resultieren vorwiegend aus dem Verbrauch von Fibrinogen und der Lyse von Blutzellen während des Gerinnungsprozesses. Die Entscheidung, Serum oder Plasma zu gewinnen, sollte sich unbedingt an den Methoden und Referenzwerten des Untersuchungslabors orientieren. EDTA wird in der Regel für hämatologische sowie für molekularbiologische Untersuchungen (z.B. Genotypisierung) verwendet. Die Gerinnungshemmung erfolgt bei der Verwendung von EDTA über Chelatbildung mit Kalzium-Ionen, daher sind Kalzium sowie weitere zweiwertige Ionen zumindest mit Routinemethoden aus EDTA-Plasma nicht korrekt messbar. Die Probenröhrchen sollten generell bis zu der aufgedruckten Marke mit Blut gefüllt werden. Blutgewinnung Ein Venenstau sollte nicht länger als 1 Minute dauern. Kurzzeitige Veränderung der Körperposition sollte vermieden werden. Stress generell sowie auch eine Fixation sind zwar in der Regel unvermeidbar, führen aber zum Beispiel zu Anstiegen von Hämatokrit, Laktat- und Glukosekonzentrationen in der Probe (6), was bei der Interpretation berücksichtigt werden muss. Unbedingt zu vermeiden ist das Entstehen einer in-vitro Hämolyse. 188 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Dafür muss die Blutaspiration ohne exzessiven Unterdruck erfolgen, die gewonnene Blutprobe sollte niemals geschüttelt werden, die Mischung mit einem Antikoagulanz wird durch vorsichtiges Schwenken erreicht. Serumröhrchen sind in der Regel innen mit einem Silikat beschichtet, dass zur Auslösung der Gerinnung durch Fremdoberflächenkontakt eine Glasoberfläche imitiert und mit Kügelchen zur Oberflächenvergrößerung versehen ist. Diese Röhrchen müssen mit dem gerade entnommenen Blut ebenfalls vorsichtig geschwenkt werden (siehe auch Herstellerangaben). Blut für Serumgewinnung muss bis zum vollständigen Gerinnen der Probe 30 Min bei Raumtemperatur (!) erschütterungsfrei stehen. Kontamination Neben echten Verschmutzungen wurden auch Kontaminationen der Probe durch das Material der Probenröhrchen beschrieben: Verschlusskappen setzten in diesem Fall Zink frei und erhöhten so erheblich die Serum-Zn-Konzentration (7). Für Spurenelementuntersuchungen bieten verschiedenen Hersteller daher Spezialröhrchen an, die zu bevorzugen sind. Wird aus einem Katheter/ permanenten Venenzugang eine diagnostische Probe entnommen, muss eine laufende Infusion mind. 1-2 Min vor der Blutentnahme gestoppt werden. Vor der eigentlichen Probe sollten zwei zu verwerfende Proben entnommen werden, um eine Kontamination mit Resten der Infusion/ Spülflüssigkeit zu vermeiden (8). Beschriftung Ein häufiger präanalytischer Fehler ist die unzureichende Beschriftung der Proben. Barcodesysteme erleichtern heutzutage zum Teil die Zuordnung. Andernfalls ist es ratsam, bei Probenentnahmen von mehreren Tieren die Röhrchen fortlaufend mit einem wasserfesten Stift zu beschriften (z.B. 1-10) und zusätzlich eine Liste mit – Tieridentifikation mitzuschicken. Handgeschriebene Ohrmarkennummern auf den Röhrchen sind oft verschmutzt und unleserlich und können zu falschen Zuordnungen führen. der Zuordnung Röhrchen-Nummer Aufbewahrung Plasma und Serum sollte innerhalb einer Stunde nach Probenentnahme zentrifugiert und in ein neues Gefäß überführt werden, da ansonsten Glykolyse und die Freisetzung z.B. von Kalium und einigen Enzyme aus den Erythrozyten die Messergebnisse verfälschen können. Abzentrifugiertes Plasma/ Serum sollte im Kühlschrank aufbewahrt werden, dagegen ist für die Hämatologie eine Aufbewahrung bei Raumtemperatur (max. 2 Tage) vorzuziehen. Einfrieren (-20°C/ -80°C/ flüssiger Stickstoff) von Serum/Plasma ist häufig möglich, wiederholtes Auftauen / Einfrieren der gleichen Probe sollte jedoch dringend vermieden werden. Beim Auftauen entstehen z.B. für Kalzium oder Natrium erhebliche Konzentrationsgradienten innerhalb der Probe, die vor der Analyse durch sehr sorgfältiges Mischen behoben werden müssen. Generell variiert die Lagerungsfähigkeit je nach Parameter und Labormethode und sollte mit dem Untersuchungslabor abgestimmt werden. Eine gute Übersicht bietet auch eine Aufstellung der WHO (9). Transport Der Transport zum Labor ist in der Nutztierpraxis aufgrund längerer Fahrzeiten unter Umständen problematisch. Grundsätzlich sollten die Blutproben keinen starken Erschütterungen ausgesetzt werden, die vollständige Befüllung der Probenröhrchen bis zur Markierung des Herstellers ist dabei neben dem optimalen Blut:Antikoagulanz- Verhältnis ein wichtiger Faktor zur Verminderung von Turbulenzen. Die Proben sind sowohl vor Frost als auch vor hohen Temperaturen zu schützen. Der Postversand von unzentrifugierten Proben sollte nach Möglichkeit unterbleiben. Sofern die Probenentnahme zeitlich planbar ist, sollte der Wochenbeginn gewählt werden, um Versandverzögerungen übers Wochenende zu vermeiden. Korrekter Verschluss und Verpackung der Probengefäße sowie evtl. Zugabe von Kühlelementen ermöglichen, dass die Proben in brauchbarem Zustand im Labor ankommen. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 189

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Literatur 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. Lippi G, Guidi GC, Mattiuzzi C, Plebani M. Preanalytical variability: the dark side of the moon in laboratory testing. Clin Chem Lab Med. 2006;44(4):358-65. Cadamuro J, Lippi G, von Meyer A, Ibarz M, van Dongen E, Cornes M, et al. European survey on preanalytical sample handling - Part 1: How do European laboratories monitor the preanalytical phase? On behalf of the European Federation of Clinical Chemistry and Laboratory Medicine (EFLM) Working Group for the Preanalytical Phase (WG- PRE). Biochemia medica. 2019;29(2):020704. Humann-Ziehank E, Ganter M. Pre-analytical factors affecting the results of laboratory blood analyses in farm animal veterinary diagnostics. Animal. 2012;6(7):1115-23. Burkhard MJ, Garry F. Artifactual hypoglycemia associated with hemotrophic mycoplasma infection in a lamb. Vet Clin Path. 2004;33:244-8. Seely CR, Bach KD, Barbano DM, McArt JAA. Effect of hyperketonemia on the diurnal patterns of energy-related blood metabolites in early-lactation dairy cows. Journal of Dairy Science. 2021;104(1):818-25. Gohary GS, Bickhardt K. Der Einfluß des Blutentnahmestresses auf Blutmeßwerte des Schafes [The influence of blood sampling stress on blood values of sheep]. Deut Tierarztl Woch. 1979;86(6):225-8. Keyzer J, Oosting E, Wolthers B, Muskiet F, Hindriks F, van der Slik W. Zinc in plasma and serum: influence of contamination due to the collection tubes. Pharm World Sci. 1983;5(5):248-51. Ponto LL, Graham MM, Richmond JC, Ward CA, Clermont DA, Schmitt BA, et al. Contamination levels in blood samples drawn from the injection intravenous line. Mol Imaging Biol. 2002;4(6):410-4. WHO. Use of anticoagulants in diagnostic laboratory investigation & stability of blood, plasma and serum samples.WHO/DIL/LAB/991 Rev 2. München. http://whqlibdoc.who.int/hq/2002/WHO_DIL_LAB_99.1_Rev.2.pdf: Guder; 2002. Kontakt PD Dr. Esther Humann-Ziehank; LABVETCON - Laboratory Veterinary Consulting, Burgdorf mail@labvetcon.de 190 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Nierenfunktionsdiagnostik beim kleinen Wiederkäuer Frederik Kiene, Martin Ganter Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover, Klinik für kleine Klauentiere, Hannover Symptome kleiner Wiederkäuer bei Störungen der Nierenfunktion Im Gegensatz zu Erkrankungen der ableitenden Harnwege (meist Infektionen oder Obstruktionen), wo oft eindeutige Symptome wie auffällige Harnabsatzstörungen (Schmerzhaftigkeit, Abweichungen von Häufigkeit und Geschwindigkeit) und grobsinnliche Harnveränderungen beobachtet werden können, sind klinische Symptome bei herabgesetzter Nierenfunktion (Schwäche, Inappetenz, Herz-Kreislauf-Symptomatik) eher unspezifisch und viel weniger hinweisend auf den Sitz der Erkrankung. Bei unzureichender Nierenfunktion kommt es im Organismus durch erhöhte Verluste von Elektrolyten, Proteinen und Wasser, aber auch durch eine verminderte Ausscheidung von Kalium, Phosphor und Protonen zu Elektrolyt-Imbalancen, Störungen des Glukose- und Protein-Stoffwechsels und zu einer Destabilisierung des Säure-Base-Haushalts. Außerdem werden toxische, harnpflichtige Substanzen wie Harnstoff und Kreatinin nicht in ausreichendem Maße ausgeschieden. Wichtige ätiologische Differentialdiagnosen In den meisten Fällen herabgesetzter Nierenfunktion liegt die Ursache nicht in der Niere selbst, sondern in einem verminderten Blutfluss durch die Niere (prärenale Niereninsuffizienz z.B. bei Dehydratation, Schock, Herzinsuffizienz) oder einem gestörten Harnabfluss aus der Niere heraus (postrenale Niereninsuffizienz z.B. bei Urolithiasis, Neoplasien und Missbildungen der ableitenden Harnwege). Die Nephrone, als kleinste Funktionseinheiten der Niere, bleiben dabei intakt oder werden im Fall eines Harnrückstaus erst spät morphologisch geschädigt. Die Funktion der Glomerula und Tubuli wird jedoch schon bei geringem Rückstau aufgrund der Reduktion des aktuellen Filtrationsdruckes eingeschränkt. Bei renalen Niereninsuffizienzen hingegen, liegt eine Funktionsstörung der Nephrone selbst vor. Diese kann eine eingeschränkte Filtration des Blutplasmas am Glomerulum im Tubulussystem (tubulo-interstitielle Funktionsstörungen - fehlende Rückgewinnung bestimmter Elektrolyte, Proteine, Vitamine und Wasser sowie Ausbleiben der aktiven Elimination bestimmter Elektrolyte) oder beides gleichzeitig bedeuten. (Glumerulopathien), ausbleibende Modifikation des Primärharns Spezifische Infektionserreger spielen bei kleinen Wiederkäuern in diesem Zusammenhang eine eher untergeordnete Rolle. Chronisch-entzündlich Glomerulopathien können jedoch im Zusammenhang mit Leptospira-Infektionen auftreten1. Eine größere Bedeutung haben schließlich eher vaskuläre Erkrankungen wie lokale Niereninfarkte bei Septikämien durch unspezifische Erreger, Nierenbecken-Entzündungen bei aufsteigenden Harnwegsinfektionen, abszedierende Nierenlymphknoten bei einer Corynebacterium-pseudotuberculosis-Infektion (1,2). raumgreifende Prozesse wie aber auch Insgesamt stehen jedoch toxische Nephropathien im Vordergrund. Diese werden seltener durch längere Anwendungen von Aminoglykosid-Antibiotika, Oxytetrazyklinen und NSAIDs, Schwermetall- (Arsen, Blei, Kupfer, Selen, Zink) und Pflanzenvergiftungen (Vitamin D3, Goldhafer, Eicheln) als durch die Wirkung des ε- Toxins bei einer Clostridium perfringens Typ D Infektion (Breiniere) hervorgerufen 1,3). Aus Gründen der Vollständigkeit sind noch sekundäre Nierenfunktionsstörungen im Zusammenhang mit Stoffwechselerkrankungen wie Hypokalzämie, Ketose und Pansenazidose zu nennen1 und auch Amyloidosen der Niere wurden bereits beschrieben (4). Diagnostische Möglichkeiten Blutplasma-Konzentrationen einiger harnpflichtiger Substanzen können Hinweise auf eine ggf. eingeschränkte Eliminationsfähigkeit der Niere liefern. Klassische Diagnostikparameter sind dabei die Plasma- Konzentrationen von Harnstoff und Kreatinin. Harnstoff, oder auch das verwandte BUN (blood urea nitrogen) mit gleicher Aussagekraft, ist als Abbauprodukt des Aminosäurestoffwechsels jedoch stark durch den Proteingehalt der Nahrung beeinflusst (5) und kann auch bei physiologischer Nierenfunktion hohe Werte 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 191

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ oberhalb des Referenzbereiches aufweisen. Kreatinin ist ein Endprodukt des Muskelsoffwechels und damit abhängig von der Muskelmasse (6). Stark muskulöse Tiere mit Kreatinin-Konzentrationen oberhalb des Referenzbereichs müssen daher nicht unbedingt eine eingeschränkte Nierenfunktion aufweisen. Plasma- Kreatinin-Konzentrationen unterhalb der Referenzgrenze deuten hingegen auf eine deutlich erniedrigte Muskelmasse hin. Die Parameter sind damit höchst tierindividuell variabel und daher für eine spezifische Diagnostik von Nierenschäden nur unter Einschränkungen geeignet. Hinzu kommt, dass auch die Sensitivität gering ist - ein Anstieg der Plasma-Kreatinin-Konzentration wird erst bei einer auf unter 40 % herabgesetzten glomerulären Filtrationsrate (GFR) erwartet (7). Ein Vorteil der Messung von Kreatinin ist jedoch die lange etablierte Möglichkeit der Bestimmung durch günstige und schnelle nass- und trockenchemische Verfahren (5). Ein Parameter, der schon seit einigen Jahren in der Kleintiermedizin eingesetzt wird ist das symmetrische Dimethylarginin (SDMA)(7,8). Dies ist ein harnpflichtiges Stoffwechselendprodukt aller kernhaltiger Zellen und damit unabhängig von Ernährung und Muskelmasse des Individuums. Beim Kleintier wird zusätzlich ein früherer Anstieg der Plasma-Konzentration ab einer nur auf ca. 60 % herabgesetzten GFR beschrieben. Retrospektive Analysen klinischer Fälle in der Klinik für Kleine Klauentiere konnten bereits eine höhere Sensitivität von SDMA gegenüber Kreatinin bei der Diagnostik von Niereninsuffizienzen bestätigen (9). Der Parameter muss jedoch für kleine Wiederkäuer noch abschließend evaluiert werden und auch valide Referenzgrenzen sind bisher nicht verfügbar. Eine Einschränkung in der praktischen Anwendung ist allerdings die bisher aufwändige und teure Bestimmung der SDMA-Konzentration mittels ELISA. Um eine Funktionseinschränkung der Niere genauer zu charakterisieren, ist eine umfangreiche Nierenfunktionsanalyse nötig (10,11). Außerdem können diabetische Polyurien (Diabetes insipidus und Diabetes mellitus) von Polyurien als Folge einer primär renalen Reabsorbtionsstörung abgegrenzt werden. Dafür muss neben einer Blutprobe (Heparin-Plasma) auch eine zeitnah gewonnene Harnprobe zur Verfügung stehen. Die Funktionalität der Glomerula kann dabei durch die Ermittlung der GFR beurteilt werden. Diese beschreibt, wie viel Blutplasma-Volumen pro Zeit in den Glomerula der Nieren filtriert wird. Die Menge an Blutplasma, die pro Minute von einem bestimmten Markerstoff (vorwiegend Kreatinin) befreit werden konnte (renale Clearance), dient dabei als Näherungsparameter zur Ermittlung der GFR. Funktionelle Einschränkungen der Tubuli können mittels Ermittlung der fraktionellen Exkretion (FE) bestimmter Elektrolyte (Na, K, Mg, Ca, Glukose), aber auch der von Wasser identifiziert werden. Untersucht werden dabei Stoffe, die im Tubulussystem der Nephrone physiologischerweise resorbiert oder sezerniert werden. Die FE beschreibt, wie viel Prozent dieser Stoffe im Vergleich zum Primärharn (= filtriertes Blutplasma im proximalen Tubulus) noch im Sekundärharn (Harn, der ausgeschieden wird) vorhanden sind. Da Kreatinin tubulär weder synthetisiert, metabolisiert, sezeniert und nur in geringem Maße resorbiert wird, kann schließlich der Quotient aus den Kreatinin-Konzentrationen in Plasma und Harn als relativierender Faktor einbezogen werden. Literatur 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. Hartwig Bostedt, Martin Ganter, Theodor Hiepe, ed. Klinik der Schaf- und Ziegenkrankheiten. Thieme; 2019. S.138- 141 Papaioannou N, Zavlaris M, Giadinis ND, Petridou EJ, Psychas V. A case of kidney infection by Corynebacterium pseudotuberculosis in shee. J Hell Vet Med Soc. 2017;61(1):29-35. doi:10.12681/JHVMS.14873 Sargison ND, Angus KW. Diseases of the urinary system. Sheep, Goat, Cervid Med. Published online 2007:281-310. doi:10.1016/B978-0-323-62463-3.00021-9 Ménsua C, Carrasco L, Bautista MJ, et al. Pathology of AA amyloidosis in domestic sheep and goats. Vet Pathol. 2003;40(1):71-80. doi:10.1354/vp.40-1-71 Kraft W, Dürr UM. Klinische Labordiagnostik in der Tiermedizin. (Moritz A, ed.). Schattauer Verlag; 2013. Hall JA, Yerramilli M, Obare E, Yerramilli M, Melendez LD, Jewell DE. Relationship between lean body mass and serum renal biomarkers in healthy dogs. J Vet Intern Med. 2015;29(3):808-814. doi:10.1111/jvim.12607 Sargent HJ, Elliott J, Jepson RE. The new age of renal biomarkers: does SDMA solve all of our problems? J Small Anim Pract. 2020;62(2):71-81. doi:10.1111/jsap.13236 Laboklin. Beurteilung der Nierenfunktion mit Hilfe von Laborparametern. 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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Bovine Respiratory Disease - Diagnostischer Wert der Thoraxsonographie Julia Hoffelner1,2, Walter Peinhopf- Petz2, Thomas Wittek1 1Universitätsklinik für Wiederkäuer, Veterinärmedizinische Universität Wien (Österreich); 2PFI Dr. VET - Die Tierärzte OG, Lang 8403 (Österreich) Einleitung Atemwegserkrankungen sind bei Kälbern sehr häufig und ihre Behandlung geht oft mit einem umfangreichen Einsatz von antimikrobiellen Medikamenten einher. Im Rahmen der Strategie der Reduktion des Einsatzes von Antibiotika auf die Fälle, bei denen eine Indikation besteht und ein therapeutischer Nutzen erreicht werden kann, ist es sinnvoll sicherzustellen, dass individuelle Therapieentscheidungen auf einer "vorherigen Risikobewertung" und auf der Einschätzung des Ausmaßes der Atemwegserkrankung bei den Kälbern beruhen. Um dieses Ziel zu erreichen, wird eine Integration des Diagnoseinstruments Ultraschall in der tierärztlichen buiatrischen und eines einfachen klinischen Scoring-Systems der klinischen Untersuchung zur Bewertung des Ausmaßes und der Schwere der Lungenläsionen untersucht. Die Ziele der Untersuchung bestanden in der Beurteilung des diagnostischen Wertes der klinischen Untersuchung und des Thoraxultraschalls in Bezug zu den pathologischen Lungenveränderungen, die bei der Schlachtung erhoben wurden. Material und Methode Insgesamt wurden 600 Kälber in einem österreichischen Kälbermastbetrieb zweimal untersucht, einmal zu Beginn und einmal am Ende der Aufzuchtperiode. Jedes Kalb wurde anhand von standardisierten Untersuchungsprotokollen für die klinische und ultrasonographische Untersuchung untersucht und bewertet. Nach der Schlachtung der Tiere wurden die Lungen untersucht. Die Befunde der klinischen, der Ultraschalluntersuchung und der postmortalen Inspektion der Lunge wurden miteinander verglichen und Assoziationen berechnet. Für alle Untersuchungsergebnisse wurden Receiver-Operating-Characteristics (ROC) durchgeführt. Ergebnisse Der Gesamtscore der klinischen Untersuchung allein betrachtet korrelierte nur mäßig mit dem Post-mortem- Scoring-System für Lungenläsionen. Im Unterschied dazu, korrelierten die Befunde des ultrasonographischen Scoring-Systems und die Post-mortem-Befunde stark. Eine Kombination der klinischen Untersuchung und der Ultraschalluntersuchung verbesserte die Aussagekraft weiter. Es konnte eine hohe diagnostische Aussagekraft erreicht werden, d.h. Sensitivität und Spezifität lagen bei ca. 90 %. Diskussion Diese Studie konnte zeigen, dass die ultrasonographische Untersuchung eine zuverlässige Untersuchungsmethode für die Erkennung von Lungenveränderungen bei Kälbern ist. Die Untersuchung kann nach Training in wenigen Minuten durchgeführt werden. Zur Früherkennung von Veränderungen ist ein standardisiertes klinisches Untersuchungsverfahren, einschließlich der Ultraschalluntersuchung, zu Beginn der Mast in den Arbeitsprozess der Betriebe geeignet. Anhand der Untersuchungsbefunde können frühzeitig Therapieentscheidungen getroffen werden und Prophylaxekonzepte erstellt werden. Bei Auftreten von Erkrankungen kann deren Verlauf überwacht werden. Eine zusätzliche Untersuchung am Ende der Mast ist ein geeignetes Instrument, um die Veränderungen während der Mastperiode zu beurteilen. Schlussfolgerungen Die vorliegende Studie unterstreicht von Atemwegserkrankungen und hat gezeigt, dass die Ultraschalluntersuchung des Brustkorbs für die frühzeitige Erkennung von Veränderungen des Lungengewebes am nützlichsten ist und dazu beitragen sollte, die Behandlung der Kälber nach Prioritäten zu ordnen und so den Einsatz von Antibiotika zu begrenzen. frühzeitigen Diagnose die Bedeutung einer 196 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Mehr Tierwohl für das Kalb – übertrieben oder überfällig? Ingrid Lorenz Tiergesundheitsdienst Bayern e. V., Poing Hintergrund Nachdem die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) in Bezug auf Tierschutz und Tierwohl in den letzten Jahrzehnten die auf Milchviehbetrieben geborenen Kälber weitgehend ignorierte, wurde nun im neuesten wissenschaftlichen Gutachten zum Wohlergehen von Kälbern in landwirtschaftlichen Betrieben diesen Tieren reichlich Raum eingeräumt. Als drei der wichtigsten Tierwohlprobleme wurden hier Hunger, frühe Trennung von Kuh und Kalb, sowie die Einzelhaltung der Kälber identifiziert (1). Unterernährung Milchkälber wurden traditionell mit Milch oder Milchaustauscher in einer Menge von etwa 10 % des Körpergewichts des Kalbes pro Tag gefüttert. Dieses Ernährungsniveau („restriktive Fütterung“) deckt den Erhaltungsbedarf des Kalbes und ermöglicht nur unter thermoneutralen Bedingungen minimale Zunahmen. Die restriktive Fütterung wurde eingeführt, um die Kälber dazu anzuregen, Kraftfutter so früh wie möglich zu fressen und so die Kosten für die relativ teure Milchtränke zu minimieren. Es ist seit langem bekannt, dass Kälber viel schneller wachsen können, wenn sie mit mehr Nährstoffen versorgt werden. Kälber, die an der Mutter saugen, nehmen etwa 20 % des Körpergewichts (KG) pro Tag auf und erreichen eine tägliche Gewichtszunahme von bis zu einem Kilogramm. Die Aufnahme und Verwertung von Starterkonzentraten ist in den ersten drei Lebenswochen auch bei restriktiver Fütterung vernachlässigbar. Inzwischen haben zahlreiche Studien die Auswirkungen sogenannter intensivierter oder biologisch normaler Milchfütterung im Vergleich zur herkömmlichen restriktiven Fütterung untersucht (2). Neben erhöhtem Körpergewicht und Körperwachstum wurden ein verstärktes Organwachstum und eine verbesserte Organentwicklung (z. B. Pansen, Dünndarm, Milchdrüse) sowie eine Stimulation der endokrinen Bauchspeicheldrüse festgestellt. Zu den metabolischen Veränderungen gehören eine erhöhte systemische Stoffwechselaktivität, eine erhöhte Stoffwechselaktivität im Pansenepithel und im Fettgewebe des Omentums. Analog zur Wirkung von Kolostrum ist eine hohe Milchzufuhr notwendig, um die somatotrope Achse zu stimulieren und die Reifung des intestinalen Immunsystems zu fördern. Der Einfluss einer frühen Kälberernährung auf die Lebensleistung wurde intensiv untersucht. In einer Metaanalyse hatten Kälber, die in der frühen Lebensphase mehr Milch oder Milchaustauscher erhielten, eine doppelt so hohe Wahrscheinlichkeit, dass sie in der ersten Laktation eine höhere Milchleistung hatten und für jedes Kilogramm mehr an Zunahmen vor dem Absetzen stieg die Milchleistung in der ersten Laktation um 1.550 kg. Eine zweite Metaanalyse kam zu dem Schluss, dass die täglichen Zunahmen vor dem Absetzen die Milchproduktion minimal beeinflussen, wenn die Wachstumsrate unter 0,5 kg/Tag liegt, aber einen größeren Einfluss hat, wenn die Wachstumsrate von 0,5 auf 0,9 kg/Tag steigt. Die eingeschränkte Fütterung von Milchkälbern hat auch Auswirkungen auf das Tierwohl. Kälber, die mit begrenzten Milchmengen gefüttert werden, zeigen Verhaltensweisen, die auf chronischen Hunger hindeuten, wie vermehrte Vokalisation. Wenn Kälber am Automaten gefüttert werden, steigt die Zahl der unbelohnten Besuche (das heißt Besuche, ohne dass das Kalb ein Anrecht auf Tränke hat) mit abnehmender Milchmenge deutlich an. Eine eingeschränkte Milchmenge reduziert auch das Spielverhalten, was ebenfalls als Indikator für das Tierwohl dienen kann. Die momentanen Empfehlungen für die Tränkephase von Kälbern sieht nach der Kolostrumaufnahme eine vier bis fünf wöchige ad-libitum Tränke vor. In der Praxis wird dies in der Regel mittels Vertränken von leicht (pH von 5,5) angesäuerter Vollmilch durchgeführt. Die Verwendung von Milchaustauschern für die ad-libitum Tränke ist möglich, sofern diese einen hohen Anteil an Milchbestandteilen enthalten. Anschließen sollte sich dann eine langsame, schrittweise Reduktion der Tränkemenge bis zur Entwöhnung mit frühestens zwölf Wochen. 198 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Studien, die einen direkten Einfluss des Fütterungsniveaus auf die häufigsten Kälberkrankheiten nachweisen, sind allerdings erstaunlich selten. Dies liegt vermutlich daran, dass die meisten Untersuchungen in universitären Einrichtungen mit hervorragenden Kälbermanagement stattgefunden haben. Hier gibt es in der Regel auch bei unzureichender Fütterung kaum erkrankte Kälber, so dass keine Unterschiede nachweisbar waren. Ebenso verhält es sich bei den meisten Studien auf Bestandsebene, da kaum Betriebe mit intensiver Fütterung an derartigen Studien teilhatten. Eine Ausnahme bildet hier eine Fallkontrollstudie in bayerischen Milchviehbetrieben (3). Hier wurden unter anderem ein höheres Fütterungsniveau, bzw. die ad-libitum Tränke in den ersten Lebenswochen als ein Schutzfaktor gegen Neugeborenendurchfall als Bestandsproblem identifiziert. Trennung von Kuh und Kalb Unter natürlichen Bedingungen sondern sich Kühe vor der Kalbung von der Herde ab und halten ihr Kalb anschließend für einige Tage von der Herde fern. Danach schließen sich die Kälber der Herde an, um mit Artgenossen Gruppen zu bilden und soziale Beziehungen einzugehen. In den allermeisten kommerziellen Milchviehbetrieben werden die Kälber jedoch sofort oder innerhalb weniger Stunden nach der Geburt von ihren Muttertieren getrennt. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Tierärzte sehen in einer verbesserten Kälbergesundheit den Hauptgrund für eine frühzeitige Trennung von Kuh und Kalb. Eine systematische Überprüfung der verfügbaren wissenschaftlichen Literatur zu den Auswirkungen einer frühen Kuh-Kalb-Trennung auf die Gesundheit von Kühen und Kälbern konnte jedoch keine konstant positiven Folgen erkennen (4). Die Artikel, die sich mit Kälberdurchfall befassten, wiesen auf positive oder gar keine Auswirkungen des Verbleibs bei der Kuh hin. In Bezug auf die Gesundheit der Kühe zeigt die Untersuchung, dass das Säugen vor Mastitis schützt und dass der Kontakt zwischen Kuh und Kalb keinen signifikanten Risikofaktor für das Auftreten von Paratuberkulose darstellt. In einer Übersicht über die Auswirkungen eines längeren Kuh-Kalb-Kontakts wurde festgestellt, dass eine frühzeitige Trennung (innerhalb von 24 Stunden nach der Geburt) die akuten Stressreaktionen von Kühen und Kälbern verringert (5). Allerdings hatte ein längerer Kuh-Kalb-Kontakt in der Regel längerfristige positive Auswirkungen auf die Kälber, indem er ein normaleres Sozialverhalten förderte, abnormales Verhalten reduzierte und auch die Reaktionen auf Stressfaktoren verringerte. Die Gewichtszunahme der Kälber war während der Milchfütterungsperiode erhöht, ohne dass es über einen längeren Zeitraum hinweg konsistente Hinweise auf eine verringerte Milchproduktion der Kühe gab. Einzelhaltung Die Einzelunterbringung von Milchkälbern ist eine weitere umstrittene Praxis, die in Milchviehbetrieben weit verbreitet ist. Viele Züchter bevorzugen die Einzelhaltung junger Kälber, da man davon ausgeht, dass die Gruppenhaltung das Risiko von Infektionskrankheiten erhöht, auch wenn die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu diesem Thema nicht eindeutig sind (6). Allerdings stellt insbesondere die Unterbringung von Kälbern in größeren Gruppen größere Herausforderungen für das Management dar (7). In jüngerer Zeit wurden die Auswirkungen der Paarhaltung von Kälbern untersucht, wobei davon ausgegangen wurde, dass diese kleinstmögliche Gruppe den Kälbern eine natürlichere Sozialisierung ermöglichen und gleichzeitig die Nachteile der Gruppenhaltung minimieren würde. Hierbei konnte kein negativer Einfluss auf die Gesundheit paarweise gehaltener Kälber festgestellt werden. Die Vorteile der Paarhaltung sind vergleichbar mit denen der Unterbringung von Kälbern in größeren Gruppen, wie von Costa et al. beschrieben (8). Die überprüften Studien zeigten, dass einzeln aufgezogene Kälber mangelnde soziale Fähigkeiten, Schwierigkeiten bei der Bewältigung neuer Situationen und schlechtere Lernfähigkeiten aufweisen. Die soziale Unterbringung von Kälbern verbessert auch die Aufnahme von festem Futter vor dem Absetzen und hilft, die Gewichtszunahme vor und nach dem Absetzen von Milch auf festes Futter zu verbessern. Schlußfolgerungen Das neueste EFSA Gutachten (1) und der Stand der Forschung legen dar, dass es in der Kälberaufzucht gängige Praktiken gibt, die mit momentanen Forderungen an das Tierwohl nicht vereinbar sind. Nicht alle dieser Praktiken können kurzfristig angepasst werden. Am einfachsten Umzusetzen ist eine ausreichende Versorgung der Kälber mit Milch. Auf eine frühe Paar- oder Gruppenhaltung sollte bereits jetzt hingearbeitet werden. Die 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 199

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ längerfristige Einzelhaltung ist auf europäischer Ebene ja sowieso ein Auslaufmodell. Am schwierigsten zu lösen ist das Problem der frühen Trennung von Kuh und Kalb. Hier ist die Wissenschaft aufgefordert für eine langfristige Veränderung praktikable Methoden zu finden und zu testen. Literatur 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. EFSA Panel on Animal Health and Animal Welfare. Scientific Opinion on the welfare of calves. EFSA Journal 2023;21 (3):7896, 197 pp. Lorenz I. Calf health from birth to weaning - an update. Ir Vet J. 2021 Mar 16;74(1):5. Lorenz I, Huber R, Trefz FM. A High Plane of Nutrition Is Associated with a Lower Risk for Neonatal Calf Diarrhea on Bavarian Dairy Farms. Animals (Basel). 2021 Nov 13;11(11):3251. Beaver A, Meagher RK, von Keyserlingk MAG, Weary DM. Invited review: A systematic review of the effects of early separation on dairy cow and calf health. J Dairy Sci. 2019 Jul;102(7):5784-5810. Meagher RK, Beaver A, Weary DM, von Keyserlingk MAG. Invited review: A systematic review of the effects of prolonged cow-calf contact on behavior, welfare, and productivity. J Dairy Sci. 2019 Jul;102(7):5765-5783. Lorenz I, Earley B, Gilmore J, Hogan I, Kennedy E, More SJ. Calf health from birth to weaning. III. housing and management of calf pneumonia. Ir Vet J. 2011 Oct 21;64(1):14. Hepola H: Milk feeding systems for dairy calves in groups: effects on feed intake, growth and health. Appl Anim Behav Sci 2003, 80:233-243. Costa JHC, von Keyserlingk MAG, Weary DM. Invited review: Effects of group housing of dairy calves on behavior, cognition, performance, and health. J Dairy Sci. 2016 Apr;99(4):2453-2467. Kontakt Dr. Ingrid Lorenz; Tiergesundheitsdienst Bayern e. V., Poing-Grub Ingrid.Lorenz@tgd-bayern.de 200 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Alimentär bedingter Durchfall beim Kalb – spielt der Sulfatgehalt in Milchaustauscher noch eine Rolle? Alexandra Koch Tiergesundheitsdienst, Tierseuchenkasse Sachsen-Anhalt, Magdeburg Einleitung Mit Inkrafttreten des § 10 Absatz 4 der am 25. November 2021 geänderten Tierschutztransportverordnung (1) wurde zum 01.01.2023 das Mindesttransportalter von Kälbern von 14 auf 28 Tage angehoben. Aufgrund der dadurch längeren Aufenthaltsdauer männlicher Kälber in den Milchviehbeständen kam es in den meisten Betrieben zu Umstrukturierungen in den Aufzuchtbereichen. In zwei großen Milchviehbetrieben in Sachsen- Anhalt (jeweils ca. 2000 Milchkühe) wurde unter anderem das Tränkemanagement geändert. Bis zum 31.12.2022 wurden männliche und weibliche Kälber bis zum 14. Lebenstag mit angesäuerter Vollmilch ad libitum über Nuckeleimer versorgt. Ab 01.01.2023 wurden die männlichen Kälber bis zum Verkauf (ab 28. Lebenstag) so weiter getränkt. Da jetzt nicht mehr genügend Vollmilch zur Verfügung stand, wurden die weiblichen Kälber ab dem 2. Lebenstag mit einem angesäuertem Milchaustauscher (50% Magermilchanteil, Konzentration der Tränke: 170 g/L) ad libitum versorgt. Ab dem Tag nach der Umstellung von Vollmilch auf Milchaustauscher wurden bei den betroffenen weiblichen Kälbern in jedem Lebensalter, somit bereits ab dem zweiten Lebenstag, suppige bis wässrige Diarrhoe festgestellt. Die bis dahin moderate betriebliche Durchfallproblematik verschärfte sich bei den weiblichen Kälbern in den nächsten Tagen und Wochen massiv, was in einer Erhöhung der Totalverluste mündete. Bei den männlichen Kälbern war die beschriebene Entwicklung nicht feststellbar. Bei der Untersuchung von Kotproben auf Durchfallerreger als auch der Kontrolle von Anmischtemperatur, Anmischkonzentration sowie Suspensionsstabilität der Milchaustauschertränke wurden keine Abweichungen festgestellt. Außerdem wurden vom Milchaustauscher und dem im jeweiligen Betrieb verwendeten Tränkewasser am Institut für Tierernährung der Tierärztlichen Hochschule Hannover analytisch der Sulfatgehalt bestimmt. Kurze Literaturübersicht Sulfat gehört als Natriumsulfat (Glaubersalz) oder Magnesiumsulfat (Bittersalz) zu den osmotisch wirksamen salinischen Laxantien (2). Die scheinbare Verdaulichkeit von Sulfat beim Rind liegt bei ca. 80% (3) und sinkt mit steigender Sulfatkonzentration im Futtermittel bis auf 60% (3,4). Mit zunehmender Konzentration von Sulfat im Futtermittel verbleiben so steigende Mengen an Sulfat im Kot. Dabei bindet jedes Gramm Sulfat im Kot ca. 35,4 g Wasser (4). Bereits aus der Human- und aus dem Schweinebereich (5-11) ist bekannt, dass erhöhte Mengen an Sulfat im Trinkwasser bzw. in der Tränke stuhl- bzw. kotaufweichende Wirkung bis hin zu durchfälligen Konsistenzveränderungen haben. Dabei scheint diese Wirkung spezies- und altersabhängig zu sein. Der in Deutschland rechtlich einzuhaltende Grenzwert für Sulfat im Trinkwasser liegt bei 250 mg/L (12). Für Tränkewasser liegt der Orientierungswert bei < 500 mg/L (13). Der Sulfatgehalt von Brunnenwasser variiert in Norddeutschland zwischen 0 und 600 mg/L (4). Um die Jahrtausendwende wurde sich in einer Dissertation an der Tierärztlichen Hochschule Hannover (4) intensiver mit dem Sulfatgehalt in Milchaustauschern (MAT) beschäftigt. Zu der Zeit häuften sich nutritiv bedingte Durchfälle in der Kälberaufzucht und Kälbermast. Ursache waren erhöhte Sulfatgehalte durch die im Milchaustauscher enthaltenen Molkeanteile. Durch Ausfällung von Molke aus Vollmilch mit Schwefelsäure oder Diammoniumsulfat kann diese Molke bis zu 43 g Sulfat/kg TS enthalten (4). Bei Milchaustauschern mit sehr hohem Molkeanteil (Nullaustauscher) wurden zum Teil Sulfatgehalte von 12,6 g/kg TS nachgewiesen (4). Bei Tränkekonzentrationen von 125 g/L sind so in Abhängigkeit vom MAT (ohne Beachtung des Sulfatgehalts des Anmischwassers) Sulfatgehalte von ca. 250 bis 1500 mg/Liter Tränke möglich. Im Vergleich dazu enthält Vollmilch ca. 12 mg Sulfat/kg (14). Je nach verwendetem Wasser zum Anrühren des MAT erhöht sich die Konzentration weiter. Stolte 2000 (4) fand heraus, dass bereits bei Sulfatkonzentration ab 400 mg/L 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 201

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Milchaustauschertränke erste makroskopisch erkennbare Änderungen in der Kotkonsistenz bei Kälbern feststellbar sind. Die Auswirkung des Sulfats ist dabei altersabhängig. Am stärksten wirken sich höhere Sulfatgehalte im MAT bei sehr jungen Kälbern aus (4). Stolte 2000 (4) legt als Fazit einen Richtwert für Sulfatgehalte in Tränken für Kälber von < 400 mg Sulfat/L Tränke fest. Ein Folgerichtwert aus dieser Dissertation findet sich auch in „Supplemente zur Tierernährung“ (15). Hier wird ein Sulfatgehalt von maximal 600 mg/L Tränke bei Kälbern als Richtwert ausgewiesen. Untersuchungen und Berechnungen Im Rahmen eigener Untersuchungen wurden zusätzlich zu dem Milchaustauscher aus den oben genannten Betrieben zehn weitere MAT mit 50%igem Magermilchanteil und einem weiteren Milchaustauscher mit 40%igem Magermilchanteil analytisch auf Sulfat am Institut für Tierernährung der Tierärztlichen Hochschule Hannover untersucht. Die Analysewerte für Sulfat schwankten zwischen 2760 bis 5200 mg/kg OS. Weiterhin wurden im betroffenen Betrieb und weiteren Betrieben mit Kälberaufzucht die Sulfatgehalte von Brunnen- bzw. Trinkwasser abgefragt. Die Trinkwasserwerte lagen alle bei 250 Sulfat mg/L, die Werte der Brunnenwasser schwankten zwischen 14 und 450 mg Sulfat/L. Berechnet man jetzt den Sulfatgehalt der Milchaustauschertränke auf der Grundlage von drei verschiedenen MAT (MAT 1: 2760 mg Sulfat/kg OS, MAT 2: 3440 mg Sulfat/kg OS, MAT 3: 5200 mg Sulfat/kg OS), unterschiedlichen MAT-Konzentrationen (120-170 g/L) in Kombination mit verschiedenen Sulfatgehalten in Wasser (14 mg/L, 250 mg/L, 450 mg/L), dann ist folgendes festzustellen: 1. Bereits bei einem Sulfatgehalt von 3440 mg/kg OS im MAT (MAT 2) ist unabhängig vom verwendeten Wasser auch bei einer niedrigen Tränkekonzentration von 120 g/L kein Sulfatgehalt in der Milchaustauschertränke unter 400 mg/L. 2. Bei MAT 1 (MAT mit niedrigstem gemessenen Sulfatgehalt von 2760 mg/kg OS) ist nur mit Brunnenwasser mit 14 mg Sulfat/L und bis zu einer Konzentration von 140 g/L ein Sulfatgehalt in der Tränke von unter 400 mg/L möglich. 3. Bei MAT 3 ist unabhängig vom verwendeten Wasser und bei jeder Tränkekonzentration auch der höher angelegte Grenzwert für Sulfat von 600 mg/L immer überschritten. 4. Beim Verwenden von Trinkwasser (Sulfatgehalt von 250 mg/L) zum Anrühren von MAT bleibt nur die Kombination mit MAT 1 und bei einer maximalen Tränkekonzentration bis 130 g/L unter 600 mg/L. 5. Die beiden Betriebe mit der oben beschriebenen Durchfallproblematik hatten bei den weiblichen Kälbern bis zum 14. Lebenstag zum Zeitpunkt des Auftretens des Bestandsproblems Tränke mit 802 mg Sulfat/L (MAT 2 + Trinkwasser) bzw. 1101 mg Sulfat/L (MAT 2 + Brunnenwasser mit 450 mg Sulfat/L) vertränkt. Bei der Beurteilung dieser Ergebnisse sollte noch bedacht werden, dass mittlerweile Tränkekonzentrationen von mindestens 150 g/L für die Kälberaufzucht empfohlen werden. (Anmerkung des Autors: ein Großteil der im Handel verfügbaren Milchaustauscher ersetzen Vollmilch aus Sicht der Energie- und Nährstoffversorgung erst bei Konzentrationen ab ca. 170 g/L.) Fazit Die Erkenntnisse aus 1999/2000 zum Sulfatgehalt bei Milchaustauschern sind aufgrund der Überarbeitung der Ursache durch die Futtermittelerzeuger (Verwendung sulfatarmer Molke) in den Hintergrund, wenn nicht gar in Vergessenheit geraten. Die von uns untersuchten Milchaustauscher lagen aufgrund des niedrigen Molkeanteils zwar alle im Sulfatgehalt deutlich niedriger als die von Stolte 2000 (4) untersuchten molkereichen Milchaustauscher aber auch höher als der damals untersuchte Milchaustauscher mit 50% Magermilchanteil (2160 mg Sulfat/kg OS). Weiterhin sind im Verlauf der Entwicklung in der Kälberaufzucht – weg von der restriktiven Aufzucht – auch die Empfehlungen für die Tränkekonzentrationen stetig gestiegen. Zudem werden die unterschiedlichen Sulfatgehalte im verwendeten Wasser, so lange sie den aus tiergesundheitlicher Sicht empfohlenen Orientierungswert für Tränkewasser in der Rinderhaltung (< 500 mg Sulfat/L) nicht überschreiten, nicht bedacht. 202 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Die Kombination aus beidem zeigt jetzt zumindest rechnerisch, dass der Sulfatgehalt in der Tränke von Kälbern durchaus wieder Relevanz für die Kotkonsistenz in der Kälberaufzucht bekommt. Das beschriebene Bestandsproblem unterstützt diese Vermutung. Folgt man den Erkenntnissen von Stolte 2000 (4), dann sind die erhöhten Sulfatgehalte in der Tränke vor allem bei jungen Kälbern von Bedeutung (25 Lebenstage vs. 42 Lebenstage). Im oben beschriebenen Bestandsproblem waren die Kälber sogar noch deutlich jünger (2.-14. Lebenstag). Milchaustauscher mit hohen Sulfatgehalten (z.B. MAT 3: 5200 mg Sulfat/kg OS) sollten aus diesem Grund zumindest bis zum Alter von 25 Tagen nicht zur Anwendung kommen. Weiterhin wird empfohlen, bei Durchfallproblemen im Kälberbereich routinemäßig den verwendeten Milchaustauscher analytisch auf Sulfat zu untersuchen und mit dem Sulfatgehalt des Wassers rechnerisch zu kombinieren, um gegebenenfalls das Ausmaß der Wirkung der Tränke auf die Kotkonsistenz einschätzen zu können. Literatur 1. Verordnung zum Schutz von Tieren beim Transport und zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 1/2005 des Rates (Tierschutztransportverordnung) vom 11. Februar 2009 (BGBl. I S. 375), die zuletzt geändert am 25. November 2021. 2. Ungemach FR. Laxantien. In: Löscher W, Ungemach FR, Kroker R, Herausgeber. Pharmakotherapie bei Haus- und Nutztieren. 6. Aufl. Berlin, Wien: Blackwell Verlag GmbH; 2003. S. 193-197. 3. Kamphues J, Stolte M, Tschentscher A, Rust P. Untersuchungen zu Sulfatgehalten in Milchaustauschern und Molkeprodukten sowie zur Bedeutung der Sulfataufnahme für die Kotbeschaffenheit bei Kälbern. Dtsch Tierärztl Wschr 1999;106(11):466-470. 4. Stolte M. Untersuchungen zum Sulfatgehalt in Molkepulvern und Milchaustauschern sowie dessen Einfluß auf die Kotqualität und die scheinbare Verdaulichkeit der organischen Substanz und der Mengenelemente bei Kälbern [Dissertation]. Hannover: Tierärztliche Hochschule; 2000. 5. Esteban E, Rubin CH, McGeehin MA, Flanders WD, Baker MJ, Sinks TH. Evaluation of Infant Diarrhea Associated with Elevated Levels of Sulfate in Drinking Water: A Case-Control Investigation in South Dakota. Int J Occup Environ Health 1997;3(3):171- 176. 6. Heizer WD, Sandler RS, Seal E, Murray SC, Busby MG, Schliebe BG, Pusek SN. Intestinal effects of sulfate in drinking water on normal human subjects. Dig Dis Sci 1997; 42(5):1055-1061. 7. Backer LC, Esteban E, Rubin CH, McGeehin MA. Assessing acute diarrhea from sulfate in drinking water. J Am Water Work Assoc 2001;93(9):76-84. 8. Backer LC. Assessing the acute gastrointestinal effects of ingesting naturally occurring, high levels of sulfate in drinking water. Crit Rev Clin Lab Sci 2000;37(4): 389-400. 9. Gomez GG, Sandler R, Seal E. High levels of inorganic sulfate cause diarrhea in neonatal piglets. J Nutr 1995;125(9):2325- 2332. 10. Veenhuizen M. Association between water sulfate and diarrhea in swine on Ohio farms. J Am Vet Med Assoc 1993;202(8):1255- 1260. 11. Veenhuizen MF, Shurson GC. Effects of sulfate in drinking water for livestock. J Am Vet Med Assoc 1992;201(3):487-492. 12. Verordnung über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch (Trinkwasserverordnung) vom 20. Juni 2023 (BGBl. 2023 I Nr. 159). 13. Kamphus J, Böhm R, Flachowsky G, Lahrssen-Wiederholt M, Meyer U, Schenkel H. Empfehlungen zur Beurteilung der hygienischen Qualität von Tränkewasser für Lebensmittel liefernde Tiere unter Berücksichtigung der gegebenen rechtlichen Rahmenbedingungen. Landbauforschung Völkenrode 2007;3(57):255-272. 14. Anke M, Hennig A: Mengenelemente. In: Mineralstoffe, Vitamine, Ergotropika. VEB Deutscher Landwirtschaftsverlag Berlin; 1972 S. 116-119. 15. Kamphues J, Wolf P, Eder K, Iben C, Kienzle E. Ernährung verschiedener Spezies: Rinder. In: Supplemente zur Tierernährung. 12. überarbeitete Auflage; Verlag M.&H. Schaper; 2014. S. 261-307. Kontakt Dr. Alexandra Koch; Tiergesundheitsdienst, Tierseuchenkasse Sachsen-Anhalt, Magdeburg a.koch@tskst.de 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 203

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Das Azidoserisiko in der Transitphase kennen, erkennen und vermeiden Jörg R. Aschenbach Institut für Veterinär-Physiologie, Freie Universität Berlin Einleitung Die Transitphase gilt als die größte tierernährerische Herausforderung in der Rinderfütterung. Während tragende Kühe und Färsen in der Trockensteherzeit vor der Geburt nicht übermäßig verfetten dürfen, muss die Energieversorgung nach der Geburt rasch ansteigen, um mit dem nach der Geburt rasant ansteigenden Energiebedarf mitzuhalten. Bei hochleistenden Tieren erfordert dies zwingend den Zusatz leicht verdaulicher Kohlenhydrate. Diese können im Pansen schnell verwertet und zu verfügbarer Energie umgesetzt werden. In Abhängigkeit von der Fermentationsgeschwindigkeit entstehen dabei große bis sehr große Mengen an organischen Säuren, die den pH-Wert im Pansen deutlich absenken können. Dies kann zur Entstehung von Pansenazidosen beitragen, die sich je nach Schwere der Erkrankung in subakut oder akut einteilen lassen. Damit die Absenkung des pH-Wertes in tolerierbaren Grenzen bleibt und Azidosen vermieden werden, müssen die Säureresorption und die Säurepufferung im Pansen mit der Säureproduktion schritthalten können. Hierzu sind hochoptimierte Fütterungsstrategien erforderlich, mit denen die Tiere das richtige Futter in der richtigen Form und richtigen Menge in der richtigen Frequenz angeboten bekommen (1-4). Wesentlicher Bestandteil von Fütterungsstrategien zur Vermeidung von Pansenazidosen ist die Verfütterung von pansenresistenter Stärke. Diese verzögert und vermindert die Säurebildung nach der Fütterung und trägt so zu einer gleichmäßigeren und insgesamt geringeren Säurebildung bei. Die im Pansen nicht verdaute Stärke kann im Dünndarm aufgeschlossen und als Glukose resorbiert werden. Jedoch haben Stärkeaufschluss und Glukoseresorption im Dünndarm auch ihre Grenzen. Eine Kuh kann nur etwa 1,5 – 2,0 kg/d Stärke im Dünndarm autoenzymatisch aufschließen (5-6). Oberhalb dieser Mengen nimmt die Stärkeverdaulichkeit schnell ab (7), so dass bei übermäßigem Angebot die pansenresistente Stärke zunehmend in den Dickdarm gelangen und dort zu einer azidotischen Entgleisung führen kann. Wenngleich die wissenschaftliche Erforschung der Dickdarmazidosen noch sehr rudimentär ist, kann davon ausgegangen werden, dass auch bei Dickdarmazidosen die Gesundheit und Leistung der Tiere in sehr ähnlicher Weise wie bei Pansenazidosen beeinträchtigt wird (8-10). Die vorliegende Arbeit skizziert in Kurzform die Determinanten sowie Diagnostik- und Prophylaxemöglichkeiten von Azidosen. Sie basiert im Wesentlichen auf einer früheren Publikation des Autors, auf die für weitergehende Details verwiesen wird (4). Das Azidoserisiko kennen Futter, Fütterungsmanagement und tierindividuelle Faktoren sind entscheidende Determinanten des Azidoserisikos. Seitens des Futters sind vor allem die Faseranteile, die Faserzusammensetzung, die Faserstruktur, die Stärkeanteile und die Stärkeverdaulichkeit pH-relevante Faktoren. Die Faser und deren Struktur bestimmen die Fressgeschwindigkeit, die Gesamthöhe der Futteraufnahme und die Verweildauer des Futters im Vormagen mehr oder weniger direkt. Zusätzlich stimuliert die physikalisch effektive Struktur der Faser durch Reizung von Maul- und Pansenschleimhaut sekundär Speichelsekretion, Pansenmotorik sowie die Häufigkeit und Intensität des Wiederkauens (1). Längere Faserpartikel begünstigen darüber hinaus die Bildung einer Pansenmatte, in der sich faser- und stärkehaltige Partikel für eine effiziente Fermentation verfangen (11- 12). Das Futter darf andererseits aber auch nicht zu grob stukturiert sein, weil dies die Selektion von Konzentratbestandteilen des Futters und damit punktuell hohe Aufnahmen von leicht fermentierbaren Kohlenhydraten durch einzelne Tiere begünstigt (12). Der Einschluss leicht fermentierbarer Kohlenhydrate in die Ration, insbesondere in Form von Getreidestärke, ist notwendig, um den Energiebedarf für die Laktation zu decken. Um eine übermäßige Säureproduktion aus der verfütterten Stärke zu vermeiden, muss ein Teil der Stärke in pansenresistenter Form verfüttert werden (2). Dies kann durch den Einschluss natürlicher Quellen von pansenresistenter Stärke (z.B. Mais oder Sorghum) (13) oder durch prozesstechnische Absenkung der ruminalen Stärkeverdaulichkeit (z.B. Hitzebehandlung oder Quetschen) (14) erreicht werden. Zu große Mengen 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 205

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ an pansenresistenter Stärke bergen jedoch andererseits die Gefahr, dass unverdaute Stärke in großer Menge im Dickdarm anflutet und dort Azidosen auslöst (8). Hinsichtlich des Fütterungsmanagements fördern all jene Faktoren die Entstehung von Azidosen, die eine selektive und ungleichmäßige Futteraufnahme über den Tag fördern. Daneben stellt insbesondere die Phase der Adaptation an eine leicht fermentierbare Diät eine große Herausforderung dar. Die Adaptation muss schrittweise erfolgen und ist erst nach ca. 4 – 5 Wochen abgeschlossen. Wird die Adaptation unterbrochen, kommt es sehr schnell zur Rückbildung der Anpassung mit dem Erfordernis einer erneuten graduellen Anpassung (15-16). Werden leicht fermentierbare Konzentrate und Raufutter getrennt angeboten, so dürfen die Konzentratmahlzeiten nicht zu groß sein, und es muss in der Gesamtbetrachtung der Ration der Verdrängungseffekt des Konzentrates auf die Raufutteraufnahme beachtet werden. Als Faustregel fressen Kühe ca. 0,3 – 1 kg weniger Raufutter je kg gefressenes Konzentrat (1). Als tierindividuelle Faktoren sind teils starke Unterschiede in der Pansenphysiologie einzelner Tiere bei ansonsten gleichen Fütterungsbedingungen zu nennen. Wiederkäuer einer Herde unterscheiden sich zum Teil beträchtlich in ihrer Fähigkeit, Säuren aus dem Pansen zu extrahieren (2,17). Zudem ist die aktuelle Milchleistung und damit der zu deckende Energiebedarf von Bedeutung, da dieser zusammen mit dem Futteraufnahmevermögen und dem Tier-Fressplatz-Verhältnis das Fressverhalten bestimmt. Sind die Fressplätze limitiert, so werden rangniedere Tiere (insbesondere Erstkalbinnen) vom Fressplatz verdrängt und nehmen in unregelmäßigen Abständen sehr großer Futtermengen auf (1). Das Azidoserisiko erkennen Der pH-Wert im Pansen ist, wie es der Name "Azidose" determiniert, das entscheidende diagnostische Kriterium für eine Pansen- bzw. Dickdarmazidose. Insbesondere im Pansen fand die Erfassung des pH-Wertes durch telemetrische Methoden in den letzten Jahrzenten eine sehr starke Verbreitung. Grundsätzlich ist jedoch festzustellen, dass die Erfassung des pH-Wertes fehleranfällig und im Regelfall mehr oder weniger ungenau ist, so dass ein blindes Vertrauen in Einzelwerte bzw. Werte von Einzeltieren nicht ratsam ist. Bei der kontinuierlichen Überwachung mittels telemetrischer Pansenboli gelten als Grenzwerte, dass die Pansen-pH- Werte nicht länger als 5 - 6 Stunden je Tag unter pH 5,8 (12) bzw. nicht länger als 3 Stunden je Tag unter pH 5,6 liegen sollten (18). Bei punktuellen Messungen muss die tageszeitliche Variation des Pansen-pH-Wertes beachtet werden, so dass der Probenahmezeitpunkt kritisch ist. Das Nadir des Pansen-pH-Wertes und damit der ideale Probenahmezeitpunkt liegt bei totalen Mischrationen 5 – 8 h nach der Morgenfütterung; bei partiellen Mischrationen ist dies 2 - 4 h nach einer Konzentratmahlzeit. Zu diesem Zeitpunkt sollte der Pansen-pH-Wert bei maximal 2 von 12 Tieren unter 5,5 liegen (19-20). Im Zusammenhang mit der Anamnese einer überhöhten Kraftfutteraufnahme kann eine akute Pansenazidose klinisch sehr gut anhand des akuten Auftretens von generalisierten Herz-Kreislauf- Störungen/Schock/Dehydratation, Sistieren von Nahrungsaufnahme und Pansenmotorik, Diarrhoe sowie später auch Leberschäden/-abszessen, Klauenrehe und ggf. Zerebrokortikalnekrose diagnostiziert werden (21-22). Klinische Befunde bei einer subakuten Azidose haben dagegen zumeist eine geringe Ausprägung und treten teilweise erst nach dem eigentlichen azidotischen Insult bzw. intermittierend auf. Man sollte Azidosen differentialdiagnostisch in Betracht ziehen, wenn Infektionsgeschehen und Lahmheiten im Bestand kursieren und Kühe gehäuft eine schlechte Körperkondition zeigen (23). Darüber hinaus deuten stark schwankende Futteraufnahmen und Milchleistungen auf Azidosen hin (24). Einige Untersuchungen an Mastbullen lassen hoffen, dass eine mittels Ultraschall zu erfassende Verdickung der Pansenwand möglicherweise zukünftig als Anzeichen von Pansenazidosen verwendet werden kann (25-26). Da sich die Pansenwand aber mit zunehmendem Lebensalter generell verdickt, ist dieses diagnostische Hilfsmittel bei Milchkühen bisher nicht anwendbar (27). Des Weiteren lassen sich labordiagnostisch ggf. im Blut Hinweise auf eine Entzündung oder eine metabolische Azidose, ggf. mit Absenkung des Blutkalziumspiegels, finden. Neben Entzündungsmarkern scheinen auch β-Hydroxybutyrate und Harnstoff prädiktiv für Pansen- (28) und Dickdarmazidosen zu sein (29). Ggf. könnten auch microRNA im Blut zukünftige Biomarker einer Azidose im Blut sein (30). Die Labordiagnose einer metabolischen Azidose kann mittels Harnanalyse gestellt werden. Grenzwerte sind dabei ein pH-Wert < 7,8, eine Netto-Säuren-Basen-Ausscheidung < 83 mmol/L und eine anorganische Phosphorausscheidung > 206 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ 5,7 mmol/L. Bei der Interpretation des Säuren-Basen-Status ist jedoch zwingend die Fütterung (Anion-Kationen- Bilanz der Ration) zu berücksichtigen (31). Aufgrund des intermittierenden Charakters sollten bei Laboruntersuchungen stets mehrere Tiere beprobt werden. immense Bedeutung zu. Seemann und Spohr berichteten 2010 Da eine pH-Wert-Erfassung nicht in allen Betrieben möglich und überdies fehlerbehaftet ist und da das klinische und labordiagnostische Bild ebenfalls nur bedingt aussagefähig ist, kommt der Analyse von Futter und Futteraufnahme eine in dieser Publikationsreihe, dass die Futtermittelanalyse (Faserkennwerte sowie Stärke- und Zuckergehalte) von allen untersuchten Kennwerten die höchste Sensitivität und Spezifität für die Diagnose von Pansenazidosen hatte (32). Sie stellten dabei ebenfalls fest, dass die Vorhersage des Pansen-pH-Wertes aus Futterkennwerten bei Erstkalbinnen wesentlich schlechtere Ergebnisse liefert als bei Mehrkalbinnen. Letzteres unterstreicht, dass das Futteraufnahmevermögen und Futteraufnahmeverhalten von Erstkalbinnen stark von dem der Mehrkalbinnen abweicht, wodurch Erstkalbinnen besonders Azidose-gefährdet sind (31). Es unterstreicht auch, dass das Fütterungsmanagement und weitere Interpretation von Futterkennwerten nicht außer Acht gelassen werden dürfen. tierindividuelle Faktoren bei der Ein wichtiger Surrogatmarker zur Beurteilung des Futteraufnahmeverhaltens auf Einzeltierebene und im Herdenmaßstab ist das Kau- und Wiederkauverhalten. Beim Blick in die Herde sollten etwa 40% der Kühe kauen bzw. wiederkauen (33). Werden Kausensoren verwendet, weisen ca. 50 Kieferschläge je Bissen (34) oder 35 min Kauzeit pro kg Trockensubstanzaufnahme (35-36) auf einen funktionierenden Pansen hin, wobei die Futterstruktur diese Werte stark beeinflussen kann (31). Das Sistieren der Hauben-Pansenmotorik bei Azidosen kann zukünftig ggf. durch intraruminale Beschleunigungssensoren (37-38) oder mittels 3D-Kamera im Melkstand erfasst werden (39). Veränderungen des Kauverhaltens und der Hauben-Pansenmotorik sind zwar typisch aber nicht spezifisch für Pansenazidosen. Die entsprechenden Sensoren erfassen damit eigentlich den allgemeinen Gesundheitszustand und das Wohlbefinden des Tieres (37). In Abhängigkeit von der Rasse gibt es Milchfett-Grenzwerte Schwankende Milchmengen und Änderungen im Milchfettgehalt sind indirekte Anzeichen für eine gastrointestinale Azidose. für den Herdendurchschnitt unterhalb derer eine Azidose wahrscheinlich ist. Diese liegen zwischen 3,2 % für Holstein, Ayrshire und Shorthorn-Kühe und 4,2 % für Jersey-Kühe. Bei Holstein-Kühen kann auch das Unterschreiten eines Milchfettgehaltes von 2,5 % bei 10 % der Herdentiere als Anzeichen für eine Azidose gewertet werden. Rasseunabhängig ist eine Azidose zu vermuten, wenn der Milchfettgehalt bei 45 % der Frühlaktierer um ≥ 0,4 % abfällt oder wenn der Fett-Eiweiß-Quotient unter 1,0 absinkt (23,40-42). Eine Änderung des Milchfettgehaltes weist nicht spezifisch auf Pansenazidosen hin, da auch Dickdarmazidosen den Milchfettgehalt gleichsinnig beeinflussen (43-44). Vor Fehlinterpretationen des Milchfettgehaltes muss man sich schützen, insbesondere bei Zufütterung konjugierter Linolsäuren oder Futterfetten, die reich an mehrfach ungesättigten Fettsäuren sind (diese senken den Milchfettgehalt), oder bei der Lipomobilisation in der Frühlaktation (diese erhöht dem Milchfettgehalt) (31). Hinsichtlich des Fettsäuremusters der Milch ist vor allem der Gehalt an n-6- Fettsäuren Azidose-prädiktiv (28). Veränderungen der Kotbeschaffenheit mit zunehmend unverdauten Partikeln treten sowohl bei Pansen- als auch bei Dickdarmazidosen auf (42). Ein saurer Kot-pH-Wert gekoppelt mit wässrigen oder schaumigen Fäzes sowie die Präsenz von Muzin-/Schleimhautfetzen deuten auf Dickdarmazidosen hin (8). Die Kotsiebung macht unverdaute Partikel und Muzin-/Schleimhautfetzen sichtbar. Das Azidoserisiko vermeiden Um das Azidoserisiko beherrschbar zu machen müssen vor allem Futter und Fütterungsmanagement optimiert werden. Seitens des Futters ist insbesondere eine adäquate Versorgung mit physikalisch effektiver Faser (peNDF>1.18 mm > 31.2 %; peNDF>8 mm > 18.5 %) zu gewährleisten, wobei insbesondere die Fasern zwischen 8 und 19 mm eine positive Wirkung für Fermentation und Leistung haben. Die Faser darf nicht zu kurz sein, um Kauen/Wiederkauen, Speichelsekretion, Pansenmotorik und die Ausbildung einer Pansenmatte zu fördern. Andererseits darf die Faserfraktion nicht zu grob sein, um eine hohe Energieausbeute aus Faserkohlenhydraten zu fördern und selektives Fressen einzuschränken (12,45). Daneben müssen Stärkemenge und Stärkeverdaulichkeit optimal abgestimmt werden, um Pansen- bzw. Dickdarmazidosen zu vermeiden. Vorsicht ist ab ca. 160 g/kg Trockensubstanz pansenfermentierbarer Stärke und > 2 kg 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 207

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ postruminaler Stärke geboten. Damit es bei niedrigeren Stärkemengen zu keinem Mangel an leicht verwertbaren Kohlenhydraten kommt, kann ein Teil der Stärke durch Zucker ersetzt werden. Dabei sollte das Verhältnis Zucker zu löslichem Protein den Wert von 1,5:1 nicht überschreiten, um die Stickstoffeffizienz nicht zu gefährden (4). Es können zur Abmilderung der Azidose auch klassische Pansenpuffer wie MgO oder NaHCO3 (46) oder funktionelle Pansenpuffer wie Natriumfumarat (47) zum Einsatz kommen. Diese mildern Azidosen jedoch nur im Vormagen, nicht im Dickdarm. Mehrere Studien weisen zudem darauf hin, dass Hefezulagen das Azidoserisiko mindern (48-50). Seitens des Fütterungsmanagements ist die graduelle Anpassung an Diäten mit leicht fermentierbaren Kohlenhydrate von herausragender Bedeutung (15-16). Kraftfuttermengen sollten graduell über mehrere Wochen angepasst werden und niemals schneller als 0,25 kg/d steigen. Unbedingt zu vermeiden sind Zeiten mit eingeschränkter Futterverfügbarkeit. Eine hohe Frequenz kleiner Mahlzeiten kann durch eine entsprechende Fütterungsfrequenz, regelmäßige Push-ups, ausreichende Futterplätze und Stressvermeidung erreicht werden. Futterzusammensetzung und Futterstruktur sollten regelmäßig kontrolliert werden und insbesondere Erstkalbinnen sollten engmaschig auf Anzeichen von Azidosen kontrolliert werden (1). Literatur 1. Humer E, Petri RM, Aschenbach JR, Bradford BJ, Penner GB, Tafaj M, Südekum KH, Zebeli Q. Invited review: Practical feeding management recommendations to mitigate the risk of subacute ruminal acidosis in dairy cattle. J Dairy Sci. 2018;101:872-88. 2. Aschenbach JR, Penner GB, Stumpff F, Gäbel G. Ruminant Nutrition Symposium: Role of fermentation acid absorption in the regulation of ruminal pH. J Anim Sci. 2011;89:1092-107. 3. 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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ 50. Bach A, López-García A, González-Recio O, Elcoso G, Fàbregas F, Chaucheyras-Durand F, Castex M. Changes in the rumen and colon microbiota and effects of live yeast dietary supplementation during the transition from the dry period to lactation of dairy cows. J Dairy Sci. 2019;102:6180-98. Kontakt Prof. Dr. Jörg R. Aschenbach; Freie Universität Berlin joerg.aschenbach@fu-berlin.de 210 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Tiergesundheitskonto - Was kostet uns Tiergesundheit? Melanie Schären-Bannert1,2 und Peter Hufe2, Benno Waurich2,4, Adriana Wöckel1,2, Wolf Wippermann1,2, Guntram Hermenau2, Erik Bannert2,3, Julia Wittich2, Christina Felgentreu2, Franz Fröhlich2, Detlef May2, Sven Dänicke3, Hermann Swalve4, Alexander Starke1 1Klinik für Klauentiere, Veterinärmedizinische Fakultät, Universität Leipzig; 2Lehr- und Versuchsanstalt für Tierzucht und Tierhaltung e.V. (LVAT), Groß Kreutz; 3Institut für Tierernährung, Friedrich-Loeffler-Institut, Braunschweig; 4Professur Tierzucht, Institut für Agrar- und Ernährungswissenschaften, Martin-Luther- Universität Halle-Wittenberg Einleitung Tagtäglich müssen in der Milchproduktion Entscheidungen im Bereich der Tiergesundheitsökonomie gefällt werden. Zum einen am Einzeltier, z.B. über die Behandlung oder Abgang eines Einzeltieres, als auch auf Herdenebene z.B. zu Prophylaxemaßnahmen. Hierbei spielt die Zusammenarbeit von Landwirt/in und Tierarzt/Tierärztin eine zentrale Rolle. Um die Entscheidung fundiert fällen zu können, fehlt es jedoch oftmals an den entsprechenden Datengrundlagen. Insbesondere bei Abgangsentscheidungen zeigt sich, dass sich hier eher zugunsten der Remontierung als zur Behandlung des Einzeltieres entschieden wird. Dies begünstigt hohe Abgangsraten, was aus Sicht des Tierwohls und der Nachhaltigkeit kritisch zu sehen ist. Aber auch aus ökonomischer Sicht wird hier in vielen Fällen eine Fehlentscheidung vermutet. Ziel des EIP-Projektes „Die Entwicklung des KUH-mehr-WERT Navigators“ war daher die Erarbeitung entsprechender Datengrundlagen für ein entsprechendes Entscheidungsinstrument. Zwölf brandenburgische Betriebe (Durchschnittsbestand: 574 Deutsche Holstein Kühe, Abgangsrate: 31,4 % (23,0-42,4 %, bereinigt um Zuchtviehverkäufe)), Lebensleistung der Abgangskühe: 31.619 kg (24.771- 42.249 kg)) wurden über fünf Jahre begleitet. Die ökonomische Datengrundlage für die verschiedenen Auswertungen wurde zum einen durch eine vierteljährliche Betriebszweigauswertung (Projektbenchmark) sowie durch Datenakquisen in einzelnen Bereichen erarbeitet. Nachfolgend werden drei Aspekte vertieft betrachtet: Anteil der Tiergesundheitskosten an den Produktionskosten, Kosten für Klauengesundheit bzw. Einzeltiererkrankungen. Anteil der Tiergesundheitskosten an den Produktionskosten ECM), Euterpflegemittel (0,07 €/dt (0,06 €/dt ECM), Laboruntersuchungen Die Kosten für Tiergesundheit betrugen in der Betriebszweigauswertung durchschnittlich 2,12 €/dt ECM (Erfassungszeitraum: 2021) und setzten sich aus den Kosten für tierärztliche Leistungen (0,33 €/dt ECM), Personalkosten angestellter Tierärzte (inkl. Sozialausgaben, 0,02 €/dt ECM), Kosten für Medikamente (0,90 €/dt ECM), Entsorgungsgebühren (0,06 €/dt ECM), Vorkosten für die Schlachtung (Transport und Erfassungskosten, 0,12 €/dt ECM) sowie den Kosten für die Klauenpflege (0,56 €/dt ECM) zusammen (Abbildung 1). Hervorzuheben ist, dass der größte Anteil der Kosten durch den Medikamenteneinsatz (42,4 %) und nicht durch tierärztliche Dienstleistungen (15,6 %) oder orthopädische Dienstleistungen bzw. Aufwendungen (26,4 %) abgebildet wird. Beim Vergleich der Tiergesundheitskosten auf Herdenbasis konnte kein Zusammenhang mit der entsprechenden Marktleistung oder Abgangsrate der Herde nachgewiesen werden. So wiesen die beiden Betriebe mit den niedrigsten Abgangsraten (23,2 % Betrieb X bzw. 23,0 % Betrieb P) die niedrigsten (1,27 €/dt ECM Betrieb X) bzw. die höchsten Tiergesundheitskosten (4,42 €/dt ECM Betrieb P) auf. Wobei eine vertiefte Analyse zeigte, dass in Betrieb P die hohen Ausgaben auf die intensive Prophylaxe und frühzeitiges Handeln bei Erkrankung zurückzuführen waren. In Betrieb X zeigt sich, dass sich ein gutes Tiergesundheitsmanagement nicht nur in niedrigen Abgangsraten und niedrigen Ausgaben für Tiergesundheit widerspiegelt, sondern auch mit einer hohen Milchleistung vereinbar ist. Betrieb X wies im betrachteten Zeitraum die höchste Marktleistung mit 10.605 kg ECM (MW: 9.974 kg ECM) auf. 212 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Abbildung 1: Zusammensetzung Kosten der Tiergesundheit in der Betriebszweigauswertung, im Vergleich mit der Marktleistung und Abgangsraten der Projektbetriebe (Erfassungszeitraum: 2021). Kosten der Klauengesundheit Die Kosten für Klauengesundheit wurden weiter in folgende Positionen untergliedert: Leistungen Klauenpfleger - Herdenschnitt/Routine (0,21 €/dt ECM), Leistungen Klauenpfleger - Orthopädie und Behandlung (0,12 €/dt ECM), Personalkosten angestellter Klauenpfleger (0,06 €/dt ECM), angewandte Medikamente, Biozide und Pflegemittel (0,01 €/dt ECM), Material Klauenpflege (0,05 €/dt ECM), Material Klauenbäder (0,11 €/dt ECM). Auf die Kuh des Jahresdurchschnittbestandes bezogen, betrugen die Aufwendungen 56,20 € je Kuh und Jahr (2020: 58,34 €; 2019: 53,23 €). In einer Analyse für das Jahr 2019 konnte dargestellt werden, dass in Herden mit einer geringeren Lahmheitsprävalenz die Ausgaben für Lahmheitsbehandlungen niedriger waren (Tabelle 1) und die Herdengröße ein Risiko darstellt, ob eine Lahmheit zum Abgang führt (Tabelle 2). Letzteres ist sehr wahrscheinlich auf die Herausforderung zurückzuführen Klauengesundheit mit steigender Anzahl an betroffenen Tieren zu organisieren, da die Verfügbarkeit von Personal und externen Dienstleistern sowie entsprechende Arbeitsplätze in vielen Fällen begrenzende Faktoren darstellt. Tabelle 1: Klauengesundheitsaufwendungen (je Kuh des Ø -Bestandes - Klassenbildung nach dem Merkmal Anteil der lahmen Tiere (Score Note Lahmheit L3+ nach (1) aufsteigend, eine Klasse = 25 % = 3 Betriebe, Erhebungszeitraum: 2019). Klasse % lahm N Ø 1 2 3 4 Ø 1-12 Bestand 365 797 524 543 557 23,3 29,8 34,3 36,9 31,1 Milchmarkt- produktion* 9.271 9.721 9.709 9.867 9.642 Gesamt- aufwand 34,14 € 45,14 € 72,11 € 61,53 € 53,23 € Aufwand Klauenpflege 1) Sonstiger Aufwand 2) 22,69 € 28,79 € 22,06 € 23,09 € 24,16 € 11,45 € 16,35 € 50,05 € 38,44 € 29,07 € 1) Routineklauenpflege / Prophylaxe, 2) Leistungen für Orthopädie und Behandlung, angewandte Medikamente, Biozide, Pflegemittel für Klauenpflege, Material für Klauenpflege sowie Klauenbäder; * Kg/ECM/Kuh und Jahr 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 213

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Tabelle 2: Klauengesundheitsaufwendungen - Klassenbildung nach dem Merkmal Abgangsanteil gescorter Tiere bis 180. Tag nach Scoring in Prozent aufsteigend (eine Klasse = 25 % = 3 Betriebe, Erhebungszeitraum: 2019). Klasse % lahm 1 2 3 4 Ø 1-12 32,6 29,7 28,4 33,6 31,1 N Ø Bestand 428 462 602 736 557 % abgegangen 14,4 16,2 23,0 28,9 20,6 Gesamt- aufwand 65,40 € 34,77 € 44,12 € 68,63 € 53,23 € Aufwand Klauenpflege 1) 28,70 € 16,23 € 20,65 € 31,04 € 24,16 € Sonstiger Aufwand 2) 36,70 € 18,54 € 23,47 € 37,59 € 29,07 € 1) Routineklauenpflege / Prophylaxe, 2) Leistungen für Orthopädie und Behandlung, angewandte Medikamente, Biozide, Pflegemittel für Klauenpflege, Material für Klauenpflege sowie Klauenbäder; * Kg/ECM/Kuh und Jahr Kosten für Einzeltiererkrankungen Insgesamt wurden 3.724 Diagnosen gestellt, welche sich Um die Kosten für Erkrankungen und zootechnische Maßnahmen auf Einzeltierebene zu erfassen wurde in zehn der Projektbetriebe jeweils eine intensive 3-wöchige Datenakquise im Zeitraum von Mai 2020 - Juni 2021 durchgeführt. Mittels standardisierter Vorgehensweise wurden durch die Projekttierärzte erkrankte Tiere identifiziert, klinisch untersucht und die Diagnosen dokumentiert sowie dem zentralen Tiergesundheitsschlüssel zugeordnet. in 138 verschiedenen Diagnosekombinationen zusammenfassen ließen. Es wurden 22.631 Anwendungen von 513 verschiedenen Produkten dokumentiert, sowie der Zeitaufwand während 6.350 Untersuchungsgängen und 821 Behandlungen erfasst und kategorisiert. Nach Ausschluss unvollständiger Datensätze konnte für 1.272 Fälle/Tiere die Kosten und entgangenen Erlöse für die erfassten Komponenten Zeitaufwand, Produktaufwand, Tierärztliche Leistungen, orthopädische Leistungen, Produktionsausfall, Minderleistung, Abgang, Buchverlust und entgangener Schlachterlös einzeln aufgeschlüsselt werden. In 68 % der Fälle waren die Tiere einfach an einem Organsystem erkrankt, d.h. eine Erkrankung kam alleinstehend vor. Ein Auszug für Mastitiden und deren Kosten/entgangenen Erlöskomponenten sind in Tabelle 3 dargestellt. In 11 % der Fälle wurden mehrere Diagnosen an einem Organsystem gestellt (z.B. verschiedene Klauenerkrankungen). In 21 % der Fälle waren mehrere Organsysteme durch verschiedene Erkrankungen betroffen. Die jeweils summierten Kosten und entgangenen Erlöse zeigten, dass sich die einzelnen Erkrankungen oftmals nicht einfach nur addieren, sondern potenzieren. Tabelle 3: Übersicht errechneter Kosten und entgangene Erlöse in Euro (Mittelwert, (Min-Max)) für Mastitiden Mastitisform Anzahl Zeitaufwand Produktaufwand Tierärztl. Leistungen akut katarralisch 97 36 61 33 phlegmonös 19 43 78 44 abszedierend 9 32 64 33 (6-48) (0-93) (0-65) (12-104) (4-268) (0-80) (10-90) (22-183) (19-80) Produktionsausfall Minderleistung Abgang Buchverlust Entg. Schlachterlös SUMME 122 83 5 64 20 424 (0-537) (7-304) (0-75) (0-1.346) (0-687) (88-2.077) 123 162 12 144 49 654 (4-413) (34-540) (0-125) (0-1.049) (0-657) (124-1.765) 58 310 17 118 147 799 (0-211) (67-844) (0-53) (0-517) (0-657) (262-1.486) 214 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Der Literaturvergleich zeigte ähnliche Größenordnungen und Verhältnisse der verschiedenen Komponenten für viele Erkrankungskomplexe [u.a. (2-4)]. Der Arbeitsaufwand wurde jedoch in vielen Fällen höher eingeschätzt als bisher beschrieben. Bestätigt werden konnte, dass die entstandenen Kosten und entgangenen Erlöse für den Produktionsausfall und die Minderleistung, sowie für den Abgang eines Tieres aufgrund einer Erkrankung, in vielen Fällen ein Vielfaches der Diagnose und Behandlungskosten beträgt. Dies zeigt vor allem das große ökonomische Potenzial der Prävention und Behandlung auf. Bei der Erkrankung Labmagenverlagerung kommt dies besonders zum Ausdruck. Hier wurde im vorliegenden Datensatz im Vergleich zur Literatur ein unterdurchschnittlicher Aufwand für die Behandlung beobachtet - nur 12,2 % der Summe Gesamtkosten und entgangenen Erlöse. Zurückzuführen ist dies, dass in den Praxisbetrieben die Labmagenverlagerung in vielen Fällen mittels kostengünstigerer, aber risikobehafteter Methoden (z.B. konservativ oder mittels perkutaner Fixationsmethode) behandelt wurden. Dies verdeutlicht, dass die Kosten und entgangenen Erlöse, welche durch eine Erkrankung verursacht werden, wesentlich von der Qualität der Diagnosestellung, als auch der Behandlung abhängen. Als wesentliche Risikofaktoren sind hier unter anderem die Verfügbarkeit von veterinärmedizinischen Fachkräften und unzureichende Arbeitsplatzgestaltung bzw. Behandlungsbereiche zu nennen. Letzteres erfordert betriebsseitig Investitionsbereitschaft und -möglichkeiten, was durch die ökonomisch sehr schwierigen Rahmenbedingungen in vielen Fällen für die Umsetzung eine Herausforderung darstellt. Fazit und Ausblick Die in der Betriebszweigauswertung aufgeführten Kosten für Tiergesundheit lassen aufgrund ihrer Vielschichtigkeit und multifaktoriellen Einflussgrößen keinen Rückschluss auf das Tiergesundheitsgeschehen zu. Betriebe mit einem guten Tiergesundheitsmanagement, können durch gezieltes Management und Prävention hohe Milchleistungen verbunden mit niedrigen Tiergesundheitskosten erreichen. Die tierärztlichen Leistungen spielen zurzeit in der Struktur der Tiergesundheitskosten im Vergleich zu den Medikamentenkosten eine untergeordnete Rolle. Die Kosten- und entgangene Erlösstruktur auf der Ebene der Einzeltiererkrankung legen das Potenzial für Präventionsmaßnahmen sowie therapeutischen Maßnahmen in Form von u.a. chirurgischen Eingriffen offen. Die Kosten sowie das Ausmaß der entgangenen Erlöse durch eine Erkrankung hängen wesentlich von der Qualität der Diagnosestellung und Behandlung ab. Qualifikation der handelnden Personen und Arbeitsplatzgestaltung sind ausschlaggebend. Aus Sicht der Betriebswirtschaft aber auch des Tierwohls gilt es hier in praxi entsprechende Konzepte zu erhalten, weiterzuentwickeln und zu fördern. Übergeordnet konnte im Projekt mittels eines Ersatzzeitpunktmodelles gezeigt werden, dass in vielen Fällen die Behandlungskosten den Kosten der Remontierung untergeordnet sind und sich der Erhalt der Altkuh im Bestand aus ökonomischer Sicht als sinnvoller zu bewerten ist. Publikationen der Arbeitsgruppe zum Thema: (5-10) Artikel zum Download und Weiteres finden Sie auf unserer Projekthomepage: www.lvat-kmw.de Diese Auswertung wurden im Rahmen des Projektes „Die Entwicklung des KUH-mehr-WERT Navigators“ von der Europäischen Innovationspartnerschaft (EIP)-AGRI gefördert. Literatur 1. 2. 3. 4. Rachidi F, Černá A, Zenker M, Ullrich E, and Starke A, Untersuchung und Bewertung der Haupteinflussfaktoren auf die Entstehung von infektiösen Klauenerkrankungen des Dermatitis - Digitalis - Komplexes. Schriftenreihe, Heft 16/2021. 2021: Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie, Freistaat Sachsen. de Kruif A, Mansfeld R, and Hoedemaker M, Tierärztliche Bestandsbetreuung beim Milchrind. 3., überarbeitete Auflage ed. 2014: Georg Thieme Verlag. Liang D, Arnold L, Stowe C, Harmon R, and Bewley J, Estimating US dairy clinical disease costs with a stochastic simulation model. J Dairy Sci, 2017. 100(2): p. 1472-1486. Rollin E, Dhuyvetter KC, and Overton MW, The cost of clinical mastitis in the first 30 days of lactation: An economic modeling tool. Prev Vet Med, 2015. 122(3): p. 257-264. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 215

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Hufe P, Waurich B, and Schären M, Eine Annäherung an die Kosten der Klauengesundheit in der Milchproduktion. Sonderdruck Blickpunkt Rind, 2021. 1. Ausgabe. Hufe P, Waurich B, and Schären M. Kosten der Klauengesundheit in der Milchproduktion – eine Annäherung. 13. Mitteldeutscher Rinderworkshop, Hochschule Anhalt, Fachbereich LOEL, Bernburg, online. 2021. Hufe P. Tiergesundheitskosten der Milchkuh – eine relevante Größe in der Betriebszweigauswertung? . in 11. Leipziger Tierärztekongress, Leipzig, Deutschland. 2022. Hufe P, Waurich B, Schären-Bannert M, and Hilke S. Kosten der Klauengesundheit in Milchviehbetrieben – eine Annäherung auf der Basis betriebswirtschaftlicher Auswertungen von Praxisbetrieben. 4. Leipziger Symposium zur Klauengesundheit, Leipzig, Deutschland. 2022. Schären M, Hufe P, Hilke S, Waurich B, May D, Dänicke S, Swalve H, and Starke A. Treatment and disease prevention costs on German dairy farms. XX.Middle European Buiatric Congress. 2021. Ptuj, Slovenia. Schären-Bannert M, Felgentreu C, Bannert E, Wittich J, Waurich B, and Hufe P, Was kostet Trockenstellen? DLG- Mitteilungen, 2022. 5. Ausgabe 5. 6. 7. 8. 9. 10. Kontakt Dr. Melanie Schären-Bannert; Klinik für Klauentiere, Veterinärmedizinische Fakultät, Universität Leipzig melanie.schaeren@uni-leipzig.de 216 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Evidence based veterinary medicine for emerging animal infectious diseases - generating data from the field Eyal Klement Koret School of Veterinary Medicine, Robert H. Smith Faculty of Agricultural, Food and Environmental Sciences. The Hebrew University, Israel The profound climatic shifts on Earth pose multifaceted challenges for both human and animal populations. Wildfires devastate vast forests and extensive flooding and severe droughts affect various regions, which have far-reaching consequences for entire ecosystems. Alongside these dramatic occurrences, subtler processes also endanger human and animal well-being, particularly by influencing the spread of infectious diseases. These processes are driven by the expansion of disease vectors' suitable geographical ranges and their heightened adaptability due to global warming. Simultaneously, increased urbanization leads to habitat destruction, fostering interactions between wildlife, humans, and domesticated animals, thus facilitating disease transmission. Additionally, commerce and human mobility enable pathogen dissemination, intensifying interactions among extensively and intensively farmed animal populations (1, 2). Addressing emerging pathogen challenges demands comprehensive contingency plans, with safe and effective vaccines as a cornerstone. Typically, vaccine safety and efficacy rely on small-scale challenge studies, yet they have limitations, which include resource intensiveness, specialized facilities, limited number of subjects, and unsuitability for diseases of low virulence. They also struggle to detect rare vaccine adverse effects and don't replicate natural infection dynamics. More critically, these studies overlook real-world complexities. For example, some vaccines provide inadequate protection duration, warranting diverse administration regimens. Outbreaks demand emergency vaccine evaluation, and quantifying vaccine-induced production losses requires natural conditions. Some vaccines may face immunological interference. These problems can't be explored through traditional challenge studies, leaving data gaps for decision-makers. Field assessments bridge these gaps. Post-marketing evaluations include planned efficacy studies and observational inquiries, often during outbreaks. In pre-planned trials, cows are randomized into vaccine or placebo groups. Data collection involves farmers, veterinarians, or automated systems monitoring parameters like milk yield and rumination. Since vaccine efficacy depends on natural infection protection, involving a large number of animals in such studies ensures high infection probability and rare adverse effect detection. In Israel, during a 2012 LSD epidemic, a study assessed two vaccines against Lumpy Skin Disease (LSD), a widespread vector-borne illness caused by the lumpy skin disease virus (LSDV) (3). The study covered 15 herds and over 5000 cows, with eight herds eventually affected. Results strongly favoured the Neethling-based vaccine, being four times more effective than a sheep-pox-based vaccine in preventing LSD. Additionally, the study identified an adverse effect linked to vaccination with the live attenuated Neethling LSD strain – a mild form of the disease itself. Collaborative efforts with herd clinicians and diagnostic PCR differentiation determined the frequency (0.5% of vaccinated cattle), onset time (within two weeks post-vaccination), and clinical presentation of this adverse effect, termed "Neethling-associated disease." When computerized data on milk production and rumination are available, they can become valuable tools for assessing vaccine efficacy and detecting minor yet economically significant adverse effects. A study analysing over 1.5 million milk observations from more than 20,000 cows in 77 herds found that the Neethling- based LSD vaccine didn't reduce milk production or increase culling rates, thus reducing farmers' fear of economic losses due to vaccination adverse effects (4). Another investigation used rumination patterns to identify morbidity among calves randomized to receive a live attenuated vaccine against bovine ephemeral fever (a viral vector-borne disease) or a control group. This study showed a 60% vaccine efficacy in preventing clinical morbidity, showcasing the utility of computerized data in vaccine evaluation and identifying subtle yet economically significant vaccination outcomes (5). Field studies also help evaluate the duration of the immunological response triggered by vaccination. They offer several advantages compared to challenge studies, such as data derived from a large number of animals, 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 217

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ facilitating comparisons of various vaccination regimens and identifying non-responders to vaccination. An illustrative study of such type examined the immune response to an inactivated multivalent Foot-and-Mouth Disease (FMD) vaccine, focusing on prior vaccination doses (6). Cows vaccinated over four times before their most recent vaccination exhibited prolonged antibody levels, highlighting the benefits of repeated vaccinations in extending immune protection. Unplanned observational studies, despite having certain internal validity limitations compared to pre-planned research, harness the natural variability in environmental conditions and human behaviour to glean vital insights into vaccine efficacy. These studies encompass a range of investigations, including small-scale inquiries, such as a study conducted during an FMD outbreak, in which a professional decision led to the exclusive vaccination of young cows, leaving older ones unvaccinated under the assumption of sufficient immunity. Surprisingly, the results of this study revealed significantly higher protection among the young cows, emphasizing the critical role of emergency vaccination in disease prevention (7). Opportunities for conducting such studies can arise due to changes in government policy. In Israel, discontinuing the use of the S19 Brucella abortus vaccine was followed by a Brucella melitensis outbreak in a dairy herd, two years later. Cows of similar age were divided into two groups: those previously vaccinated with S19 and those without prior vaccination. Comparing these groups yielded remarkable results. The S19 vaccine unexpectedly displayed an impressive 87% effectiveness in preventing B. melitensis infection and a 100% effectiveness rate in preventing B. melitensis-induced abortion, demonstrating its capacity to protect against unforeseen outcomes from this pathogen (8). This policy-induced natural experiment unveiled the vaccine's unforeseen efficacy, offering valuable insights into its broader protective potential beyond its original target. On a larger scale, an observational study across six Balkan countries during a substantial Lumpy Skin Disease (LSD) epidemic analysed herd-level infections. The findings demonstrated an average 80% vaccine effectiveness for the LSD live attenuated Neethling vaccine, with some countries exceeding 95% effectiveness (9). These large-scale observational investigations provide valuable insights into vaccine performance in real- world conditions. These examples underscore the wealth of valuable information obtainable through field data utilization. While this approach offers significant benefits, it also carries risks, primarily the potential for erroneous conclusions when inadequately collected and analysed, with detrimental consequences. Conducting such studies requires trained epidemiologists available for prompt investigations and comprehensive sample collection. Ensuring transparency and harmonized data flow is vital, necessitating support for veterinary service infrastructure, particularly in developing nations. leveraging computerized data and the establishment of passive surveillance methods capable of automatically transmitting data to centralized analysis hubs can serve a dual purpose. Such systems can aid in the early detection of events and facilitate the meticulous analysis of data, enhancing the overall effectiveness of field studies. References 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. Mora C, McKenzie T, Gaw IM, Dean JM, von Hammerstein H, Knudson TA, et al. Over half of known human pathogenic diseases can be aggravated by climate change. Nat Clim Chang. 2022;12(9):869-75. Omazic A, Bylund H, Boqvist S, Hogberg A, Bjorkman C, Tryland M, et al. Identifying climate-sensitive infectious diseases in animals and humans in Northern regions. Acta Vet Scand. 2019;61(1):53. Ben-Gera J, Klement E, Khinich E, Stram Y, Shpigel NY. Comparison of the efficacy of Neethling lumpy skin disease virus and x10RM65 sheep-pox live attenuated vaccines for the prevention of lumpy skin disease - The results of a randomized controlled field study. Vaccine. 2015;33(38):4837-42. Morgenstern M, Klement E. The Effect of Vaccination with Live Attenuated Neethling Lumpy Skin Disease Vaccine on Milk Production and Mortality-An Analysis of 77 Dairy Farms in Israel. Vaccines (Basel). 2020;8(2). Gleser D, Spinner K, Klement E. Effectiveness of the strain 919 bovine ephemeral fever virus vaccine in the face of a real-world outbreak: A field study in Israeli dairy herds. Vaccine. 2023;41(35):5126-33. Elnekave E, Dekker A, Eble P, van Hemert-Kluitenberg F, Gelman B, Storm N, et al. The serological response against foot and mouth disease virus elicited by repeated vaccination of dairy cattle. Vaccine. 2016;34(41):4920-6. Elnekave E, Li Y, Zamir L, Even-Tov B, Hamblin P, Gelman B, et al. The field effectiveness of routine and emergency vaccination with an inactivated vaccine against foot and mouth disease. Vaccine. 2013;31(6):879-85. van Straten M, Bardenstein S, Keningswald G, Banai M. Brucella abortus S19 vaccine protects dairy cattle against natural infection with Brucella melitensis. Vaccine. 2016;34(48):5837-9. 218 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Pasteurellosen beim Rind - Fallbeispiele aus Sachsen René Pützschel, Mandy Schmidt Sächsische Tierseuchenkasse, Rindergesundheitsdienst, Dresden und Penig Einleitung Zu den Pasteurellosen zählen im weiteren Sinne Infektionen mit Erregern der Familie Pasteurellaceae, dazu gehören insbesondere Pasteurella multocida, Mannheimia hämolytica und Bibersteinia trehalosi. Während Bibersteinia hauptsächlich beim Schaf Allgemeininfektionen hervorruft, spielt Mannheimia hämolytica und Pasteurella multocida beim Rind im Zusammenhang mit der enzootischen Brochnopneumonie eine wichtige Rolle. Im Infektionen mit Pasteurella multocida folgenden Fallbeschreibungen sollen in sächsischen Rinderbeständen betrachtet werden. Dem Rinderhalter in Sachsen steht mit dem Sektionsprogramm, dem Früherkennungsprogramm, den Eutergesundheitsprogramm und dem Abortprogramm attraktive Angebote zur allgemeinen Abklärung bakterieller, viraler und parasitärere Infektionskrankheiten zur Verfügung. So werden bei Untersuchung von Tierkörpern und Proben am lebenden Tier an der Landesuntersuchungsanstalt in Sachsen Pasteurellen häufig nachgewiesen. In den letzten 5 Jahren (Stand 09/2023) konnten bei 6 % aller sezierten Rinder, bei 30 % aller sezierten Rinder mit Diagnosen im Bereich der Atemwege und bei 0,1 % (446 Proben von 573.000) der untersuchten Milchproben auf Mastitiserreger P. multocida festgestellt werden. Die Resistenzlage hinsichtlich P. multocida ist als kritisch zu bewerten, 47% aller Untersuchungen nach Sektionen und 28 % aller Untersuchungen in der Milch wiesen Resistenzen auf (resistent, intermediär). Vor allem nach viral bedingten Atemwegsinfektionen, bei für Kälber ungünstigen Haltungsbedingungen (Hygiene, Stallklima, Überbelegung) entwickelt sich die enzootische Bronchopneumonie (sogenannter Rindergrippekomplex) unter Beteiligung der Pasteurellen mit Manifestation meist schwerwiegender klinischer Krankheitsbilder in akuter bis chronischer Form. Bei der Milchkuh werden sporadische therapieresistente Mastitiden beschrieben. Innerhalb der Spezies P. multocida werden verschiedene Kapseltypen unterschieden. Während bei der Beteiligung an der enzootischen Bronchopneumonie die Kapseltypen A, D und F beteiligt sind, verursachen die Kapseltypen B und E die primäre Pasteurellose, die Wild- und Rinderseuche oder Hämorrhagische Septikämie des Rindes. Die Wild- und Rinderseuche ist eine perakut bis akut verlaufende Infektion mit einer sehr kurzen Inkubationszeit von 1 bis 3 Tagen. Der Erreger dieser Kapseltypen verhält sich obligat pathogen und entfaltet eine massive Toxinwirkung mit schwerwiegenden klinischen Erscheinungen, einer sehr hohen Morbidität und Mortalität. Das Reservoir des Erregers bilden Wildtiere (Wild-Wdk., Wildschwein), betroffen sein können Rinder, Schafe, Ziegen, Wildwiederkäuer, Büffel, Yak, Haus- sowie Wildschweine und seltener Pferde und Esel. Die Übertragung erfolgt direkt oder indirekt (Vektoren: Stechinsekten, Schadnager). Feuchte, schwülwarme Wetterverhältnisse und stressige Bedingungen begünstigen das Infektionsgeschehen. Bei Temperaturen über 55°C und durch Desinfektion wird der Erreger vollständig abgetötet. Die Wild- und Rinderseuche tritt vor allem in tropischen und subtropischen Ländern auf, wird aber auch in Mitteleuropa sporadisch beschrieben. Fallbeispiele für Pasteurellosen in Sachsen Nach einzelnen Ausbrüchen der Wild- und Rinderseuche im Nordosten Sachsens in den Jahren 2018 und 2019 kam es in den Jahren 2021 und 2022 im Süden Sachsens zu Ausbrüchen mit massiven Tierverlusten. Betroffen waren 2021 die Jungrinderherde eines Milchviehbestandes und 2022 mehrere teilweise sehr kleine Rinderhaltungen mit ausschließlich Weidehaltung. 2021 kam es kurz nach Eintrieb einer Jungrinderherde von der Sommerweide in den Stall zu typischen klinischen Erscheinungen und zu mehrerer perakuten Verendungen, trotz sofortiger Trennung der Weidetiere 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 221

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ von den sich schon im Stall befindlichen jüngeren Tieren kam es auch bei dieser Gruppe zu Infektionen und Verendungen. Nach Diagnosestellung über Sektion, bakteriologischer Untersuchung und Anfertigung eines Resistogramms konnten die Tiere erfolgreich antibiotisch behandelt werden, sodass vorerst keine weiteren Erkrankungen mehr auftraten. Erst nach Neueingliederung nachrückender Jungtiere vier Wochen später traten neue Fälle auf. Auch hier konnten über eine antibiotische Behandlung weitere Erkrankungen und Verendungen verhindert werden. Im Verlauf des Geschehens verendeten insgesamt 75 teilweise tragende Färsen und Jungrinder. Prophylaktisch wurde eine bestandsspezifische Vakzine eingesetzt. 2022 trat die Rinderseuche in mehreren Kleinstbeständen und einer kleineren Milchviehhaltung im Sächsischen Mittelgebirgsraum entlang der Tschechischen Grenze auf. 33 Verendungen in 17 Beständen konnten ermittelt werden. Auffällig war, dass die meisten Verendungen unmittelbar nach Tagen mit Lufttemperaturen von über 30 ºC auftraten. Auch hier wurde eine bestandsspezifische Vakzine eingesetzt. Zu gehäuftem Auftreten von Enzootischer Bronchopneumonie bei Kälbern und nachfolgenden therapieresistenten Mastitiden bei Kühen kommt es aktuell in einem biologisch wirtschaftenden Milchviehbestand mit Ammenkuhhaltung im südlichen Sachsen. Der Betrieb hält 1500 Holstein-Friesian- Milchkühe, alle Kälber werden 3-4 Monate an Ammen in Gruppen bis zu 50 Kälbern und 15 Ammen aufgezogen. Die auftretenden P. multocida-Infektionen bei den Kälbern und in Form von Mastitiden bei den Kühen sind schwer behandelbar. Ca. 15 – 20 % aller Ammenkühe infizieren sich mit P. multocida im Euter und weisen eine Euterentzündung auf, 50 % dieser Tiere verlassen vorzeitig den Betrieb. Eine bestandsspezifische Impfung wird bei den Kälbern intranasal und systemisch und bei den Kühen systemisch eingesetzt. Literatur Die Literatur zu diesem Artikel kann beim Verfasser erfragt werden. Kontakt René Pützschel; Sächsische Tierseuchenkasse, Rindergesundheitsdienst, Dresden rene.puetzschel@tsk-sachsen.de 222 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Vom Umgang mit Zielprävalenzen und Erkennungswahrscheinlichkeiten – die kalkulierte Unsicherheit in der Tierseuchenüberwachung nach EU-Recht Karsten Donat Thüringer Tierseuchenkasse, Tiergesundheitsdienst, Jena Überwachung der Freiheit von Tierseuchen mit aktiver und passiver Surveillance Die Verordnung (EU) 2016/429 als die Basisverordnung zum gesamten EU-weit gültigen Tiergesundheitsrecht regelt in Verbindung mit der Delegierten Verordnung 2020/689 die Überwachung von Tierseuchen im Territorium der Europäischen Union. Die Überwachungspflicht gilt für alle gelisteten Seuchen unabhängig von ihrer Kategorisierung. Dabei wird sowohl die passive als auch die aktive Surveillance genutzt. Passive Surveillance gelingt immer dann gut, wenn die Krankheit sichtbare klinische Symptome verursacht oder die Letalität hoch ist, die Tierhalter und Behörden über eine hohe Sensibilität gegenüber der Krankheit haben und eine offizielle Definition des Verdachtsfalles verfügbar und gut bekannt ist. In ihrem Artikel 18 verpflichtet die Verordnung (EU) 2016/429 die Unternehmer (Tierhalter) und alle Angehörigen der mit Tieren befassten Berufe zur passiven Surveillance: Bei begründetem Verdacht auf eine gelistete oder bei Nachweis einer solchen Seuche bei Tieren haben sie dies der zuständigen Behörde zu melden. Neu ist die übergreifend geltende Verpflichtung, eine anormale Mortalität und andere Anzeichen einer schweren Krankheit oder eine ohne ersichtlichen Grund deutlich verminderte Produktionsleistung einem Tierarzt zu melden, damit eingehendere Untersuchungen, z.B. Probenahmen, angestellt werden können. Außerdem ist in Artikel 25 vorgeschrieben, dass die Unternehmer sicherzustellen haben, dass in Abhängigkeit von Risiken ihre Betriebe von einem Tierarzt besucht werden. Damit sind die Unternehmer (Tierhalter) nicht nur für die Gesundheit der von ihnen gehaltenen Tiere verantwortlich, sondern auch für die Erkennung der Seuchen. Sie haben sich entsprechende Kenntnisse zu Tierseuchen und Zoonosen und zu Grundsätzen des Schutzes vor biologischen Gefahren (Biosicherheit) anzueignen. Ihre betreuenden Tierärzte und die Veterinärbehörden sind im Rahmen ihrer Überwachungstätigkeiten ebenfalls zur Tierseuchenüberwachung und zur Früherkennung von Tierseuchen verpflichtet. Die aktive Surveillance ergänzt die Tierseuchenüberwachung immer dann, wenn klinische Symptome undeutlich, episodisch oder nur kurzzeitig auftreten, die Letalität gering ist oder das Bewusstsein der Tierhalter für die Erkennung dieser Krankheit wenig ausgeprägt ist. Spezifische Überwachungsanforderungen werden u.a. definiert in Überwachungsprogrammen in der Union, im Rahmen obligatorischer oder optionaler Tilgungsprogramme oder in Bezug auf den Nachweis und die Aufrechterhaltung des Status „seuchenfrei“ eines Mitgliedsstaates oder einer Zone. In diesen Fällen werden Untersuchungen an Tieren oder Laboruntersuchungen an Proben von Tieren vorgenommen, die bestimmten rechtlich vorgeschriebenen Protokollen folgen und somit im Vorfeld geplant sind. In der Regel ist die Population oder – risikobasiert - ein Teil davon zu untersuchen. Sicherheit ist relativ – Unsicherheit ist systemimmanent Für bestimmte Untersuchungen ist eine Volluntersuchung vorgeschrieben (Tuberkulose-Hauttest, Untersuchung auf BVD-Virus). Dieses Verfahren ist aufwändig und lässt eine hohe Sicherheit der Überwachung vermuten. Das ist immer dann gegeben, wenn der verwendete Test über eine hohe Sensitivität (Se) und Spezifität (Sp) verfügt (z.B. BVDV-Antigentest). Bei begrenzter Sensitivität und Spezifität des Tests (z.B. beim MTB-Hauttest) ist auch bei einer Volluntersuchung die Möglichkeit gegeben, infizierte Tiere nicht zu detektieren (begrenzte Se) oder von nicht infizierten Tieren ein positives Testergebnis zu erhalten (begrenzte Sp). Will man beispielsweise unter 1000 Rinder ein mit Tuberkulose infiziertes Rind (Zielprävalenz: 0,1 %) mit dem Hauttest (Se: 95 %, Sp. 98 %) detektieren, so sinkt der positive prädiktive Wert (Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit des positiven Befundes) auf unter 5 %. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 223

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Für ungeimpfte Populationen ist in der Regel bekannt, welcher Mindestanteil der Tiere sich innerhalb des Überwachungsintervalls (meist jährlich) mit dem Erreger infiziert und immunologisch reagiert. Die Überwachung ist folglich darauf ausgerichtet, Bestände zu detektieren, in denen diese „Zielprävalenz“ gegeben ist. Für die Zwecke der Tierseuchenüberwachung hielt dies daher Einzug in die Rechtssetzung. Sie beträgt beispielsweise für BVD 50 % und für einen drei Jahre BoHV1-freien Betrieb 10 %. Mit Hilfe einer Zufallsstichprobe können nun mit bestimmter Wahrscheinlichkeit (meist 95 %) derartig betroffene Bestände detektiert werden. Bei Auffinden eines test-positives Tieres gilt der Betrieb als von der Krankheit betroffen. In einer Herde mit 500 Kühen würde bei Verfügbarkeit eines perfekten Tests eine Stichprobe von 28 Tieren eine Infektion mit BoHV1 mit 95 % Sicherheit detektieren. Die meisten Tests sind jedoch nicht perfekt; selbst bei relativ guten Testcharakteristika (Se: 99 %, Sp. 99,5 %) wäre eine Stichprobe von 43 Tieren notwendig, und mit einem falsch positiven Resultat müsste gerechnet werden (https://epitools.ausvet.com.au/freecalctwo). Das unterstreicht die Notwendigkeit des Einsatzes von Tests mit sehr guten Charakteristika, die vor ihrem Einsatz herstellerunabhängig geprüft wurden. Für die Gewährung und Aufrechterhaltung des Freiheitsstatus von Mitgliedsstaaten oder Zonen werden in ähnliche Vorgaben gemacht. Für IBR/IPV wird z. B. gefordert, dass eine auf Zufallsstichproben gestützte jährliche Überwachung durchgeführt wird, die mindestens den Nachweis der Infektion von Betrieben mit BoHV- 1 mit einer Zielprävalenz von 0,2 % der Betriebe oder mit BoHV-1 infizierter Rinder bei einer Zielprävalenz von 0,1 % der Rinderpopulation mit einem Konfidenzniveau von 95 % ermöglichen muss. Diese Vorgaben erlauben der zuständigen Behörde die Definition von Stichproben auf Betriebs- oder Tierebene. Bei korrekter Durchführung ist die Stichprobenuntersuchung ein vertretbarer Kompromiss aus Aufwand (zu untersuchende Tiere) und Nutzen (Wahrscheinlichkeit für die Erkennung der Krankheit) im Überwachungssystem. Anwendung der EU-Rechtssetzung zur Überwachung der IBR/IPV auf Thüringer Rinderbestände 2023 Aufgrund der Tatsache, dass Thüringen sowohl bezüglich der BHV1 als auch BVD anerkannt freie Zone gemäß Verordnung (EU) 2021/620 ist, wurde mit Beginn des Jahres 2023 die Überwachung der Thüringer Rinderbestände auf IBR/IPV und BVD gemäß den Vorgaben der Delegierten Verordnung (EU) 2020/689 umgestellt. Es besteht Impfverbot bezüglich BoHV1 seit 2013, und es traten in den letzten drei Jahren keine Fälle auf. Zur Erkennung einer Zielprävalenz von 0,2 % der Betriebe mit 95 % Konfidenzniveau muss zur Überwachung der 4004 (Destatis, November 2022) eine Zufallsstichprobe von 1249 Betrieben untersucht werden. Im Erlass des Thüringer Ministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie wurde (TMASGFF) festgelegt, dass alle 470 Milchviehbetriebe in die Beprobung einbezogen werden, um dem erhöhten Eintragsrisiko im Produktionszweig Milchproduktion Rechnung zu tragen. Aus den Kategorien „Jungrinderaufzuchten ohne laktierende Kühe“ und „Mastbetriebe“ waren 30 Betriebe und aus der Kategorie Mutterkuhhaltung“ 750 Betriebe wie folgt zu beproben. rinderhaltenden Betriebe in Thüringen 1. Betriebe mit Milchkühen: Von jedem Tier einmal jährlich eine Einzelmilchprobe zur Untersuchung auf BoHV1-Antikörper, bei Betrieben mit weniger als 100 Tieren sind Tankmilchproben möglich (mindestens 3 x jährlich), zusätzliche blutserologische Untersuchung alle im Betrieb befindlichen männlichen Tiere im Alter > 24 Monate (einmal jährlich) 2. Jungrinderaufzuchten ohne laktierende Kühe: mindestens 1 x jährlich eine Zufallsstichprobe zur blutserologischen Untersuchung 3. Mastbetriebe: Sofern Zukauf aus nicht freien Betrieben erfolgt, dann ist die Beprobung mindestens 1 x jährlich zu veranlassen. Dies kann bei geplanten Verbringungen oder bei der Schlachtung erfolgen. 4. Mutterkuhbetriebe: Die Stichprobe von 750 Betrieben wurde nach Landkreis und Zahl der Bestände mit Rindern über 24 Monate und Größenklasse (1-9, 10-19, 20-49, 50-99, 100 und mehr) stratifiziert und die resultiere Zahl zu beprobender Betriebe jedem Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsamt (VLÜÄ) vorgegeben. Für die in Mutterkuhbetrieben, Jungrinderaufzuchten und Mastbetrieben zu untersuchenden Tierzahlen gelten die Vorgaben gemäß Anhang IV Teil IV Abschnitt 2 Buchstabe b) iv). Es sind Proben von einer Anzahl 224 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Rinder zu entnehmen, die den Nachweis seropositiver Tiere mit mindestens einem Konfidenzniveau von 95% bei einer Zielprävalenz von 10% ermöglicht. Für die Berechnung der Stichprobengröße für den konkreten Betrieb Internetseite „Bestimmung von Stichprobenumfängen“ des FLI (https://shiny.fli.de/ife-apps/EpiRechner/) empfohlen. (5-29 Tiere) wurde die Um den Anforderungen an eine Zufallsstichprobe gerecht zu werden, wurde für die Auswahl der Betrieb und der Tiere innerhalb der Betriebe die Verwendung eines Zufallszahlengenerator vorgeschlagen. Andere Arten der Zufallsauswahl sind möglich. Eine gründliche Dokumentation der Vorgehensweise ist notwendig, auch für den Fall von juristischen Auseinandersetzungen mit den ausgewählten Tierhaltern. Zusammenfassung Es kann zusammengefasst werden, dass 4. für die Früherkennung hochkontagiöser Tierseuchen eine funktionierende passive Surveillance das Mittel der Wahl darstellt, 5. eine aktive Surveillance immer dann notwendig ist, wenn die klinischen Symptome wenig ausgeprägt sind 6. aktive Surveillance immer mit Unsicherheiten behaftet ist, die aus der Definition der Stichprobe und den Testcharakteristika resultieren, 7. eine funktionierende Tierseuchenüberwachung mit Hilfe von Stichproben einen effektiven Einsatz verfügbarer Ressourcen gewährleistet. Kontakt Prof. Dr. Karsten Donat; Thüringer Tierseuchenkasse, Jena kdonat@thtsk.de 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 225

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Eignung verschiedener Probenmatrices für die gezielte Diagnostik viraler Respirationserreger beim Rind Belinda Euring1, Simona Baumann1, Maxi Harzer1, Kristin Heenemann1, Andrea Lindner2, Mandy Eibisch2, Thomas W. Vahlenkamp1 1Institut für Virologie, Veterinärmedizinische Fakultät der Universität Leipzig; 2BioCheck-Labor für Veterinärdiagnostik und Umwelthygiene GmbH, Leipzig Bedeutung und Ziel der Studie Atemwegserkrankungen in der Rinderhaltung führen jährlich zu wirtschaftlichen Verlusten in Milliardenhöhe sowie zu großem Tierleid (1). Zur Bekämpfung stehen deshalb die Prävention und schnelle Erkennung ursächlicher Krankheitserreger im Vordergrund. Die Diagnostikmethoden sind jedoch oftmals zeit- und kostenintensiv und stellen bei der Probennahme eine hohe Belastung für die Tiere dar (2). Deshalb soll in diesem Projekt ein neues, innovatives Einzeltier- und Herdendiagnostikverfahren etabliert werden, welches ein Monitoring von Erregern im Zusammenhang mit Atemwegserkrankungen auf der Basis von Speichelproben ermöglicht. Die Probennahme soll schnell und einfach ohne Belastung für die Tiere erfolgen. Konkret sollen hierfür Baumwollstrick- und Watterollen-Systeme zum Einsatz kommen. Dabei wird für die Probengewinnung die natürliche Neugier der Tiere ausgenutzt. Methoden und erste Ergebnisse Vorstudie In einer Vorstudie wurden 8 Kühe und 10 Kälber eines landwirtschaftlichen Betriebes beprobt. Die Kälber wurden mithilfe eines Nasentupfers und einer Salivette® (Watterolle) beprobt. Bei den Kühen konnten nur tiefe Nasentupfer (EYDAM®) gewonnen werden, da zu diesem Zeitpunkt noch kein optimales Speichelentnahmesystem zur Verfügung stand. Folgende virale Erreger wurden untersucht: Bovines Adenovirus (BAV), Bovines Herpesvirus (BHV), Bovines Parainfluenzavirus Typ 3 (PI 3), Bovines Respiratorisches Synzytialvirus (BRSV), Influenzaviren der Gruppe A (IVA) und D (IVD). Hierbei konnte bei zwei Kälbern sowohl im Nasentupfer als auch im Speichel das Bovine Adenovirus Typ 3 nachgewiesen werden. Feldstudie Es wurden RT-PCR-Protokolle für das Bovine Coronavirus (BCV) und das Bovine Rhinitis-A- und -B-Virus (BRAV, BRBV) etabliert. Außerdem wurde ein auf die Kühe angepasstes Speichelentnahmesystem entwickelt, das in den Feldstudien zum Einsatz kommen soll. In weiteren landwirtschaftlichen Betrieben wurden für die Einzeltierdiagnostik jeweils von 5 Kälbern und 5 Kühen Speichelproben, sowie vergleichend tiefe Nasentupfer entnommen. Für die Herdendiagnostik wurden jeweils zwei Speichelentnahmesysteme in eine Kälber- und in eine Kuhgruppe platziert. Aus diesen Gruppen wurden nachfolgend jeweils 5 Tiere herausgenommen und mittels tiefem Nasentupfer beprobt. Diese Proben wurden als Pool untersucht, um einen Vergleich für den Speichelpool zu generieren. Bisher konnten BAV, BRAV und BRBV sowohl im Nasentupfer, als auch im Speichel nachgewiesen werden. In jeweils einem Fall konnte IVD und BCV im Tupfer, jedoch nicht im Speichel desselben Tieres detektiert werden. Weitere Erreger wurden bislang weder im Nasentupfer noch im Speichel gefunden. Ausblick Die Matrix Speichel erweist sich zum jetzigen Zeitpunkt als vielversprechendes Diagnostikum für den Nachweis viraler Respirationserreger beim Rind, muss jedoch besonders im Hinblick auf die bislang noch nicht nachgewiesenen Erreger weiter untersucht werden. Es werden für diese Studie weitere Betriebe beprobt, um die Aussagekraft der Ergebnisse zu erhöhen und den Einfluss betriebsspezifischer Faktoren auf das der Probenentnahmesystem untersuchen. Außerdem wird weiter zu an der Akzeptanz 226 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Speichelentnahmesysteme gearbeitet, da die freiwillige Interaktion der Tiere mit den Systemen von grundlegender Bedeutung für die Etablierung einer möglichst einfachen und stressfreien Probenentnahme ist. Literatur 1. 2. Blakebrough-Hall C, McMeniman JP, González LA. An evaluation of the economic effects of bovine respiratory disease on animal performance, carcass traits, and economic outcomes in feedlot cattle defined using four BRD diagnosis methods. J Anim Sci. 2020 Feb; 98(2) Pardon B, Buczinski S. Bovine Respiratory Disease Doagnosis. Vet Clin North Am Food Anim Pract. 2020 Jul; 36(2): 425 - 444 Kontakt Belinda Euring; Institut für Virologie, Veterinärmedizinische Fakultät der Universität Leipzig belinda.euring@vetmed.uni-leipzig.de 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 227

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Umgang mit Tierseuchen im Rinderbestand und den Herausforderungen in der Praxis Christin Hesse1, Mandy Schmidt2 1Task Force Tierseuchenbekämpfung im Sächsischen Ministerium für Soziales und Gesellschaftlicher Zusammenhalt; 2Rindergesundheitsdienst der Sächsischen Tierseuchenkasse Praktische Tierärzte stehen in der täglichen Arbeit oftmals im Spannungsfeld zwischen wirtschaftlichen Interessen der Landwirte und der gesetzlichen und berufsethischen Verpflichtung als Tierarzt. Seuchenhafte Krankheitsgeschehen müssen frühzeitig erkannt und angezeigt werden, neben dem gesetzlichen Auftrag, aufklärend und beraten die Tierhalter bei der Prävention von Tierseuchen zu unterstützen. Der Ethik-Kodex für Tierärztinnen und Tierärzte von der Bundestierärztekammer legt in Achtung der Würde der Tiere und in Verantwortung gegenüber der Gesellschaft die Selbstverpflichtungen der Tierärztinnen und Tierärzte zum ethisch richtigen Handeln dar: 1. Wir Tierärztinnen und Tierärzte dienen dem Allgemeinwohl und • • • • verpflichten uns, mit unseren fachlichen Kenntnissen und Fähigkeiten in besonderer Weise zum Schutz und zur Sicherung der Gesundheit und des Wohlbefindens der Tiere beizutragen, vertreten die Interessen der Tiere gegenüber der Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, zeigen Missstände auf und helfen sie zu beseitigen, stellen uns Interessens- und Zielkonflikten mit verantwortungsvollem Abwägen der konkurrierenden Standpunkte und Ziele und berücksichtigen dabei vorrangig die Bedürfnisse der Tiere, setzen uns dafür ein, die Menschen vor Gesundheitsgefahren zu schützen, die von Tieren und von Produkten tierischer Herkunft ausgehen, […] 2. Wir Tierärztinnen und Tierärzte tragen Verantwortung für die Gesundheit von Tier und Mensch und • setzen unser tierärztliches Wissen dafür ein, Tiere vor Schmerzen, Schäden, Leiden und Angstzuständen zu bewahren und deren Gesundheit und Wohlbefinden zu fördern, • helfen, Krankheiten der Tiere präventiv und kurativ entgegenzuwirken mit dem Ziel, Krankheiten zu verhindern, zu lindern und zu heilen, […] (Auszug aus“ Ethik-Kodex der Tierärztinnen und Tierärzte Deutschlands“; Bundestierärztekammer e. V.) Im § 4 Abs. 3 Tiergesundheitsgesetz ist die Anzeigepflicht der Tierärzte explizit geregelt. Diese ist vom Gesetzgeber so weit gefasst, dass die Pflicht der Anzeige schon besteht, wenn die Tierärzte „[…] von dem Ausbruch einer anzeigepflichtigen Tierseuche oder von Erscheinungen, die den Ausbruch einer solchen Tierseuche befürchten lassen, Kenntnis erhalten.“ Im übergeordneten europäischen Recht (AHL VO (EU) 2016/429) ist der Tierhalter verpflichtet, regelmäßige Tiergesundheitsbesuche von Tierärzten sicherzustellen. Diese dienen vorrangig zur Seuchenprävention, Beratung zur Biosicherheit und der Feststellung von Tierseuchen. Die Wirklichkeit sieht häufig anders aus. Die Tierärzte stehen nicht nur unter zeitlichen und wirtschaftlichen Zwängen, oft kommt der Druck auch direkt von den Betrieben, die Problemfälle „erstmal intern“ abzuklären oder sie werden gar nicht als solches wahrgenommen. Die Bestandsbetreuung muss neben der kurativen Betreuung der Einzeltiere, die Auswertung sogenannter Leistungs- und Gesundheitsparameter des Tierbestandes mit umfassen. Der Landwirt ist angehalten, diese regelmäßig zu erfassen und zu dokumentieren. Für die Herdenanalyse können folgende Datenquellen genutzt werden: 228 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ • Herdenmanagementprogramm, Stallbuch, Bestandsregister/ HIT, • TAM – Nachweise/ AUA Belege, • MLP- Ergebnisse, Anlieferungsbelege Molkerei, • Anlieferungsbelege der Tierkörperbeseitigungsanlage (TBA-Anlieferungen sind in Sachsen auch abzurufen im Mitgliederbereich der Tierseuchenkasse), • www.tschindi.org zur Auswertung von Tierschutzindikatoren. sind diese Datenquellen Gemeinsam mit dem Landwirt retrospektiv auszuwerten und Handlungsempfehlungen schriftlich festzulegen. Folgende Frühwarnindikatoren und Parameter sind gemäß den „Empfehlungen des BMEL für hygienische Anforderungen an das Halten von Wiederkäuern“ insbesondere zu beachten: a) Häufung von Erkrankung im Bestand, b) plötzliche Leistungseinbrüche bei mehr als einem Tier c) gravierende Qualitätsmängel der Rohmilch, d) erfolglose antibiotische Behandlung trotz Beachtung der Antibiotikaleitlinien, e) gehäuft auftretenden fieberhaften Erkrankungen, Aborten bzw. Totgeburten, f) vermehrten Todesfällen, insbesondere im Jungtierbereich, g) gehäuftem Auftreten sonstiger o. g. Krankheitssymptome Bei Überschreitung folgender Schwellenwerte im Bestand ist eine weiterführende Abklärung einzuleiten: a) Abfall des durchschnittlichen Tagesgemelks um mehr als 20 % gegenüber dem Mittel der letzten drei Milchabholungen oder massiver Milchrückgang bei mehreren Einzeltieren b) Fieber von mindestens 40 °C bei mehr als 10 % der Tiere einer Herde, c) Kälber-/Lämmerverluste bei lebend geborenen Kälbern/Lämmern von über 5 % in den ersten acht Lebenswochen, d) Verluste bei adulten Tieren von über 5 %, e) Aborte oder Totgeburten von über 3 % Sind diese Frühwarnschwellen überschritten, müssen entsprechende bestandsdiagnostische Untersuchungen eingeleitet und passende gesundheitliche Maßnahmen veranlasst werden. Gegebenenfalls ist auf dem Untersuchungsantrag als Untersuchungsgrund: „Ausschluss anzeigepflichtiger Tierseuchen“ zu vermerken. Bei zweifelhaften Krankheitsanzeichen ist eine telefonische Abstimmung mit dem zuständigen Veterinäramt oder/und Rindergesundheitsdienst über weitere Maßnahmen zu empfehlen/ verpflichtend. Neben der klinischen Bestandsbetreuung ist der beratenden Tätigkeit v.a. in Bezug auf die Biosicherheit durch den betreuenden Bestandstierarzt eine große Bedeutung zu zuordnen. Im Rahmen der gesetzlich vorgeschriebenen Tiergesundheitsbesuche ist eine Analyse und Bewertung der externen und internen Biosicherheit zu erfassen und zu bewerten. Die niedersächsischen Leitlinien „Biosicherheit in Rinderhaltungen“ sind als Unterstützung sehr hilfreich, da sie bausteinartig die Biosicherheit auf drei Leveln bewerten. Die Checklisten des Leitfadens unterstützen bei der Bewertung des Risikos und bei der einzuräumenden Priorität der fehlenden bzw. der zu optimierenden Maßnahmen, um seinen Bestand besser vor Gefahren zu schützen. Eine mangelnde Biosicherheit kann im Seuchenfall zur Minderung oder zur Aussetzung von Entschädigungsleistungen führen. Weiterhin muss jeder Betrieb für den Seuchenfall einen betrieblicher Maßnahmenplan zur Bekämpfung von Tierseuchen vorliegen haben. Dieser kann als Vordruck bei der sächsischen Tierseuchenkasse abgerufen werden. Zusammenfassend sind Sie als bestandsbetreuende Tierärzte verpflichtet, den gesetzlichen und berufsethischen Verpflichtungen nachzukommen, neben der klassischen kurativen Bestandsbetreuung v.a. die Betriebe in Bezug auf die Biosicherheit zu beraten und über betriebliche Risiken in der Tierseuchenprävention aufzuklären. Dazu sind Sie angehalten regelmäßig die Leistungs- und Tiergesundheitsparameter auszuwerten und die entsprechenden Maßnahmen wie eine erweiterte Diagnostik einzuleiten. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 229

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Literatur 1. Verordnung (EU) 2016/429 des europäischen Parlamentes und des Rates vom 9. März 2016 zu Tierseuchen und zur Änderung und Aufhebung einiger Rechtsakte im Bereich der Tiergesundheit („Tiergesundheitsrecht“) 2. Gesetz zur Vorbeugung vor und Bekämpfung von Tierseuchen (Tiergesundheitsgesetz - TierGesG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. November 2018 (BGBl. I S. 1938), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 21. Dezember 2022 (BGBl. I S. 2852) geändert worden ist 3. Bekanntmachung des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft von Empfehlungen für hygienische Anforderungen an das Halten von Wiederkäuern vom 07.Juli 2014 (BAnz. AT 01.08.2014 B1) FLI Empfehlung: Tierärztliche Praxis für die Rinderhygiene 28.09.2016 4. 5. Sächsische Tierseuchenkasse - Anstalt des öffentlichen Rechts - Biosicherheit in Rinderbetrieben (tsk-sachsen.de) 6. Niedersächsischer Leitfaden Biosicherheit in Rinderhaltungen; zweite Auflage Stand: 14.03.2016 7. Analyse von Gerichtsfällen im Rahmen von Tierseuchen in der Bundesrepublik Deutschland; Inaugural-Dissertation zur Erlangung der tiermedizinischen Doktorwürde der Tierärztlichen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München von Saskia Karius aus Johannesburg/Südafrika München 2005 Kontakt Christin Hesse; Sächsisches Ministerium für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt, Task-Force Tierseuchen, Dresden christin.hesse@sms.sachsen.de 230 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Botulismus als Notfall im Rinderbestand Gabriela Knubben-Schweizer Klinik für Wiederkäuer mit Ambulanz und Bestandsbetreuung der LMU München, Oberschleißheim Einleitung Botulismus ist eine Erkrankung des peripheren Nervensystems. Sie äußert sich durch fortschreitende schlaffe Lähmung der quergestreiften Muskulatur. Betroffene Tiere können an Atemlähmung sterben. Verantwortlich dafür ist die Aufnahme von Neurotoxinen von Clostridium botulinum. Die Toxine werden mit dem Futter aufgenommen und gelangen hämatogen an die neuromuskulären Endplatten, wo sie äußerst wirksam die Freisetzung von Acetylcholin verhindern, was innerhalb von ein bis drei Tagen zu klinischen Symptomen führt (1, 2). Obwohl Ausbrüche sporadisch sind, sind meist mehrere oder sogar alle Tiere einer Herde betroffen. Bei einem Ausbruch treten über mehrere Tage (selten länger als 14 Tage) Fälle auf. Die ersten Fälle sind oft die schwersten. Bei „typischem Verlauf“ kommt es zu einer fortschreitenden schlaffen Lähmung, welche im Kopfbereich beginnt (reduzierte Kiefer- und Zungenspannung). Es folgt zunehmende Schwäche, Reduktion der Schwanzspannung und Festliegen (1). Beschrieben sind auch Verläufe, bei denen die Tiere bei ungestörtem Appetit und normaler Zungenspannung zum Festliegen kommen sowie plötzliche Todesfälle (3, 4). An der neuromuskulären Endplatte gebundenes Toxin ist irreversibel gebunden. Die Schwere der Symptomatik korreliert mit der Menge an aufgenommenem Toxin (5). Da ein Ausbruch in einem Bestand im schlimmsten Fall zur Auslöschung der gesamten Herde führen kann, ist eine schnelle Intervention ist höchst bedeutsam. Epidemiologie Die Intoxikation geschieht meist durch die Aufnahme von bereits gebildetem Toxin mit dem Futter. C. botulinum ist im Erdreich weit verbreitet und kann auch im Gastrointestinaltrakt gesunder Tiere vorkommen. Es handelt sich um ein grampositives, sporenbildendes, obligat anaerobes Stäbchen. Die Vermehrung des Erregers und die Bildung der Neurotoxine erfolgen daher unter Luftabschluss. In erdverschmutztem, feuchtem Futter, das zu Silageballen verarbeitet wird, können günstige Bedingungen (anaerobe, feuchte Verhältnisse, 25 bis 30°C und pH-Wert über 4,5) herrschen (1). Auch durch toxinhaltige Kadaver oder Teile von Kadavern, die ins Futter oder Wasser gelangen, kann es zu Vergiftungen kommen (1). Faulschlamm von Gewässern birgt ebenfalls ein Risiko und regelmäßig sind Ausbrüche beschrieben, die durch Kot von Geflügel entstanden sind (2). Toxintypen Botulinum-Neurotoxine (BoNT) sind eine heterogene Gruppe von Proteinen, die von C. botulinum aber auch von C. butyricum und C. baratii produziert werden können. Die Bedeutung dieser Toxine für die Bakterien ist bis heute unklar. Basierend auf dem Maus-Bioassay wurden bisher neun Typen von Botulinum-Neurotoxin beschrieben: A bis H und X. A, B und E werden meist in Zusammenhang mit Erkrankungen beim Menschen und C, D, C/D und D/C bei Vögeln, Geflügel und Rind gefunden (6). Es gibt geographische Unterschiede im Vorkommen der verschiedenen Typen. In Europa und Australien wird z. B. überwiegend C. botulinum Typ C und D gefunden (6). Diagnostik Aufgrund der Klinik kann nur eine Verdachtsdiagnose gestellt werden. Obwohl das klinische Bild der schlaffen Lähmung der gesamten quergestreiften Muskulatur sehr typisch für Botulismus ist, kommt differentialdiagnostisch Pansenazidose, Selenmangel, Hypokaliämie oder Hypocalcämie in Frage (5). Das zuverlässigste Symptom der klinischen und neurologischen Untersuchung ist der reduzierte Zungentonus (1). Auch von hoher Bedeutung bei der Diagnostik ist die Suche nach der Quelle der Intoxikation. Labordiagnostisch werden im Wesentlichen zwei Strategien verfolgt: Der Toxinnachweis und der Nachweis von toxinbildenden Clostridien (6). Der Maus-Bioassay gilt nach wie vor als Goldstandard. Über die Sensitivität 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 231

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ gibt es widersprüchliche Angaben. Während grundsätzlich von einer hohen Sensitivität ausgegangen wird (6), waren in einem Ausbruch, in welchem Proben sehr früh entnommen wurden, nur drei von 60 Proben positiv (3). Dies hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass bereits sehr geringe Mengen an Neurotoxin die Erkrankung auslösen können. Negative Ergebnisse schließen eine Intoxikation daher nicht aus. Weitere Nachteile des Maus-Bioassays sind die erheblichen ethischen Probleme, die fehlende Standardisierung (z. B. bezüglich Alter, Gewicht und Anzahl eingesetzter Mäuse) und die Dauer bis zum Vorliegen eines Ergebnisses (6). Alternative Methoden (z. B. ELISAs, MALDI-TOF) sind ebenfalls im Einsatz (7). Ein Toxinnachweis ist grundsätzlich aus Pansensaft, Kot, Blut, Futter oder Wasser möglich. Je früher in einem Ausbruch Proben entnommen werden, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Nachweis gelingt (3). Mittels PCR kann auf Neurotoxin-produzierende Clostridien untersucht werden. Für den Nachweis von Typ A, B, E und F in Lebensmitteln gibt es Standardprotokolle jedoch nicht für den Nachweis von im veterinärmedizinischen Bereich bedeutsamen Typen C, D, C/D und D/C (6). Die PCR hat außerdem keine Aussagekraft über die Lebens- und Vermehrungsfähigkeit eines Erregers. Pathologisch-anatomisch sind keine typischen Veränderungen sichtbar. In Deutschland ist das DVG Konsiliarlabor für Clostridium botulinum/Botulinumtoxin in Lebensmitteln am RKI ein guter Ansprechpartner für Fragen rund um Diagnostik (7). Therapie Erkrankte Tiere müssen symptomatisch mittels Infusionstherapie bzw. oraler Gabe von Flüssigkeit und aufgeweichten Grascobs sowie Pansensaft behandelt werden, wobei festliegende Tiere eine schlechte bis infauste Prognose haben. Prognostisch günstig ist die Fähigkeit zu Stehen und eine erhaltene Futter- und Wasseraufnahme (5). Bei mildem Krankheitsverlauf ist eine Heilung nach etwa drei bis vier Wochen möglich (1). Abführmittel können angezeigt sein, wenn man davon ausgeht, dass die Toxinaufnahme mit dem aktuell vorgelegten Futter verbunden ist (5). Der erfolgreiche Einsatz von Antitoxin zur Inaktivierung von ungebundenem Toxin im frühen Stadium der Erkrankung bzw. bei noch nicht erkrankten Tieren ist zwar beschrieben (1, 3), bei voll ausgeprägtem Krankheitsbild ist der Einsatz jedoch fraglich. In Deutschland ist zudem kein zugelassenes Präparat erhältlich. Von entscheidender Bedeutung ist das Auffinden der Toxinquelle und die Entsorgung des Futters (1). Prophylaxe Prophylaktisch liegt der Fokus in der Vermeidung der Kontamination von Futter mit C. botulinum bzw. den Neurotoxinen. Eine Impfung ist möglich, in Deutschland gibt es jedoch keine zugelassenen Impfstoffe. Kontaminiertes Futter muss unschädlich beseitigt werden (8). Dies kann eine Herausforderung darstellen. Wird ein Kadaver gefunden, so sollte dieser verbrannt werden. Potentiell kontaminiertes Futter kann auf Ackerflächen ausgebracht und untergepflügt werden (8). Ebenfalls beschrieben ist eine Impfung der Herde und eine anschließende Verfütterung des potentiell kontaminierten Futters (5). Vorgehen bei Verdacht auf einen Ausbruch Treten innerhalb kurzer Zeit in einem Bestand Tiere mit schlaffen Lähmungen und Todesfälle auf, so sollte unbedingt an Botulismus gedacht werden. Eine Untersuchung von Einzeltieren kann insbesondere beim Vorliegen von reduzierter Zungenspannung den Verdacht erhärten. Eine Sicherung von Futterproben für einen Toxinnachweis ist sehr sinnvoll. Von betroffenen Tieren kann ein Toxinnachweis in Blut, Pansensaft oder Kot versucht werden. Das Muster des Auftretens der Fälle kann erste Hinweise auf die Quelle des Toxineintrags geben. Das schnelle Auffinden des kontaminierten Futters (oder der kontaminierten Tränke) ist für den weiteren Verlauf im Bestand von entscheidender Bedeutung! Erkrankte Tiere können einem Therapieversuch unterzogen werden, wenn sie noch nicht festliegen. Literatur 1. 2. 232 Braun U. Botulismus beim Rind. Schweiz Arch Tierheilkd, 2006. 148(7): 331-9. Souillard R, Grosjean D, Le Gratiet T, et al. Asymptomatic Carriage of C. botulinum Type D/C in Broiler Flocks as the Source of Contamination of a Massive Botulism Outbreak on a Dairy Cattle Farm. Front Microbiol, 2021. 12: 679377. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ 3. 4. 5. 6. 7. 8. Guizelini CC, Lemos RAA, de Paula JLP, et al. Type C botulism outbreak in feedlot cattle fed contaminated corn silage. Anaerobe, 2019. 55: 103-6. Martin S. Clostridium botulinum type D intoxication in a dairy herd in Ontario. Can Vet J, 2003. 44(6): 493-5. Divers TJ de Lahunta A: Neurologic Diseases. In: Peek SF Divers TJ, Herausgeber. Rebhun’s Diseases of Dairy Cattle. 3. Aufl. St. Louis, Missouri: Elsevier; 2018. S. 605-67. Meurens F, Carlin F, Federighi M, et al. Clostridium botulinum type C, D, C/D, and D/C: An update. Front Microbiol, 2022. 13: 1099184. Dorner MB, Dettmann P, Worbs S, et al. Botulismus bei Mensch und Tier. Dt TÄBl, 2020. 68(9): 1096-100. Stöber M: Botulismus. In: Dirksen G, Gründer H-D Stöber M, Herausgeber. Innere Medizin und Chirurgie des Rindes. 5. Aufl. Stuttgart: Parey; 2006. S. 1113-8. Kontakt Prof. Dr. Gabriela Knubben-Schweizer, Klinik für Wiederkäuer mit Ambulanz und Bestandsbetreuung der LMU München, Oberschleißheim g.knubben@lmu.de 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 233

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Vorkommen und Bekämpfung von Salmonella Dublin in Österreichischen Milchviehbetrieben Johannes Lorenz Khol1, Barbara Trockenbacher1, Larissa Spiß1, Thomas Wittek2 1Universitätsklinik für Wiederkäuer, Außenstelle Tirol, Vetmeduni Wien (Österreich); 2Universitätsklinik für Wiederkäuer, Vetmeduni Wien (Österreich) Einleitung Infektionen mit Salmonellen verursachen bei Rindern eine Vielzahl an Erkrankungen, die zu erheblichen wirtschaftlichen Verlusten in den betroffenen Betrieben führen können. Neben klinischen Symptomen wie Diarrhoe, treten bei adulten Tieren septikämische Verlaufsformen, sowie Reproduktionsstörungen auf, die mit Aborten einhergehen (1). Das rinderspezifische Serovar Salmonella dublin (S. Dublin) nimmt dabei in Rinderbeständen eine immer bedeutendere Rolle ein, da von infizierten Einzeltieren eine hohe Anzahl an Erregern ausgeschieden werden kann. Diese chronisch infizierten Tiere können zur Durchseuchung einer ganzen Herde führen (2). Neben den allgemeinen Symptomen die Salmonelleninfektionen hervorrufen, stehen insbesondere die Symptome mit großer wirtschaftlicher Bedeutung, wie Aborte oder Kälberpneumonien, die zu einer schlechteren Gewichtszunahme führen, im Vordergrund (3). Zudem weist S. Dublin auch ein zoonotisches Potential auf, da sich Menschen mit dem Erreger infizieren und erkranken können (4). Auch in Österreich wird S. Dublin regelmäßig nachgewiesen, belastbare Daten zu Vorkommen und Bedeutung der Infektion liegen jedoch bisher nicht vor. Die Dynamik von Infektionen mit S. Dublin in Rinderherden ist komplex und von zahlreichen Faktoren, wie der Herdengröße, der Aufstallung und anderen Managementfaktoren abhängig (5). Dabei scheinen kleinbäuerliche Strukturen mit der gemeinsamen Alpung von Rindern, aus oft zahlreichen unterschiedlichen Herkunftsbetrieben, begünstigende Faktoren für die Verbreitung des Erregers darzustellen (6). Da es in der Vergangenheit auf Tiroler Almen immer wieder zu Abortusfällen, sowie Todesfällen bei Gämsen (Rupicapra rupicapra) im Zusammenhang mit S. Dublin kam (7), war es Ziel der Untersuchungen Ausbreitungsmuster des Erregers innerhalb und zwischen den Herden zu identifizieren. Tiere, Material und Methode Im Zuge der Studie wurden in bekannt S. Dublin positive Milchviehbetrieben detaillierte Untersuchungen zur Verbreitung des Erregers durchgeführt, um das Ausmaß der Infektion und deren Zirkulation in den Herden detailliert zu erfassen. Dabei wurden alle Rinder am Betrieb mittels Blut- und Kotuntersuchung auf S. Dublin bzw. spezifische Antikörper (Ak) untersucht. Um persistent infizierte Tiere zu identifizieren wurde die Kotuntersuchung nach drei Monaten wiederholt. Zusätzlich wurden von allen zum Untersuchungszeitpunkt laktierende Kühen Einzelmilchproben und die Tankmilch auf spezifische Ak getestet. Um die Kontamination der Umgebung zu erfassen wurden im Stallbereich zahlreiche Einzelproben, sowie eine Sockentupferprobe gesammelt. Weiters wurden auf Almen, auf die Tiere aus positiven Betrieben aufgetrieben wurden, vor, in der Mitte und am Ende der Almsaison Umgebungsproben auf S. Dublin getestet. Ergebnisse Die Detailuntersuchungen in ausgewählten Betrieben zeigten eine hohe Schwankungsbreite, sowohl der infizierten als auch der persistent infizierten Tiere. Die eingesetzten Sockentupfer zum Sammeln von Umweltkotproben wiesen eine hohe Sensitivität auf und waren in einzelnen Betrieben der AK-Tankmilchuntersuchung überlegen. In den übrigen Umgebungsproben aus dem Stallbereich konnte S. Dublin wie erwartet in Gülle- und Futterproben nachgewiesen werden. Die Untersuchung der Almen vor, während und am Ende der Almsaison zeigte eine Kontamination der Umgebung, allen voran des Wassers und der Tränken. 234 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Diskussion Die vorliegenden Untersuchungen zeigen, dass Tankmilchuntersuchungen (Ak) und Sockentupfer (Ag) gut als Screeningmethoden zur Identifizierung S. Dublin positiver Betriebe geeignet zu sein scheinen. Wobei zu bedenken ist, dass die Intraherdenprävalenz, sowie die Anzahl persistent infizierter Tiere deutliche Unterschiede zwischen den Betrieben aufwiesen, was die Sensitivität der Methoden beeinflusst. Die gemeinsame Alpung von Tieren aus verschiedenen Herkunftsbetrieben kann über die Kontamination der Umwelt zur Verbreitung des Erregers zwischen den Herden beitragen. Die Untersuchungen in Zusammenarbeit mit dem Tiroler Tiergesundheitsdienst zeigen, dass S. Dublin in kleinbäuerlichen Strukturen mit Alpung der Rinder im Sommer durchaus eine Rolle spielt. Aus anderen Gebieten liegen keine detaillierten Daten vor, es ist jedoch von einer vergleichbaren Situation auszugehen. Da es sich bei S. Dublin um einen Zoonoseerreger handelt sollte, gerade vor dem Hintergrund der steigenden Bedeutung lokaler Vermarktungsangebote, in betroffenen Betrieben eine Bekämpfung durch das Ausscheiden persistenter Trägertiere und/oder Impfung angestrebt werden. Danksagung Die Untersuchungen wurden vom Land Tirol, dem Tiroler Tiergesundheitsdienst und der österreichischen Buiatrischen Gesellschaft unterstützt. Literatur 1. Henderson K, Mason C. Diagnosis and control of Salmonella Dublin in dairy herds. In Practice 2017;39:158-168. 2. Holschbach CL, Peek SF. Salmonella in Dairy Cattle. Vet. Clin. Food. Anim. 2018;34:133-154. 3. Nielsen LR, Schukken YH, Gröhn YT, et al. Salmonella Dublin infection in dairy cattle: risk factors for becoming a carrier. Prev. 4. Vet. Med. 2004;65:47-62. Funke S, Anker JC, Ethelberg S. Salmonella Dublin patients in Denmark and their distance to cattle farms. Infect. Dis. 2017;49:208–216. 5. Nielsen LR. Within-herd prevalence of Salmonella Dublin in endemically infected dairy herds. Epidemiol. Infect. 2013;141(10):2074-82. 6. Allerberger F, Liesegang A, Grif K, et al. Occurrence of Salmonella enterica serovar Dublin in Austria. Wien. Med. Wochenschr. 2003;153(7-8):148-52. 7. Glawischnig W, Khaschabi D, Schöpf K, et al. Ein seuchenhafter Ausbruch von Salmonella enterica Serovar Dublin bei Gemsen (Rupicapra rupicapra). Wien. Tierärztl. Mschr. 2000;87,21-25. Kontakt Prof. Dr. Johannes Lorenz Khol; Universitätsklinik für Wiederkäuer, Außenstelle Tirol, Vetmeduni Wien, Innsbruck, Österreich Johannes.khol@vetmeduni.ac.at 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 235

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Mycoplasma bovis und Pneumonie beim Kalb: Rolle und Bedeutung Torsten Steppin Zoetis Deutschland GmbH, Berlin Die Grundlagen einer guten Kälbergesundheit beginnen bereits bei der Haltung der Kuh, setzen sich über optimale Geburtshygiene und Kolostrumversorgung der Kälber fort und werden sehr wesentlich durch Haltung und Fütterung der Kälber im Herkunftsbetrieb, beim Transport und in den Aufzuchtbetrieben bestimmt. Erkrankungen der oberen Luftwege verursachen neben Entzündungen des Magen-Darm-Traktes weltweit gravierende Verluste in der Kälberaufzucht. Als multifaktorielle Erkrankungen sind viele mögliche Noxen zu beachten, die einen Einfluss auf die Kälbergesundheit haben können (1). Bei den belebten Erregern stehen Bakterien und Viren im Vordergrund. Viren sind häufig die primären Krankheitserreger, die durch Zerstörung der mukoziliären Clearance die Wegbereiter für bakterielle Infektionen bilden. Eine besondere Rolle bei Rindererkrankungen spielen Mycoplasmen. Beim Rind ist Mycoplasmopsis bovis (ehemals Mycoplasma bovis) (M. bovis) weit verbreitet. Mycoplasmen gehören zu den kleinsten Bakterien. Das Fehlen einer festen Zellwand und die Vermehrung in peripheren mononukleären Zellen und Erythrozyten sind wesentliche Pathogenitätsfaktoren, die oft zu einer Immunsuppression und generalisierten Ausbreitung führen (2,3). Die Infektion der Rinder findet meistens bei engem Kontakt der Tiere zueinander statt. Sehr häufig scheiden klinisch unauffällige Tiere M. bovis aus und induzieren dadurch neue Infektionen (4). M. bovis verursacht bei Kälbern häufig Bronchopneumonien, ebenso werden Otitiden und Arthritiden beschrieben, bei Kühen auch Mastitiden und Fruchtbarkeitsstörungen (5-9). Durch das Fehlen einer Zellwand sind Betalaktamantibiotika und andere die Zellwandsynthese beeinflussende Antibiotika zur Therapie von M. bovis nicht wirksam. Therapeutisch können unter anderem Makrolide, Phenicole, Tetracycline und Fluorchinolone eingesetzt werden. Jedoch steht dem Antibiotikaeinsatz das Ziel der weiteren Reduktion dieser Wirkstoffe entgegen. Ein kommerzieller Impfstoff ist seit 2023 in Deutschland zugelassen, bisher jedoch nicht verfügbar. Der Einsatz bestandsspezifischer Impfstoffe ist vor allem in den Aufzuchtbetrieben wegen der heterogenen Herkunft der Kälber schwer umzusetzen. Bisher gab es einzelne Berichte zur Prävalenz von M. bovis in Deutschland. In süddeutschen Kuhbeständen wurden bei Tankmilchuntersuchungen in 20,75 % der Betriebe (n= 790) Antikörper gegen M. bovis nachgewiesen. Der Erregernachweis mittels PCR war in allen Betrieben negativ (10). In anderen europäischen Ländern wurden Untersuchungen zur Seroprävalenz von M. bovis in Milchviehbetrieben durchgeführt. In Irland waren 588 von 1.313 untersuchten Tankmilchproben positiv (45 %) und in Belgien wurden eine Prävalenz von 24,8 % ermittelt (n=100) (11,12). Es werden weitere Untersuchungsergebnisse aus Deutschland vorgestellt und Möglichkeiten zur Prävention von M. bovis aufgezeigt. Literatur 1. Bundesverband für Tiergesundheit (2022): https://www.gesundeskalbgesundekuh.de/ 2. Van der Merwe J, Prysliak T, Perez-Casal J, Invasion of bovine peripheral blood mononuclear cells and erythrocytes by Mycoplasma bovis. Infection and Immunity 2010, 4570-4578. 3. Calcutt MJ, Lysniansky I, Sachse K, Fox LK, Nicholas RAJ, Ayling RD. Gap analysis of Mycoplasma bovis disease, diagnosis and control: An aid to identify future development requirements. Transbound Emerg Dis. 2018;65 (Suppl. 1):91– 109. 4. Hazelton MS, Morton JM, Parker AM, Sheehy PA, Bosward KL, Malmo J, House JK. Whole dairy herd sampling to detect subclinical intramammary Mycoplasma bovis infection after clinical mastitis outbreaks. Vet Microbiol. 2020; 244: 108662 5. Nicholas RAJ, Ayling RD. Mycoplasma bovis: disease, diagnosis, and control. Research in Veterinary Science 2003; 74: 105–112 236 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ 6. Wilson DJ, Skirpstunas RT, Trujillo JD, Cavender KB, Bagley CV, Harding RL. Unusual history and initial clinical signs of Mycoplasma bovis mastitis and arthritis in first-lactation cows in a closed commercial dairy herd. JAVMA. 2007; 230 (10): 1519-1523 7. Maeda T, ShibaharaT, Kimura K, Wada Y, Sato K, Imada Y, Ishikawa Y, Kadota K. Mycoplasma bovis-associated 8. Suppurative Otitis Media and Pneumonia in Bull Calves. J. Comp. Path. 2003;129: 100–110 Foster AP, Naylor RD, Howie NM, Nicholas RAF, Ayling RD. Mycoplasma bovis and otitis in dairy calves in the United Kingdom. The Veterinary Journal. 2009; 179: 455–457 9. Krömker V, Moroni P. Strategische Ansätze zur Bekämpfung von Mykoplasmenmastitiden. Der Praktische Tierarzt. 2018; 99 (10): 1072-1079 10. Lorenz I. Mycoplasma bovis in Bayern: Was wissen wir bisher? 12. Stendaler Symposium: Tierseuchen und Tierschutz beim Rind vom 29. bis 31. März 2023. 2023: 89-90 11. McAloon CI, McAloon CG, Tratalos J, O`Grady L, McGrath G, Guelbenzu M, Graham DA, O`Keeffe K, Barrett DJ, More SJ. Seroprevalence of Mycoplasma bovis in bulk milk samples in Irish dairy herds and risk factors associated with herd seropositive status. J. Dairy Sci. 2022; 105:5410–5419 12. Gille L, Callens J, Supre K, Boyen F, Haesebrouck F, Van Driessche L, van Leenen K, Deprez P, Pardon B. Use of a breeding bull and absence of a calving pen as risk factors for the presence of Mycoplasma bovis in dairy herds. J. Dairy Sci. 2018; 101:8284–8290 Kontakt Dr. Torsten Steppin; Zoetis Deutschland GmbH, Berlin 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 237

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Zusammenhänge zwischen dem Vorkommen von durch professionelle Klauenpfleger dokumentierten Klauenveränderungen und der Laktationsleistung von Milchkühen der Rasse Deutsche Holstein Katja Bäumler1, Kathrin F. Stock2, Andrea Fiedler3, Kerstin E. Müller1 1Fachbereich Veterinärmedizin, Nutztierklinik, Abteilung Wiederkäuer und Kameliden, Arbeitsgruppe Innere Medizin & Chirurgie, Freie Universität Berlin; 2Vereinigte Informationssysteme Tierhaltung w.V. (vit), Verden; 3Praxisgemeinschaft für Klauengesundheit, München Zielsetzung Lahmheit bei Milchkühen gibt Anlass zu großer Besorgnis, da Lahmheitsfälle auf eine Beeinträchtigung des Tierwohls hindeuten und gleichzeitig erhebliche wirtschaftliche Verluste für milchviehhaltende Betriebe verursachen (1). Diese Verluste könnten oft unterschätzt werden. Während die direkten Behandlungskosten offensichtlich sind, ist die Quantifizierung der verringerten Milchproduktion (2), der beeinträchtigten Reproduktionsleistung (3) und des erhöhten Abgangsrisikos (4) unter Praxisbedingungen schwieriger. Der Großteil von Lahmheitsfällen bei Milchkühen kann auf Veränderungen im Bereich der Klauen und Zehenhaut zurückgeführt werden (5, 6), sodass Aufzeichnungen über die Klauengesundheit eine geeignete Datengrundlage für statistische Analysen darstellen können. Infolgedessen war das Ziel dieser Studie, den Zusammenhang zwischen dem Auftreten verschiedener Klauenveränderungen und der Laktationsleistung der energiekorrigierten Milchmenge (ECM) bei Milchkühen der Rasse Deutsche Holstein unter Praxisbedingungen zu untersuchen. Material und Methoden Die Daten für diese Studie wurden im Rahmen des Projektes KLAUENfitnet2.0* zwischen November 2019 und September 2021 auf 34 deutschen Milchviehbetrieben erhoben. Es wurden ausschließlich Daten von Milchkühen der Rasse Deutsche Holstein berücksichtigt. Informationen über die Klauengesundheit wurden bei der routinemäßigen Klauenpflege von 17 professionellen Klauenpflegern, die vor Beginn der Datenerfassung zusätzlich geschult wurden, elektronisch erfasst. Umfassende Informationen aus der Milchleistungsprüfung waren für alle Herden verfügbar. Der mögliche Einfluss verschiedener Klauenveränderungen auf die Laktationsleistung wurde untersucht, indem zwischen Laktationen von Kühen ohne und mit mindestens einem entsprechenden Eintrag (Neuerfassung) unterschieden wurde. Die statistischen Analysen basierten auf 18.544 abgeschlossenen Laktationen von 14.564 Kühen der Rasse Deutsche Holstein. Der Zusammenhang mit der Laktationsleistung wurde für 34 Klauenveränderungen durch multiple Varianzanalysen (ANOVA) mit gemischt linearen Modellen unter Verwendung der Prozedur HPMIXED (SAS-Softwarepaket, Version 9.2) ermittelt. Als fixe Effekte wurden im Modell die Parität, das Kalbejahr, der Milchviehbetrieb und jeweils eine bestimmte Klauenveränderung berücksichtigt. Das einzelne Tier wurde als zufälliger Effekt modelliert, um auf wiederholte Beobachtungen zu korrigieren. Signifikanzwerte von P<0,05 wurden als statistisch signifikant angesehen. Ergebnisse Die Laktationsleistungen der energiekorrigierten Milchmenge wurden für Laktationen mit mindestens einer neuen Erfassung einer der folgenden Klauenveränderungen signifikant geringer geschätzt: Dermatitis digitalis assoziiert mit anderen Klauenveränderungen, Rusterholz’sches Sohlengeschwür, Klauensohlengeschwür, Ballengeschwür, Sohlenspitzengeschwür, Sohlenspitzennekrose, Weiße Linie Abszess, Phlegmone, Zwischenklauenphlegmone, Limax und Doppelte Sohle. Die Analysen ergaben keine Signifikanz für Ballenhornfäule, Dünne Sohle, Weiße Linie Defekt, Dermatitis interdigitalis und Dermatitis digitalis im Allgemeinen. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 239

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Schlussfolgerungen Unsere Ergebnisse weisen darauf hin, dass Klauenveränderungen mit freiliegender Lederhaut, Phlegmonen und Dermatitis digitalis assoziiert mit anderen Klauenveränderungen im Durchschnitt zu einer reduzierten Laktationsleistung der betroffenen Milchkühe im Vergleich zu Milchkühen, die im Zeitraum der Laktation nicht neu mit diesen Veränderungen erfasst wurden, führen. Daraus folgt, dass die Umsetzung eines strategischen Klauengesundheitsmanagements und vorbeugende Maßnahmen zur Vermeidung und Verminderung des Vorkommens dieser Klauenveränderungen von zentraler Bedeutung sind. *Die Förderung des Vorhabens erfolgte aus Mitteln des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) aufgrund eines Beschlusses des deutschen Bundestages. Die Projektträgerschaft erfolgte über die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) im Rahmen des Programms zur Innovationsförderung. Literatur 1. 2. 3. 4. 5. 6. Dolecheck K, Bewley J. Animal board invited review: Dairy cow lameness expenditures, losses and total cost. Animal. 2018;12(7):1462-1474. Archer SC, Green MJ, Huxley JN. Association between milk yield and serial locomotion score assessments in UK dairy cows. J Dairy Sci. 2010;93(9):4045-4053. Sogstad AM, Østerås O, Fjeldaas T. Bovine claw and limb disorders related to reproductive performance and production diseases. J Dairy Sci. 2006;89(7):2519-2528. Sogstad AM, Østerås O, Fjeldaas T, Nafstad O. Bovine claw and limb disorders related to culling and caracass characteristics. Livest Sci. 2007;106:87-95. Archer S, Bell N, Huxley J. Lameness in UK dairy cows: A review oft he current status. In Pract. 2010;32:492-504. van Huyssteen M, Barkema HW, Manson S, Orsel K. Association between lameness risk assessment and lameness and foot lesion prevalence on dairy farms in Alberta, Canada. J Dairy Sci. 2020;103(12):11750-11761. Kontakt Katja Bäumler; Fachbereich Veterinärmedizin, Nutztierklinik, Abteilung Wiederkäuer und Kameliden, Arbeitsgruppe Innere Medizin & Chirurgie, Freie Universität Berlin katja.baeumler@fu-berlin.de 240 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Auswirkungen der Inzidenz an subakuter Pansenazidose auf die Klauengesundheit (Prävalenz an Lahmheit, Klauenläsionen, Klauengesundheitswert) von Holstein-Erstlingskühen Johann Kofler1, Michael Höfler1, Thomas Hartinger2, Ezequias Castillo-Lopez2, Johann Huber3, Alexander Tichy4, Nicole Reisinger5, Qendrim Zebeli2 1Department für Nutztiere und öffentliches Gesundheitswesen in der Veterinärmedizin, Universitätsklinik für Wiederkäuer, Veterinärmedizinische Universität Wien, Österreich; 2Institut für Tierernährung und funktionelle Pflanzenstoffe, Christian-Doppler-Labor für innovative Darmgesundheitskonzepte bei Nutztieren (CDL- LiveGUT), Department für Nutztiere und öffentliches Gesundheitswesen in der Veterinärmedizin, Veterinärmedizinische Universität Wien, Österreich; 3Lehr- und Forschungsgut VetFarm Kremesberg, Veterinärmedizinische Universität Wien, Pottenstein, Österreich; 4Plattform für Bioinformatik und Biostatistik, Department für Biomedizinische Wissenschaften, Sciences, Veterinärmedizinische Universität Wien, Veterinärplatz 1, A-1210 Wien, Österreich; 5DSM, BIOMIN Research Center, Tulln, Österreich. Einleitung Die Milchleistung von Holstein- und Fleckviehkühen ist in den letzten Jahrzehnten enorm angestiegen (1). Daher stehen Tierhalter heute vor der großen Herausforderung einerseits den Energiebedarf der Tiere zu decken und andererseits die Pansengesundheit zu erhalten. Diese Rahmenbedingungen führen oft dazu, dass kraftfutterreiche Rationen an Milchviehherden verfüttert werden (2-4), was wiederum mit hohen Lahmheitsinzidenzen in den Herden in Zusammenhang gebracht wird (5-7). Untersuchungen zeigten, dass primipare Kühe bei einer kraftfutterreichen Fütterung einen länger andauernden Abfall des pH-Wertes im Pansen aufweisen als multipare Kühe (6). Dies lässt vermuten, dass das Risiko eine subakute Pansenazidose (SARA) zu entwickeln bei primiparen Kühen höher ist. Vor allem SARA wird eine entscheidende Bedeutung in der Entstehung von Klauenrehe und damit von Klauenerkrankungen beigemessen (7-10). Ziel dieser Studie war es, die Auswirkungen der fütterungsbedingten SARA während der Transitphase und frühen Laktationsperiode auf die Klauengesundheit von 24 Holstein-Färsen in der ersten Laktation zu untersuchen. Material und Methode Alle 24 Tiere waren fünf Monate vor Beginn der Studie, während der gesamten Studiendauer und auch noch die drei Monate nach Ende der Fütterungsstudie unter gleichen Bedingungen aufgestallt (Laufstall mit Gummiboden, großer freier Liegebereich mit Tiefstroheinstreu und Liegeboxen mit Stroh-Mistmatratze). Alle Färsen erhielten drei Wochen vor dem errechneten Abkalbetermin eine Total-Misch-Ration mit 30 % Kraftfutter (in der Trockenmasse) und wurden dann auf eine Total-Misch-Ration mit hohem Kraftfutteranteil (60 % der Trockenmasse) umgestellt, die bis zum 70. Laktationstag gefüttert wurde, um SARA auszulösen. Ab dem 70. Laktationstag erhielten alle Kühe dieselbe post-SARA-Ration mit etwa 36 % Kraftfutter in der Trockenmasse. Der Futtertisch war mit Einzelfuttertrögen ausgestattet, um die exakte Futteraufnahme der Kühe erfassen zu können. Die Klauen dieser 24 Holstein-Färsen/-Kühe wurden ca. 8 Wochen vor dem Abkalben (Klauenpflegevisite 1), am 70. (Klauenpflegevisite 2) und am 160. Laktationstag (Klauenpflegevisite 3) untersucht, gepflegt und befundet. Alle Klauenbefunde wurden elektronisch dokumentiert, und für jede Kuh wurde ein numerischer Klauengesundheitswert (Cow-Claw-Score: CCS) berechnet (11). Das Gangbild der Kühe wurde in zweiwöchigen Intervallen mit dem Locomotion-Scoring-System nach Sprecher et al. (12) und mit Scores von 1 – 5 (LCS) bewertet. Für die kontinuierlichen Pansen-pH-Messungen zur Bestimmung von SARA wurden intraruminale Sensoren (pH Plus Bolus SX-1042A, smaXtec® animal care GmbH, Graz, Österreich) verwendet, welche etwa vier Wochen vor dem erwarteten Geburtstermin appliziert wurden. Als SARA-Tag wurde definiert, wenn der pH-Wert für mehr als 330 Minuten in 24 Stunden unter 5,8 lag (3). Anschließend wurden die Kühe mittels Clusteranalyse in 3 SARA-Gruppen unterteilt, die sich hinsichtlich der Inzidenz an SARA-Tagen 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 241

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ unterschieden. Die Klauengesundheit bei den Kühen dieser drei SARA-Gruppen sowie an den drei Klauenpflegezeitpunkten wurde durch Berechnung der Prävalenzen der einzelnen Klauenläsionen, der CCS- Werte, der Locomotion-Scores (Mittelwerte aller dokumentierten LCS) und der Lahmheitsprävalenzen bewertet. Ergebnisse Trotz Fütterung mit gleich hohen Kraftfutteranteilen war die Anzahl der SARA-Tage bei den 24 Holstein- Erstlingskühen sehr unterschiedlich. Die Clusteranalyse gruppierte die Kühe retrospektiv in die Gruppen leichte SARA (≤ 11 %; n: 9), mäßige SARA (> 11 - < 30 %; n: 7) und hochgradige SARA (> 30 %; n: 8), basierend auf dem Prozentsatz der Tage, an denen die einzelnen Kühe SARA aufwiesen. Statistisch signifikante Unterschiede wurden zwischen den SARA-Gruppen "leicht" und "hochgradig" in Bezug auf das Auftreten von Lahmheiten festgestellt (p = 0,023), jedoch nicht bei der Prävalenz von Klauenbefunden und den LCS-Mittelwerten. Die mittlere Lahmheitsprävalenz in der SARA-Gruppe „leicht“ betrug 3,2 % und 14,3 % in der SARA-Gruppe „hochgradig“. Ferner ergab die logistische Regressionsanalyse, dass für jeden Tag mit SARA die Wahrscheinlichkeit, lahm zu werden, um 2,52 % zunahm (p = 0,026). Ein signifikanter Anstieg der Prävalenz von Weiße-Linie-Defekten wurde zwischen den Klauenpflegevisiten 2 (70. Laktationstag) und 3 (160. Laktationstag) in der SARA-Gruppe „hochgradig“ festgestellt. Der mittlere CCS-Wert der Kühe der SARA-Gruppe "hochgradig" war bei jedem Besuch numerisch höher als bei den Kühen der anderen beiden Gruppen, jedoch ohne statistische Signifikanz. Diskussion Im Gegensatz zu anderen SARA-Studien, in denen entweder eine Magenschlundsonde oder eine Ruminozentese zur Bestimmung des Pansen-pH-Wertes verwendet wurden, wurde in vorliegender Studie eine kontinuierliche Messung des Pansen-pH-Wertes während der gesamten Studiendauer in 10-Minuten- Intervallen unter Verwendung eines intraruminalen Sensors durchgeführt (13). Ein weiterer wichtiger methodischer Unterschied der vorliegenden Studie im Vergleich zu anderen Studien (7, 14-16) ist die Definition von SARA mittels Bestimmung der SARA-Tage in Relation zur Gesamtdauer der Fütterungsstudie (3, 17). Trotz der Fütterung der gleichen SARA-Ration reagierten die 24 Erstlingskühe unterschiedlich: Fünfzehn Kühe hatten während des gesamten Studienzeitraums > 30% SARA-Tage, während neun Kühe weniger als 11% SARA-Tage hatten. Die genauen Mechanismen hinter der unterschiedlichen Reaktion der Kühe trotz Fütterung derselben Ration mit hohem Kraftfutteranteil sind bislang unklar, allerdings wird in der Literatur häufig von SARA-anfälligen und SARA-resistenten Kühen berichtet (6, 16). Diese Studie bietet neue Einblicke in die Klauengesundheit von Kühen in der ersten Laktation, die einen unterschiedlichen Grad an subakuter Pansenazidose aufweisen, obwohl sie mit derselben kraftfutterreichen Ration gefüttert wurden. Die vorliegende Studie unterlag einigen einschränkenden Aspekten. Dazu zählt die geringe Anzahl von 24 Kühen, was als eine mögliche Erklärung für das Fehlen statistisch signifikanter Unterschiede zwischen den drei SARA-Gruppen in Bezug auf das Vorhandensein von Klauenläsionen und CCS-Werten angeführt werden kann. Außerdem war in dieser Studie keine negative Kontrollgruppe vorgesehen, d.h. eine Gruppe, in der keine Kuh SARA aufwies. Andererseits muss jedoch betont werden, dass die 24 Holsteinkühe sorgfältig auf einen vergleichbaren genetischen Hintergrund, Leistung, Alter und Körpergröße vorselektiert wurden, was die Variabilität erheblich reduzierte. Außerdem ermöglichte die kontinuierliche Überwachung des Pansen-pH- Wertes mittels Sensortechnik eine genaue Bestimmung von SARA bei allen 24 Kühen. Zudem wurden die 24 Kühe bereits fünf Monate vor dem Abkalben und auch während der gesamten Studiendauer immer gemeinsam in einer Gruppe und immer unter gleichbleibenden Bedingungen gehalten, so dass die Umweltbedingungen für alle Tiere gleich waren (18). Obwohl die Kühe in der SARA-Gruppe "hochgradig" tendenziell eine schlechtere Klauengesundheit aufwiesen als die Kühe in der SARA-Gruppe "leicht", konnte dieser Unterschied in Bezug auf die Gesamtprävalenz von Klauenläsionen, LCS Mittelwerten und CCS statistisch nicht validiert werden. Hinsichtlich der Lahmheitsinzidenz konnten jedoch statistisch signifikante Unterschiede zwischen der SARA-Gruppe „leicht“ und der SARA-Gruppe „schwer“ nachgewiesen werden. Zudem ergab die Datenanalyse signifikante Unterschiede in der Prävalenz von Doppelsohlen innerhalb der SARA-Gruppe "leicht" und in der Prävalenz von Weiße-Linie-Defekten in der SARA-Gruppe „hochgradig“ zu den drei Klauenpflegevisiten, mit signifikant 242 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ höheren Prävalenzen bei der Klauenpflegevisite 3 (p < 0,05). Ähnliche statistische Unterschiede ergaben sich für die CCS-Werte innerhalb der drei SARA-Gruppen beim Vergleich der Klauenpflegevisiten. Als wesentliche Gründe für die nur geringen Unterschiede bei der Häufigkeit von Klauenläsionen und CCS-Werten zwischen den drei SARA-Gruppen sind wohl die geringe Anzahl der Probanden und insbesondere die kurze Dauer der Fütterungsstudie von nur 70 Tagen zu nennen. Basierend auf den Ergebnissen der Risikoanalyse ist davon auszugehen, dass das Risiko für Lahmheit bei Erstlingskühen nach etwa 40 Tagen unter SARA ansteigt, wobei eine hohe Wahrscheinlichkeit (>25%) für Lahmheiten bei einer SARA-Dauer von über 80 Tagen geschätzt wurde. Die ausführliche Methodik und die vollständigen Ergebnisse dieser Studie sind in der Originalpublikation (19) nachzulesen. Literatur 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. Hansen LB. Consequences of selection for milk yield from a geneticist's viewpoint. J Dairy Sci 2000;83(5):1145–1150. Plaizier JC, Krause DO, Gozho GN, McBride BW. Subacute ruminal acidosis in dairy cows: The physiological causes, incidence and consequences. Vet J 2008;176(1):21–31. Zebeli Q, Dijkstra J, Tafaj M, Steingass H, Ametaj BN, Drochner W. Modeling the adequacy of dietary fiber in dairy cows based on the responses of ruminal pH and milk fat production to composition of the diet. J Dairy Sci 2008;91(5):2046–2066. Khorrami B, Khiaosa-Ard R, Zebeli Q. Models to predict the risk of subacute ruminal acidosis in dairy cows based on di-etary and cow factors: A meta-analysis. J Dairy Sci 2021;104(7):7761–7780. Oetzel GR. Diagnosis and management of subacute ruminal acidosis in dairy herds. Vet Clin Food Anim 2017;33(3):463–480. Humer E, Aschenbach JR, Neubauer V, Kröger I, Khiaosa-Ard R, Baumgartner W, Zebeli, Q. Signals for identifying cows at risk of subacute ruminal acidosis in dairy veterinary practice. J Anim Physiol Anim Nutr 2018;102(2):380–392. Langova L, Novotna I, Nemcova P, Machacek M, Havlicek Z, Zemanova M, Chrast V. Impact of nutrients on the hoof health in cattle. Animals 2020;10(10):1824. Stone WC. Nutritional approaches to minimize subacute ruminal acidosis and laminitis in dairy cattle. J Dairy Sci 2004;87:E13-E26. Greenough PR. Bovine Laminitis and Lameness – a hands on approach. Saunders Elsevier, Philadelphia, 2007; pp. 8-304. Shaver RD. Feeding to minimize acidosis and laminitis in dairy cattle. Dairy Cattle Extension publication 2019; https://dairy-cattle.extension.org/feeding-to-minimize-acidosis-and-laminitis-in-dairy-cattle/ (accessed on August 1, 2023). Kofler J. Computerised claw trimming database programs as the basis for monitoring hoof health in dairy herds. Vet J 2013;198(2):358–361. Sprecher DJ, Hostetler DE, Kaneene JB. A lameness scoring system that uses posture and gait to predict dairy cattle re-productive performance. Theriogenol 1997;47(6):1179–1187. Dijkstra J, Van Gastelen S, Dieho K, Nichols K, Bannink A. Rumen sensors: data and interpretation for key rumen met-abolic processes. Animal 2020;14:S1,s176–s186. Kleen JL, Upgang L, Rehage J. Prevalence and consequences of subacute ruminal acidosis in German dairy herds. Acta Vet Scand 2013;55:48. Lean IJ, Westwood CT, Golder HM, Vermunt JJ. Impact of nutrition on lameness and claw health in cattle. Livestock Sci 2013;156(1-3):71–87. Nasrollahi SM, Zali A, Ghorbani GR, Moradi Shahrbabak M, Heydari Soltan Abadi M. Variability in susceptibility to acidosis among high producing mid-lactation dairy cows is associated with rumen pH, fermentation, feed intake, sorting activity, and milk fat percentage. Anim Feed Sci Technol 2017;228:72–82. Zebeli Q, Ghareeb K, Humer E, Metzler-Zebeli BU, Besenfelder U. Nutrition, rumen health and inflammation in the transition period and their role on overall health and fertility in dairy cows. Res Vet Sci 2015;103:126–136. Cook NB, Nordlund KV, Oetzel GR. Environmental influences on claw horn lesions associated with laminitis and subacute ruminal acidosis in dairy cows. J Dairy Sci 2004;87:E36-E46. Kofler J and Hoefler M, Hartinger T, Castillo-Lopez E, Huber J, Tichy A, Reisinger N, Zebeli Q. (2023): Effects of High Concentrate-induced Subacute Ruminal Acidosis Severity on Claw Health in First Lactation Holstein Cows. Animals 2023, 13, 1418; https://doi.org/10.3390/ani13081418. Kontakt Prof. Dr. Johann Kofler; Universitätsklinik für Wiederkäuer, Veterinärmedizinische Universität Wien, Österreich Johann.Kofler@vetmeduni.ac.at 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 243

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Zehenerkrankungen bei Rindern auf Alpweiden Claudia Syring1, Maher Alsaaod1, Melanie Schaub1, Georg Clavadetscher2, Fanny Rachidi3, Alexander Starke3, Adrian Steiner1 1Wiederkäuerklinik, Vetsuisse-Fakultät, Universität Bern, Schweiz; 2Clavadetscher Tierarzt, Fontnas, Schweiz; 3Klinik für Klauentiere, Universität Leipzig, Deutschland Abstract In der Schweiz werden viele Rinder und Kühe auf Alpweiden zusammen mit Tieren aus anderen Betrieben gesömmert. Erfahrungsgemäss treten auf grösseren Rinderalpen häufig Zehenerkrankungen bei Rindern auf, was zu einem hohen Arbeitsaufwand für das Alppersonal und zum Einsatz grosser Mengen an Antibiotika führt. Um diese Situation langfristig zu verbessern, wurden durch die Wiederkäuerklinik der Vetsuisse-Fakultät der Universität Bern zwei wissenschaftliche Studien durchgeführt. Diese hatten zum Ziel, die Ursachen für die beschriebenen Zehenerkrankungen zu eruieren und gleichzeitig Risikofaktoren für deren Auftreten zu beschreiben, um deren Vorkommen in Zukunft vorzubeugen. Insbesondere war von Interesse, ob Dermatitis digitalis (DD; Mortellaro'sche Krankheit) eine relevante Rolle spielt. Projekt 1 wurde auf zwei grossen Alpen im Kanton Uri und Projekt 2 auf 11 Alpen im Unterengadin (Kanton Graubünden) durchgeführt. Projekt 1 In der vorliegenden Studie wurden mittels Analyse der Tier- und Behandlungsdaten von insgesamt 3256 Tieren der Rindergattung Risikogruppen für infektiöse Zehenerkrankungen auf zwei grossen Schweizer Rinderalpen identifiziert. Beide Alpen waren Teil des vom Bundesamt für Landwirtschaft BLW unterstützten Beratungsprojekts "Gesunde Tiere, attraktive Hirtenstellen und weniger Medikamente auf grossen Rinderalpen". Das Projekt wurde im Jahr 2020 aufgrund des vermehrten Vorkommens von Lahmheiten auf diesen Alpen gestartet. Bakteriologische und histologische Untersuchungen sollten Hinweise geben, ob es sich bei der häufigsten Zehenerkrankung um Zehen-Phlegmonen (ZP; Phlegmona interdigitalis beinhaltend) handelte oder ob auch Dermatitis digitalis (DD) auftrat. Weiter wurden die zeitliche Verteilung der Krankheitsfälle über die Alpzeit und der Einfluss von Alp und Jahr für die Projektjahre 2020 bis 2022 untersucht und interpretiert und die Behandlungsinzidenzen zwischen den Jahren verglichen. Mehrfache Behandlungszyklen beim selben Rind wurden in persistierende Infektionen und Neuinfektionen eingeteilt. Neunzehn von 394 erstbehandelten Rindern wurden klinisch untersucht, 12 der untersuchten Rinder wurden zusätzlich für bakteriologische und histologische Untersuchungen beprobt. Sowohl klinisch als auch in den Laboruntersuchungen zeigten alle Fälle typische Eigenschaften für ZP. Hingegen ergaben sich keine spezifischen Hinweise auf das Vorkommen von DD. Mittels multivariater logistischer Regressionsanalyse konnten > 365-730 Tage alte Rinder (Odds Ratio OR 8.29), sowie besamte (OR 5.30) und nicht besamte (OR 7.85) Rinder als Risikogruppen für die untersuchte Erkrankung identifiziert werden (p < 0.05). Ein Zusammenhang mit der Brunstaktivität unbesamter Rinder und einer generell höheren Bewegungsaktivität bei Rindern im Vergleich zu Kühen - mit entsprechend erhöhtem Verletzungsrisiko - ist denkbar. Bei Fleischrassen war im Vergleich zu Milchrassen das Risiko vermindert (OR 0.29). Rasseunterschiede im Verhalten und/oder der Effektivität der lokalen Immunantwort könnten einen Einfluss haben. Projekt 2 Im Jahr 2020 wurden zum Zeitpunkt der Alpauffahrt von 1554 Rindern auf 11 Alpen des Unterengadins bei den ankommenden Rindern mit ausserkantonaler Herkunft (n = 254) und den einheimischen Rindern (n = 1300; Postleitzahl 75XX) Veränderungen im Zehenbereich klinisch beurteilt und dokumentiert. Hautveränderungen im Zehenbereich, welche als DD diagnostiziert werden konnten, wurden gemäss DD-Scoring weiter eingeteilt. Unspezifische Hautläsionen mit erkennbarer Bildung von Granulationsgewebe wurden als chronisch perforierende Hautläsionen (CPHL) bezeichnet. Anlässlich der Alpauffahrten wurde das Prozedere wiederholt und von zufällig ausgewählten Rindern mit CPHL eine Biopsie entnommen. Mittels Fragebögen wurden die 244 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Charakteristika der Topographie, die Bodenbeschaffenheit und die Besatzdichte jeder Alp erfasst. Anlässlich der Alpauffahrten wurden bei 34 von 1551 der gealpten Rinder DD-Läsionen, jedoch kein CPHL-Fall festgestellt. Bei Alpabfahrt wiesen 19 von 1529 Rindern DD-Läsionen und 88 Rinder eine CPHL auf. Die CPHL-Befunde waren vereinbar mit chronischen Hautveränderungen nach perforierenden Hautverletzungen. Sie wiesen histologisch mehrheitlich eine chronisch-hyperplastische Dermatitis mit Granulationsgewebebildung auf. In allen mittels PCR untersuchten Biopsien von CPHL wurden Fusobacterium necrophorum und Porphyromonas levii, jedoch weder Dichelobacter nodosus noch die getesteten Treponema-Arten nachgewiesen. In allen Biopsien war die Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung negativ für Treponemen. In der Regressionsanalyse wiesen Rinder der Altersgruppe (von 366 bis 730 Tage) im Vergleich zur Altersgruppe (von 161 bis 365 Tage) ein erhöhtes Risiko für das Vorhandensein einer CPHL auf. Rinder der Rasse Holstein hatten im Vergleich zu Rindern der Rasse Braunvieh ebenfalls ein erhöhtes Risiko für das Vorkommen einer CPHL und Rinder mit ausserkantonaler Herkunft zeigten ein massiv höheres Risiko im Vergleich zu einheimischen Rindern. Es wurden keine signifikanten Unterschiede der Topographie bzw. der Tierbesatzdichten zwischen Alpen ohne und mit Fällen von CPHL festgestellt. Die in der vorliegenden Studie festgestellten statistisch signifikanten Assoziationen stimmen mit denen aus Studie 1 überein. Das Wissen um diese Risikofaktoren kann künftig bei der Selektion der Alptiere berücksichtigt werden, um die Prävalenz von CPHL zu reduzieren, die Verabreichung von Antibiotika abzusenken und das Tierwohl zu verbessern. Es gab in beiden Studien keine Anzeichen einer klinisch relevanten Ausbreitung von DD während der Alpsaison. Literatur 1. 2. Schaub M, Alsaaod M, Syring C, Becker J, Plüss J, Blatter S, Rachidi F, Starke A, Steiner A. Risikofaktoren für infektiöse Zehenerkrankungen auf zwei Schweizer Rinderalpen Schweiz Arch Tierheilk. 2023;165 (6):385-399. Clavadetscher G, Biner B, Schaub M, Studer E, Dürr S, Blatter S, Schmelz P, Steinborn R, Brandt S, Seuberlich T, Steiner A, Alsaaod M. Risikofaktoren für chronisch perforierende Hautläsionen im Zehenbereich beim Rind auf Schweizer Alpen. Schweiz Arch Tierheilk 2023; zur Publikation eingereicht. Kontakt Dr. Claudia Syring; Wiederkäuerklinik, Vetsuisse-Fakultät, Universität Bern, Bern (CH) claudia.syring@unibe.ch 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 245

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Vergleich der Anstrengungen zur züchterischen Verbesserung der Klauengesundheit in wichtigen Ländern der Zucht von Holstein-Rindern Hermann H. Swalve Institut für Agrar- und Ernährungswissenschaften, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Abstract Mittlerweile gibt es in einer Reihe von Ländern der Holsteinzucht Systeme der Zuchtwertschätzung, welche neben den üblichen produktionsorientierten Daten auch Daten zu Erkrankungen im Sinne einer züchterischen Verbesserung der Gesundheit berücksichtigen. Im August/September des Jahres 2023 wurde vom Autor ein Fragebogen erstellt und an die Zuchtwertschätzstellen der Länder Australien, Deutschland, Dänemark/Finnland/Schweden (gemeinsame Zuchtwertschätzung), Frankreich, Großbritannien, Italien, Kanada, Neuseeland, Niederlande, Spanien und den USA versandt. Die Ergebnisse zeigen, dass drei Gruppen von Ländern identifiziert werden können: Länder, mit bereits mehrjährigen großen Datenbanken und Zuchtwertschätzsystemen, Länder, die sich in der Projektphase befinden und Länder, welche keinerlei Systeme implementiert haben. Einleitung Das Holstein-Rind ist die international und auch in Deutschland wichtigste Milchrinderrasse. Nachdem es über viele Jahrzehnte vornehmlich auf eine Erhöhung der Milchleistung und auf Verbesserungen des Exterieurs gezüchtet wurde, setze ab der Jahrtausendwende ein Umdenken ein, so dass auch funktionale Merkmale und insbesondere die Langlebigkeit (Nutzungsdauer) in die Zuchtziele aufgenommen wurden. Mit Beginn der 2020er Jahre (und in skandinavischen Ländern auch schon früher) sind weltweit in einer Reihe von Ländern auch Merkmale der Gesundheit bzw. der Resistenz gegen Krankheiten hinzugekommen. Dies setzte voraus, dass zunächst umfangreiche Erfassungssysteme für Krankheiten der Milchkuh etabliert wurden, welche die Grundlage von Systemen der Zuchtwertschätzung bilden (1). In diesem Kontext wird von der Grundannahme ausgegangen, dass nahezu für jede Erkrankung auch eine erbliche Beteiligung nachgewiesen werden kann (2- 4), welche zwar üblicherweise prozentual einen geringen Umfang hat (Erblichkeitsgrade um 5 bis 10 %), dies aber dennoch züchterisch nutzbar ist, da die gesamte nutzbare Variation relativ groß ist und sich durch eine kontinuierliche Zucht die je Jahr zunächst geringen Zuchterfolge akkumulieren. Konventionelle und genomische Zuchtwertschätzung Zuchtwerte sind genetisch-statistische Schätzgrößen für den Anteil des Genotyps eines Individuums, welcher an die Nachkommen weitergegeben werden kann. Zunächst sind Zuchtwerte dabei merkmalsbezogen, d.h. sie geben den geschätzten Anteil in Einheiten des Merkmals an, der (in einer Leistungsprüfung) ermittelt/gemessen wurde. Die genetisch-statistische Verarbeitung hat dabei zwei wichtige Komponenten: Einerseits die Gewichtung der ursprünglich auf der phänotypischen Ebene gemessenen Merkmalswerte für die Heritabilität (Erblichkeitsgrad), die Anzahl der verarbeiteten Informationen, sowie – bei Messungen an verwandten Tieren –den Verwandtschaftsgrad zum Individuum, für das ein Zuchtwert geschätzt werden soll. Andererseits werden die Phänotypwerte statistisch um Störgrößen aus der Umwelt korrigiert. Neben dem Ansatz, Zuchtwerte direkt anhand der Phänotypwerte zu schätzen, ist weltweit seit 2009 ein weiterer Ansatz hinzugekommen, die so genannte genomische Zuchtwertschätzung. Hierbei wird das Genom von Tieren stichprobenweise bestimmt, beispielsweise werden 50.000 Punkte der DNA (einzelne Nukleotide, welche durch die vier in der DNA vorkommenden Basen eindeutig determiniert sind) von ca. 5 bis 10 Mill. überhaupt beim Rind je Rasse in mehreren Zuständen vorkommende Nukleotiden auf der DNA bestimmt, diese dann statistisch in Beziehung zu vorhandenen Phänotypwerten gesetzt und anschließend daraus eine Formel entwickelt, welche es erlaubt, aufgrund der in einer initialen Stichprobe erworbenen Kenntnisse auch sofort Zuchtwerte für Tiere zu schätzen, die überhaupt (noch) keine Phänotypwerte aufweisen, da sie gerade erst geboren wurden. 246 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Selektionsschritte können auf diese Weise sehr früh stattfinden. Neben diesem zweistufigen Verfahren (Schätzung der Effekte der chromosomalen Regionen und Formelentwicklung, danach Anwendung bei jungen Selektionskandidaten ohne Phänotypwert) ist in den vergangenen Jahren auch eine weitere Form der genomischen Zuchtwertschätzung hinzugekommen, das so genannte Single-Step-Verfahren (5). Zentral hierbei ist die Aufstellung einer genomisch, d.h. auf den gefundenen Polymorphismen beruhenden Verwandtschaftsmatrix in einer BLUP-basierten Zuchtwertschätzung, wobei genotypisierte und phänotypisierte Tiere, lediglich genotypisierte Tiere und auch lediglich phänotypisierte Tiere in einem Schätzssystem verarbeitet werden können. Alle Individuen werden statistisch korrekt eingeschätzt und es müssen gegenüber dem Zwei- Schritt-Verfahren keine Annahmen mehr getroffen werden, die beispielsweise bestimmen, ab wann ein Tier zur initialen Stichprobe beitragen kann. Fragebogen zur Zuchtwertschätzung für Klauenerkrankungen Im August/September des Jahres 2023 wurde vom Autor ein Fragebogen erstellt und an die Zuchtwertschätzstellen der Länder Australien, Deutschland, Dänemark/Finnland/Schweden (gemeinsame Zuchtwertschätzung), Frankreich, Großbritannien, Italien, Kanada, Neuseeland, Niederlande, Spanien und den USA versandt. Explizit wurde die Umfrage auf die Rasse Holstein beschränkt. Der Fragebogen umfasste zunächst die Fragen, ob es im jeweiligen Land eine traditionelle und/oder genomische Zuchtwertschätzung zur Resistenz gegenüber Klauenerkrankungen gibt und sodann, welche Einzelmerkmale berücksichtigt werden und welche Sicherheiten der Zuchtwertschätzung dabei erzielt werden können. Weitere Fragen betrafen die auf Basis der eingehenden / vorhandenen Daten geschätzten genetischen Parameter (Heritabilitäten, genetische Korrelationen) und welche Maßnahmen ergriffen werden, um eine möglichst hohe Datenqualität sicherzustellen. Abschließende Fragen betrafen, welche Ergebnisse für die Landwirte regelmäßig publiziert werden, wie viele Daten bisher gesammelt wurden und ob die Klauengesundheit Bestandteil des publizierten Gesamtzuchtwertes ist. Von allen Zuchtwertschätzstellen trafen Rückantworten ein. Ergebnisse und Diskussion Die Ergebnisse zeigen, dass drei Gruppen von Ländern identifiziert werden können: Länder, mit bereits mehrjährigen großen Datenbanken und Zuchtwertschätzsystemen, Länder, die sich in der Projektphase befinden, und Länder, welche keinerlei Systeme implementiert haben. Zu den Ländern in der ersten Gruppe gehören Dänemark/Finnland/Schweden (aufgrund der gemeinsamen Zuchtwertschätzung und Datenbank als ein Land gewertet) mit > 3 Mill. Ereigniseintragungen von > 1,7 Mill. Kühen; die Niederlande mit ca. 2,7 Mill. Ereigniseintragungen je einzelner Krankheit, Kanada mit ca. 700.000 Ereigniseintragungen von ca. 240.000 Kühen, Spanien mit 1,5 Mill. Ereigniseintragungen von ca. 500.000 Kühen und Deutschland mit 2,3 Mill. Ereigniseintragungen von ca. 555.000 Kühen. Die Unterschiede zwischen den Ländern sind vornehmlich auf zwei Einflussgrößen zurückzuführen: (i) Größe der national vorhandenen Population und (ii) bisherige Laufzeit der Datensammlung. Die französische Zuchtwertschätzstelle befindet sich gerade in der Transition von der Projektphase zur Publikation der Ergebnisse (November 2023; bislang 522.00 Ereigniseintragungen von 290.000 Kühen), wobei aber noch kein Gewicht für die Klauengesundheit im Gesamtzuchtwert festgelegt worden ist. Die Zuchtwertschätzverfahren in Dänemark/Finnland/Schweden, Kanada und Frankreich wenden bereits das Single-Step-Verfahren an. In Italien und dem Vereinigten Königreich werden auch derzeit bereits routinemäßig Daten gesammelt, eine Zuchtwertschätzung für eine Reihe von Einzelmerkmalen findet aber noch nicht statt. In den USA befindet man sich in der reinen Projektphase, für die Zukunft ist die Einführung eines Routinesystems der Zuchtwertschätzung für die Resistenz gegenüber Klauenerkrankungen jedoch geplant. Die beiden angefragten Länder der Südhalbkugel, Australien und Neuseeland, für die aufgrund der überwiegenden Weidewirtschaft Klauenerkrankungen nicht den Stellenwert besitzen, den sie in Ländern mit überwiegender/teilweiser Stallhaltung keine Zuchtwertschätzsysteme für Klauenerkrankungen implementiert und dies derzeit auch nicht geplant sind, obschon beispielsweise Berichte zur Ausbreitung der Dermatitis Digitalis in Neuseeland bereits jetzt vorliegen (6). die Gruppe, bislang haben, bilden in denen 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 247

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ In der überwiegenden Zahl der Länder, welche bereits Systeme der Zuchtwertschätzung implementiert haben werden folgende Erkrankungen berücksichtigt: • Klauenrehe/Sohlenblutung • Dermatitis Digitalis • Dermatitis Interdigitalis • Sohlengeschwür • Interdigitale Hyperplasie • Defekt der weißen Linie Daneben werden auch andere Krankheiten in den Ländern, in denen sie für wichtig erachtet werden, berücksichtigt. Hierzu gehören insbesondere Interdigitales Phlegmon, Rollklaue und Ballenhornfäule. Die Höhe der geschätzten Erblichkeit (Heritabilität) ist grundsätzlich biologisch bedingt. Innerhalb von relativ engen Grenzen spiegelt sie aber auch die Erfassungsgenauigkeit wider. Die Ergebnisse aus den einzelnen Ländern zeigen demgemäß deutlich Unterschiede nach Krankheit und auch innerhalb Krankheit. Beispielsweise werden in den Niederlanden und Deutschland mit ca. 12 % die höchsten Heritabilitäten für Dermatitis Digitalis verzeichnet, da in beiden Ländern erhebliche Anstrengungen hinsichtlich der Erfassungssysteme gemacht wurden. Für die Interdigitale Hyperplasie wird deutlich, dass die geschätzten Erblichkeitsgrade mit der Laktationsnummer ansteigen, welches nach eigenen Ergebnissen (unpubl.) darauf zurückzuführen ist, dass mindestens die Hälfte aller Fälle erst ab der 2. Laktation beobachtet werden kann. Der Versuch der Vergleichbarmachung der Ergebnisse aus den einzelnen Ländern zeigt auch die Schwierigkeiten eines derartigen Unterfangens. Generell bestehen Unsicherheiten hinsichtlich folgender Fragen: • Welche Manifestation einer Erkrankung ist als klare Manifestation zu werten? • Wie ist eine Ereigniseintragung definiert? Jede Behandlung, auch Folgebehandlungen nach nur • kurzem Intervall gemessen von der Erstdiagnose? Bezugsbasis Jahr, Laktation, Leben? Ist die Dokumentation gesunder Kühe als Voraussetzung zur Bildung von Zeitgefährtengruppen aus gesunden und erkrankten Tieren eine Voraussetzung für eine Zuchtwertschätzung? • Welchen Wert hat die Dokumentation einer ‘Lahmheit‘ ohne spezifische Diagnose? Trotz dieser teilweise nicht restlos zu klärenden offenen Fragen kann in allen Ländern gezeigt werden, dass sich in der Prävalenz von Erkrankungen Unterschiede zwischen Tieren aufgrund ihrer genetischen Veranlagung absichern lassen. Dieser Umstand fordert somit immer weitergehende Anstrengungen zur Verbesserung der Zuchtwertschätzsysteme. Schlussfolgerungen Durch die vorliegende Studie konnte gezeigt werden, dass es eine Reihe von Ländern gibt, die große Anstrengungen auf dem Gebiet der Sammlung von Daten zur Nutzung in nationalen Systemen der Zuchtwertschätzung für eine Resistenz gegenüber Klauenerkrankungen gemacht haben. Damit ist die Basis für eine züchterische Verbesserung dieser Eigenschaften gelegt. In den meisten nationalen Systemen der Zuchtwertschätzung sind Erkrankungen der bovinen Klaue nur ein Teil der relevanten Erkrankungen und die Erkrankungen der Klauen können somit exemplarisch gesehen werden. Die züchterischen Anstrengungen werden bereits jetzt und in der Zukunft zu einer maßgeblichen Verbesserung der Gesundheit von Milchrindern führen. Literatur 1. Swalve, HH. Aktueller Stand der züchterischen Verbesserung von Gesundheit und Funktionalität beim Nutztier. Züchtungskunde 2012; 84 (1): 32-38. 248 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ 2. 3. 4. 5. 6. Swalve, HH, Alkhoder H, Pijl R. Estimates of breeding values for sires based on diagnoses recorded at hoof trimming: Relationships with EBV for conformation traits. Interbull Bull. 2008. Annual Mtg, Niagara Falls, NY, USA. Martin G, Wensch-Dorendorf M, Schafberg R, Swalve HH. A comparison of udder health trait definitions in German Holstein dairy cattle based on mastitis treatment data. 2013. Livest. Sc. 151: 219-227. Schoepke K, Weidling S, Pijl R, Swalve HH. Relationships between bovine hoof disorders, body condition traits, and test-day yields. 2013. J. Dairy Sci. 96: 679–689. König S. Single-step-Zuchtwertschätzung: Allgemeine Anmerkungen, Hintergrundinformation und Notwendig- keit. 2023. Züchtungskunde 95(2): 78-84. Yang DA, Laven RA, Müller KR, Gates MC. Modelling the transmission dynamics of bovine digital dermatitis in New Zealand pastoral dairy production systems. 2020. Vet. Res. 51:16. Kontakt Prof. Dr. H. H. Swalve; Institut für Agrar- und Ernährungswissenschaften, Martin-Luther-Universität Halle- Wittenberg, Halle/Saale hermann.swalve@landw.uni-halle.de 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 249

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Digitale Systeme zur Lahmheitserkennung Nicholas Jonsson, Konstantina Linardopoulou University of Glasgow, Glasgow, Schottland, Großbritannien Einleitung Für die automatisierte oder digitalisierte Erkennung von Lahmheit wurden mehrere konkurrierende Technologien entwickelt, und da sich die Technologien recht schnell weiterentwickeln und neue Produktveröffentlichungen recht häufig sind, wird das Thema ausführlich behandelt. Obwohl auf Druckmessplatten basierende Systeme bereits vor mehr als zwanzig Jahren beschrieben wurden (15), haben sie sich noch nicht kommerziell entwickelt wie andere Technologien. Der erste Bericht über die Wirksamkeit von am Bein montierten Accelerometern stammen aus dem Jahr 2009 (z.B. 5, 11, 16), kurz bevor Berichte über nützliche „Machine Vision“- oder „Computer Vision“-Systeme auftauchten (14, 21). Diese ursprünglichen Forschungsberichte bereiteten den Weg für die derzeit kommerziell erhältlichen Systeme: auf Beschleunigungsmessern basierende Geräte wie das IDS Nurture-System (13) und Bildverarbeitungssysteme wie CattleEye (4, 7). Seit 2018 arbeiten wir an einem Mikro-Doppler-Radarsystem für Rinder und Schafe, mit ermutigenden ersten Ergebnissen (6, 18). Es besteht kein Zweifel daran, dass diese Technologien funktionieren können – angesichts der Tatsache, dass Kühe von Menschen hinsichtlich ihrer Mobilität bewertet wurden, können sie einigermaßen gute Annäherungen an die Klassifizierung von Menschen liefern. Ziel dieser Präsentation ist es, einen sehr kurzen Überblick über die verfügbaren Technologien zu geben und einige der Herausforderungen zu berücksichtigen, die allen Technologien gemeinsam sind: die Auswahl eines geeigneten Mobilitätsklassifizierungssystems und der entsprechenden Kennzeichnung. Warum digitale Systeme zur Lahmheitserkennung? Es gibt zwei Hauptgründe für die Notwendigkeit einer automatisierten Mobilitätsklassifizierung oder Lahmheitserkennung: 1) um die Früherkennung und Behandlung von Fällen zu ermöglichen und 2) um die Qualitätssicherung für Milchbauern zu ermöglichen. Frühzeitige Erkennung und Behandlung: Die meisten frühen Arbeiten zur automatisierten Lahmheitserkennung beruhten auf der Behauptung, dass die Automatisierung die Früherkennung von Lahmheitsfällen und damit eine frühzeitige Behandlung ermöglichen würde, was angeblich zu besseren Behandlungsergebnissen, einem besseren Wohlbefinden und mehr führen würde profitieren. Allerdings wird die regelmäßige Mobilitätsbewertung von den Landwirten im Allgemeinen nur unzureichend angenommen, da sie darin tendenziell keine Vorteile sehen (9). Landwirte benötigen keine Hilfe bei der Identifizierung stark lahmer Tiere, und nicht alle Landwirte möchten, dass leicht abnormale Tiere identifiziert werden, es sei denn, sie verfügen über die Infrastruktur und die Systeme, die den Umgang mit ihnen erleichtern. Griffiths et al. (10) stellten fest, dass 21/53 Landwirte in ihrer Studie nie eine Mobilitätsbewertung durchführten und nur 11/53 dies mehr als viermal pro Jahr taten. Viele Landwirte würden nicht einmal an ihrer Studie teilnehmen. Theoretisch könnten automatisierte Erkennungssysteme Fälle (und mögliche Fälle) identifizieren, Warnungen ausgeben und diese Tiere möglicherweise zur Untersuchung und Behandlung einweisen, allerdings würde die Schwelle für falsch positive Ergebnisse wahrscheinlich von Betrieb zu Betrieb unterschiedlich sein. Qualitätssicherung: Im Gegensatz zu Landwirten stehen Lebensmitteleinzelhändler automatisierten Systemen sehr positiv gegenüber und sehen eine Rolle für sie darin, überprüfbare Daten bereitzustellen, um ein geringes Maß an Lahmheit bei ihren Lieferanten nachzuweisen. Dies ist ein sehr starker Trend in der Viehwirtschaft. Im Business Benchmark on Farm Animal Welfare (2) heißt es: „In addition to having clear policy commitments and management practices, companies are expected to maintain strict measurement criteria for animals in their supply chain … For dairy cows: lameness, mastitis, body condition, involuntary culling rate.“ Tesco stellte in seinem jüngsten Jahresbericht (19) fest, dass „Recent outputs include … trialling an automated means of lameness detection in dairy cows.“ Von ihren Lieferanten wird erwartet, dass sie die Lahmheit 250 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ überwachen und ein Ziel für die Herdenprävalenz von 20 % der Herde haben. Im Zeitraum 2020-21 erreichten 80 % aller Produzenten dieses Niveau. Grundlegende Prozesse Obwohl die Technologien unterschiedlich sind, sind die Arbeitsabläufe für die Entwicklung eines trainierten Systems für künstliche Intelligenz (KI) oder maschinelles Lernen (ML) für den Einsatz vor Ort ähnlich. Mithilfe der speziellen Technologie werden Sensordaten von Tieren gewonnen, die entsprechend ihrem Zustand klassifiziert (gekennzeichnet oder etikettiert in „Labeln“) werden. Eine Teilmenge der Daten wird zum Trainieren des Algorithmus verwendet. Die rohen Sensorsignale werden verarbeitet, um numerische „Merkmale“ oder „Features“ zu generieren, die dann mithilfe eines von vielen Algorithmustypen analysiert werden. Die „trainierten“ Algorithmen werden dann an einem zuvor nicht sichtbaren Datensatz getestet (der Teilmenge, die nicht für das Training verwendet wird), und ihre Fähigkeit, die zuvor nicht sichtbaren Daten zu klassifizieren, wird bewertet, wobei der Algorithmus mit der besten Leistung und den nützlichsten Funktionen weiter zur Bewertung herangezogen wird Dabei werden zusätzliche Daten erfasst, die zur weiteren Verfeinerung des Algorithmus beitragen können. Wirksamkeit zur Erkennung lahmender Rinder Alle bisher beschriebenen Technologien scheinen in der Lage zu sein, zumindest unter ursprünglichen Versuchsbedingungen, eine gute Übereinstimmung mit menschlichen Prüfern zu erzielen. Eine frühe Studie mit Computer Vision basierend auf der Rückenkrümmung ergab eine Genauigkeit von 95 % mit Spezifitäten von 98 % bzw. 100 % (14). In einer kommerziellen Umgebung hat sich gezeigt, dass das CattleEye-System eine hohe Übereinstimmung mit menschlichen Prüfern von 83–89 % liefert (3). Die Sensitivität des Systems zur Erkennung schmerzhafter Fußläsionen war mit knapp über 50 % nicht hoch, es wurden jedoch Spezifitäten von mehr als 80 % gemeldet, und es wurde der Schluss gezogen, dass das System den menschlichen Prüfgeräten zur Lahmheitserkennung ähnelt. Kürzlich hat sich gezeigt, dass das IceQube-System (verwandt mit dem IDS- Nurture-System) sehr effektiv zur Verhaltensklassifizierung ist (8), und in experimentellen Studien mit Beschleunigungsmessern wurden Sensitivitäten und Spezifitäten von bis zu 91 % angegeben (12), was uns jedoch nicht gelang um aktuelle Berichte über seine Leistung in einem kommerziellen Umfeld zu finden. Das von uns entwickelte Mikro-Doppler-Radarsystem hat in früheren veröffentlichten Studien eine Sensitivität von 70–85 % und eine Spezifität von 70–81 % gezeigt (6, 18). Herausforderungen bei der Umsetzung Die Technologie (Radar/Computer Vision/Beschleunigungsmesser) kann bereits in Forschungskontexten eingesetzt werden, aber die Entwicklung eines Systems, das für Landwirte funktioniert, bleibt eine Herausforderung. Die Etikettierung von Daten (d.h. die Bereitstellung einer Bewertung, die mit den Signalen des Sensors analysiert werden soll) ist schwierig und sollte unter Berücksichtigung der Endverwendung erfolgen. Es gibt viele Klassifizierungssysteme, die gut überprüft wurden (1). Allerdings herrscht in der Entwicklungsphase häufig Unklarheit über den Endzweck, was möglicherweise zu Problemen bei der Datenkennzeichnung führt. Herausforderung 1 – Zweck – unterschiedliche Anforderungen an die Diagnose für eine frühzeitige Behandlung im Vergleich zu Quantifizierung und Aufzeichnung für ein Audit: Die wirksamsten Kriterien für die Auswahl einer Kuh für einen „Behandlungsalarm“ unterscheiden sich von den Kriterien, die für die Überwachung der Häufigkeit von Lahmheiten auf Herdenebene am besten geeignet wären. Abhängig von der Infrastruktur und dem Managementsystem kann der Zeitaufwand für die Untersuchung und Beschneidung oder Behandlung eines Verdachtsfalls recht beträchtlich sein, sodass ein System, das viele falsch positive Ergebnisse generiert (hohe Sensitivität und niedrige Spezifität aufweist), dem Landwirt erhebliche zusätzliche Kosten verursachen könnte. Forscher haben zuvor vorgeschlagen, dass eine Sensitivität von 90 % und eine Spezifität von 99 % für sensorbasierte Systeme angemessen wären, um falsch positive Ergebnisse zu minimieren (12). 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 251

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Abbildung 1. Wichtige Schritte bei der Entwicklung eines KI-basierten Systems zur automatisierten Erkennung abnormaler Motilität A) von der Beobachtung der Kuh bis zur Generierung markierter Daten, B) von der Erfassung eines Sensorsignals mit markierten Daten bis zur Generierung einer Vorhersage für Einstufung. Herausforderung 2 – Etikettierungen für den beabsichtigten Endverbrauch: Die Bereitstellung von Etiketten (Grundwahrheitswerten) für Mobilität ist eine Herausforderung, und die sehr wichtige Rolle der Etikettierung sowie die Faktoren, die den Erfolg der Etikettierung beeinflussen, sind in Abb. 1 dargestellt. Die für die Kennzeichnung verwendeten Kategoriedefinitionen Etiketten sollten vom beabsichtigten Endzweck abhängen. Wenn das Ziel des Systems darin besteht, die Anzahl der Rinder in jeder der vier Kategorien zu quantifizieren, wie es von einer nationalen Tierschutzbehörde verwendet wird, müssen die Etiketten mit den Kategorien übereinstimmen. Wenn das Ziel des Systems darin besteht, Tiere zu identifizieren, für die Behandlungswarnungen ausgegeben werden sollten, dann sollten sich die Etiketten auf die 252 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Schwellenwertkriterien beziehen, die der Landwirt anwenden möchte – diese könnten beispielsweise von Landwirt zu Landwirt unterschiedlich sein, von „Kuh, die sehr abnormal ist und einen dringenden Bedarf für Behandlung oder Keulung“, bis „Kuh definitiv abnormal und muss untersucht werden“, bis „Kuh möglicherweise abnormal und könnte Probleme haben“, abhängig von der Toleranz jedes Landwirts gegenüber Lahmheit in seiner Herde. Diese Kriterien beziehen sich nicht unbedingt auf die Kategorien, die für die Prüfungszwecke verwendet werden; Das AHDB-System des Vereinigten Königreichs beschreibt die Kategorien in sehr unterschiedlichen Begriffen, und es würde keine Eins-zu-eins-Entsprechung der Ebenen geben. Es erscheint intuitiv, dass Beschriftungsebenen reduziert werden könnten, um unterschiedliche Schwellenwerte zu berücksichtigen, aber das ist nicht immer der Fall. Der Gutachter entscheidet, welcher Kategorie er ein Tier zuordnet, auf der Grundlage der Bewertung aller Kriterien für alle Kategorien, aus denen er wählen kann. Das bedeutet, dass eine nachträgliche Zusammenlegung von Kategorien nicht unbedingt für alle Gutachter oder alle Tiere zum gleichen Ergebnis führen würde. Dies deutet darauf hin, dass jede Sensorplattform über unterschiedliche Systeme (z. B. trainierte Algorithmen) für unterschiedliche Toleranzniveaus für Lahmheit und Fehlalarme („Alerts“) verfügen muss. Herausforderung 3 – Subjektivität von Etikettierungen: Im Gegensatz zu automatisierten Systemen wird die visuelle Beurteilung der Mobilität bei Rindern häufig als subjektiv beschrieben. Dies ignoriert die Tatsache, dass die beim überwachten Lernen verwendeten Etiketten von Menschen bereitgestellt werden müssen. Das Training eines Algorithmus, der auf Etiketten basiert, die von einem einzelnen menschlichen Prüfer vergeben werden, kodifiziert lediglich die Vorurteile des Prüfers (20). Es ist bekannt, dass die Unterschiede zwischen den Gutachtern bei der Zuordnung von Kühen zu Mobilitätsstufen oft gering sind und die prozentuale Übereinstimmung sehr unterschiedlich ist und zwischen 25 und 83 % liegt, im Allgemeinen in der Größenordnung von 60 % (17), und es ist nicht klar, wie am besten die Bewertungen der Gutachter zu kombinieren. Wir haben hierfür verschiedene Ansätze genutzt, darunter die Erstellung einer Konsensbewertung und die Aufforderung an jeden Gutachter, eine zweite Bewertung abzugeben, wenn er sich bei seinem ersten Anruf nicht sicher war. Der beste Ansatz steht noch nicht fest. Mögliche Lösungen – statistische Ansätze mit individuellen Baselines und unüberwachtes Lernen Es gibt alternative Ansätze für überwachtes maschinelles Lernen, einschließlich der Verwendung statistischer Ansätze zur Merkmalsextraktion auf eine Weise, die die Erstellung eines Grundlinienmusters für jedes einzelne Tier ermöglicht, mit dem Ziel zu erkennen, wann der Gang eines einzelnen Tieres von seiner normalen Grundlinie abweicht. Dadurch entfällt nur teilweise die Notwendigkeit, ein Tier (zumindest anfänglich) korrekt als normal oder lahm zu identifizieren, und es sind mehrere Beobachtungen pro Tier erforderlich, bevor es funktionieren kann. Wir versuchen diesen Ansatz jetzt. Durch unüberwachtes Lernen kann das KI-System eigene Mobilitätsklassen bilden und Tiere anhand von aus Sensordaten extrahierten Merkmalen zuordnen. Obwohl es möglich ist, ein unbeaufsichtigtes Lernmodell zu verwenden, um Daten von Sensoren von Tieren mit unterschiedlicher Mobilität zu bündeln, kann es schwierig sein, diese Klassen wieder mit dem eigentlichen Zweck des Systems in Verbindung zu bringen. Wir experimentieren auch mit diesem Ansatz. Abschluss Sensortechnologien zur Lahmheitserkennung vielversprechend sind und einige Systeme bereits kommerziell verfügbar sind. Damit diese Systeme von den Landwirten umfassend angenommen und wirtschaftlich rentabel werden, wird es wahrscheinlich notwendig sein, die beabsichtigten Zwecke der Systeme klar zu definieren und dann die Etiketten zu überarbeiten, um sie an die beabsichtigten Ergebnisse anzupassen und sicherzustellen, dass die am besten geeigneten Kombinationen von Sensitivität und Spezifität für den angegebenen Zweck verwendet werden. Literatur 1. Afonso JS, Bruce M, Keating P, Raboisson D, Clough H, Oikonomou G, Rushton J. Profiling detection and classification of lameness methods in British dairy cattle research: a systematic review and meta-analysis. Frontiers in Veterinary Science. 2020; 7: 542 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 253

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ 2. Amos N, Sullivan R, Romanowicz B, van de Weerd H. The Business Benchmark on Farm Animal Welfare Report 2021. https://www.bbfaw.com/media/2126/bbfaw-report-2021_final.pdf 3. Anagnostopoulos A, Griffiths BE, Siachos N, Neary J, Smith RF, Oikonomou G. Initial validation of an intelligent video surveillance system for automatic detection of dairy cattle lameness. Front Vet Sci 2023;10: 1111057 4. Anonymous. CattleEye approved for use on Arla 360 UK Dairies. Announcement. Posted: May 30, 2023 https://cattleeye.com/news/cattleeye-approved-for-use-on-arla-360-and-arla-garden-uk-dairies/ accessed 15/09/2023 5. Blackie, Nicola. 2009. Assessing the impact of lameness on gait and behaviour of dairy cattle: development of an automated lameness detection system. PhD thesis. University of Essex – abstract only available online 6. Busin V, Viora L, King G, Tomlinson M, Le Kernec J, Jonsson NN, Fioranelli F. Evaluation of lameness detection using radar sensing in ruminants. Veterinary Record. 2019;185:572-572 7. CattleEye. 2023. https://cattleeye.com/ accessed 02/10/2023 8. Charlton G, Gauld C, Veronesi F, Rutter SM, Bleach E. Assessing the accuracy of leg mounted sensors for recording dairy cow behavioural activity at pasture, in cubicle housing and a straw yard. Animals. 2022;12:638 9. Gladden N. Automated detection of lameness in cattle: an update. Livestock. 2023;28:160 10. Griffiths BE, Grove White D, Oikonomou G. A cross sectional study into the prevalence of dairy cattle lameness and associated herd-level risk factors in England and Wales. Front Vet Sci 2018;5:65 11. Martiskainen P, Jarvinen M, Skön JP, Tiirikainen J, Kolehmainen M, Mononen J. 2009. Cow behaviour pattern recognition using a three-dimensional accelerometer and support vector machines. Applied Animal Behaviour Science 2009;119:32-38 12. O’Leary NW, Byrne DT, O’Connor AH, Shalloo L. Cattle lameness detection with accelerometers. Journal of Dairy Science. 2020;103:3895–3911 13. Peacock Technologies. Intelligent Dairy Solutions. 2023. https://www.peacocktechnology.com/en/idsnurture accessed 02/10/2023 14. Poursaberi A, Bahr C, Pluk A, Van Nuffel A, Berckmans D. Real-time automatic lameness detection based on back posture extraction in dairy cattle: Shape analysis of cow with image processing techniques. Computers and Electronics in Agriculture. 2010;74:110-119 15. Rajkondawar PG, Tasch U, Lefcourt AM, Erez B, Dyer RM, Varner MA. A system for identifying lameness in dairy cattle. Applied Engineering in Agriculture. 2002;18:87–96 16. Robert B, White BJ, Renter DG, Larson RL. Evaluation of three-dimensional accelerometers to monitor and classify behavior patterns in cattle. Computers and Electronics in Agriculture. 2009;67:80-84 17. Schlageter-Tello A, Bokkers EAM, Groot Koerkamp PW, Van Hertem T, Viazzi S, Romanini CEB, Halachmi I, Bahr C, Berckmans D, Lokhorst K. Manual and automatic locomotion scoring systems in dairy cows: A review. Preventive Veterinary Medicine, 2014;116:12-25 18. Shrestha A, Loukas C, Le Kernec J, Fioranelli F, Busin V, Jonsson NN, King G, Tomlinson M, Viora L, Voute L. Animal lameness detection with radar sensing. IEEE Geoscience and Remote Sensing Letters, 2018;15: 1189-1193 19. Tesco. Tesco Animal Health and Welfare Report. 2021/22 Reporting Year https://www.tescoplc.com/media/agvl2hq4/animal-health-and-welfare-report-2021-22.pdf Accessed 15/09/2023 20. Van Giffen B, Herhausen D, Fahse T. Overcoming the pitfalls and perils of algorithms: A classification of machine learning biases and mitigation methods. Journal of Business Research. 2022; 144:93-106 21. Viazzi S, Bahr C, Van Hertem T, Schlageter-Tello A, Romanini CEB, Halachmi I, Lokhorst C, Berckmans D. Comparison of a three-dimensional and two-dimensional camera system for automated measurement of back posture in dairy cows. Computers and Electronics in Agriculture. 2014;100: 139-147 Kontakt Prof. Dr. Nicholas Jonsson; University of Glasgow nicholas.jonsson@glasgow.ac.uk 254 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Evaluierung des „In-parlour-Scoring“ (IPS) im Melkstand zur Feststellung von Lahmheiten bei Milchkühen - eine praktische und zeitsparende Methode Jasmin Laschinger1, Birgit Fürst-Waltl2, Sophie Linnenkohl1, Robert Pesenhofer3, Johann Kofler1 1Department für Nutztiere und öffentliches Gesundheitswesen in der Veterinärmedizin, Universitätsklinik für Wiederkäuer, Veterinärmedizinische Universität Wien, Österreich; 2Department für Nachhaltige Agrarsysteme, Institut für Nutztierwissenschaften, Universität für Bodenkultur Wien, Österreich; 3Klauenpflegepraxis Pesenhofer, Hitzendorf; Österreich Einleitung Eine frühzeitige Erkennung von Lahmheiten und eine professionelle Behandlung sind unerlässlich, um wirtschaftliche Verluste zu vermeiden und das Tierwohl zu gewährleisten. Derzeit ist die Beobachtung des Gangbildes von Kühen (z. B. mithilfe des Locomotion-Scorings nach Sprecher et al. 1997) die Standardmethode zur Erkennung lahmer Kühe. Allerdings ist die Praktikabilität des Locomotion-Scorings begrenzt, z.B. bei Rindern, die in Anbindeställen gehalten werden und aufgrund von Zeitmangel in jedem Haltungssystem. Daher besteht der Bedarf, eine verlässliche Alternative zur Lahmheitsbeurteilung in der Bewegung zu etablieren, die einerseits keine zusätzlichen Zeitressourcen des Landwirtes in Anspruch nimmt und andererseits nach kurzer Einschulung vom Landwirt selbst durchgeführt werden kann. Laut Werema et al. (2022) könnte das In-Parlour-Scoring (IPS), das bereits in weidebasierten Haltungssystemen in Neuseeland untersucht wurde, eine mögliche Alternative zum Locomotion-Scoring darstellen. Allerdings sind dazu weitere Untersuchungen auch unter mitteleuropäischen Bedingungen mit kleineren Herdengrößen, die häufig Parallel- oder Fischgräten-Melkstände verwenden, erforderlich. Ziel dieser Studie war es, die Eignung des In-Parlour-Scorings (IPS) während des Melkens in Parallel- oder Fischgrätenmelkständen zu untersuchen und diese Ergebnisse mit den Resultaten des anschließend durchgeführten Locomotion-Scorings in Betrieben mit Laufstallhaltung in Österreich zu vergleichen. Darüber hinaus sollte der Zusammenhang zwischen positiven IPS-Indikatoren und Klauenläsionen untersucht werden. Material und Methode Von Jänner bis Mai 2023 wurden in 11 österreichischen Milchviehbetrieben insgesamt 2 028 Beobachtungen an 507 Kühen in Parallel- oder Fischgräten-Melkständen von zwei Untersucherinnen unabhängig voneinander durchgeführt. Beobachtungskriterien waren Entlastungsstellung, Hin-und-Her- Trippeln, der Klauen-Position-Score, offensichtliche Erkrankungen und Schwellungen an Klauen und Zehen sowie a.m. Innerhalb von 24 Stunden nach der Bewertung im Melkstand wurde bei allen Tieren der Herde ein Locomotion-Scoring nach Sprecher et al. (1997), sowie innerhalb von 10 Tagen eine funktionelle Klauenpflege mit elektronischer Dokumentation der dabei festgestellten Klauenläsionen durchgeführt. Für jeden einzelnen IPS-Indikator wurden Sensitivität, Spezifität, positive und negative Vorhersagewerte zur Voraussage von Locomotion Scores ≥ 2 und/oder Klauenläsionen ermittelt. Die Inter- und Intraobserver- Reliability der IPS-Indikatoren und der Locomotion-Scores der beiden Untersucherinnen werden berechnet. Die Fähigkeit mittels der beim In-Parlour-Scoring erhobenen Parameter, den tatsächlichen Locomotion-Score bzw. das Vorliegen einer Lahmheit (Locomotion Scores ≥ 2) vorherzusagen, wurde mithilfe einer Decision-tree- machine-learning-Methode (DT) nach Werema et al. (2022) analysiert. Im Rahmen dieser Studie wurden DT- Modelle verwendet, um das Vorhandensein von Klauenläsionen und den Locomotion-Score basierend auf beobachteten IPS-Indikatoren vorherzusagen. Ergebnisse Die statistische Auswertung der Daten ist noch nicht abgeschlossen. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 255

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Literatur 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. Blackie N, Bleach ECL, Amory JR, Scaife JR. Associations between locomotion score and kinematic measures in dairy cows with varying hoof lesion types. J Dairy Sci 2013;96(6):3564-3572. Christen A-M, Egger-Danner C, Capion N, Charfeddine N, Cole J, Cramer G, De Jong G, Fiedler A, Fjeldaas T, Gengler N, Haskell M, Heringstad B, Holzhauer M, Koeck A. Kofler J, Müller K, Pryce J, Sogstad AM, Stock FK, Thomas G, Vasseur E: Lameness in dairy cattle. In: Section 7 - Bovine functional traits: Guidelines on lameness in dairy cattle (Extract #5); 2020: 1-30; Section 7 Guidelines (icar.org) (accessed: 30.08.2023). Cramer G, Winders T, Solano L, Kleinschmit DH. Evaluation of agreement among digital dermatitis scoring methods in the milking parlor, pen, and hoof trimming chute. J Dairy Sci. 2018;101:2406–2414. Flach P. Machine Learning the Art and Science of Algorithms that Make Sense of Data. Cambridge University Press. Cambridge. 2012. Green LE, Hedges VJ, Schukken YH, Blowey RW, Packington AJ. The impact of clinical lameness on the milk yield of dairy cows. J Dairy Sci 2002;85(9):2250-2256. Relun A, Guatteo R, Roussel P, Bareille N. A simple method to score digital dermatitis in dairy cows in the milking parlor. J Dairy Sci 2011; 94(11):5424-5434. Somers JR, Huxley J, Lorenz I, Doherty ML, O’Grady L. The effect of lameness before and during the breeding season on fertility in 10 pasture-based Irish dairy herds. Ir Vet J 2015;68(14). Sprecher DJ, Hostetler DE, Kaneene JB. A lameness scoring system that uses posture and gait to predict dairy cattle reproductive performance. Theriogenol 1997;47:1179-1187. Stokes J, Leach KA, Main DCJ, Whay HR. The reliability of detecting digital dermatitis in the milking parlour. Vet J 2012;193(3):679-684. Tadich N, Flor E, Green L. Associations between hoof lesions and locomotion score in 1098 unsound dairy cows. Vet J 2010;184(1):60-65. Werema CW, Yang DA, Laven LJ, Mueller KR, Laven RA. Evaluating alternatives to locomotion scoring for detecting lameness in pasture-based dairy cattle in New Zealand. Animals 2022;12(703). Whay HR, Shearer J. The impact of lameness on welfare of the dairy cow. Vet Clin Food Animal Pract 2017;(33):153- 164. Yang DA, Laven RA. Detecting bovine digital dermatitis in the milking parlour: To wash or not to wash - a Bayesian superpopulation approach. Vet J 2019;247:38-43. Kontakt Jasmin Laschinger; Universitätsklinik für Wiederkäuer, Veterinärmedizinische Universität Wien, Österreich Jasmin.Laschinger@vetmeduni.ac.at 256 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Klauengesundheitsmanagement – Arbeitsfeld einer spezialisierten Tierarztpraxis Christoph Meis Almetalpraxis, Büren Lahmheiten und schwere Klauendefekte sorgen leider immer noch dafür, dass Leistungspotentiale der Tiere nicht ausgeschöpft werden können, Tiere vorzeitig die Betriebe verlassen und der Tierschutz teils deutlich beeinträchtigt wird. Die Integrierte Tierärztliche Bestandsbetreuung leistet einen wesentlichen Beitrag zur Gesunderhaltung der Tiere und der Wirtschaftlichkeit der Tierproduktion, muss aber auch die Klauengesundheit in den Fokus nehmen. Bei einem return of investment von 1:5 ist eine Verbesserung der gesamten Gliedmaßengesundheit alternativlos. Fruchtbarkeitsservice, Rationskontrolle und Berechnung, Diagnostik, Prävention und Therapie von Erkrankungen sind ebenso wichtig wie eine lückenlose Überwachung der Klauengesundheit. Angefangen von der Diagnose der Klauenerkrankungen, deren Prävalenz und die Beurteilung der Entwicklung über die Therapie der einzelnen Erkrankungen bis hin zur Vernetzung der Klauengesundheitsdaten mit den Daten der Milchleistungsprüfung, Rationsbestandteilen und des Fruchtbarkeitsservice bietet die Überwachung der Gliedmaßengesundheit für die tierärztliche Betreuung ein sehr ergiebiges und nicht zu vernachlässigendes Tätigkeitsfeld für die Tierärzteschaft. Kontakt Dr. Christoph Meis; Almetalpraxis, Büren cmeis@rinderpraxis-almetal.de 258 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Klauengesundheitsprojekt in der Schweiz – Ein Update Jim Weber1, Magdalena Bayer1, Beat Fenner2, Andreas Fürmann1, Analena Sarbach1, Andrea Preiswerk1, Maria Welham Ruiters1, Claudia Syring1, Adrian Steiner1 1Wiederkäuerklinik, Vetsuisse-Fakultät, Universität Bern, Schweiz; 2Schweizer Klauenpflegervereinigung, St. Imier, Schweiz Abstract Das Schweizer Klauengesundheitsprojekt (SKGP) wurde am 01.01.2019 gestartet und dauert insgesamt 6 Jahre. Die Hauptziele des SKGP sind (a) die digitale Erhebung von Klauengesundheitsdaten beim Rindvieh in der Schweiz im Rahmen der Klauenpflege durch 100 gewerbsmäßig arbeitende Klauenpfleger; (b) die Erarbeitung von Klauengesundheitsprogrammen durch das wissenschaftliche Begleitteam; (c) die Erarbeitung von Zuchtwerten für Klauengesundheit durch die Arbeitsgemeinschaft Schweizer Rinderzüchter ASR; (d) die Verbesserung der Klauengesundheit beim Rindvieh in der Schweiz und (e) die Reduktion des Einsatzes von Antibiotika und Schwermetall-haltigen Klauenbadlösungen zur Bekämpfung von Klauengesundheitsproblemen. Im ersten Jahr wurde ein Weiterbildungskonzept für Klauenpfleger entwickelt. Dabei wurden nur Daten in die statistische Auswertung aufgenommen, die von Klauenpflegern stammen, welche die Weiterbildung erfolgreich abgeschlossen haben. Bis dato (September 2023) haben 60 Klauenpfleger das Weiterbildungsprogramm vollständig abgeschlossen. Insgesamt sind 1043 Betriebsleitende sind dem Projekt beigetreten. Die Klauengesundheitsdaten von 134‘739 Klauenpflegen an jeweils 4 Füßen sind in der zentralen Datenbank gespeichert, und es wurden 169 Besuche und Analysen von Betrieben mit Klauengesundheitsproblemen durchgeführt. Im Rahmen einer aktuellen Doktorarbeit wurden die Biosicherheitsmaßnahmen anlässlich der Klauenpflege analysiert und eine Broschüre mit Biosicherheitsempfehlungen für Klauenpfleger erarbeitet. In einer weiteren wissenschaftlichen Untersuchung wurden Risikofaktoren für das Vorkommen von Dermatitis digitalis (DD) in Milchviehbetrieben in der Schweiz untersucht. In Bearbeitung begriffen sind folgende drei Projekte: (i) Beschreibung der Prävalenz von Klauenveränderungen und Risikofaktoren von Alarmerkrankungen in der Schweiz; (ii) Einflussfaktoren für die Entwicklung der Betriebswerte der Klauengesundheit in Schweizer Milchviehbetrieben und (iii) Erarbeitung betriebsspezifischer Konzepte zur Bekämpfung von DD in Schweizer Milchviehbetrieben. Das Projekt Das Schweizer Klauengesundheitsprojekt (SKGP) wurde am 01.01.2019 gestartet und dauert insgesamt 6 Jahre (https://www.gesundeklauen.unibe.ch/). Die Finanzierung ist für die Gesamtprojektdauer gegeben und erfolgt zu ca. 75 % durch das Bundesamt für Landwirtschaft BLW und ca. 25 % durch Firmen und Stiftungen. In der Trägerschaft sind die Schweizer Klauenpflegervereinigung SKV, die Rinderzuchtverbände (Arbeitsgemeinschaft Schweizer Rinderzüchter ASR) und die Fachorganisation der Schweizer Wiederkäuertierärztinnen und –tierärzte SVW-ASSR vertreten. Für die operationelle Leitung und die wissenschaftliche Begleitung ist die Wiederkäuerklinik der Vetsuisse-Fakultät, Universität Bern, verantwortlich. Die Hauptziele des SKGP sind (a) die digitale Erhebung von Klauengesundheitsdaten beim Rindvieh in der Schweiz im Rahmen der funktionellen Klauenpflege durch 100 gewerbsmäßig arbeitende Klauenpfleger; (b) die Erarbeitung von Klauengesundheitsprogrammen durch das wissenschaftliche Begleitteam; (c) die Erarbeitung von Zuchtwerten für Klauengesundheit durch die ASR; (d) die Verbesserung der Klauengesundheit beim Rindvieh in der Schweiz im Rahmen der tierärztlichen Bestandsbetreuung und (e) die Reduktion des Einsatzes von von Klauengesundheitsproblemen. Schwermetall-haltigen Klauenbadlösungen Bekämpfung Antibiotika und zur Eckpfeiler des Projektes Die Schlüsselpersonen im Projekt sind die Klauenpfleger und die Tierhalter. Die Projektklauenpfleger nehmen die Klauengesundheitsdaten während der Klauenpflege mit Hilfe der Software „Klaue“ (dsp-Agrosoft GmbH, Ketzin/D) ICAR der Diagnoseschlüssel auf. Dabei wird obligat digital von 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 259

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ (https://www.icar.org/ICAR_Claw_Health_Atlas.pdf) angewendet. Dem Klauenpfleger werden das Tablet und die Software kostenfrei zur Verfügung gestellt. Ebenso erfolgt die Weiter- und Fortbildung der Klauenpfleger kostenfrei, und diese erhalten CHF 0.30 pro vollständig übermitteltem Datensatz jeder Kuh. Wenn der Tierhalter eine Einwilligung unterzeichnet, werden die Daten auf eine zentrale Datenbank der Zuchtverbände (Qualiats AG, Zug/CH) übertragen und stehen in anonymisierter Form für weitere Auswertungen durch das Projektteam und zur Zuchtwertschätzung zur Verfügung. Es ist die Aufgabe der Klauenpfleger, die Tierhaltenden davon zu überzeugen, beim Projekt mitzumachen. Die von den Tierhaltenden frei gegebenen Daten werden regelmäßig ausgewertet. Dabei wird ein Betriebswert „Klauengesundheit“ bestimmt. Diejenigen 10 % der Betriebe mit den schlechtesten Betriebswerten werden vom Projektteam kontaktiert, und es wird ihnen ein kostenfreier Betriebsbesuch mit einer Betriebsanalyse angeboten. Aufgrund der Resultate der Analyse werden dem Tierhalter einige wenige Maßnahmen vorgeschlagen, um die Klauengesundheit im Betrieb zu verbessern. Der Bestandstierarzt wird zum Betriebsbesuch eingeladen und übernimmt ab dem darauffolgenden Jahr die Aufgabe eines Betriebsbesuchs zur Verbesserung der Klauengesundheit (Finanzierung eines Betriebsbesuches pro Jahr durch das Projekt). Bei der nächsten Klauenpflege erhebt der Klauenpfleger erneut die Klauengesundheitsdaten und erfragt die Umsetzung der vorgeschlagenen Maßnahmen. Die Entwicklung der Klauengesundheitsdaten wird durch das Projektteam jährlich analysiert. Das Ganze wiederholt sich, bis sich der Betriebswert bezüglich Klauengesundheit über mindestens 2 Klauenpflegen entscheidend verbessert hat. Bis dato (September 2023) haben 60 Klauenpfleger das Weiterbildungsprogramm in deutscher oder französischer Sprache vollständig abgeschlossen. Insgesamt 1043 Betriebsleiter dem Projekt beigetreten und haben schriftlich zugesagt, dass die Klauengesundheitsdaten ihrer Kühe in anonymisierter Form für weitere Analysen genutzt werden dürfen. Die Klauengesundheitsdaten von 134‘739 Klauenpflegen an 4 Füßen sind in der zentralen Datenbank gespeichert, und es wurden 169 Besuche und Analysen von Betrieben mit Klauengesundheitsproblemen durchgeführt. Biosicherheitsmaßnahmen bei der Klauenpflege Biosicherheit umfasst alle Maßnahmen zur Verhinderung der Einschleppung von Krankheitserregern in einen Betrieb (externe Biosicherheit) und der Krankheitserregerverbreitung innerhalb eines Betriebs (interne Biosicherheit). Als Risikofaktor für die Ausbreitung von Infektionskrankheiten gilt überbetrieblich arbeitendes Fachpersonal, zu dem auf Schweizer Rindviehbetrieben professionelle Klauenpfleger gehören. Um einen Überblick über die Umsetzung von Biosicherheitsmaßnahmen durch Klauenpfleger zu geben, wurden 49 Klauenpfleger, die am SKGP teilnahmen, zu diesem Thema von zwei Tierärzt:innen befragt und während der Klauenpflege beobachtet. Die Datenbearbeitung erfolgte mit Hilfe eines Scoringsystems. Damit konnten die Stärken und Defizite der Klauenpfleger bezüglich Biosicherheit genau benannt werden. Insgesamt ist der Implementierungsgrad von Biosicherheitsmaßnahmen durch Klauenpfleger recht niedrig (53 % = Mittelwert des allgemeinen Gesamtbiosicherheitsscores der 49 Klauenpfleger). Klauenpfleger, die häufiger fachbezogene Fortbildungen besuchten, wiesen tendenziell einen höheren Umsetzungsgrad von Biosicherheitsmaßnahmen auf. Die Antworten der Klauenpfleger und die Beobachtungen der Tierärzte wurden zudem miteinander verglichen, wobei festgestellt wurde, dass sich die Klauenpfleger meist selbst besser bezüglich Biosicherheit einschätzten als die Tierärzte sie beurteilten. Aufgrund der Ergebnisse dieser Studie wurde ein Merkblatt erarbeitet, welche Biosicherheitsempfehlungen für Klauenpfleger aufzeigt (https://www.gesundeklauen.unibe.ch/fachinformationen/klauenpflege/biosicherheit/index_ger.html). Risikofaktoren für das Vorkommen von Dermatitis digitalis in Schweizer Milchviehbetrieben Das Ziel dieser Studie war es, Risikofaktoren für das Vorkommen von DD in Milchviehbetrieben, welche in für die Schweiz typischen Bergregionen beheimatet sind, zu untersuchen. Im Rahmen einer Fall-Kontroll-Studie wurden Herdencharakteristika von 50 Betrieben ohne DD mit denen von 50 Betrieben mit einer hohen DD- Intraherdenprävalenz von ≥ 26 % verglichen. Bei der Analyse der Daten und Darstellung der Resultate wurde zwischen Risikofaktoren für den Eintrag von DD in den Betrieb (Modell 1) und Risikofaktoren für die Ausbreitung von DD innerhalb des Betriebes (Modell 2) unterschieden. Die Integration von betriebsfremden Rindern in die 260 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Herde war mit einem erhöhten Risiko für die Einschleppung von DD in die Herden verbunden, während die Sömmerung auf Alpweiden als schützender Faktor identifiziert wurde. Das Risiko der Ausbreitung innerhalb der Herden war erhöht bei (i) Laufstallhaltung im Vergleich zur Anbindehaltung, bei (ii) ansteigendem Intervall zwischen erstmaliger Erkennung einer DD-Läsion und Behandlungsbeginn und (iii) bei ansteigender Menge an eingesetztem Kraftfutter. Die Kenntnis dieser Risikofaktoren erlaubt es, betriebsspezifische DD- Bekämpfungsprogramme in der Schweiz zu erarbeiten und zu implementieren. Literatur 1. 2. Bayer M, Strauss G, Syring C, Ruiters M, Becker J, Steiner A. Umsetzung von Biosicherheitsmassnahmen durch Klauenpfleger in der Schweiz. Schweiz. Arch. Tierheilkd. 2023; 165: 307-320. Weber J, Becker J, Syring C, Ruiters M, Locher I, Bayer M, Schüpbach-Regula G, Steiner A. Farm-level risk factors for digital dermatitis in dairy cows in mountainous regions. J. Dairy Sci. 2023; 106: 1341-1350. Kontakt Prof. Adrian Steiner; Wiederkäuerklinik, Vetsuisse-Fakultät, Universität Bern adrian.steiner@unibe.ch 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 261

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Die Änderung des Hufbeschlaggesetzes – Chancen für die Klauengesundheit Hans-Joachim Herrmann1, Alexander Starke2, Natascha Schwarz1, Jörg Willig3 1Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen; 2Universität Leipzig; 3Rindergesundheitsdienst LUFA Nord-West Laut der PraeRi-Studie (2016-2019) ist in der „Region Nord“ (Niedersachsen, Schleswig-Holstein) aktuell fast jede vierte Kuh lahm (22,8 %). In der „Region Ost“ (Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen- Anhalt, Thüringen) sind fast 40 % der Kühe lahm. Dieser Zustand ist nicht haltbar und sollte dringend geändert werden. Tiere mit Erkrankungen und Schäden an den Klauen sind in den meisten Betrieben immer wieder zu beobachten. Grund dafür kann unter anderem eine fachlich nicht korrekte oder fehlende Klauenbearbeitung sein. Gravierende Probleme treten dann auf, wenn mehrere Faktoren, die die Tiergesundheit betreffen (z.B. Haltungsbedingungen, Stoffwechselsituationen der Herde, Futtergrundlage, Hitzestress etc.), zeitgleich auftreten. Die gewerbliche Ausübung der Klauenpflege erfordert derzeit weder einen Lehrgang noch eine erfolgreiche bestandene Prüfung. Dabei entscheiden Unterschiede im Millimeterbereich über Wohl und Leid des Tieres. Die Praxis zeigt, dass durch den Mangel an Sachkunde und eine damit einhergehende fehlerhafte Klauenpflege sich schwerwiegende Folgen für das Tier einstellen. Die wenigsten Fälle landen derzeit vor Gericht. Auch wenn sich Landwirte, Landwirtinnen und Klauenpflegende größte Mühe bei der Arbeit an der Klaue geben, kommt es häufig zu Fehlern mit erheblichen Folgen für das Tier. Bei der anstehenden Novellierung des Hufbeschlagsgesetzes, sollten analog zur Barhufpflege auch die Barklauenpflege Berücksichtigung finden. Die grundlegenden Unterschiede zwischen den Tierarten müssten bei getrennten Ausbildungsgängen/Fortbildungsgängen berücksichtigt werden. Lehrinhalte der bereits bestehenden Klauenpflege-Prüfungsordnung (KlauenPflPrV) sollten übernommen werden. Die Verpflichtung zur Lehrgangsteilnahme inklusiv erfolgreich abgeschlossener Prüfung aller gewerblich Klauenpflegenden leistet unseres Erachtens einen erheblichen Beitrag zur Verminderung der Lahmheitsprävalenz und wird damit zur Abnahme tierschutzrelevanter Schmerzen, Leiden und Schäden beitragen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass die Klauenpflege unbedingt weiterhin als „Erste-Hilfe-Maßnahme“ von den Landwirtinnen und Landwirten selbst durchführbar sein muss, um sofortiges Handeln in akuten Fällen zu gewährleisten. Dabei gehören z.B. geklebte Entlastungshilfen („Klötze“) und Klauenverbände zur Versorgung der Dermatitis digitalis zur möglichen Erstversorgung dazu. Damit Landwirt und Landwirtin besonders in „Erste- Hilfe-Maßnahmen“ ist die Teilnahme an entsprechenden Fortbildungsmaßnahmen und Grundkursen dringend zu empfehlen. Neben theoretischen Grundlagen und ersten praktischen Fertigkeiten, sind den Teilnehmenden die Grenzen ihres Handels klar aufzuzeigen fachgerecht arbeiten können, tier- und Eine fachgerechte Huf- und Klauenpflege hat eine sehr hohe Relevanz für die Gesundheit und die Leistungsfähigkeit der Tiere. Die Pflege ist für den bloßen Erhalt des physiologischen Gangbildes notwendig, dies gilt sowohl für Stall- als auch für Weidetiere. Daher handelt es sich bei der Novellierung des Gesetzes im vorgeschlagenen Sinn auch um tierschutzrelevante Arbeit. Bei einigen gewerblich tätigen Klauenpflegenden fehlt es an Fachwissen. Dazu ist eine auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhende, anerkannte, fundierte und anerkannten Berufsabschluss/Fortbildungsabschluss nötig. Übergangsregelungen müssen angelegt auf mindestens 5 Jahre gewährleisten, dass ungeprüfte gewerbliche Klauenpflegende weiter in ihrem Gewerbe arbeiten können (Bestandsschutz), um die eh schon mäßige Versorgungslage mit klauenpflegenden Dienstleistenden nicht zusätzlich zu verschlechtern. Die Branche ist z. Zt. auf jede Person angewiesen, die bereit ist, die funktionelle Klauenpflege anzubieten. Ausbildung/Fortbildung standardisierte mit einem staatlich 264 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Diese könnte wie folgt aussehen (aus der KlauenPflPrV vom 7. Feb. 2011 abgeleitet) Verpflichtender Fortbildungsabschluss gem. BBiG („Berufsspezialist“): Klauenpfleger/in Schwerpunkte der Ausbildung sind: • Tierschutz • Tiergesundheit (u.a. Zustand der Klaue, Anatomie und Physiologie von Klauentieren, Klauenerkrankungen) • Funktionelle Klauenpflege (Durchführung der praktischen Klauenpflege) • Rechtsgrundlagen, Wirtschafts- und Sozialkunde • Kommunikation mit dem Kunden Praktische Prüfung: max. 90 Minuten Zugangsvoraussetzungen für die Ausbildung zum Klauenpfleger/in: • Abschlussprüfung in den staatlich anerkannten Ausbildungsberufen Landwirt / Landwirtin, Tierwirt / Tierwirtin und mindestens sechsmonatige Berufspraxis oder • Abschlussprüfung in einem staatlich anerkannten Ausbildungsberuf bzw. Hochschulabschluss und eine mindestens einjährige Berufspraxis oder • eine mindestens vierjährige Berufspraxis • Das oberste Ziel der Prüfung zum Klauenpflegenden ist der Nachweis der Befähigung, klauenpflegerische Arbeiten in Betrieben der Tierproduktion unter Beachtung der Ansprüche des Tieres durchzuführen und dabei quantitative und qualitative Anforderungen umzusetzen. Dabei gliedert sich die Prüfung in die Teile: 1. Tiergesundheit und Tierschutz (Schriftlich, Gewichtung Prüfung: 25 %) 2. Funktionelle Klauenpflege (Praktisch, Gewichtung Prüfung: 60 %) 3. Rechtsgrundlagen, Wirtschafts- und Sozialkunde (Schriftlich, Gewichtung Prüfung: 15 %) 4. Die Prüfung ist bestanden, wenn in jedem Prüfungsteil mindestens die Note „Ausreichend“ erzielt wurde. Eine Prüfung, die nicht bestanden ist, kann zweimal wiederholt werden. Mit erfolgreich abgelegter Prüfung weisen die Teilnehmenden nach, dass sie im Bereich der Klauenpflege das erforderliche praktische Können, die theoretischen Grundlagen sowie Kenntnisse und Fähigkeiten besitzen, um erfolgreich das Klauenmanagement im eigenen Betrieb zu übernehmen oder als Mitarbeitende oder selbstständige Person in der Klauenpflege zu arbeiten. Die funktionelle Klauenpflege der Rinder sollte bei der Novellierung des Huf- und Klauenbeschlaggesetzes unbedingt mitberücksichtigt werden. Die Berechtigung zur Ausübung der Klauenpflege im gewerblichen Kontext sollte gesetzlich geregelt werden. Dabei ist eine klare Differenzierung zwischen Huf- und Klauenpflege erforderlich. Der Beschlag der Klaue ist in der heutigen Milch- und Mutterkuhhaltung nicht mehr relevant und kann entsprechend aus dem Gesetz gestrichen werden. Literatur 1. 2. Verordnung über die Prüfungen zu den anerkannten Fortbildungsabschlüssen Geprüfter Klauenpfleger und Geprüfte Klauenpflegerin sowie Fachagrarwirt Klauenpflege und Fachagrarwirtin Klauenpflege (Klauenpflege- Prüfungsverordnung – KlauenPflPrV), Available from: https://www.gesetze-im- internet.de/klauenpflprv/BJNR023200011.html Hoedemaker, M., Knubben-Schweizer, G., Müller, K.E., Campe, A., & Merle, R. (2020). Tiergesundheit, Hygiene und Biosicherheit in deutschen Milchkuhbetrieben–eine Prävalenzstudie (PraeRi). Abschlussbericht. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 265

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Kontakt Dr. Hans-Joachim Herrmann; Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen, Beratungsstelle Wetzlar hans-joachim.herrmann@llh.hessen.de Prof. Dr. Alexander Starke; Universität Leipzig alexander.starke@vetmed.uni-leipzig.de Dr. Jörg Willig, Rindergesundheitsdienst LUFA Nord-West Joerg.Willig@lufa-nord-west.de 266 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Bewertung der Transportfähigkeit beim Rind - Hintergründe und Wissenswertes Kathrin Herzog Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelüberwachung (LAVES), Oldenburg Trotz rückläufiger Zahl geschlachteter Milchkühe in Deutschland, wurden im Jahr 2019 noch mehr als 1,18 Mio. Kühe geschlachtet (Quelle: destatis.de). Grundsätzlich werden die Tiere zur Schlachtung zu einem Schlachtbetrieb transportiert. Die Gründe, aus denen Kühe aus den landwirtschaftlichen Betrieben abgehen, sind vielschichtig. Tiergesundheitliche Aspekte spielen bei der Entscheidung über die Abgabe aber häufig eine Rolle. Nicht selten sind Lahmheiten Gründe für die Merzung einer Milchkuh. Gemäß der europäischen Tierschutztransportverordnung (VO (EG) Nr. 1/2005) dürfen Tiere nur transportiert werden, wenn sie transportfähig sind. Tiere dürfen nur transportiert werden, wenn sie transportfähig sind. Gemäß Art. 3 Buchstabe b) i.V.m. Anhang I Kapitel I Nr. 1 der Tierschutztransportverordnung (VO (EG) Nr. 1/2005) dürfen nur Tiere transportiert werden, die in Hinblick auf die geplante Beförderung transportfähig sind und wenn gewährleistet ist, dass ihnen unnötige Verletzungen oder Leiden erspart bleiben. Verletzte Tiere und Tiere mit physiologischen Schwächen oder pathologischen Zuständen gelten als nicht transportfähig (Anhang I Kapitel I Nr. 2). Dies gilt insbesondere in den Fällen, wenn Tiere sich nicht schmerzfrei oder ohne Hilfe bewegen können (Anhang I Kapitel I Nr. 2a). In diesem Sinne können sich Tiere unter anderem dann nicht schmerzfrei bewegen, wenn sie nicht imstande sind, alle vier Gliedmaßen gleichmäßig zu belasten (Hirt et al. 2016). Unter bestimmten Bedingungen werden kranke oder verletzte Tiere in der VO (EG) Nr. 1/2005 jedoch als transportfähig angesehen: Die Tiere sind nur leicht verletzt oder leicht krank, und der Transport würde keine zusätzlichen Leiden verursachen; in Zweifelsfällen ist ein Tierarzt zuzuziehen (Anhang I Kapitel I Nr. 3 a). Insbesondere lahme Milchkühe werden in landwirtschaftlichen Betrieben oftmals als „leicht krank“ eingeschätzt. Aus diesem Grund kommt es an Schlachtbetrieben immer wieder zu Anlieferungen von „leicht erkrankten“ Rindern, die im Rahmen der amtlichen Lebendbeschau auf Transport- und Schlachtfähigkeit durch einen Tierarzt jedoch als nicht transportfähig beurteilt werden. Fotos und vor allem Videodokumentationen dieser Tiere in Bewegung, die durch amtliche Tierärzte angefertigt werden, liefern - im Falles eines eingeleiteten Verfahrens neben einem Gutachten der amtlichen pathologisch-anatomischen Untersuchung der abgesetzten Gliedmaßen oder auch des gesamten Tierkörpers - wertvolle Beweismittel. Gemäß VO (EG) Nr. 1/2005 Art. 3 Buchstabe e) und Artikel 17 i.V.m. Anhang IV sind die mit Tieren umgehenden Personen hierfür in angemessener Weise geschult und qualifiziert und wenden bei der Ausübung ihrer Tätigkeit weder Gewalt noch sonstige Methoden an, die die Tiere unnötig verängstigen oder ihnen unnötige Verletzungen oder Leiden zufügen. Weiterhin muss, wer Tiere hält, betreut oder zu betreuen hat, gemäß § 2 Nr. 3 TierSchG über die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten im Umgang mit kranken Tieren verfügen. Somit gelten sowohl der Transporteur als auch der Tierhalter als sachkundig und in der Lage, eine Transportfähigkeit eines Tieres zu beurteilen. Sie können gleichermaßen zur Verantwortung gezogen werden. Während der Fahrt muss das Tier in der Lage sein, die Fliehkräfte sowie die Brems- und Beschleunigungsvorgänge durch einen sicheren Stand auszugleichen, um während des Transportes nicht zu stürzen. Aus diesem Grund werden „leicht kranke“ z. B. lahme Rinder zum Ausbalancieren ihres Gleichgewichts bzw. ihrer Standfähigkeit zur Belastung der erkrankten Gliedmaße gezwungen. Dadurch können diesen Tieren zusätzlich zur bereits bestehenden Grunderkrankung – allein durch die Fahrt bedingt - erhebliche Schmerzen und länger anhaltende Leiden zugefügt werden. Das Zufügen von länger anhaltenden oder sich wiederholenden erheblichen Schmerzen oder Leiden stellt nach § 17 Tierschutzgesetz einen Straftatbestand dar. Für das Merkmal „länger anhaltende Schmerzen oder Leiden“ reicht bereits eine mäßige Zeitspanne aus. Dabei ist nicht auf das Zeitempfinden des Menschen abzustellen, sondern auf das wesentlich geringere Vermögen des Tieres, physischem oder psychischem Druck standhalten zu können. Deshalb können u.U. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 267

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ schon wenige Minuten ausreichend sein. Je schlimmer die Schmerzen oder Leiden sind, desto kürzer ist die verlangte Zeitspanne zu bemessen (Hirt et al. 2016). Gemäß der europäischen Rechtsnorm umfasst ein Transport „jede Bewegung von Tieren in einem oder mehreren Transportmitteln sowie alle damit zusammenhängenden Vorgänge, einschließlich des Verladens, Entladens, Umladens und Ruhens, bis zum Ende des Entladens der Tiere am Bestimmungsort“ (VO (EG) Nr. 1/2005 Art. 2 w)). Um Bewertungshilfen und Klarheit für alle am Transport beteiligten Personen und Berufsgruppen zu schaffen, wurden in den letzten Jahren verschiedene Leitfäden zur Beurteilung der Transportfähigkeit verfasst und veröffentlicht. Für Rinder sei hier der Leitfaden zur Transport- und Schlachtfähigkeit von Rindern in Kooperation des Rindergesundheitsdienstes Nordrhein-Westfalen, mehreren kommunalen Veterinärbehörden sowie dem Unternehmen Westfleisch hervorgehoben (https://www.landwirtschaftskammer.de/Landwirtschaft/tiergesundheit/pdf/leitfaden-rindertransport.pdf). Die Einschätzung und Bewertung der Transportfähigkeit erfolgt hier über die Farben des Ampelsystems und ist damit bewusst einfach und praktikabel gehalten. Der Leitfaden hat ein Tabellenformat bei dem der Erklärungstext durch repräsentative und realistische Bildbeispiele untermauert wird. Aber auch durch andere Institutionen wie z. B. Tierschutzorganisationen oder das Prüfsystem QS sowie durch die Europäische Kommission wurden bereits anschauliche, richtungsweisende Leitfäden zur Transportfähigkeit von Rindern und Schweinen veröffentlicht. Das Ziel aller Leitfäden ist dasselbe: es soll eine eindeutige Beurteilung der Transportfähigkeit des Individuums im Sinne der VO (EG) Nr. 1/2005 für den Tierhalter, Transporteur und den Tierarzt ermöglicht werden. Ab dem 1. Januar 2023 stellt mit Änderung der nationalen Tierschutztransportverordnung der Transport von Tieren, die sich nicht schmerzfrei (fort-) oder ohne fremde Hilfe bewegen können, einen Verstoß-Tatbestand dar, der gemäß § 21 Absatz 3 Nr. 16a direkt bußgeldbewehrt ist. Um dauerhaft den Transport von nur transportfähigen Tieren zu garantieren, ist eine Sensibilisierung aller Beteiligten erforderlich. Nicht nur Tierhalter und Transporteure, auch die praktischen Tierärzte stehen hier in der Verantwortung, denn sie werden bei zweifelhafter Transportfähigkeit eines Tieres u. U. mit der Frage nach Ausstellung einer Transportfähigkeitsbescheinigung konfrontiert. Tierärztliche Bescheinigungen sind keine Freifahrtscheine, um kranke, lahme Kühe zum Schlachtbetrieb zu befördern. Eine tierärztliche Beratung sollte auch im Sinne des Tierschutzes erfolgen, um das Tier vor erheblichen, länger anhaltenden Schmerzen und Leiden zu bewahren. Durch den Transport kann sich der Zustand des Tieres, z. B. eine Lahmheit, aufgrund der vermehrten Belastung und unkontrollierten Bewegung sichtlich verschlimmern und am Bestimmungsort, z. B. am Schlachtbetrieb, zur Feststellung einer Transportunfähigkeit führen. Im Zweifel sollte der Transport unterbleiben und das Tier bei infauster Prognose durch den Tierarzt euthanasiert oder durch eine sachkundige Person im Betrieb betäubt und getötet werden. Literatur 1. 2. 3. 4. Hirt, A., Maisack, C., Moritz, J. (2016): Tierschutzgesetz-Kommentar, Vahlen Verlag, München, 3. Auflage. TierSchG (2006): Tierschutzgesetz vom 18.05.2006 vom 18. Mai 2006 (BGBl. I S. 1206, 1313), zuletzt geändert durch Artikel 105 des Gesetzes vom 10. August 2021 (BGBl. I S. 3436). TierSchTrV (2009): Verordnung zum Schutz von Tieren beim Transport und zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 1/2005 des Rates (Tierschutztransportverordnung) vom 11.02.2009 (BGBl. I S. 375), zuletzt geändert durch Artikel 9 Absatz 14 des Gesetzes vom 3. Dezember 2015 (BGBl. I S. 2178). VO (EG) Nr. 1/2005: Verordnung (EG) Nr. 1/2005 des Rates vom 22.12.2004 über den Schutz von Tieren beim Transport und damit zusammenhängenden Vorgängen sowie zur Änderung der Richtlinien 64/432 und 93/119/EG und der Verordnung (EG) Nr. 1255/97 (ABl. 2005 L3 S. 1). Kontaktadresse PD Dr. Kathrin Herzog, Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelüberwachung (LAVES), Oldenburg kathrin.herzog@laves.niedersachsen.de 268 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Druckbelastung der Klaue unter verschiedenen Klauenklötzen Franziska Biebl, Christoph K. W. Mülling Veterinär-Anatomisches Institut, Universität Leipzig Hintergrund Lahmheit ist neben Eutererkrankungen und Reproduktionsstörungen eines der größten Probleme in der Rinderhaltung und stellt Tierärzt:innen, Klauenpfleger:innen und Landwirt:innen vor große Herausforderungen. Die Prävalenz liegt nach aktuellen Studien im Schnitt bei gut 31 % (1,2,3), was die Relevanz dieser Symptomatik verdeutlicht. Bei über 90 % der lahmen Rinder lassen sich verschiedene Klauenläsionen als Auslöser identifizieren (4,5,6). Da es sich meist um schmerzhafte Erkrankungen handelt, ist schnelles Eingreifen gefragt. Zum einen aus dem ethisch-moralischen Grundverständnis einer verantwortungsvollen Tierhaltung heraus, zum anderen ist unverzügliches Handeln auch in der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung (§ 4 Abs. 1 S. 3 TierSchNutztV) vorgeschrieben. Parallel dazu ist der wirtschaftliche Aspekt zu bedenken, denn Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Tiere hängen eng zusammen. Eine stark lahme Kuh reduzierte in einer Studie von van den Borne et al. ihre Milchleistung um etwa 1,4 kg/d (3). Charfeddine und Pérez-Cabal analysierten bei Sohlengeschwüren einen Verlust von bis zu 120 kg in zwei Monaten, das sind etwa 2 kg/d. Die gleichzeitig durchgeführte Kalkulation der Gesamtkosten von Klauenerkrankungen ergab für Sohlengeschwüre Summen von 232 $ bis 622 $ (7). Schlechte Klauengesundheit ist also nicht nur ein Tierschutzproblem, sondern auch ein wirtschaftliches. Klauenklötze, die unter die gesunde Nachbarklaue geklebt werden, bieten sich häufig als effektive Therapie bei komplizierten Läsionen an. Die erkrankte Klaue schwebt über dem Boden, wird dadurch entlastet, ist weniger Infektionsgefahr ausgesetzt und kann besser heilen. Dass diese Methode vor allem im Gegensatz zur reinen Verbandbehandlung vorteilhaft ist, zeigten Sala et al. Rund 81 % der Sohlen-geschwüre waren in beiden involvierten Klotzgruppen nach 27 und 28 Tagen vollständig geheilt, im Gegensatz zu lediglich 50 % in der Verbandgruppe nach ebenfalls 27 Tagen (8). In einer Untersuchung von Plüss et al. wurde nachgewiesen, dass sich zuvor lahme Kühe in ihrem Bewegungsverhalten nach der Klotzapplikation nicht mehr signifikant von der nicht-lahmen Kontrollgruppe unterschieden (9). Klötze sind also hilfreich für die Heilungsgeschwindigkeit sowie die zeitnahe Verbesserung des Allgemeinbefindens klauenkranker Rinder. Und doch birgt diese Behandlung ein nicht zu unterschätzendes Risiko. Es kommt zu einer erhöhten Belastung der Klaue auf dem Klotz, da das gesamte Gewicht der jeweiligen Gliedmaße nur noch auf einer Seite lastet. Es ist zweifellos wichtig, diesem Umstand besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Ein bewährtes Verfahren für die nähere Untersuchung, Messung der Belastung und damit des Risikos sind Druckmessungen mit geeigneten Sensoren. Stand der Forschung Bislang existieren keinerlei Untersuchungen über die Druckverhältnisse unter Rinderklauen, die mit einem Klotz beklebt wurden. In einer Studie von Oehme wurden verschiedene Gummiböden einem Betonboden gegenübergestellt. Die Ex-vivo-Versuche ergaben bis zu 45 % geringere Drücke und auch in-vivo zeigten sich signifikant reduzierte Drücke um bis zu 32 % auf Gummi. Zudem wurde deutlich, dass die von Natur aus unterschiedlichen Belastungen von Außen- und Innenklaue auf weicheren Böden im Verhältnis geringer ausfallen als auf hartem Beton (10). Nuss et al. untersuchten den Effekt der Gewichtsverlagerung der Hinterbeine auf die Klauenbelastung. Fast 50 % der Gesamtlast drückte auf den Ballenbereich der stärker belasteten Außenklaue, sobald das Gewicht auf ein Hinterbein verlagert wurde (11). De Belie und Rombaut betrachteten den Einfluss unterschiedlicher Beschaffenheiten von Beton. Bei geringer bis mittlerer Oberflächenrauheit wurden etwa doppelt so hohe Maximaldrücke gemessen wie auf 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 271

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ nahezu glattem Beton. Bei stark rauer Oberfläche steigerten sich die Maximaldrücke auf das Vier- bis Fünffache (12). Aufgrund der aus den Studien ablesbaren Sensibilität der Rinderklauen besteht eindeutig eine Notwendigkeit, die Druckverteilung auf der Sohle bei Verwendung von Klauenklötzen genauer zu betrachten. Besonders da es mittlerweile eine Menge Klotz- und Klebematerialien gibt, die sich unterschiedlich kombinieren lassen und durch ihre verschiedenen Eigenschaften eine andere Wirkung auf die Klauen haben können. Arbeitshypothesen Dieses Projekt befasst sich zum einen mit der Frage, ob durch weichere Kunststoffklötze signifikant größere Belastungsflächen entstehen und sich gleichzeitig kleinere Maximal- und Durchschnittsdrücke ergeben. Zum anderen soll beantwortet werden, ob die Verklebungstechnik – Sohlen- vs. Wandverklebung – signifikanten Einfluss auf die Messergebnisse hat. Material und Methoden Die Versuche finden mit 30 frischen Kadaverklauen von ausschließlich Hinterfüßen statt. Diese werden funktionell gepflegt, auf der Plantarseite fixieren jeweils drei Schrauben die Beugesehnen am Knochen und in den Markraum des Metatarsus wird ein Dübel eingeklebt. Der Dübel ist die Befestigung für eine Stockschraube, mit der die Füße in die Druckpresse eingespannt werden. Durch diese Präparation entsteht ein möglichst realitätsnahes Belastungsmodell im Stehen. Getestet werden einerseits weiche Kunststoffklötze und speziell entwickelte Orthesen aus Kunststoff, die in ihrer Materialhärte an die unterschiedlichen Zonen der Klauensohle angepasst sind. Letztere werden mit Polyurethan und nur über die Wand an der Klaue festgeklebt. Andererseits werden dreimal Holzklötze mit verschiedenen Klebern beziehungsweise Klebetechniken getestet. Darunter fallen Methylmethacrylat, das sowohl auf die Sohle als auch auf die Wand aufgetragen wird, und Polyurethan, das in der ersten Variante nur als Sohlenverklebung und in der zweiten nur als Wandverklebung verwendet wird. Für jeden Druckversuch wird ein piezoresistiver Sensor direkt unter die Klaue gelegt und je nach Klotz- Kleber-Variante mit eingeklebt. Die dazugehörige Software wandelt die gemessenen Drücke in farbkodierte Druckbilder um und kann die gewünschten Parameter in den entsprechenden Einheiten anzeigen. Relevant sind die Belastungsfläche in cm² und der Maximal- sowie der Durchschnittsdruck in N/cm². Jeder Fuß wird in randomisierter Reihenfolge mit jeder der fünf Kleber-Klotz-Varianten dreimal hintereinander für je zehn Sekunden mit 150 kg belastet. Abb. 1: Veranschaulichter Versuchsaufbau der Druckmessungen mit einer eingespannten Klaue auf einem Holzklotz und einem dazwischenliegenden Drucksensor 272 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Ergebnisse Die Daten der ersten zehn gemessenen Klauen konnten bereits ausgewertet werden und liefern eine deutliche Tendenz der zu erwartenden Studienergebnisse. Die mittlere Belastungsfläche lag bei Walkease beziehungsweise Orthesen im Schnitt bei 41 cm², während sich die Flächen bei allen Holzklötzen um 22 cm² bewegten. Der Unterschied entspricht einer Vergrößerung von rund 83 % auf weicheren Kunststoffklötzen. Die gemittelten Durchschnittsdrücke reichten von 21 N/cm² bei Walkease bis 42 N/cm² bei Holzklötzen mit Polyurethan auf der Sohle. Die weicheren Klötze hatten einen mittleren Durchschnittsdruck von 23 N/cm², während auf Holzklötzen ein gemittelter Durchschnittsdruck von 38 N/cm² zustande kam. Die beiden Kunststoffklötze bewirkten also durchschnittlich einen um 38 % geringeren Druck als das härtere Holz mit teils einem ebenfalls harten Klebstoff als unmittelbares Kontaktmaterial an der Sohle. Die mittleren Maximaldrücke sollen im Hinblick auf die Verklebungstechnik bei Holzklötzen betrachtet werden. Bei simulierter Sohlenverklebung mit Polyurethan kam ein mittlerer Maximaldruck von 131 N/cm² heraus. Bei Verwendung von Polyurethan mit Wandverklebung und Methylmethacrylat mit ebenfalls Wandverklebung waren die Werte mit 97 N/cm² und 96 N/cm² nahezu gleich. Die Differenz entspricht einer Druckreduktion von rund 26 %, wenn die Klauenwand in die Klotzbefestigung mit einbezogen wird. Abb. 2: Auf die Sohle der Außenklaue projiziertes farbkodiertes Druckbild einer Messung inklusive dazugehöriger Skala Diskussion und Ausblick Der Einbezug der Klauenwand in die Klotzapplikation bewirkte besonders im Hinblick auf die Maximaldrücke eine deutliche Entlastung der Sohle um gut ein Viertel. Natürlich zeichnen Maximaldrücke nur die absoluten Spitzen ab und repräsentieren nicht die Gesamtdrücke, die permanent und großflächig auf die Klaue einwirken. Allerdings wurden diese Druckspitzen vor allem im Ballenbereich der Sohle gemessen, der für die Entwicklung von Sohlengeschwüren prädestiniert ist. Auch Oehme sowie Nuss et al. zeigten, dass die Ballenzone 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 273

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ besonders starken Belastungen ausgesetzt ist (14,16). Insofern stützen die bis zu diesem Zeitpunkt analysierten Werte die These, dass die Verklebungstechnik im Sinne der Entlastung vorteilhaft ist. Tab. 1: Mittelwerte der ersten Ergebnisse von zehn gemessenen Klauen (Agesamt = Belastungsfläche, Pmax = Maximaldruck, Pgesamt = Durchschnittsdruck, PU = Polyurethan, MMA = Methylmethacrylat) Versuchsvariante Agesamt (cm²) Pmax (N/cm²) Pgesamt (N/cm²) Blanko Walkease Orthese Holz & PU Holz & PU inkl. Wand Holz & MMA 24,79 37,27 44,35 21,47 22,07 23,31 113,63 55,86 76,28 130,96 97,15 95,82 37,28 21,00 25,92 41,53 37,56 34,65 Die Plausibilität der bislang gemessenen Werte kann mit Hilfe der Studie von Oehme bewertet werden, da er nicht nur dieselbe Technik verwendete, sondern sowohl Ex-vivo- als auch In-vivo-Versuche durchführte. In seinen statischen Versuchen mit Milchkühen auf Beton ergab sich ein durchschnittlicher Druck von rund 32 N/cm², bei Messungen mit Kadaverfüßen knapp 45 N/cm² (14). In den Versuchen dieses Projekts mit ebenfalls Kadaverklauen wurden bisher durchschnittliche Drücke von im Mittel 37 N/cm² auf planem festem Untergrund gemessen. Sie unterscheiden sich nur geringfügig von den Studienergebnisse von Oehme und können gerade auch vor dem Hintergrund derselben benutzten Messtechnik als plausibel angesehen werden. Die Frage nach einer Grenze, ab der es definitiv zu einem Klauenschaden kommt, lässt sich dennoch nicht so leicht beantworten. Es existieren generell noch nicht genug Daten, die es zulassen, von explizit schädlichen und nicht-schädlichen Drücken zu sprechen. Sicher ist nur, dass punktuelle Überbelastungen auf Dauer ein erhebliches Risiko für Rinderklauen darstellen. Eine gleichmäßige und großflächige Druck-verteilung auf der Sohle ist anzustreben, was sowohl im Hinblick auf die Klauenpflege als auch beim Anbringen von Klauenklötzen gilt. Weitere Untersuchungen in diesem Gebiet sollten in jedem Fall unternommen werden, um bessere Kenntnis über die Auswirkungen von Klötzen auf die Klauengesundheit zu erlangen. Als nächster Schritt wären In-vivo- Versuche sinnvoll, um die Ergebnisse der vorliegenden Studie zu untermauern. Literatur 1. Jensen KC, Oehm AW, Campe A et al. (2022): German Farmers' Awareness of Lameness in Their Dairy Herds. In: Frontiers in Veterinary Science 9, S. 866791. 2. Matson RD, King MTM, Duffield TF et al. (2022): Farm-level factors associated with lameness prevalence, productivity, and milk quality in farms with automated milking systems. In: Journal of Dairy Science 105 (1), S. 793–806. 3. Van den Borne BHP, Di Giacinto Villalobos AM, Hogeveen H (2022): Disentangling the relationships between lameness, milking frequency and milk production in Dutch dairy herds using an automatic milking system. In: Preventive Veterinary Medicine 208, S. 105733. 4. Sadiq MB, Ramanoon SZ, Mansor R et al. (2017): Prevalence of lameness, claw lesions, and associated risk factors in dairy farms in Selangor, Malaysia. In: Tropical Animal Health and Production 49 (8), S. 1741–1748. 5. Van Huyssteen M, Barkema HW, Mason S et al. (2020): Association between lameness risk assessment and lameness and foot lesion prevalence on dairy farms in Alberta, Canada. In: Journal of Dairy Science 103 (12), S. 11750–11761. 6. Browne N, Hudson CD, Crossley RE et al. (2022): Hoof lesions in partly housed pasture-based dairy cows. In: Journal of Dairy Science 105 (11), S. 9038–9053. 7. Charfeddine N, Pérez-Cabal MA (2017): Effect of claw disorders on milk production, fertility, and longevity, and their economic impact in Spanish Holstein cows. In: Journal of Dairy Science 100 (1), S. 653–665. 8. Sala A, Igna C, Schuszler L (2008): Comparative aspects of pododermatitis circumscripta (sole ulcer) treatment in dairy cow. In: BUASVMCN-VM 65 (2), S. 207–211. 274 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ 9. Plüss J, Steiner A, Alsaaod M (2021): Short communication: Claw block application improves locomotion and weight-bearing characteristics in cattle with foot diseases. In: Journal of Dairy Science 104 (2). 10. Oehme B (2018): Analyse der Druckbelastung unter der Rinderklaue mittels eines folienbasierten Druckmesssystems auf verschiedenen Stallböden. Inaugural-Dissertation. Universität Leipzig, Leipzig. Veterinär-Anatomisches Institut. 11. Nuss K, Müller J, Wiestner T (2019): Effects of induced weight shift in the hind limbs on claw loads in dairy cows. In: Journal of Dairy Science 102 (7), S. 6431–6441. 12. De Belie N, Rombaut E (2003): Characterisation of Claw–floor Contact Pressures for Standing Cattle and the Dependency on Concrete Roughness. In: Biosystems Engineering 85 (3), S. 339–346. Kontakt Franziska Biebl, Veterinär-Anatomisches Institut, Universität Leipzig franziska.biebl@vetmed.uni-leipzig.de 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 275

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Einsatz von Klauenklötzen in der Praxis - müssen wir umdenken? Andrea Fiedler Praxisgemeinschaft für Klauengesundheit, München Die gesunde Kuh steht im Mittelpunkt des wirtschaftlichen Interesses, nur mit ihr kann eine Milchviehhaltung finanziell zufriedenstellen. Aber ein gesundes wirtschaftliches Fundament muss auch auf einem soliden Fundament stehen - und dafür sind gesunde Klauen eine der wichtigsten Voraussetzungen. Ist dieses solide Fundament durch Klauenerkrankungen beeinträchtigt, werden auch Tierwohl und Leistungsfähigkeit beeinträchtigt. Vor allem das Rusterholzsche Sohlengeschwür, aber auch andere Erkrankungen der Sohlenlederhaut sind geeignet, durch Entlastung bis zur vollständigen Heilung behandelt zu werden. Entzündete Ballen können ebenfalls durch Entlastung ausheilen. Nach einer fachgerechten Funktionellen Klauenpflege und den erforderlichen Korrekturen an der Läsion muss eine notwendige Entlastung der defekten Klaue erfolgen. Ist die rein pflegerisch nicht zu erzielen, dienen Klötze an der gesunden Partnerklaue diesem Ziel (1-3). Nötigenfalls sind dann noch Verbandsbehandlungen anzuschließen, hauptsächlich, wenn der Defekt verletzungsgefährdet ist. Vorübergehend dort angebracht, steigern sie das Wohlbefinden und damit die Leistungsfähigkeit der Kuh. (Hufuntersuchungszange einsetzen) Die so „erhöhte“ Kuh muss mit dem Klotz lahmheitsfrei laufen. Tritt während der nächsten Zeit eine plötzliche Lahmheit auf, ist der Kothurn umgehend zu entfernen, da dann die darunterliegende Klaue in Mitleidenschaft gezogen wurde. Die erkrankte Gegenklaue muss entsprechend des Defektes regelmäßig kontrolliert und behandelt werden. Spätestens nach 4 Wochen muss ein Klotz entfernt werden und erneut Klauenpflege erfolgen, da nachwachsendes Horn und die Abnutzung der Klotzsohle die Belastungsverhältnisse der gesunden Klaue ungünstig verändern. Häufig kommt es sonst zur Entstehung eines Rusterholzschen Sohlengeschwürs aufgrund fehlender Kehlung. Die Entfernung erfolgt mit Hauklinge und Nylonhammer im Falle des Holzklotzes, hier kann aber ebenso wie beim Klauenschuh auch Klauenzange oder Winkelschleifer verwendet werden. Ist der Defekt der korrespondierenden Klaue noch zu entlasten, kann eventuell nach sorgfältiger Klauenpflege erneut ein Klotz geklebt werden. Zur Verfügung stehen neben Holzklötze inzwischen eine Vielzahl von Klötzen verschiedener Größen und Formen aus Kunststoff. Abhängig vom Material sind diese mehr oder weniger „flexibel“ bzw. weisen unterschiedliche Shore-Härten auf. Zur Fixation dieser Klötze werden von Landwirt:Innen und professionellen Klauenpfleger:Innen sowie Tierärzten/Tierärzt:Innen vorwiegen Polyurethankleber aus Kartuschen (PU-Kartuschenkleber) verwendet, die mithilfe von Dosierpistolen und Mischdüsen per Druck aufgebracht werden und eine Verklebung nahezu ausschließlich zwischen Sohlen und Klotz herbeiführen. Dies kann direkt nach der Klauenpflege an der Sohlenfläche erfolgen. Sehr schnell abbindende Kleber werden von den Klauenpflegern aus Arbeitszeitgründen bevorzugt (5-30 Sekunden), nach ca. 2-5 min kann die Klaue belastet werden. Die Kleber sind auch temperaturabhängig etwas langsamer oder schneller härtend. Daneben gibt es sogenannte MMA-Kleber auf Basis von Methacrylsäuremethylester - hier werden üblicherweise eine Flüssigkeit und ein Pulver direkt per Hand angerührt. Die entstandene Paste wird meist mit einem Spatel auf die Klaue oder den Klotz aufgetragen, weiterer Kleber wird dann über die vorbereitete Wand verstrichen - vorwiegend in dem Bereich, in dem sich die darunterliegenden Lederhautblättchen befinden. Vor der Verwendung dieses Klebers wird grundsätzlich mit dem Messer, der Hufraspel oder dem Winkelschleifer das Wandhorn nach der Säuberung geringgradig aufgeraut oder flache Kerben werden gesetzt. Die Belastungsfähigkeit ist je nach Kleber, Temperatur und Zugabe von Beschleuniger (Accelerator) innerhalb von 4 bis 6 Minuten erreicht. Im Rahmen von Untersuchungen (4, 5) konnte dargestellt werden, dass die Verklebung insbesondere mit harten Klebeprodukten auch über die mittragende Wand erfolgen muss. Nur so kann der Aufhängemechanismus des Klauenbeines im Hornschuh umfänglich unterstützt werden. 276 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Wiederkäuer ___________________________________________________________________________________________________________ Deshalb ist es notwendig, zu der mittlerweile nach Einführung der PU-Kartuschenkleber fast ausschließlich durchgeführten Sohlenklebung wieder die Wandverklebung zu etablieren bzw. sogar eine reine Fixation von Klötzen über die Klauenwand zu ermöglichen. Hierzu sind neben der breiten Information der einsetzenden Berufsgruppen (Landwirt:In, Klauenpfleger:In, Tierärzte/Tierärzt:In) auch Weiterentwicklungen auf dem Gebiet der Klotzform notwendig. Dazu dienen angebrachte Laschen und/oder Seitenwände an handelsüblichen Klötzen. Auch die Anwendung von Industrie- MMA-Klebern in Kartuschenform erscheint interessant. Im Rahmen von Workshops sind Rückmeldungen der Teilnehmer:Innen, insbesondere der professionellen Klauenpfleger:Innen, wichtig, die keine Verlangsamung des Klebevorganges hinnehmen möchten. Literatur 1. Kofler, J., Mangweth, Gl., Altenhofer, C., Weber, A., Gasser, C., Schramel, J.P., Tichy, A., Peham, C. Messung der Bewegung lahmheitsfreier Kühe mittels Accelerometer im Schritt und Vergleich der Beschleunigungswerte nach Kleben eines Klotzes. Wiener Tierärztliche Monatsschrift 2012; 99, 3-12. 2. Mülling, C.K.W., Pesenhofer, R. Zuviel Druck macht die Klaue krank. Landwirt - Die Fachzeitschrift für die bäuerliche 3. Familie - Spezial, September 2018, 8-11. Lüchinger I. Klauenbelastung von Kühen nach unterschiedlicher Klauenpflege an den Schultergliedmassen sowie nach Anbringen von Kothurnen [Dissertation]. Vetsuisse-Fakultät Universität Zürich, 2020. 4. Mülling C.K.W. Aktuelles zur Interaktion zwischen Klaue und Boden - Biomechanische Essentials zur Verbesserung der Klauengesundheit. 12. Leipziger Tierärztekongress, Leipzig, 2024. 5. Biebl F. Druckverteilung in der Klaue unter verschiedenen Klauenklötzen. 12. Leipziger Tierärztekongress, Leipzig, 2024. Kontakt Dr. Andrea Fiedler; Praxisgemeinschaft für Klauengesundheit, München fiedler@praxis-klauengesundheit.de 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 277

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Nutzgeflügel ___________________________________________________________________________________________________________ HPAI - Impfung als neue Option – Möglichkeiten und Grenzen aus praktischer Sicht Ronald Günther Fachtierarzt für Geflügel, Magdeburg Abstract Innerhalb von wenigen Jahren hat sich die Lage bei Geflügelpest (hochpathogene aviäre Influenza, HPAI) erheblich verändert. War es vor Jahren noch ein geografisch eingegrenztes und sporadisches Ereignis, so stellt die Erkrankungen heute ein permanentes und weltweit präsentes Problem mit erheblichen ökonomischen, ethischen und sozialen Auswirkungen dar. Auf diese Änderung der Situation hat die Welttiergesundheitsorganisation (WOAH) reagiert und auf Basis des europäischen Tiergesundheitsrechtsaktes (EU/2016/429) eine Verordnung (EU/2023/361) erlassen, die u.a. eine Impfung gegen diese Tierseuche als eine mögliche Schutzmaßnahme erlaubt. Die neue Bekämpfungsoption stellt allerdings nur eine ergänzende Komponente bestehender Schutzkonzepte dar. Ihre Nutzung ist an Überwachungsauflagen gebunden, deren Umsetzung für alle Beteiligten eine erhebliche Herausforderung darstellt. Gleichzeitig ergeben sich Konsequenzen für den innergemeinschaftlichen und internationalen Handel solcherart geimpfter Bestände und daraus resultierender Produkte, die je nach Nutzungsrichtung und Produkt zu sehr unterschiedlichen Bewertungen der neuen Bekämpfungsoption innerhalb der Geflügelproduktion führen. Einleitung Basierend auf dem europäischen Tiergesundheitsrechtsakt (EU/2016/429) wurden mit der delegierten Verordnung Vorschriften für die Verwendung bestimmter Tierarzneimittel zur Prävention und Bekämpfung bestimmter gelisteter Seuchen (EU/2023/361) ergänzende Bekämpfungsoptionen für spezifische Tierseuchen erlassen. Mit der Einführung einer Impf-Option wurde erstmals ein Paradigmenwechsel in der Bekämpfung u.a. der hochpathogenen aviären Influenza (HPAI) vollzogen. Auf Grund der örtlich und zeitlich sehr heterogen auftretenden Virusstämme, des hohen Mutations- und Rekombinationspotentials der Influenzaviren, der Verfügbarkeit zugelassener Impfstoffe sowie deren unterschiedlicher Schutzwirkung bei den einzelnen Spezies erschien eine Impfung in der Vergangenheit als ungeeignet. Mit der veränderten internationalen Situation und den damit verbundenen massiven Auswirkungen auf Handel, Versorgungssicherheit, Ökonomie, gesellschaftliche Wahrnehmung sowie dem damit potenziell einhergehenden erhöhten Zoonosepotential war eine Überarbeitung der bestehenden Bekämpfungsstrategien notwendig. Die Welttiergesundheitsorganisation (WOAH) empfiehlt ausdrücklich, diese neue Option für die nationale Bekämpfungsstrategie zu prüfen. Sie verbindet damit Chancen zur Reduzierung des Eintragsrisikos, der Virusverbreitung, der Häufigkeit von Ausbrüchen sowie der menschlichen Exposition gegenüber den potenziell zoonotischen AI-Varianten. Sich damit gleichzeitig ergebenden möglichen Risiken, wie die Maskierung klinischer Krankheitszeichen und die Entwicklung sogenannter Escape-Varianten, wird durch umfangreiche spezifische Auflagen bei der Überwachung geimpfter Bestände begegnet. Ergibt die Überwachung eine Infektion des Bestandes mit einem HPAI-Feldvirusstamm, so ist der Bestand (trotz Impfung) einer amtlichen Bekämpfung einschließlich Tötung zu unterziehen. Impfung als neue zusätzliche Option Die delegierte Verordnung EU/2023/361 regelt nun erstmals rechtsverbindlich, unter welchen Bedingungen eine Impfung gegen HPAI durchgeführt werden kann. Grundlage ist ein amtlicher Impfplan, in dem Ziele und Strategien zu definieren sind. Im Impfplan sind Aspekte wie - - - Infektionsrisiko und Verfügbarkeit zugelassener Impfstoffe bei den einzelnen Geflügelspezies und Nutzungsrichtungen, geografische Risikohäufungen durch benachbarte Wildvogelhabitate oder hohe Geflügeldichte, vorhandene Infrastruktur zur Überwachung und mögliche alternative Strukturen 280 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Nutzgeflügel ___________________________________________________________________________________________________________ - mögliche Handelsrestriktionen - Kosten – Nutzen – Analyse mit zu berücksichtigen. Dabei werden grundsätzlich zwei mögliche Szenarien unterschieden. 1. 2. Impfung nach Ausbruch  Notimpfung Impfung vor Ausbruch  Präventivimpfung Bei der Notimpfung steht die lokale bzw. regionale Eindämmung des Erregers im Vordergrund. Eine Notsuppressiv-Impfung zur Herabsetzung bzw. Unterdrückung der Virusausscheidung bei einer infizierten Herde stellt auf Grund der Zeitdauer zur Ausprägung einer belastbaren Immunität sicher eher eine Ausnahme dar. Durch Notschutz-Impfungen in Form von Ringimpfungen um einen Ausbruchsbestand herum soll das Risiko der Ausbreitung auf benachbarte Bestände und in der Region reduziert werden. In diesem Zusammenhang ist auch eine Notimpfung bei wild lebenden Tieren möglich. Von einer Präventiv-Impfung wird gesprochen, wenn noch keine Ausbrüche registriert sind. Diese Option erscheint zur Verhinderung des Eintrags über Wildvögel wie auch zur Reduzierung der Virusausscheidung (und damit -verbreitung) nach Infektion in Deutschland sinnvoll. Im begleitenden Impfplan sind konkrete Festlegungen zur Impf-Region, der zu impfenden Geflügelarten und ggf. Nutzungsrichtungen, dem zu verwendenden (Überwachung, Verbringungsverbote, u.ä.) zu treffen. Die Verabreichung des Impfstoffes, welche als Einzeltierinjektion erfolgen muss, hat unter amtlicher Aufsicht zu erfolgen. Der Impfplan ist sowohl der EU-Kommission als auch den Mitgliedsstaaten zuzuleiten. Über die Durchführung der einzelnen Maßnahmen sind ausführliche Aufzeichnungen verpflichtend. begleitenden Risiko-minimierenden Maßnahmen Impfstoff und in der Grundsätzlich zieht jede Form der Impfung eine verstärkte Überwachung der geimpften Bestände nach sich. Dabei ist zu beachten, dass sich die Überwachungsanforderungen nach einer Notimpfung auf alle Geflügelbestände Impfzone erstrecken. Bei einer Präventivimpfung erstrecken sich die Überwachungsanforderungen „lediglich“ auf die geimpften Bestände innerhalb der Impfzone. Die passive Überwachung umfasst die wöchentliche virologische Untersuchung verendeter Tiere (z.B. mittels PCR). Mindestens alle 30 Tage ist eine aktive Überwachung durch klinische Untersuchung und serologische oder virologische Tests durchzuführen. Um bei einer Inzidenz von 5% eine Konfidenz von 95% zu erreichen, bedeutet dies zurzeit - neben der wöchentlichen Untersuchung der Falltiere - die repräsentative Probenahme von entweder 60 Blutproben oder 60 kombinierten Tracheal-Kloaken-Tupfern aus jeder geimpften Herde. Wer die Überwachung durchführen soll bzw. kann, ist zurzeit noch nicht endgültig geklärt. Die amtlichen Tierärzte und amtlichen Untersuchungseinrichtungen dürften bei einer großflächigen Anwendung der Impf-Option relativ rasch an ihre Kapazitätsgrenzen kommen. Behördlicherseits erscheint aber eine Benennung praktischer Tierärzte sowie die Untersuchung in akkreditierten Privatlaboren denkbar. Diese Überwachungsanforderungen stellen alle Beteiligten vor erhebliche Herausforderungen, sollen letztendlich aber sowohl eine Ausbreitung des Erregers verhindern als auch für Vertrauen bei Handelspartnern in die Bekämpfungsstrategie sorgen. Alternative Monitoring-Methoden, wie z.B. die Beprobung offener Tränkesysteme in Geflügelställen, könnten eine erhebliche Erleichterung bei der Durchführung der Überwachungsanforderungen darstellen. Dazu bedarf es nach behördlicher Auffassung allerdings noch Validierungsuntersuchungen und einer offiziellen Aufnahme dieser Methodik in die amtlichen Methodensammlung. Die delegierte Verordnung EU/2023/361 macht zur Frage, welche Methoden bei der Überwachung angewendet werden müssen, keine abschließende Aussage. Die dabei anfallenden Kosten trägt nach jetzigem Stand der Tierhalter, unabhängig von der Größe seiner Herde. Eine Überwachung hat zu erfolgen, bis das letzte geimpfte Tier den Bestand verlassen hat. Möglichkeiten und Grenzen Während eine Präventiv-Impfung für im Freiland gehaltene, langlebige Geflügelarten sowie auch Rassegeflügel und Zoovögel eine geeignete neue Option darstellt, erscheint sie für im Stall gehaltene, kurzlebige Geflügelarten mit eher geringem Eintragsrisiko eher ungeeignet, da die Ausprägung einer belastbaren Immunität in der Regel 2-3 Wochen beansprucht. Gegebenenfalls ist eine Boosterimpfung 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 281

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Nutzgeflügel ___________________________________________________________________________________________________________ notwendig, wodurch sich dieser Zeitraum und der Aufwand noch einmal verlängert bzw. vergrößert. Für diese Geflügelarten bzw. Nutzungsrichtungen dürfte eine Kosten-Nutzen-Abwägung eher negativ ausfallen. Während für den innergemeinschaftlichen Handel mit Produkten aus geimpften Beständen Regelungen in der delegierten Verordnung EU/2023/361 getroffen wurden, kann sich der Handel mit Drittländern gegebenenfalls schwierig gestalten. Die Auffassungen zum Handel mit Produkten aus Ländern, die die Impf- Option (eventuell nur regional oder Nutzungsart-spezifisch) anwenden, reicht hierbei von kategorischer Ablehnung mit der Konsequenz einer Handelssperre bis hin zu Zustimmung ohne Restriktionen. Da Handelsbeziehungen zu Drittländern auf bilateralen Einzelabkommen beruhen, sind zur Klärung aller offenen Fragen und Details noch aufwendige Verhandlungen zu führen. Kontakt Dr. Ronald Günther, Magdeburg dr.ronald.guenther@gmail.com 282 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Nutzgeflügel ___________________________________________________________________________________________________________ Advances in HPAI vaccination in France; feedback from a poultry veterinary practitioner Leni Corrand ANIBIO Veterinary Group, Arzacq (France) After 5 terrible highly pathogenic avian influenza (HPAI) crisis over the past years in France, specifically affecting commercial waterfowls, species very susceptible to avian influenza viruses, the French veterinary and political authorities decided early 2023 to launch against this disease a compulsory vaccination campaign on commercial ducks, associated with a voluntary vaccination of breeding ducks, from October 2023 and across the entire metropolitan territory. The implementation of this national vaccination strategy is complex and requires comprehensive work combining compliance with European regulations, support to international trade agreements, logistics for the application of the vaccine to the birds, monitoring of vaccinated populations and financial support. This presentation reflects the implementation of the vaccination strategy as seen by a field veterinarian specialized in poultry health management, and emphasizes on the logistical and technical parts of the vaccine application and the monitoring of the vaccinated flocks. One should note that this strategy being new in France, at the time of the presentation it will have been implemented only for a few weeks. Therefore, one should assume that the facts and information given are subject to changes and evolutions. Contact Dr. Leni Corrand; ANIBIO Veterinary Group, Arzacq (France) leni.corrand@anibio.fr 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 283

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Nutzgeflügel ___________________________________________________________________________________________________________ Neue Impfstoffe in der Geflügelmedizin Silke Rautenschlein Klinik für Geflügel, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover Einleitung Impfungen sind ein essentieller Baustein bei der Sicherung der Tiergesundheit in der Geflügelmedizin. Insbesondere die geforderte Reduktion des Einsatzes von Chemotherapeutika unterstreicht die Bedeutung einer guten Prophylaxestrategie. Der Erfolg eines Impfstoffes basiert auf dem Verständnis der Mechanismen einer schützenden Immunantwort, welche in Abhängigkeit von der Wirtspezies und dem Individuum sowie zwischen den Erregergruppen variieren können. Zwischen den ersten Impfversuchen beim Huhn durch Louis Pasteur 1879 (1) und der Entwicklung von gentechnischen Verfahren zur Herstellung von Impfstoffen für Nutzgeflügel haben unterschiedlichste Impfstoffformulierungen die Marktreife erlangt (Abb. 1). Nicht alle Impfstoffkandidaten, die experimentell Wirkung zeigten, konnten sich beim Geflügel durchsetzen, da ihre Anwendung für große Tiergruppen beispielsweise durch die Notwendigkeit von wiederholten Boosterimpfungen per Injektion in Abhängigkeit vom oft geringen monetären Wert des Einzeltiers nicht praktikabel ist. Abb. 1: Entwicklung und Markteinführung von Impfstoffen in der Geflügelmedizin (created with Biorender). Seit über 80 Jahren wird gegen diverse Nutzgeflügelerkrankungen geimpft, und es werden jedes Jahr neue Impfstoffe auf dem deutschen Markt zum Schutz gegen insbesondere virale Erreger für das Geflügel zugelassen. Dies schließt weiterhin klassische Lebend- und Inaktivat-Impfstoffe ein, die national und international immer noch den Markt dominieren (Abb. 1). Aber auch „Neue Generationsimpfstoffe“ werden schon seit über 20 Jahren beim Nutzgeflügel eingesetzt. Insbesondere über die letzten Jahre gab es zahlreiche Neuzulassungen auch in Deutschland. Der Großteil der Impfstoffe ist zur Kontrolle der ökonomisch bedeutsamen, viralen Erreger zugelassen. Angeführt wird die Liste mit Impfstoffen gegen die infektiöse Bronchitis (IB) und die infektiöse Bursitis (IBD) sowie Newcastle Krankheit (ND), aber es gibt auch zahlreiche Impfstoffe gegen die Marek‘sche Krankheit (MD), gegen Kokzidien und Salmonellen. Während die meisten Produkte für das Huhn zugelassen sind, gibt es nur einige wenige für die Pute und nur drei, die für die Ente in Deutschland zugelassen sind. Auf dem internationalen Markt ist die Liste der möglichen Impfstoffe für die verschiedenen Nutzgeflügelspezies etwas umfangreicher, jedoch bleibt das Verhältnis ähnlich. Entsprechend der europäischen Tierarzneimittel-Verordnung, die seit Januar 2022 in Kraft getreten ist und in Deutschland unmittelbar Anwendung findet, können immunologische Tierarzneimittel auch umgewidmet werden. Bei einen Impfstoffeinsatz abweichend von der in der Zulassung aufgeführten Zielspezies muss jedoch beachtet werden, dass die Immunreaktionen tierartspezifisch abweichen und somit die Verträglichkeit und Protektion variieren 284 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Nutzgeflügel ___________________________________________________________________________________________________________ kann. Die Technologien zur Entwicklung von Neue-Generationsimpfstoffen in Zusammenhang mit neuen Adjuvantien erlauben neuerdings eine schnellere Anpassung der Impfstoffkandidaten nicht nur an neue Erreger und Erregervarianten im Feld, sondern auch an neue Zieltierspezies. Die schnelle Entwicklung und insbesondere auch Zulassung von Impfstoffen gegen das Virus SARS-CoV2 haben gezeigt, dass die modernen Technologien dies tatsächlich zielgerichtet und zeitnah ermöglichen können. Klassische Impfstofftypen auf dem neu zur Markt, Seit der Entdeckung der Möglichkeit der Prophylaxe durch Impfung durch Edward Jenner und Louis Pasteur hat sich die Vakzinologie rasant weiterentwickelt (2). Trotzdem sind diese klassischen Impfstoffe, die auf Inaktivierung des Erregers für Totimpfstoffe oder den Einsatz von attenuierten oder schwach bis avirulenten Stämmen beruhen, immer noch von großer Bedeutung für die Nutzgeflügelhaltung. Dies geht soweit, dass weiterhin neue Impfstoffe insbesondere für die bedeutsamen viralen Erkrankungen wie IB, IBD, MD und ND in den letzten Jahren auch in Deutschland, trotz der in diesem Bereich großen Anzahl an bereits zugelassenen Produkten stehen (https://www.pei.de/DE/arzneimittel/tierarzneimittel/gefluegel/; Stand 30.09.2023). Bei diesen klassischen Lebendimpfstoffen besteht jedoch immer das potentielle Risiko einer Reversion zu mehr Virulenz, was für verschiedene Impfstämme auch beschrieben wurde (3-5). Auf der anderen Seite wird durch Inaktivatimpfstoffe oft nur ein Teil der protektiven Immunantwort angesprochen, und bei Subunit-basierten Impfstoffen können die immunogenen Epitope limitiert sein, was ebenfalls die protektive Immunantwort einschränken kann. Außerdem besteht bei Inaktivatimpfstoffen die Notwendigkeit, Adjuvantien einsetzen zu müssen, um einen möglichst langanhaltenden Schutz induzieren zu können (6). Um die Protektion und gegebenenfalls auch die Kreuzprotektivität zu erhöhen, werden Inaktivatimpfstoffe auch häufig in einem Prime-Booster-Regime mit homologen oder heterologen Lebendimpfstoffen oder anderen Impfstoffkandidaten angewendet (7-9). Was Inaktivatimpfstoffe attraktiv macht, ist ihre Sicherheit sowie auch die Möglichkeit, Antigene verschiedener Erreger zu kombinieren. Diese Impfstoffe finden insbesondere in der Junghennenaufzucht im Feld regelmäßig ihren Einsatz. Neue Generationsimpfstoffe Verfügung Impfstoffentwicklung hervorhebt Neue Technologien erlauben neue Impfstofftypen zu entwickeln. Sie machen eine schnelle Anpassung an neue Erregervarianten im Feld, eine kostengünstige Produktion und/oder auch eine gezielte Stimulation von spezifischen Immunzellen möglich. Das Zeitalter der „Omics“ hat den Weg geebnet, um nicht nur den Erreger, sondern auch die protektiven Immunantworten des Wirtes besser zu verstehen, was die Notwendigkeit eines holistischen, systembiologischen Ansatzes bei der (10). Durch bioinformatische Analysen können Vakzinologie, Immunologie und Infektiologie zusammengeführt werden, was erlaubt, immunogene Epitope von Erregern vorherzusagen oder zu bestimmen, und angeborene und spezifische Immunantworten mit Erregereigenschaften zu verknüpfen. Die Genomsequenzierung kann heutzutage kostengünstig und schnell erfolgen. Die sogenannte „Reverse Vakzinologie“ ist eine auf das Genom fokussierende Technologie, die es erlaubt, potentielle Impfstoffzielantigene zu identifizieren. Diese können dann kloniert und exprimiert werden, so dass Antigen in großen Mengen leicht produziert und die Immunogenität im Tier anschließend getestet werden kann. Das erweitert das Spektrum möglicher immunogener Antigene gegenüber den Ansätzen der konventionellen Vakzinologie, die auf der Kultivierbarkeit der Erreger beruhen, was den Erfolg der Impfstoffherstellung bei schwer oder nicht im Labor zu vermehrenden Erregern limitieren kann, und erlaubt somit eine schnellere Impfstoffentwicklung (49). Die bioinformatischen Möglichkeiten der Vorhersage von immunodominanten T Zell-Epitopen unterstützt den Prozess auf Wirtseite und hat auch in der Geflügelforschung Einzug genommen (50). Neue Technologien auf der Basis von gentechnisch veränderten Organismen zur Herstellung von Subunit- Impfstoffen habe den Markt revolutioniert, da sie erlauben, sehr große Mengen an spezifischem Antigen zu produzieren. Dies schließt die Expression von immunogenen Antigenen oder auch Toxinen (Toxoid Impfstoffe) durch Bakterien (z.B. E. coli), Pilze (Hefen) und Viren (auch Insektenviren, Baculorviren) ein (11-13). Einige dieser Impfstoffkandidaten sind auch auf dem internationalen Markt zugelassen (https:www.poultrymed.com; 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 285

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Nutzgeflügel ___________________________________________________________________________________________________________ Stand 30.09.2023). Die Möglichkeit, Bakterien durch Passagen klassisch zu attenuieren, wurde durch gentechnische Verfahren ergänzt (14-16). Auch in Deutschland wurden Impfstoffkandidaten auf der Basis von Deletionsmutanten zugelassen, bei denen wichtige Gene, welche zum Bespiel für den bakteriellen Metabolismus wichtig sind und das Überleben dieser im Wirt über einen längeren Zeitraum erlauben, gezielt mutiert wurden. Rekombinante virale und bakterielle Impfstoffe haben international Marktreife erlangt und erstere seit Anfang 2000 auch Zulassungen in Deutschland erhalten. Typische Vektoren sind das Putenherpesvirus (HVT) oder avirulente Marek-Disease und Newcastle Disease Viren, Hühnerpockenviren (Fowlpox, FP) oder auch Salmonellen. In Deutschland gab es in den letzten Jahren zahlreiche Zulassungen für Kombinationsimpfstoffe wie HVT-Infektiöse Laryngotracheitis (ILT)-IBD, HVT-ND-IBD, FP-ILT, HVT- ND-ILT- zwischen 2020 und 2023 (https://www.pei.de/DE/arzneimittel/tierarzneimittel/gefluegel/; Stand 30.09.2023). sie erlauben den Aufbau einer Protektion gegen mindestens zwei bis drei Erreger. Seit einigen Jahren wird auch an der Entwicklung von DNS und RNS-basierten Impfstoffkandidaten gearbeitet, aber nur sehr wenige haben die Marktreife im Bereich Nutzgeflügel weltweit erlangt. Virus-like- Particles (VLPs) und bakterielle Membranvesikel (outer membrane vesicles, OMVs) sowie unterschiedliche Methoden der Enkapsulierung bieten interessante Möglichkeiten, diese Impfstoffkandidaten für einen kommerziellen Einsatz zu optimieren. Die VLPs oder OMVs werden in die Zelle aufgenommen, führen aber zu keiner Replikation. Sie erlauben somit das Einschleusen der genetischen Information oder der Antigene in die Wirtszellen. Antigene können durch die Wirtszelle exprimiert und präsentiert werden, um dann eine Immunantwort auszulösen. Auf diese Weise kann auch die zellvermittelte Immunantwort gut aktiviert und die Protektion gegenüber einer reinen Subunitvakzine optimiert werden (61). Ausblick Zukünftig werden Gen-Editierungstechnologien intensiver genutzt werden, um die Impfstoffentwicklung voranzutreiben. Die „Clustered Regularly Interspaced Short Palindrom Repeats (CRISP/associated protein 9 (Cas9)“ Technologie ist eine inzwischen sehr weit verbreitete Plattform, die nicht nur kostengünstig, sondern auch sehr vielseitig sowie effizient ist, und in der Impfstoffentwicklung eine wichtige Rolle spielen wird (17). Auf dem internationalen Markt haben bereits mRNA-Impfstoffe (z.B. Alphavirus Replicon basiert) ihren Einzug gehalten (https:www.poultrymed.com; Stand 30.09.2023), ob ihre Anwendung sich beim Nutzgeflügel durchsetzen wird, werden die Möglichkeiten und Grenzen dieser Impfstoffformulierung sowie die praktischen Erfahrungen aus dem Feld zeigen (18). Literatur 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. Pasteur M. An Address on Vaccination in Relation to Chicken Cholera and Splenic Fever. Br Med J. 1881;2(1076):283-4. Orth G. Pasteur and the veterinarians. C R Biol. 2022;345(3):71-81. Lee MD, Wooley RE. The effect of plasmid acquisition on potential virulence attributes of Pasteurella multocida. Avian Dis. 1995;39(3):451-7. Catelli E, Cecchinato M, Savage CE, Jones RC, Naylor CJ. Demonstration of loss of attenuation and extended field persistence of a live avian metapneumovirus vaccine. Vaccine. 2006;24(42-43):6476-82. Lee SW, Markham PF, Coppo MJ, Legione AR, Markham JF, Noormohammadi AH, et al. Attenuated vaccines can recombine to form virulent field viruses. Science. 2012;337(6091):188. Gupta S, Pellett S. Recent Developments in Vaccine Design: From Live Vaccines to Recombinant Toxin Vaccines. Toxins (Basel). 2023;15(9). Cavanagh D. Severe acute respiratory syndrome vaccine development: experiences of vaccination against avian infectious bronchitis coronavirus. Avian Pathol. 2003;32(6):567-82. Sedeik ME, Awad AM, El-Shall NA. Heterologous prime-boost vaccination programs against Newcastle disease virus genotype VII in chickens. Comp Immunol Microbiol Infect Dis. 2022;87:101836. Sjaak de Wit JJ, Ter Veen C, Koopman HCR. Effect of IBV D1466 on egg production and egg quality and the effect of heterologous priming to increase the efficacy of an inactivated IBV vaccine. Avian Pathol. 2020;49(2):185-92. Pulendran B, Oh JZ, Nakaya HI, Ravindran R, Kazmin DA. Immunity to viruses: learning from successful human vaccines. Immunol Rev. 2013;255(1):243-55. Song Y, Zhao Z, Liu L, Li Y, Gao W, Song X, et al. Knob domain of Fiber 2 protein provides full protection against fowl adenovirus serotype 4. Virus Res. 2023;330:199113. 286 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Nutzgeflügel ___________________________________________________________________________________________________________ 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. Chen T, Kong D, Hu X, Gao Y, Lin S, Liao M, et al. Influenza H7N9 Virus Hemagglutinin with T169A Mutation Possesses Enhanced Thermostability and Provides Effective Immune Protection against Lethal H7N9 Virus Challenge in Chickens. Vaccines (Basel). 2023;11(8). Cao H, Hua D, Zhang H, Zhang H, Liu N, Feng Z, et al. Oral immunization of recombinant Saccharomyces cerevisiae expressing fiber-2 of fowl adenovirus serotype 4 induces protective immunity against homologous infection. Vet Microbiol. 2022;271:109490. Galal HM, Abdrabou MI, Faraag AHI, Mah CK, Tawfek AM. Evaluation of commercially available aroA delated gene E. coli O78 vaccine in commercial broiler chickens under Middle East simulating field conditions. Sci Rep. 2021;11(1):1938. Tahir H, Basit A, Tariq H, Haider Z, Ullah A, Hayat Z, et al. Coupling CRISPR/Cas9 and Lambda Red Recombineering System for Genome Editing of Salmonella Gallinarum and the Effect of ssaU Knock-Out Mutant on the Virulence of Bacteria. Biomedicines. 2022;10(12). Nandre RM, Chaudhari AA, Matsuda K, Lee JH. Immunogenicity of a Salmonella Enteritidis mutant as vaccine candidate and its protective efficacy against salmonellosis in chickens. Vet Immunol Immunopathol. 2011;144(3- 4):299-311. Bhujbal S, Bhujbal R, Giram P. An overview: CRISPR/Cas-based gene editing for viral vaccine development. Expert Rev Vaccines. 2022;21(11):1581-93. Kirtane AR, Tang C, Freitas D, Bernstock JD, Traverso G. Challenges and opportunities in the development of mucosal mRNA vaccines. Curr Opin Immunol. 2023;85:102388. Kontakt Prof. Dr. Silke Rautenschlein; Klinik für Geflügel, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover silke.rautenschlein@tiho-hannover.de 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 287

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Nutzgeflügel ___________________________________________________________________________________________________________ Möglichkeiten zur positiven Beeinflussung der frühen Mikrobiomentwicklung beim Broiler Matthias Todte Tierarztpraxis MMT, Köthen Einleitung Ein wesentlicher Faktor für die Tiergesundheit und die Wirtschaftlichkeit in der Hähnchenaufzucht stellt das Mikrobiom dar. Die natürliche Startflora wird von der Henne über die Eischale auf das Küken übertragen. Somit kann der frisch geschlüpfte Vogel mit dem für das lokale Nahrungsangebot passende Mikrobiom eine stabile Verdauung entwickeln. In der heutigen Tierhaltung werden Henne und Broiler mit verschiedenen Rezepturen und Rohmaterialien gefüttert und somit passen diese übertragenen Bakterien nicht optimal für die spätere Verdauung der Nachkommen. Hinzu kommt, dass zur Sicherung der Kükenqualität die Bruteier desinfiziert werden und nur noch ein Bruchteil der maternalen Darmflora dem Küken zur Verfügung steht. Einsatz von nichtantibiotischen Präparaten zur Verbesserung der Verdauung bei Broilern Mit den heute zur Verfügung stehenden molekularbiologischen Methoden ist es möglich, die Kombination der verschiedenen Darmbakterien von individuellen Küken von ein und demselben Schlupf aus einer Herkunftsherde zu untersuchen. Dabei wird deutlich, dass die einzelnen Mikrobiome sich sehr stark voneinander unterscheiden und ein signifikanter Zusammenhang zur späteren Futterverwertung besteht (1). Diese Art der Untersuchung bei verschieden entwickelten Tieren am Ende der Aufzucht ergab ein sehr gleichmäßiges Mikrobiom bei gut gewachsenen Tieren und sehr starke Unterschiede im Mikrobiom bei kleinen Tieren. Es wurde geschlussfolgert, dass es nur einen Weg zur guten Verdauung gibt aber sehr viele für eine schlechte. (2). Der Einsatz von bestimmten Antibiotika-Kombinationen in der ersten Lebenswoche wurde intuitiv als sehr positiv für die weitere Darm- und Tiergesundheit entdeckt. In einer Arbeit am Institut für Tierernährung der TiHo Hannover ist der langandauernde Einfluss einer Kombination aus Lincomycin und Spektinomycin auf das Mikrobiom nachgewiesen wurden. (3) Basierend auf diesen Erkenntnissen sind verschiedene nichtantibiotische Ergänzungsfuttermittel entwickelt und in Feldversuchen getestet worden. Die vorliegenden Untersuchungsergebnisse zeigen, dass Kombinationen aus Prä- und Probiotika das Mikrobiom in die gleiche Richtung wie beim Lincospectineinsatz beeinflussen. Die Veränderung erfolgt im Vergleich zu den metaphylaktisch eingesetzten Antibiotika etwas langsamer, führt dennoch zu den gleichen, im Einzelfall sogar zu besseren Aufzuchtergebnissen. Mit den heute zur Verfügung stehenden molekularbiologischen Methoden und deren preiswerteren Anwendung besteht die Möglichkeit, das Konzept der frühen Beeinflussung der Darmflora zu optimieren und den Einsatz von Antibiotika deutlich zu vermindern. Literatur 1. Stanley D et al. Highly Variable Microbiota Development in the Chicken Gastrointestinal Tract. PLoS ONE 8(12): e84290. 2. Doi: 10 1371/ Journal.pone.0084290 Lundberg R et al. The Link between broiler flock heterogeneity and cecal microbiome composition. Animal Microbiom (2021) 354 3. Hankel J et al. Comparison of Chicken Cecal Microbiota after Metaphylactic Treatment or Following Administration of Feed Additives in a Broiler Farm with Enterococcal Spondylitis History. Pathogens 2021;10:1068. Kontakt Dr. Matthias Todte; Tierarztpraxis MMT, Köthen (Anhalt) matthias.todte@gallicare.de 288 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Nutzgeflügel ___________________________________________________________________________________________________________ Ernährung, Mikrobiom und Darmgesundheit: Neue Erkenntnisse aus der Forschung Jürgen Zentek Institut für Tierernährung, Freie Universität Berlin Einleitung Eine ausgewogene mikrobielle Besiedlung des Verdauungstrakts wird als westliche Voraussetzung für die Erhaltung der Gesundheit und die Sicherung der Leistungsfähigkeit von Geflügel gesehen (Oakley et al. 2014). Dazu gibt es aktuelle Erkenntnisse, die zeigen, dass das Mikrobiom erheblichen Veränderungen durch die Genetik, die Fütterung und die Haltung unterworfen ist. Die sogenannte Eubiose wird häufig als strategisches Element zur Sicherung der Tiergesundheit bezeichnet, wenn auch eine verbindliche Definition des optimalen Zustands des intestinalen Mikrobioms bislang nicht erfolgt ist. Hinsichtlich der begrifflichen Einordnung wird häufig von Mikrobiota oder Mikrobiom geredet. Ersterer Begriff bezeichnet die mikrobiellen Taxa im Darm, während das Mikrobiom den Katalog der Mikroben und deren Gene bezeichnet. Insofern ist das Mikrobiom ein umfassender, häufig werden beide Begriffe aber auch synonym verwendet. Durch die Einführung neuer molekularbiologischer Verfahren, insbesondere der Sequenzierung der 16 S rRNA, hat sich das Wissen um das Mikrobiom beim Huhn deutlich vermehrt. Die Sequenzierungsverfahren unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Auflösung, neuere Verfahren „Shot Gun“-Verfahren gestatten es, nicht nur eine taxonomische Identifikation von Keimen durchzuführen, sie erlauben gleichzeitig den gesamten Genpool zu erfassen und somit auch Funktionen, zum Beispiel das Auftreten von Resistenzgenen zu erfassen. Bedeutung der intestinalen Mikrobiota für die Gesundheit Interessanterweise unterscheidet sich das Mikrobiom von Hühnern, die entweder Es ist wissenschaftlich unstrittig, dass das Mikrobiom als solches einen Schutzschild gegenüber eindringenden Bakterien darstellt, weiterhin ist es auch für die Entwicklung und die Reifung des Immunsystems unerlässlich. in Freilandhaltung bzw. unter kontrollierten Stallbedingungen aufgewachsen sind signifikant. Der Darmtrakt von kommerziell ausgebrüteten Küken wird nur allmählich aus Umweltquellen besiedelt. Wenn die Küken jedoch experimentell Mikrobiota von einer Henne zur Verfügung gestellt werden, können sie bereits ab den ersten Lebenstagen über die Henne mit einer erwachsenen Mikrobiota besiedelt werden, können Sie widerstandsfähiger gegen Infektionen mit pathogenen Bakterien werden (Rychlik 2020). Neuere Daten zeigen, dass auch die Leistung von Hühnern im Zusammenhang mit dem Mikrobiom steht (Borda-Molina et al. 2018, Dittoe et al. 2022). Das Mikrobiom unterscheidet sich sehr deutlich in Abhängigkeit von Alterseinflüssen. Es handelt sich prinzipiell um einen fließenden Übergang, d. h., das Mikrobiom entwickelt sich lebenslang dynamisch. Bekanntermaßen ist der Verdauungstrakt das größte Immunsystem des Organismus. Es konnte gezeigt werden, dass sich die mikrobielle Besiedlung auf die Darmfunktion und das Immunsystem sehr deutlich auswirkt und dadurch auch einen maßgeblichen Einfluss auf die Abwehrkapazität und die Tiergesundheit hat (Broom und Kogut 2018, Cowieson 2022). Fütterung als Schlüsselfaktor für das Mikrobiom Es gibt zahlreiche Erkenntnisse darüber, dass die Ernährung mit dem Mikrobiom und mit assoziierten Prozessen im Stoffwechsel in enger Verbindung steht. Beispielhaft sei hier die Proteinaufnahme genannt, die bekanntermaßen stark mit der Tiergesundheit interagiert. So konnte bei bedarfsdeckend-reduzierter Proteinaufnahme festgestellt werden, dass Hühner weniger stark zu Nekrotisierender Enteritis neigen (Wu et al. 2014). Insofern ergibt sich daraus, dass in Problembetrieben darauf hinzuwirken ist, dass eine bedarfsdeckende Proteinversorgung mit Eiweißträgern hoher biologischer Qualität gewährleistet ist. Neben der Eiweißmenge als solcher haben Aminosäuren Effekte auf das Mikrobiom und das Auftreten von nekrotisierender Enteritis, so konnte Arginine eine günstige Wirkung haben, während die Aminosäure Glycin eher negative Effekte hatte. (Zhang et al. 2017, Bortoluzzi et al. 2018). Auch die Kohlenhydrate spielen eine 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 289

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Nutzgeflügel ___________________________________________________________________________________________________________ große Rolle, da ein Teil der Kohlenhydrate Energielieferant ist, insbesondere die Stärke, andere Fraktionen der Kohlenhydrate aber mikrobiell fermentierbar sind. Dieses umfasst die verschiedenen Typen der resistenten Stärke genauso wie pflanzliche Faserstoffe. Faserstoffe sind in den letzten Jahren zunehmend in den Fokus der Betrachtungen gekommen, da diese eine stabilisierende Wirkung auf die Tiergesundheit haben können (Jha und Mishra 2021, Ricke 2021, Röhe und Zentek 2021). Allerdings ist hier noch Forschungsbedarf hinsichtlich der optimalen Einsatzempfehlungen gegeben. Dieses erklärt sich insbesondere dadurch, dass Faserstoffe sehr unterschiedlich zu beurteilen sind, je nachdem, welche chemischen und physikalischen Eigenschaften sie haben. Generell unterscheidet man auf der einen Seite lösliche Faserstoffe, die sich intensiv als Substrate für Mikroorganismen eignen, davon abzutrennen sind die sogenannten unlöslichen Faserstoffe, die wiederum eine klassische Ballastfunktion ausüben. Es konnte gezeigt werden, dass beide für die Darmfunktion von wesentlicher Bedeutung sind, neuere Studien zeigen, dass neben der Bedeutung für die Motilität des Darms bzw. auch für das Mikrobiom zahlreiche assoziierte Effekte eintreten. Interessant ist, dass die durch die Fermentation von Faserstoffen gebildeten kurzkettigen Fettsäuren nicht nur als Energielieferanten für den Organismus und als Regulatoren des intestinalen Mikrobioms von Bedeutung sind, sondern dass diese auch in der Lage sind, molekulare Prozesse einschließlich von Entzündungsvorgängen im Darm zu beeinflussen. Wenig bekannt ist bisher zu den Effekten von sekundären Pflanzeninhaltsstoffen in Assoziation mit faserreichen Futtermitteln. Diese werden auch häufig als Phytonährstoffe oder Bioaktivstoffe bezeichnet und umfassen insbesondere Polyphenole, Flavonoide, Tannine und weitere Substanzen, die eine hohe biologische Aktivität haben (Murugesan et al. 2015, Kikusato 2021). Diese stehen in der Humanernährung mittlerweile stark im Fokus, weil bekannt ist, dass sie günstige Effekte auf die Gesundheit von Menschen haben. Es steht zu erwarten, dass sie auch beim Tier wirksam sind, hier besteht aber weiterer Forschungsbedarf. Bedeutung von Futtermittelzusatzstoffen Futtermittelzusatzstoffe sind prinzipiell für den Einsatz bei gesunden Tieren gedacht. Gleichwohl konnten zahlreiche Studien zeigen, dass ein Teil der heute üblicherweise verwendeten Futtermittelzusatzstoffe eine positive Wirkung auf die Darmgesundheit haben kann. Besonders intensiv untersucht wurden in den letzten Jahren Probiotika, d. h. lebende Mikroorganismen, die stabil sind, um verfüttert werden zu können. Viele der in der EU zugelassenen Probiotika haben eine Bedeutung für die Darmfunktion und können präventiv eingesetzt werden, um Durchfallerkrankungen zu beeinflussen (Oakley et al. 2014, Clavijo und Flórez 2018, Neveling und Dicks 2021). Allerdings sind nicht alle Produkte gleichermaßen geeignet, sodass hier spezifische Studien zugrunde gelegt werden müssen. Die Erfahrung zeigt auch, dass diese Produkte nicht unter allen Umständen in Praxisbetrieben erfolgreich eingesetzt werden können. Die Definition der Einsatzbedingungen ist insofern nach wie vor eine wichtige Frage, die in der Forschung bearbeitet werden muss. Neben den Probiotika zählen auch die fermentierbaren Kohlenhydrate zu interessanten Kandidaten, die zur Beeinflussung des Mikrobioms unter Darmfunktion verwendet werden können. Auch hier gibt es interessante Erkenntnisse, dass diese sogenannten Präbiotika, die rechtlich nicht zu den Futtermittelzusatzstoffen zählen, durch einen Einfluss auf das Mikrobiom, insbesondere die Bildung von kurzkettigen Fettsäuren beeinflussen können (Rehman et al. 2008). Weitere Futtermittelzusatzstoffe, deren Einsatz zur Stabilisierung der Darmfunktion möglich ist, sind insbesondere die organischen Säuren, weiterhin können unter bestimmten Bedingungen auch Enzyme zu einer Verbesserung der Futterverträglichkeit und einer Reduktion von Durchfallerkrankungen führen. Ein intensives Forschungsfeld stellen auch die sogenannten phytogenen Zusätze dar, die einerseits als Aromastoffe, andererseits aber aufgrund ihrer potentiellen Wirkung auf das Mikrobiom von Interesse sind. Hier liegen allerdings in der Literatur viele widersprüchliche Ergebnisse vor. Organische Säuren bzw. deren Salze sind seit vielen Jahren bewährt und zur Prävention von Hygienemängeln bzw. auch aufgrund ihrer nutritiven Wirkung im Einsatz. Auch sie haben in gewissem Umfang regulierende Effekte auf das Mikrobiom und können insofern die Tiergesundheit stabilisieren (Van Immerseel et al. 2006). Schlussfolgerung Aktuelle Untersuchungen zur Mikrobiom beim Geflügel zeigen eine wichtige und wissenschaftlich weiter aufzuklärende Bedeutung für die Tiergesundheit und die Leistung. Die Fütterung hat eine Schlüsselrolle bei der Beeinflussung des Mikrobioms, die Empfehlungen für die Praxis lauten daher, eine bedarfsdeckende Fütterung 290 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Nutzgeflügel ___________________________________________________________________________________________________________ mit einer vollen Sicherung der Nährstoffaufnahme sicherzustellen und Komponenten einzusetzen, die für das Tier optimal verträglich und verdaulich sind und das Mikrobiom in günstiger Weise beeinflussen. Futtermittelzusatzstoffe können unterstützend wirken, sind aber als alleinige Maßnahme kein Ersatz für grundlegende Korrekturen in der Ernährung. Literatur 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. Borda-Molina D, Seifert J, Camarinha-Silva A (2018). Current Perspectives of the Chicken Gastrointestinal Tract and Its Microbiome. Comput Struct Biotechnol J 16: 131-139. Bortoluzzi C, Rochell SJ, Applegate TJ (2018). Threonine, arginine, and glutamine: Influences on intestinal physiology, immunology, and microbiology in broilers. Poult Sci 97: 937-945. Broom LJ, Kogut MH (2018). The role of the gut microbiome in shaping the immune system of chickens. Vet Immunol Immunopathol 204: 44-51. Clavijo V, Flórez MJV (2018). The gastrointestinal microbiome and its association with the control of pathogens in broiler chicken production: A review. Poult Sci 97: 1006-1021. Cowieson AJ (2022). Comparative biology of germ-free and conventional poultry. Poult Sci 101: 102105. Dittoe DK, Olson EG, Ricke SC (2022). Impact of the gastrointestinal microbiome and fermentation metabolites on broiler performance. Poult Sci 101: 101786. Jha R, Mishra P (2021). Dietary fiber in poultry nutrition and their effects on nutrient utilization, performance, gut health, and on the environment: a review. J Anim Sci Biotechnol 12: 51. Kikusato M (2021). Phytobiotics to improve health and production of broiler chickens: functions beyond the antioxidant activity. Anim Biosci 34: 345-353. Murugesan GR, Syed B, Haldar S, Pender C (2015). Phytogenic Feed Additives as an Alternative to Antibiotic Growth Promoters in Broiler Chickens. Front Vet Sci 2: 21. Neveling DP, Dicks LMT (2021). Probiotics: an Antibiotic Replacement Strategy for Healthy Broilers and Productive Rearing. Probiotics Antimicrob Proteins 13: 1-11. Oakley BB, Lillehoj HS, Kogut MH, Kim WK, Maurer JJ, Pedroso A, Lee MD, Collett SR, Johnson TJ, Cox NA (2014). The chicken gastrointestinal microbiome. FEMS Microbiol Lett 360: 100-112. Rehman H, Böhm J, Zentek J (2008). Effects of differentially fermentable carbohydrates on the microbial fermentation profile of the gastrointestinal tract of broilers. J Anim Physiol Anim Nutr (Berl) 92: 471-480. Ricke SC (2021). Prebiotics and alternative poultry production. Poult Sci 100: 101174. Röhe I, Zentek J (2021). Lignocellulose as an insoluble fiber source in poultry nutrition: a review. J Anim Sci Biotechnol 12: 82. Rychlik I (2020). Composition and Function of Chicken Gut Microbiota. Animals (Basel) 10. Van Immerseel F, Russell JB, Flythe MD, Gantois I, Timbermont L, Pasmans F, Haesebrouck F, Ducatelle R (2006). The use of organic acids to combat Salmonella in poultry: a mechanistic explanation of the efficacy. Avian Pathol 35: 182-188. Wu SB, Stanley D, Rodgers N, Swick RA, Moore RJ (2014). Two necrotic enteritis predisposing factors, dietary fishmeal and Eimeria infection, induce large changes in the caecal microbiota of broiler chickens. Vet Microbiol 169: 188-197. Zhang B, Lv Z, Li H, Guo S, Liu D, Guo Y (2017). Dietary l-arginine inhibits intestinal Clostridium perfringens colonisation and attenuates intestinal mucosal injury in broiler chickens. Br J Nutr 118: 321-332. Kontakt Prof. Dr. Jürgen Zentek; Institut für Tierernährung, Freie Universität Berlin juergen.zentek@fu-berlin.de 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 291

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Nutzgeflügel ___________________________________________________________________________________________________________ Können Impfungen einen Beitrag zur Darmgesundheit des Geflügels leisten? Arne Jung Klinik für Geflügel, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover Der Magen-Darmtrakt des Geflügels besteht aus Ösophagus, Kropf, Drüsenmagen, Muskelmagen, Duodenum, Jejunum, Ileum, den Blinddärmen und dem Enddarm. Er weist im Vergleich zum Säuger einige Besonderheiten auf. Beispielsweise findet die Nahrungszerkleinerung erst im Muskelmagen statt und die bakterielle Verdauung erfolgt in den paarigen Blinddärmen. Die Darmgesundheit kann durch eine Reihe Nicht- infektiöser Ursachen gestört werden, wie beispielsweise antinutritive Futterinhaltsstoffe, Hitzestress oder durch Arzneimittelnebenwirkungen. Außerdem verursachen verschiedene parasitäre, bakterielle und virale Erreger Darmentzündungen. Zu den wichtigsten Erregern gehören dabei Kokzidien, verschiedene Wurmarten, Histomonas meleadridis, Clostridium perfringens, Brachyspiren, das Hämorrhagische Enteritis Virus sowie Corona-, Rota- und Astroviren. Neben der Therapie mit Chemotherapeutika, der prophylaktischen Verabreichung von Pre-, Pro- und Synbiotika, organischen Säuren und Phytobiotika und Managementmaßnahmen wie Reinigung und Desinfektion sowie Auslaufpflege sind Interventionsmaßnahme gegen Darminfektionserreger. Impfungen eine wichtige Die Kokzidiose ist eine der bedeutendsten Geflügelkrankheiten überhaupt und sicherlich die wichtigste Darminfektion bei Hühnern. Seit Jahrzehnten werden Kokzidiostatika als Futterzusatzstoffe zur Vorbeugung eingesetzt. Die prophylaktische Applikation von Arzneimitteln wird gesellschaftlich zunehmend kritisch gesehen und hat tatsächlich auch gravierende Nachteile, z.B. hinsichtlich der Entwicklung von Resistenzen. Seit einigen Jahren stehen als Alternative zugelassene Kokzidienimpfstoffe zur Verfügung. Weltweit dominieren dabei nicht- attenuierte Impfstoffe, während in der EU ausschließlich attenuierte Impfstoffe erhältlich sind. In Deutschland sind momentan sieben Kokzidienimpfstoffe zugelassen, die bei Masthühnern, Junghennen und Elterntiernachzuchten eingesetzt werden können. Als Vorteil der Impfstoffapplikation ist ganz klar die Reduktion von Kokzdiostatika und Chemotherapeutika und die Verhinderung der Resistenzentwicklung zu nennen. Nachteilig ist der Verbrauch von Hühnern bei der Impfstoffproduktion und die damit verbundenen hohen Kosten der Impfstoffe, mögliche Nebenwirkungen, der nicht vorhandene Schutz gegen neu beschriebene Eimeria-Arten sowie die Erschwerung der Diagnostik, da Impfkokzidien mit konventionellen Methoden nicht von Feldkokzidien unterschieden werden können. Die Impfstoffe werden als Grobspray auf die Küken oder das Futter oder über das Trinkwasser verabreicht. Für eine erfolgreiche Impfung sind neben der Impftechnik auch der Zugang zum Kot sicherzustellen, da für eine ausreichende Immunantwort mehrere Replikationszyklen notwendig sind. Für die bei Geflügel vorkommenden Wurmarten gibt es bisher keine Impfstoffe. Gegen Histomonas meleagridis schützen experimentell attenuierte Lebendimpfstoffe, die aber bisher noch keine Marktreife erreicht haben. Gegen Clostridium perfringens, den Erreger der Nekrotisierenden Enteritis, gibt es in den USA einen Vektorimpfstoff (Avert NE), der auf einem rekominanten attenuierten Salmonella Stamm basiert, der Gene enthält, welche für das α-Toxin und das NetB-Toxin kodieren. In der EU ist dieser Impfstoff aber bisher nicht zugelassen. Gegen die hämorrhagische Enteritis der Pute, die durch ein Adenovirus verursacht wird, wird seit Jahren mit Lebendimpfstoffen erfolgreich geimpft, allerdings scheinen die Impfstoffe nicht immer einen Schutz gegen die immunsuppressiven Eigenschaften des Virus zu vermitteln. Weitere bakterielle und virale Erreger haben hinsichtlich Darmerkrankungen eine untergeordnete Bedeutung und es stehen auf keine zugelassenen Impfstoffe für diese Erkrankungen zur Verfügung. In Einzelfällen besteht allerdings inzwischen auch für virale Erreger die Möglichkeit der Herstellung von bestandspezifischen Vakzinen. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass Darminfektionen sehr häufig bei Geflügel vorkommen, insbesondere bei jungen Tieren. Verschiedene parasitäre, bakterielle und virale Erreger können dafür verantwortlich sein. Zugelassene Impfstoffe stehen für die Kokzidiose bei Hühnern und die Hämorrhagische 292 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Nutzgeflügel ___________________________________________________________________________________________________________ Enteritis bei Puten zur Verfügung. Aufgrund von Einschränkungen in der Chemotherapie und –prophylaxe werden Impfungen in der Zukunft noch an Bedeutung gewinnen. Neue Impfstofftechnologien werden dabei voraussichtlich zu besseren Impfstoffqualität und Impfstoffauswahl führen, was auch den Bereich von Darminfektionen betreffen wird. Kontakt Dr. Arne Jung; Klinik für Geflügel, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover arne.jung@tiho-hannover.de 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 293

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Nutzgeflügel ___________________________________________________________________________________________________________ Das Grüne Leber Syndrom bei ökologisch gehaltenen Mastputen – Evaluation der infektiösen Ursachen Larissa Cuta, Volker Schmidt Klinik für Vögel und Reptilien, Universität Leipzig Bisherige Kenntnisse Im Zuge der vom Bundeministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) geförderten umfangreichen statistischen Erhebungen wurde der Gesundheitsstatus von konventionell und ökologisch gehaltenen Mastputen erfasst, um vorkommende Erkrankungen als Indikatoren für die Einhaltung der Tierwohlstandards zu implementieren. In diesen Studien konnte festgestellt werden, dass ökologisch gemästete Kelly Broad Breasted Bronze (BBB)-Puten im Vergleich zu konventionell gemästeten B.U.T. 6-Puten eine signifikant (p < 0,05) erhöhte Prävalenz für eine Grünfärbung der Leber (GL) aufwiesen. Diese wurde bei 34,8 % der Kelly- Hähne und 33,2 % der Kelly-Hennen gefunden, und somit um ein neunfaches über dem Anteil betroffener B.U.T. 6-Puten aus der konventionellen Haltung lag (vgl. B.U.T. 6-Hennen: 4,4 %; B.U.T. 6-Hähne 3,8 %) (1,2). Die GL und pathologische Läsionen am Bewegungsapparat werden bei Puten in einem Kontext als Turkey- Osteomyelitis-Komplex (TOC) bzw. Grünen-Leber-Syndrom beschrieben (3-5). Die Erkrankung tritt primär im Alter zwischen 9 und 20 Mastwochen auf und kann insbesondere aufgrund von Verwürfen am Schlachthof zu wirtschaftlichen Verlusten führen (3,5). Ein Zusammenhang von Gelenksveränderungen und GL innerhalb der Schlachtpartien konnte auch in den vom BMEL geförderten Studien ermittelt werden, sodass besonders Kelly BBB-Hennen mit einer GL signifikant häufiger von makroskopisch sichtbaren pathologischen Veränderungen an den Gelenken betroffen waren (ρ = 0,735, p = 0,024, n = 9) (2). Die genaue Ätiologie, Pathogenese und Konsequenzen der GL bei ökologisch gemästeten Puten sind bisher unzureichend beschrieben. Bei konventionell gehaltenen Puten wird von einem multifaktoriellen Geschehen ausgegangen, bei welchem insbesondere der Tierstress, das Immunsystem und eine initiale bakterielle Entzündung der Knochen und Gelenke als begünstigende Faktoren genannt werden. Ob die in diesem Zusammenhang häufig nachgewiesenen Bakterien (Staphylococcus aureus, Escherichia coli) oder das Immunsystem die größere Bedeutung bei der Pathogenese haben, wird in der Literatur ausgiebig diskutiert (3,4,6,7). Aufgrund der hohen Prävalenzen für GL bei den ökologisch gehaltenen Mastputen und der bisher unklaren Relevanz für die Tiergesundheit, das Tierwohl und den Verbraucherschutz, wurde eine explorative Studie zur Ätiologie von Leberveränderungen bei Mastputen unter den Bedingungen der ökologischen Geflügelmast durchgeführt (8). Ein Teil dieser Arbeit stellte die Evaluation der potentiell infektiösen Ursachen dar, welche im Folgenden präsentiert werden sollen. Die folgenden Daten entstammen aus dem Abschlussbericht der oben genannten Studie (8), sowie der daraus hervorgegangenen Dissertationsschrift von Larissa Cuta (9). Tiere, Material und Methoden In der vorliegenden Studie wurden insgesamt 343 Bronze-Hennen einer Cartier Genetik aus fünf verschiedenen Mastbeständen in jeweils zwei Durchgängen mit je zwei Untersuchungsterminen (U1 = 70.– 75. Masttag, U2 = 120. – 127. Masttag) klinisch und pathologisch-anatomisch untersucht. Bei jeweils sechs Hennen ohne und, falls GL vorhanden, bis zu sechs Hennen mit GL schließen sich pathologisch-histologische, mikrobiologische, parasitologische und virologische Untersuchungen an. Insgesamt wurden 130 Hennen weiterführend untersucht. Die statistischen Berechnungen wurden je nach Skalierung, Verteilung und Homoskedastizität der Daten als Korrelationsberechnungen (Korrelationskoeffizient nach Bravais-Pearson, Spearman'scher Rangkorrelationskoeffizient) und Hypothesentests (Chi-Quadrat-Test, ungepaarter t-Test, Mann-Whitney-U-Test) durchgeführt. Im Vergleich mehrerer Gruppen wurde eine einfaktorielle ANOVA bzw. der Kruskal-Wallis-Test mit sich jeweils anschließendem Tukey Post-Hoc Test oder Games-Howell Post-Hoc Test implementiert. Das Signifikanzniveau lag bei p ≤ 0,05. 294 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Nutzgeflügel ___________________________________________________________________________________________________________ Ergebnisse Bei insgesamt 9,0 % (95 %-KI [0,06;0,12]) der untersuchten Hennen konnte im Zuge der pathologisch- anatomischen Untersuchungen eine GL gefunden werden. Somit zeigte sich, dass sich die Prävalenz im Vergleich zu den Vorstudien (vgl. 33,2 % bei den Kelly-Hennen) deutlich verringert hat. Dennoch fanden sich zwischen den einzelnen Beständen Schwankungen zwischen 0,0 % bis 68,4 %. Pathomorphologisch zeigten die GL im Vergleich zu physiologischen Lebern signifikant häufiger eine Infiltration von Entzündungszellen (U1 p ≤ 0,05, U2 p ≤ 0,05) und waren signifikant schwerer (U1 p ≤ 0,05, U2 p ≤ 0,01). Hennen mit GL wiesen zu beiden Untersuchungszeitpunkten ein signifikant geringeres Körpergewicht auf (U1 p ≤ 0,05, U2 p ≤ 0,001). Zu U1 waren bei Hennen mit einer GL signifikant häufiger entzündliche Reaktionen im Dünndarm festzustellen (p ≤ 0,001). Zu U2 wiesen Hennen mit GL signifikant häufiger makroskopische (p ≤ 0,001) und histologische (p ≤ 0,05) Knochenläsionen auf. Die kausale Pathogenese unterscheidet sich zwischen den zwei Untersuchungszeitpunkten. Der Nachweis des immunsupprimierenden Hämorrhagischen Enteritis-Virus (HEV) korrelierte signifikant mit der GL in der frühen Mastphase (p ≤ 0,001). Weiterhin wiesen die Hennen mit HEV-Infektion signifikant häufiger pathologische Veränderungen in Milz (Splenomegalie zu U2 p ≤ 0,001) und Duodenum (katarrhalische Duodenitis zu U1 p ≤ 0,001) auf. Zu U2 manifestierte sich bei Hennen mit GL eine signifikant reduzierte Gewichtsentwicklung (p ≤ 0,001). Die HEV positiven ungeimpften Hennen zeigten die höchsten Prävalenzen für GL zu beiden Untersuchungen (U1 = 35,9 %, U2 = 20,0 %), sowie die höchste mittlere Mortalitätsrate (9,15 %). Zu U1 konnten bei diesen Hennen die höchsten relativen Milzgewichte (0,12 %) und die für das HEV charakteristischen Einschlusskörper in Milz und Duodenum gefunden werden. Darüber hinaus wiesen diese Hennen zu U2 die höchsten Prävalenzen für pathologische Veränderungen am Bewegungsapparat (20,0 %) auf. Zu U2 korrelierten die GL signifikant mit dem Vorhandensein von makroskopischen Läsionen des Bewegungsapparats (p ≤ 0,001) sowie einer aseptischen Osteomyelitis (p ≤ 0,05). Somit kann bei den älteren Puten in wesentlichen Punkten vom klassischen TOC und einem akuten Entzündungsgeschehen gesprochen werden. Bei einer Henne mit einer GL gelang zusätzlich der Nachweis von Staphylococcus aureus aus multiplen Organen und dem Kniegelenk. Ein signifikanter Zusammenhang zu intra- oder extraintestinal nachgewiesenen Bakterien ergab sich jedoch nicht. Diskussion Zusammenfassend bestätigen die Befunde dieser Studie die bisherigen Angaben in der Literatur: Das Grüne-Leber-Syndrom scheint ein multifaktorielles Geschehen zu sein. Die GL deutet auf einen übergeordneten pathologischen Zustand, welcher einen Indikator für eine verminderte Tiergesundheit und auch das Tierwohl darstellt. Eine Relevanz für den Verbraucher ergibt sich nicht zu Letzt dadurch, dass auch entsprechend der Literatur regelmäßig Bakterien (Escherichia coli, Staphylococcus aureus) aus den Läsionen nachgewiesen werden können. Sowohl die Erreger selbst, als auch die durch sie gebildeten Toxine spielen aus Sicht der Lebensmittelsicherheit eine wichtige Rolle. In Bezug auf das HEV konnte ein negativer Effekt auf die Tiergesundheit inklusive häufig vorkommender GL nachgewiesen werden. Somit stellt die HEV-Impfung eine Möglichkeit dar diesen Faktoren auch langfristig vorzubeugen. Da die Untersuchungen dieser Studie explorativ und somit sehr praxisnah durchgeführt wurden, wären Untersuchungen unter standardisierten Bedingungen für die Evaluation der Ätiologie und Pathogenese jedoch sinnvoll. Literatur 1. 2. 3. Krautwald-Junghanns ME, Fehlhaber K, Bartels T et al. Bundesanstalt für Landwirtschaft (BLE), Hrsg. Abschlussbericht zum Forschungsauftrag 06HS015 „Indikatoren einer tiergerechten Mastputenhaltung“. Klinik für Vögel und Reptilien, Leipzig, Deutschland vom 30. Juni 2009. Krautwald-Junghanns ME, Bartels T, Berk J et al. Bundesprogramm Ökologischer Landbau und andere Formen nachhaltiger Landwirtschaft (BÖLN), Hrsg. Abschlussbericht zum Forschungsauftrag 2812OE030 „Indikatoren einer Tiergerechten Mastputenhaltung unter den Bedingungen der ökologischen Geflügelmast“. Klinik für Vögel und Reptilien, Leipzig, Deutschland vom 30. April 2017. Bayyari GR, Huff WE, Norton RA et al. A longitudinal study of green-liver osteomyelitis complex in commercial turkeys. Avian Dis. 1994;38(4):744–54. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 295

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Nutzgeflügel ___________________________________________________________________________________________________________ 4. 5. 6. 7. 8. 9. Mutalib A, Miguel B, Brown T et al. Distribution of arthritis and osteomyelitis in turkeys with green liver discoloration. Avian Dis. 1996;40(3):661–4. Huff GR, Huff WE, Rath NC, Balog JM. Turkey osteomyelitis complex. Poult Sci. 2000;79(7): 1050–56. Droual R, Chin RP, Rezvani M. Synovitis, osteomyelitis, and green liver in turkeys associated with Escherichia coli. Avian Dis. 1996;40(2):417–24. Huff GR, Huff WE, Balog JM et al. The effect of a second dexamethasone treatment on turkeys previously challenged in an experimental Escherichia coli respiratory model of turkey osteomyelitis complex. Poult Sci. 1999;78(8):1116–25. Krautwald-Junghanns ME, Bartels T, Berk J et al. Bundesprogramm Ökologischer Landbau und andere Formen nachhaltiger Landwirtschaft (BÖLN), Hrsg. Abschlussbericht zum Forschungsauftrag 2819OE059 „Untersuchungen zur Ätiologie von Leberveränderungen bei Mastputen unter den Bedingungen der ökologischen Geflügelmast“. Klinik für Vögel und Reptilien, Leipzig, Deutschland vom 23. August 2022. Cuta, L. Explorative Studie zu infektiösen Ursachen für das Grüne-Leber-Syndrom bei ökologisch gehaltenen weiblichen Bronze-Puten (Meleagris gallopavo) einer Cartier-Genetik [Dissertation med. vet]. Universität Leipzig; 2023. Kontakt Dr. Larissa Cuta, Klinik für Vögel und Reptilien, Universität Leipzig Larissa.Cuta@vogelklinik.uni-leipzig.de 296 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Nutzgeflügel ___________________________________________________________________________________________________________ Charakteristika der Haltung von Fleischtauben, Wachteln, Perlhühner, Fasanen und Wildenten Manfred Golze Leisnig / Sachsen Einleitung Sonder- oder Spezialgeflügel gewinnt gegenwärtig an Bedeutung. Aus diesem Grund werden Sachkundelehrgänge dazu angeboten. Die DLG hat DLG-Kompakt für die einzelnen Geflügelarten erstellen lassen. Geschichtlich wurde es schon immer genutzt. Schon mancher Hobbygeflügelhalter ist über das Sondergeflügel zum Nebenerwerbslandwirt, später Landwirt geworden. Das Spezialgeflügel stellt insgesamt eine Nischenproduktion dar, obwohl es in einigen Ländern wie Frankreich, Italien, den USA oder auch Ungarn Spezialbetriebe mit größeren Produktionseinheiten gibt. Ausgewählte Gründe für die Haltung von Sondergeflügel In Deutschland können als wesentliche Gründe für die Erzeugung von Sonderformen genannt werden: • Ergänzung der Produktpalette in der Direktvermarktung über das Sondergeflügel; dabei zählt dies • oftmals als werbewirksam und dient der Pflege der Kunden kostengünstige Nutzung von Altbausubstanz und zum Teil auch von anderweitig nicht bewirtschaftbaren Flächen; auf Grund des teilweise saisonalen Charakters bzw. bei begrenzten Zeitfonds sind auch vorübergehend leer stehende Ställe verwertbar. • Alternative bei vorhandener freier Arbeitszeit • • zusätzliche Erwerbsmöglichkeit im ländlichen Raum sinnvolle Freizeitgestaltung im Hobbybereich Es soll die Haltung von Fleischtauben, Wachteln, Perlhühner, Fasanen und Wildenten, häufig anzutreffende und in Aufbau befindliche Haltungen in Kurzform charakterisiert werden. Haltung Fleischtauben Zuchttauben müssen paarweise gehalten werden, im Verhältnis 1:1. Die Nutzungsdauer beträgt in den meisten Fällen 5 Jahre. Die Zuchtreife beginnt in der Regel mit 6 Monaten, je Gelege werden meist 2 Eier gelegt. Nach einer Brutdauer von 18 Tagen schlüpfen die noch blinden Jungtäubchen die etwa 30 Tage als Nesthocker durch ihre Eltern versorgt werden müssen. Diese Besonderheit der Brut und Aufzucht der "Nesthocker" fordert eine besondere Haltung. Es hat sich empfohlen, die Schlagabteile mit 20 bis maximal30 Paaren zu bestücken. Dabei wird ein Stallplatzbedarf von 0,5 bis 1 m² Grundfläche je Paar erforderlich. Bei einer zusätzlichen Voliere am Abteil kann der Bestand auf 3 bis 3,5 Paar je m² Fläche erhöht werden. Die Haltung hat sich besonders auf Gitter- oder Drahtrosten bewehrt. Es muss jedoch genügend Einstreumaterial für den Nestbau vorhanden sein. Pro Zuchtpaar müssen 2 Nester oder eine Doppelnistzelle zur Verfügung gestellt werden. Trockene, warme und sonnige Schläge werden von den Tieren bevorzugt. Durch Lichtprogramme und zusätzliche Wärmequellen im Winter kann die Leistung der Paare erheblich verbessert werden. Bezüglich Ausrüstung, so auch Tränken und Tröge wurde von den Fleischtaubenerzeugern sehr viel Pionierarbeit geleistet. Aber auch handelsübliche Stülptränken oder Automatiktränken aus der Wirtschaftsgeflügelproduktion können Verwendung finden. In der Fütterung stellen die Tauben eine Besonderheit dar. Die Jungtiere/Nesthocker werden in den ersten 5 bis 6 Tagen ausschließlich, und bis zum 10. Lebenstag durch die Elterntiere mit Kropfmilch, einem Sekret der Kropfschleimhaut, versorgt. Ab 5. Tag beginnt die zusätzliche Fütterung mit Getreide oder Fertigfutter. Sie erhalten somit das gleiche Futter wie die Alttiere. Bis zum Ausfliegen mit dem 28. bis 30. Tag sind sie auf die Elterntiere angewiesen. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 297

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Nutzgeflügel ___________________________________________________________________________________________________________ Haltung von Mast- und Legewachteln In Europa wurde die Wachtel bis ins 20. Jh. als Ziervogel nur wegen des Wachtelschlages des Hahnes gehalten. Ab den 20. Jahrhundert bestand das Interesse an Legewachteln zur Eierproduktion und auch an Mastwachteln. Die Haltung wird z.Zt. noch differenziert gestaltet. Die Aufzucht kann in Bodenhaltung aber auch auf Gitterrosten mit 12 bis 15 mm Maschenbreite erfolgen. In der Literatur wird empfohlen in den ersten Tagen grobes Zeitungspapier, welches man laufend wechseln kann, als „Einstreu“ zu verwenden, später Späne und auch Sand (1). Die Küken haben in den ersten Tagen einen hohen Temperaturanspruch von 34°C bis 36° C. Die Temperatur sollte in den ersten 14 Tagen dann täglich um 1° C reduziert werden. Ab Beginn 3. Woche können sie in Stalltemperaturen mit 22° C hervorragend gehalten werden. Für Legewachteln ist in den ersten 2 Wochen ein Stallplatz von 80 cm² je Tier oder 120 Küken je m² und für Mastwachtel von 125 cm² je Tier und 80 Küken je m² zu empfehlen. Ab 4. Woche muss der Platz erweitert werden auf 125 cm² bzw. 170 cm² je Küken. In den ersten Wochen werden 20 Stunden Licht, später ab der 3. Woche mit 14 Stunden Licht am Tag gearbeitet. Am Futtertrog sollten 3 cm Fressbreite pro Tier vorhanden sein. Haltung von Perlhühnern Die Haltung der Perlhühner erlebt eine Renaissance im starken Maße zur Fleischproduktion. In Frankreich werden jährlich über 50 Mill. Perlhuhnküken auch für die Deutschen Mäster erbrütet. Der "Europäische Perlhuhn verband" bewirbt intensiv mit vielen Aktivitäten das Perlhuhn für die gehobene Gastronomie. Die Haltung von Perlhühnern ist einfach zu gestalten. Die Aufzucht und Mast dauert in der Regel 12 Wochen, wobei die Möglichkeit besteht, bereits mit der 6.Woche Tiere vorab auszustallen und zu schlachten. Dieses ist für die Produktion sehr günstig, wenn der Markt besteht und diese jungen Tiere mit einem Gewicht über 800 g in der Gastronomie oder anderweitig als Rebhuhnersatz zum Einsatz kommen. Ansonsten ist es sinnvoll die Tiere mit 10 oder 12 Wochen bei einem optimalen Mastendgewicht um die 1,8 kg zu nutzen. Die Erzeugung von Mastperlhühnern kann hervorragend in Altbausubstanzen erfolgen. Sie werden in Bodenhaltung auf Häckselstroh oder Hobelspäne gehalten. Auf Grund ihrer afrikanischen Heimat ist sicher der hohe Temperaturanspruch der Perlhühner begründet. Perlhühner sollen in der ersten Woche unter dem Strahler Temperaturen von 36° C bis 38° C, in der 2. Woche 34° C, der 3.Woche 32° C und in der 4. Woche 30° C aufweisen. Ab der 5. Woche kann die Temperatur auf 28° C und ab der 6. Woche 26° C verringert werden. Auch der Stall muss entsprechende Umgebungstemperaturen aufweisen, wobei es sich gezeigt hat, dass das Wohlbefinden und die Futterverwertung besonders günstig bei Stalltemperaturen bis zur Endmast von 25° C bis 26° C sich erwiesen haben. Als Stallplatz wird empfohlen in den ersten 3 Wochen maximal 40 Tiere je m² zu halten. In Deutschland wird danach gefordert, dass bis zur Endmast die Zahl von 7 Tieren je m² nicht überschritten wird. Empfehlungen des französischen Managements der Perlhuhnmast geben als obere Grenze 23 bis 24 kg Gewicht je m² an. Da die Tiere sehr scheu und schreckhaft sind werden nicht nur die Küken in Kükenringen gehalten, sondern sollten auch die Mastperlhuhngruppen in kleinere Gruppen unterteilt und die Ecken der Ställe abgerundet oder mit Netzen abgehängt werden. Darüber ist ein durchgängiges Lichtprogramm Von der Einstallung bis zur Ausstallung erforderlich. Hier gibt es verschiedene Empfehlungen. In der Regel wird vom ersten Tag an mit 23 Stunden/Tag und 30 Lux begonnen. Sie werden bis zur 5. Lebenswoche nicht zeitlich aber auf 5 Lux zurückgefahren. Es gibt auch Programme bei denen das Lichtprogramm ab der 4. Woche auf 18 Stunden reduziert wird oder Intervallprogramme mit 4 x 5 Stunden/Tag angewendet werden. Tröge und Tränken sind dem Alter der Tiere anzupassen. In der Mast werden pro Tier 5 cm Trogkante gerechnet. Haltung von Fasanen Die Fasanen zählen zu den längst von Menschen gehaltenen Hühnervögeln 2). Besonders in der Direktvermarktung wird zunehmend die Möglichkeit genutzt, die Angebotspalette zu erweitern und damit attraktiver zu gestalten. Auch heute werde Fasane aufgezogen zur Fleischproduktion, aber zunehmend auch zum Auswildern. Die Fasanenküken sind relativ empfindlich gegenüber Nässe und Kälte, sehr scheu und etwas ängstlich. Die Aufzucht in den ersten 6 Wochen erfolgt im Stall, in eingestreuten Kükenringen. Für 100 Küken benötigt man in den ersten 4 Wochen einen Ring von 2,5 m² Durchmesser. In Deutschland erfolgt die Aufzucht in der 298 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Nutzgeflügel ___________________________________________________________________________________________________________ Regel in Bodenhaltung. Die Nutzung von Altbausubstanz mit angeschlossenen Volieren eignet sich hervorragend. Wichtig ist, dass die Stallanlagen besonders in den ersten Wochen sehr trocken sind. Bezüglich Temperatur sind die jungen Fasane in den ersten 2 Wochen gleichfalls sehr empfindlich. Die Temperaturen werden von der ersten Woche 35° C bis 32° C, über 30° C in der 2 Woche auf 28° C in der 3. Woche und dann bis auf etwa 18° C bis 20° C in der 28. Woche herabgesenkt. Als Platzbedarf werde in der ersten Woche je m² 50 Fasane gehalten, danach aber der Platz sehr schnell vergrößert, indem 10 Tiere in der 4. bis 6. Woche, 7 Tiere in der 7. bis 10. Woche, 5 Tiere in der 11. bis 14. Woche und ab der 15. Woche nur noch 3 Tiere je m² gehalten werden. Zwischen den Fasanen zum Auswildern und den Fasanen zur Fleischproduktion gibt es in der Aufzucht noch Unterschiede. Auf jeden Fall haben die Tiere, die zum Auswildern vorgesehen sind, zeitig die Möglichkeit der Volierennutzung zu bekommen. Die Tiere benötigen relativ zeitig ausreichend Sitzstangen zum Aufbäumen. Bezüglich Lichtprogramm werden in den ersten 2 Wochen 20 Lux und ab der 3.Woche 10 bis 15 Lux angewendet. In kleinen Beständen kommen Stülptränken zur Anwendung, in größeren natürlich die Automatiktränken. Haltung von Wildenten Die Gewichte frischer Schlachtenten (Pekingente, Mularde, Flugente) sind für 1-2 Personenhaushalte meist zu hoch. Wildenten können diese Lücke ausfüllen. Auch die Gastronomie hat aus diesem Grund daran Interesse. In den ersten zwei Lebenswochen ist es ratsam, die Enten in Kükenringen mit Häckselstroh zu halten. Hier können 20 Tiere pro m2, eingestallt werden. In der ersten Woche ist eine Tränke mit einem Fassungsvermögen von 5 l ausreichend. In der zweiten Woche ist für 100 Küken eine höhenverstellbare Automatiktränke angebracht. Die Kükenringe sind außerdem in der ersten Woche mit Eierhöckern oder Brettchen, auf denen das Futter angeboten wird, und mindestens bis Ende der 2. Woche mit Wärmestrahlern auszustatten. Das Futter sollte dann ab der zweiten Woche in Rundtrögen mit einem breiten Rand verabreicht werden, da Stockenten, wie auch Wassergeflügel allgemein, aufgrund ihres Futteraufnahmeverhaltens zu Verschwendung neigen. Die Mast erfolgt ebenfalls in Bodenhaltung auf Häcksel- oder auch Langstroh. Da Enten mit dem angebotenen Tränkwasser gern spielen, ist darauf zu achten, dass insbesondere im Bereich der Tränken regelmäßig nachgestreut wird. In der 3. bis 5. Woche können pro m2 10 bis 12 Tiere gehalten werden. In der Endmast (6. bis 8. Woche) ist der Besatz auf 6 bis 8 Tiere je m2 zu reduzieren. Da nur in den ersten zwei Lebenswochen ein erhöhter Wärmebedarf bei den Küken besteht, können die Tiere ab der 3. oder 4. Woche einen Auslauf mit Bademöglichkeit, die wöchentlich zu reinigen ist, nutzen. Im Ausland, insbesondere in Frankreich, sind auch sehr extensive Mastverfahren üblich. Nach einer 14tägigen Aufzucht im Stall werden die Küken auf Inseln in Seen gehalten. Sie dienen hier oftmals auch dem Jagdvergnügen. In Deutschland ist das Auswildern von Stockenten jedoch nur mit Genehmigung gestattet. Stockenten sind als Wildgeflügel relativ robust und unproblematisch und stellen keine besonderen Ansprüche an Klima und Lüftung. Als Wildgeflügel passen sie sich schnell den Außentemperaturen an. Lediglich in den ersten zwei Lebenswochen haben die Küken einen hohen Temperaturbedarf. In der ersten Woche solle daher die Temperatur unter dem Strahler im Tierbereich 33 bis 35°C betragen. In der zweiten Woche kann die Temperatur um 3°C gesenkt werden und ab der 3. Woche ist bereits bei Raumtemperaturen von über 18°C keine zusätzliche Wärmequelle mehr nötig. Die Luftfeuchtigkeit sollte zwischen 70 und 80 % liegen. Die Belüftung der Ställe erfolgt über Fenster und Türen (freie Lüftung), wobei Zugluft zu vermeiden ist. Literatur 1. Köhler D. Wachtelhaltung-Zucht-Ernährung-Vermarktung Oertel+Spörer Verlags GmbH+Co.KG Reutlingen 2008 2. Gauly M. Landwirtschaftliche Fasanenhaltung Eugen Ulmer GmbH Co. Stuttgart (Hohenheim)1994 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 299

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Nutzgeflügel ___________________________________________________________________________________________________________ Tiergesundheit in Mobilstallhaltungen für Legehennen – MobiWohl Ute Knierim, Katrin Dorkewitz, Daniel Gieseke Fachgebiet Nutztierethologie und Tierhaltung, Universität Kassel, Witzenhausen Einleitung Relevante Gesundheitsprobleme bei Legehennen sind nicht nur Allgemeinerkrankungen, z.B. infektiöser Natur, sondern auch Schäden der Haut und des Gefieders durch Bepicken, Frakturen und Deformationen des Brustbeins, Beeinträchtigungen des Ernährungszustandes und Entzündungen der Fußballenhaut. Die aufgeführten Schäden treten in der Praxis regelmäßig auf und beeinträchtigen gleichzeitig das Wohlbefinden der Tiere durch Schmerzen, Funktionsbeeinträchtigung oder sie zeigen Verhaltensprobleme an. Daher werden sie auch als Tierwohlindikatoren angesprochen und verwendet (1). Das Ausmaß ihres Auftretens hängt stark von der Qualität des Managements, aber auch von den Haltungsbedingungen ab. Bezüglich der Haltung könnten die in den letzten Jahren verstärkt entwickelten und in der Praxis eingesetzten Mobilställe möglicherweise verbesserte Voraussetzungen bieten. Sie sind in den meisten Fällen mit deutlich kleineren Tiergruppen als in der stationären Haltung verbunden. Zudem ermöglicht die Mobilität der Ställe einen Wechsel zwischen verschiedenen Freilandflächen, der nicht nur übermäßige Nährstoffeinträge in den Boden begrenzen (2), sondern auch die Attraktivität der Flächen für die Hennen steigern und möglicherweise auch den Infektionsdruck auf den Flächen senken kann. Kleinere Gruppengrößen und attraktive Flächen tragen zu einer höheren Nutzung des Freilands bei (3), die wiederum das Risiko für die Verhaltensstörungen Federpicken und Kannibalismus deutlich senkt (4,5) und auch osteoporotische Prozesse mindern könnte (5). Auf der anderen Seite erhöht eine hohe Freilandnutzung auch die Wahrscheinlichkeit von Beutegreiferverlusten, die bei kleinen Beständen schnell mit hohen Prozentzahlen verbunden sein können. Die baulich begrenzten Möglichkeiten können im Stall auch die Risiken für Unfälle oder soziale Auseinandersetzungen steigern. Außerdem ist eine gute Klimaführung in den kleinen Ställen erschwert, was unter anderem zu Beeinträchtigungen der Einstreuqualität mit der Folge von Verschmutzung und Fußballenentzündungen führen kann. Auch wenn die in 2022 geschätzt 3,3 Mio. mobilen Geflügelplätze auf über 3000 Betrieben (van der Linde, persönliche Mitteilung) gegenüber den in 2020 statistisch erfassten 60,3 Mio. Legehennenplätzen auf 47.104 Betrieben mit über 3.000 Hennen (6) noch relativ gering erscheinen, befindet sich dieser Bereich in einer dynamischen Entwicklung. Derzeit sind bereits 16 Firmen auf dem deutschen Markt vertreten (van der Linde, persönliche Mitteilung), die verschiedene Mobilstalltypen hinsichtlich Bestandsgröße, Technisierungsgrad und Mobilität anbieten. Eine Überprüfung, ob die Erwartungen hinsichtlich positiver Gesundheitseffekte berechtigt sind und welche Bedingungen bei Stallbau und Management möglicherweise kritisch zu bewerten oder weiterzuentwickeln sind, ist daher ein Ziel des Projektes MobiWohl (Legehennen in Mobilställen: Chance oder Risiko für Tierwohl, Markt- und Bürgerakzeptanz?), das vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft im Zeitraum von Juni 2021 bis Mai 2024 gefördert wird. Zur Zeit des schriftlichen Beitrags steht noch eine von insgesamt vier Erhebungsrunden auf den Mobilstallbetrieben aus, so dass im Folgenden Zwischenergebnisse zu dieser Frage präsentiert werden. Tiere, Material und Methoden Insgesamt 43 Projektbetriebe (23 konventionell, 20 ökologisch) wurden im Zeitraum von Februar 2022 bis Dezember 2023 bislang dreimal in etwa halbjährigem Abstand zur Datenerhebung besucht. Wo es möglich war, wurden zu Projektbeginn junge Herden angeschaut, um diese noch mindestens ein zweites Mal beurteilen zu können. Bei der Auswahl der Betriebe war auf eine möglichst gleichmäßige Verteilung hinsichtlich Stalltyp (vollmobil, auf Rädern, ≤ 350 Tiere, vollmobil 450 – 700 Tiere, vollmobil ≥ 1000 Tiere, teilmobil (auf Kufen) ≤ 2500 Tiere) und Wirtschaftsweise (ökologisch/konventionell) geachtet worden, aber auch hinsichtlich der folgenden Kriterien: Außenklimabereich (Ja/Nein), automatisierte Fütterung (Ja/Nein), Scharrmöglichkeit im Stall (Ja/Nein), Bodenhaltung/Voliere (B/V), automatische Lüftung (Ja/Nein), Vorraum/Hygieneschleuse (Ja/Nein), Bodenplatte (Ja/Nein), autarker Betrieb möglich (Ja/Nein). Insgesamt wurden 12 verschiedene 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 303

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Nutzgeflügel ___________________________________________________________________________________________________________ Stallmodelle, drei je Stalltyp, einbezogen. Es wurden verschiedene Genetiken, teils in gemischten Herden (fünfmal), eingesetzt: überwiegend Hybridgenetiken, meist braunlegend, aber auch creme- oder weißlegend; in 3 Herden wurden Grünleger, ÖTZ Hennen (Coffee & Cream) bzw. Marans gehalten. Bei den Betriebsbesuchen wurden Kotproben zur parasitologischen Untersuchung genommen und eine Einzeltierbonitur von 50 Hennen nach dem Schema des MTool (7) durchgeführt und auf dieser Basis später Prävalenzen der einzelnen Schadensbilder berechnet. Insgesamt zwei geschulte Personen mit sehr guter Beurteilerübereinstimmung (Ø PABAK 0,88) erhoben jeweils die Daten auf der Hälfte der Betriebe. Außerdem erfassten sie detailliert die Haltungsbedingungen und anhand eines Fragebogens im Interview mit den Halter:innen Informationen zum Mobilstall-Management. Ergebnisse und Diskussion Im Vergleich mit Literaturwerten zur stationären Haltung waren die festgestellten Anteile von Hennen mit Tierwohlproblemen (Tabelle 1) etwas niedriger, aber die Hauptproblembereiche unterschieden sich nicht wesentlich. Tabelle 1: Prävalenzen von Tierwohlproblemen in Mobilställen, erhoben nach MTool (7) an Stichproben von jeweils 50 Hennen Tierwohlproblem Prävalenzen (%) Ø aller Besuche n=123 Prävalenzen (%) Besuch 1, Winter LW Ø 39, n=40 Prävalenzen (%) Besuch 2, Sommer LW Ø 49, n=42 Prävalenzen (%) Besuch 3, Winter LW Ø 61, n=41 Verletzungen Weichteile am Kopf Brustbeinschäden Kotverschmutzungen am Legebauch Gefiederschäden Hals Gefiederschäden Rücken Fußballenveränderungen Kotverschmutzungen am Rücken Kammfarbe blass Gefiederschäden Legebauch Gefiederschäden Flügel 44 33 24 19 12 9 13 12 5 5 42 41 17 15 18 18 11 8 8 6 56 45 16 20 20 16 15 8 10 7 48 39 19 18 16 13 13 9 8 6 Es wurden keine bedeutsamen Probleme mit Endoparasiten gefunden; vorwiegend Heterakis/Ascaridia- Eier konnten in 44 % der Herden in geringgradigem Umfang und in 3 % in mittelgradigem Umfang im Kot nachgewiesen werden. Auffällig war bezüglich der Gewichte der Tiere häufig eine geringe Uniformität (Mittel: 78,1 %), bei einer mittleren Sollgewichtserfüllung von nur 96,4 %; durchschnittlich 26,5 % der Tiere lagen dabei mehr als 10 % unterhalb des Sollgewichtes. Mögliche Ursachen wurden im Gespräch mit den Halter:innen diskutiert. Dabei wurde deutlich, dass in den Mobilställen die Lichtprogramme und Fütterungszeiten aus der Aufzucht entgegen der Empfehlung häufig nicht übernommen werden. Zudem gestaltet sich eine Phasenfütterung im Mobilstall schwierig, da oftmals keine Lagermöglichkeit für kleinere Mengen verschiedener Futtermischungen vorhanden ist und auch die Futterkosten dadurch steigen würden. Die tägliche Futteraufnahme ist zumeist nur grob über das Nachfüllintervall kontrollierbar, und die Gewichtsentwicklung der Tiere wird von vielen Betrieben nicht routinemäßig erfasst. Im Sommer ist zudem die Belüftung einiger Ställe so laut, dass die Hennen im Auslauf nicht hören können, wenn innen die Futterkette anläuft, so dass diese womöglich weniger Anreiz haben, Futter aufzunehmen. Dies sind einige Beispiele mobilstalltypischer Probleme, für die spezifische Ansatzpunkte für eine Verbesserung des Managements zu entwickeln sind, wobei auch die Varianz zwischen verschiedenen 304 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Nutzgeflügel ___________________________________________________________________________________________________________ Mobilstalltypen zu berücksichtigen ist. Weitere Beispiele sind die Begrenzung von Hitzestress bei hohen Außentemperaturen oder von negativen Effekten eines Aufstallungsgebots auf die Tiere. Ziel des Projektes ist es, unter Berücksichtigung dieser und weiterer Bereiche Managementempfehlungen zu erarbeiten, die es ermöglichen sollen, die beispielhaft genannten Probleme zu reduzieren, um die Vorzüge der Mobilstallhaltung für die Legehennen voll realisieren zu können. Der Managementleitfaden wird voraussichtlich ab Juni 2024 vorliegen und frei im Internet verfügbar sein. Literatur 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. Knierim U, Gieseke D, Michaelis S, Keppler C, Spindler B, Rauch E, Petermann S, Andersson R, Schultheiß U, Zapf R: Tierschutzindikatoren: Leitfaden für die Praxis – Geflügel. 2. Aufl. Darmstadt: KTBL; 2020. Fürmetz A, Keppler C, Knierim U, Deerberg F, Heß J: Legehennen in einem mobilen Stallsystem – Flächenmanagement und resultierende Stickstoffgehalte im Auslauf. In: Heß, J., Rahmann, G. (Hrsg.): Beiträge zur 8. Wissenschaftstagung Ökologischer Landbau, 01.-04.03.2005; Kassel, S. 313-315. Knierim U: Animal welfare aspects of outdoor runs for laying hens: a review. NJAS Wageningen Journal of Life Sciences. 2006;54:133-145, http://library.wur.nl/ojs/index.php/njas/article/view/1155/734. Jung L, Knierim U: Are practice recommendations for the prevention of feather pecking in laying hens in non-cage systems in line with the results of experimental and epidemiological studies? Appl Anim Behav Sci. 2018;200:1-12, http://dx.doi.org/10.1016/j.applanim.2017.10.005. EFSA AHAW Panel (EFSA Panel on Animal Health and Animal Welfare). Scientific Opinion on the welfare of laying hens on farm. EFSA Journal 2023;21(2): https://doi.org/10.2903/j.efsa.2023.7789. BLE. Statistik und Berichte des BMEL 2023. Betriebe mit Legehennenhaltung nach Bestandsgrößenklassen – Korrektur. https://www.bmel-statistik.de/fileadmin/daten/MBT-0117530-0000.xlsx Keppler C, Fetscher S, Hilmes N, Knierim U: MTool für Jung- und Legehennen. 2020, https://mud-tierschutz.de/mud- tierschutz/beratungsinitiativen/etablierung-eines-managementtools-bei-legehennen/mtool-fuer-jung-und-legehennen/. Kontakt Prof. Dr. Ute Knierim; Fachgebiet Nutztierethologie und Tierhaltung, Fachbereich Ökologische Agrarwissenschaften, Universität Kassel, Witzenhausen uknierim@uni-kassel.de 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 305

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Nutzgeflügel ___________________________________________________________________________________________________________ Umsetzung der Geflügelsalmonellen-Verordnung in mobilen Legehennenhaltungen Kristian Düngelhoef Tierarztpraxis an der Güterstraße GmbH & Co. KG, Hamminkeln Einleitung/Hintergrund War die mobile Tierhaltung bis vor einigen Jahren noch eine Sonderform der Legehennenhaltung und wenn überhaupt auf kleine Biobetriebe beschränkt, so hat diese Form der Tierhaltung in den letzten 10 Jahren einen echten Boom erlebt. Derzeit leben ca. 3 Mio. Legehennen in mobilen Ställen in Deutschland (geschätzt, da die statistische Erfassung MEG erst ab einer Bestandsgröße von 3000 Legehennen erfolgt). Auf den meisten dieser Betriebe werden mehr als 350 Legehennen gehalten, sodass diese Betriebe unter die Geflügelsalmonellenverordnung fallen. Die Durchschnittsgröße der im Bundesverband-Mobile-Geflügelhaltung (BVMG) organisierten Legehennenbetriebe beträgt sogar 1000 Legehennen. Die erzeugten Eier werden direkt an Endkunden oder an den Einzelhandel in der Region vermarktet. Die meisten Betriebe mit mobiler Legehennenhaltung gehören nicht dem KAT-System an. Mobile Legehennenhaltung stellt eine politisch gewollte, tierfreundliche Haltungsform dar, die dem Verbraucher regional auch Einblicke in die Tierhaltung bietet. Dennoch ist diese Haltungsform nicht unkompliziert in Hinblick auf die Erfüllung bestimmter rechtlicher Vorgaben. Die Geflügelsalmonellenverordnung (GflSalmoV), gültig seit dem 16.04.2009, nimmt in keinem Punkt Bezug auf Besonderheiten der mobilen Geflügelhaltung. Daher gelten die Anforderungen der GflSalmoV in gleicher Weise für Legehennenhalter mit Mobilställen wie für klassische Legehennenhalter mit Festställen. Vom Grundsatz her könnten mobile Legehennenhaltungen einem höheren Risiko von Salmonelleninfektionen ausgesetzt sein, da es sich in der Regel um Multiple-Age-Betriebe handelt, die baulichen Voraussetzungen grundsätzlich schwierig sind und die Legehennenhalter teilweise über wenig Fachwissen, was die Umsetzung der GflSalmoV anbelangt, verfügen. Andererseits könnte gerade der regelmäßige Standortwechsel einen hygienischen Vorteil bedeuten. Impfprophylaxe Während der Aufzucht sind Küken und Junghennen (ab 350 Junghennen auf einem Aufzuchtbetrieb, gemäß Definition in §1 GflSalmoV) mindestens gegen Salmonella Enteritidis (SE) mit einem hierfür zugelassenen Impfstoff zu impfen (§ 13 GflSalmoV). Gab es im vorangegangen Durchgang eine Infektion oder einen Verdacht auf eine Infektion mit Salmonella Typhimurium (ST), so sind die einzustallenden Junghennen auch gegen ST zu impfen. Findet keine ausreichende Trennung zwischen Altersgruppen auf dem Legehennenbetrieb statt, so sind auf dem Legehennenbetrieb einzustallende Junghennen ebenfalls sowohl gegen SE als auch gegen ST zu impfen (GflSalmoV, Anlage). Unter praktischen Gesichtspunkten ist eine solche strikte Trennung zwischen den Altergruppen meist nicht möglich. Daher sind für die mobile Legehennenhaltung auf Multiple-Age-Betrieben bestimmte Junghennen grundsätzlich gegen SE und ST zu impfen! Erwerb von Junghennen Gemäß § 19 der GflSalmoV dürfen nur Junghennen auf einem Legehennenbetrieb eingestallt werden, wenn diese maximal 14 Tage vor Verbringung auf den Legehennenbetrieb mit negativem Ergebnis auf Salmonellen der Kategorie 1 untersucht worden sind. Diese Vorgabe gilt sogar für Legehennenhaltungen mit weniger als 350 Legehennen, obwohl das gar keine Legehennenbetriebe im Sinne der Begriffsbestimmungen der GflSalmoV (§1) sind! Nachweise über die erfolgten Impfungen gegen SE und ggf. ST sind ebenfalls notwendig. Eigenkontrollen Der § 20 der GflSalmoV schreibt die regelmäßige Eigenkontrolle auf Salmonelleninfektionen vor, beginnend im Alter der Tiere von 24 Wochen (+/- 2 Wochen) und dann mindestens alle 15 Wochen. Für Betriebe mit 306 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Nutzgeflügel ___________________________________________________________________________________________________________ weniger als 1000 Tieren können diese Eigenkontrollen entfallen, sofern „dort Maßnahmen im Rahmen eines betriebseigenen Qualitätssicherungssystems zur Vermeidung der Ein- und Verschleppung von Salmonellen der Kategorie 1 durchgeführt werden“. Unter praktischen Gesichtspunkten ist die Einhaltung solcher Maßnahmen jedoch gerade für kleine Betriebe/kleine Ställe schwierig bis unmöglich, sodass auch Betriebe mit einer Legehennenzahl zwischen 350 und 999 Tieren Eigenkontrollen durchführen und die Untersuchungsergebnisse an das zuständige Veterinäramt weiterleiten müssen. Die einmal jährliche amtliche Kontrolle entfällt jedoch bei Betrieben mit weniger als 1000 Tieren. Bauliche Voraussetzungen In der Anlage der GflSalmoV, Abschnitt 2, werden die baulichen Voraussetzungen für eine Legehennenhaltung definiert. Grundsätzlich sollen Betriebsabteilungen (Altersgruppen) voneinander getrennt sein. „Auslaufhaltungen gelten baulich und lüftungstechnisch als getrennt, wenn sie an jeder Stelle mindestens 10 Meter voneinander entfernt sind“, was in mobilen Haltungsformen häufig nicht kontinuierlich Berücksichtigung findet. In solchen Fällen ist über das genannte Impfprogramm gegen SE und ST hinaus ein betriebseigenes System zur Qualitätssicherung unter Einbeziehung des Tierarztes zu erstellen. Dieses betriebseigene System zur Qualitätssicherung soll Maßnahmen zur Verminderung des Salmonelleneintrages in dem Hühneraufzuchtbetrieb oder dem Legehennenbetrieb ergriffen werden, insbesondere die regelmäßige Entfernung der verendeten Tiere aus den Haltungseinrichtungen, die Lagerung der Futtermittel in geschlossenen Räumen sowie die regelmäßige Reinigung und Desinfektion der Räume und Behältnisse, in denen die Futtermittel aufbewahrt werden. Für Mobilstallhalter am schwierigsten umzusetzen ist die Einrichtung einer adäquaten Hygieneschleuse. Legehennenhaltungen müssen über eine Hygieneschleuse verfügen. Hier hat ein Kleidungs- und Schuhwechsel vor Betreten des Stalls zu erfolgen. Händewaschen sowie Reinigung und Desinfektion von Gerätschaften müssen hier ebenfalls möglich sein. „Die Hygieneschleuse ist so einzurichten, dass sie regelmäßig nass gereinigt und desinfiziert werden kann. Die Hygieneschleuse muss über ein Handwaschbecken und einen Wasseranschluss mit Abfluss zur Reinigung und Desinfektion von Schuhen und Gerätschaften verfügen. Darüber hinaus müssen feste Vorrichtungen vorhanden sein, die eine getrennte Aufbewahrung der abgelegten Kleidung einschließlich des Schuhwerks ermöglichen, die in der reinen und unreinen Seite jeweils getragen werden.“ Für die sinnvolle Nutzung einer Hygieneschleuse in mobilen Legehennenhaltungen, soweit baulich vorhanden, darf die Zuwegung zum Stall nicht gleichzeitig Auslaufbereich für die Legehennen sein! Die Umsetzung dieser baulichen Vorgaben ist je nach Stallhersteller unterschiedlich gut gelöst. Einige Hersteller verweigern sich den rechtlichen Vorgaben und lassen die Käufer ihrer Ställe darüber in Unkenntnis. Besondere Risikofaktoren Neben den genannten baulichen Schwierigkeiten, die oft nur individuell zu lösen sind, gibt es weitere potentielle Risikofaktoren für den Eintrag von Salmonellen. Aufgrund des erhöhten Prädatorendrucks, dem Legehennen in der Freilandhaltung ausgesetzt sind – in kleinen Beständen machen sich solche Verluste prozentual besonders deutlich bemerkbar – halten viele Betreiber mobiler Legehennenhaltungen in ihren Legehennenherden Herdenschutztiere. Besonders häufig werden Hunde, Alpakas, Ziegen, Rinder oder Nandus zu diesem Zweck verwendet. Hierbei ist ein potentieller Eintrag von Salmonellen vor Zustallung dieser Herdenschutztiere zu den Legehennen zu überprüfen. Der Landwirt ist auch über die mögliche Übertragung weiterer Krankheitserreger durch diese Herdenschutztiere zu informieren. Zu beachten ist auch, dass diese Herdenschutztiere nach Ausstallung der Legehennen auf dem Betrieb verbleiben und in den nachfolgenden Gruppen eingesetzt werden. Daher ist eine regelmäßige Nachkontrolle dieser Tiere durchaus sinnvoll. In der mobilen Legehennenhaltung muss das Futter, ggf. auch das Tränkwasser, regelmäßig mit Hilfe von Fahrzeugen zum Stall gebracht werden. Der Kot hingegen muss regelmäßig vom Stall entfernt werden. Zu diesem Zweck müssen meist Auslaufflächen der Tiere befahren werden. Damit es nicht zum Erregereintrag oder ggf. zur Erregerverschleppung auf weitere Ställe kommt, sollten die Zuwegungen zum Stall nicht zugleich Auslaufbereiche sein. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 307

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Nutzgeflügel ___________________________________________________________________________________________________________ Besonderheiten der Salmonellenprobenentnahme in Mobilställen Je nach Stalltyp ist die Entnahme von Salmonellenproben unterschiedlich umzusetzen. Im Volierentyp können Salmonellenproben als Sockenproben aus dem Scharrbereich [VO (EU) 517/2011] und Wischproben vom Kotband [VO (EU) 2019/268], die dann gepoolt werden, äquivalent zu Festställen entnommen werden. Im Rahmen einer amtlichen Beprobung wird zusätzlich eine weitere Kot- oder Sockenprobe entnommen. Eine Staubprobe ist meist aufgrund von zu wenig auffindbarem Staub in kleinen Ställen nicht möglich. Eine Besonderheit stellen Stalltypen dar, die über nicht begehbare Scharrbereiche unterhalb des eigentlichen Stalls verfügen. Im Stall selber befinden sich hier nur Kotroste, an denen kaum Kot haftet. So ist hier alternativ eine Kotprobenentnahme vom Kotband üblich. Teilweise kann der Boden des Scharrbereichs solcher Ställe herausgezogen werden, was dann wiederum eine Begehung und Sockenprobenentnahme ermöglichen könnte. Zusammenfassung Die mobile Legehennenhaltung ist flächendeckend in Deutschland vertreten und stellt mittlerweile einen nennenswerten Anteil der in Deutschland gehaltenen Legehennen dar. Die meisten Betriebe sind aufgrund ihrer Größe von mehr als 350 Legehennen verpflichtet sich an die GflSalmoV zu halten, die jedoch die besonderen Gegebenheiten der mobilen Legehennenhaltung nicht berücksichtigt. Bei Kenntnis der entsprechenden Anforderungen, ist es jedoch in der Regel möglich diese unter Einbeziehung individueller Lösungen umzusetzen. Kontakt Dr. Kristian Düngelhoef; Tierarztpraxis an der Güterstraße GmbH & Co. KG, Hamminkeln duengelhoef@gueterstrasse.de 308 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Nutzgeflügel ___________________________________________________________________________________________________________ Fallbeispiele aus der Behandlung von Geflügel in Hobbyhaltung Franca Möller Palau-Ribes Klinik für Vögel, Reptilien, Amphibien und Fische, Justus-Liebig-Universität Gießen Einleitung Die private Hühnerhaltung erfreut sich seit einigen Jahren zunehmender Beliebtheit. In Hessen sind aktuell 12.567 Tierhalter mit einer Bestandsgröße von 1-10 und insgesamt 78.617 Hühnern bei der Hessischen Tierseuchenkasse gemeldet, die tatsächliche Tierzahl ist vermutlich deutlich höher. Die Anzahl gemeldeter Haltungen und somit Hühner hat sich in Hessen in den letzten 10 Jahren dabei etwa verdoppelt. Früher wurden wenige Legehennen vorwiegend zur Versorgung der eigenen Familie mit Eiern und Fleisch (Suppenhühner) gehalten und auch geschlachtet. Mittlerweile werden Hühner, analog zu Heimtieren, zunehmend als Familienmitglieder betrachtet. Anlaufstellen für Hobbyhalter:innen sind in der Regel Kleintierpraxen. Tierhalter:innen sind häufiger bereit in Diagnostik und Behandlung zu investieren, finden je nach Region jedoch häufig nur schwer eine Praxis, die auch Hühner betreut. Im Gegensatz zur Behandlung von Klein- und Heimtieren handelt es sich auch bei einzelnen Hobbyhühnern gesetzlich um landwirtschaftliche Nutztiere, welches von der Wahl der Medikamente bis hin zu erweiterten Dokumentationspflichten zu einem höheren Aufwand führt. In Hobbyhaltungen treten sowohl Einzeltier- als auch Bestandsprobleme auf. Damit kommt auf Tierärzt:innen fachlich ein breites Spektrum von sowohl Einzeltier- als auch Bestandsbehandlungen und Beratung zur Prävention von Erkrankungen zu. Da es sich um recht neue Entwicklungen handelt, stammen veterinärmedizinische Bücher v.a. aus dem englischsprachigen Raum (1). Fachwissen für gesunde Tiere Wie bei anderen Tieren auch, ist das Wissen der Halter:innen zur Biologie, Ethologie, Fütterung und Haltung für die Gesunderhaltung und Früherkennung von Krankheiten von hoher Bedeutung. Aufgrund der Beliebtheit von Hühnern sind mittlerweile sowohl „klassische“ Bücher als auch E-Learning Kurse u.ä. über verschiedene Social-Media-Kanäle in guter Qualität in deutscher Sprache verfügbar, die ein solides Grundlagenwissen vermitteln. Kapitel zu Krankheiten, Impfplichten etc. sind jedoch regelmäßig fachlich inkorrekt. Wie viele andere Vogelarten, sind auch Hühner Beutetiere, die Krankheiten lange verstecken können. Aufgrund des Federkleids ist vor allem das Gewicht optisch nur schlecht einzuschätzen. Notfälle, bei denen magere bzw. abgemagerte Hühner mit chronischen Erkrankungen und schlechter bis infauster Prognose vorgestellt werden, sind daher keine Seltenheit. Auch adipöse Hühner, mit den daraus resultierenden negativen Folgen, werden regelmäßig vorgestellt. Wichtig ist daher eine genaue Tierbeobachtung mit regelmäßigem Wiegen oder zumindest Palpation des Brustbeins der Hühner durch die Tierhalter:innen. Rechtliche Grundlagen der Behandlung Hobbyhühner gelten rechtlich als lebensmittelliefernde Tiere. Bei der Behandlung muss zunächst ein Arzneimittel gewählt werden, welches für die Tierart und Indikation zugelassen ist (2), sonst ist eine Umwidmung eines anderen Arzneimittels möglich (3). Eine aktuelle Liste von zugelassenen Arzneimitteln für Hühner ist über www.vetidata.de über die Filterfunktion „Detailsuche  Präparate  Hühner“ zu finden. Packungsgrößen sind häufig für große Legehennen-Betriebe ausgelegt, zu große Packungsgrößen stellen hingegen nach derzeitiger Rechtslage keinen Grund zur Umwidmung dar. Eine Abgabe der kleinsten Packung ist rechtlich zulässig, jedoch v.a. bei Antibiotika bedenklich, da es Tierhalter:innen zu eigenmächtigen Behandlungen oder Weitergabe an Dritte verleiten kann. Bei der Behandlung legender Hühner oder von Jungtieren, deren Eier später für den menschlichen Verzehr vorgesehen sind, ist zusätzlich zu beachten, dass nicht alle Präparate bzw. Wirkstoffe für diese zugelassen sind bzw. explizit der Einsatz für diese Tiere ausgeschlossen ist. Dies betrifft beispielsweise die Wirkstoffe Enrofloxacin und Toltrazuril. In Tabelle 1 findet sich eine Auswahl von Antibiotika für Legehennen in der derzeit kleinsten verfügbaren Packungsgröße. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 309

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Nutzgeflügel ___________________________________________________________________________________________________________ Verpflichtende Dokumentation bei der Anwendung oder Abgabe verschreibungspflichtiger Medikamente ist die Aushändigung eines Anwendungs- und Abgabebelegs an den/die Halter:in. Antibiotische Behandlungen bei Hühnern (Hobbyhühner = „Hühner, die weder Masthühner, Legehennen, Junghennen noch Eintagsküken sind“) sind seit dem 01. Januar 2023 mitteilungspflichtig für Tierärzte und müssen damit zusätzlich die HIT- Antibiotikadatenbank eingetragen werden (4). Hat der/ die Tierhalter:in keine HIT-Nummer, oder ist diese nicht bekannt, erfolgt an der Stelle die Eingabe „0“. Häufig vorgestellte Fälle Symptome, mit denen Hühner aus Hobbyhaltungen vorgestellt werden, sind vielfältig. Dabei kann es sich sowohl um ein Einzeltier- als auch Bestandsproblem handeln. Sehr häufig betroffen ist der Respirationstrakt, auch Hühner bzw. Küken mit Diarrhoe werden regelmäßig vorgestellt. Bei älteren Legehybriden dominieren Symptome in Zusammenhang mit dem Legeapparat oder auch Folgen von Adipositas. Tierärztlicher Rat wird auch regelmäßig bei Verlusten im Bestand mit oder ohne spezifische beobachtete klinische Symptomatik nachgefragt. Respiratorische Symptome Bereits aufgrund anatomischer Besonderheiten sind Vögel prädisponiert für Atemwegsinfektionen. Dazu gehören neben einer Luftröhre mit großem Durchmesser vor allem die große „Angriffsfläche“ wenig durchbluteter Luftsäcke (5). Viele Erreger haben sich damit auf die Atemwege spezialisiert, häufig treten auch Mischinfektionen auf (Abbildung 1). Hinzu kommen prädisponierende Faktoren in der Umwelt, v.a. schlechte Luftqualität in Ställen. Bei hohem Ammoniakgehalt in der Luft werden Zilien der Schleimhäute gehemmt, die zum Abtransport von Partikel notwendig sind und ein hoher Staubgehalt kann das System ebenfalls überfordern. Bei leichten respiratorischen Symptomen reicht therapeutisch häufig eine Verbesserung der Luftqualität mit unterstützender Gabe von ätherischen Ölen (und Vitaminen, insbesondere Vitamin A), über das Trinkwasser aus. Abbildung 1: Übersicht relevanter Atemwegserreger beim Huhn. Ausführliche Tabelle Differentialdiagnosen siehe (6) Symptome: Atemwegssymptome beim Huhn können Konjunktivitis, seröser, muköser oder schaumiger Augen- und Nasenaufluss, Sinusitis und Atemgeräusche sowie mäßige bis deutliche inspiratorische bzw. exspiratorische Atemnot sein. Auch ein verklebtes Federkleid im Bereich der Flügel gibt indirekt Hinweise auf Nasen-/Augenausfluss. Bei mäßig ausgeprägter Symptomatik ist klinisch eine Erreger-Verdachtsdiagnose nicht 310 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Nutzgeflügel ___________________________________________________________________________________________________________ zu stellen. Weitgehend pathognomonisch ist nur eine Infektion nicht geimpfter Hühner mit stark virulenten Stämmen des Virus der Infektiösen Laryngotracheitis (ILT). ILT führt zu einer hämorrhagischen Tracheitis mit einer deutlichen inspiratorischen Atemnot, pfeifenden Atemgeräuschen, Pinguinhaltung und Zyanosen. In der Regel treten zusätzlich Verluste in der Herde auf (6). Diagnostik: Zunächst sollte das Geschehen lokalisiert werden: Handelt es sich um ein Atemwegsproblem oder ist die Atmung aus anderen Gründen, z.B. Umfangsvermehrung in der Leibeshöhle, beeinträchtigt. Sinnvoll ist, unabhängig von gesetzlichen Verpflichtungen, die Entnahme von Tupferproben (Konjunktiva und/oder Trachea) für die mikrobiologische Diagnostik vor einer Behandlung mit Antibiotika (7). In Hobbyhaltungen kommen häufig Mycoplasma gallisepticum und M. synoviae vor. Diese werden im Routinelabor nicht kultiviert, sind mittels PCR jedoch gut nachweisbar. Auch wenn es häufig eine Virusbeteiligung gibt ist eine Abklärung bestimmter Virusinfektionen dann sinnvoll, wenn daraus konkrete Prophylaxemaßnahmen resultieren – oder der/die Halter:in den Status des Bestandes wissen möchte. Bei Infektionen mit dem Virus der Infektiösen Laryngotracheitis ist außerdem eine Notimpfung möglich. Da die Impfung sofort durchgeführt werden muss um die Tiere noch rechtzeitig schützen zu können, muss diese ggf. auf Verdacht parallel zu einer Diagnostik durchgeführt werden. Für die Erstellung eines diagnostischen Plans und die Interpretation der Laborergebnisse ist es sinnvoll, wenn der Impfstatus der Tiere bekannt ist (Impfzeitpunkt, Erreger, Lebend-/ Totimpfstoff bzw. Name des Impfstoffs). Therapie: Bei leichten respiratorischen Symptomen reicht therapeutisch häufig eine Verbesserung der Luftqualität mit unterstützender Gabe von ätherischen Ölen und Vitaminen, insbesondere Vitamin A, über das Trinkwasser aus. Bei bakteriellen Infektionen zeigen erfahrungsgemäß Tetracycline (Oxytetracyclin) und Makrolide (Tylosin) aufgrund ihres Wirkspektrums häufig eine gute Wirksamkeit (7). Sinusitiden, bei denen sich käsiges Material in einem oder beiden Sinus befindet, sind über eine alleinige orale Antibiose meist nicht erfolgreich zu behandeln. Hier kann unter lokaler bzw. Allgemeinanästhesie und Analgesie der Sinus infraorbitalis eröffnet, das Material entfernt, der Sinus gespült und per Hautnaht wieder verschlossen werden. Tabelle 1: Auswahl für Legehennen geeigneter Antibiotika, jeweils kleinste verfügbare Packung (Stand der Informationen: 09/2023), vollständige Liste aller zugelassenen Präparate über www.vetidata.de Hersteller Produktname Wirkstoff Kleinste Packung Listenpreis netto (€) Wartezeit Eier Neomycinsulfat 1000 mg/g Tylo-Suscit 100% Kompaktat Karimulina 1000 mg/g Aivlosin 625 mg/g Belacol 24% liquid 240 mg/ml Belacol 12% Pulver 120 mg/g Phenoxypen WSP 325 mg/g Ursocyclin-Pulver 20% Neomycinsulfat Tylosintartrat Tiamulin- hydrogenfumarat Tylvalosin 500 g 550 g 125 g 400 g Colistinsulfat 1 L Colistinsulfat Pencillin V 1 kg 1 kg Oxytetracyclin 100 g 15,75 38,10 22,95 81,90 22,45 12,45 72,00 4,10 0 Tage 0 Tage 0 Tage 0 Tage 0 Tage 0 Tage 0 Tage 6 Tage Bela-Pharm Bela-Pharm Bela-Pharm Ecuphar Bela-Pharm Bela-Pharm Dopharma Serumwerke Bernburg 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 311

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Nutzgeflügel ___________________________________________________________________________________________________________ Prophylaxe: Bei Hobbyhaltungen ist eine vollständige Abschirmung des Bestandes und Trennung von anderen Hühnern, Einschränkung des Personenverkehrs etc. nicht realistisch, damit ist die Präsenz vieler Erreger nicht wirksam zu verhindern. Da, im Gegensatz zum Wirtschaftsgeflügel, Leistungseinbußen in Hobbyhaltungen in der Regel keine Rolle spielen, resultiert daraus auch nicht zwingend ein Problem. Es gibt zahlreiche zugelassene Impfstoffe gegen viele der Atemwegserreger (Beispiele: Virus der Infektiösen Bronchitis, Virus der Infektiösen Laryngotracheitis, Aviäre Metapneumoviren, Mycoplasma gallisepticum, Mycoplasma synoviae, Avibacterium paragallinarum, E. coli) und auch bestandsspezifischer Impfstoffe werden bei Legehennen regelmäßig eingesetzt. In Hobbyhaltungen sind Impfungen aufgrund rechtlicher, finanzieller und logistischer Hürden jedoch nur bis zu einem gewissen Maß umsetzbar. Eine Impfpflicht gegen Newcastle Disease besteht in Deutschland für alle Hühner und Puten (8). Literatur 1. Greenacre CB, Morishita TY (2021) Backyard poultry medicine and surgery, 2nd edition, ISBN 9781119511779 2. Verordnung (EU) 2019/6 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2018 über Tierarzneimittel und zur Aufhebung der Richtlinie 2001/82/EG, Artikel 106: Anwendung von Arzneimitteln 3. Verordnung (EU) 2019/6 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2018 über Tierarzneimittel und zur Aufhebung der Richtlinie 2001/82/EG, Artikel 113: In den Zulassungsbedingungen nicht genannte Anwendung von Arzneimitteln bei der Lebensmittelgewinnung dienenden landlebenden Tierarten 4. Gesetz über den Verkehr mit Tierarzneimitteln und zur Durchführung unionsrechtlicher Vorschriften betreffend Tierarzneimittel (Tierarzneimittelgesetz) § 56 Tierärztliche Mitteilungen über Arzneimittelverwendung 5. König HE, Bragulla H (2009) Anatomie der Vögel, 2. Auflage, ISBN 9783794525782 6. Rautenschlein S, Ryll M (2014) Erkrankungen des Nutzgeflügels, ISBN 9783825285685 7. Bundestierärztekammer, Arbeitsgruppe Tierarzneimittel der Länderarbeitsgemeinschaft Verbraucherschutz: Leitlinien für den sorgfältigen Umgang mit wirksamen Tierarzneimitteln „Antibiotika-Leitlinien“, Beilage zum Deutschen Tierärzteblatt 10/2010 8. Ständige Impfkommission Veterinärmedizin (StIKo Vet)(2021) Stellungnahme zur ND-Pflichtimpfung von Geflügel in Hobbyhaltung. 01.01.2021 Kontakt Dr. Franca Möller Palau-Ribes; Klinik für Vögel, Reptilien, Amphibien und Fische, Gießen Franca.Moeller@vetmed.uni-giessen.de 312 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Nutzgeflügel ___________________________________________________________________________________________________________ Immunprophylaxe in kleinen Geflügelhaltungen Christine Ahlers Thüringer Tierseuchenkasse AdöR, Jena Schutzimpfungen sind unverzichtbarer Bestandteil in der Prophylaxe und Bekämpfung von Infektionskrankheiten. In gewerblichen Geflügelhaltungen durchlaufen die Tiere komplexe Impfprogramme, um einen stabilen Gesundheitsstatus der Herde und ggf. auch der Nachzucht zu sichern. Die Impfungen werden üblicherweise von geschultem Personal mit Ausnahmegenehmigung1 durchgeführt. Grundsätzlich dürfen gemäß Tierimpfstoff-Verordnung Impfstoffe nur von Tierärzten angewendet werden1. Ausnahmen sind neben den o.g. seit 2020 auch für nicht gewerbs- oder berufsmäßige Halter möglich, die unter bestimmten Voraussetzungen Impfstoffe gegen die Newcastle Krankheit (ND) über das Tränkwasser in ihrem Geflügelbestand verabreichen dürfen (§ 44 Abs. 1a) (1). Im Vergleich zu den übrigen Nutztierarten gibt es im Geflügelsektor eine Vielzahl kleiner, privater Haltungen; allein in Thüringen sind über 24.000 Bestände mit unter 100 Hühnern bei der Tierseuchenkasse gemeldet. Eine regelmäßige tierärztliche Bestandsbetreuung dieser Haltungen ist aus personellen und logistischen Gründen für die niedergelassenen Tierärzte und Tierärztinnen in der Regel nicht umsetzbar, die tiermedizinische Betreuung beschränkt sich deshalb in vielen Fällen auf Diagnostik und Therapie bei deutlich erhöhten Verlusten und die Impfung gegen ND. Die rechtlichen Anforderungen, verbunden mit Packungsgrößen für Impfstoffe, die auf große Tierzahlen abgestimmt sind, und nicht zuletzt auch die damit verbundenen Kosten begründen zudem eine geringe Akzeptanz von Impfungen in den allermeisten kleineren, privaten Geflügelhaltungen. Impfpflicht Das Impfprogramm in kleinen Geflügelhaltungen ist deshalb in der Regel auf die rechtlich vorgeschriebene Impfung von Hühnern und Puten gegen ND begrenzt (1). Erfahrungen aus Praxis zeigen jedoch wiederholt, dass diese Impfpflicht nicht allen Hobbyhaltern bekannt ist und bei serologischen Kontrolluntersuchungen nicht immer ausreichende Antikörpertiter nachgewiesen werden können. Während für alle Haltungen von Hühnern oder Puten gilt, dass im gesamten Bestand eine ausreichende Immunität gegen ND vorhanden sein muss (§ 7 Abs. 1) (2), ist die Verbringung von impfpflichtigem Geflügel z.B. auf Geflügelmärkte, -schauen oder -ausstellungen nur gestattet, wenn die Tiere nachweislich entsprechend den Empfehlungen des Impfstoffherstellers gegen ND geimpft wurden (§ 7 Abs. 4) (2). Viele Rassegeflügelvereine organisieren aus diesem Grund gemeinsame Impftermine für die Hühner und Puten ihrer Mitglieder vor Beginn der Schausaison. In Hobbyhaltungen hingegen werden häufig vorgezogene Tiere immunisiert eingestallt und dadurch Impfungen im Bestand und die damit verbundene Konsultation eines Tierarztes vermieden. Impfprogramme Standardimpfprogramme, wie sie in gewerblichen Geflügelhaltungen durchgeführt werden, sind für individuelle Kleinhaltungen aus den genannten Gründen nur in Ausnahmefällen oder auch gar nicht praktikabel. Für Privathalter von Legehennen empfiehlt es sich deshalb, legereife Junghennen aus gewerblichen Aufzuchten zu beziehen, in denen sie die für gewerbliche Haltungen üblichen Impfungen erhalten haben. Beim Einsatz von Inaktivatimpfstoffen zum Ende der Aufzucht kann für diese Tiere ein Impfschutz für die Dauer einer Legeperiode angenommen werden. Bei längerer Haltung muss ab dem zweiten Jahr regelmäßig gegen ND nachgeimpft werden, Impfungen gegen andere Erreger sind je nach Infektionsdruck im Bestand nur im Einzelfall erforderlich. Bei eigener Nachzucht, Zukauf von ungeimpftem Geflügel oder Tieren mit unbekannten Impfstatus müssen zumindest Hühner und Puten gegen ND geimpft werden. Zur Immunisierung wird der zweimalige Einsatz eines oral zu verabreichenden Lebendimpfstoffes im Alter von 2-3 und 9-12 Lebenswochen empfohlen, gefolgt von 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 313

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Nutzgeflügel ___________________________________________________________________________________________________________ der Injektion eines Inaktivatimpfstoffes zwischen 14. und 16. Lebenswoche (4), wenn die Hühner bzw. Puten länger gehalten werden. Weitere Impfungen gegen andere Erreger können im Einzelfall bei hohem Infektionsdruck sinnvoll sein, denn Biosicherheits- und Hygienemaßnahmen, die neben Schutzimpfungen einen wesentlichen Beitrag zur Senkung des Infektionsdrucks in Geflügelhaltungen leisten können, sind in Kleinhaltungen häufig nur begrenzt umsetzbar (3). Insbesondere in Beständen mit mehreren Altersgruppen, Herkünften und Geflügelarten können, ergänzend zu intensivierten Hygienemaßnahmen, Impfungen gegen einen oder mehrere im Bestand persistierende Erreger aus tiermedizinischer Sicht empfehlenswert sein, um den Gesundheitsstatus der Tiere zu sichern. Unter diesen Voraussetzungen ist die Erstellung eines Impfplans mit effektiver Schutzwirkung für den Geflügelbestand, effizientem Ressourceneinsatz und für den Tierhalter akzeptablen Kosten für den betreuenden Tierarzt häufig eine Herausforderung. Impfstoffanwendung Mit Ausnahme der über Tränkwasser zu verabreichenden Impfstoffe gegen ND müssen Schutzimpfungen in nicht gewerblichen Haltungen durch Tierärzte angewendet werden (1). Für die Impfung gegen die Marek‘sche Krankheit, in manchen Praxen in Kombination gegen die Infektiöse Laryngotracheitis und ND sowie auch gegen Kokzidiose, hat sich das Angebot von festen Impfterminen, zu denen die Hühnerhalter mit ihren Küken in die Tierarztpraxis kommen, etabliert. Impfungen gegen andere Erkrankungen, z.B. Coryza Contagiosa oder Atemwegserkrankungen anderer Ätiologie, werden üblicherweise vor Ort im Bestand durchgeführt. Sofern praktikabel (in Kleinstbeständen), ist dabei die Impfung von Einzeltieren gegenüber einer Massenapplikation zu bevorzugen, um sicherzustellen, dass jedes zu impfende Tier eine volle Impfdosis aufnimmt. Literatur 1. Verordnung über Sera, Impfstoffe und Antigene nach dem Tiergesundheitsgesetz (Tierimpfstoff-Verordnung) vom 24.10.2006. 2. Verordnung gegen die Geflügelpest und die Newcastle-Krankheit (Geflügelpest-Verordnung) i.d.F. vom 20. Dezember 2005 (BGBl. I S. 3539). 3. Ahlers C. Biosicherheit und Hygiene in kleinen Geflügelhaltungen: Was ist machbar? 11. Leipziger Tierärztekongress 2022. Tagungsband 3, S. 402-404. 4. StIKo Vet. Stellungnahme zur ND-Pflichtimpfung von Geflügel in Hobbyhaltung. Stand 01.01.2021. Kontakt Dr. Christine Ahlers; Thüringer Tierseuchenkasse AdöR, Jena 314 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Bienen ___________________________________________________________________________________________________________ Anwendung der neuen Faulbrutvakzine aus den USA auch in Deutschland statthaft? Iska Lehmann Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit Einleitung Die Amerikanische Faulbrut (AFB) ist weltweit verbreitet. Erreger der AFB ist das sporenbildende, grampositive Bakterium Paenibacillus larvae. Nur die Sporen sind infektiös und bleiben dies über Jahrzehnte. Die beiden Genotypen ERIC I und ERIC II werden regelmäßig weltweit aus an AFB erkrankten Bienenvölkern isoliert. Nehmen Bienenlarven kurz nach dem Schlupf P. larvae Sporen mit dem Futter auf, können sie sich infizieren. Durch die Infektion sterben die Larven ab. Es ergibt sich ein typisches Krankheitsbild. Die Erkrankung kann sich Wochen bis Monate hinziehen. Die Diagnose erfolgt klinisch und durch Laboruntersuchung (1). Da es sich um eine in Deutschland anzeigepflichtige Tierseuche (2) handelt, sind amtliche Methoden zur Untersuchung vorgeschrieben (3). Die nationalen Bekämpfungsmaßnahmen sind in der Bienenseuchenverordnung (4) festgelegt. Da die Sporen des Erregers der AFB ausgesprochen widerstandsfähig und langlebig sind, müssen alle Gerätschaften, die Bienenbeute sowie das gesamte Bienenvolk als infektiös betrachtet werden. Bei Seuchenverdacht dürfen keine Veränderungen am Bienenstand vorgenommen werden. Grundsätzlich sind die Bienen bei Seuchenfeststellung zu töten. Neben der effektivsten Methode zur Bekämpfung der AFB, dem Verbrennen erkrankter Bienenvölker, wird auch das „Kunstschwarmverfahren“ angewendet, bei welchem das gesamte Wabenmaterial vernichtet wird und die Bienen in neue oder desinfizierte Beuten eingesetzt werden (1). Impfungen sind in der Bienenseuchenverordnung nicht geregelt (4). Gemäß Artikel 46 der Verordnung 2016/429 können die Mitgliedstaaten Maßnahmen hinsichtlich der Verwendung von Tierarzneimitteln für gelistete Seuchen ergreifen, um die wirksamste Prävention oder Bekämpfung dieser Seuchen zu gewährleisten, sofern diese Maßnahmen angemessen oder notwendig sind. Hiervon wurde bislang kein Gebrauch gemacht. Gemäß aktuellem EU-Tiergesundheitsrecht wird die amerikanische Faulbrut als Seuche der Kategorie D gemäß Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe d der Verordnung (EU) 2016/429, gegen die Maßnahmen getroffen werden müssen, um ihre Ausbreitung im Zusammenhang mit dem Eingang in die Union oder mit Verbringungen zwischen den Mitgliedstaaten zu verhindern, sowie als Seuche der Kategorie E gemäß Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe e der Verordnung (EU) 2016/429, die innerhalb der Union überwacht werden muss, eingestuft (5,6). Dementsprechend sind Handel zwischen den Mitgliedstaaten, Überwachung und Bekämpfung geregelt (5). Impfungen gegen amerikanische Faulbrut sind im EU-Tiergesundheitsrecht nicht per se verboten. Gemäß Artikel 170 der EU-Verordnung 2016/429 steht es den Mitgliedstaaten frei, nationale Maßnahmen bezüglich der Bekämpfung der gelisteten Seuchen gemäß Artikel 9 Absatz 1 Buchstaben d und e und der Verbringung von Landtieren und ihres Zuchtmaterials innerhalb ihres jeweiligen Hoheitsgebiets zu ergreifen, wenn diese Maßnahmen kein Handelshemmnis darstellen und nicht über ein angemessenes und notwendiges Maß hinausgehen. Ob die Maßnahmen der Bienenseuchenverordnung nach Anpassung an das EU-Recht in der aktuellen Form Bestand haben werden, steht noch nicht fest. in Deutschland In 2022 wurden 72 Ausbrüche festgestellt. Grundsätzlich besteht die hiesige Bekämpfungsstrategie in einem flächendeckenden Monitoring, einer frühzeitigen Diagnosestellung und gezielten Tilgung nach einem Ausbruch. Im Monitoring speziell in Niedersachsen werden zur Frühdiagnose Honig und Futterkranzproben untersucht, wodurch Ausbrüche der Krankheit vor auffälligen klinischen Erscheinungen erkannt werden (10, 11). Die bisherige Strategie wird als sehr erfolgreich angesehen. Grundsätzliche Anforderungen für Einfuhr, Vertrieb und Anwendung von Tierarzneimitteln Ein im Drittland hergestellter Impfstoff könnte nach Erteilung der Zulassung im EU-Raum auf Basis einer Einfuhrerlaubnis gemäß Artikel 88 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EU) 2019/6 (7) importiert werden. Dann würde der Impfstoff durch den Importeuer entsprechend vertrieben werden können und die Anwendung hätte gemäß 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 317

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Bienen ___________________________________________________________________________________________________________ Artikel 106 Absatz 1 Verordnung (EU) 2019/6 entsprechend der Zulassungsbedingungen zu erfolgen. Für den Bienenimpfstoff aus den USA ist nicht bekannt, ob eine Zulassung in der EU angestrebt wird. Spezielles Tierarzneimittelrecht zu immunologischen Tierarzneimitteln (ITAM) Artikel 110 der Verordnung (EU) 2019/6 (7) sieht ebenfalls vor, dass die zuständigen Behörden in Übereinstimmung mit ihren einschlägigen nationalen Rechtsvorschriften zu festgelegten Bedingungen die Herstellung, die Einfuhr, den Vertrieb, den Besitz, den Verkauf, die Abgabe oder die Anwendung immunologischer aus Tierseuchenbekämpfungsgründen untersagen oder einschränken können. ihrem Hoheitsgebiet Tierarzneimittel davon in oder in Teilen Außerdem regeln Artikel 110 Absatz 2 und 3 Verordnung (EU) 2019/6, dass abweichend von Artikel 106 Absatz 1 Verordnung (EU) 2019/6 die zuständigen Behörden die Anwendung von hier nicht zugelassenen immunologischen Tierarzneimitteln bei Ausbruch einer gelisteten Tierseuche bzw. im Einzelfall bei Bestehen einer nicht gelisteten Tierseuche genehmigen können. Der Bezug von ITAM aus dem Drittland im Einzelfall wäre durch die Darlegung eines öffentlichen Interesses oder der Tierschutz- oder Tiergesundheitsrelevanz zu begründen. Die Erteilung dieser Ausnahmegenehmigungen ist der EU zu melden. Ein Rechtsanspruch auf Erteilung einer solchen Ausnahmegenehmigung besteht nicht. Die Behörden können bei Beantragung prüfen, ob eine entsprechende Ausnahmegenehmigung erteilt werden kann. Das Verfahren würde sich nach dem nationalen Recht richten, da den Mitgliedstaaten gemäß Artikel 106 Absatz 3 der Verordnung (EU) 2019/6 dafür Spielraum gegeben wird. Insofern würde wahrscheinlich § 11 Absatz 6 Nr. 2 Tiergesundheitsgesetz (8) zum Tragen kommen. Zu beachten ist weiterhin, dass die Verschreibungspflicht für ITAM bestehen bleibt. Ggf. gibt es Ausnahmen, die auch für ITAM durch die Kommission oder nationalen Behörden erlassen werden können. Die tierärztliche Verschreibung ist umfassend in Artikel 105 Verordnung (EU) 2019/6 geregelt. Eine ausgestellte Verschreibung gilt unionsweit. Voraussetzung für die Verschreibung ist eine klinische Untersuchung oder eine andere angemessene Prüfung des Gesundheitszustandes der Tiere. Für den weiteren Handel wären die entsprechenden einschlägigen Vorgaben zu beachten. Hinsichtlich des Einzelhandels wird vorwiegend auf die nationalen Bestimmungen verwiesen. Der Vertriebsweg, Buchführungs- und Inventurpflichten sind bereits festgelegt sowie Regelungen zum Fernabsatz. Verschreibungspflichtige Tierarzneimittel sind grundsätzlich vom Internethandel ausgenommen. Die Abgabe eines verschriebenen Arzneimittels erfolgt gemäß Artikel 105 Absatz 9 der Verordnung (EU) 2019/6 in Übereinstimmung mit dem geltenden nationalen Recht. Das sieht gemäß § 44 Tierimpfstoff- Verordnung (9) nur sehr eingeschränkt eine Abgabe von Tierimpfstoffen im Rahmen eines genau festgelegten Anzeigeverfahrens vor. Gemäß § 43 Tierimpfstoff-Verordnung ist die Anwendung von ITAM grundsätzlich dem Tierarzt vorbehalten, was durch eine entsprechende Klausel in Artikel 106 Absatz 4 der Verordnung 2019/6 abgedeckt ist. Der Tierarzt unterliegt gemäß § 42 Absatz 4 Tierimpfstoff-Verordnung außerdem expliziten Abgabeverboten von ITAM gegen anzeigepflichtigen Tierseuchen. Davon sind nur Impfstoffe für Geflügel und Fische ausgenommen. Inaktivierte immunologische Tierarzneimittel, die auf Basis von aus einem zu einer epidemiologischen Einheit gehörenden Tier oder Tieren - isolierten pathogenen Organismen und Antigenen hergestellt und für die Behandlung dieses Tieres oder dieser Tiere in derselben epidemiologischen Einheit oder für die Behandlung eines oder mehrerer Tiere eines Bestands mit einer gesicherten epidemiologischen Verbindung verwendet werden, sind gemäß Artikel 2 Absatz 3 Verordnung (EU) 2019/6) definiert und können ebenfalls hergestellt und angewendet werden, wenn bei den Tieren außergewöhnliche Umstände vorliegen und kein ITAM für diese Zieltierart und das entsprechende Anwendungsgebiet zugelassen ist. Ob dies ggf. auch für Bienen eine Behandlungsoption wäre, ist nicht geklärt. Zusammenfassung Eine Zulassung des Bienenimpfstoffs in der EU ist nicht absehbar, daher steht eine reguläre Anwendbarkeit vorerst nicht in Aussicht. Ein Bezug und die Anwendung auf Basis einer Ausnahmegenehmigung wäre zu beantragen und abzuklären. Es ist jedoch sehr fraglich, ob eine Genehmigung unter Berücksichtigung der tiergesundheitsrechtlichen Gegebenheiten erteilt würde. Festzuhalten bleibt, dass die bislang geltenden 318 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Bienen ___________________________________________________________________________________________________________ Rechtsvorschriften eine Bekämpfung durch Tilgung vorsehen. Ebenso bleiben der Fortgang des Zulassungsverfahrens und der Studienergebnisse in den USA abzuwarten. Literatur 1. Amerikanische Faulbrut (AFB); Steckbrief; FLI; 17.03.2021; https://www.openagrar.de/servlets/MCRFileNodeServlet/openagrar_derivate_00037049/Steckbrief_AFB_2021-03-17-bf.pdf 2. Verordnung über anzeigepflichtige Tierseuchen in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. Juli 2011 (BGBl. I S. 1404), die zuletzt durch Artikel 4 der Verordnung vom 31. März 2020 (BGBl. I S. 752) geändert worden ist 3. Amtliche Methode und Falldefinition: Amerikanische Faulbrut, FLI, Stand 05.05.2021; https://www.openagrar.de/servlets/MCRFileNodeServlet/openagrar_derivate_00033828/TS2a-Amerikanische-Faulbrut- 2021-05-05-bf.pdf 4. Bienenseuchen-Verordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. November 2004 (BGBl. I S. 2738), die zuletzt durch Artikel 7 der Verordnung vom 17. April 2014 (BGBl. I S. 388) geändert worden ist 5. VERORDNUNG (EU) 2016/429 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 9. März 2016 zu Tierseuchen und zur Änderung und Aufhebung einiger Rechtsakte im Bereich der Tiergesundheit („Tiergesundheitsrecht“) 6. DURCHFÜHRUNGSVERORDNUNG (EU) 2018/1882 DER KOMMISSION vom 3. Dezember 2018 über die Anwendung bestimmter Bestimmungen zur Seuchenprävention und -bekämpfung auf Kategorien gelisteter Seuchen und zur Erstellung einer Liste von Arten und Artengruppen, die ein erhebliches Risiko für die Ausbreitung dieser gelisteten Seuchen darstellen 7. Verordnung (EU) 2019/6 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 11. Dezember 2018 über Tierarzneimittel und zur Aufhebung der Richtlinie 2001/82/EG 8. Gesetz zur Vorbeugung vor und Bekämpfung von Tierseuchen (Tiergesundheitsgesetz - TierGesG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. November 2018 (BGBl. I S. 1938, in der zurzeit geltenden Fassung 9. Verordnung über Sera, Impfstoffe und Antigene nach dem Tiergesundheitsgesetz (Tierimpfstoff-Verordnung) vom 24. Oktober 2006 (BGBl. I S. 2355) in der zurzeit geltenden Fassung 10. Dr. Werner von der Ohe, LAVES – Institut für Bienenkunde Celle; Amerikanische Faulbrut – Bekämpfungsstrategie in Niedersachsen, April 2016 11. LAVES – Institut für Bienenkunde Celle; Infobrief vom 20.01.2023; Schluckimpfung für Bienen? Kontakt Dr. Iska Lehmann; Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, Hannover iska.lehmann@laves.niedersachsen.de 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 319

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Bienen ___________________________________________________________________________________________________________ Wo lauern die stumpfen Schwerter im ewigen Kampf gegen Pathogene der Honigbiene laut Fachliteratur? Yvonne Kosch1, Ilka Emmerich2 1Veterinär-Anatomisches Institut, Veterinärmedizinische Fakultät, Universität Leipzig; 2VETIDATA, Institut für Pharmakologie, Pharmazie und Toxikologie, Veterinärmedizinische Fakultät, Universität Leipzig Im Jahr 1962 wurde Varroa destructor bei Apis cerana das erste Mal in Hong Kong diagnostiziert und wissenschaftlich beschrieben (1). In Apis cerana zunächst ein benigner Parasit entwickelt sie sich zu einer hoch pathogenen Seuche der Apis mellifera (2). In Europa wird seit den 1990er Jahren von Infektionen bei Honigbienen berichtet (3). Gemeinsam kämpfen Veterinäre und Imkernde gegen diese immerwährende Bedrohung der Honigbienenvölker an. Neben biologischen Bekämpfungskonzepten finden verschiedene Tierarzneimittel Anwendung – welche von synthetischen Akariziden bis hin zu einer Reihe von natürlich vorkommenden Substanzen, wie organische Säuren und ätherische Öle reichen. Doch wie in fast jeder Pathogenbekämpfung haben sich auch bei der Behandlung von Varroa destructor Resistenzen entwickelt. Weit bekannt und schon länger Thema in der einschlägigen Fachliteratur sind Resistenzen gegen das Organophosphat Coumaphos, das Triazapentadien Amitraz und die Pyrethroide Fluvalinat und Flumethrin. Gerüchte um eine Resistenz gegen organische Säuren werden laut. Um diesen Gerüchten weiter auf den Grund zu gehen und einen Überblick über den aktuellen Wissensstand zu erhalten, wird eine umfangreiche Literaturrecherche durchgeführt. Diese Recherche erstreckt sich auf die multidisziplinäre Datenbank Web of Science und die medizinische Datenbank PubMed sowie die Prüfung des Bestandes der Deutschen Nationalbibliothek und der Universitätsbibliotheken. Die Definition von Schlüsselwörtern und Synonymen in englischer Sprache und deren Konjunktion und Disjunktion über Boolesche Operatoren wie ‚(Varroa destructor OR V. destructor OR Varroa mite) AND (oxalic acid)‘ führt zu einer Vielzahl von primären Ergebnissen. Ein wichtiges Suchkriterium hier ist die Erweiterung des Suchbereiches auf die Volltextsuche, um ein vollständiges und umfangreiches Ergebnis zu erhalten. Die Sichtung der Abstracts der über 1000 ermittelten Publikationen unter Berücksichtigung von In- und Exklusionskriterien führt zu einer Kollektion von 238 Literaturquellen von 1984 bis 2023. Exkludiert werden zum Beispiel Veröffentlichungen, die sich ausschließlich auf die Lebensmittelsicherheit des Honigs oder auch auf die Verwendung von organischen Säuren in der Humanmedizin beziehen und außer in der Einleitung keinen Bezug zu Varroa destructor herstellen. Wichtige Inklusionskriterien stellen Studien zur Ermittlung der Effektivität von organischen Säuren in der Behandlung von Varroa destructor und zu möglichen Resistenzmechanismen der Milbe dar. Dieser umfassende und detaillierter Literatur-Review lässt auf neue wissenschaftliche Erkenntnisse hoffen und soll erste Anzeichen einer abnehmenden Effektivität dieser bisher sehr bewährten Wirkstoffe erkennen lassen. Literatur 1. Umpiérrez, María Laura; Santos, Estela; Mendoza, Yamandú; Altesor, Paula; Rossini, Carmen, Essential oil from Eupatorium buniifolium leaves as potential varroacide, Parasitology research; 2013, 112: 3389-3400 2. Maddaloni, M.; Pascual, D. W., Isolation of oxalotrophic bacteria associated with Varroa destructor mites, Letters in applied 3. microbiology; 2015, 61(5): 411-417 Thompson, Helen M.; Brown, Michael A.; Ball, Richard F.; Bew, Medwin H., First report of Varroa destructor resistance to pyrethroids in the UK, Apidologie; 2002, 33(4): 357–366 Kontakt Yvonne Kosch; Veterinär-Anatomisches Institut yvonne.kosch@gmx.de 320 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Bienen ___________________________________________________________________________________________________________ Ursachensammelsurium zur nichtansteckenden Schwarzsucht der westlichen Honigbiene Apis mellifera Karsten Stief Heidenheim Bei der nichtansteckenden Schwarzsucht der Bienen handelt es sich um ein Symptom, welches zahlreichen, verschiedenen Ursachen haben kann. Allen gemeinsam ist, dass die Bienen ihre Haare verlieren. Dadurch kommt die darunterliegende, schwarze Körperoberfläche zum Vorschein. Bienen haben ca. 3 000 000 Haare, das sind 30mal so viele Haare wie Menschen. Die Bienen verlieren im Laufe ihres Lebens einen Teil ihrer Haare. Die Jungbiene ist nach dem Schlupf stark behaar. Besonders auffallend sind hier die Haare am Kopf. Die erste Aufgabe der Jungbienen besteht in dem Putzen der Brutzellen, hierbei gehen schon die meisten Haare am Kopf verloren. Im Laufe der Zeit nimmt die Zahl der Haare auf den Bienen immer weiter ab, jedoch sind gänzlich haarlose Bienen immer ein Zeichen auf pathologische Umstände im Bienenvolk. Es gibt eine Vielzahl von nichtinfektiösen Gründen für haarlose Bienen im Bienenvolk. So verlieren die Bienen ihre Haare beim Kämpfen mit anderen Bienen, beispielsweise im Rahmen der Verteidigung der Kolonie bei Räuberei. Auch bei starker Waldtracht lassen die Bienen Haare liegen. Die Blattläuse als Produzenten des Honigtaus verteidigen sich mit klebrigen Substanzen aus ihren cornicles gegen Fraßfeinde (1). Die Haare der Bienen verkleben darin und gehen im Anschluss verloren. Durch die übermäßige Aufnahme von Melezitose, ein Dreifachzucker, der im Honigtau vorkommt, verändert sich die bakterielle Zusammensetzung im Darm der Bienen. Dadurch werden die Bienen krank (2). Ob der Haarverlust im Laufe der Krankheit in Folge der verminderten Abwehr mit sekundären Viruserkrankungen zusammenhängt oder den Verhaltensänderungen ist noch nicht abschließend geklärt. Zudem gibt es noch eine erbliche Variante der Schwarzsucht bei der Honigbiene. Die Bienen schlüpfen bereits ohne Haare aus der Brutzelle und sind weniger vital (3). Literatur 1. Michaud, J.P. (2022). The Ecological Significance of Aphid Cornucles and Their Secretions. Annu. Rev. Entomol. 67:65-81. 2. Seeburger, V.C. et al (2020). The trisaccharide melezitose impacts honey bees and their intestinal microbiota. PLoS ONE 15(4). 3. Ritter, W (2012). Bienen gesund erhalten. Ulmer 159. Kontakt Dr. Karsten Stief; Heidenheim Karsten.stief@gmx.de 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 321

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Bienen ___________________________________________________________________________________________________________ Take a look at me now... (Ultra-)Struktur ausgewählter Bienenorgane nach Chronische-Bienen-Paralyse-Virus-Infektion Julia Dittes1,2 1Praktisches Ausbildungs- und Lernzentrum, Universität Leipzig; 2Veterinär-Anatomisches Institut, Universität Leipzig Einleitung und Zielstellung Bis heute sind über 18 Bienenviren beschrieben, wobei das Chronische-Bienen-Paralyse-Virus (CBPV) im Jahr 1963 das erste war (1). Es ist, wie die meisten Bienenviren, ein RNA-Virus, das sich durch eine eher geringe Größe (20-30 x 50-60 nm) und anisometrische Gestalt sowie seiner bisher fehlenden Zuordnung zu einer Virusfamilie auszeichnet (2). CBPV verursacht Symptome einer Paralyse und schwarzer haarloser Abdomina bei adulten Honigbienen, die schließlich zum Tod und dem damit verbundenen Verlust zahlreicher Arbeiterinnen führen. PCR-Untersuchungen konnten bereits nachweisen, dass das Virus einen Neurotropismus zeigt und etwa die Hälfte der nachweisbaren Viruspartikel im Kopf der Biene lokalisiert sind (3). Olivier et al. konnten 2008 per In-Situ-Hybridisierung die Hirnregionen, in denen das Virus akkumuliert, nachweisen. Dazu zählen die Pilzkörper und der Zentralkomplex, Areale, in denen wichtige Funktionen für Bewegungsabläufe, Orientierung und Lernvermögen vermittelt werden (4). Lee und Furgala war es bereits 1965 gelungen, das Virus transmissionselektronenmikroskopisch (TEM) im Thorakalganglion nachzuweisen (5). Genauere Daten zur Pathogenese des Virus sind bisher in der Literatur jedoch nicht vorhanden. Ziel dieses Projektes ist es daher morphologische Veränderungen in Gewebeschnitten infizierter Honigbienen lichtmikroskopisch zu identifizieren und die intrazelluläre Viruslokalisation sowie ultrastrukturelle Veränderungen mittels Transmissionselektronenmikroskopie zu charakterisieren. Material und Methoden Als Probenmaterial wurden symptomatische Bienen aus einem Volk mit per PCR bestätigter CBPV-Feld- Infektion verwendet. Als Kontrolle dienten pathogenfreie Bienen des Länderinstitutes für Bienenkunde in Hohen Neuendorf. Die Bienen wurden CO2-anästhesiert und durch Dekapitation getötet. Anschließend erfolgte eine Präparation des Gehirns, des Mitteldarmes, der Hypopharynxdrüsen und der Abdominalganglien in Insect Saline Solution und eine Überführung in 4 %-iges gepuffertes Formalin für die Lichtmikroskopie sowie eine Fixierlösung aus 2,5 %-igem Glutaraldehyd, 4 %-igem gepufferten Formalin und Cacodylat für die TEM- Einbettung. Die Einbettung erfolgte gemäß der im Institut etablierten Protokolle für die Lichtmikroskopie in Paraffin und für die TEM in Epoxidharz. Die Paraffinschnitte wurden mit Hämatoxylin-Eosin angefärbt. Zusätzlich wurde eine Caspase-3-Färbung durchgeführt, um Apoptosen darzustellen. Die lichtmikroskopischen Untersuchungen wurden am Veterinär-Anatomischen Institut in Leipzig an einem Olympus BX51 durchgeführt, die TEM-Untersuchungen am Friedrich-Loeffler-Institut Greifswald, Insel Riems am Talos F200i. Erste Ergebnisse Im Folgenden soll vorrangig auf die Ergebnisse zu Mitteldarm und Gehirn eingegangen werden. Kontrolltiere: Mitteldarm Es zeigen sich hochprismatische Epithelzellen mit feingranuliertem schaumigem Zytoplasma in mehreren Reihen, die peritrophe Matrix sezernieren. Ein dichter Mikrovillibesatz ist erkennbar. Basal können Zellnester 322 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Bienen ___________________________________________________________________________________________________________ mit kubischen Zellen und deutlichem Zellkern identifiziert werden. Apikal sind Zytoplasmaabschnürungen zu sehen. Gehirn Im Protocerebrum und den Calyces der Corpora pedunculata sind Kenyon-Zellen mit optisch leeren Räumen um die Zellkerne sichtbar. Die Zellen weisen verschiedene Größen auf. Unterhalb der Calyces sind größere Zellen mit z. T. optisch leeren Räumen zu beobachten. Die Calyces selbst zeigen eine amorphe eosinophile Grundsubstanz mit vereinzelten Zellen. In den Lobi optici können geschichtete Zellreihen beschrieben werden, deren Fortsätze sich in Richtung der amorphen Grundsubstanz ausbreiten. Infizierte und erkrankte Tiere: Mitteldarm Die Enterozyten zeigen eine iso- bis hochprismatische Gestalt und liegen einreihig. Nur wenige Zellnester mit Regenerationszellen sind erkennbar. Im Lumen liegt eine Vielzahl an abgeschilferten Epithelzellen. Apikal schnüren die Zellen feingranulierte Zytoplasmatropfen ab. Vereinzelt sind Kernwandhyperchromasien zu finden. Gehirn Die Zellansammlungen innerhalb der Calyces wirken aufgelockert. Die Zellen weisen eine ähnliche Größe auf und erscheinen insgesamt vergrößert mit optisch leeren Räumen. Die Calyces selbst sowie die Lobi optici zeigen eine amorphe eosinophile Grundsubstanz mit wenigen Zellen. Mit TEM-Untersuchungen konnten Ansammlungen von Partikeln in Größe 20 x50 nm in allen Organen der erkrankten Tiere nachgewiesen werden. Dabei lagen die Partikel teils frei, teils membranumschlossen im Zytoplasma vor. Zumeist waren diese Bereiche assoziiert mit Mehrfachmembransystemen und Lipid- oder Proteineinschlüssen. Die Zellkerne mehrerer virusbefallener Zellen zeigten Chromatinmargination. Im Gegensatz dazu war ein Nachweis ähnlicher Strukturen in den Kontrolltieren nicht möglich. Die Auswertung weiterer Proben erfolgt derzeit. Eine Immunfluoreszenzfärbung wurde ausschließlich im Gehirn- und Mitteldarmgewebe durchgeführt. Hier konnte in Bereichen der Kenyon-Zellen in den Corpora pedunculata und in Epithelzellen des Mitteldarmes vereinzelt Caspase-3-Aktivität nachgewiesen werden. Diskussion Lichtmikroskopische Beobachtungen der Kontrolltiere entsprechen den Angaben aus der Literatur (z. B. 6). Die bisher erhobenen Befunde der feld-infizierten Tiere weisen vorwiegend auf unspezifische degenerative Veränderungen hin. Viruseinschlusskörperchen sind nicht nachweisbar. Die in der TEM dargestellten Partikel entsprechen in ihrer Form, Größe und Anordnung denen der Arbeiten von Lee und Furgala (1965), die das Virus ebenfalls frei im Zytoplasma liegend beschrieben (5), sowie Bailey et al. (1968), die sich mit der Partikelgröße auseinandergesetzt haben (7). Die Chromatinmargination bestätigt die in der Lichtmikroskopie sichtbaren Kernwandhyperchromasien. Schlussfolgerung Die bisher betrachteten Proben zeigen Hinweise auf Veränderungen, die durch das Chronische- Bienenparalyse-Virus bedingt sein können, jedoch kann darüber noch keine finale Aussage getroffen werden. Derzeit erfolgt die Auswertung weiterer Proben mit den o. g. Untersuchungstechniken. Zudem sind spätere Gegenkontrollen der Befunde an gezielt infizierten Tieren geplant. Literatur 1. Bailey L, Gibbs AJ, Woods RD. Two viruses from adult honey bees (Apis mellifera Linnaeus). Virology 1963;21:390–5. 2. Ribiére M, Olivier V, Blanchard P. Chronic bee paralysis: A disease and a virus like not other? J Invert Pathol 2010;103:120-31. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 323

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Bienen ___________________________________________________________________________________________________________ 3. Blanchard P, Ribière M, Celle O et al. Evaluation of a real-time two step RT-PCR assay for quantitation of Chronic bee paralysis virus (CBPV) genome in experimentally-infected bee tissues and in life stages of a symptomatic colony. J. Virol. Methods 2007;141:7–13. 4. Olivier V, Massou I, Celle O et al. In situ hybridization assays for localization of the Chronic bee paralysis virus in the honey 5. bee (Apis mellifera) brain. J. Virol. Methods 2008;153:232–7. Lee PE, Furgala B. Chronic bee paralysis virus in the nerve ganglia of the adult honey bee. J. Invertebr. Pathol. 1965;7:170–4. 6. Aupperle H, Genersch E. Diagnostischer Farbatlas der Bienenpathologie. Laboklin 2016. Bad Kissingen. 7. Bailey L, Gibbs AJ, Woods RD. The Purification and Properties of Chronic Bee-paralysis Virus. J gen. Virol. 1968;2:251-60. Acknowledgements Mein ausdrücklicher Dank gilt Prof. Dr. Elke Genersch und dem Team des LIB Hohen Neuendorf für die Zusendung der Kontrolltiere, Dr. Kati Franzke des FLI für die Möglichkeit und die tatkräftige Unterstützung bei der Nutzung des Talos F200i und meinen Kollegen Dr. Thomas Grochow, Dr. Ilka Emmerich, Prof. Dr. Dr. Simone Fietz und Prof. Dr. Christoph Mülling für die Unterstützung bei der Arbeit an diesem Projekt. Diese Arbeit wurde gefördert durch das Nachwuchsförderungsprogramm der Veterinärmedizinischen Fakultät Leipzig finanziert durch den Freundeskreis Tiermedizin, die Veterinärmedizinische Fakultät und Ceva Santé Animale. Kontakt Dr. Julia Dittes; Praktisches Ausbildungs- und Lernzentrum und Veterinär-Anatomisches Institut, Universität Leipzig julia.dittes@vetmed.uni-leipzig.de 324 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3

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Bienen ___________________________________________________________________________________________________________ Wirksamkeit und Verträglichkeit von 60% Ameisensäure zur Behandlung der Varroose Ulrich Ernst1, Antonia Bachert2, Stefan Berg3, Annely Brandt2, Ralph Büchler2, Marika Harz4, Ingrid Illies3, Marina Meixner2, Valon Mustafi5, Christoph Otten5, Jens Radtke6, Jakob Wegener6 1Landesanstalt für Bienenkunde, Universität Hohenheim; 2Bieneninstitut Kirchhain, Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen; 3Institut für Bienenkunde und Imkerei, Bayerische Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau, Veitshöchheim; 4Bienenkunde, Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen, Münster; 5Fachzentrum Bienen und Imkerei, Dienstleistungszentrum Westerwald-Osteifel, Mayen; 6Länderinstitut für Bienenkunde Hohen Neuendorf e.V.; * Koautor*innen in alphabetischer Reihenfolge Abstract Hauptursache der periodischen Völkerverluste bei Honigbienen ist die ektoparasitische Milbe Varroa destructor. Die Standardzulassung für Ameisensäure als Tierarzneimittel läuft nach der Übergangsfrist aus. Wir haben die Wirksamkeit einer einmaligen Behandlung mit 60%iger Ameisensäure für einzargige und zweizargige Völker ermittelt. Die Wirksamkeit lag in unterschiedlichen Applikationsformen durchschnittlich zwischen 80 und 94 %, wobei es Standortunterschiede gab. An zwei von sechs Standorten kam es zu erhöhten Völkerverlusten. Ameisensäure als Tierarzneimittel Die Hauptursache für Verluste von Honigbienenvölkern ist die Varroamilbe, Varroa destructor. Zur Bekämpfung der Varroamilbe eignen sich sowohl angepaßte Betriebsweisen und biotechnische Maßnahmen als auch medikamentöse Behandlungen. In der Regel werden mehrere Methoden kombiniert. Ziel der angepaßten Betriebsweisen und biotechnischen Maßnahmen ist es, die Milbenlast während der Trachtzeiten unter der Schadschwelle zu halten. Dazu gehören zum Beispiel die Entfernung eines Teils der Milbenpopulation durch Entnahme von Brutwaben zur Ablegerbildung oder die Entnahme von Drohnenbrut, oder auch Brutpausen (zum Beispiel durch Käfigen der Königin). Bei den medikamentösen Behandlungen lassen sich synthetische Akarizide und organische Säuren unterscheiden. Unter allen Behandlungsmethoden zeichnet sich Ameisensäure dadurch aus, dass sie als einziger Wirkstoff nicht nur Milben außerhalb von Brutzellen, sondern auch Milben in verdeckelter Brut erreicht und wirksam tötet. Zudem ist die Rückstandsgefahr aufgrund der Wasserlöslichkeit des Wirkstoffes für die Bienenprodukte gering, zumal es zu keiner Anreicherung im Bienenvolk kommen kann. Die Ausbildung einer Wirkstoffresistenz der Parasiten ist unwahrscheinlich und trotz mehr als 40jähriger Anwendung bisher nicht bekannt. Veränderung der Zulassung Das europäische Tierarzneimittelrecht wurde mit der Verordnung (EU) 2019/6 vom 28. Januar 2022 vereinheitlicht. Dadurch waren Sonderwege nationaler Zulassungen wie die Standardzulassung in Deutschland entfallen. Das betrifft bei den Honigbienen die veterinärmedizinischen Präparate zur Behandlung der Varroose auf Basis der Standardzulassungen (Ameisensäure 60 % ad us. vet.; Oxalsäuredihydrat 3,5 % ad us. vet.; Milchsäure 15 % ad us. vet.). Das Tierarzneimittelgesetz (TAMG) vom 27. September 2021 sieht eine Übergangsfrist für die Bereitstellung der Tierarzneimittel bis zum 29. Januar 2027 vor. Danach dürfen nur noch Präparate mit Einzelzulassung vertrieben werden. Vor diesem Hintergrund wurden 2022 Versuche zur Wirksamkeit und Verträglichkeit von 60%iger Ameisensäure durchgeführt. Mittlerweile (Stand 15.10.2023) gibt es in Deutschland Einzelzulassungen für 60%ige Ameisensäure, für Milchsäure wie auch für Oxalsäure. Versuchsaufbau An insgesamt sechs Standorten in Deutschland (Hohenheim, Hohen Neuendorf, Kirchhain, Mayen, Münster, Veitshöchheim) wurde bei ein- und zweizargigen Völkern (Zander- oder Deutsch Normalmaß) 5 g 60%ige Ameisensäure pro Liter Beutenvolumen durch die Verdunstungssysteme Liebig Dispenser oder 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3 325

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Bienen ___________________________________________________________________________________________________________ (Vergleichspräparat), Nassenheider Professional appliziert. FormicPro® diente als Positivkontrolle Negativkontrollen blieben unbehandelt. Die eingesetzte Menge Ameisensäure verdunstete innerhalb von maximal vierzehn Tagen. Zur Restentmilbung wurde Bayvarol (sechs Wochen lang) bzw. an einem Standort Apivar (zehn Wochen lang) eingesetzt. Die Effizienz (Behandlungserfolg) wurde als Quotient der abgefallenen Milben im Behandlungszeitraum im Vergleich zur Gesamtzahl gefallener Milben (Behandlungszeitraum + Nachbehandlungszeitraum) berechnet. Zusätzlich wurde an manchen Standorten auch die Applikation mit Schwammtuch getestet, jedoch noch nicht detailliert ausgewertet. Ergebnisse Die mittlere Effizienz (über alle Standorte) der einmaligen Anwendung bewegte sich nach vorläufiger Auswertung für die Behandlung mit Liebig Dispenser, Nassenheider Professional oder FormicPro® zwischen 77 % und 94 %. Dabei gab es Standorteffekte, d.h. an mehreren Standorten bewegten sich die pro Standort und Behandlung gemittelten Effizienzen zwischen 90 % und 99 %, an anderen hingegen zwischen 60 % und 81 %. An zwei Standorten kam es zu Völkerverlusten: Bei einzargigen Völkern mit Liebig Dispenser sechs von insgesamt 31 (= 19 %), mit Nassenheider Professional eins von 32 (= 3 %) und bei FormicPro eins von sieben (= 14 %) Völkern. Bei den zweizargigen Völkern gab es beim Liebig Dispenser und beim Nassenheider Professional jeweils Verluste von zwei Völkern von je 25 (= 8 %). Diskussion Eine einmalige relativ hohe Dosierung von 60%iger Ameisensäure hat an den meisten Standorten eine sehr hohe Wirksamkeit gezeigt. Dabei war die Wirkung so hoch wie oder sogar höher als bei dem zugelassenen Präparat FormicPro®. Schwankungen innerhalb und insbesondere zwischen Standorten zeigen, dass dennoch eine Überprüfung der Wirksamkeit notwendig ist, um gegebenenfalls weitere Maßnahmen einzuleiten. Die hohe Wirksamkeit war an den meisten Standorten nicht mit erhöhten Völkerverlusten verbunden. Kontakt: Dr. Ulrich Ernst; Landesanstalt für Bienenkunde, Universität Hohenheim, Stuttgart Ulrich.Ernst@uni-hohenheim.de 326 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 3