2024_TRK_Tagungsband1

LBH: Leipziger Blaue Hefte 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 Proceedings zum 12. Leipziger Tierärztekongress, 18. – 20. Januar 2024 Prof. Dr. R. Cermak Dr. G. Möbius Prof. Dr. M. Pees Dr. V. Schmidt Albrecht-Daniel-Thaer-Institut e.V., Universität Leipzig Prof. Dr. Uwe Truyen Institut für Tierhygiene und Öffentliches Veterinärwesen, Universität Leipzig Editoren: Dr. Reiko Rackwitz Facheditoren dieses Bandes: Prof. Dr. M. Alef Dr. H. Mitterer-Istyagin Prof. Dr. G. Oechtering Dr. H. Ratsch Redaktionsleitung: Dr. Reiko Rackwitz, Albrecht-Daniel-Thaer-Institut für Agrar- und Veterinärwissenschaften e.V., Universität Leipzig An den Tierkliniken 7, 04103 Leipzig blaue-hefte@uni-leipzig.de; https://www.vetmed.uni-leipzig.de/fakultaet/leipziger-blaue-hefte/ Gestaltung: Dr. Reiko Rackwitz Das Copyright der Manuskripte liegt bei den Autoren. Zitation dieses Bandes: Rackwitz R, Truyen U (Hrsg): LBH: 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 Leipzig, 2024

Editorial Die Tiermedizin bietet eine fast unüberschaubare Vielfalt an Arbeitsfeldern und Einsatzmöglichkeiten. Es ist der Anspruch des Leipziger Tierärztekongresses diese Vielfalt abzubilden, Schnittmengen zwischen den einzelnen Bereichen aufzuzeigen und den fachlichen Austausch zu fördern. In seiner zwölften Auflage ist der Leipziger Tierärztekongress deshalb thematisch noch einmal umfangreicher geworden. Neu im Programm sind unter anderem Vorträge zur tiermedizinischen Lehre und zum Praxismanagement. Die möglichst strukturierte Darstellung der Vortragsinhalte ist damit auch für die Leipziger Blauen Hefte eine Herausforderung. In diesem Jahr haben wir uns dazu entschieden, die Manuskripte zu den Vorträgen in vier Bänden herauszugeben. Diese folgen grob der Einteilung in Kleintiere, Pferde, Bestandstiere und übergreifende Fächer. Wir möchten Sie aber ausdrücklich ermuntern, auch in Manuskripte abseits Ihres Fachgebietes hineinzulesen, Neues zu entdecken und den fachlichen Fokus zu erweitern. Wir wünschen Ihnen einen erfolgreichen Kongress und viel Spaß beim Schmökern in den Leipziger Blauen Heften! Leipzig, November 2023 Prof. Dr. Uwe Truyen Dr. Reiko Rackwitz

Inhaltsverzeichnis Ethik Welche Konsequenzen entstehen aus der EXOPET-Studie? .................................................................... 11 Thomas Bartels Aktuelle Probleme der Reptilienhaltung ...................................................................................................... 14 Markus Baur & Sabine Öfner Beurteilung von Reptilienhaltungen: Herausforderung für die Veterinärverwaltung .............................. 23 Robert Kirmair Bedeutung der Exotenhaltung aus der Sicht Zoologischer Fachbetriebe ............................................... 26 Stefan Karl Hetz Exotenhaltung: was kann die Politik leisten? ............................................................................................. 28 Undine Kurth Die Umsetzung des Deutschen Tierschutzgesetzes kritisch hinterfragt - oder: Wenn doch nicht alle Tiere gleichbehandelt werden ...................................................................................................................... 31 Stephanie Krämer Fokus Kälbergesundheit - Warum erhalten die Kleinsten oft die geringste Aufmerksamkeit? .............. 34 Philipp Zuz Tierschutz in der Kleintiermedizin in der Wahrnehmung von Tierhalter:in und Tiermediziner:in - Möglichkeiten und Grenzen der Aufklärung ................................................................................................ 35 Christiane Bärsch Mit Zwang zur Verantwortung? Die Möglichkeiten der amtlichen Tierärzteschaft .................................. 36 Eileen Hoppe Wofür Tierärzt*innen wirklich verantwortlich sind - und weshalb sie keine Ahnung davon haben ....... 39 Kerstin Weich Hund / Katze Schlaflos durch die Nacht: Der Countdown läuft ....................................................................................... 42 Gerhard Oechtering, Anne Blechner, Veronica Spormann 101 Gründe für Atemnot bei kleinen Rassen: Erkennen - Diagnostizieren – Behandeln ........................ 46 Gerhard Oechtering, Roxana Gherghina, Theresa Siegel, Kathlenn Höhns Tumorbedingter Hämaskos – was ist möglich und sinnvoll ...................................................................... 49 Martin Kessler Notfälle bei Lymphom-Patienten .................................................................................................................. 53 Julia Gedon Leukämien als akuter Notfall ........................................................................................................................ 56 Martin Kessler Wenn die Therapie zum Notfall führt und wie ich reagieren kann ............................................................. 58 Katja Kalenyak Das Conn-Syndrom: wenig bekannt und unterschätzt! ............................................................................. 63 Florian K. Zeugswetter Tumore der unteren Harnwege – irgendwann ist es ein Notfall ................................................................ 66 Jana Weinekötter 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 3

Unverhofft - böse Überraschung bei akuter Parese .................................................................................... 68 Carina Tästensen Für Sie im Journal Club gelesen: Was gibt Neues gegen Atemlosigkeit und Co?................................... 70 Michaele Alef Atemlos durch die Nacht? Muss nicht sein! - Tipps und Tricks zu Atemwegsmanagement und Beatmung ................................................................................................................................................ 74 Eva Eberspächer-Schweda Nach müde kommt „doof“! - Fehler in angespannten Situationen gezielt vermeiden ............................. 75 Frauke Paul, Michaele Alef Ein bisschen Flüssigkeit und (fast) jeder kommt über die Nacht! - Infusionstherapie für Notfälle ........ 76 Eva Eberspächer-Schweda Tun Sie was, mein Welpe stirbt! .................................................................................................................... 77 Sandra Goericke-Pesch Der Notfall in der Reproduktionsmedizin – nicht nur Geburtshilfe ............................................................ 80 Axel Wehrend Der Notfall in der Reproduktionsmedizin – den Rüden nicht vergessen! ................................................. 82 Sandra Goericke-Pesch Blasser Patient und gestresste Tierärztin - bei der Anämie hilft ein systematischer Ansatz .................. 85 Iwan A. Burgener Ungebremst in die Katastrophe - der hypokalzämische Notfall! ................................................................ 91 Florian K. Zeugswetter Rote Flecken überall – kühlen Kopf bewahren bei Hämostasestörungen! ............................................... 94 Iwan A. Burgener Nur nicht aus der Puste kommen – wie Katzengesundheitsvorsorge dafür sorgt, dass die Katze gesund und glücklich bleibt ................................................................................................ 99 Katrin Hartmann, Teresa Rehme Im Multiversum der Babesiose .................................................................................................................... 102 Catharina C. Euler Völlig unterzuckert! Wenn der Treibstoff fehlt! ......................................................................................... 105 Florian K. Zeugswetter Parvovirose beim Hund - Aktuelle Therapieoptionen gegen Macht- und Atemlosigkeit in Anbetracht der Prognose ........................................................................................................................ 108 Dorothee Dahlem Husten, Giemen, Atemnot – kann das felines Asthma sein? ................................................................... 114 Bianka Schulz Feline Obstipation – Eine Erkrankung, die wiederkehrend den Atem raubt ........................................... 116 Dorothee Dahlem Hilfe, der Hund hustet – abwarten oder ab in den Notdienst? ................................................................. 119 Bianka Schulz Der Atemlosigkeit zuvorkommen – Praktisches Therapiemanagement beim Übergang von präsymptomatischer zu symptomatischer Linksherzerkrankung beim Hund ........................................ 121 Jan-Gerd Kresken Atemlos durch die Nacht – und was Abhilfe bei Dyspnoe schafft: Modernes Diuresemanagement aus Sicht der Human- und Veterinärmedizin .................................................................................................... 126 Imke März, Luciano Pizzulli

Heiß, heißer, Hitzschlag – ein Notfallpatient, nicht nur in den Sommermonaten! ................................. 130 Katja Kalenyak Augenerkrankungen für jedermann- kein besonderes Equipment erforderlich .................................... 133 Sabine Sahr Dry Eye Disease beim Menschen ............................................................................................................... 138 Ulrike Hampel Bitte nicht übersehen: das akute Glaukom! Wie kommt man mit einfachen Mitteln auf diese Diagnose und wie geht es danach weiter? ................................................................................................................. 139 Andrea Steinmetz Tumor im Auge = Enukleation? .................................................................................................................. 142 Andrea Steinmetz Notfall? Hat Zeit? Zahnfraktur/Zahnluxation – Behandlungsoptionen und Entscheidungsfindung .... 144 Jan Schreyer Oromaxillofaziales Trauma - Kieferfrakturen ............................................................................................ 146 Martina van Suntum, Linus Klasen Sieht oft ganz schön schlimm aus Orofaciales Trauma - Weichteilverletzungen .................................. 149 Ingo Blanke Ganz Fast: A-Fast, E-Fast, Faster than Fast – Sonographische Notfalldiagnostik ................................ 151 Claudia Köhler, Sophie Ophey, Sabrina Gamerad, Ingmar Kiefer Bildgestützte Diagnostik und Therapie in der Notfallsituation ................................................................ 155 Ingmar Kiefer, Michaele Alef, Claudia Köhler Blutung - wo hin und wie diagnostiziere ich es? ...................................................................................... 159 Sophie Ophey, Claudia Köhler, Sabrina Gamerad, Ingmar Kiefer Frakturen und Sofortmaßnahmen im Notdienst bei Hunden und Katzen ............................................... 163 Andreas Brühschwein Bildgebende Diagnostik bei Patienten mit Dyspnoe ................................................................................ 166 Eberhard Ludewig, Sibylle Kneissl Luft, Luft, Luft – Wenn zu viel an den falschen Stellen ist! ...................................................................... 170 Beate Bosch Der neurologische Patient in Röntgendiagnostik und Sonographie ...................................................... 171 Kerstin von Pückler Ileusdiagnostik- Wann bin ich mir sicher .................................................................................................. 172 Kristina Merhof Harnabsatzstörungen und warum ich nicht hektisch werden sollte! ...................................................... 174 Sabrina Gamerad, Claudia Köhler, Ingmar Kiefer Jetzt nur die Zwerchfellruptur? .................................................................................................................. 178 Urs Geissbühler Dystokie: Was weiß Patrick darüber? ........................................................................................................ 181 Patrick Kircher Behandlung von Arthrose-Patienten – Option monoklonale Antikörper ................................................ 185 Sabine Tacke Meine Gallenblase hält nicht bis zum nächsten Tag ................................................................................ 188 Emilia Mazur Wenn man richtig Luft ablassen muss. Mein Thorax ist atemlos ............................................................ 190 Leif-Erik Thul 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 5

FÜR HUNDE UND KATZEN Für einen ganzjährigen Schutz vor Zecken & Flöhen Auch die ESCCAP empfiehlt: „Ein ganzjähriger, kontinuierlicher Schutz von Hunden und Katzen # gegen Flöhe und Zecken wird empfohlen.“ # mit einem moderaten oder höheren Expositionsrisiko gegenüber diesen Parasiten * Bravecto® Kautabletten: sofortige und anhaltende abtötende Wirkung gegen Flöhe (Ctenocephalides felis) und Zecken (Ixodes ricinus, Dermacentor reticulatus, D. variabilis) über 12 Wochen und gegen Rhipicephalus sanguineus über 8 Wochen. Anhaltende Zecken-abtötende Wirkung gegen Ixodes hexagonus vom 7. Tag bis zu 12 Wochen nach der Behandlung. Zur Behandlung der durch Demodex canis verursachten Demodikose und Sarcoptes-Räu- de (Sarcoptes scabiei var. canis). Zur Verringerung des Infektionsrisikos mit Babesia canis canis mittels Übertragung durch Dermacentor reticulatus und mit Dipylidium caninum mittels Übertragung durch Ctenocephalides felis für bis zu 12 Wochen. Die Wirkung erfolgt indirekt durch die Wirksamkeit des Tierarzneimittels gegen die Vektoren. Bravecto® Lösung zum Auftropfen auf die Haut für Hunde: sofortige und anhaltende abtötende Wirkung gegen Flöhe (Ctenocephalides felis und Ctenocephalides canis) über 12 Wochen, sofortige und anhaltende Zecken-abtötende Wirkung (Ixodes ricinus, Rhipicephalus sanguineus und Dermacentor reticulatus) über 12 Wochen. Zur Behandlung der durch Demodex canis verursachten Demodikose. Zur Behandlung eines Sarcoptes-Räude (Sarcoptes scabiei var. canis) Befalls. Bravecto® Lösung zum Auftropfen auf die Haut für Katzen: sofortige und an- haltende abtötende Wirkung gegen Flöhe (Ctenocephalides felis) und Zecken (Ixodes ricinus) über 12 Wochen. Zur Behandlung eines Befalls mit Ohrmilben (Otodectes cynotis). Bravecto® Plus Lösung zum Auftropfen auf die Haut für Katzen: sofortige und anhaltende abtötende Wirkung gegen Flöhe (Ctenocephalides felis) und Zecken (Ixodes ricinus) über 12 Wochen. Zur Behandlung eines Befalls mit Ohrmilben (Otodectes cynotis). Zur Behandlung von Infektionen mit Spulwürmern (Toxocara cati) und Hakenwürmern (Ancylostoma tubaeforme). Bei wiederholter Verabreichung in 12-wöchigem Abstand beugt das Tierarzneimittel kontinuierlich einer durch Dirofilaria im- mitis verursachten Herzwurmerkrankung vor. Vorbeugung der Aelurostrongylose (durch Vermeidung der Ansiedlung von adulten Aelurostrongylus abstrusus, die für die klinische Erkrankung verantwortlich sind). Alle BRAVECTO® Produkte sind verschreibungspflichtig. Weitere Informationen zu den BRAVECTO® Produkten finden Sie hier: Kautablette Hund: Spot-on Hund: Spot-on Katze: BRAVECTO® Plus Katze: Copyright © 2023 Merck & Co., Inc., Rahway, NJ, USA and its affiliates. All rights reserved. Die Wissenschaft für gesündere Tiere Intervet Deutschland GmbH – ein Unternehmen der MSD Tiergesundheit Intervet Deutschland GmbH I Feldstraße 1a I D-85716 Unterschleißheim I www.msd-tiergesundheit.de 4 0 0 0 0 6 0 3 2 - V R B - E D

Wenn der Fuge im Wachstum die Luft ausgeht ......................................................................................... 193 Anna Schmidt Science and evidence behind mesenchymal stem cells in canine osteoarthritis .................................. 197 Almudena Pradera Mit einem zertrümmerten Becken durch die Nacht ................................................................................... 198 Lars Theyse Operative Ankylose des Radioulnärgelenks zur Behandlung persistierender Lahmheit bei Hunden nach arthroskopischer partieller Coronoidektomie bei medialer Coronoiderkrankung ........................ 201 Thomas Niedenführ Keine Luft für meinen Lungenlappen ......................................................................................................... 204 Pia Rebentrost Mein Zwerchfell macht mich atemlos! ........................................................................................................ 208 Sophie Auer Jetzt geht meinem Larynx die Puste aus ................................................................................................... 212 Rudi Barthmann Der Notfall-Medikamentenkoffer für die Dermatologie ............................................................................. 214 Wolfgang Bäumer Der dermatologische Notfall: autoimmune subepidermale Blistering-diseases beim Hund ................. 217 Maren Dölle Der dermatologische Notfall: Pemphigus foliaceus / vulgaris beim Hund ............................................. 221 Nina Thom Die Katze mit Juckreiz an Kopf und Nacken .............................................................................................. 225 Ralf Mueller Die Kahle Katze – Psychogen oder Allergie-bedingt? Wie kann man diese unterscheiden? ............... 227 Sonya Bettenay Der dermatologische Patient mit Atemnot – eosinophiles Granulom der Katze .................................... 230 Ralf Müller, Romy M. Heilmann „Neue“ Eiweißquellen bei Haut- und Darmpatienten: Wie geeignet sind Insekten- und Pflanzenproteine? ........................................................................................................................................ 232 Nadine Paßlack Der krampfende Notfall: „Da rollt’n Zug durch meinen Kopf…“ .............................................................. 235 Irene C. Böttcher Der zweibeinige Schädel-Hirn-Trauma-Patient: „Mein Kopf schlägt ganz laut Alarm“ .......................... 239 Matthias Krause Der vierbeinige Schädel-Hirn-Trauma Patient: Mein Kopf schlägt ganz laut Alarm. Teil II .................... 243 Thomas Flegel Der gelähmte Notfall: „Bleib doch nur steh‘n für ein‘n Moment…“ ......................................................... 247 Shenja Loderstedt; Kaspar Matiasek Tetanus: „Von außen wurde ich hart wie Stein…“ .................................................................................... 252 Sarah Gutmann Verhaltenstherapie Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr? ............................................................................... 256 Viviane Theby

Mit Medical Training eine solide Basis fürs Leben schaffen ................................................................... 258 Nicole Stein Gibt es ADHS beim Hund oder sind auffällige Hunde nur nicht ausgelastet? ....................................... 260 Celina del Amo Ist es Epilepsie, eine Mangelernährung oder doch „nur“ ein Verhaltensproblem? .............................. 263 Benjamin-Andreas Berk Prophylaxe und Therapie von Mensch-Katze-Beziehungsproblemen .................................................... 268 Franziska Kuhne Aktuelle Entwicklungen bei Medikamenten und Nahrungsergänzungsmitteln in der Verhaltenstherapie ....................................................................................................................................... 271 Constanze Pape Alter ist keine Krankheit - Management und Therapie von altersbedingten Erkrankungen mit Verhaltensveränderungen bei Hund und Katze ........................................................................................ 272 Angelika Firnkes Heimtiere Notfall oder nicht, das ist immer die Frage! .............................................................................................. 276 Milena Thöle Atemlos – Hilfe der Kleinsäuger pumpt! .................................................................................................... 277 Tina Brezina Mein Kleinsäuger setzt keinen Harn ab ‐ ist das schlimm? ..................................................................... 279 Kerstin Müller Ein Kleinsäuger mit Blutung! Kleiner Patient = großes Problem? .......................................................... 281 Tina Brezina Lebensbedrohlich? Notfall Magen-Darm-Trakt ......................................................................................... 283 Milena Thöle What is new? Aktuelle Kleinsäugerliteratur für Sie gelesen .................................................................... 285 Kerstin Müller Aktuelles zu Influenzaviren bei Wild- und Ziervogel ................................................................................ 287 Christian Grund Wildvogelbehandlung: Spagat zwischen Tierschutz-Artenschutz-Liquidation ..................................... 288 Gerald Fritz Schusser, Philipp Mädje, Hans Lilie Fortbildung im Bereich Wildtiermedizin – was gibt es, was macht Sinn, lohnt sich das? .................... 290 Kerstin Müller Bildgebende Diagnostik am Bewegungsapparat des Vogels .................................................................. 291 Anna Korshunova, Maria-Elisabeth Krautwald-Junghanns Neues zum Bornavirus der Papageien ...................................................................................................... 295 Michael Lierz Psittacines Adenovirus 2 ............................................................................................................................ 298 Volker Schmidt, Kristin Heenemann Aktuelles zu Taubenimpfstoffen ................................................................................................................. 299 Christian Grund Diagnostik und Therapie von aviären Schilddrüsenerkrankungen ......................................................... 300 Cornelia Konicek, Michaela Gumpenberger 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 7

Ophidiomyces ophidiicola bei Schlangen in Deutschland und Stand der Forschung in Europa ......... 301 Rachel E. Marschang, Lisa Schüler Zwischen Klimawandel und Globalisierung – das stille (Aus)sterben unserer einheimischen Amphibien und Reptilien ............................................................................................................................. 313 Johannes Hetterich Ursachen und Therapiemöglichkeiten von Nierenerkrankungen ............................................................ 315 Sabine Öfner, Markus Baur Vergleichende sonographische Untersuchungen der Nieren bei Echsen .............................................. 317 Nils Klützow, PD Dr. Volker Schmidt Klinisch-chemische Parameter bei Nierenerkrankungen ......................................................................... 319 Gregor Geisler Nicht jede Diagnostik hilft: Typische Beispiele von Fehlinterpretationen bei Reptilien ........................ 321 Michael Pees, Johannes Hetterich Fische Zierfischsprechstunde – wie behandelt man Darmflagellaten und Co.? ................................................. 323 Sandra Lechleiter Amöbeninfektion bei Regenbogenforellen mit Ausblick auf Therapiemöglichkeiten ............................ 325 Stefania M. Vannetti, James W. Wynne, Chloe English, Christine Huynh, Ralph Knüsel, Carolina de Sales Ribeiro, Maro Widmer, Gary Delalay, Heike Schmidt-Posthaus Perch Rhabdovirus (PRV) und andere (bisher unbekannte) Viren in der Barsch-Aquakultur .............. 327 Heike Schmidt-Posthaus, Torsten Seuberlich, Nicolas Diserens Nitrit – Neues und Altes neu betrachtet zu einem der wichtigsten Wasserparameter bei der Zierfischhaltung............................................................................................................................................ 331 Stefan Karl Hetz Fallbeispiele zur Diagnostik und Prophylaxestrategien mittels bestandsspezifischer Impfstoffe bei Kois und Salmoniden ................................................................................................................................... 334 Marcel Erhard, Sarah Lechleiter & Falk Wortberg Vergleich mikrobiologischer Wasseruntersuchungen unter Praxisbedingungen ................................. 336 Christine Lange Handwerkliche Be- und Verarbeitung von Fischen ................................................................................... 337 Helmut Wedekind Wie hämatologische Analysen uns etwas über das Wohlergehen von Fischen lehren können – Einfluss von Stress und das Immunsystem von Fischen ........................................................................ 339 Henrike Seibel, Björn Baßmann, Alexander Rebl Bolzenschuss als Betäubungsmethode für große Fischspezies ............................................................. 340 G. Bröcker, K. Retter, A.-C. Miebach, Felix Teitge, M. Sterneberg, D. Steinhagen, M. Kempkes, M. Lüpke, I. Wilk, A. Baumer, H. Seifert, V. Jung-Schroers Wirbelsäulenschäden bei Aalen – Vorkommen und mögliche Ursachen ............................................... 343 Verena Jung-Schroers, Felix Teitge, Julia Bauer, Anne-Carina Miebach, Vanessa Guddorf, Erik Fladung, Janek Simon, Dieter Steinhagen Thunfisch in der Gastronomie – ein hoch sensibles Lebensmittel ......................................................... 346 Edda Bartelt, Sandra Bisenius und Daniel Melles PFAS in Fisch - Kontaminanten für die Ewigkeit? .................................................................................... 349 Daniel Melles, Edda Bartelt

Verbesserter Nachweis von Anisakidae L3-Larven in Fischereierzeugnissen - UV-Press-Methode nach ISO 23036-1:2021 ............................................................................................... 350 Henner Neuhaus 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 9

Ethik ___________________________________________________________________________________________________________ Welche Konsequenzen entstehen aus der EXOPET-Studie? Thomas Bartels Friedrich-Loeffler-Institut, Institut für Tierschutz und Tierhaltung Die EXOPET-Studie in Privathand: Situationsanalyse, Bewertung und Handlungsbedarf Die Haltung exotischer Tiere als Heimtiere in Privathaushalten steht seit Jahren im Fokus der öffentlichen Diskussion. Im Auftrag des BMEL sollten daher im Rahmen des Projektes „Haltung exotischer Tiere und Wildtiere insbesondere unter Tierschutzaspekten“ fundierte Informationen zu dieser Problematik erarbeitet werden. Die „EXOPET-Studie“ wurde gemeinschaftlich von der Klinik für Vögel und Reptilien der Universität Leipzig (Amphibien, Reptilien und Vögel1) und dem Lehrstuhl für Tierschutz, Verhaltenskunde, Tierhygiene und Tierhaltung der LMU München (Fische und Säugetiere2) bearbeitet. Die Förderung der Forschungsarbeiten erfolgte durch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages über die Bundesanstalt für Ernährung und Landwirtschaft (BLE), Fkz. 2815HS001 und 2815HS014. Ein Schwerpunkt des Projektes war die Situationsanalyse der Handelswege und des Verbleibs von Heimtieren, bei der sich verschiedene Ebenen des Heimtierhandels und Verbleibs herauskristallisierten (Abb. 1). Abb. 1: Mögliche Ebenen zur Datenerfassung von importierten oder nachgezüchteten Heimtieren Nicht alle dieser Ebenen sind für alle Tierklassen von gleicher Relevanz. So spielt der Großhandel für die im Folgenden schwerpunktmäßig behandelte Ziervogelhaltung gegenwärtig keine Rolle mehr, da das seit 2005 geltende EU-Importverbot für andere lebende Vögel als Geflügel zu einem drastischen Rückgang der Anzahl 1 Die Berichte der AG „Amphibien und Reptilien“ und „Ziervögel“ stehen unter https://service.ble.de/ptdb/index2.php?detail_id=57204&site_key=141&stichw=exotisch&zeilenzahl_zaehler=23 zum Download zur Verfügung 2 Die Berichte der AG „Säugetiere“ und „Zierfische“ sind unter https://service.ble.de/ptdb/index2.php?detail_id=56943&site_key=145&stichw=2815HS001&zeilenzahl_zaehler=1 einsehbar 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 11

Ethik ___________________________________________________________________________________________________________ importierter Ziervögel geführt hat (1,2). Der Nutzen der EXOPET-Studie liegt zum einen in der Darstellung von Problemfeldern in der privaten Heimtierhaltung, zum anderen aber auch in der Darstellung von praxisrelevanten Lösungsvorschlägen, die auf wissenschaftlich fundierter Basis erarbeitet wurden. Konsequenzen aus der EXOPET-Studie Heimtierhandel Mögliche Ursachen für Tierschutzprobleme beim Privathalter sind bereits beim Heimtierhandel zu suchen. Aufgrund der teilweise unzulänglichen Informationsbroschüren in Geschäften mit Lebendtierverkauf sowie des Angebots teilweise ungeeigneter Artikel können Haltungsfehler und haltungsbedingte Erkrankungen nicht allein dem uninformierten Halter angelastete werden. Hier sollten die im Sektor Heimtierbranche tätige Industrie und der dazu gehörige Einzelhandel mit in die Verantwortung gezogen werden. Eine Möglichkeit wird darin gesehen, ein Label für tiergerechten Heimtierbedarf zu schaffen. Heimtierbörsen und Heimtiermärkte Auf allen inspizierten Tierbörsen und Tiermärkten ließen sich Missstände beobachten, deren Ursachen in den allermeisten Fällen auf drei Faktoren zurückzuführen waren. Ein wesentlicher Aspekt ist ein mangelhaftes Problembewusstsein der Anbieter zusammen mit dem Ignorieren von Börsenordnungen, soweit sie denn überhaupt vorhanden und darüber hinaus den potentiellen Anbietern auch vorab zugänglich gemacht worden waren. Hinzu kommen mangelnde Sachkunde und eine fehlende oder unzulängliche Kontrolle seitens der Börsenveranstalter bzw. die ausbleibende Sanktionierung von Anbietern bei offensichtlichen Missständen in der Unterbringung und/oder Versorgung der angebotenen Tiere. Weiterhin ist die oft nicht ausreichende Vorortkontrolle und bei festgestellten Missständen unzureichende Sanktionierung, auch durch die für die Tierschutzüberwachung der Tierbörsen zuständigen Behörden zu erwähnen. Die bislang unverbindlichen und sehr heterogenen Börsenordnungen sollten inklusive der BMEL-Tierbörsenleitlinien (3), in denen ebenfalls aus Tierschutzperspektive bedenkliche Formulierungen identifiziert wurden, durch eine rechtsverbindliche, bundesweit einheitliche Verordnung ersetzt werden. Es muss allerdings an dieser Stelle noch einmal explizit darauf hingewiesen werden, dass von den Missständen auf Tierbörsen keineswegs nur „Exoten“ betroffen waren, sondern tierschutzrelevante Sachverhalte insbesondere bei Anbietern von „niedrigpreisigen“ Heimtieren festgestellt wurden (2). Heimtierhalter Als tiergruppenübergreifendes Ergebnis der EXOPET-Studie stellte sich heraus, dass unzureichende Informationsquellen bzw. fehlende Standards für akzeptable Haltungsbedingungen als ursächlich für unzureichende Tierhaltungen von Privathaltern anzusehen sind. Daher erscheint es nicht nur bei Tierarten mit hohen Haltungsansprüchen zwingend notwendig, dem Tierkäufer vor dem Erwerb fundierte Informationen zur Verfügung zu stellen. Vor der Anschaffung eines Tieres vom potentiellen Halter zu belegende Sachkunde sowie Verbesserungen der Beratung im Heimtierhandel wird das größte Potential für das Erreichen tiergerechter Haltungsbedingungen und damit der Minimierung haltungsbedingter Erkrankungen zugesprochen. Insofern werden rechtlich verbindliche Mindestanforderungen für die Haltung in Privathand als sinnvoll erachtet, ebenso wie die bereits erwähnte Einführung ggf. abgestufter Sachkundenachweise. Voraussetzung für Sachkundenachweise sind verbindliche Mindeststandards für tierartgerechte Haltungsbedingungen. Eine den involvierten Kreisen zugängliche, wissenschaftlich betreute und regelmäßig aktualisierte Datenbank erscheint hier zielführend (4). Heimtierzüchter Das Halten und Züchten von Farb- und Zeichnungsvarianten oder anderweitigen Abweichungen von der Wildform erfreut sich im Rahmen der Heimtierhaltung wachsender Beliebtheit. Die Zucht solcher Tiere ist im Grundsatz nicht abzulehnen. Allerdings treten gehäuft mit der Zucht in Zusammenhang stehende Erkrankungen auf, die wissenschaftlich auf ihre Auslöser und die mögliche Erfüllung eines Tatbestandes nach § 11b TierSchG hin geprüft werden müssen. Hierzu gehören die Etablierung von Erbfehlern als züchterisch geförderte Merkmale, die Inkaufnahme von Schadwirkungen und Erkrankungsdispositionen, die Übertypisierung von 12 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

Ethik ___________________________________________________________________________________________________________ Einzelmerkmalen und die Kombination von sich in ihrer Schadwirkung summierenden Erbfaktoren. Um das Tierwohl auch unter diesen Aspekten zu fördern, gilt es, die Auswirkungen solcher züchterisch geförderten Veränderungen intensiver zu untersuchen, denn gegenwärtig stellen Farb-, Zeichnungs- und Gestaltsvarianten nicht nur bei Ziervögeln ein bisher vernachlässigtes Forschungsfeld dar (5). Die Melde- und Kennzeichnungspflicht auch für Zuchtformen geschützter Arten wird mitunter infrage gestellt. Sie ist jedoch auch für Farb- und Zeichnungsvarianten für einen sicheren Herkunftsnachweis empfehlenswert. Es muss beachtet werden, dass bei Heterozygotie dominant vererbender Farbschläge und/oder Zeichnungsmuster oder durch Rekombination bei Verpaarung unterschiedlicher Farbvarianten Nachkommen produziert werden können, die phänotypisch dem Wildtyp entsprechen, deren rechtskonformer Besitz dann aber nicht belegt werden kann. Fazit Wissen schützt Tiere. Insofern wird als vielversprechender Ansatzpunkt zur Steigerung des Tierwohls von Heim- und Hobbytieren die Verbesserung der Halterkompetenz gesehen (4). Zielführend erscheinen weiterhin die konsequente Kontrolle von Tierbörsen. Verbesserungen im gewerblichen Heimtierhandel wurden in der EXOPET-Studie übereinstimmend als Kriterium von Tierhaltern und Tierärzten angeführt (6). Auch bei Tieren, deren Haltungsansprüche sich mit vergleichsweise wenig Aufwand erfüllt werden können, lassen sich durch Unkenntnis oder Beratungsresistenz tierschutzrelevante Situationen provozieren. „Positivlisten“ wurden als wenig zielführend eingestuft, denn in der EXOPET-Studie wurden gerade bei „einfacher zu haltenden Arten“ deutliche Haltungsdefizite gefunden (7). Überdies wird die rechtliche Zulässigkeit von Positivlisten für die Heimtierhaltung juristisch gegenwärtig sehr kontrovers diskutiert (8,9). Literatur 1. Reino L, Figueira R I, Beja P, et al. Networks of global bird invasion altered by regional trade ban. Sci Adv 2017; 3: e1700783. DOI: 10.1126/sciadv.1700783. 2. Bartels T, Ryssel M von, Cramer K, et al. Bird markets. An assessment of the situation in Germany with special reference to animal welfare aspects. Berl Münch Tierärztl Wochenschr. 2022; 135: 1–8. 3. BMEL. Leitlinien zur Ausrichtung von Tierbörsen unter Tierschutzgesichtspunkten. 2006. https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/_Tiere/Tierschutz/Gutachten-Leitlinien/Ausrichtung- Tierboersen.pdf?__blob=publicationFile&v=2 4. Krautwald-Junghanns M-E, Baur M, Heidrich S, et al. Lösungsansätze zur Verbesserung der Haltung von Vögeln und Reptilien – eine Machbarkeitsstudie. Proceedings der 28. DVG-Fachtagung zum Thema Tierschutz, 16.-18.03.2023 München, 175-179. 5. Bartels T, Wegner W: Fehlentwicklungen in der Haustierzucht. Stuttgart: Enke; 1998. 6. Krautwald-Junghanns M-E, Sobing A, Plenz B, et al. Haltung exotischer und wild lebender Vögel und Reptilien in Privathand. Befragung spezialisierter Tierärzte in der „EXOPET-Studie“. Dtsch Tierärztebl. 2017; 65 (12): 20-24. 7. Bartels T, Baur M, Blahak S, et al. Die Exopet-Studie – eine Situationsanalyse zur Haltung exotischer Tiere und Wildtiere in 8. Privathand. Elaphe 2017; 5: 46-51. Ziehm C. Rechtliche Zulässigkeit und Gebotenheit einer nationalen Positivliste für die legale Haltung von „Heimtieren“. 2022. https://media.4- paws.org/8/4/7/2/8472245c2755a29bef471a8f05de240ece2d65c2/Cornelia_Ziehm_Rechtsgutachten_Positivliste.pdf 9. Spranger TD. Rechtliche Zulässigkeit einer Positivliste für Heimtiere? Berlin: Lit Verlag; 2023. Kontakt Dr. Thomas Bartels; Friedrich-Loeffler-Institut, Institut für Tierschutz und Tierhaltung, Celle thomas.bartels@fli.de 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 13

Ethik ___________________________________________________________________________________________________________ Aktuelle Probleme der Reptilienhaltung Markus Baur & Sabine Öfner Auffangstation für Reptilien, München e.V. Grundsätzlich steht die Haltung von Wildtieren und Exoten, hier auch ganz besonders der Reptilien im Fokus der Öffentlichkeit, der „Politik“, des organisierten Tierschutzes und – nicht zuletzt und „schuldfrei“ – der Medien. Hier werden diverse, mehr oder minder sinnvolle Fragestellungen immer und immer wieder in den Raum geworfen. 1. Braucht jemand „solche Tiere“ denn überhaupt (Cem Özdemir, MdB, Landwirtschaftsminister) 2. 3. Kann man „solche“ Tiere denn überhaupt „artgerecht“ halten und ihnen gerecht werden? – denn Ist es ethisch vertretbar, „solche Tiere einzusperren“? artgerecht ist ja nur die Freiheit Diese Fragen können recht einfach beantwortet werden: Ad. 1. Kann klar ausgesagt werden, dass Menschen sehr unterschiedlich sind in ihren Interessen und Vorlieben. Dieser Umstand ist uns, als freiheitlicher Gesellschaft, sehr wichtig und wertvoll und wird in fast allen Bereichen hochgehalten. Dies sollte, ja muss auch in Bezug auf Menschen, die Interesse an ganz verschiedenen Tiergruppen haben und leben, ebenfalls gelten. Faktisch besteht kein realer Unterschied zwischen Menschen, die Hauskatzen oder Rassehunde zugetan sind und solchen, die mit Engagement und Tierhalter-Fachkunde Interesse an anderen Tierarten oder -gruppen haben, sofern sie sich im Rahmen der geltenden Gesetze bewegen und den Tieren, die sie pflegen, die bestmöglichen Haltungs- und Lebensbedingungen bieten können. Eine Diskriminierung von „Exotenhaltern“, denen nicht selten ein gesteigertes Geltungsbedürfnis, mangelnde soziale Kompetenz, Unreflektiertheit, mangelndes Selbstvertrauen u. v. m. vorgeworfen wird, bis hin zur Zuordnung zu teils kriminellen Gruppierungen (Rotlichtmilieu oder z. B. Rockergruppen) erscheint im Lichte unserer Gesellschaft nicht angezeigt und nicht moralisch zu rechtfertigen. Ad. 2. Generell müssen wir als Gesellschaft zweifelsohne eine Entscheidung treffen, ob wir es ethisch überhaupt rechtfertigen und vertreten können, Tiere zu halten, sie zu nutzen, sie zu jagen, zu verdrängen, sie auszurotten und zu verzehren. Hiervon sind jedoch in diesem Kontext aus Sicht der Verfasser keine Tiere zweiter und erster Klasse denkbar. Somit sind Rassehunde, wie Möpse, Doggen, Nackthunde und Chihuahuas ebenso betroffen und relevant, wie Kaninchen (als Heimtiere und Nutztiere), Pferde, Rinder, Schafe, Schweine – und eben die in Menschenobhut gehaltenen „Exotren“ sensu lato, zumal dieser Begriff nicht ausreichend definiert ist. Hinzu kommt die Frage, ob es aus ethischer Sicht einen Unterschied geben kann, der domestizierte Arten von nicht domestizierten „Wildtieren“ unterscheidet. Richter et al. (2012) (1) widersprechen dieser Differenzierung mit absolutem Recht. Zudem ist es heute weitaus besser möglich, dank eines immensen und für jedermann zugänglichen Wissensschatzes über Biologie, Ökologie und Natural History wild lebender Arten, einer sprunghaften positiven Entwicklung in der Tiermedizin, Diagnostik, Prophylaxe und Beratung und einer hervorragend verfügbaren Technik, die die naturnahe Umsetzung arttypischer Haltungsumstände bestens erlauben. Im Gegensatz hierzu gibt es nach wie vor und in erheblichem Maß Probleme bei der Haltung etablierter „Heimtiere“, wie Meerscheinchen, Hamster und Kaninchen. Daher muss die gut gemachte, moderne Haltung auch von Wildtieren, „Exoten“ und insbesondere von Reptilien als ethisch absolut vertretbar gelten, solange die Menschheit sich nicht zu einem radikalen umdenken gegenüber der „belebten und unbelebten Schöpfung“ entschließt. Wäre es de facto schwierig, Reptilien ein tiergerechtes Leben in „Gefangenschaft“ bieten zu können, müsste dies relativiert werden, dem ist jedoch keineswegs so. Die Vorgaben des Tierschutzgesetzes, insbesondere der §§ 1 & 2 können heute vollumfänglich ungesetzt werden. 14 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

Ethik ___________________________________________________________________________________________________________ Ad 3. Ergänzt die Beantwortung von Frage zwei dahingehend, dass aktuell eine gute, verantwortungsvolle und verantwortbare Haltung uneingeschränkt für fast alle Reptilien (und Amphibien) möglich ist, wenn Tierhalter:inen-Fachunde gegeben ist und ausreichend Raum/Fläche verfügbar gemacht und die Nutzung technischer, biologischer, wissenschaftlicher und veterinärmedizinischer Ressourcen und Kenntnisse gewährleistet wird. Hinzu kommt, dass bereits H. Hediger 1961 (2) im Rahmen der Territoriologie die Frage nach der individuellen „Freiheit“ eines wild lebenden Tieres in Bezug auf Raum und Zeit bereits als nichtig belegt hat. Vielmehr zeichnet sich das Anthropozän zwar einerseits durch eine gesteigert wirkende Sensibilität den Belangen der Tiere gegenüber (die immer noch häufig jedweden biologischen Verständnisses zugunsten von Ideologie entbehrt, wie im 19. Jahrhundert), bei andererseits gleichzeitig nie dagewesener Lebensraumzerstörung und einem Artenschwund, der ausschließlich dem Homo sapiens geschuldet ist. Dies macht, soll die Erde nicht mittelfristig eine Wüstenei, die „wüst und ist, werden, Artenschutzbemühungen in und ex situ unabdingbar. Hiervon sind neben Tiger und Nashorn auch kleine, eher unscheinbare, nicht selten unbeliebte Tierarten betroffen, auch Reptilien, Amphibien, Fische und Gliedertiere. Soll Freiheit – die oft rau und gnadenlos ist, wie jeder und jede aus dem Fernsehen wissen sollte – weiterhin belebt sein, so ist es nicht nur ethisch in Ordnung, Wildtiere in menschlicher Obhut zu erhalten und zu halten, sondern a. u. S. obligat. leer“ Dennoch gibt es Probleme, sie zu verschweigen wäre unseriös. Diese Probleme unterscheiden sich sehr von jenen, die – zweifelsohne - in den 1950-er bis 2000-er Jahren vorlagen. Damals war Europa Tierverbraucher Nummer 1 in der Welt und Deutschland sehr gut dabei. Der Umgang mit Wildtieren war ethisch unzweifelhaft verwerflich, die Ausfälle immens und das zugefügte Leiden, von Schmerzen und Schäden ganz abgesehen, war erdrückend. Der „Bedarf“ wurde aus Wildfängen gedeckt, der Nachschub schien unendlich – und so verendeten Millionen Wildtiere beim Fang, Transport, Import, im Handel und bei den Halterinnen und Haltern. Doch das ist Geschichte. Importzahlen fallen ins Bodenlose, Tierhändler existieren kaum mehr, Tiere im Angebot stammen aus Nachzuchten, sind keine Wildfänge mehr (mit Ausnahme einiger Arten, die nicht bestritten werden können und sollen. Tierhalter:innen sind überwiegend fachkundig, engagiert und motiviert. Alles also bestens? Nein! Wildtierhaltung treibt mannigfaltige Blüten und nicht alle haben einen betörenden Duft, einige stinken zum Himmel! Nach wie vor weisen „Prominente“ Wege, die nicht mehr gegangen werden sollten, wie z. B. M. von Anhalt, der mit einem Paviansäugling in Windeln posiert oder J. Bieber reist – mal eben weil Promi – mit einem illegalen Kapuzineräffchen nach Deutschland ein. Inter- und Deep-Net sind für uns alle verfügbar, mit etwas „krimineller“ Energie kann man auch ins Dark-net gelangen und dort sind fast alle Wünsche erfüllbar, Drogen, Kinderpornographie, Waffen, Prostitution – und Tiere! Erst im März 2022 reiste ein junger Mann (aus Baden-Württemberg) aus Tschechien ein (und wurde aufgehalten), einen ausgewachsenen, jedoch in desolatem Zustand befindlichen, Pumakater im Kleinwagen. Das Tier wurde online angepriesen und war durchaus „erschwinglich“. Karakals, Servale, Löwen (bei der Niederschrift dieses Textes wurde nahe der tschechischen Grenze auf einem Rastplatz ein herrenloser Löwenwelpe aufgefunden), Tiger, lebend oder bereits zerlegt, Hirsche, Affen, gescheckte „Haus-“ Füchse mit Ringelschwanz und Kippohren, Vögel…. Diese Liste könnte unendlich verlängert werden. Man bekommt alles zu kaufen, egal, wie illegal das sein mag und es funktioniert (auch personell) analog zum illegalen Welpenhandel, ist mafiös strukturiert und organisiert. Und so ist Osteuropa auch für illegale, hoch geschützte Reptilien ein fruchtbares Feld. In den social media werden – ganz offen, aber ohne Worte – augenscheinlich illegale Reptilien angeboten und im Umfeld (nicht dort!) von Börsen gedealt. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 15

Ethik ___________________________________________________________________________________________________________ Hier bewegen wir uns in einer sehr dunklen Grauzone, die wohl nie austrocknen wird und die nicht selten durch Gesetze (z. B. Gefahrtiergesetze in 10 Bundesländern, Importverbote u. v. m.) erst interessant geworden sind. Lassen Sie uns, weit weg von dunklen Grenzübergängen, Osteuropa und Dark-Net, betrachten, wo in unseren Wohnzimmern, Kellern und Gärten der „Hund begraben“ ist, denn hier gibt es Entwicklungen, die ethisch und rechtlich relevant sind: Rackhaltung, v. A. bei Schlangen Unter einem Racksystem wird in der Regel ein Regalsystem mit eingeschobenen Schubladen, ähnlich einer Kommode, verstanden. So können auf wenigen Quadratmetern sehr viele Tiere „untergebracht“ werden. Das Regalsystem kann in beliebiger Höhe gestaltet werden. Die Temperierung erfolgt meist im hinteren Schubladenbereich von außen über heizmatten oder Heat-Paneele, eine Beleuchtung fehlt meist in den Schiebern, im günstigen Fall erfolgt indirekte, sehr geringe Beleuchtung über transparente Schiebermaterialien. Allerdings sind auch Schubladen aus nicht transparentem, oft grauem Kunststoff im Handel verfügbar. I. d. R. sind die einzelnen Schubladen nur 10-15, selten 20 cm hoch. Schubladen sind in verschiedenen Abmessungen erhältlich und können von 15 bis 100 cm lang und 15-80 cm breit sein. Be- und Entlüftung kann indirekt über Spalten oder durch eingebrachte Lüftungsflächen oben oder an der Front- und Rückseite erfolgen. Staunässe und nicht ausreichende Belüftung sind häufig anzutreffen. Nach einem „Gutachten“ von Westhoff (2003) (3) können „falsche“ Abmessungen in den Terrarien zu gesundheitlichen Schäden und erheblichem Stress bei den gehaltenen Schlangen führen. Der – in den meisten Fällen von Rackhaltungen betroffenen - Königspython (Python regius) sei hier dahingehend betroffen, dass er überwiegend in Erdlöchern, Nager- und Termitenbauten etc. lebe und diese nur selten verlassen. Zu Recht weist er darauf hin, dass Verstecke für Schlangen dann besonders gut geeignet seien, wenn die Tiere an den Flanken, am Bauch und bevorzugt am Rücken Kontakt zu den Wandungen des Versteckes hätten. Dies ist zweifelsfrei richtig und gilt für Verstecke, nicht Haltungseinheiten. Ferner wird angedeutet, kletternde Tiere seien hyperaktiv und nachhaltig durch die Haltung gestresst. Warwick et al. (2023) (4) greifen diese Hypothese (leider) wieder auf. Eine angedeutete Verletzungsgefahr Im aktuell noch gültigen Gutachten des BMEL über Mindestanforderungen an die Haltung von Reptilien (1997) (5) wird der Königspython fälschlicherweise als arbicol, also baumbewohnend beschrieben, was schlichtweg falsch ist, lebt er doch terrestrich und klettern nur selten. für Tiere, die, wie im Habitat, klettern können, kann evolutionsbiologisch jedoch ausgeschlossen werden. Wahlfreiheit zum Aufenthalt, wie sie den Tieren in der Obhut der Auffangstation für Reptilien, München e.V. angeboten wird, zeigt jedoch, dass Königspythons durchaus gute und ausdauernde Kletterer sein können und häufig werden die Tiere auf erhöhten Liegeflächen, die sie aktiv erklettern müssen, angetroffen. Aus den Angaben Westhoffs leitet die Schlangenhalter-Community in Deutschland die legitimation und Tierschutzgerechtigkeit des Rack ab und viele Halter:innen haben diese aus den USA und Asien kommende Haltungsvariante übernommen. Ganz besonders häufig findet sie sich in legalen (nach § 11 TierSchG genehmigten) und nicht legalen, oft auch kleinen, privaten Morphenzuchten. Die Ausstattung eines Rack ist meist sehr simpel und besteht aus einer saugfähigen Unterlage (nicht selten Küchenpapier oder Kleintierstreu, seltener aus z. B. Rindensubstrat) von meist geringer Höhe. Daneben wird i. d. R. ein Wassergefäß bereitgestellt, das selten zum Baden geeignet ist. Im Handel sind Schubladen erhältlich, die eine „vulkankegelartige Halterung für ein Wassergefäß in der Gussform bereits enthalten. Einige Halter bieten zudem aus Kunststoff gegossene, vorgefertigte Unterschlupfe an. Sind die Heizelemente sinnvoll arrangiert, so besteht eine Temperaturdifferenz zwischen dem vorderen und hinteren Bereich des Schiebers. Die Be- und Entlüftung ist häufig insuffizient, sodass Staunässe durch Kondenswasser und in ihrer Folge Schimmelbildung entstehen. Die Abmessungen der Schubladen sind i. d. R. gering, sodass die darin gehaltenen Tiere sich nicht ausstrecken können (auf dieses Manko weisen auch Warwick et al. (2013) (4) hin und kritisieren dies), sie können lediglich geringfügige Bewegungen ausführen. Ein Liegen auf den angebotenen kistenartigen 16 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

Ethik ___________________________________________________________________________________________________________ Verstecken ist in Ermangelung ausreichender Höge kaum möglich, da die Fläche zu gering bemessen ist, kann Thermoregulation in toto durch die Tiere kaum betrieben werden. Abmessungen und Ausstattungen entsprechen keinesfalls den Vorgaben des Mindestanforderungen- Gutachtens des BMEL und unterschreiten diese massiv. Thermoregulation, ausreichende artgemäße Bewegung ist unmöglich und wird erheblich eingeschränkt. Viele Verhaltensweisen können nicht exprimiert werden. Den Tieren fehlt meist großteils, seltener auch völlig jeder Tag-Nacht-Rhythmus und die Tiere sind von allen äußeren Reizen zur Gänze abgeschnitten. Zwar ist die Haltung von Schlangen grundsätzlich nicht expressis verbis untersagt, jedoch ist sie keinesfalls genehmigungsfähig oder tolerabel, sofern den Tieren nicht alle Vorgaben der Mindestanforderungen vollumfänglich verfügbar gemacht werden können. Darüber hinaus wird ihnen die Bewegungsfreiheit ganz erheblich eingeschränkt und natürliches artgemäßes Verhalten ist durch die Abmessungen und Ausgestaltung unterbunden. Daher liegen a. u. S. hier in der Regel ganz ehebliche, sehr lange anhaltende und zugefügte Leiden vor, deren einziger Grund die Rationalisierung und Gewinnerzielungsabsichten sind. Es muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass aktuell noch die Stellungnahme der AG ARK der DGHT (6), gemeinsam mit anderen Verbänden, wie der TVT eine Rackhaltung für Jungtiere und im Erdreich lebende Arten für machbar und vertretbar, jedoch nur für vorübergehende Zeiträume, hält. Untersuchungen von Hollandt (2022) (7) belegen jedoch nachdrücklich, dass auch anhand des Verhaltens der Tiere auf erhebliches Leiden geschlossen werden muss. Tierhaltung, egal welcher Arten, die 1:1 der Batteriehaltung von Legehennen oder der Sauenhaltung in Kastenständen bzw. der früheren Boxenmast von Milchkälbern entspricht, jedoch zusätzlich jedweden Zwanges oder Notwendigkeit entbehrt, kann in der Heimtierhaltung keinesfalls geduldet und akzeptiert werden und stellt in ihrer aktuell vorliegenden Form nicht nur einen eklatanten Verstoß gegen das Tierschutzrecht, sondern auch ein moralisches und ethisches Problem dar, das dringend und rigoros angegangen werden muss. Einschränkend muss jedoch betont werden, dass nicht jedes Behältnis, sei es auch aus Kunststoff gefertigt, das in ein Regal eingeschoben werden kann, ein tierschutzwidriges Behältnis sein muss. So betreibt ein Züchter in Deutschland eine Haltung, die zwar wie ein Rack funktioniert und konzipiert ist, jedoch in Abmessungen und größtenteils in der Ausstattung (technisch) einem klassischen Terrarium entspricht. In Bezug auf die Einrichtung, Thermoregulations- und Wahlmöglichkeiten für die Tiere bestehen hier keine Defizite. Werden also Mindestanforderungen eingehalten oder übertroffen und für die Tiere ein verhaltensgerechter Lebensraum geschaffen, kann ein „Rack“ zumindest nicht beanstandet werden – jedoch auch nur dann! Morphenzucht Es war immer schon ein empfundenes Highlight bei Züchtern, wenn außergewöhnliche oder besonders schöne Tiere geboren wurden oder schlüpften. Letztlich ist dieser Effekt, neben der Optimierung von Tieren in der Domestikation schon immer eine der Grundlagen gewesen, die zur Zucht und ganz besonders der Schlag- und Rassenzucht führten. Ca. in den 1980-er Jahren begeisterte Ansong Wong, ein asiatischer Reptilien- und Wildtierhändler (und - schmuggler) mit fast zitronengelben, albinotischen Tigerpythons (Python molurus bivittatus). Diese Tiere erzielten auf dem Markt, nicht nur in Asien, exorbitant hohe Preise, wenngleich die ersten Tiere meist kränklich waren und Missbildungen aufwiesen. Albinos sind keine allzu große Seltenheit im Tierreich, jedoch überleben nur wenige Individuen, die letztlich ihre Tarnung durch den Albinismus einbüßen. In Menschenhand sind albinistische und flavistische Säugetiere und Vögel bereits etabliert, man denke nur an den Kanarienvogel, Farbabweichungen werden seit Jahrhunderten bei Fischen gezüchtet, hier seien nur Cypriniden, wie Goldfisch und Koi genannt. Der Mensch scheint hier eine selektive Vorliebe zu haben und widmet abweichend gefärbten Tieren hohe Aufmerksamkeit. In der Terraristik hat sich die Zucht von zunächst leicht abweichenden Farbschlägen bis ca. ins Jahr 2000 etabliert und massiv zugenommen. So weisen viele der so erzielten Farbschläge fantasievolle und wohlklingende „Namen“ wie Blizzard, Sunrise, Bumble Bee oder Champaign auf. Hinzu kommt eine asiatische Vorliebe für weiße Tiere, die auch in den USA mehr Freunde gewann und in Asien zu enormen preisen führt. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 17

Ethik ___________________________________________________________________________________________________________ Wohlhabende Personenkreise „sammeln“ regelrecht weiße Tiere, wie z. B. auf der Samutprakan Krokodilfarm in Thailand bei Herrn Uthen Youngprapakorn. Mittlerweile ist die Morphenzucht zu einer regelrechten „Wissenschaft“ geworden und es gibt ganze Abhandlungen darüber. Neu gezüchtete und alternativ hierzu in der Natur gefundene Varianten erregen hohe Aufmerksamkeit und erzielen teils Preise von weit über 50.000,00 US $. Es seien, neben den unzähligen Morphen beim Königspython und der Kornnatter, sowie diversen anderen Schlangen weitere „Fehlfarben“ genannt, so zum Beispiel albinotische und flavistische, teils gescheckte Krokodile, allen voran Mississippi-Alligatoren (Alligator mississippiensis) genannt. Hinzu kommen Farbschläge z. B. beim Grünen Leguan (Iguana iguana) in zitronengelb, himmelblau und orange-rot. Lange schon in Farbschlägen und Morphen gezüchtet werden Leopardgeckos (Eublepharus macularius) und Bartagamen (Pogona vitticeps). Neben Farbmorphen kommen auch Gestaltmorphen vor, ggf. vergleichbar mit Vögeln mit gelocktem Gefieder. Hier sind allen voran schuppenlose oder nur teilweise beschuppte Echsen und Schlangen zu nennen, die als „scaleless“ oder „leatherback“ bzw., wenn sie gänzlich schuppenlos an Rücken und Flanken, teils sogar am Bauch sind „silk“. Hier findet neben einer strengen Selektion auch gezielte Verpaarungen und Hybridisierungen (z. B. bei der Gattung Lampropeltis statt. Heterozygote Merkmalsträger sind als zukünftige Zuchttiere begehret und mit dem Attribut „Het.“ Gekennzeichnet. Auch Schildkröten blieben von der Farbzucht nicht verschont. Anfänglich waren es besonders schön gezeichnete oder brilliant gefärbte Tiere, die selektiert wurden, mittlerweile existieren massenhaft Morphen alleine bei den amerikanischen Buchstaben-Schmuckschildkröten, die von weiß, über gelb, gescheckt, schwarz bis apricot in den USA zu haben sind. Auch pastellfarbene oder weiße Landschildkröten, zitronengelbe albinotische Scharnierschikdkröten und wahlweise rot- oder dunkeläugige weiße Tiere, meist Landschildkröten oder die aus Australien und Neuguinea stammende Rotbäuchige Spitzkopfschildkröte, Emydura subglobosa „albertisii“ (rein weiß mit roten Abzeichen) werden gehandelt. Es existieren ganze Internetseiten mit Morphen und zum Verkauf dieser Tiere. Hier sei nur eine Seite bei Facebook genannt: Turtle-Morphs. Über Jahrzehnte galt die erfolgreiche Nachzucht von Reptilien als sehr positiv und erstrebenswert, galt sie doch – und sei es nur, um Wildentnahmen zu reduzieren – als Beitrag zur Arterhaltung und viele Terrarianer:innen widmeten ihr ganzes Leben diesem Ziel. Aus dieser guten Tradition und den hierin liegenden immensen Anstrengungen und einem enormen Zuwachs an Wissen schöpften und schöpfen Erhaltungszuchtprogramme in Zoos und im Artenschutz, unterstützt durch ein Heer von privaten Halterinnen und Haltern weltweit, ohne die diese Bemühungen kaum von Erfolg gekrönt sein würden. Sehr erfolgreiche Projekte, seien es Turtle Island, das Schildkrötenschutzzentrum im Allwetterzoo in Münster oder die Zucht von Flussschildkröten in Prag und Dresden, in Wien oder Madras profitieren hiervon. Doch Erhaltungszucht dient der Erhaltung von arten in ihrer ursprünglichen Form und unter Erhaltung ihrer genetischen Varianz. Auch dies benötigt Management, Tiergärtnerei und enormen Aufwand. Die gezielte Produktion „unnatürlicher“, teil enorm vom natürlichen Phänotyp abweichender, in der Natur kaum überlebensfähiger Tiere durch gezielte Verpaarung, strengste Selektion (was geschieht mit den ungewollten normalfarbenen Tieren?), teils Kreuzung über Gattungsgrenzen hinweg, benötigt auch Fachkenntnisse, zweifelsohne. Doch sie schafft chimärenhafte Absonderlichkeiten, die einem Gemälde von Hieronymus Bosch entsprungen sein könnten. Schön? Ja, manche durchaus. Faszinierend? Ebenfalls. Verständlich? Ja, mit Toleranz. Aber mit klassischer Terraristik und der anzustrebenden Erhaltung von Arten, wie dies Citizen Conservation oder die International Studbook Foundation (NL) anstreben, hat das gar nichts gemein! Es handelt sich um „Karnickelzüchterei“ oder Rassereptilienzucht, der von Mops und Basset vergleichbar. Ja, es muss toleriert werden, wenn sich Menschen auch an Morphen erfreuen und diese schön finden, jedoch hat dies mit guter Terraristik nichts zu tun. Hier ist Ziel und Zweck ausschließlich die Gewinnerzielung – koste es, was es wolle. Morphenzucht findet nicht oder nur sehr selten in Terrarien statt und ist bei Haltern kein Einzelfall unter „normalen Tieren“. Vielmehr schließt sich der Kreis zum Rack und zu tierschutzwidrigen oder zumindest 18 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

Ethik ___________________________________________________________________________________________________________ zweifelhafte Haltungsformen. Von der Erhaltungszucht zur Produktion unter geringstem Aufwand mit möglichst vielen Tieren, der Massentierhaltung vergleichbar. Um dem Ganzen die „Krone aufzusetzen“ möchten wir zur Qualzucht überleiten, die engstens an die Morphenzucht gekoppelt ist (8). Es muss hier aus tierärztlicher Sicht klar ausgesprochen werden, dass nicht wenige dieser Morphen mit gravierenden Veränderungen einhergehen, die aus unserer Sicht höchst relevant sind im Sinne des § 11b TierSchG. Albinotische Reptilien können mangels ausreichender Pigmentierung nur unzureichend Sonnenlicht ertragen. Dies steht lebensnotwendigen Thermoregulationsverhalten. Hautveränderungen, analog zum Sonnenbrand und mehr sind die Folge – alternativ ein Leben ohne UV-Licht und Sonne, meist abgedunkelt und ggf. unphysiologisch „beheizt“. in enormen Widerspruch zur Poikilothermie und zum Rotäugigkeit ist, analog zum Vogel und zum Säuger ggf. ebenfalls mit erheblicher Lichtempfindlichkeit gepaart. Nicht wenigen dieser Tiere droht Rachitis und Verhaltensstörung bis hin zur völligen Deprivation. Einige Farbschläge (und ihre gekreuzten Zuchtlinien), wie Bumble Bee und Champaign beim Königspython sind mit unvollständiger Ausprägung oder dem Fehlen des Innenohres gepaart. Die Tiere können sich nur schwer oder gar nicht im Raum orientieren und zeigen ataktische Bewegungen, sie „wobbeln“. Der Jungle- und Jungle-Jaguar-Morph des Teppichpython (Morelia spilota) geht mit angeborenen ZNS- Störungen, Hyperreaktivität und -sensitivität, Übererregbarkeit und Krämpfen einher, die Tiere drehen sich in der Bewegung und jede Erregung steigert dies. Die schöne gelb-weiße Färbungsvariante des Leopardgecko, Lemon Frost, weist eine erheblich gesteigerte Tumorneigung auf. Viele farbveränderte Morphen sind nicht mehr zum arttypischen Farbwechsel in der Lage und verlieren hierdurch einen gewichtigen Teil innerartlichen Kommunikationsmöglichkeiten, analog zu flossenveränderten Zierfischen. Dies kann auch bei farbveränderten „Grünen“ Leguanen beobachtet werden (Querbänderung bei Erregung und im Dominanzverhalten). ihrer Ein weiterer Farbschlag des Leopardgecko, Enigma, zeigt ähnliche ZNS-Störungen, wie Morphen des Teppichpythons, die Tiere zeigen Kreisbewegungen, erstarren in der Bewegung (z. B. bei Erregung) und zeigen „Sterngucken“, ein Überstrecken des Nackens und sind teils kaum mehr imstande, selbstständig Nahrung aufzunehmen. Bei einigen Schildkrötenmorphen kommen zur erhöhten Lichtempfindlichkeit Schildanomalien häufig vor. Schuppenlose Tiere können, insbesondere dann, wenn die Bauchschuppen bei Schlangen fehlen, massiv in ihrer Bewegung eingeschränkt sein. Inwieweit die Haut ihrer natürlichen Aufgabe i. S. der Aufrechterhaltung u. A. des Wasserhaushalts und des Schutzes des Organismus insgesamt noch gerecht werden können, bedarf dringlich einer histologischen Überprüfung. Schuppenlos gezüchtete Echsen, z. B. Bartagamen sind erheblich in der Kommunikation eingeschränkt, da der namensgebende „Bart“, dunkle, prominente, der Kommunikation und dem Ausdruck von Befindlichkeit dienende Schuppen an der Kehle fehlen. Diese Tiere zeigen eine ganz erhebliche mechanische Beeinträchtigung der Haut, besonders in Gelenksbeugen und Hautfalten, entwickeln Rhagaden und chronische Entzündungen. Die mechanische Resilienz der Haut leichte stumpfe Traumata zur Zusammenhangstrennung führen. ist dergestalt gestört, das kleine, selbst Es wäre längst überfällig und an der Zeit, dass Gesetzgeber, Fachgremien und Richter diesen fragwürdigen Entwicklungen gerecht werden, allerdings, um der Ethik willen (!), nicht nur bei Reptilien und Amphibien, sondern auch – und ganz besonders – bei Qualzüchtungen im Haus- und Nutztierbereich, vom Doppellender- Rind bis zur Bulldogge. Massenvermehrung (9) Von der gezielten Zucht ist es ein kleiner Schritt, einen Blick auf unkontrollierte, keineswegs der Arterhaltung dienende Massenvermehrung bei vielen Arten zu werfen. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 19

Ethik ___________________________________________________________________________________________________________ So essenziell die Zucht vor Jahren gewesen ist und so wunderbare Chancen sie in der Arterhaltung böte, so sehr generiert sie Probleme. Viele Hobby-Halter und -Züchter wissen nicht genau, woher ihre „Zuchttiere“ stammen und sehr oft besteht eine „Zuchtgruppe“ aus Tieren unterschiedlichster Populationen, ihre Jungtiere mögen einer Art oder Unterart zugehörig sein, stellen jedoch dennoch Bastarde aus gemischten Populationen dar und sind für die Arterhaltung nutzlos. Für die Haltung als Heimtiere jedoch sind diese Tiere wunderbar geeignet. Allerdings ist hier der „Markt“ seit Jahren überschwemmt, sei es bei Bartagamen, Leopardegeckos, Europäischen Landschildkröten, einigen tropischen Landschildkröten (Testudo sensu stricto), wie der – in der Natur vor der Ausrottung stehenden – Spornschildkröte (Centrochelys sulcata), Königspython, Tiger- und Netzpython (P. reticulatus), Teppichpython, Madagaskarboa (Acrantophis spec.), Abgottschlange (Boa constrictor ssp.), Kornnattern (Panterophis guttatus), Brillenkaiman (Caiman crocodilus) u. a. Der erwünschte „Absatz“ nachgezogener Jungtiere wird zudem durch billigere, legale Importe aus Farmen (Testudo und andere Arten) aus Drittstaaten erschwert. Jungtiere können nicht zeitnah abgegeben werden und verbleiben immer länger, oft unter nicht allzu guten Bedingungen, beim Züchter. Oft werden vorwiegend Männchen „erbrütet“, da das Geschlecht durch die Bruttemperatur bei vielen Arten bedingt und nicht genetisch fixiert ist. Diese überzähligen Männchen sind aus vielerlei Gründen (Territorialität, Hypersexualität, Aggression und Platzmangel) nicht gewünscht und werden zu Problemfällen (10). Kastration ist hier anatomisch schwierig und nach TierSchG nicht ohne Weiteres erlaubt. Birgt u. E. erhebliche Risiken und sollte unterbleiben. Die Tierheime und Auffangstationen sind überfüllt, die Kapazitätsgrenzen vielerorts bereits erreicht Es bedarf hier eines gravierenden Umdenkens, wie bereits in der Schweiz seit Jahren etabliert, was die ziellose und ungehinderte Reproduktion einiger Tierarten – die allesamt Kandidaten für eine Positivliste wären, weil sie so häufig gehalten und leicht zu züchten sind - angeht. Positivliste Das viel und energisch diskutierte Thema einer Positivliste für Heimtiere in Deutschland wurde bereits erwähnt und ausführlich an anderer Stelle besprochen (11, 12 & 13). Der hehre, sicherlich ethisch und moralisch motivierte Ruf nach einer solchen Liste ist im Tierschutz und der Politik regelmäßig Thema. Wäre eine solche Liste zielführend und würde sie helfen, das Tierwohl zu stärken und Tierleid zu mindern? Aus unserer Sicht nur dann, wenn sie ein allererster Schritt, eine Art Definition einfachst zu pflegender Tiere für jedermann darstellen würde, für deren Haltung keinerlei Voraussetzungen notwendig wären. Ihm müssten jedoch vielerlei weitere Schritte folgen, wollte man das Thema zu Ende denken. Unterlässt man dies, sehen wir erhebliche ethische Probleme und die Grundlage für – zumindest einige Jahrzehnte – anhaltendes, gravierendes, tierschutzrelevantes Leiden für die nicht gelisteten Arten gelegt. Es seien hier nur kurze Fragestellungen aufgelistet, die es zu bedenken gilt: Solle s einen Bestandsschutz für Altbestände geben und darf bei sozialen, verwitweten Tieren nachgestellt werden? Soll es eine Meldepflicht für Altbestände geben? Düften fachkundige Tierhalter:innen nicht gelistete Arten unter Auflagen, z. B. Sachkundenachweis und Ausnahmegenehmigung auch weiterhin pflegen dürfen oder wäre dies unmöglich? Sollen Erhaltungszuchtprojekte, wie Citizen Conservation u. v. m. dadurch zu einem Ende kommen müssen? Soll eine Vermittlung von Tieren in Einrichtungen des Tierschutzes möglich sein oder sollen diese dort bis zu ihrem Tod verbleiben? Wer finanziert das? Oder sollen die Tiere, wie in Schweden getötet, oder wie teils in Belgien und Frankreich mangels Unterbringungsmöglichkeiten in der EU verteilt werden? Wie werden der unausweichliche Schwarzhandel und illegale Haltung geahndet und unterbunden? Liebe Leserinnen und Leser, Sie sehen, es gäbe hier einen riesigen Berg unbeantworteter, aber essenzieller Fragen zu beantworten, um aus einer gut klingenden Idee ein funktionierendes verfahren zu machen, zumal das TierSchG und die Gutachten des BMEL und die Möglichkeit zur verpflichtenden Tierhalter:innen-Fachkunde alternative und bereits vorhandene Möglichkeiten bieten könnten. Dies ist keine Wortklauberei und auch kein 20 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

Ethik ___________________________________________________________________________________________________________ freiwilliges Weiterdenken bei einem Thema, das dem Tierwohl dienen, es nicht verschlechtern soll – für uns eine Frage der Ethik! EU-Verordnung Invasive Alien Species Ein letztes Problem, das die Terraristik erneut einholte, ist die VO (EU) 1143/2014. Ohne Zweifel ist es angebracht und notwendig, dass invasive Tier- und Pflanzenarten, von denen Gefährdungen für Ökosysteme in der EU ausgehen (können) eingedämmt und sinnvoll einem Management unterzogen werden müssen. Nachdem alle EU-Mitgliedsstaaten dieses Thema lange ignoriert, bestehende Maßnahmen nicht umgesetzt und schlicht nichts getan haben, ereilte uns 2014 die „Verordnung zu invasiven Arten von unionsweiter Bedeutung“ (14). 2016 wurde die erste Artenliste veröffentlicht und trat in Kraft (15). Hier waren, neben Waschbären und Wollhandkrabbe, Muntjak, heiligem Ibis und anderen Arten auch Reptilien betroffen: Buchstaben-Schmuckschildkröten der Gattung Trachemys. In Anbetracht ihres massenhaften Vorhandenseins in Haltungen, nachdem sie jahrzehntelang zu Millionen importiert worden waren, und freigelassen (= ausgesetzt) in fast jedem nennenswerten Gewässer, wurde für sie ein Managementplan (16) von der LANA-Konferenz erarbeitet. So müssen die Tiere nicht, wie z. B. Nasenbär und Muntjak theoretisch bei Aufgriff getötet werden, Bestehende Haltungen sind erlaubt, ebenso wie Neuhaltungen, wenn diese ausbruchssicher sind und die Reproduktion verhindert werden kann. Dennoch bleiben grundsätzlich Import, Haltung, Nachzucht und Transport verboten. Allerdings dürfen Tiere aus Einrichtungen des Tierschutzes vermittelt werden (Die Auffangstation in München pflegt aktuell ca. 25o Individuen alleine aus Trachemys scripta ssp.). Eine Meldepflicht ist nicht vorgesehen. Arten ohne einen solchen managementplan unterliegen zwar als Altbestände einem Bestandsschutz, mussten jedoch in gewerblichen Betrieben (auch Zoos) abgeschafft werden, durften aber nicht transportiert werden). Tiere in Einrichtungen des Tierschutzes, sowie diese (auch gewerblichen) Einrichtungen selbst, sind nicht geregelt. Tiere dürfen – nach Absprache mit den Behörden – teilweise aufgenommen werden, müssen dann jedoch i. d. R. dort verbleiben; die anfallenden Kosten gehen auf zu Lasten der verwahrenden Einrichtung. 2022/23 erfolgte u. A. eine erneute Listung von Reptilien, der Kettennatter, Lampropeltis des Getulus- Komplexes) aus USA. Diese Art(en) sind im Bereich der spanischen Inseln (!), namentlich der Balearen, relevant geworden, da sich hier entflohene oder ausgesetzte Tiere bestens vermehren und die dort endemischen Eidechsenpopulationen stark in Bedrängnis bringen. Jedoch ist dieses Phänomen ausschließlich auf diese Insel(n) beschränkt, analog zum Heiligen Ibis (ebenfalls Spanien) oder dem Braunen Nasenbären (spanische Inseln), oder dem Muntjakhirsch (England/GB). Eine unionsweite Bedeutung kann hier durchaus hinterfragt werden. Da Kettennattern keinesfalls so weit verbreitet und in so hoher Stückzahl in Freiheit innerhalb der EU bekannt sind (zwei Tiere wurden in Süddeutschland nahe dem Kaiserstuhl gefangen), sind nur Tiere (außerhalb Spaniens bzw. dessen Inseln) in Menschenobhut relevant. Importstopps, Handelsbeschränkungen oder -verbote, Zuchtverbote etc. sind sicherlich kein ernsthaftes Problem für die Terraristik, jedoch ist, wegen des stark eingeschränkten „Vorkommens“, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht mit einem Managementplan für die betroffene(n) Art(en) zu rechnen. Das beinhaltet in seiner Folge, dass Tiere nur im Einzelfall in Tierheimen oder Auffangstationen aufgenommen und gepflegt werden dürfen, der Transport (auch zum Tierarzt) grundsätzlich verboten sein wird und Tiere in Einrichtungen nicht wieder an geeignete Endplätze vermittelt werden dürfen. Es ist daher davon auszugehen, dass zunächst ein erheblich gesteigerter Handel mit den Arten zu erwarten ist, bis die Regelung greift und danach Tiere bis an ihr Lebensende werden in Auffangstationen und Tierheimen bleiben können. Das kostet Geld, Beansprucht notwendigen Platz und Ressourcen und wird sich, wie bei den Positivlisten (als alleinige „Lösung“) negativ auf das Tierwohl auswirken. Dass dem so ist zeigt das Beispiel der Schnappschildkröten, die nach bundesrecht einem Haltungs-, Zucht- und Besitzverbot (BNatSchG) unterliegen. Werden hier Tiere aufgegriffen oder ändern sich (z. B. durch den Tod eines Halters) die Verhältnisse, so dürfen nur wenige Institutionen mit Sondergenehmigung und unter hohen Auflagen, die Tiere aufnehmen und müssen diese lebenslang pflegen, ohne hierfür die Kosten erstattet zu bekommen. Die dauerhafte Haltung ist enorm kostenaufwändig und somit sind hier verfügbare Ressourcen immens beschränkt. Was also soll mit weiteren Tieren geschehen? Euthanasie – ohne vernünftigen Grund? 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 21

Ethik ___________________________________________________________________________________________________________ Wie Sie sehen, die aktuellen Probleme in der Reptilienhaltung sind weder durch den Krieg Russlands in der Ukraine, noch durch die Energiekrise, Inflation oder Unwissenheit bzw. der fehlenden Machbarkeit einer guten, tiergerechten Haltung für die Tiere bedingt. Vielmehr erwachsen sie aus anderen Gründen und als side-effects bzw. aus nicht zu Ende gedachten Regelungen, deren Folgen Verstöße gegen das Tierschutzrecht und unnötige Leiden für betroffene Tiere nach sich ziehen. Literatur 1. Richter, T. et al., 2012: Wildtiere in Menschenhand – Überlegungen zum moralisch-rechtlichen und biologischen Status von Wildtieren; Deutsches Tierärzteblatt, 11/2012, pp. 150-153. 2. Hediger, H., 1961: Tierpsychologie in Zoo und Zirkus; Basel. 3. Westhoff, G., 2003: Gutachten zum Gutachten über Mindestanforderungen an die Haltung von Reptilien; BMEL 1997. Bonn 2003 https://www.swisschondro.ch/Westhoff%20Gutachten.pdf 4. Warwick C. et al., 2023: Health and Welfare of Captive Reptiles, Secone Edition. Springer. 5. BMEL, 1997, Gutachten über Mindestanforderungen an die Haltung von Reptilien. https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/_Tiere/Tierschutz/Gutachten- Leitlinien/HaltungReptilien.pdf?__blob=publicationFile&v=2 6. Gemeinsame Stellungnahme des AK 8 (Zoofachhandel und Heimtierhaltung) der TVT, des BNA, der AG ARK der DGHT, der DVG-Fachgruppe ZWE, der DVG- Fachgruppe Zier-, Zoo- und Wildvögel, Reptilien und Amphibien und der Reptilienauffangstation München e. V. zur Haltung von Schlangen in Racksystemen bzw. Schubladen, 2013: http://pdfs.dght.de/agark/Stellungnahme_AK8_Rackhaltung_07.2013%20(1).pdf. 7. Hollandt, T., (2022): Zur tiergerechten Haltung von Königspythons (Python regius): Beurteilung unterschiedlicher Haltungssysteme unter den Aspekten des Tierverhaltens und der Stressbelastung. Dissertation, LMU München: Tierärztliche Fakultät: https://edoc.ub.uni-muenchen.de/29648/1/Hollandt_Tina.pdf. 8. Öfner, S., 2023: Erkrankungen bei Morphen - Wenn Zucht krank macht. Im Vereinsmagazin der Auffangstation für Reptilien, München e.V. Wissen schützt Tiere, München, 01/2023, pp 6-9 9. Baur, M., 2023: Massenvermehrung von Terrarientieren, im Druck Vereinsmagazin der Auffangstation für Reptilien, München e.V., München. 10. Baur, M. & S. Öfner, 2022: Immer diese Kerle – wenn Testosteron zum Problem wird Tagungsband der 27. Fachtagung zum Thema Tierschutz, München 11. Baur, M. et al., 2023: Neue regeln braucht das Land? Gedanken zur Positivliste; Proceedings 58. Arbeitstagung der AG Amphibien- und Reptilienkrankheuten – Tagungsband, pp. 69-79. 12. Auffangstation für Reptilien: Positionspapier der Auffangstation für Reptilien, München e.V. zum Thema „Verbote, Positiv- und Negativlisten oder Sachkunde?“. https://www.reptilienauffangstation.de/Aktuelles%20und%20Wissen/Downloads%20und%20Wissen/Positions%20Papiere/ 10_PosPap_SK-SKN.pdf. 13. Baur, M. 2023: Exotenhaltung in der Dauerkrise, im Druck, Tagungsband 11. Leipziger Tierärztekongress. 14. Verordnung (EU) 1143/2014: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32014R1143 und Gesetz zur Durchführung der Verordnung N. (EU) 1143/2014: https://www.bmuv.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Naturschutz/invasive_arten_gesetzesbeschluss_bf.pdf 15. Liste invasiver Arten von unionsweiter Bedeutung, 2016: https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_invasiver_gebietsfremder_Arten_von_unionsweiter_Bedeutung 16. Buchstaben-Schmuckschildkröten: Management- und Maßnahmenblatt. https://www.hlnug.de/fileadmin/dokumente/naturschutz/artenschutz/Neobiota/buchsta ben-schmuckschildkroete_- _management-und_massnahmenblatt_03_2018_uak_end.pdf Autoren Dr. Markus Baur & Sabine Öfner; Auffangstation für Reptilien, München e.V. markus.baur@reptilienauffangstation.de sabine.oefner@reptilienauffangstation.de 22 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

Ethik ___________________________________________________________________________________________________________ Beurteilung von Reptilienhaltungen: Herausforderung für die Veterinärverwaltung Robert Kirmair Veterinäramt, Landratsamt Mühldorf a. Inn Einleitung Reptilien sind wechselwarme (poikilotherme) Wirbeltiere. Dies unterscheidet sie bezüglich der Ansprüche an die Haltung deutlich von Säugetieren und Vögeln. Bei der Haltung von Reptilien und der Beurteilung von Reptilienhaltungen ist daher Kenntnis der Arten, deren Lebensräume und klimatischen Ansprüche essenziell. Derzeit sind 11.940 Arten beschrieben (1). Nach eigener Einschätzung sind ca. 250-300 davon mehr oder weniger handelsrelevant. Insgesamt dürften aber weit mehr als 1.000 verschiedene Arten in Deutschland gehalten werden. Einen deutlichen Hinweis darauf lieferte die sog. Exopet-Studie, an der sich die Halter von 1.083 verschiedenen Reptilienarten beteiligten (2). Kontrollen durch Amtstierärzte In der tierärztlichen und in der amtstierärztlichen Ausbildung sind Reptilien nur Randbereiche. Für ordnungsgemäße Kontrollen sind aber artspezifisches Wissen und auch Fähigkeiten erforderlich. Tiere und deren Haltungen zu kontrollieren, bei denen der Halter über fundierteres Wissen als der Kontrolleur verfügt ist nicht zielführend. Am häufigsten dürften Privathalter anzutreffen sein, die nur eine oder wenige Arten der o.a. gängigen Spezies halten, meistens auch nur in einem Terrarium oder Freilandhaltung. Insbesondere in der DGHT organisierte Terrarianer verfügen oft über großes Spezialwissen. Haltungen dieser Personengruppe erkennt man häufig daran, dass eher mehrere und seltener gehaltene Arten, oft unter einem "Motto" (z.B. Hochlandchamäeleons, indoaustralische Warane, …) gepflegt werden. Zoologische Gärten, spezialisierten Zoohandlungen oder Großhändlern halten i.d.R. eine Vielzahl, z.T. auch sehr seltene Arten in meist großer Tierzahl. Für alle Kontrollen gilt, dass Luft- und örtliche Strahlungstemperatur, UV-B-Strahlung, Beleuchtungsdauer, jahreszeitliche Luft- und Substratfeuchte, Ruhephasen Klimaschwankungen, Belüftung, Versteckmöglichkeiten, Bodensubstrat, Nutzungsmöglichkeiten des vorhandenen Raumes, Trink- bzw. Bademöglichkeit und erst zuletzt die Terrariengröße zu überprüfen sind. Die Erfahrung zeigt, dass den Gehegemaßen oft zu große Bedeutung zugesprochen wird. (Winter- bzw. Trockenruhe), tages- bzw. Dazu erforderliche Geräte sind in den Veterinärämtern vorrätig zu halten (mindestens Thermo-/Hygrometer, Infrarot-Thermometer zur Messung der Oberflächentemperatur, Luxmeter, UV-B-Messgerät, Kamera, Schlangenhaken) Bei einer Kontrolle ist nie nur die Haltungsumgebung, sondern immer auch die Tiere selbst zu begutachten. Dazu wird zuerst das Verhalten beobachtet. Danach sind zumindest stichprobenartig einige Reptilien herauszunehmen und auf Ernährungs- und Pflegezustand sowie sinnfällige Veränderungen zu untersuchen. Zu beachten sind auch die Formen der Vergesellschaftung, insbesondere das Geschlechterverhältnis. Der zusätzliche Aspekt der Eigensicherung ist zu beachten. Es ist nicht nur nötig, dass der Amtstierarzt gefährliche Spezies sicher erkennen kann, auch das Risiko des Handlings für sich und den Tierhalter muss abgeschätzt werden können. Eine Vielzahl weiterer Parameter ist zu überprüfen, u.a. Fütterung und Futterlagerung bzw. Futtertierzucht. Bei größeren oder gewerblichen Tierhaltungen müssen Kranken- und Quarantäneräume, aber auch evtl. Keller- /Nebenräume die zur Futtertierhaltung oder Überwinterung genutzt werden könnten und evtl. vorhandene Gefriermöglichkeiten ebenfalls immer überprüft werden. Abschließend müssen vorhandene Dokumente auf Plausibilität zu den vorgefundenen Tieren – ggf. in Zusammenarbeit mit dem Artenschutz- gesichtet werden, auch um die Frage der Quarantäne zu klären. Daneben sind noch sicherheits- und artenschutzrechtliche Aspekte zu berücksichtigen. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 23

Ethik ___________________________________________________________________________________________________________ Die Kontrollen sind möglichst genau zu dokumentieren, hier leisten Fotos und Videos große Hilfe. Sollten Tierwegnahmen nötig werden, muss diese gut geplant, das Equipment geeignet sein. Erforderlich sind immer thermostabile Behältnisse, Faunaboxen, Leinenbeutel mit Verschlussmöglichkeiten, Wärme- /Kühlakkus, Temperatur-Datenlogger. Der Transport ist rasch durchzuführen, die Aufnahmeeinrichtung muss in der Lage sein, fachtierärztliche Befunde bei einer Eingangsuntersuchung zu erheben, korrekt zu dokumentieren und ggf. zu bezeugen. Die entstehenden, erheblichen Kosten sind zu beachten. Konsequenzen für den Amtstierarzt Für den nicht spezialisierten Amtstierarzt empfiehlt es sich, mindestens die Ansprüche der mit Abstand am häufigsten gehaltenen Arten (Griechische Landschildkröte, Bartagame, Leopardgecko, Kornnatter, Königspython) sicher zu kennen und handeln zu können. Diese Arten können dann genauer kontrolliert werden. Sollten dort bereits Mängel erkennbar sein und noch weitere Reptilienarten gehalten werden, empfiehlt es sich im Rahmen einer Nachkontrolle (externe) Sachverständige hinzuzuziehen. Eine unzureichend vorbereitete Kontrolle insbesondere der organisierten Terrarianer mit Fachwissen ist i.d.R. nicht zielführend. Bei der Kontrolle von Zoologischen Gärten, spezialisierten Zoohandlungen mit vielen verschiedenen Arten oder Großhändlern sollten immer externe Sachverständige herangezogen werden. Dies können auf Reptilien spezialisierte Tierärzte (Praktiker, auch Zootierärzte, Universitäten, Auffangstationen) sein, ebenfalls auch engagierte Terrarianer. Dabei ist zu beachten, dass insbesondere bei Letzteren keine Befangenheitssituationen entstehen können. Erfahrungen aus fast 30 Jahren Kontrollpraxis Die Qualität der käuflich zu erwerbenden technischen Einrichtungen für die Terraristik ist stark gestiegen, die Klimasteuerung mittlerweile gut leistbar. Die "Terraristikszene" hat sich stark gewandelt. Nachdem der Boom der "Exoten-Haltung", deren Höhepunkt um die Jahrtausendwende erreicht war, in den letzten Jahren stark zurückgegangen ist, kristallisiert sich immer mehr heraus, dass sich zwei relevante Kategorien privater Tierhalter gebildet haben: 1. Diejenigen, die ihre "klassischen" Arten als Haustiere mit persönlichem Bezug wahrnehmen (als häufigstes Beispiel ist die Griechische Landschildkröte zu nennen). Der Erwerb erfolgt i.d.R. über den Zoofachhandel, dort wird auch das Zubehör erworben. Kenntnisse und Fähigkeiten sind eher unzureichend, die Haltungen suboptimal, haltungsbedingte Krankheiten relativ häufig. Tierärzte werden durchaus aufgesucht, oft aber nicht auf Reptilien spezialisierte Kleintierpraxen. "Zucht" erfolgt nicht oder ungewollt. 2. Meist in Vereinen (DGHT) organisierte Terrarianer mit Spezialisierung (s.o.), die ihre Tiere i.d.R. als Nachzuchten erwerben, häufig größere, spezialangefertigte Terrarienanlagen besitzen. Gutes Spezialwissen wird häufig angetroffen, die Haltung ist oft tiergerecht. Nachzuchten werden geplant, mittlerweile immer häufiger in Form von Erhaltungszuchtprogrammen (3, 4). Die tierärztliche Betreuung erfolgt manchmal über spezialisierte Praxen, manchmal wird aber auch ohne Tierärzte selbst therapiert. Die Haltungsoptimierung und Spezialisierung hat aber auch vor den gewerblichen Einrichtungen nicht Halt gemacht. Bei Zoologischen Gärten erfolgte oft eine Konzentration auf bedrohte Arten und Teilnahme an Erhaltungszuchtprogrammen, mittlerweile auch in Zusammenarbeit mit Privathaltern (Ex-Situ-Zucht, "Arche- Projekte"). Zoohandlungen mit Reptilien werden immer weniger, oft bieten diese nur noch "übliche" Arten an. Selbstverständlich ist eine Vielzahl weiterer Formen der Tierhaltung vorzufinden, dies reicht vom verantwortungslosen Giftschlangenhalter über Animal Hording bis hin zu Tierheimen und den wenigen Reptilienauffangstationen. Entscheidend für die Qualität der Tierhaltung scheint die theoretische Sachkunde und praktische Erfahrung des Halters zu sein. 24 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

Ethik ___________________________________________________________________________________________________________ Immer mehr wird die Reptilienhaltung durch andere Faktoren beeinflusst: Unterschutzstellung von immer weiteren Arten aufgrund des Artensterbens, länderspezifische Verbote im Bereich der Gefahrtiere, Einschränkungen bei der Haltung invasiver Arten bzw. Erweiterung dieser Liste. Zwei Schlussfolgerungen möchte ich aufgrund meiner Erfahrungen ziehen: • Durch eine Positivliste ist keine Verbesserung des Tierschutzes zu erwarten • Die Haltung der allermeisten Reptilien ist genauso gut (oder sogar besser) zu bewerkstelligen als die von Hund, Katze, Kaninchen und Co. Somit sollte der Gesetzgeber dafür sorgen, dass die Haltung von Reptilien bundeseinheitlich gleich geregelt ist (Tierschutz, Sicherheitsrecht, Artenschutz), den Überwachungsbehörden ebenfalls bundesweit einheitliche Auslegungshinweise bzw. weitere Hilfestellungen an die Hand gegeben werden und jegliche Form der Tierhaltung (Exoten, Heimtiere, Nutztiere) unter den Vorbehalt des Nachweises der Sachkunde gestellt wird. Die pauschale Untersagung der Haltung bestimmter Tierarten darf nur erfolgen, wenn die tiergerechte Haltung nach wissenschaftlichen Erkenntnissen auch nicht mit entsprechendem Aufwand sichergestellt werden kann (z.B. bei Lederschildkröten, Dermochelys coriacea), also wenn überhaupt dann in Form einer Negativ- und nicht einer Positivliste. Literatur 1. Uetz P, Hosek J.: The Reptile Database. http://reptile-database.org 2. Krautwald-Junghanns M-E et al.: Haltung exotischer Tiere und Wildtiere in Privathand: Situationsanalyse, Bewertung und Handlungsbedarf insbesondere unter Tierschutzaspekten 3. Encke B: Citizen Conservation, https://citizen-conservation.org 4. Mislin V, Mederer P, Friz T: Projekt EHAP und EMI, https://ehap-emi.de Kontakt Dr. Robert Kirmair; Veterinäramt, Landratsamt Mühldorf a. Inn robert.kirmair@lra-mue.de 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 25

Ethik ___________________________________________________________________________________________________________ Bedeutung der Exotenhaltung aus der Sicht Zoologischer Fachbetriebe Stefan Karl Hetz Zentralverband Zoologischer Fachbetriebe (ZZF), Wiesbaden Einleitung Heimtiere, also Tiere, die zur Freude des Menschen in menschlicher Obhut gehalten werden (1), haben in Deutschland eine sehr große Bedeutung. Daten einer von IVH und ZZF herausgegebenen Studie belegen, dass in knapp der Hälfte aller bundesdeutscher Haushalte mindestens ein Heimtier lebt (2), bei Haushalten mit Kindern sind es sogar zwei Drittel. Hunde und Katzen stellen dabei mit 10.6 bzw. 15.2 Millionen Individuen den Großteil an Haushalten mit Tieren. Aber nicht nur Tiere, die mit Menschen auf verschiedene Art und Weise direkt interagieren können, werden gehalten. Auch Tiere, die vor allem zur Beobachtung ihres interessanten Verhaltens in Aquarien und Terrarien gepflegt werden, werden in einer großen Arten- und Individuenzahl gehalten. Diversität in der Haltung Es gibt diverse Ansätze zur Kategorisierung von Heimtieren: taxonomische Einordnungen (z.B. Fische, Amphibien, Reptilien und Vögel), Ursprung der Tiere (Nachzucht, Naturentnahme) und die ursprüngliche geographische Herkunft (einheimisch oder gebietsfremd). Der Begriff „Exoten“ bezeichnet in diesem Beitrag alle Heimtiere, deren ursprüngliche geographische Verbreitung nicht der Ort ihrer derzeitigen Haltung ist. Obwohl der Begriff „Exoten“ oft auf bestimmte taxonomische Kategorien von Heimtieren, wie Amphibien und Reptilien abzielt, sind auch „klassische“ Heimtiere, wie zum Beispiel Kanarienvögel, Wellensittiche, Meerschweinchen, Hamster und Goldfische als „Exoten“ zu bezeichnen. Eine Domestikation durch züchterische Auslese, ein kontinuierlicher Vorgang und damit nicht „vollständig“ im Sinne von „abgeschlossen“ (3), ändert daran nichts. Diese Einordnungen sind zudem nicht exklusiv. Auch „Wildtiere“ und „Nutztiere“ können Heimtiere sein, wenn sie außer zur Freude des Menschen nicht zu anderen Zwecken „genutzt“ werden (4). Der Anteil nicht heimischer Arten ist in den verschiedenen taxonomischen Kategorien von Heimtieren sehr unterschiedlich: Den größten relativen Anteil dürften mit hoher Wahrscheinlichkeit Süßwasserfische ausmachen. Die Exopet-Studie nennt für diese Tiergruppe knapp 1500 Arten (5), unter den am meisten dort genannten Arten finden sich jedoch keine heimischen Arten. Auch bei den anderen taxonomischen Gruppen mit weniger gehaltenen Arten finden sich fast ausschließlich nicht heimische Tierarten. Ausnahmen bilden Kaninchen und Frettchen, deren domestizierte Formen Zuchtauslesen heimischer Tierarten darstellen. Die Arten der etwas unglücklich als „Wirbellose“ bezeichneten Tierarten aus verschiedenen taxonomischen Großgruppen (Weichtiere, Spinnentiere, Krebse, Insekten, …) wurden bisher nicht systematisch erfasst. Eignung als Heimtier Ungeachtet von Herkunft und Einordnung entscheiden die Bedürfnisse des Tieres, die sich aus der Biologie der jeweiligen Tierart ergeben, über dessen Eignung als Heimtier (6). Die Haltungsbedingungen müssen auf das Individuum abgestimmt sein. Allgemeine Bedürfnisse werden durch artspezifische und individuelle Bedürfnisse ergänzt. Dabei ist kein Tier „einfach“ (zu halten), Ansprüche einiger Tiere an eine tiergerechte Haltung (7) können jedoch möglicherweise „einfacher“ als die anderer Arten verwirklicht werden. Der (finanzielle und zeitliche) Aufwand, den ein Halter für die Haltung bereitstellen möchte und kann, entscheidet dann darüber, ob diese Tiere dauerhaft gehalten werden können. Besonderheiten in den Haltungsansprüchen müssen deshalb offen gegenüber dem zukünftigen Halter kommuniziert werden. Diese Beratung beinhaltet die Weitergabe aufbereiteter Fakten aus der wiss. Forschung zu Haltungsbedingungen und Tierwohlindikatoren, die Vermittlung der Sachkunde für die Haltung sowie sensible Übergabegespräche bei der Vermittlung von Tieren, bei der auch die Empathie zukünftiger Halter gegenüber dem Tier eine wichtige Rolle spielt. 26 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

Ethik ___________________________________________________________________________________________________________ Der ZZF führt für seine Mitglieder mehrere Listen als Anhänge der Heidelberger Beschlüsse, der Selbstverpflichtung des ZZF für den Handel mit Tieren (8). Diese Listen beinhalten Tierarten, deren Verkauf der ZZF aus bestimmten Gründen (Gift- und Gefahrtiere, Qualzuchtmerkmale, Haltungsverbote, …) ablehnt, für die er aufgrund der Haltungsanforderungen (Futterbeschaffung, Größe, Klima, …) ein Präsentationsverbot beschlossen hat oder Tiere, die zu Aspekten der Haltung (Fütterung, Unterbringung, Vergesellschaftung, Hygieneanforderungen, …) einen erhöhten Beratungsbedarf benötigen. Tierschutzwidriges Zubehör wir in einer weiteren Liste aufgeführt. Ausblick Ein Großteil der gehaltenen Heimtiere, darunter auch etablierte Heimtiere können aufgrund ihrer Herkunft als „exotisch“ im Sinne von gebietsfremd bezeichnet werden, was deren große Bedeutung unterstreicht. Aus der Exopet-Studie war zudem im Abschlussbericht kein eindeutiger statistisch belastbarer Hinweis darauf zu finden, dass Tiere bestimmter Kategorien, auch sogenannter „Exoten“, grundsätzlich besonders „einfach“ oder besonders „schwierig“ zu halten sind. Wenn Informationen aus überprüften Quellen, wie es das Tierschutzgesetz in §2 fordert, vor der Anschaffung eines Heimtiers dazu verwendet werden, um sich über dessen spezifische Haltungsanforderungen zu informieren, sollten zukünftige Halter dazu in der Lage sein, zu entscheiden, ob sie ein Tier einer bestimmten Art halten können und für das Tier für eine längere Zeit Verantwortung übernehmen möchten. Literatur 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. Europarat. Europäisches Übereinkommen zum Schutz von Heimtieren Amtliche Übersetzung Deutschlands. Strasbourg; 13.11.1987. Sammlung Europäischer Verträge 125. Industrieverband Heimtierbedarf (IVH) e.V., Zentralverband Zoologischer Fachbetriebe Deutschlands e.V. Der Deutsche Heimtiermarkt 2022 Struktur & Umsatzdaten. Wiesbaden; 2023. Driscoll CA, MacDonald DW, O'Brien SJ. From wild animals to domestic pets, an evolutionary view of domestication. Proc Natl Acad Sci USA 2009;106 Suppl 1:9971–8. Kunzmann P. Heimtiere. In: Ach JS, Borchers D, Herausgeber. Handbuch Tierethik: Grundlagen - Kontexte - Perspektiven. Stuttgart: J.B. Metzler; 2018. S. 242–6. Krautwald-Junghanns M-E. Haltung exotischer Tiere und Wildtiere in Privathand Situationsanalyse, Bewertung und Handlungsbedarf insbesondere unter Tierschutzaspekten. Abschlussbericht Teil 2: Ergebnisse, Zusammenfassung, Gegenüberstellung der geplanten zu den tatsächlich erreichten Zielen, Literaturverzeichnis. Leipzig, München; 2018. Richter T, Kunzmann P, Hartmann S, Blaha T. Wildtiere in Menschenhand Überlegungen zum moralisch-rechtlichen und biologischen Status von Wildtieren. Dtsch Tierärztebl 2012;(11):1550–3. Sachser N, Richter SH, Kaiser S. Artgerecht/tiergerecht. In: Ach JS, Borchers D, Herausgeber. Handbuch Tierethik: Grundlagen - Kontexte - Perspektiven. Stuttgart: J.B. Metzler; 2018. S. 155–60. Zentralverband Zoologischer Fachbetriebe Deutschlands e.V. (ZZF). Die Heidelberger Beschlüsse des ZZF e.V. zum Tierschutz in der Heimtierbranche (Stand Juni 2023).; 2023. Verfügbar unter: https://www.zzf.de/positionen/heidelberger-beschluesse. Kontakt Dr. Stefan Karl Hetz; Zentralverband Zoologischer Fachbetriebe (ZZF), Wiesbaden hetz@zzf.de 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 27

Ethik ___________________________________________________________________________________________________________ Exotenhaltung: was kann die Politik leisten? Undine Kurth Eichgraben, Österreich Mit welchem Politikbegriff gehen wir um? Es muss zu Anfang die grundsätzliche Frage gestellt – bzw. beantwortet werden: Wer bitte – oder was ist „Politik“ eigentlich, die ja gegenwärtig gerne als „die Politik“ adressiert wird - als diejenige, die irgendwie an allem schuld ist und nichts Vernünftiges auf die Reihe bringt. Dabei wird gern außer Acht gelassen, dass es „Die Politik“ schon deshalb nicht gibt, weil da eben keine homogene „Bestimmer-Gruppe“ agiert - wir leben ja erfreulicherweise in einer Demokratie und nicht in einer Autokratie, wo nur einige Wenige festlegen, was richtig ist und zu geschehen hat. Man kann sich bei dieser notwendigen Begriffsbestimmung an „Erprobtem“ orientieren – zum Beispiel an G. Lembruch: „Politik ist gesellschaftliches Handeln, […] welches darauf gerichtet ist, gesellschaftliche Konflikte über Werte verbindlich zu regeln.“ (1) Und im Gegensatz zu Diktaturen passiert diese verbindliche Regelung idealerweise so, dass dem Kern einer jeden demokratisch-pluralistischen Zivilgesellschaft Geltung verschafft wird - nämlich dem transparenten Aushandeln von Kompromissen als Kernaufgabe von Politik. Welche Akteure spielen eine Rolle – Welche Mittel stehen zur Verfügung Politische Entscheidungen finden entgegen der landläufigen Meinung auch in einer repräsentativen Demokratie nicht nur „da oben“ satt – sondern auf vielen unterschiedlichen Ebenen – von der Kommune – über Land und Bund bis hin zur EU und internationalen Abkommen und Konventionen. Daraus resultieren logischerweise unterschiedliche Interessenlagen, die gegeneinander abgewogen werden müssen – und das im speziellen Fall der Bundesrepublik Deutschland vor einem nicht immer ganz leichten Zuständigkeitsgerangel zwischen Bund und Ländern – genannt Föderalismus. Als Regulierungsmittel stehen Anreizsysteme und das Ordnungsrecht zu Verfügung. Da ich mich mit den politischen Möglichkeiten der Verbesserung der Exotenhaltung befasse, konzentriere ich mich auf die Instrumente des Ordnungsrechtes: Gesetze – Verordnungen – Gutachten - Handreichungen, Empfehlungen und Leitlinien Laut Duden ist ein Gesetz „eine vom Staat festgesetzte, rechtlich bindende Vorschrift“. Idealerweise entsprechen die Inhalte den Ansichten der Mehrheit in dem Geltungsbereich des Gesetzes und drücken die verbindlichen Regeln einer Kultur aus. In Deutschland ist eine Verordnung eine generell-verbindliche Rechtsnorm, die durch ein Regierungs- oder Verwaltungsorgan erlassen wird. Dazu bedarf es einer Ermächtigungsgrundlage im Gesetz. Und dann hört es schon auf mit der Verbindlichkeit – und wir sind im Bereich der Gutachten, Handreichungen, Empfehlungen und Leitlinien – mit all ihrer Vielfalt an Auslegungsmöglichkeiten. Nach Aussage des BMEL sind „Gutachten und Leitlinien…zwar nicht rechtsverbindlich, sie unterstützen aber Tierhalter, zuständige Behörden und Gerichte bei der Entscheidung, ob eine Tierhaltung den Vorschriften des Gesetzes entspricht“ (2). Exotenhaltung und Exotenhandel – Auswirkungen und Zahlen Nun mag man sagen, was solls, wenn ein paar schräge Typen seltsame Haustiere halten wollen, aber so einfach ist es eben doch nicht – und ein paar Typen sind es eben auch leider nicht, sondern ziemlich viele. Erst jüngst kürte der ZZF die Bartagame zum „Heimtier des Jahres 2023“ (3). Artenschützer konstatieren und belegen die Bedrohung ganzer Populationen und betonen, dass Naturentnahmen für den Handel die ohnehin schrumpfenden Wildbestände schwächen. Tierschützer stellen immer wieder unhaltbare, tierschutzwidrige Zustände auf Börsen und in privaten Haltungen fest. 28 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

Ethik ___________________________________________________________________________________________________________ Tierheime sind mit exotischen Tieren konfrontiert und beklagen, ebenso wie die wenigen spezialisierten Auffangstationen, dass ihre Kapazitäten längst ausgeschöpft sind. Amtsveterinäre stehen immer wieder vor Problemen bei der Überwachung von Tierbörsen, beim Einschreiten gegen tier- und artenschutzwidrige Haltungen. Gesundheitsämter sind mit gesundheitlichen Risiken konfrontiert, denn der jährlich hunderttausenden Wildtieren birgt das Risiko der Einschleppung von Krankheiten für Menschen, Wildtiere und sogenannte „Nutztiere“. Import von Der Online-Handel stellt ein weiters Problem dar. Im Internet kann man leider problemlos nicht-heimische Wildtiere kaufen, oftmals zu einem geringen Preis und ohne auch nur über geringste Kenntnisse zur Biologie der Tiere und deren Haltungsanforderungen zu verfügen. Und es kommt ein Aspekt hinzu, der immer noch nicht ernst genug genommen wird: Im Bericht des UNODC „Wildlife Crime“ (4) aus dem Jahr 2020 wird zum illegalen Wildtierhandel festgestellt, dass der illegale Handel mit Wildtieren zu einem der größten Schwarzmärkte geworden ist, nach Drogen, Menschenhandel und Waffenhandel. Dass gehandelt werden muss, ist unstrittig! - angemahnter Handlungsbedarf Immer wieder gab es von Verbänden und aus der Wissenschaft Forderungs- und Positionspapiere bis hin zu Parlamentarischen Abenden. Sie lassen sich seit 10 Jahren quasi „lückenlos“ belegen. Und immer waren die Forderungen im Kern die gleichen: Tierbörsen rechtsverbindlich bundeseinheitlich regeln Verkauf von Wildfängen auf Börsen untersagen; Online-Handels mit lebenden Tieren verbieten bundeseinheitlich geregelten Sachkundenachweis einführen; für eine bessere Unterstützung der Vollzugsämter sorgen; eine Heimtier-Verordnung auf den Weg bringen; ein Europaweites Importverbot für Wildfänge anstreben die Einführung einer Positivliste zu prüfen. • • • • • • • • 2015 kam endlich das Forschungsvorhaben „Haltung exotischer Tiere und Wildtiere in Privathand: Situationsanalyse, Bewertung und Handlungsbedarf insbesondere unter Tierschutzgesichtspunkten“ - kurz EXOPET. Allerdings ist aus der fast 400 T€-teuren Studie ist bis heute so gut wie nichts umgesetzt worden. Die Ergebnisse liegen seit 2018 vor und bestätigen weitgehendst die schon vorher genannten Forderungen. Was noch passierte: • Februar 2016 - der EU-Aktionsplan zur Bekämpfung des illegalen Artenhandels wird angenommen und im November 2022 fortgeschrieben (5). 2020 Präsentation der BfN-Studie zu „Strategien zur Reduktion der Nachfrage nach als Heimtiere gehaltenen Reptilien, Amphibien und kleinen Säugetieren“ (6) November 2020 - Die 95. UMK beschließt u.a., „dass eine rechtsverbindliche, bundesweit einheitliche VO für Tierbörsen, inklusive des Ausschlusses von Wildfängen, sowie strengerer Auflagen für den Internethandel erlassen werden…soll (7). Mai 2022 – die Delegationen von Zypern, Litauen, Luxemburg und Malta reichen über das Generalsekretariat des Rates in Brüssel ein Positionspapier zur Prüfung eines neuen Rechtsrahmens zur Haltung von Haustieren (8) ein. (AGRIFISH) Dezember 2022 – die Ergebnisse der Machbarkeitsstudie1 zur EXOPET-Studie (8) werden an das BMEL übergeben. Sie zeigen, was jetzt zur Umsetzung der Ergebnisse von 2018 getan werden muss. Auch hier lauten die wichtigsten Forderungen: • • • • 1. Einführung einer Heimtier VO 2. Sachkundenachweis als Voraussetzung für den Erwerb geschützter Wildtiere 3. Wechsel von der Melde- zur Bewilligungspflicht bei hohen Haltungsansprüchen 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 29

Ethik ___________________________________________________________________________________________________________ Politische Versprechen Nun kann eine solche Fülle von Argumenten nicht einfach ignoriert werden. Entsprechend wurde in den letzten drei Koalitionsverträgen immer wieder angekündigt: • • • • • • Die Sachkunde der Tierhalter zu fördern; Den Wildtierschutz zu verbessern; Den Handel mit und die private Haltung von exotischen und Wildtieren bundeseinheitlich zu regeln; Importe von Wildfängen in die EU zu verbieten; Gewerbliche Tierbörsen für exotische Tiere zu untersagen; Den Online-Handel zu regulieren. Es gab entsprechende Entschließungsanträge, Beschlussempfehlungen, diverse Anfragen an die Bundesregierung. Passiert ist bisher bis auf die teilweise Überarbeitung des Heimtierberaters und einer positiven Stellungnahme zum AGRIFISH-Vorstoß leider nichts. Was die Politik jetzt leisten könnte? Das ist relativ schnell gesagt: • • die unstrittigen Forderungen umsetzen bei strittigen Punkten wie die der Einführung einer Positivliste einen konstruktiven Dialog federführend in Gang bringen. Sie könnte dabei auf fundierte Vorarbeiten zurückgreifen und die Ergebnisse von EXOPET und der EXOPET- Machbarkeitsstudie 1 zu Grunde legen. Fazit Mit Recht wird in einer repräsentativen Demokratie erwartet, dass die gewählten Abgeordneten zur Lösung bestehender Probleme beitragen und entsprechend handeln. Politik ist dabei konfrontiert mit unterschiedlichen Interessen und muss bei der Problembewältigung jeweils einen tragfähigen Kompromiss finden – Dabei ist es nicht Aufgabe von Politik, es jedermann Recht zu machen. Um Vertrauen in politisches Handeln nicht zu verspielen, dürfen nicht floskelhaft Handlungsversprechen abgegeben werden, die konsequent nicht eingehalten werden. Wenn gesteckte Ziele nicht erreicht werden können, muss verständlich erklärt werden, wo die Hinderungsgründe liegen. Demokratien leben nicht vom Zuschauen, sondern vom Handeln aller. Die Rolle der Zivilgesellschaft darf bei politischen Entscheidungsprozessen nicht unterschätzt werden. Öffentlicher Druck bis hin zum bürgerlichen Ungehorsam hat oft erstaunlich viel bewegt – und so wäre es doch wunderbar, wenn von diesem Kongress die Aufforderung an das BMEL ausginge, die Ergebnisse von EXOPET und der dazugehörigen Machbarkeitsstudie 1 endlich umzusetzen. Literatur https://www.bmel.de/DE/themen/tiere/tierschutz/tierschutzgutachten-tierschutzleitlinien.html https://www.zza-online.de/tiernatur/tiernatur/article/zzf-praesentiert-bartagame-ist-das-erste-heimtier-des-jahres.html https://www.unodc.org/unodc/en/data-and-analysis/wildlife.html https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/ip_22_6538 1. Gerhard Lembruch - Einführung in die Politikwissenschaft, Stuttgart 1968, S. 153 2. 3. 4. 5. 6. BfN-Skript 545 / 2020 7. 8. 95. UMK -Protokoll-Beschluss TOP 19.3. file:///C:/Users/User/AppData/Local/Microsoft/Windows/INetCache/Content.Outlook/AFMZI0TK/ZusammenfassungExoNeu %20(002).pdf Kontakt Undine Kurth info@kurthlein.de 30 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

Ethik ___________________________________________________________________________________________________________ Die Umsetzung des Deutschen Tierschutzgesetzes kritisch hinterfragt - oder: Wenn doch nicht alle Tiere gleichbehandelt werden Stephanie Krämer Professur für Versuchstierkunde und Tierschutz, Fachbereich Veterinärmedizin, Justus-Liebig-Universität Gießen „In der Beziehung zu Tieren sind wir egoistisch“ (Gary Steiner, Philosoph, 2012) In jüngster Zeit hat sich die sogenannte Mensch-Tier-Beziehung wahrnehmbar geändert. So wird bereits das “Zusammenleben“ mit Tieren unabhängig von ihrer „Nutzung“ immer kritischer hinterfragt. Radikale Positionen fordern die vollständige Abschaffung jedweder Tierhaltung. Bestandteil der geführten Debatten sind neben kulturell-soziologischen Aspekten des Zusammenlebens von Menschen mit Tieren auch ethische Tierschutzpositionen. Im abendländischen Kulturkreis haben sich im Wesentlichen zwei Grundpositionen der Tierethik etabliert: der Anthropozentrismus und der Pathozentrismus (Leidensethik). So haben diese auch Einzug in das Deutsche Tierschutzgesetz (TierSchG) gefunden. In seinem Grundsatz (§ 1 TierSchG) folgt es dem Anspruch, alle Tiere zu schützen. Zumindest erscheint es so auf den ersten Blick. Auf den zweiten Blick fällt jedoch auf, dass die Schutzwürdigkeit an Bedingungen geknüpft ist, denn erst die erwiesene Leidens- und Schmerzempfindungsfähigkeit eines Tieres macht es im Sinne des Gesetzes schützenswert [1]. Woran knüpfen sich die Kriterien der Leiden und Schmerzen? Wodurch lassen sich Schmerzen von Leiden abgrenzen und ab welchem Ausmaß können Schmerzen und Leiden in Schaden für das Individuum münden? Diesen Fragen widmet sich u.a. der evidenzbasierte Tierschutz. Genauer müsste es „empirisch- evidenzbasierter Tierschutz“ heißen, da hier die Gesamtheit des Wissensstandes bezüglich einer spezifischen Frage gemeint ist, insbesondere die Berücksichtigung der Erkenntnisse aus wissenschaftlichen Studien sowie die Voraussetzung unmittelbarer kognitiver Nachvollziehbarkeit. Für wen muss die Evidenz dabei nachvollziehbar sein? Ausschließlich für den Menschen. Somit entspricht dieser Ansatz genauer genommen einer „anthropozentrischen Leidensethik“. Offensichtlich gibt es keinerlei wissenschaftlich belastbare und für den Menschen kognitiv erfassbare Hinweise, die Insekten ein Schmerzempfinden attestieren. Somit kann die Tötung einer Mücke tierschutzrechtlich nicht geahndet werden. Anders verhält es sich bei den sogenannten Haustieren, also bei den Spezies, die ein besonderes Interesse beim Menschen geweckt haben und daher „auserkoren“ wurden, in der Nähe von oder sogar in deren Häusern zu leben, um darüber vor ca. 11.000 Jahren domestiziert zu werden. Während der Verlust einer Mücke dem Menschen keinen Schaden brachte, konnte der Verlust eines Haustieres unter Umständen sogar in einer existenziellen Bedrohung resultieren. Schon im Codex Hammurabi (1800 v. Chr.) wurde das Rind als Haustier unter besonderen Schutz gestellt, doch nicht etwa wegen dessen Mitgeschöpflichkeit, sondern vielmehr motiviert von Eigentümerinteressen. In der Entwicklung des gesetzlichen Tierschutzes waren es dann zunächst die sogenannten „landwirtschaftlichen Nutztiere“, die unter Schutz gestellt wurden. Hunden und Katzen sollte dieser erst später zuteil werden. Zwar gab es schon früh Liebhaberei für die Hunde- und Katzenzucht, deren Schutzbedürftigkeit erfuhr allerdings noch kein allgemeines Interesse. Dies sollte sich über die Zeit ändern, auch mit der Abhaltung erster Rassehundeausstellungen (1859 in Newcastle) und Gründungen von Rassehundevereinen (1880). Die Dachorganisation der Hundezucht, die Fédération Cynologique Internationale (FCI) wurde 1911 gegründet. Zweifelsohne ist der Hund zu einem besonderen Gefährten für den Menschen geworden, vor allem der „Rassehund“, aber auch die „Rassekatze“ oder das „Rassepferd“. Der Ausdruck „Rasse“ impliziert im alltäglichen Sprachgebrauch einen besonderen Wert, welcher weniger einen ideellen oder intrinsischen, sondern vielmehr den finanziellen Wert eines Tieres abbildet. Aus Sicht des Menschen scheint es nachvollziehbar zu sein, dass allein aufgrund des pekuniären Wertes Rassetieren ein besonderer Schutz zuteilwerden sollte, der oftmals über die tierschutzgesetzlichen Mindestanforderungen hinausgeht. Dieser 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 31

Ethik ___________________________________________________________________________________________________________ Wunsch lässt sich in steigenden Börsenanteilen von Tierversicherern ablesen. Jüngst verkündete ein Wirtschaftsforschungsinstitut, dass der „Markt für Tierversicherungen spannender als Wasserstoff“ sei [2]. Das wirft die Frage auf, ob es eine tierschutzrechtliche Abstufung der Schutzbedürftigkeit von Haustieren gibt? Konkreter gefragt und mit Fokus auf die anzuerkennende Leidensethik: Gibt es Haustiere, die mehr oder weniger stark Leiden können und wären diese dann darüber mehr oder weniger schutzwürdig? Grundlage der Deutschen Tierschutzgesetzgebung ist der evidenzbasierte Tierschutzgedanke. Auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse kann pauschal festgehalten werden, dass Haustiere leidensfähig sind, eine komplexe Schmerzwahrnehmung aufweisen und diesbezüglich keine nennenswerten Unterschiede zwischen den Wirbeltieren gemacht werden. Die Maus als sogenannter „Modellorganismus Nummer Eins“ in der biomedizinischen Forschung wird dabei häufig für Schmerzstudien eingesetzt. Aber auch abweichend von speziellen Schmerzmodellen wird in der Forschung anerkannt, dass faktisch alle Krankheitsmodelle mit Schmerzen, Leiden oder Schäden für diese Tiere verbunden sind oder es potenziell sein könnten. Dabei greift zum Schutz der Versuchstiere neben dem Deutschen Tierschutzgesetz eine eigens erlassene Verordnung (Tierschutzversuchstier-Verordnung) und macht die Schmerz- und Belastungsbeurteilung bei der Tierversuchsdurchführung zur Pflicht. Besondere Beachtung finden dabei auch genetische Defekte, die wiederum über den § 11b im Deutschen Tierschutzgesetz geregelt werden. Dieser Paragraf gilt bekanntermaßen nicht nur für Versuchstiere, sondern für alle Tiere, die der Gesetzgeber als besonders schützenswert eingestuft hat. Ist anzunehmen, dass in der Zucht von Versuchstieren bei den Nachkommen Schmerzen, Leiden oder Schäden eintreten könnten, dann ist die Zucht und Haltung dieser Tiere genehmigungspflichtig. Das ist eine Ausnahme vom § 11b des Deutschen Tierschutzgesetzes für Tiere, die zu wissenschaftlichen Zwecken bzw. zur Erzielung eines wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns gezüchtet werden. Zuvor muss das Tierversuchsvorhaben einer gewissenhaften Kosten-Nutzen-Analyse unterzogen sowie in einem umfangreichen Verfahren behördlich geprüft (Prüfung auf Unerlässlichkeit) und genehmigt werden. Anders verhält es sich in der Zucht der begehrten Rassehunde, -katzen, -pferde, -vögel bzw. der Zucht vieler landwirtschaftlicher Nutztierrassen. Die zuchtbedingten Schmerzen, Leiden oder Schäden werden hier offensichtlich aus Gründen einer zweifelhaften Ästhetik oder Wirtschaftlichkeit unkritisch in Kauf genommen. In der Nichtahndung von Qualzuchten im Sinne von § 11b des Deutschen Tierschutzgesetzes liegt eine ungeheure Inkonsequenz in der menschlichen Wertung und Handlung. Diese Inkonsequenz bildet par excellence die von Gary Francione [3] beschriebene „moralische Schizophrenie“ des Menschen im Umgang mit Tieren ab. Der Philosoph Gary Steiner [4] erklärt diese Ambivalenz damit, dass viele Menschen Haustiere nicht aus rein „moralischen“ Gründen lieben. Zweifelhafte Wertevorstellungen, die an den Besitz der geschundenen Rassetiere geknüpft sind, können aber wohl nicht die einzigen Gründe für die jahrzehntelange Nichtumsetzung des im Jahre 1986 in Kraft getretenen „Qualzuchtparagrafen“ sein. Klare Zeichen zum Vollzug seitens des Staats hat es nie gegeben. Möglicherweise ist die Inkonsequenz der staatlichen Umsetzung aber auch von „Werten“ geprägt und erscheint daher wenig(er) dringlich. Allein der Umsatz von Heimtierbedarf betrug in Deutschland im Jahre 2022 rund 6 Milliarden Euro [5], die jährlichen Einnahmen an Hundesteuer brachten den Kommunen im gleichen Jahr rund 414 Millionen in die Kassen [6], die enormen Fortschritte in der Tiermedizin basieren zu einem Großteil auf der Defektheilung von Qualzuchtmerkmalen und liegen faktisch nicht in der Prävention. Es gibt offensichtlich viele Nutznießer am Fortbestehen von Qualzuchtrassen auf der Basis unverhohlenen menschlichen Egoismus, „weil der Mensch es nun mal kann“! So wäre es nur ehrlich, wenn Menschen, die sich zum wiederholten Male eine Französische Bulldogge angeschafft haben nachdem die Vorgänger vielleicht an den Folgen der Brachycephalie ihr Leben lassen mussten, zugeben würden, dass mit diesen Hunden auch ein gewisser Lifestyle verbunden ist und darin auch ein Beweggrund für die Anschaffung liegt. Oder würde die Tierärzteschaft sich eingestehen, dass die Behandlung dieser Tiere mit hohen Kosten verbunden ist und die Einnahmen darüber so manche Klinik in den schwarzen Zahlen hält und die Anschaffung und den Unterhalt komplexer Gerätemedizin garantiert. Oder würden die Züchterinnen und Züchter dieser Tiere sowie die angeschlossenen Verbände offen darlegen, dass über die Rassehundezucht Marktanteile gesichert werden können und die Zucht per se nicht nur reine 32 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

Ethik ___________________________________________________________________________________________________________ Liebhaberei, sondern ein Geschäft ist. Ebenso wie die Versicherer, welche die Tiere nicht versichern, weil sie diese lieben, sondern ein Interesse daran haben, dass möglichst viele Menschen möglichst viele Tiere halten und so möglichst hohe Prämien einzahlen. Oder würde der Staat indes erklären, dass mit der Tierhaltung lukrative Steuereinnahmen einhergehen und würden Politiker zugeben, dass „unattraktive Verbote“ potenzielle Wähler verprellen könnten. Wenn auf der einen Seite evidenzbasierter Tierschutz gefordert wird, dann muss auf der anderen Seite eine evidenzbasierte Analyse der Problemsituation erfolgen. Wenn wir Menschen uns eine Überlegenheit gegenüber anderen Spezies zugestehen, dann sollten wir unsere besonderen kognitiven Fähigkeiten nutzen und rational alle Facetten des Problems betrachten. Die mit der Haltung von Qualzuchtrassen verbundenen „Werte“ stellen dabei eine bislang zu wenig diskutierte Facette ab. Literatur 1. 2. 3. Tierschutzgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. Mai 2006 (BGBl. I S. 1206, 1313), das zuletzt durch Artikel 2 Absatz 20 des Gesetzes vom 20. Dezember 2022 (BGBl. I S. 2752) geändert worden ist. https://www.onvista.de/news/weshalb-der-markt-fuer-tierversicherungen-spannender-als-wasserstoff-ist-431598201 [zuletzt aufgerufen am 28.10.2023] Francione GL: Animals as Persons. Essays on the Abolition of Animal Exploitation. Columbia University Press, 2009. ISBN: 9780231139519. 4. Steiner G: Animals and the Moral Community. Columbia University Press, 2008. ISBN: 9780231142342. 5. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/261958/umfrage/marktvolumen-fuer-heimtierbedarf-heimtierbedarf-in- deutschland/ [zuletzt aufgerufen am 28.10.2023] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1312036/umfrage/steuereinnahmen-aus-der-hundesteuer-in-deutschland/ [zuletzt aufgerufen am 28.10.2023] 6. Kontakt Prof. Dr. Stephanie Krämer; Professur für Versuchstierkunde und Tierschutz, Fachbereich Veterinärmedizin, Justus-Liebig-Universität Gießen 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 33

Ethik ___________________________________________________________________________________________________________ Fokus Kälbergesundheit - Warum erhalten die Kleinsten oft die geringste Aufmerksamkeit? Philipp Zuz Tierärztliche Praxis Ottersberg „Eine Gesellschaft offenbart sich nirgendwo deutlicher als in der Art und Weise, wie sie mit ihren Kindern umgeht.“ (Nelson Mandela) Dieses Zitat trifft aktuell ebenso zu, wenn es um die Kälberhaltung der Zukunft geht. Aus ethischer Sicht ergibt sich in diesem Bereich nämlich definitiv ein Nachholbedarf, der multifaktoriell bedingt ist. Zum einen erweisen sich staatliche Maßnahmen als nicht zielführend und lassen sowohl LandwirtInnen, als auch praktische TierärztInnen häufig ratlos zurück. Zum anderen wird die Kälbergesundheit auf landwirtschaftlichen Betrieben zum Teil stiefmütterlich behandelt. Die Streuung zwischen vorbildlichen und weniger guten Betrieben ist hierbei auffällig. An dieser Stelle sei jedoch zu erwähnen, dass der Großteil der Betriebe in unserer Beratungspraxis einen hohen Standard im Bereich des Tierwohls aufweist. Dennoch gibt es immer wiederkehrende Fehlerquellen, welche zumeist durch Unwissenheit sowie fehlende Arbeitskräfte auf den Betrieben bedingt sind. Eine unzureichende Kolostrumversorgung sowie eine zu geringe Tränkemenge stellen hierbei oft den größten Faktor dar und zeigen, dass noch viel Aufklärungsarbeit in diesem Feld zu leisten ist. Im Laufe der Jahre haben sich viele Mythen etabliert, die essenziell zur Gefährdung des Kälberwohls beitragen. So kursiert beispielsweise hartnäckig der Irrglaube, dass eine zu hohe Tränkemenge automatisch zu Durchfällen führt. Des Weiteren stehen für die Kälberaufzucht auf den Betrieben häufig nur Altgebäude zur Verfügung, die dafür gänzlich ungeeignet sind. Als bestandsbetreuende/r Tierarzt/Tierärztin steht man somit vor der Herausforderung, Ökonomie und Kälbergesundheit zu vereinen. Die Frage nach dem Haltungssystem der Zukunft birgt hier jedoch enorme Unsicherheiten, die dazu führen, dass sich LandwirtInnen hinsichtlich der Investition in neue Kälberställe eher zurückhaltend zeigen. Insbesondere die „End of Cage“-Initiative und damit eventuell einhergehende neue rechtliche Vorgaben auf EU-Ebene machen größere Investitionen in die Kälberhaltung sehr unsicher. Eine ebenso große Hürde für Milchviehbetriebe und TierärzInnen schuf vor Kurzem die Adhoc-Maßnahme der Regierung, durch die das Transportalter der Kälber von 14 auf 28 Tage heraufgesetzt wurde. Die sehr kurze Übergangszeit dieser Gesetzesänderung in der Bullenkälberhaltung auf den Milchviehbetrieben. Zudem erhalten LandwirtInnen, trotz der deutlich gestiegenen Aufzucht- und Investitionskosten, keinen höheren Erlös für die verkauften Kälber. führte zum Teil zu massiven Verschlechterungen Zu guter Letzt sei noch die muttergebundene Kälberaufzucht – ein Thema, das insbesondere von Verbraucherseite immer größere Aufmerksamkeit erfährt – als weitere Herausforderung zu nennen. Dieser Bereich nimmt einen zunehmenden Anteil in der tierärztlichen Beratungspraxis ein und stellt TierärztInnen vor ganz neue Aufgaben hinsichtlich des Managements der Kälbergesundheit auf den Betrieben. Abschließend lässt sich festhalten, dass trotz deutlicher Verbesserungen sowie Anstrengungen im Bereich der Kälberhaltung, in Zukunft noch mehr Engagement sowie Konzepte erforderlich sein werden, um die Haltung unserer Kleinsten so zu gestalten, dass sie ethisch vertretbar ist. Besonders wichtig wird es hierbei sein, sogenannte „Schnellschüsse“ zu vermeiden sowie Konzepte zu erarbeiten und zu etablieren, die aus tierärztlicher, ethischer und auch aus landwirtschaftlicher Sicht umsetzbar und zukunftsfähig sind. Kontakt Philipp Zuz; Tierärztliche Praxis Ottersberg p.zuz@tierarztpraxis-ottersberg.de 34 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

Ethik ___________________________________________________________________________________________________________ Tierschutz in der Kleintiermedizin in der Wahrnehmung von Tierhalter:in und Tiermediziner:in - Möglichkeiten und Grenzen der Aufklärung Christiane Bärsch Tierarztpraxis Zuckerhaus, Laatzen; Tierärztekammer Niedersachsen, Hannover Der Ethik-Kodex ist für Tierärzt:innen in der Praxis sowohl hilfreiche Orientierung als auch Herausforderung. Tagtäglich hat man mit Fällen zu tun, die sich ethisch grenzwertig darstellen oder auch Grenzen überschreiten, sei es der brachycephale Hund, dessen Besitzerin die Zucht anstrebt, der Wunsch eines Halters nach operativer Entfernung der Wolfskrallen oder die nicht artgerechte Einzelhaltung eines Kaninchens oder Sittichs. In welchen Fällen ein tiermedizinisches Eingreifen unerlässlich ist, muss individuell und unter Berücksichtigung vieler Faktoren entschieden werden. Nicht zuletzt spielen häufig wirtschaftliche Gründe auf beiden Seiten des Untersuchungstisches eine Rolle, aber auch persönliche Erfahrungen und Ängste können starken Einfluss auf die getroffenen Entscheidungen haben. Im Vortrag werden einige aktuelle Beispiele aus der Kleintierpraxis vorgestellt und der jeweils eingeschlagene Weg soll zur Diskussion gestellt werden. Gibt es überhaupt ein „Richtig“ und „Falsch“? Messen wir immer mit dem gleichen Maß, oder habe auch eigene Befindlichkeiten einen Einfluss? Und nicht zuletzt: wie gehen wir damit um, wenn wir im Nachhinein unsere Entscheidungen hinterfragen? Literatur 1. https://www.bundestieraerztekammer.de/btk/ethik/ Kontakt Dr. Christiane Bärsch; Tierarztpraxis Zuckerhaus, Laatzen baersch@tknds.de 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 35

Ethik ___________________________________________________________________________________________________________ Mit Zwang zur Verantwortung? Die Möglichkeiten der amtlichen Tierärzteschaft Eileen Hoppe Bezirksamt Treptow-Köpenick von Berlin Abstract Amtliche Tierärzt:innen (im folgenden „aTÄ“) sind aufgrund ihres Berufsethos und des Tierschutzgesetzes (TierSchG) i.V.m. Art. 20a Grundgesetz dazu verpflichtet, für die Einhaltung des Tierschutzrechtes zu sorgen. Gem. § 16a Abs. 1 S. 1 bis 3 TierSchG treffen aTÄ Anordnungen, die zur Beseitigung festgestellter Verstöße und die zur Verhütung künftiger Verstöße notwendig sind. Dabei geraten aTÄ regelmäßig auf folgende Hürden: Geringe bis keine Kooperationsbereitschaft zur Duldung und Mitwirkung von tierschutzrechtlichen Kontrollen, mangelhafte Umsetzung von Anordnungen und hohe Rückfallquoten bei tierschutzrechtlichen Verstößen. Erschwerend kommt dazu, dass ein Großteil der betreffenden Tierhaltenden über fehlende Kenntnisse und Fähigkeiten gem. § 2 TierSchG verfügt. Die aTÄ im Vollzug sind häufig mit sozialen und psychischen Missständen bei Tierhaltenden und deren negativen Einflüssen auf das Verantwortungsbewusstsein gegenüber den Tieren konfrontiert. Dies erfordert von aTÄ ein hohes Maß an Flexibilität, Motivation, Mut sowie Einfühlungsvermögen. Amtliche Tierärzt:innen als Garanten für Tierschutz Amtliche Tierärzt:innen sind Garanten für das Wohl der Tiere und die Einhaltung des Tierschutzrechts. Sie sind als solche dazu verpflichtet bei tierschutzwidrigen Zuständen einzuschreiten. Der Gesetzgeber hat aTÄ dazu verpflichtet, Vorgänge unter tierschutzrechtlichen Aspekten zu prüfen und geeignete Maßnahmen zu treffen. Gem. § 16a Abs. 1 S. 1 bis 3 TierSchG trifft die zuständige Behörde die zur Beseitigung festgestellter Verstöße und die zur Verhütung künftiger Verstöße notwendigen Anordnungen. Dabei haben aTÄ kein Entschließungsermessen. Stattdessen müssen sie immer handeln, wenn in ihrem Zuständigkeitsbereich Verstöße gegen Tierschutzrecht begangen wurden oder zu erwarten sind. Wenn die Voraussetzungen des § 16a TierSchG erfüllt sind und aTÄ untätig bleiben, können sie durch Unterlassen selbst Straftaten i. S. d. § 17 TierSchG begehen (1). Möglichkeiten Der Ethik-Kodex (2) legt die Selbstverpflichtungen der Tierärzt:innen zum ethisch richtigen Handeln dar. Unter 4. heißt es „Wir Tierärzt:innen unterstützen die Tierhaltenden in der Wahrnehmung ihrer Verantwortung gegenüber dem Tiere.“ Zur Umsetzung dessen können aTÄ insbesondere die zur Erfüllung der Anforderungen des § 2 TSchG erforderlichen Maßnahmen anordnen, ein Tier, das mangels Erfüllung der Anforderungen nach §2 TSchG erheblich vernachlässigt ist oder schwerwiegende Verhaltensstörungen aufzeigt, dem Halter fortnehmen und das Halten oder Betreuen von Tieren einer bestimmten oder jeder Art untersagen oder es von der Erlangung eines entsprechenden Sachkundenachweises abhängig machen. Bei Vor-Ort-Kontrollen werden Tierhaltungen überprüft und Tierhaltende befragt, beraten und belehrt. Es können sowohl mündlich, als auch schriftlich Anordnungen, die als Sofortmaßnahme vom Tierhaltenden umgesetzt oder nach einer Frist erfüllt werden sollen, getroffen werden. Üblich ist auch die Zusammenarbeit mit anderen Behörden wie dem Gesundheits- und Jugendamt, der Tiersammelstelle, der Polizei u.a. sowie aTÄ anderer Bezirke oder Landkreise. Auch der Austausch mit den praktizierenden Tierärzt:innen ist oft zielführend. Schwierigkeiten im Vollzug und Lösungsansätze Vornehmlich erkundigen sich Bürger:innen vor Anschaffung eines Tieres nicht bei aTÄ. Ein grundsätzlich verpflichtender Sachkundenachweis für alle Tierhaltenden unabhängig von Art, Rasse, Nutzungszweck etc. eines Tieres existiert in Deutschland nicht. Der Gesetzgeber setzt die Sachkunde, also vorhandene Kenntnisse und Fähigkeiten bei Tierhaltenden vor Anschaffung grundsätzlich voraus. Fehlende Kenntnisse und Fähigkeiten werden demnach i.d.R. erst durch Anzeigen und resultierende amtliche Kontrollen bekannt. Im Laufe eines 36 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

Ethik ___________________________________________________________________________________________________________ Verwaltungsverfahrens kann einem Tierhaltenden, nach Feststellung von tierschutzrechtlichen Verstößen, die notwendige Sachkunde aberkannt werden. Bei Umzügen von Tierhaltenden in andere Zuständigkeitsbereiche, sind den Behörden oft die Hände gebunden. Auf Initiative von Brandenburg hat der Bundesrat am 28. Oktober 2022 einen Entschließungsantrag zur Schaffung eines bundesweiten Registers über verhängte Tierhaltungs- und Betreuungsverbote gefasst. Kooperationsbereitschaft sowie Duldung und Mitwirkung der Tierhaltenden sind Voraussetzung für Zugang in private Tierhaltungen. Zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit sind aTÄ zur behördlichen Nachschau (Betretungsrecht) befugt. Das ziel- und zweckgerichtete Suchen nach verborgenen Tieren/Hinweisen ist nur nach richterlicher Durchsuchungsanordnung umsetzbar. Zur Überprüfung von generellen Haltungs- und Betreuungsverboten ohne erneuten Verdacht gibt es daher bei fehlender Kooperationsbereitschaft oft keine Möglichkeit private Wohnräume zu betreten. Nach Ermessensausübung hat es sich in vielen Fällen als sinnvoll ergeben, die personengebundene Tierhaltung nicht generell zu untersagen, sondern unter Auflagen einzelne Tiere zurück in die Haltung zu geben. So kann die Tierhaltung weiter überprüft, die unbemerkte Anschaffung neuer Tiere vermieden und den Tierhaltenden die Chance gegeben werden mit tierärztlicher Begleitung zukünftig verantwortungsbewusst Tiere zu halten. Die Motivation für private Tierhaltung ist oft Tierliebe. Dabei steht häufig ein als Mitgefühl empfundenes individuelles Motiv im Fokus. Tierliebe ist nicht kongruent mit der Sorge um das Wohlbefinden eines Tieres. Haustiere können helfen das Bedürfnis nach sozialer Verbundenheit zu befriedigen und vermitteln den meisten Haltenden Sicherheit, Verlässlichkeit, Trost sowie Rückversicherung. Es zeigt sich ein überdurchschnittlich hohes Vorkommen von sozialen (v.a. fehlende finanzielle Ressourcen, Bildungsdefizite) und psychischen Missständen beim Auftreten von Mängeln in Tierhaltungen. Zu den häufigsten psychischen Erkrankungen zählen Angststörungen, gefolgt von affektiven Störungen (u.a. Depression, Suizidgedanken) und Störungen durch Alkohol- oder Medikamentenkonsum (3). Angetroffen werden regelmäßig Personen, die keine Verantwortung für sich selbst übernehmen können und tlw. in unhaltbaren Zuständen mit ihren Tieren leben. Es gibt Tierhaltende, die mangelnde Kenntnisse und Fähigkeiten in Bezug auf eine tierschutzgerechte Haltung haben und die Bedürfnisse ihrer Tiere verkennen. Sie halten Tiere oft aus Eigenmotiven („Ich brauche das Tier“) als Sozialpartner. Allerdings gibt es auch Tierhaltende, die zwar Kenntnisse aufweisen und die Bedürfnisse ihrer Tiere aufzählen können, sie aber aus unterschiedlichsten Gründen (s.o.) nicht erfüllen können. Änderungen im sozialen Umfeld können bei Tierhaltenden zu Überforderung führen. Diese Überförderung spiegelt sich häufig in der defizitäreren Tierhaltung wider und kann bspw. zur Hortung von Tieren führen. Diese Personen haben weitgehend gemeinsam, dass sie nicht in der Lage sind, auf die Haltungsmängel und die negativen Auswirkungen auf Gesundheit und Wohlbefinden der eigenen Tiere zu reagieren. Belehrungen, Beratungen und Anordnungen überfordern die betreffenden Tierhaltenden. Oft fehlt Einsicht in die Notwendigkeit einer Veränderung („Das habe ich schon immer so gemacht“, „Meinem Tier geht es gut.“). Mängel und Maßnahmen müssen von aTÄ deutlich ggü. Tierhaltenden ausgesprochen werden. Dabei ist ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen (u.a. Anwenden von Anthropomorphismen) gefragt, um die Kommunikations- sowie Kooperationsbereitschaft aufrechtzuerhalten. Bei amtstierärztlichen Entscheidungen muss sowohl das soziale Umfeld als auch der psychische Zustand der Tierhaltenden miteinbezogen werden. Dadurch und auch aufgrund von Sprach- und Kommunikationsbarrieren ist eine bürgernahe Verwaltungssprache von großer Bedeutung. Erschwerend kommt hinzu, dass Tierhaltende teilweise ein gering ausgeprägtes Rechtsempfinden aufweisen. Der Umgang mit vorbestraften, aggressiven, drohenden und gewalttätigen Personen führt nicht selten zu einer Bedrohungslage für aTÄ. In Amtshilfe muss daher oft die Polizei hinzugezogen werden. Nichtdestotrotz sind regelmäßiges Eigensicherungstraining sowie adäquate Ausstattung für den Außendienst essentiell. Ein weiteres grundsätzliches Problem ist eine fehlende Tierschutz-Bildung. Das Thema Tierschutz ist in den Rahmenlehrplänen der Länder nicht verankert und daher ein fakultatives Nischenthema. Tierschutzunterricht 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 37

Ethik ___________________________________________________________________________________________________________ kann alterskonform über Bedürfnisse und Verhalten von Tieren aufklären, den Schüler:innen Optionen für verantwortungsbewusstes Handeln bieten und mittels Tierethik tierschutzgerechtes Bewusstsein schaffen. Fazit Durch die Möglichkeiten der aTÄ gemäß § 16a TierSchG kann Tierhaltenden tierschutzgerechtes Handeln angeordnet werden, jedoch ist die Umsetzung aus unterschiedlichsten Gründen oft ernüchternd. Inwieweit dieser Zwang das Verantwortungsbewusstsein der Tierhaltenden nachhaltig ändert sei dahingestellt. Ihre Motivation erhalten aTÄ durch Erfolgsgeschichten und durch Verbesserung der Haltungsumstände eines jeden Tieres, das durch das Einschreiten der zuständigen Behörde tierschutzgerecht gehalten wird und keine Schmerzen, Leiden sowie Schäden erfahren muss. Literatur 1. Kemper R. Die Garantenstellung der Amtstierärzte und Amtstierärztinnen im Tierschutz. Gutachten im Auftrag des Hessischen 2. 3. Ministeriums für Umwelt, ländlichen Raum und Verbraucherschutz. 2006. „Ethik-Kodex der Tierärztinnen und Tierärzte Deutschlands“, bestätigt und verabschiedet auf dem 27. Deutschen Tierärztetag am 30.10.2015 in Bamberg (https://www.bundestieraerztekammer.de/btk/ethik/) Jacobi F, Höfler M, Strehle J et al (2016) Erratum zu: Psychische Störungen in der Allgemeinbevölkerung. Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland und ihr Zusatzmodul „Psychische Gesundheit“ (DEGS1-MH). Nervenarzt 87:88–90. Kontakt Dr. Eileen Hoppe; Bezirksamt Treptow-Köpenick von Berlin Dr.Hoppe.OA@ba-tk.berlin.de 38 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

Ethik ___________________________________________________________________________________________________________ Wofür Tierärzt*innen wirklich verantwortlich sind - und weshalb sie keine Ahnung davon haben Kerstin Weich Freie Forschende und Tierarztpraxis Lübtheen Tierärzt*innen sind in erster Linie für die tiermedizinische Praxis verantwortlich. Dafür, welches medizinische Wissen über welche Tiere hervorgebracht wird. Jeder therapeutische Einsatz, jede Injektion, jede Rationsberechnung beruht auf Vorstellungen, wofür Tiermedizin ‚gut‘ ist, was ihre Aufgabe in der Gesellschaft ist. Wir wissen erstaunlich wenig darüber: Sind Tierärztinnen eigentlich für Tiere da? Oder geht es darum, nur bestimmte Tiere gesund zu halten? Und was bedeutet ‚gesund‘ hier jeweils? Folgen Tierärzt*innen dem Modell des Kinderarztes, der den individuellen Interessen des Patienten verpflichtet ist, oder ist das Bild des Automechanikers, der einen Gebrauchsgegenstand für den Eigentümer repariert, passender? Ist Tiermedizin also doch für ‚den Menschen‘ da? In der alltäglichen Praxis erscheinen diese Entweder-Oder-Alternativen oft unangemessen. Auf viele oder sogar die meisten tiermedizinischen Handlungen passen beide Modelle: Es wird sowohl dem (kranken) Tier geholfen, als auch den Halter*innen. Tiermedizin ist also für die Gestaltung und die Ermöglichung eines Miteinanders von Tieren und Menschen ‚gut‘. Dafür bringen Tierärzt*innen eine Vielfalt von Wissensformen ein, damit das Zusammenleben von Katze und Familie in einer Stadtwohnung oder eines Bestandes von Milchkühen mit Melker*innen und Milchkonsument*innen gelingen kann. Tierärzt*innen beurteilen hier, indem sie etwa epidemiologisches, physiologisches, diätetisches und ethologisches Wissen anbringen, ihr praktisches Können setzt anatomische Kenntnisse und therapeutisches Wissen um. Das alles zu wissen und ‚richtig‘ umzusetzen, der ‚good scientific practice‘ zu entsprechen, ist ein hoher Anspruch. Doch tiermedizinische Verantwortung beschränkt sich weder darauf, das bestehende Wissen richtig anzuwenden, noch darauf, sich zusätzlich zu der eigentlichen tiermedizinischen Arbeit für Tierschutz zu engagieren. Tierärzt*innen sind für die tiermedizinische Praxis verantwortlich. Jedes tiermedizinische Handeln ist ethisch, insofern es Wertungen und Ziele ausdrückt. Tiermedizinische Verantwortung zu übernehmen, bedeutet sich Aufschluss über diese normativen und politischen Bedingungen zu geben. In jeder tiermedizinischen Handlung stecken eine Reihe von Wertungen, aus denen sich ableitet, was nötig, möglich, wertvoll, sinnvoll erscheint. Tiermedizinisches Wissen wertet, es wird immer ein bestimmtes Problem behandelt, eine bestimmte Interpretation von ‚Gesundheit‘ verfolgt. Das macht Tiermedizin nicht zu einer schlechten, oder unsauberen, nicht-objektiven, nicht-wissenschaftlichen Medizin. Stattdessen wird Tiermedizin dann ‚schlecht‘ im Sinne von verantwortungslos, wenn diese Dimensionen ausgeblendet werden. Gute, verantwortungsvolle Tiermedizin gibt sich Aufschluss darüber, wie sie einen bestimmten Entwurf von Gesellschaft, von dem Miteinanderleben von Tieren und Menschen in einer Gesellschaft hervorbringt und umsetzt. Kontakt Dr. Dr. Kerstin Weich; Tierarztpraxis Lübtheen 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 39

Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Schlaflos durch die Nacht: Der Countdown läuft Gerhard Oechtering, Anne Blechner, Veronica Spormann Veterinärmedizinische Fakultät der Universität Leipzig, Klinik für Kleintiere, HNO-Abteilung, Leipzig 1. Schlaflos durch die Nacht Schlafstörungen des Menschen füllen ganze Lehrbücher und beschäftigen viele verschiedene medizinische Disziplinen. In der Analogie zum Kleintier soll hier nur die OSA, die obstruktive Schlafapnoe genannt werden. Ein vollständiger oder unvollständiger Verschluss der oberen Atemwege führt zu einem periodischen Sistieren oder einer starken Reduktion der Atmung. Unmittelbare Folge der Obstruktion sind Blutgasveränderungen und intrathorakale Druckschwankungen. Unter dem Begriff obstruktives Schlafapnoe-Syndrom (OSAS) wird eine Reihe von nachfolgenden Störungen beschrieben, wie etwa kardio-pulmonale, kardio-vaskuläre, autonom- nervale, hormonelle und zentralnervöse Veränderungen. Weitere Folge dieser Veränderung von Schlafstruktur und Schlafqualität sind Tagesmüdigkeit sowie eine Einschränkung der Konzentrationsfähigkeit und Lebensqualität – so werden für Betroffene ein erhöhtes Unfallrisiko und gehäufte depressive Verstimmungen beschrieben. Obstruktive Schlafstörungen sind auch bei Hund und Katze bekannt und in ausgesuchten Bereichen wissenschaftlich untersucht. Bekanntestes Beispiel für obstruktive Schlafstörungen sind Hunde mit zuchtbedingten multiplen Fehlbildungen der oberen Atemwege, etwas verharmlosend als Brachyzephalie bezeichnet. Hier führt eine Reihe von erblichen, pathoanatomischen Veränderungen der Schädelform und des die Atemwege umgebenden Weichteilgewebes dazu, dass der Atemwiderstand im nasalen-pharyngealen Atemweg so hoch ist, dass es während der Inspiration zum Kollaps mit vollständigem oder unvollständigem Verschluss der oberen Atemwege kommt. Bei betroffenen Menschen wie auch Hunden ist also der unerwünschte Kollaps der oberen Atemwege das funktionelle Problem der Atemstörung. Allerdings reagieren Mensch und Hund völlig unterschiedlich auf dieses Problem: Während wir Menschen bei einem verschlossenen oder zu engen nasalen-pharyngealen Atemweg – etwa bei einer Erkältung mit Schwellung und Hypersekretion der respiratorischen Schleimhäute – durch Öffnung des Mundes über den oro-pharyngealen Atemweg weiteratmen können, ohne aufzuwachen, ist dies dem Hund nicht möglich. Im Schlaf können Hunde bei einem verschlossenen nasalen-pharyngealen Atemweg nicht einfach "das Maul aufmachen" und weiteratmen. Hunde kämpfen gegen den verschlossenen Atemweg an, bis ihr Sauerstoffgehalt sinkt und sie schließlich aufwachen, das Maul öffnen und weiteratmen. Die Blutgase normalisieren sich – dann schlafen sie wieder ein – bis zum nächsten Verschluss. Oft schließt sich in diesen Augenblicken wieder der Kreis zur Schlafstörung des Menschen – schlafen Hund und Besitzer im gleichen Raum, wachen beide in der Regel gemeinsam auf – der eine wegen Sauerstoffmangel, der andere wegen der, das Aufwachen begleitenden Geräuschkulisse. Im Wachzustand, also auch beim Tierarzt, fällt dies selten auf, da hier betroffene Tiere das Maul öffnen und über den oro-pharyngealen Weg atmen können. Im Verdachtsfall kann man das Maul kurzzeitig zuhalten. Auch "Backenblasen" ist ein typisches Symptom für einen vollständigen Verschluss des nasalen-pharyngealen Atemwegs. 2. Der Countdown läuft "Count down" aus dem Englischen übersetzt bedeutet "herunterzählen". Hier sollen Erkrankungen im Hals- Nasen-Ohren Bereich von Kleintieren angesprochen werden, die einen progressiven Verlauf nehmen und bei denen im übertragenen Sinne die Zeit bis zu irreparablen Schäden oder gar bis zum Tod so kurz ist, dass man sie "herunterzählen" kann. Fokussiert man hier auf den nasalen-pharyngealen Atemweg, kann man die Erkrankungen einem oder zwei Symptomkreisen zuordnen: Trivial formuliert geht entweder nichts mehr durch die Nase hindurch oder es läuft etwas heraus. Und natürlich ist nicht selten beides gleichzeitig der Fall. 42 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Nasenausfluss ist ein Symptom, das vom Besitzer einfach erkannt werden kann. Gleichzeitig wird kaum ein Symptom wird vom Besitzer (und immer noch von vielen Tierärzten) derart unterschätzt wie Nasenausfluss. Andere häufige Symptome wie Lahmheit, Erbrechen, Durchfall werden oft ernster genommen als "ein bisschen Nasenausfluss". Dabei trifft auf Lahmheit, Erbrechen oder Durchfall nicht zu, dass ein Drittel der Patienten eine unheilbare Erkrankung hat. Dies gilt aber wohl für Kleintier-Patienten mit Nasenausfluss. Mehrere Studien haben bestätigt, dass bei 30 bis 40 % der Hunde oder Katzen mit chronischem Nasenausfluss ein Tumor- Geschehen die Ursache ist. Zu den nächsthäufigeren Erkrankungen mit Nasenausfluss zählen oronasale Defekte, die idiopathische Rhinitis, nasale Fremdkörper und eine sinonasale Aspergillose. Davon sind echte "Count-Down-Erkrankungen" aber nur die sinonasalen Tumoren und die sinonasale Aspergillose. Beide Erkrankungen haben eine unterschiedliche Dauer und in der Regel auch ein unterschiedliches Ende des Countdowns. Für Tumoren dieser Lokalisation wird ohne Behandlung relativ übereinstimmend eine statistische Lebenserwartung von 3-5 Monaten ab Zeitpunkt der Diagnose beschrieben. 80 % und mehr der Tumoren sind maligne. Die extrem kurze Überlebenszeit unterstreicht zwei zentrale Forderungen an den behandelnden Tierarzt: Erstens, die Diagnostik muss zeitnah und zielgerichtet erfolgen und nach Diagnosestellung müssen mit dem Besitzer zeitnah die möglichen Therapieoptionen realistisch besprochen werden. Die Optionen der Tumorbehandlung gehen von Bestrahlungstherapie bis zu chirurgischer Intervention, entweder als alleiniger Therapieversuch oder in Kombination. Bei der kombinierten Therapie von Bestrahlung und Chirurgie wird die Reihenfolge kontrovers diskutiert, ob es sich empfiehlt den Tumor in einem ersten Schritt chirurgisch zu verkleinern und anschließend die verbleibenden Tumoranteile zu bestrahlen oder ob zunächst bestrahlt wird und dann die verbleibenden Tumoranteile chirurgisch abladiert werden. Bei der sinonasale Aspergillose spielt die reine "Überlebenszeit" nach Diagnose eine geringere Rolle als bei Tumoren - Überlebenszeiten sind bei SNA wesentlich länger. Hier spielt das Fortschreiten der intranasalen infektionsbedingten Zerstörung von Konchen und Weichteilgewebe, sowie der knöchernen Begrenzung zum Gehirn die entscheidende Rolle. Es gilt, eine Heilungschance durch zu späte Diagnosestellung und zu spät begonnene (oder falsche) Therapie nicht zu verpassen. Für das tierärztliche Vorgehen bei Kleintier-Patienten mit Nasenausfluss steht an erster Stelle eine dem modernen tierärztlichen Wissen entsprechende Aufklärung: Der Besitzer muss zunächst die Brisanz der möglichen Grunderkrankungen verstehen – warum der Nasenausfluss des Menschen überhaupt nicht mit dem Nasenausfluss seines Tieres zu vergleichen ist. Und er muss aufgeklärt werden, warum man heute nicht mehr eine über Jahrzehnte praktizierte Diagnostik und Therapie einsetzt, die erwiesenermaßen mindestens nutzlos und in einigen Fällen sogar gravierend schädlich für den Patienten ist. Folgende Informationen sollten vermittelt werden: 1. Es gibt keinen "Hundeschnupfen" (und natürlich auch keine "Hundeerkältung"). 2. Keine der Ursachen für Nasenausfluss beim Hund ist durch ein Antibiotikum zu heilen. 3. Eine mikrobiologische Untersuchung von Nasenausfluss und ein Antibiogramm machen deswegen überhaupt keinen Sinn. Die Empfehlungen für Diagnostik und Therapie lassen sich in klassische "Dos und Don'ts" unterteilen. Bemerkenswert ist im Nachfolgenden, dass die "Don'ts", also die Unterlassungen, im tierärztlichen Tun von sehr großer Bedeutung sind. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 43

Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ DON'Ts der DIAGNOSTIK Keinen Unsinn vom Hundeschnupfen erzählen Keinen Nasenabstrich zur mikrobiologischen Untersuchung geben Keine klassische Röntgenaufnahme der Nase Keine blinde Biopsie aus der Nase Keine hämatologischen oder blutchemischen Laboruntersuchungen Eine purulente Rhinitis ist beim Hund fast ausschließlich sekundär – daher ist eine Bestimmung dieser Keime nicht zielführend Ist nur sehr selten diagnostisch – und damit als Indikation für eine Allgemeinanästhesie fraglich Der Weg zur verlässlichen Biopsie: 1. Endoskopie in Allgemeinanästhesie 2. Absaugen von Flüssigkeiten und Schleim 3. Identifizieren von Zielgewebe 4. Gewebeprobe unter endoskopischer Sicht, möglichst mit Biopsiezange parallel zum Endoskop, um ausreichendes Probenvolumen sicherzustellen. Sie sind nach heutigem Stand nicht hilfreich, um die Ursachen für den Nasenausfluss einzugrenzen. Außer bei alleiniger Epistaxis DOS der DIAGNOSTIK Dringende Empfehlung zur Untersuchung in Narkose In einfacher Variante nur eine explorative Endoskopie mit Probenentnahme unter Sicht Idealerweise die Kombination von computertomografischer Untersuchung gefolgt von endoskopischer, endonasaler Exploration und Probennahme unter endoskopischer Kontrolle. Dem Besitzer die fünf wichtigsten Ursachen von Nasenausfluss erklären und dabei auf die lebensbedrohlichen Ursachen Neoplasie und Aspergillose hinweisen. DON'Ts der THERAPIE Kein Antibiotikum verabreichen … auch nicht, wenn bereits eingeleitete bakteriologische Untersuchungen vermeintlich pathogene Keime nachgewiesen haben. Keine Zahnextraktion auf Verdacht Keine offen-chirurgische Eröffnung der Nase oder der Nasennebenhöhlen mit dem Versuch der Tumorablation oder des Debridements. Keine der Ursachen für Nasenausfluss beim Hund ist durch ein Antibiotikum zu heilen Bei sinonasalen Tumoren entsteht ein inakzeptabler Zeitverlust. Bei sinonasaler Aspergillose ist die Gabe eines Antibiotikums kontraindiziert und als Kunstfehler einzustufen. Nur bei klaren intraoralen oder durch Zahnröntgen bestätigten Befunden Endoskopische, interventionelle Techniken sind weniger invasiv und in der Regel effektiver 44 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ DOS der THERAPIE Bei sinonasalen Tumoren: a) Bestrahlung oder b) Endoskopische Tumorablation oder c) Kombination von a) und b) oder d) Kombination von b) und a) Bei sinonasaler Aspergillose: 1. Zentrale initiale Maßnahme ist ein umfassendes Debridement in Nasenhöhle und betroffenen Nasennebenhöhlen. 2. Lokale Instillation antifungaler Medikamente vorzugsweise durch Instillation und Einwirkzeit 3. Kontrolluntersuchungen in Narkose bis zur gesicherten Ausheilung ggfls. zusätzlich: COX‐Inhibitor oder TK‐Inhibitor oder Chemotherapie Bei leichteren Formen oder zusätzlich im Anschluss an eine Instillation eine Applikation antifungaler Creme Kontakt Prof. Dr. Gerhard Oechtering; Klinik für Kleintiere, HNO-Abteilung, Veterinärmedizinische Fakultät, Universität Leipzig oechtering@vetmed.uni-leipzig.de 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 45

Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ 101 Gründe für Atemnot bei kleinen Rassen: Erkennen - Diagnostizieren – Behandeln Gerhard Oechtering, Roxana Gherghina, Theresa Siegel, Kathlenn Höhns Veterinärmedizinische Fakultät der Universität Leipzig, Klinik für Kleintiere, HNO-Abteilung, Leipzig Kein anderes Haustier ist so vom Menschen durch gezielte Zucht in seiner äußeren Form so verändert worden wie der Hund. Über viele Tausend Jahre richtete sich die Tiergröße nach dem Zweck, für den der Mensch den Hund einsetzen wollte. Herdenschutzhunde mussten eine gewisse Größe und Masse haben, um die wertvolle Herde gegen Raubtiere erfolgreich verteidigen zu können. Für die Hetzjagd dagegen waren eher kleinere und schnellere Tiere erwünscht. Und so entwickelten sich mit den vielen verschiedenen Hundeberufen, die im Laufe der gemeinsamen Geschichte von Mensch und Hund entstanden, zweckbedingt unterschiedliche Körperformen. Mit dem Verschwinden der "klassischen Hundeberufe" und der immer stärker aufkommenden "Schönheitszucht" traten bei vielen Rassen die rationalen Überlegungen der Zucht für einen bestimmten sinnvollen Zweck mehr und mehr in den Hintergrund. Das Zuchtziel "Schönheit" der heutigen Hundezuchtverbände bedeutete sehr oft auch die Abkehr vom Zuchtziel "Leistung". Das Zuchtziel Leistung hatte jedoch einen einzigartigen Vorteil: Bei der Auswahl leistungsfähiger Zuchttiere erfolgte automatisch eine Selektion auf "Gesundheit". Tiere, von denen eine gewisse Leistung erwartet wurde, wurden nicht zur Zucht verwendet, wenn sie Erkrankungen etwa von Gelenken, Herz und Kreislauf oder Atmungsorganen hatten. In der im 19. Jahrhundert beginnenden Schönheitszucht spielten nun völlig andere Dinge eine Rolle. Der Deckmantel der "Schönheit" erlaubte Züchtern von Kleintieren wie Hund und Katze ein nahezu hemmungsloses Selektieren auf körperliche Besonderheiten, die man zum Teil besser als Absonderlichkeiten bezeichnen muss. Von der breiten Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, war die Entwicklung bei Heimtieren wie Kaninchen und Meerschweinchen und bei Rassegeflügel und Ziervögeln vergleichbar. Stammbaumzucht sollte "Reinblütigkeit" garantieren – und dies schon lange bevor Harry Potter und die Malfoys in unsere Wohnzimmer einzogen und wir alle den Unterschied zwischen Reinblütern und Schlammblütern lernten. Sogenannte Mischlingstiere wurden als minderwertig angesehen. Mit immer selektiverer Auslese und Konzentration auf immer weniger Zuchttiere steht dem für eine gesunde Population notwendige natürliche, breite Genpool der Mischlinge ein immer enger werdender Genpool mancher Schaurassen der Stammbaumzucht gegenüber. Und offensichtlich will die Schönheitszucht auch "kreativ" sein und immer wieder neues und besonderes Aussehen bei Hobbytieren erschaffen. Hierzu zählt auch der Wunsch, immer kleinere, immer zierlichere Hunde und Katzen zu züchten. Man könnte fast meinen, alles, was auf der nächsten Hunde- oder Katzenausstellung vor großem Publikum Aufsehen erregt, ist erlaubt. Diese Rasseausstellungen scheinen das "panem et circenses" unserer Zeit zu werden, noch befeuert durch die Omnipräsenz in den öffentlichen und sozialen Medien. Aber in der Biologie, ebenso wie in der Technik, können funktionsfähige Strukturen nur in einem gewissen Rahmen maximal vergrößert oder verkleinert werden – überschreitet man bestimmte Grenzen, kommt es zu Fehlfunktionen. Besonders beim Hund hat der Trend zu übertriebener Miniaturisierung an mehreren Stellen die Grenze zur Qualzucht klar überschritten. Diese züchterischen Irrwege dann noch mit verniedlichenden Begriffen wie "Toy-Rassen" oder "Teacup-Hunde" zu bezeichnen, ist an Geringschätzung gegenüber einem Mitlebewesen kaum zu überbieten. Im Folgenden sollen primär zuchtbedingte Veränderungen der oberen Atemwege von Hund und Katze angesprochen werden. Naseneingang Der Naseneingang bei Hunden und Katzen ist eine außergewöhnlich komplexe Struktur und mit der relativ simplen Anatomie unserer menschlichen Nasenöffnung kaum vergleichbar. In der gesunden Nase wird hier Verteilung und Richtung der Ein- und Ausatemluft gesteuert. Damit wir unter anderem geregelt, wie der Luftstrom Flüssigkeit aus speziellen Drüsen über die Nasenmuscheln bewegt, um dort die lebenswichtige 46 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Aufgabe der Thermoregulation zu ermöglichen. Hunde und Katzen sind obligate Nasenatmer. Sie können im Schlaf bei einer Obstruktion des nasalen-pharyngealen Atemwegs nicht das Maul öffnen, um so den parallelen oro-pharyngealen Atemweg zu nutzen. Erstaunlicherweise bleibt dieser komplexe Naseneingang bei den sogenannten normozephalen Hunden, also Hunden, die eine natürliche, für Kaniden typische Kopfform mit langer Nase (Gesichtsschädel) und kurzem Hirnschädel haben, völlig unbeeinträchtigt. Ein 2 Kilogramm schwerer Chihuahua hat den gleichen funktionierenden Naseneingang wie eine 70 kg Dogge. Manipulieren wir aber durch übertriebene Zuchtauslese das Verhältnis von Gesichtsschädel zu Hirnschädel, wird durch die pathologische Verkürzung der Nase die gesamte Binnenstruktur der Nase bis zur Funktionsunfähigkeit verändert. Der Naseneingang, der natürlicherweise bei Mensch und Hund bereits einen hohen Atemwiederstand verursacht, wird durch die brachyzephalen Fehlbildungen nahezu verschlossen. Er verliert die Beweglichkeit und damit die Fähigkeit zur Öffnung während der Einatmung. Auch bei der Katze sind es die menschengemachten Stenosen, die vorrangig zu Atemnot und Leid führen. Auch hier ist es der Wahn, adulten Tieren ein kindliches Gesicht aufzuzwingen. Über Jahrzehnte waren es die Perserkatzen später auch British Shorthair – in den vergangenen Jahren hat sich das Bild verschoben und eine neue Rasse hat auf der Skala des Tierleids die Führung übernommen: Katzen der Rasse Scottish Fold. Die Fehlbildung des Naseneingangs dieser Rasse ist wesentlich komplexer als bei Persern und British Shorthair. Eine befriedigende chirurgische Korrektur scheint nur mit umfassenden plastischen Gewebeverschiebungen möglich. Und vergleichbar der Entwicklung beim Mops und den Bulldoggen, setzt sich die Sammlung der erblichen Fehlbildungen bei den Scottish Fold über den Katzenkörper bis zu den Hinterbeinen fort. Stenosen des Naseneingangs können auch erworben sein. Bisswunden, Schussverletzungen oder Traumata durch Unfälle können während der Heilung durch konstriktive Narbenbildung zur Einengung oder gar Verschluss des Naseneingangs führen. Leider werden auch immer wieder iatrogene Ursachen beschrieben, etwa wenn bei der chirurgischen Korrektur brachyzephaler Fehlbildungen des Naseneingangs unsachgemäß oder exzessiv thermische Energie (HF- oder Laser-Chirurgie) eingesetzt wird. Bei diesen Energieformen ist das Ausmaß der kollateralen Gewebeschäden kaum einzuschätzen und es wird eine überschießende konstriktive Wundheilung induziert. Insgesamt bleibt die chirurgische Korrektur angeborener oder erworbener Stenosen des Naseneingangs eine enorm große Herausforderung. Nasenhöhle Auch bei den Stenosen und Obstruktionen innerhalb der Nasenhöhle sind die menschengemachten erblichen Pathologien dominierend. Bei brachyzephalen Tieren ist durch Zucht der knöcherne Rahmen der Nasenhöhle so reduziert worden, dass die Nasenmuscheln im Inneren zusammengepresst werden. Die luftführenden Spalten verschwinden und der Atemwiderstand innerhalb der Nase steigt stark an. Besonders extrem ist dies bei Französischen Bulldoggen, wo häufig eine komplette Resektion der ventralen Nasenmuscheln notwendig wird, um einen ausreichenden nasalen Luftstrom zu gewährleisten. Auch können Fehlbildungen, die auf den ersten Blick nichts mit der Atmung zu tun haben, sekundär zu schweren Behinderungen der Atmung führen. Der unnatürlich verkürzte Oberkiefer von brachyzephalen Tieren führt dazu, dass sich die Zähne nicht auf einem physiologischen Zahnbogen anordnen können. Die extreme Engstellung kann dazu führen, dass nicht alle Zähne regulär "durchbrechen" können und dann innerhalb des Oberkiefers "feststecken". In der Folge bildet sich um die Zahnanlage herum eine flüssigkeitsgefüllte langsam größer werdende Retentionszyste, die sich in die Nasenhöhle hinein ausdehnen kann, bis hin zum vollständigen Verschluss des nasalen Atemwegs. Erworbene Stenosen oder Obstruktionen der Nasenhöhle können sehr unterschiedliche Ursachen haben. Nicht selten sind Erkrankungen, bei denen der Luftstrom behindert oder unterbunden ist auch mit Nasenausfluss verbunden. Oronasale Defekte oder ein persistierender Fremdkörperreiz können über eine chronische Entzündung zur Bildung von überschießendem Granulationsgewebe führen, das den nasalen Atemweg verlegen kann. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 47

Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Nasenausgang Es ist interessant, dass der Nasenausgang ein Opfer der übertriebenen Zucht hin zur pathologischen Miniaturisierung geworden ist – während der Naseneingang auch bei sehr kleinen Hunderassen diese Entwicklung unbeschadet überstanden hat. Betrachtet man den Nasenausgang als eine Struktur ähnlich einem Türrahmen ohne Tür, dann entspricht der kaudal am Septum von medial nach lateral ziehende Vomerflügel (ala vomeris) dem Türsturz. Übertragen auf die Struktur des Türrahmens führt übertriebene Miniaturisierung bei Hunden zu einer Absenkung des Türsturzes – bis hin zu einem kompletten Verschluss des Eingangs in den Meatus nasopharyngeus durch den Kollaps des Vomerflügels. Eine durch Vomer-Kollaps verursachte Stenosierung des Nasen-Rachen-Gangs ist nicht einfach zu diagnostizieren und kann die chirurgische Korrektur zu einer besonders großen Herausforderung machen. Eine belastbare Diagnose erfordert eine kombinierte Darstellung im Computertomogramm und in der anterograden Rhinoskopie. Als therapeutisches Konzept steht eine endoskopische anterograde Intervention an vorderster, wahrscheinlich sogar an einziger Stelle. Unter Verwendung eines Dioden-Lasers mit niedrigster Laserdosierung (1 bis 2 W, gepulst) wird unter Sichtkontrolle im non-contact Modus der Schwellkörper des Vomerflügels langsam erwärmt und schrittweise koaguliert. Unter der Einwirkung der Laserenergie verfärbt sich der Schwellkörper ins weißliche und schrumpft. Vermeiden muss man auf jeden Fall jede Form der Karbonisierung, da dies zu irreversiblen Verklebungen innerhalb des Nasen-Rachen-Gangs führen kann. Erworbene Stenosen des Nasenausgangs können verursacht werden durch chronischen Fremdkörperreiz oder raumfordernde Prozesse im Bereich der Keilbeinhöhle (Schleimhautzysten, Neoplasien). Da bei miniaturisierten Hunden bereits in gesundem Zustand der Nasenausgang einen sehr geringen Durchmesser hat, führen zusätzliche Belastungen in diesem Bereich sehr schnell zu einer ausgeprägten klinischen Symptomatik. Auch hier ist die Diagnostik angewiesen auf Untersuchungen in Narkose, idealerweise ebenfalls die Kombination aus CT und Endoskopie. Nasenrachen Der Nasopharynx hat nur in seinem rostralen Anteil das Privileg einer knöchernen Umrahmung, die gegen einen Kollaps schützt. Kaudal der Hamuli des Pterygoids wird der Nasenrachen nur von Weichteilgewebe begrenzt und kann bei Unterdruck kollabieren. Bei den erworbenen Stenosen stehen auch hier die brachyzephalen Hunderassen an vorderster Stelle. Speziell bei den Bulldoggen aber auch beim Mops ist dieser Abschnitt des Nasopharynx besonders kollapsibel. Er kann in der Kombination mit einem übergroßen Zungengrund und vergrößerten Gaumenmandeln im Schlaf kollabieren und den nasalen-pharyngealen Atemwegs blockieren, besonders bei abgelegtem Kopf. In den vergangenen Jahren fallen mehr und mehr Französische Bulldoggen mit einem knöchernen "Hamulus- Engstand" auf. Hier ist die Diagnose in der CT zwar einfach zu stellen, eine chirurgische Therapie mit einem vertretbaren Operationsrisiko ist bisher nicht beschrieben. Erworbene Verengungen oder Verlegungen des Nasenrachens können intraluminal entstehen durch Fremdkörperreiz oder tumoröse Entartung der Tonsilla pharyngea. Häufiger sind es extraluminale Ursachen, die in der Regel vom Mittelohr ausgehen, etwa nach Exazerbation einer Otitis media. Das Übergreifen der Entzündung aus der Bulla tympanica heraus auf das peribulläre Gewebe führt zu Schwellung und massiver Einengung des nasopharyngealen Lumens. Bei der Katze ist die direkte Ausdehnung von entzündlichem Granulationsgewebe aus dem Mittelohr durch die Eustachische Röhre eine häufige Ursache großer, raumfordernder Prozesse im Nasopharynx, sogenannten entzündlichen nasopharyngealen Polypen. Kontakt Prof. Dr. Gerhard Oechtering; Klinik für Kleintiere, HNO-Abteilung, Veterinärmedizinische Fakultät, Universität Leipzig oechtering@vetmed.uni-leipzig.de 48 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Tumorbedingter Hämaskos – was ist möglich und sinnvoll Martin Kessler IVC Evidensia Tierklinik Hofheim GmbH, Hofheim Ein Hämoperitoneum (Hämoabdomen, Hämaskos) ist definiert als Ansammlung freien Blutes im Abdomen und stellt eine verhältnismäßig häufige Diagnose bei Hunden in der Notfallpraxis dar. Hauptursache für ein nichttraumatisches Hämoabdomen sind Neoplasien von Bauchhöhlenorganen (v.a Milz, Leber, seltener Nebenniere, Niere und andere). Eine Koagulopathie durch eine plasmatische Gerinnungsstörungen (v.a. durch Rodentizidvergiftung) stellt die wichtigste Differenzialdignose dar. Eingangsbeurteilung des Patienten und Stabilisation Bei Vorstellung eines Patienten mit Verdacht auf ein Hämoabdomen ist das Ziel der klinischen Erstuntersuchung, die Stabilität des Patienten zu beurteilen. Körperhaltung (steh/gehfähig, überwiegend sitzend, Seitenlage), Bauchdeckenspannung (angespannt, undulierendes Abdomen) und die Bestimmung der Schleimhautfarbe und Kapillarrückfüllzeit geben einen ersten Eindruck über den Gesamtzustand. Befindet sich der Patient in einem stabilen Zustand, kann eine ausführlichere Anamnese und klinische Allgemeinuntersuchung fortgesetzt werden, ansonsten sollten unverzüglich Notfallmaßnahmen ergriffen werden. Hierzu gehören eine sofortige Volumensubstitution und/oder (sofern möglich) eine Vollbluttransfusion und gegebenenfalls das Anlegen eines straffen Bauchverbandes. Die Art und Infusionsrate der intravenösen Flüssigkeitstherapie sollten auf jeden Patienten entsprechend der festgestellten Defizite abgestimmt werden. Die Grundlagen hierfür sind subjektive und objektive klinische Daten (Schleimhautfarbe, KFZ, Pulsfrequenz und -qualität, Gesamtprotein des Serums und Hämatokrit) und werden je nach Verlauf fortwährend angepasst. Das Anlegen eines straffen Bauchverbandes kann als kurzfristige Initialmaßnahme helfen, durch Erhöhung des intraabdominalen Drucks eine aktive Blutung abzuschwächen oder zu stoppen (1). Diagnose Die sogenannte "Pattern Spotting"-Diagnostik dient einer zügigen Diagnosestellung. So sind Rasse und Alter bereits Risikofaktoren für bestimmte Krankheitsprozesse (bei einem älteren Hund einer größeren Rasse ist die Wahrscheinlichkeit für einen rupturierten Tumor im Abdomen deutlich höher als z.B. bei einem jüngeren Tier einer kleinen Rasse). Einer Studie zufolge war die Ursache eines Hämoperitoneums bei 61,3 % der größeren aber nur bei 43,2 % der kleinen Hunderassen in der Milz lokalisiert. Bei kleineren Hunderassen war die Wahrscheinlichkeit für Leberblutungen oder Blutungen von einer anderen Lokalisation (z.B. retroperitoneale Masse, Niere, Nebenniere) höher als bei großen Hunderassen (2) Bei der klinischen Untersuchung sollte ein besonderes Augenmerk auf die Bauchdeckenspannung (abdominale Druckempfindlichkeit), erweiterter Bauchumfang, Vorwölbung des Nabels und undulierendes Abdomen (Vorhandensein einer "Flüssigkeitswelle") gelegt werden. Die Palpation einer abdominalen Raumforderung gelingt nur in der Minderzahl der Fälle. Zur bildgebenden Untersuchung wird heute vielfach keine Röntgenuntersuchung mehr, sondern unmittelbar ist diese sehr sensitiv zur Darstellung eine sonografische Untersuchung durchgeführt. Einerseits intraabdominaler Flüssigkeit, andererseits kann durch eine Screening-Untersuchung der großen parenchymatösen Organe vielfach bereits die Blutungsursache lokalisiert werden. Es ist zu beachten, dass Sensitivität und Spezifität der abdominalen Ultraschalluntersuchung gering sind. In einer Studie konnten nur 87,4 % aller Milzmassen, 37,3 % aller Lebermassen nur 31,3 % aller Massen im Mesenterium präoperativ sonografisch erkannt werden (3). Auch bei Detektion einer “typischen“ gemischt echogenen bis kavitären Masse in der Milz und zeitgleichem Nachweis von Rundherden in der Leber bedeutet dies noch nicht, dass es sich um ein metastasiertes Hämangiosarkom der Milz handeln muss, da Regeneratknoten in beiden parenchymatösen Organen bei älteren Hunden regelmäßig und häufig auch multipel vorkommen. Allein das Vorhandensein eines Hämaskos bei einem operationsfähigen Hund mit abdominaler Neoplasie rechtfertigt jedoch noch keine Empfehlung zur Euthanasie. Leider hat sich gezeigt, dass unerfahrene bzw. am Beginn ihrer beruflichen 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 49

Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Tätigkeit stehende Tierärzte signifikant häufiger zur Euthanasie eines Patienten mit Hämoperitoneum raten, als Tierärzte mit längerer Berufserfahrung (4). Einer Studie zufolge hatten 76 % der Hunde mit einer Milzmasse und Hämoperitoneum eine maligne Neoplasie, aber immerhin knapp 24 % der Tiere eine gutartige Milzläsion (5). Zu ähnlichen Ergebnissen kam eine andere Studie. Hiernach war bei 144 von 197 (73,1 %) der Hunde mit nichttraumatischem Hämoabdomen eine maligne abdominale Neoplasie ursächlich, ein Hämangiosarkom wurde bei 126 Hunden (87,5 % der Hunde mit malignen Tumoren bzw. 64 % aller Hunde) diagnostiziert (6). Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen der Größe der Milzmasse und ihrer Dignität haben gezeigt, dass benigne Massen häufig größer sind, als maligne (7). Der nächste Schritt ist die Abdominozentese, die bevorzugt unter Ultraschallkontrolle und nicht "blind" durchgeführt wird. Die Abdominozenteseflüssigkeit wird hinsichtlich Hämatokrit, Anzahl der Thrombozyten und Gesamteiweiß untersucht und mit den entsprechenden Befunden aus dem peripheren Blut verglichen. Zytologische Untersuchungen auf Tumorzellen sind zumeist nicht erfolgreich. Die Diagnose eines Hämoperitoneums wird durch das Vorhandensein eines blutigen, nicht gerinnenden Aszites mit sehr niedriger Thrombozytenzahl bestätigt. Liegt der Hämatokrit des Aszites über dem des peripheren Blutes, kann von einer bereits einige Tage bestehenden chronischeren Blutung (möglicherweise mit akuter Verschlechterung) ausgegangen werden. Als minimale präoperative Diagnostik rät der Referent zu einer hämatologischen Untersuchung, eine klinisch-chemisch Organprofil einschließlich Elektrolyte und, sofern verfügbar, einer Überprüfung der plasmatischen Blutgerinnung. Bei Identifikation einer Masse in einem der parenchymatösen Organe sollte ein Röntgen des Thorax in mindestens 2 Ebenen erfolgen. Therapie Schlussendlich bleibt nach Stabilisierung des Patienten die chirurgische Exploration das Mittel der Wahl, um einerseits die Blutungsursache beseitigen, verdächtige metastatische Läsionen zu inspizieren und histologische Untersuchungen sowohl vom entfernten blutenden Tumor aber auch von anderen veränderten Strukturen einzuleiten. Die Operation sollte rasch ist möglich nach Stabilisierung des Patienten, das heißt üblicherweise innerhalb von 30-120 Minuten nach Eintreffen des Patienten erfolgen. Die sorgfältige Auswahl eines Anästhesieprotokolls und eine engmaschige intraoperative Patientenüberwachung sind entscheidend für ein erfolgreiches Operationsergebnis. Präoperativ sollten kreislaufkompromittierte Patienten durch eine hochdosierte Bolusinfusion kristalloider Lösungen stabilisiert werden. Die Infusion von Kolloiden hat zwar eine höhere Verweildauer im Gefäßsystem, doch hat sie den Nachteil, die bei vielen Hämangiosarkom ohnehin gestörte Blutgerinnung weiter negativ zu beeinflussen. Im Idealfall sollten stark kreislaufkompromittierte Patienten zusätzlich zur Volumensubstitution eine Vollbluttransfusion erhalten. Die Verabreichung von Tranexamsäure (Antifibrinolytikum, das bei unkontrollierten Blutungen eingesetzt werden kann) vor der Operation reduziert einer Studie zufolge weder den Transfusionsbedarf noch die postoperative Blutungsneigung (8). Sofort nach Eröffnung des Abdomens sollte das Blut aus der Bauchhöhle zumindest soweit abgesaugt werden, dass eine Exploration der Bauchhöhle und eine Suche nach der aktiv blutenden Neoplasie möglich ist. Da Blutungen am häufigsten von Tumoren ausgehend von Milz, Leber oder Nieren, sollten diese Organe zuerst untersucht werden. Wenn die Blutungsstelle unklar ist oder wenn keine Stelle aktiv blutet, sollte eine systematische abdominale Exploration durchgeführt werden. Sind bei einem blutenden Tumor gleichartige und damit klinisch ausreichend sicher als Metastasen ansprechbare Veränderungen im Netz oder anderen Bauchhöhlenorganen vorhanden, ist aufgrund der schlechten Prognose eine intraoperative Euthanasie gerechtfertigt. Die Resektion des betroffenen Organs oder Organteils sollte so rasch wie möglich durchgeführt werden. In vielen Fällen erschweren omentale Adhäsionen die Resektion. Das mit der tumorösen Läsion verwachsene Omentum sollte vom gesunden Omentum abgeklemmt, durchtrennt und ligiert werden, der mit dem Tumor verwachsene Anteil des Omentums dann zusammen mit der Neoplasie entfernt. Bei einer Milzentfernung werden zunächst alle Gefäße doppelt abgeklemmt und zwischen den Klemmen durchtrennt, dann das Organ entfernt und erst anschließend die Ligaturen an den verbliebenen Klemmen durchgeführt. Alternativ können chirurgische Klammergeräte (TA-Stapler) oder Ligasure Geräte verwendet werden, um die Resektionen zu beschleunigen. Eine Ligatur der A. lienalis und der A/V. gastrici breves ist 50 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Einzelligaturen der kleinen Milzgefäße am Milzhilus vorzuziehen, da rascher durchführbar und nachweislich ohne nachteiligen Effekt auf die Blutversorgung des Magens (9). Obwohl es keinen nachweisbaren therapeutischen Nutzen gibt, zieht es der Referent vor, im Interesse der Sicherheit und der Operationsdauer stets eine komplette Splenektomie durchzuführen, auch dann, wenn die Masse auf nur einen Pol beschränkt ist. In einer großen Studie zur perioperativen Mortalität von 539 Hunden mit Milzmassen zeigte sich eine Todesrate von 7,6 %. Hauptursache war thrombotische und koagulopathische Komplikationen sowie unkontrollierte Blutungen aus metastatischen Läsionen. Als negativ prognostische Faktoren bei der Eingangsuntersuchung konnten die Thrombozytenzahl, ein Hkt < 30 % und die Entwicklung ventrikulärer Arrhythmien während der Operation identifiziert werden. Bei jeder Abnahme der Thrombozytenzahl um 10.000 Thrombozyten/μl stieg die Mortalitätswahrscheinlichkeit um etwa 6 %. Bei Hunden mit Hkt < 30 % war die Sterbewahrscheinlichkeit etwa doppelt so hoch wie bei Hunden mit PCV ≥ 30 %, und bei Hunden mit intraoperativen Arrhythmien war die Wahrscheinlichkeit für Mortalität etwa doppelt so hoch wie bei Hunden, bei denen dies nicht der Fall war (10). Die prognostische Bedeutung von perioperativen ventrikulären Arrhythmien wurde auch in anderen Studien bestätigt (11). Befindet sich der Blutungsherd in einem Leberlappen, sollte eine partielle oder vollständige Leberlappenresektion durchgeführt werden. Auch hier kann entweder eine manuelle Technik oder (vor allem auf der linken Leberseite) ein TA-Stapler eingesetzt werden. Der Referent bevorzugt die manuelle Resektionstechnik sowohl bei partiellen als auch bei hilären Leberlappenresektionen. Entsprechend ist bei blutenden Nieren- oder adrenalen Tumoren einseitige Nephrektomie bzw. Adrenalektomie erforderlich. Nach Entfernung eines blutenden abdominalen Tumors erfolgt zum Ende der Operation hin stets ein komplettes Absaugen des Hämaskos und anschließend eine mehrfache Spülung der Bauchhöhle mit körperwarmer Ringer- oder NaCl-Lösung. Es ist davon auszugehen, dass der Hämaskos in großen Mengen vitale Tumorzellen enthält, weshalb das Belassen des Hämaskos in der Bauchhöhle oder die Verwendung zur intravenösen Autotransfusion als kontraindiziert gilt. Die Prognose für Hunde mit Hämangiosarkom der Milz nach Resektion ist bekanntermaßen ungünstig und bewegt sich zwischen 3 und 4 Monaten, im Falle von sichtbaren Metastasen Operationszeitpunkt aber signifikant darunter. Das erste postoperative Jahr überleben bei alleiniger Splenektomie nur ca. 10 % der Patienten, mit einer adjuvanten Doxorubicin-Chemotherapie erhöht sich dieser Anteil auf ca. 30 % der Patienten. Es konnte auch gezeigt werden, dass sich die Überlebenszeit kleiner Hunderassen mit Hämangiosarkom der Milz nicht von der größerer Hunde unterscheidet (10,12). Interessanterweise zeigt auch ein nicht unerheblicher Anteil von Hunden nach Milzexstirpation für nicht-maligne Massen ein Risiko für frühzeitiges Versterben, in einer aktuellen Studie waren dies 17 % der Tiere (6). Dies kann daran liegen, dass bei einer Teileinsendung exstirpierter großer Milzmassen das eigentliche Tumorgewebe histopathologisch nicht erfasst wurde. Resezierbare solitäre Tumoren der Leber haben grundsätzlich eine relativ günstige Prognose, die Überlebenszeit beträgt häufig mehrere Jahre bzw. die Patienten können als geheilt betrachtet werden (13- 16). Literatur 1. McAnulty GF, Smith GK: Circumferential external counterpressure by abdominal wrapping and its effect on simulated intra- 2. abdominal hemorrhage. Vet Surg 1986;15:270. Fleming J, Giuffrida MA, Runge JJ, Balsa IM, Culp WTN, Mayhew PD, Steffey M, Epstein SE. Anatomic site and etiology of hemorrhage in small versus large dogs with spontaneous hemoperitoneum. Vet Surg. 2018;47(8):1031-1038. 3. Cudney SE, Wayne AS, Rozanski EA. Diagnostic utility of abdominal ultrasonography for evaluation of dogs with nontraumatic hemoabdomen: 94 cases (2014-2017). J Am Vet Med Assoc. 2021;258(3):290-294. 4. Molitoris A, Pfaff A, Cudney S, de Laforcade A. Early career clinicians euthanize more dogs with nontraumatic hemoabdomen but not gastric dilatation and volvulus than more experienced clinicians. J Am Vet Med Assoc. 2022;260(12):1514-1517. 5. Hammond TN, Pesillo-Crosby SA. Prevalence of hemangiosarcoma in anemic dogs with a splenic mass and hemoperitoneum requiring a transfusion: 71 cases (2003-2005). J Am Vet Med Assoc. 2008;232(4):553-8. 6. Millar SL, Curley TL, Monnet EL, Zersen KM. Premature death in dogs with nontraumatic hemoabdomen and splenectomy with benign histopathologic findings. J Am Vet Med Assoc. 2021;260(S1):S9-S14. 7. Mallinckrodt MJ, Gottfried SD. Mass-to-splenic volume ratio and splenic weight as a percentage of body weight in dogs with malignant and benign splenic masses: 65 cases (2007-2008). J Am Vet Med Assoc. 2011;239(10):1325-7. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 51

Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ 8. Sigrist N, Olgiati L, Jud Schefer RS. Effect of tranexamic acid on intra- and postoperative haemorrhage in dogs with surgically treated hemoperitoneum. Schweiz Arch Tierheilkd. 2018;160(5):305-312. 9. Hosgood G, Bone DL, Vorhees WD 3rd, Reed WM. Splenectomy in the dog by ligation of the splenic and short gastric arteries. Vet Surg. 1989;18(2):110-3. 10. Wendelburg KM, O'Toole TE, McCobb E, Price LL, Lyons JA, Berg J. Risk factors for perioperative death in dogs undergoing splenectomy for splenic masses: 539 cases (2001-2012). J Am Vet Med Assoc. 2014;245(12):1382-90. 11. Michael AE, Grimes JA, Rajeev M, Wallace ML, Schmiedt CW. Perioperative ventricular arrhythmias are increased with hemoperitoneum and are associated with increased mortality in dogs undergoing splenectomy for splenic masses. J Am Vet Med Assoc. 2023;29:1-6. doi: 10.2460/javma.23.05.0289. Online ahead of print. 12. Story AL, Wavreille V, Abrams B, Egan A, Cray M, Selmic LE. Outcomes of 43 small breed dogs treated for splenic hemangiosarcoma. Vet Surg. 2020;49(6):1154-1163. 13. Lapsley JM, Wavreille V, Barry S, Dornbusch JA, Chen C, Leeper H, Bertran J, Scavelli D, Liptak JM, Wood C, Shamir S, Rosenbaum C, Montinaro V, Wustefeld-Janssens B, Sterman A, Chik C, Singh A, Collins J, Selmic LE. Risk factors and outcome in dogs with recurrent massive hepatocellular carcinoma: A Veterinary Society of Surgical Oncology case-control study. Vet Comp Oncol. 2022;20(3):697-709. 14. Linden DS, Liptak JM, Vinayak A, Cappelle K, Hoffman C, Fan S, Smiley W, Matz BM. Outcomes and prognostic variables associated with central division hepatic lobectomies: 61 dogs. Vet Surg. 2019;48(3):309-314. 15. Liptak JM, Dernell WS, Monnet E, Powers BE, Bachand AM, Kenney JG, Withrow SJ. Massive hepatocellular carcinoma in dogs: 48 cases (1992-2002). J Am Vet Med Assoc. 2004;225(8):1225-30. 16. Moyer J, Lopez DJ, Balkman CE, Sumner JP. Factors associated with survival in dogs with a histopathological diagnosis of hepatocellular carcinoma: 94 cases (2007-2018). Open Vet J. 2021;11(1):144-153. Kontakt Dr. Martin Kessler; Tierklinik Hofheim, Hofheim am Taunus 52 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Notfälle bei Lymphom-Patienten Julia Gedon Tierklinik Hofheim Das maligne Lymphom stellt eine klinisch und histologisch heterogene Gruppe verschiedener Erkrankungen ausgehend von den lymphatischen Zellen dar (1). Eine Einteilung in diverse Subtypen kann mittels Zytologie, Histologie sowie weiterer immunphänotypischer Zellmarker erfolgen, zudem fließt auch die anatomische Verteilung ein. Das Lymphom kann uns im Notdienst in vielen Varianten begegnen: Beim Hund sehen wir vor allem ‚intermediate bis high-grade‘ Lymphome mit aggressiven Verläufen, wohingegen bei der Katze auch Patienten mit indolenten Lymphomen und damit verbundener chronischer Erkrankung mit progressiver Verschlechterung im Notdienst vorgestellt werden. Mittels zytologischer Untersuchung kann insbesondere bei den aggressiven, high-grade Lymphomen meist schnell eine Diagnose gestellt werden. Wichtig ist, dem Tierbesitzer zu vermitteln, dass die Diagnose ‚Lymphom‘ nicht automatisch einem Todesurteil gleichzusetzen ist, da die Prognose sehr von betroffener Tierart, Subtyp und Therapie abhängig ist. Das Lymphom des Hundes Tabelle 1: Anatomische Manifestation des caninen Lymphoms (1): Anatomische Manifestation Multizentrisch/ generalisiert Gastrointestinal Mediastinal/ Thymus Kutan Extranodal (bspw. Leber, Milz, okulär, …) % caniner Lymphom-Patienten 85 7 5 2-9 1-5 Der canine Lymphom-Patient wird in den meisten Fällen mit generalisiert vergrößerten Lymphknoten mit möglicher Beteiligung von Milz und Leber +/- Knochenmark und anderer nicht-lymphatischer Organe vorgestellt. Die Lymphknoten-Vergrößerung schreitet meist schnell voran und kann mit einer Vielzahl von oftmals unspezifischen Symptomen, wie reduziertem Allgemeinbefinden, Gewichtsverlust, Leistungsintoleranz, Fieber oder Magen-Darm-Symptomen einhergehen. Die Mehrheit der Patienten ist zum Zeitpunkt der Vorstellung asymptomatisch, Hunde mit T-Zell-Lymphomen sind jedoch häufiger „klinisch krank“ (Substadium b) (2). Es ist hervorzuheben, dass einige Studien zeigen konnten, dass Patienten im Substadium b oder mit (aus der Humanmedizin-abgeleiteten) B-Symptomen eine schlechtere Prognose haben (3, 4). Die Beteiligung des Knochenmarks im Sinne eines Stadium V-Lymphoms ist von einer primären akuten lymphatischen Leukämie zu unterscheiden. Andere Blutwertveränderungen (Anämie, Thrombozytopenie, Hyperkalzämie,..) sind häufig. Gastrointestinale Lymphome betreffen oftmals mehrere Abschnitte des Magen-Darm-Trakts (insb. Magen, Dünndarm) sowie die regionalen Lymphknoten. Auch eine Beteiligung anderer Organe ist möglich (5). Neben unspezifischen gastrointestinalen Symptomen (reduzierte Futteraufnahme, Erbrechen, Meläna), kann auch ein akutes Abdomen nach Perforation des Tumors auftreten. Bei einigen Patienten kann bereits im Rahmen der klinischen Untersuchung eine abdominale Masse palpiert werden, welche dann ultraschallgestützt punktiert wird. Primär kolorektale Lymphome haben eine deutlich bessere Überlebenszeit und sollten als eigenständige Entität betrachtet werden (6). Hier können vor allem Hämatochezie, eine palpable Verdickung des Rektums oder auch eine prolabierte Masse, sowie Tenesmus und Kotabsatzbeschwerden auftreten. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 53

Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Beim primär mediastinalen oder Thymus Lymphom (meist T-Zell) kann neben einer mediastinalen Masse/ Lymphadenopathie auch Pleuraerguss auftreten. Die Patienten werden mit Tachypnoe, Dyspnoe, Horner- Syndrom, Husten und Lethargie im Notdienst vorgestellt. Häufig kann eine paraneoplastische Hyperkalzämie und damit verbunden Polyurie/ Polydipsie und Hyporexie beobachtet werden (7, 8). Ein kraniales Vena-Cava- Syndrom mit ödematösem Anschwellen von Kopf, Hals +/- Vordergliedmaßen ist selten. Das kutane Lymphom stellt eine seltene Erkrankung dar, welche sich meist über mehrere Stadien (Hautrötung, Plaques, Knoten) entwickelt und klinisch nicht von anderen Dermatopathien unterschieden werden kann. Erst im Endstadium kommt es zu einer systemischen Erkrankung mit Lymphadenopathie, Beteiligung anderer Organe und des Knochenmarks. Es ist jedoch anzumerken, dass viele Patienten einen starken Juckreiz entwickeln und damit ggf. im Notdienst vorstellig werden (9). Beim Lymphom sind diverse paraneoplastische Syndrome beschrieben. Insbesondere bei T-Zell- Lymphomen kann häufig eine paraneoplastische Hyperkalzämie beobachtet werden, welche zu Polyurie/ Polydipsie, Anorexie und Lethargie führen kann. Ursächlich ist hierfür eine Produktion von Parathormon-related protein (PTHrp), sowie anderer humoraler Faktoren (IL1, TNF-alpha, TGF-beta, Vitamin D-Analoga) durch die Tumorzellen (8). Eine paraneoplastische monoklonale Gammopathie tritt hingegen eher selten bei B-Zell- Lymphomen auf (10). Bei einer hgrd. Hypergammaglobulinämie kann es zu einem Hyperviskositätssyndrom kommen, was sich in Form von neurologischen Störungen (bspw. Krampfgeschehen), Herzproblemen, Augenveränderungen wie Netzhautblutungen und einer Blutungsneigung als Folge einer Thrombozytopathie äußern kann. Andere Laborwertveränderungen sind beim Lymphom ebenfalls häufig: Eine ggrd-mgrd Anämie tritt meist als Anämie der chronischen Erkrankung auf. Eine Thrombopenie kann Folge einer immunmediierten Zerstörung oder einer Sequestration in der Milz sein. Im Falle einer Knochenmarksbeteiligung kann im peripheren Blut eine neoplastische Lymphozytose beobachtet werden. Zudem kann es zu myelophthise-bedingten (Pan-)Zytopenien kommen. Insbesondere eine Thrombozytopenie kann hinweisend für eine Knochenmarksbeteiligung sein (11). Die Therapie der Wahl beim Lymphom stellt meist die (Poly-)Chemotherapie dar. Hiermit kann in der Regel ein schnelles und gutes Ansprechen erreicht werden (1, 2). Paraneoplastische Syndrome sollten bei gutem Ansprechen der primären Tumor-Erkrankung meist schnell rückläufig sein. Im Falle einer Lymphom-bedingten ausgeprägten Myelophthise und damit verbundenen Neutropenie muss je nach Ausprägung eine zusätzliche Gabe eines Antibiotikums mit den Besitzern diskutiert werden und die Chemotherapie-Dosis ggf. angepasst werden. Im Falle einer klinischen Anämie kann eine Bluttransfusion vor Beginn der Chemotherapie notwendig sein. Das Lymphom der Katze Im Gegensatz zum Hund haben Katzen deutlich häufiger intestinale oder extranodale Lymphome und werden seltener aufgrund einer peripheren Lymphadenopathie im Notdienst vorgestellt (12). Per se stellt das Lymphom den häufigsten felinen Darmtumor dar (13). Entscheidend ist, dass Katzen weitaus seltener mit einem intestinalen high-grade oder LGL-Lymphom, als mit einem indolenten, kleinzelligen Darmlymphom und einer chronischen (langsam progressiven) Erkrankung vorgestellt werden (14). Nachdem bei beiden Typen unspezifische gastrointestinale Symptome beobachtet werden können, ist es essentiell einen ausführlichen Vorbericht aufzunehmen und die ultrasonografischen Veränderungen korrekt zu deuten, sowie adäquate Diagnostik einzuleiten. Die Therapie (orale Chemotherapie mit Chlorambucil +/- Prednisolon vs. intravenöse Chemotherapie) und die Prognose richtet sich nach der Diagnose (15, 16). Auch bei der Katze gilt, dass das Lymphom immer eine mögliche Differentialdiagnose bei einer Vorstellung im Notdienst darstellt und verändertes Gewebe immer zytologisch/ histologisch untersucht werden sollte. 54 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Literatur 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. Schmidt, J.M. and K. Meichner, Tumoren hämatopoetischer und lymphatischer Gewebe, in Kleintieronkologie M. Kessler, Editor. 2022, Georg Thieme Verlag: Stuttgart. p. 753-834. Vail, D.M., M. Pinkerton, and K.M. Young, Hematopoetic Tumors- Section A: Canine Lymphoma and Lymphocytic Leukemias, in Withrow and MacEwan's Small Animal Clinical Oncology, D.M. Vail, D.H. Thamm, and J.M. Liptak, Editors. 2020, Elsevier. p. 688-715. Bennett, P., P. Williamson, and R. Taylor, Review of Canine Lymphoma Treated with Chemotherapy-Outcomes and Prognostic Factors. Vet Sci, 2023. 10(5). Skor, O., et al., Are B-symptoms more reliable prognostic indicators than substage in canine nodal diffuse large B-cell lymphoma. Vet Comp Oncol, 2021. 19(1): p. 201-208. Sogame, N., R. Risbon, and K.E. Burgess, Intestinal lymphoma in dogs: 84 cases (1997-2012). J Am Vet Med Assoc, 2018. 252(4): p. 440-447. Desmas, I., et al., Clinical presentation, treatment and outcome in 31 dogs with presumed primary colorectal lymphoma (2001-2013). Vet Comp Oncol, 2017. 15(2): p. 504-517. Moore, E.L., et al., Patient characteristics, prognostic factors and outcome of dogs with high-grade primary mediastinal lymphoma. Vet Comp Oncol, 2018. 16(1): p. E45-E51. Bergman, P.J., Paraneoplastic hypercalcemia. Top Companion Anim Med, 2012. 27(4): p. 156-8. Pye, C., Cutaneous T-cell epitheliotropic lymphoma. Can Vet J, 2023. 64(3): p. 281-284. MacEwen, E.G. and A.I. Hurvitz, Diagnosis and management of monoclonal gammopathies. Vet Clin North Am, 1977. 7(1): p. 119-32. Graff, E.C., et al., Hematologic findings predictive of bone marrow disease in dogs with multicentric large-cell lymphoma. Vet Clin Pathol, 2014. 43(4): p. 505-12. Vail, D.M. and M. Pinkerton, Hematopoetic Tumors- Section B: Feline Lymphoma and Lymphocytic Leukemias, in Withrow and MacEwan's Small Animal Clinical Oncology, D.M. Vail, D.H. Thamm, and J.M. Liptak, Editors. 2020, Elsevier. p. 715-730. Rissetto, K., et al., Recent trends in feline intestinal neoplasia: an epidemiologic study of 1,129 cases in the veterinary medical database from 1964 to 2004. J Am Anim Hosp Assoc, 2011. 47(1): p. 28-36. Moore, P.F., A. Rodriguez-Bertos, and P.H. Kass, Feline gastrointestinal lymphoma: mucosal architecture, immunophenotype, and molecular clonality. Vet Pathol, 2012. 49(4): p. 658-68. Barrs, V.R. and J.A. Beatty, Feline alimentary lymphoma: 2. Further diagnostics, therapy and prognosis. J Feline Med Surg, 2012. 14(3): p. 191-201. Barrs, V.R. and J.A. Beatty, Feline alimentary lymphoma: 1. Classification, risk factors, clinical signs and non-invasive diagnostics. J Feline Med Surg, 2012. 14(3): p. 182-90. Kontakt Dr. Julia Gedon; Tierklinik Hofheim j.gedon@tierklinik-hofheim.de 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 55

Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Leukämien als akuter Notfall Martin Kessler IVC Evidensia Tierklinik Hofheim GmbH, Hofheim Leukämien sind Tumorerkrankungen, die in der Regel von den hämatopoietischen Stammzellen im Knochenmark ausgehen. Meist gehen diese Erkrankungen mit einem mehr oder weniger Zahl an zirkulierenden Tumorzellen im peripheren Blut einher, allerdings kommen auch „aleukämische“ Formen vor, bei denen die Tumorzellen im Knochenmark verbleiben und keine Tumorzellen im peripheren Blut zu finden sind. Man unterscheidet die lymphatischen (= Ursprungszelle entstammt der lymphoiden Reihe) von den myeloischen (= von der granulozytären, monozytären, erythrozytären oder megakaryozytären Reihe ausgehend) Leukämien. Je nach Reifegrad der Tumorzelle werden grundsätzlich akute (=unreife, blastäre, großzellige) Leukämien von den chronischen (reifzellige, kleinzellige) Leukämien unterschieden. Chronische Leukämien stellen, wenn überhaupt nur in ihrer Endphase einen akuten Notfall dar, da sie einen sehr langsamen und oft über lange Zeit stagnativen Verlauf mit fehlender oder nur geringer klinischer Symptomatik aufweisen. Im Gegensatz dazu sind akute Leukämien durch einen fulminanten, stark progressiven und häufig mit akuten Symptomen einhergehenden Verlauf gekennzeichnet (1). Bei einer akuten lymphoblastischen oder myeloischen Leukämie (ALL, AML) kommt es zu einer rasch progressiven Infiltration des Knochenmarks (und meist des peripheren Blutes) mit unreifen, wenig differenzierten (lymphoblastischen bzw. myeloblastären) Zellen. AML und ALL sind oft zytolomorphologisch sehr ähnlich, sodass eine sichere Unterscheidung nur immunzytochemisch möglich ist. Beim Hund macht die ALL zwischen 45 % und 60 % aller lymphatischen Leukämien aus, während akute myeloischen Leukämien wahrscheinlich deutlich seltener sind. Bei der Katze ist die ALL häufiger als die chronische lymphozytäre Leukämie (CLL), allerdings gibt es seit dem Rückgang der Inzidenz der FeLV keine aktuellen Daten. Katzen mit ALL sind häufig FeLV-positiv. Die klinischen Symptome einer ALL sind bei beiden Spezies unspezifisch, am häufigsten kommt es zu Lethargie, Anorexie, Gewichtsverlust, gelegentlich Polyurie/Polydipsie und anderen Symptomen. Die Symptomatik ist fast immer akut und umfasst wenige Tage bis Wochen. Bei der klinischen Untersuchung fallen oft Splenomegalie, Hepatomegalie, Fieber, blasse Schleimhäute, respiratorische Symptome, Blutungen (Petechien, Epistaxis, intraokulare Blutungen) und gelegentlich neurologische Ausfälle auf. Bei 10-54 % der Hunde mit ALL liegt eine meist geringgradige Lymphadenopathie vor und erschwert die Differenzierung von einem Lymphom Stadium V, bei der die Lymphknotenvergrößerung zum Zeitpunkt des Auftretens klinischer Symptome in der Regel jedoch weit deutlicher ausgeprägt ist. Labordiagnostisch besteht meist eine deutliche Leukozytose, bedingt durch zirkulierende neoplastische Zellen, die einer Studie zufolge durchschnittlich 64.000 Leukozyten/μl erreichen, bei 30-50 % der Tiere finden sich mehr als 100.000 Leukozyten/μl, mitunter sogar >500.000 Leukozyten/μl. Die Anzahl der zirkulierenden Tumorzellen ist bei Hunden mit ALL oft ausgeprägter als bei der AML. Der Anteil der Hunde mit einer aleukämischen Leukämie ist gegenwärtig unklar. Bei dieser verbleiben die Tumorzellen im Knochenmark und es kommt zur ausgeprägten Poly- oder Panzytopenie bedingt durch eine Myelophthise. Die Lymphoblasten der ALL stellen sich als eher mittelgrosse, unreife Lymphozyten dar. In ca. 90 % der Fälle liegt eine mittel- bis hochgradige, nicht regenerative Anämie vor (Hämatokrit < 30 % und in 30-40 % der Hunde < 20 %). Daneben kommt es oft zur hochgradigen Thrombozytopenie (< 40.000 Thrombozyten/μl) bei 82-90 % und/oder Neutropenie bei 73-78 % der Hunde. In einer Studie hatten 68 % der Hunde mit ALL eine Bi- oder Panzytopenie. Diese sind Folge der hochgradigen Störung der Knochenmarkshomöostase, u.a. durch Infiltration und Verdrängung des normalen Knochenmarks (Myelophthise) und der Präsenz myelosuppressiver Zytokine. Häufigkeit und Schweregrad der Zytopenien sind bei Hunden mit ALL und AML vergleichbar. Die Veränderungen der Serumparameter sind unspezifisch. 56 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Die Diagnose einer akuten Leukämie wird anhand klinischer Befunde (höchstes geringgradige Lymphknotenvergrößerung), hämatologischer Veränderungen und dem Vorliegen von >20 % unreifer hämatopoietischen Blasten im Knochenmark gestellt. Zusätzlich finden sich in den meisten Fällen >20 % Blasten im peripheren Blut. Zur Abgrenzung einer ALL von einem Lymphom Stadium V sind in der Regel der klinische Verlauf, das Ausmaß der Lymphadenopathie und der neoplastischen Leukozytose sowie der Zytopenien hilfreich. Zur weiteren Diagnostik wird bei zirkulierenden Tumorzellen eine Durchflusszytometrie einer EDTA Blutprobe angeraten. Bei Verdacht auf eine aleukämische Leukämie bietet sich die weitere Differenzierung mittels Durchflusszytometrie eines Knochenmarksaspirates an. Per definitionem ist die ALL in der Durchflusszytometrie in vielen Fällen positiv für den Stammzellmarker CD34, was in fraglichen Fällen zur Unterscheidung zwischen einer ALL und einer CLL herangezogen werden kann. Die Abgrenzung der ALL von einer akuten myeloischen Leukämie (AML) ist nur durch Immunophänotypisierung möglich. Ohne Behandlung oder nur mit Kortikosteroiden verschlechtern sich die Patienten rapide und versterben innerhalb von wenigen Tagen bis Wochen. Bei der ALL sind die Erfolge einer Chemotherapie gering und selbst bei Ansprechen meist kurzlebig. Eine Studie (keine Differenzierung zwischen ALL und AML) berichtet bei Hunden mit einer CHOP-Chemotherapie von einer Remissionsrate (komplett oder partiell) von 85% und einer medianen Überlebenszeit von 55 Tagen, nur zwei Hunde lebten länger als 6 Monate, keiner überlebte länger als ein Jahr (2). In anderen Studien lag die Überlebenszeit mit Polychemotherapie zwischen 40 und 62 Tagen (3,4). Hunde ohne Anämie und Neutropenie bei Diagnosestellung hatten in einer Untersuchung eine längere Überlebenszeit (median 60 Tage) als solche mit Anämie und Neutropenie (median 9 bzw. 7 Tage) (4). Der Referent empfiehlt daher einen Behandlungsversuch nur bei Patienten ohne ausgeprägte Poly- oder Panzytopenie. Vor allem eine ausgeprägte Neutropenie machen die Aussichten auf eine erfolgreiche Therapie gering. Informationen zur Behandlung der ALL bei der Katze liegen nur in begrenztem Umfang vor. In einer Studie wurden 15 Katzen mit Vincristin (0,75 mg/m2 i. v. wöchentlich für 4 Wochen, dann im Abstand von 3 Wochen) und Prednisolon (2 mg/kg p. o. tgl.) behandelt. Katzen ohne ausgeprägte Neutropenie erhielten zusätzlich Cyclophosphamid (300 mg/m2 p. o. alle 3 Wochen). Eine komplette Remission wurde bei 27 % der Katzen erreicht, die mediane Remissionszeit lag bei 7 Monaten (5) Literatur 1. Schmidt JM, Meichner K. Tumoren hämatopoetischer und lymphatischer Gewebe. In: Kessler M (Hrsg.) Kleintieronkologie, Thieme 21022, 789-801. 2. Bennett AL, Williams LE, Ferguson MW, et al.: Canine acute leukaemia: 50 cases (1989-2014). Vet Comp Oncol. 2017; 15: 1101–1114 3. Morris JS, Dunn LK, Dobson JM: Canine lymphoid leukemia and lymphoma with bone marrow involvement: a review of 24 cases. J Small Anim Pract. 1993; 34: 72–79 4. Novacco M, Comazzi S, Marconato L, et al.: Prognostic factors in canine acute leukaemias: a retrospective study. Vet Comp Oncol. 2016; 14: 409–416. 5. Cotter SM: Treatment of lymphoma and leukemia with cyclophosphamide, vincristine, and prednisone: II treatment of cats. J Am Anim Hosp Assoc. 1983; 19: 166–172 Kontakt Dr. Martin Kessler; Tierklinik Hofheim, Hofheim am Taunus 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 57

Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Wenn die Therapie zum Notfall führt und wie ich reagieren kann Katja Kalenyak Klinik für Kleintiere, Veterinärmedizinische Fakultät, Universität Leipzig Einleitung Tumorerkrankungen stellen insbesondere bei unseren älteren Patienten die häufigste tödlich verlaufende Erkrankung dar (1). Somit ist man in jeder Tierarztpraxis regelmäßig mit onkologischen Patienten und auch onkologischen Notfällen konfrontiert. Ein onkologischer Notfall ist definiert als akuter Zustand, der durch eine Tumorerkrankung selbst oder deren Behandlung hervorgerufen wird und einer schnellen Intervention bedarf, um Tod oder schwerwiegende dauerhafte Schäden zu vermeiden (2). Alle durch die onkologische Therapie bedingten möglichen Nebenwirkungen / Komplikationen, deren Definitionen und Ausprägungsgrade wurden von der Veterinary Cooperative Oncology Group in bereits mehrfach überarbeiteten Richtlinien zusammengefasst (3). In diesem Vortrag sollen insbesondere die Komplikationen, die im Rahmen einer Chemotherapie auftreten können, näher erläutert werden. Chemotherapie induzierte Neutropenie / Sepsis Bei kontrolliertem und umsichtigem Einsatz stellt die systemische Chemotherapie eine relativ sichere Behandlungsmethode dar mit Nebenwirkungen bei < 25 % der Patienten (4). Aufgrund ihrer relativ kurzen Halbwertszeit (ca. 4-8 Stunden) sind die neutrophilen Granulozyten durch die myelosuppressive Eigenschaft von Zytostatika am stärksten beeinflusst, sodass der Einsatz von Chemotherapeutika häufig mit der Entstehung einer Neutropenie assoziiert ist (5). Die meisten Patienten mit Chemotherapie-induzierter Neutropenie zeigen dabei keine klinischen Symptome. Eine Neutropenie kann allerdings auch mit Fieber und klinischen Symptomen einer Infektion oder Sepsis einhergehen (5,6). Auch wenn das klinische Bild bei diesen Patienten sehr variabel sein kann, zeigen Patienten häufig vorberichtlich Lethargie, Schwäche und Inappetenz (5). Sorenmo et al. identifizierten ein niedriges Körpergewicht, das Vorliegen eines Lymphoms und den Einsatz von Doxorubicin oder Vincristin als Risikofaktoren für eine Neutropenie (7). Wenn Chemotherapie-Patienten schlechtes Allgemeinbefinden und Fieber zeigen, sollte – insbesondere zum Zeitpunkt des Nadirs der Medikamente – immer eine Blutbildkontrolle durchgeführt werden (5). Auch wenn die Inzidenz einer Chemotherapie-induzierten Sepsis in der Tiermedizin relativ gering ist (7), stellt eine Sepsis eine schwerwiegende und lebensbedrohliche Komplikation dar, die unbedingt erkannt und zügig behandelt werden muss. Ein Leitfaden für das Vorgehen bei Patienten mit Neutropenie unter Zytostatika ist in Abbildung 1 skizziert. Im Falle einer Chemotherapie-induzierten Sepsis sollten die Patienten stationär aufgenommen und intensivmedizinisch überwacht werden. Für eine Optimierung der weiteren Therapie ist – vorausgesetzt der Patient ist stabil genug – eine Abklärung zur Identifikation der Infektionsursache (z.B. Sonographie Abdomen, Röntgen Thorax, bakteriologische Harnuntersuchung, Blutkultur) anzuraten (5). Die wichtigsten Therapieansätze sind intravenöse Infusion (angepasst an den Volumen-, Hydratations- und Elektrolytstatus des Patienten) und der empirische Einsatz von Breitbandantibiotika (z.B. Kombination aus ß- Lactam-Antibiotika und Fluorchinolonen). Die weitere Therapie richtet sich nach den klinischen Symptomen und ggf. aufgetretenen Komplikationen (z.B. akutes Nierenversagen). Im Falle einer schwerwiegenden protrahierten Neutropenie, die nicht auf konventionelle Therapie anspricht, kann der Einsatz eines rekombinanten Granulozyten-Kolonie-stimulierenden Faktors (G-CSF) in Erwägung gezogen werden (5,8). Die durch Zytostatika bedingte Myelosuppression stellt mit ihren Komplikationen die wichtigste dosislimitierende Toxizität dar (5), sodass eine Kontrolle des Blutbildes vor jeder Applikation eines Chemotherapeutikums auch bei klinisch unauffälligen Patienten unerlässlich ist. Die nächste Chemotherapie darf erst nach Abklingen der neutropenischen Phase (> 3000/µl neutrophile Granulozyten, neuere Empfehlung: bei klinisch unauffälligen Hunden > 1500/µl neutrophile Granulozyten) verabreicht werden (9,10). Zusätzlich 58 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ sollte die Dosis eines Medikamentes, das eine schwerwiegende Neutropenie hervorgerufen hat, in den zukünftigen Applikationen reduziert werden. Abb.1: Leitfaden für das Vorgehen bei Patienten mit Neutropenie unter Zytostatika (modifiziert nach Tumielewicz et al. und Pfeiffer). SIRS = systemic inflammatory response syndrome, HF = Herzfrequenz, AF = Atemfrequenz, G-CSF= Granulozyten-Kolonie-stimulierender Faktor. Thrombozytopenie Chemotherapie-induzierte Thrombozytopenien treten nur sehr selten auf. Dennoch sollte berücksichtig werden, dass manche Zytostatika (z.B. Lomustin, Carboplatin, Melphalan) zu einer schwerwiegenden, unter Umständen auch irreversiblen Thrombozytopenie (insbesondere Lomustin) führen können (9). Patienten mit einer hochgradigen Thrombozytopenie sollten „wie ein rohes Ei“ behandelt und jegliche Verletzungsgefahr vermieden werden. Zusätzlich sollte bei Patienten mit einer Thrombozytopenie von 75000 - 100000/µl die Chemotherapie verschoben und bei hochgradiger Thrombozytopenie die Medikamentendosis reduziert werden (9). Extravasation Viele Zytostatika können bei Extravasation eine schwerwiegende Gewebereizung bis hin zur Gewebsnekrose hervorrufen. Zu diesen Zytostatika zählen z.B. Doxorubicin, Epirubicin, Vincristin, Vinblastin, Dactinomycin, Mitoxantron oder Carboplatin (5,11-13). Gewebeschäden treten je nach Medikament in der Regel zwischen 1-10 Tage nach Applikation und Extravasation auf (5). Patienten können dann Schmerzen in der Gliedmaße, Schwellung, Erythem, Ödem oder Nekrose entwickeln (5,9). Um Extravasation zu vermeiden sollte vor jeder intravenösen Chemotherapie ein frischer Venenkatheter an einer möglichst unversehrten Vene gelegt werden, wobei der Venenkatheter mit dem ersten Stich sitzen muss. Zusätzlich sollte vor Applikation des Zytostatikums eine standardisierte Kontrolle des Sitzes des Venenkatheters durchgeführt werden (u.a. Lässt sich Katheter leicht spülen? Entsteht Schwellung beim Spülen? Ist ein Blut-Flashback vorhanden?) (12,13). Im Falle einer Extravasation sollte der Venenkatheter nicht direkt gezogen, sondern versucht werden, möglichst viel Flüssigkeit über den Venenkatheter zu aspirieren (9,11-13). Die weiteren Maßnahmen hängen von dem applizierten Medikament ab. Bei Vinca-Alkaloiden sind z.B. Wärmekompressen und gegebenenfalls eine lokale Injektion von Hyaluronsäure empfohlen, während bei Doxorubicin der Einsatz von Kältekompressen und die intravenöse Applikation von Dexrazoxan angeraten wird (11-13). Die betroffene Gliedmaße wird dann 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 59

Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ entweder konservativ mit regelmäßigen Wundbehandlungen und Verbandswechsel oder bei schwerwiegenden Gewebsschäden chirurgisch behandelt (9). Tumorlyse-Syndrom Das Tumorlyse-Syndrom ist eine seltene, aber lebensbedrohliche Stoffwechselentgleisung. Es entsteht, wenn entweder spontan oder durch die Therapie (Chemo- oder Strahlentherapie) eine sehr rasche Zerstörung von Tumorzellen eintritt und dadurch deren Zellinhalt (Nukleinsäure, Elektrolyte wie Kalium und Phosphor) ins Blut freigesetzt wird (5,14). Man unterscheidet das labortechnische Tumorlyse-Syndrom (mindestens 2 der folgenden Laborbefunde: Hyperurikämie, Hyperkaliämie, Hyperphosphatämie, Hypokalzämie) und das klinische Tumorlyse-Syndrom. Letzteres geht zusätzlich noch mit einer erhöhten Kreatininkonzentration, Krampfanfällen, Herzrhythmusstörungen und / oder Tod einher (5,15). Hyperurikämie führt unter anderem durch eine Vasokonstriktion in der Niere und die Bildung von Kristallen in den Nierentubuli zu einer Schädigung der Nieren (5, 14). Auch in den wenigen Fallberichten der Veterinärmedizin wurde ein akutes Nierenversagen bei diesen Patienten beobachtet (5,14,16). Die Therapie eines Tumorlyse-Syndroms besteht aus einer symptomatischen Intensivtherapie mit intravenöser Infusionstherapie (angepasst an den Hydratations- und Volumenstatus des Patienten) mit sehr engmaschiger Kontrolle der Vitalparameter, Korrektur der Elektrolytverschiebungen und der Therapie eines akuten Nierenversagens (5,14). Prinzipiell ist eine Vollelektrolytlösung als Infusionslösung geeignet; abhängig von den vorliegenden Elektrolytverschiebungen und deren Schweregrad muss die Infusionslösung gegebenenfalls angepasst werden. Detailliertere Empfehlungen für die Korrektur einzelner Elektrolytkonzentrationen findet man in dem Übersichtsartikel von Tumielewicz et al. (5). In Hinblick auf das akute Nierenversagen ist zusätzlich zur Flüssigkeitstherapie das Monitoring der Harnproduktion, z.B. über einen Harnkatheter, unerlässlich, um die Infusionsrate an die Harnproduktion anzupassen und eine Volumenüberladung zu vermeiden. Nach erfolgter Rehydratation ist bei oligo- oder anurischen Patienten eine (Überweisung zur) Hämodialyse oder der Einsatz von Diuretika (z.B. Furosemid, Mannitol) indiziert (5). Weitere Therapie sollte je nach klinischen Symptomen auch Antiemese (z.B. Maropitant, Ondansetron, Metoclopramid), Gastroprotektion (z.B. Pantoprazol, Sucralfat), Leberschutz und Analgesie (z.B. Buprenorphin, Fentanyl, Butorphanol) umfassen. Trotz einzelner Fallberichte mit positivem Ausgang ist die Prognose bei einem Tumorlyse-Syndrom in der Veterinärmedizin als schlecht einzustufen (5,14). Weitere Komplikationen Einige übliche Zytostatika (z.B. Doxorubicin, L-Asparaginase) können zu anaphylaktischen Reaktionen führen (3,5). Diese präsentieren sich klinisch von Schwellung des Gesichts, Pruritus, Erythem, Urtikaria, Vomitus und Dyspnoe (insbesondere bei Katzen (17)) bis hin zu Kreislaufkollaps (5, 9,17). Bei Auftreten einer allergischen Reaktion sollte die Applikation sofort gestoppt werden und der Patient Antihistaminika, Glukokortikoide, intravenöse Infusion und ggf. bei akuter Anaphylaxie Adrenalin erhalten (5,17). Das auslösende Medikament sollte dem Patienten zukünftig nicht mehr verabreicht werden (5). Als Prophylaxe ist eine Prämedikation mit Diphenhydramin oder Glukokortikoiden (z.B. Dexamethason) vor der Applikation von potenziell allergisch wirkenden Medikamenten zu empfehlen (5,9). Sowohl durch eine zentral vermittelte Übelkeit durch die Zytostatika als auch durch einen direkten toxischen Effekt auf die Zellen des Magendarmtrakts können gastrointestinale Nebenwirkungen wie Vomitus und Diarrhoe auftreten. In der Regel treten Nebenwirkungen aufgrund des direkten toxischen Effekts 2-5 Tage nach der Chemotherapie auf (5). Meist handelt es sich bei gastrointestinalen Nebenwirkungen um milde, selbstlimitierende Symptome, wobei der Patient bei Bedarf unterstützend ein orales Antiemetikum (z.B. Maropitant, Ondansetron) und Magendarmschonkost erhalten kann. Im Falle schwerwiegender gastrointestinaler Nebenwirkungen ist eine stationäre Überwachung mit intravenöser Flüssigkeitstherapie, multimodaler Antiemese und gegebenenfalls erweiterter Therapie (z.B. Analgesie [z.B. Buprenorphin, Butorphanol]) anzuraten (5). 60 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Insbesondere Lomustin weist eine potenzielle Hepatotoxizität auf, welche in schwerwiegenden Fällen sogar zum Leberversagen führen kann (18,19). Daher wird die parallele Gabe von S-Adenosylmethionin als Prophylaxe empfohlen (20). Im Falle eines signifikanten Anstiegs der Leberenzymaktivitäten (> 5-facher Referenzbereich) sollte Lomustin abgesetzt werden (9). Eine hyperammonämische Enzephalopathie ist nach Applikation verschiedener Zytostatika (z.B. L- Asparaginase, Cytarabin, Vincristin, Cyclophosphamid, 5-Fluorouracil) in der Humanmedizin beschrieben (21). Auch in der Tiermedizin wird eine Hyperammonämie nach L-Asparaginase beobachtet (22,23). Die klinischen Symptome variieren von asymptomatisch über Vomitus, Diarrhoe bis hin zu schwerwiegenden neurologischen Symptomen (z.B. Hirnödem, hoher intrakranieller Druck, Koma) und letztlich Exitus letalis (22,23). Daher ist eine Bestimmung der Ammoniakkonzentration bei Patienten mit unerwarteten neurologischen Symptomen unter Chemotherapie anzuraten (22). Auch wenn nur selten, können doch lebensbedrohliche Komplikationen bei einer Hyperammonämie auftreten und der Praktiker sollte sich dieser Nebenwirkung bewusst sein. Literatur: 1. Fleming JM, Creevy KE, Promislow DEL. Mortality in North American Dogs from 1984 to 2004: An Investigation into Age-, Size-, and Breed-Related Causes of Death. J Vet Intern Med. 2011; 25:187–198. 2. Cervantes A, Chirivella I. Oncological emergencies. Ann Oncol. 2004;15 Suppl 4:iv299-306. 3. LeBlanc AK, Atherton M, Bentley RT, Boudreau CE, Burton JH, Curran KM, Dow S, Giuffrida MA, Kellihan HB, Mason NJ, Oblak M, Selmic LE, Selting KA, Singh A, Tjostheim S, Vail DM, Weishaar KM, Berger EP, Rossmeisl JH, Mazcko C. Veterinary Cooperative Oncology Group-Common Terminology Criteria for Adverse Events (VCOG-CTCAE v2) following investigational therapy in dogs and cats. 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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ 22. Lyles SE, Kow K, Milner RJ, Buckley GJ, Bandt C, Baxter KJ. Acute hyperammonemia after L-asparaginase administration in a dog. J Vet Emerg Crit Care. 2011; 21(6):673-8. 23. Speas AL, Lyles SE, Wirth KA, Fahey CE, Kow K, Lejeune AT, Milner RJ. Plasma ammonia concentration after L- asparaginase therapy in 27 dogs with high-grade lymphoma or leukemia. J Vet Emerg Crit Care. 2018; 28(2):130-139. Kontakt Dr. Katja Kalenyak; Klinik für Kleintiere, Veterinärmedizinische Fakultät, Universität Leipzig katja.kalenyak@kleintierklinik.uni-leipzig.de 62 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Das Conn-Syndrom: wenig bekannt und unterschätzt! Florian K. Zeugswetter VetMedUni Vienna, Österreich Das Conn Syndrom Das Conn-Syndrom (Syn. Primärer Aldosteronismus oder Low-Renin Hyperaldosteronismus) wurde zuerst beim Menschen beschrieben und nach seinem Erstbeschreiber, dem amerikanischen Endokrinologen Jerome W. Conn (1907 – 1994) benannt (1). Die Ursache sind hormonell aktive Nebennierenrindentumore, die benigne oder maligne, uni- oder bilateral und mikro- oder makronodulär auftreten können. Bei der Katze zählen sie zu den häufigsten Nebennierentumoren und der erste Fall wurde 1983 veröffentlicht (2,3,4). Da Nebennierenrindentumore bei der Katze jedoch insgesamt selten sind - in einer Studie mit 3145 Nekropsien wurden nur 2 Nebennierentumore identifiziert (5) - beschränkt sich die Fachliteratur auf weniger als 100 publizierte Fälle. Wie bei vielen tumorösen Erkrankungen tritt das Conn-Syndrom vor allem bei alten bzw. geriatrischen Patienten auf. Prädisponierende Faktoren, beziehungsweise Rasse- oder Geschlechtsprädispositionen sind nicht bekannt. Klinische Zeichen Klinische Zeichen entstehen durch eine exzessive autonome Mineralokortikoidsekretion der Zona glomerulosa (v.a. Aldosteron; in seltenen Fällen Deoxycorticosteron ohne Aldosteronerhöhung). Nicht selten produzieren die Tumore auch Glukokortikoide oder Gestagene, wodurch sowohl Zeichen des Conn-Syndroms als auch des Cushing Syndroms (Fragiles Haut Syndrom, Kippohren, Muskelatrophie, großer Bauch, sekundärer Diabetes mellitus) vorliegen können (6). Da Mineralokortikoide die Natriumrückresorbtion sowie die Kalium- und Wasserstoffionenausscheidung in der Niere fördern, führt eine nicht regulierte Ausschüttung zur Hypernaträmie, Hypokaliämie und Alkalose. Hypernaträmie Da Natrium Wasser bindet, steigt das Blutvolumen und folglich der Blutdruck. Unbehandelt führt dies zu (hypertensive Retinopathie), Endorganschäden mit Manifestation an einem oder beiden Augen linksventrikulären und Encephalopathien. Erblinden, Herzversagen, Polyurie, Polydipsie sowie neurologische Ausfälle zählen zu den zu erwartenden Zeichen des Conn-Syndroms (2,3,4). Hypokaliämie Rhythmusstörungen), Nephropathien Hypertrophien (Herzgeräusche, Kalium ist das wichtigste intrazelluläre Kation und nur ein kleiner Prozentsatz befindet sich extrazellulär. Die Homöostase und Aufrechterhaltung des Gleichgewichts werden durch Hormone wie Insulin, Adrenalin, Thyroxin, und Aldosteron gewährleistet (8). Die Regulation erfolgt primär über die Aktivierung einer Hormon- sensitiven Natrium-Kalium-ATPase, die gegen drei Na-Ionen zwei K-Ionen in die Zelle pumpt. Steigt nach einer Mahlzeit (Kalium im Futter) die extrazelluläre Kaliumkonzentration, so führt Insulin zu einer Verlagerung des Kaliums nach intrazellulär und die extrazelluläre Kaliumkonzentration bleibt konstant. Ähnliches passiert bei Sport und der damit einhergehenden Azidose. Das aus den Zellen im Austausch gegen H+ Ionen austretende Kalium wird in diesem Fall über Katecholamine erneut nach intrazellulär transportiert. Reichen die schnellen Mechanismen zur Behebung der ansteigenden Kaliumkonzentration nicht aus, so bewirkt Aldosteron eine aktive Exkretion von Kalium im distalen Tubulussystem der Niere. Zusammengefasst senken also Insulin, Katecholamine, Thyroxin und Aldosteron die Kaliumkonzentration im Blut. Dementsprechend führt ein Exzess dieser Hormone zur Hypokaliämie, ein Laborbefund, der folglich beim Insulinom, Phäochromozytom, der Hyperthyreose und dem Conn-Syndrom beobachtet werden kann. Ein Kaliummangel führt zur Hyperpolarisation der Zellmembran (das Zellinnere ist negativer geladen), wodurch Spannungsabhängige Ionenkanäle geschlossen werden. Da das Öffnen der spannungsabhängigen 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 63

Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Natriumkanäle ein wesentlicher Bestandteil der Aktionspotentiale von Neuronen ist und das Öffnen von spannungsabhängigen Kalziumkanälen Muskelkontraktionen auslöst, führt die Hypokaliämie zu Schwäche und reduzierten Reflexen (9). Klassische Zeichen der Hypokaliämie wie Schwanenhals, palmi- oder plantigrade Fußung, oder schlaffe Tetraparese sind bei Werten <2,5 mmol/l zu erwarten (hypokaliämische Polymyopathie). Eine strenge Korrelation zwischen gemessenen Werten und klinischen Zeichen gibt es nicht. In der Regel ist die Creatinkinase erhöht. Bei Werten <2 mmol/l ist eine Rhabdomyolyse mit Myoglobinurie möglich. Da hier Muskelzellen zerfallen wird Kalium frei und die Kaliumkonzentration steigt wieder an. Dies kann die Diagnose erschweren. Chronische Hypokaliämien führen zur Vasokonstriktion in der Niere mit Minderdurchblutung (hypokaliämischen Nephropathie) und zu einer verminderten Expression von Aquaporin 2- Wasserkanälen. Die Folge ist ein nephrogener Diabetes insipidus mit Polydipsie und Polyurie. Diagnose Conn-Syndrom Bei jeder hypertensiven, planti-oder palmigraden, bzw. schwachen Katze sollte die Differentialdiagnose Conn-Syndrom gestellt werden. Der wichtigste diagnostische Parameter ist Kalium. Da Natrium Wasser bindet (Verdünnung) und über das Natriuretische Peptid ausgeschieden werden kann, ist die Natriummessung wenig sensitiv. In einer aktuellen Studie war Natrium nur bei jeder dritten Katze erhöht (10). Ist eine pH-Wert- Bestimmung möglich, so ist eine metabolische Alkalose zu erwarten. Der erste diagnostische Schritt bei einer verdächtigen Katze ist die bildgebende Diagnostik (11,12). Die meisten Katzen mit Conn-Syndrom haben eine >1 cm breite Nebenniere, bzw. eine unilaterale runde Zubildung und die Untersuchung ist einfach. Nur selten, v.a. bei der mikronodulären Hyperplasie, sind beide Nebennieren symmetrisch vergrößert. Bestätigt werden könnte der primäre Hyperaldosteronismus theoretisch durch die Bestimmung der Aldosteronkonzentration in Kombination mit der Renin Aktivität. Da ein hohes Aldosteron aber bei jeder Dehydrierung auftritt („high-renin“ Hyperaldosteronismus) und die Renin-Aktivität derzeit nicht verlässlich bestimmt werden kann, wurde der orale Fludrokortison Suppressionstest und der orale Telmisartantest als dynamische Tests untersucht (13,14). Leider wurde im Fludrokortison Suppressionstest Aldosteron bei vier von neun Katzen mit Conn-Syndrom unterdrückt und der Test war somit wenig sensitiv (13). Da bei diesem Test über 4 Tage hindurch zweimal tgl. Fludrokortison oral verabreicht werden musste, wurden große Erwartungen in den Telmisartantest gesteckt (14). Bei diesem Test wurden 2mg/kg Telmisartan oral verabreicht und 1 und 1,5h später Blutdruck, Aldosteron und Kalium gemessen. Die Hypothese war, dass Temisartan (ein Angiotensin-1 Rezeptorantagonist) die Aldosteronsekretion nur beim „high-renin“ Hyperaldosteronismus hemmt. Es bestand enttäuschender Weise kein Unterschied zwischen Katzen mit Conn- Syndrom und anderen Erkrankungen. sekundären Die derzeitige Diagnose basiert also nach wie vor auf den entsprechenden klinischen Zeichen, der Hypertension, der Hypokaliämie, der Alkalose, der Aldosteronmessung und der bildgebenden Diagnostik. In allen bisherigen Studien war die Aldosteronkonzentration bei Katzen mit Conn-Syndrom im Schnitt deutlich höher als bei den Kontrolltieren. Mit der Höhe der Aldosterokonzentration steigt somit die Wahrscheinlichkeit, dass tatsächlich ein Conn-Syndrom vorliegt. Therapie der Hypokaliämie Der Goldstandard der Therapie ist die operative Entfernung des Nebennierentumors. In einer aktuellen Studie mit 29 adrenalektomierten Katzen konnten alle bis auf eine in häusliche Pflege übergeben werden und die mittlere Lebensdauer war 1082 Tage (10). Vor der Operation sollte in jedem Fall ein Lungenröntgen durchgeführt werden. Ist eine Operation nicht erwünscht bzw. möglich oder als präoperative Maßnahme sollte der Aldosteronantagonist Spironolakton mit 2 mg/kg/Tag verabreicht werden. Höhere Dosierungen (über 4mg/kg) werden schlechter vertragen und können Inappetenz, Erbrechen und Durchfall auslösen. Die Maximalwirkung wird nach mehreren Tagen erreicht. Da Spironolakton auch an Androgen-, Östrogen- und Progesteronrezeptoren bindet, sind eine Vermännlichung und Gynäkomastie möglich. Vor allem bei der Rasse Main Coon kann eine faziale Dermatitis auftreten. Kombiniert wird diese Therapie in der Regel mit oralen 64 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Kaliumgaben, wobei bis 2-6 mmol/kg BID laut Literatur problemlos vertragen werden. In einigen Fällen ist eine zusätzliche antihypertensive Therapie mit Amlodipin (0,625-1,25 mg/Katze SID) notwendig. Literatur 1. Conn JW, Cohen EL, Rovner DR. Suppression of plasma renin activity in primary aldosteronism: distinguishing primary from secondary aldosteronism in hypertensive disease. JAMA. 1985;253(4):558–566. 2. Eger CE, Robinson WF, Huxtable CRR. Primary aldosteronism (Conn's syndrome) in a cat: A case report and review of comparative aspects. J Small Anim Pract 1983; 24: 293–307. 3. Ash RA, Harvey AM, Tasker S. Primary hyperaldosteronism in the cat: A series of 13 cases. J Feline Med Surg 2005; 7: 173–182. 4. Daniel G, Mahony OM, Markovich JE et al. Clinical findings, diagnostics and outcome in 33 cats with adrenal neoplasia (2002-2013). J Feline Med Surg 2016; 18: 77-84. 5. Patnaik AK, Lin SK, Hurwitz AI, et al. Nonhematopoetic neoplasms in cats. J Nat Cancer Inst 1975;54:855-860. 6. Langlois DK, Mazaki-Tovi M, Harro CC, Refsal KR. Multiple corticosteroid abnormalities in cats with hyperaldosteronism. J Vet Intern Med. 2021;35(5):2152-2158. 7. Harro CC, Refsal KR, Shaw N, et al. Retrospective study of aldosterone and progesterone secreting adrenal tumors in 8. 10 cats. J Vet Intern Med. 2021;35(5):2159-2166. Zacchia M, Abategiovanni ML, Stratigis S, et al. Potassium: From Physiology to Clinical Implications. Kidney Dis (Basel). 2016 Jun;2(2):72-9. doi: 10.1159/000446268. 9. Kim DM, Nimigean CM. Voltage-gated potassium channels: a structural examination of selectivity and gating. Cold Spring Harb Perspect Biol. 2016 May 2;8(5):a029231. 10. Del Magno S, Foglia A, Rossanese M, et al. Surgical findings and outcomes after unilateral adrenalectomy for primary hyperaldosteronism in cats: a multi-institutional retrospective study. J Feline Med Surg. 2023;25(1):1098612X221135124. doi:10.1177/1098612X221135124 11. Griffin S. Feline abdominal ultrasonography: what's normal? what's abnormal? The adrenal glands. J Feline Med Surg. 2021 Jan;23(1):33-49. doi: 10.1177/1098612X20979509. PMID: 33403910. 12. Moore LE, Biller DS, Smith TA. Use of abdominal ultrasonography in the diagnosis of primary hyperaldosteronism in a cat. J Am Vet Med Assoc 2000; 217: 213–215. 13. Djajadiningrat- Laanen SC., Galac S et al. Evaluation of the oral fludrocortisone suppression test for diagnosing primary hyperaldosteronism in cats. J Vet Intern Med 2013; 27: 1493–1499. 14. Kurtz M, Fabrès V, Dumont R, et al. Prospective evaluation of a telmisartan suppression test as a diagnostic tool for primary hyperaldosteronism in cats. J Vet Intern Med. 2023;37(4):1348-1357. Kontakt PD Dr. Florian K. Zeugswetter, VetMedUni Vienna, Österreich florian.zeugswetter@vetmeduni.ac.at 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 65

Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Tumore der unteren Harnwege – irgendwann ist es ein Notfall Jana Weinekötter Klinik für Kleintiere, Universität Leipzig Blasentumoren bei Hund und Katze Der häufigste Blasentumor beim Hund stellt mit 2 % aller malignen Tumorerkrankungen das urotheliale Karzinom dar, weitere Tumorerkrankungen sind nahezu vernachlässigbar, sollten aber dennoch differentialdiagnostisch bedacht werden (1, 2). Die Symptome eines urothelialen Karzinoms sind in der Regel sehr unspezifisch (v.a. Hämaturie, Stragurie, Pollakisurie) und können über einen langen Zeitraum mit einem bakteriellen Harnwegsinfektion verwechselt werden bzw. sind sie häufig Ausdruck einer sekundären bakteriellen Harnwegsinfektion, die bei urothelialen Karzinomen regelmäßig auftreten (3). Im fortgeschrittenen Stadium kann es zu einer vollständigen Obstruktion der Urethra oder auch der Ureteren kommen, was dann eine Notfallbehandlung nötig macht, um den Harnabfluss weiter zu gewährleisten. Typischerweise kommt diese Tumorerkrankung bei älteren (>10 Jahre) weiblichen Hunden mittlerer Größe (10-15 kg) vor, gehäuft bei kastrierten Hündinnen. Die am häufigsten betroffene Rasse ist der Scottish Terrier, es gibt jedoch auch weitere Risikorassen wie Shetland Sheepdogs, West Highland White Terrier, Beagle, Collies, Airdale Terrier, Foxterrier und mehr, bei denen die Rasseprädisposition jedoch häufig fehlt (4). Anders als bei Menschen, der eher gut behandelbare oberflächliche urotheliale Karzinome ausbildet, sind Hunde von nur schwierig behandelbaren muskelinvasiven Tumorvarianten betroffen (1). Die Goldstandarddiagnostik stellt weiterhin die Biopsie im Rahmen einer Zystoskopie dar. Ein neuer Marker im Urin (BRAF-Mutation) kann zwar mit hoher Spezifität einen solchen Tumor identifizeren, da ein negativer Test ein urotheliales Karzinom nicht ausschließt, eignet er sich jedoch nicht als verlässlicher Screeningtest (5). Eine ultraschallgestützte Beprobung (Feinnadelaspiration, Biopsie) sollte unter allen Umständen vermieden werden, da es sonst zu einer Tumorzellstreuung entlang des Stichkanals in die Bauchhöhle kommen kann, was ebenso bei einer chirurgischen Beprobung mit Eröffnung der Harnblase auftreten kann (sog. seeding effect) und daher nach Möglichkeit ebenfalls umgangen werden sollte (6, 7). Da die primäre Lokalisation in der Regel das Trigonum vesicae betrifft, ist eine chirurgische Entfernung meist nicht möglich. Eine Goldstandardtherapie konnte leider bisher nicht etabliert werden, eine Kombination aus zytoreduktiver/interventioneller Verfahren (z.B. Tumor debulking, Stents) und medikamentöser Behandlung (Chemotherapeutika, NSAIDs) scheinen jedoch die besten Erfolgschancen zu zeigen (4). Dennoch ist für die Besitzerkommunikation wichtig, dass es sich um einen aggressiven, malignen Tumor handelt, der auch bei aggressiver Therapie innerhalb von Monaten bzw. häufig deutlich früher zum Tod führt und zum Zeitpunkt der Diagnosestellung bei einem Großteil der Patienten bereits eine Metastasierung stattgefunden hat (4). Auch bei der Katze ist das urotheliale Karzinom der häufigste Blasentumor, kommt jedoch deutlich seltener vor als beim Hund. Auch hier sollte die Diagnose mittels einer Biopsie gesichert werden, wobei eine klassische Zystoskopie schwierig sein kann und beim männlichen Tier aufgrund der Größe und Verlauf der Urethra undmöglich ist. Die bisher empfohlene Therapie stellt eine Kombination aus partieller Zystektomie (sofern möglich) mit anschließender medikamentöser Therapie dar (8). Prostataneoplasien beim Hund Der Hund ist laut aktueller Literatur neben Primaten das einzige größere Säugetier, das spontane Prostataneoplasien ausbildet (9, 10). Die klinische Präsentation ist wie beim urothelialen Karzinom häufig unspezifisch mit Symptomen wie Tenesmus, Strangurie, Hämaturie und Gewichtsverlust (11, 12). Auch Lahmheiten und neurologische Symptome können auftreten, wenn eine Metastasierung in Gliedmaßenknochen oder den Wirbelkanal stattgefunden hat (13–15). Verschiedene Studien deuten darauf hin, dass kastrierte Rüden ein erhöhtes Risiko aufweisen, an Prostatakarzinomen zu erkranken (11, 16), beim Dobermann und Airdale Terrier, die u.a. zu Risikorassen gehören, scheint dies jedoch nicht der Fall zu sein (17). Alarmiert sollte man in jedem Fall sein, wenn bei einem bereits länger kastrierten Rüden eine normal große bis vergrößerte Prostata und keine kleine „Kastrationsprostata“ palpierbar ist. Auch beim Prostatakarzinom ist eine Biospie oder Kathetersaugbiopsie nötig, um eine definitive Diagnose zu stellen, wobei auch eine transabdominale oder 66 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ transrektale Feinnadelaspiration zur Diagnose verhelfen kann (18). Wie auch beim urothelialen Karzinom deutet die Detektion der BRAF-Mutation im Harn mit hoher Spezifität auf das Vorliegen eines Prostatakarzinoms hin (5). Auch bei dieser Neoplasie stellt die Therapie eine Herausforderung dar, da der Outcome bisheriger Therapieversuche noch schlechter ist als das bei urothelialen Karzinomen. Unbehandelt führt das Prostatakarzinom in der Regel innerhalb weniger Wochen zum Tod (19). Chirurgische Resektionen sind häufig mit nachfolgenden Inkontinenzen verbunden und auch mit medikamentöser Therapie (Chemotherapeutika, NSAIDs) wird eine mittlere Überlebenszeit von ca. 6-7 Monaten bisher kaum überschritten (19). Da ähnlich wie beim urothelialen Karzinom die vollständige Obstruktion der harnableitenden Wege häufig der Grund für eine Euthanasie darstellt, können auch hier interventionelle Verfahren wie Stents oder Bypässe palliativ angewendet werden (20–22). Literatur 1. Knapp DW, Glickman NW, DeNicola DB et al. Naturally-occurring canine transitional cell carcinoma of the urinary bladder A relevant model of human invasive bladder cancer. Urologic Oncology: Seminars and Original Investigations 2000; 5(2):47– 59. 2. Mutsaers AJ, Widmer WR, Knapp DW. Canine Transitional Cell Carcinoma. J Vet Intern Med 2003; 17(2):136. 3. Budreckis DM, Byrne BA, Pollard RE et al. Bacterial urinary tract infections associated with transitional cell carcinoma in 4. dogs. J Vet Intern Med 2015; 29(3):828–33. Fulkerson CM, Knapp DW. Management of transitional cell carcinoma of the urinary bladder in dogs: a review. Vet J 2015; 205(2):217–25. 5. Mochizuki H, Kennedy K, Shapiro SG et al. BRAF Mutations in Canine Cancers. PLoS ONE 2015; 10(6):e0129534. 6. Anderson WI, Dunham BM, King JM et al. Presumptive subcutaneous surgical transplantation of a urinary bladder transitional cell carcinoma in a dog. Cornell Vet 1989; 79(3):263–6. 7. Nyland TG, Wallack ST, Wisner ER. Needle-tract implantation following us-guided fine-needle aspiration biopsy of transitional cell carcinoma of the bladder, urethra, and prostate. Vet Radiol Ultrasound 2002; 43(1):50–3. 8. Griffin MA, Culp WTN, Giuffrida MA et al. Lower urinary tract transitional cell carcinoma in cats: Clinical findings, treatments, and outcomes in 118 cases. J Vet Intern Med 2020; 34(1):274–82. Leav I, Ling GV. Adenocarcinoma of the canine prostate. Cancer 1968; 22(6):1329–45. 9. 10. Coffey DS. Similarities of prostate and breast cancer: Evolution, diet, and estrogens. Urology 2001; 57(4 Suppl 1):31–8. 11. Bell FW, Klausner JS, Hayden DW, et al. Clinical and pathologic features of prostatic adenocarcinoma in sexually intact and castrated dogs: 31 cases (1970-1987). J Am Vet Med Assoc 1991; 199(11):1623–30. 12. Cornell KK, Bostwick DG, Cooley DM et al. Clinical and pathologic aspects of spontaneous canine prostate carcinoma: A retrospective analysis of 76 cases. Prostate 2000; 45(2):173–83. 13. Taylor PA. Prostatic adenocarcinoma in a dog and a summary of ten cases. Can Vet J 1973; 14(7):162–6. 14. Cooley DM, Waters DJ. Skeletal metastasis as the initial clinical manifestation of metastatic carcinoma in 19 dogs. J Vet Intern Med 1998; 12(4):288–93. 15. Jennings K, Watts J. Hypertrophic osteopathy in a castrated dog with prostatic carcinoma and prostatitis. J Small Anim Pract 2018; 59(11):719. 16. Obradovich J, Walshaw R, Goullaud E. The influence of castration on the development of prostatic carcinoma in the dog. 43 cases (1978-1985). J Vet Intern Med 1987; 1(4):183–7. 17. Bryan JN, Keeler MR, Henry CJ et al. population study of neutering status as a risk factor for canine prostate cancer. Prostate 2007; 67(11):1174–81. 18. Johnston SD, Kamolpatana K, Root-Kustritz MV et al. Prostatic disorders in the dog. Animal Reproduction Science 2000; 60-61:405–15. 19. Sorenmo KU, Goldschmidt MH, Shofer FS et al. Evaluation of cyclooxygenase-1 and cyclooxygenase-2 expression and the effect of cyclooxygenase inhibitors in canine prostatic carcinoma. Vet Comp Oncol 2004; 2(1):13–23. 20. Smith JD, Stone EA, Gilson SD. Placement of a permanent cystostomy catheter to relieve urine outflow obstruction in dogs with transitional cell carcinoma. J Am Vet Med Assoc 1995; 206(4):496–9. 21. Weisse C, Berent A, Todd K et al. Evaluation of palliative stenting for management of malignant urethral obstructions in dogs. J Am Vet Med Assoc 2006; 229(2):226–34. 22. Williams JM, White RAS. Tube cystostomy in the dog and cat]. J Small Anim Pract 1991; 32(12):598–602. Kontakt Jana Weinekötter; Klinik für Kleintiere, Universität Leipzig jana.weinekoetter@kleintierklinik.uni-leipzig.de 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 67

Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Unverhofft - böse Überraschung bei akuter Parese Carina Tästensen Klinik für Kleintiere, Veterinärmedizinische Fakultät, Universität Leipzig Akute onkologische Notfälle des Rückenmarkes bei Hunden und Katzen Auch chronische Erkrankungen wie Neoplasien können zu einer akuten Symptomatik führen. Das akute Auftreten einer nicht gehfähigen Para-, Hemi- oder Tetraparese sollte als neurologischer Notfall betrachtet werden und bedarf einer schnellen und gezielten Vorgehensweise. Rückenmarkstumore sind eher seltene Ursache für Wirbelsäulenerkrankungen bei Hunden und Katzen im Vergleich zu Bandscheibenvorfällen und Traumata. Ältere Tiere sind in der Regel betroffen obwohl bestimmte Tumorarten auch bei jungen Tieren auftreten können. Klinische Symptome Tiere mit Wirbelsäulen - oder Rückenmarkstumoren zeigen häufig zunächst unspezifische Beschwerden, gefolgt von fortschreitenden Lähmungserscheinungen und Anzeichen für Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule. Eine plötzliche Verschlechterung des neurologischen Zustands oder plötzliche Zunahme von Wirbelsäulenschmerzen sind möglich, z. B. bei einem pathologischen Bruch eines tumorösen Wirbelkörpers. Bei Rückenmarkstumoren kann die Tumormasse zunächst langsam wachsen, so dass das nicht befallene Rückenmarksparenchym Zeit hat, dies zu kompensieren. Daher können sich klinische Anzeichen erst bemerkbar machen, wenn eine erhebliche Tumormasse den Spinalkanal bereits ausgefüllt hat. Diagnose Übersichtsröntgenaufnahmen der Wirbelsäule dienen zur Identifizierung von Tumoren, die knöcherne Strukturen der Wirbelsäule befallen (Osteosarkom, Chondrosarkom) oder metastasierenden Tumoren in Wirbelkörpern. Auf Übersichtsröntgenbildern können ossäre Veränderungen als osteolytische und/oder osteoproliferative Prozesse erkennbar sein. Primäre knöcherne Wirbeltumore, wie zum Beispiel das Osteosarkom, überschreiten klassischerweise nicht den Gelenkspalt (Bandscheibe). Gelegentlich können Wirbeltumore jedoch invasiv wachsen, dringen in benachbarte Wirbelkörper ein und scheinen den Gelenkspalt zu „überspringen“. Röntgenaufnahmen des Thorax werden für die Fälle empfohlen, in denen bereits klinisch oder diagnostisch der Verdacht einer Rückenmarksneoplasie besteht. Etwa 10 % der Hunde mit Osteosarkomen weisen zum Zeitpunkt der Erstuntersuchung sichtbare Lungen- oder Knochenmetastasen auf. In den meisten Fällen führen Neoplasien im Bereich der Wirbelsäule nicht zu knöchernen/röntgenologischen Veränderungen. Röntgenbilder sind dann ohne besonderen Befund bzw. nicht diagnostisch und weiterführende Bildgebung erforderlich. Die Magnetresonanztomographie (MRT) hat eine hohe Weichteilauflösung und spielt eine zentrale Rolle bei der Darstellung und Charakterisierung von Tumoren im Bereich der Wirbelsäule und ihrer assoziierten Weichteile. Sie ermöglicht die Einteilung von Rückenmarkstumoren anhand ihrer anatomischen Lokalisation in extradurale, intradural-extramedulläre oder intramedulläre Tumoren, was für die Tumorcharakterisierung sehr nützlich ist. Anatomische Einteilung Extradurale Tumore Extradurale Tumore sind die häufigsten Wirbelsäulentumore bei Hunden und Katzen. Sie umfassen die Tumore, die außerhalb der Dura mater liegen. Zu diesen Tumoren gehören primäre und sekundäre mesenchymale Tumore (Osteosarkom, Fibrosarkom und Chondrosarkom), das Hämangiosarkom, multiples Myelom und andere Plasmazelltumoren, Liposarkome und Lymphosarkome. Bei Katzen ist der häufigste extradurale Tumor das Lymphom, das auch das Rückenmark involvieren kann (intradurale Lokalisation). 68 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Abbildung 1: Einteilung von Rückenmarkstumoren anhand ihrer anatomischen Lokalisation Intradural – extramedulläre Tumore Diese Tumore liegen innerhalb der Dura mater, aber außerhalb des Rückenmarkparenchyms. Beispiele hierfür sind Meningiome und Nervenscheidentumore (Neurofibrom,Neurofibrosarkom, Schwannom). Meningiome sind die häufigsten primären Rückenmarkstumore beim Hund und betreffen vor allem die zervikalen, gefolgt von den lumbalen Rückenmarkssegmenten. Meningiome des Rückenmarkes kommen weitaus seltener vor als Meningiome des Gehirns. Das spinale Neuroepitheliom (Nephroblastom) ist eine intradural-extramedulläre Neoplasie bei jungen Hunden, welche zwischen Th10 und L2 im Rückenmark lokalisiert ist. Es wird angenommen, dass dieser Tumor aus embryonalem Gewebe entsteht, welches während der fötalen Entwicklung in der Dura eingeschlossen wurde. Intramedulläre Tumore Intramedulläre Tumoren (Gliom, Astrozytom, Ependymom oder metastasierende Tumoren, z. B. Lymphosarkom) treten innerhalb des Rückenmarkparenchyms auf und sind eher seltenere Tumorarten. Therapieoptionen Extradurale Tumoren werden chirurgisch durch eine Laminektomie oder Hemilaminektomie entfernt. Aber auch intradurale sowie intramedulläre Tumoren können nach zusätzlicher Durotomie erfolgreich chirurgisch reseziert werden. Eine partielle Korpektomie und falls nötig Rekonstruktion der Wirbelkörpern mit Polymethylmethacrylat kann ebenfalls für die Therapie von Knochentumoren vorgeschlagen werden. Strahlentherapie und Chemotherapie sind Behandlungsmöglichkeiten, die einzeln oder in Kombination mit einer Operation angewendet werden können. Prognose Die Prognose hängt vom Ausmaß der lokalen Resektionsmöglichkeit und der Infiltration des Rückenmarkes ab, der Rückenmarkschädigung vor und während der Operation, der Erfahrung des Chirurgen und letzten Endes vom Tumortyp. Literatur 1. Platt S, Olby N: Neurological emergencies. In: Manual of Canine and Feline Neurology, Herausgeber British Small Animal Veterinary Association, 3. Aufl.,2010 2. Besalti O, Caliskan M, Can P, et al. Imaging and surgical outcomes of spinal tumors in 18 dogs and one cat. J Vet Sci 2016, 17(2), 225-234, http://dx.doi.org/10.4142/jvs.2016.17.2.225 3. Auger M, Hecht S, Springer CM. Magnetic resonance imaging features of extradural spinal neoplasia in 60 dogs and seven cats. Front Vet Sci 2021, doi:10.3389/fvets.2020.610490 Kontakt Dr. Carina Tästensen; Klinik für Kleintiere, Veterinärmedizinische Fakultät der Universität Leipzig carina.taestensen@kleintierklinik.uni-leipzig.de 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 69

Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Für Sie im Journal Club gelesen: Was gibt Neues gegen Atemlosigkeit und Co? Michaele Alef Klinik für Kleintiere, Veterinärmedizinischen Fakultät, Universität Leipzig Wie im Anästhesie-Teil des Programmschwerpunkts Hund/Katze nun schon traditionell, sollen im „Journal Club“ interessante und nützliche Studien der letzten Jahre kurz zusammengefasst werden, ohne Anspruch auf Vollständigkeit und mit einer gewissen Subjektivität hinsichtlich Auswahl und Interpretation. Dabei sollen Studien im Fokus stehen, die einen möglichen Input für die klinische Routine geben. Bedingt durch die gewünschte Aktualität kann nicht garantiert werden, dass die vorliegende Zusammenfassung und der Vortrag selbst genau deckungsgleich sind. In den letzten Jahren gab es in der Veterinäranästhesie zwei große Themenkomplexe, die häufig bearbeitet wurden: zum einen die alpha2-Adrenozeptor-Agonisten, vor allem auch im Hinblick auf den Einsatz des peripheren Antagonisten Vatinoxan, zum anderen ultraschallgestützte Methoden der Lokalanästhesie. Letztere werden im Vortrag nicht aufgegriffen, da einerseits zu vielfältig und da andererseits häufig nur Kadaverstudien oder klinische Studien von geringer Evidenz (geringe Patientenzahl) vorliegen. Darüber hinaus wurden zahlreiche Studien zum Anästhesierisiko durchgeführt, die Teil einer prospektiven multinationalen multizentrischen Kohortenstudie (405 Einrichtungen, 21 Länder in 4 Kontinenten) sind (13). Risiko Während Brodbelt (2006) in seiner Studie für Großbritannien ein Anästhesierisiko von 0,17 % für den Hund und 0,24 % für die Katze (ASA 1-5, Tod in Zusammenhang mit der Anästhesie + Euthanasie) ermittelte (3), beschreibt die neue Studie mit einem Mortalitätsindex (Todesfälle innerhalb von 48 h) von 0,69 % (Hunde) und 0,63 % (Katzen) ein deutlich höheres Risiko. Dies mag an der Betrachtung des längeren Zeitraums liegen, ist jedoch für die Kommunikation mit dem Besitzer ein wichtiger Aspekt. Ähnlich wie in der Vorstudie starben ein Großteil der Tiere im postoperativen Zeitraum (Hund 81 %, Katze 75 %), ein weiterer wichtiger Aspekt, den man bei der Risikoaufklärung berücksichtigen sollte. Bei beiden Tierarten war eine höhere ASA-Einstufung ein Risikofaktor, ebenso ein dringlicher bzw. Notfalleingriff (nur Hund), Jungend bzw. Alter (Hund), Übergewicht (Hund, Katze (nicht signifikant)), Kachexie (Katze) und eine Anästhesie für kurze Prozeduren (Hund, Katze). Letzteres lässt vermuten, dass dort möglicherweise weniger sorgfältig vorgegangen wird. Dies unterstützt die Forderung, auch bei kurzen Routineeingriffen entsprechende Standards einzuhalten. Protektive Faktoren waren eine Nutzung von alpha2-Agonisten (Hund, Katze) bzw. Acepromazin (nur Hund) zur Sedation und, tierartlich etwas unterschiedlich, die Nutzung von Opioiden bzw. eine gute Schmerzausschaltung (13). Alpha2-Adrenozeptor-Agonisten in Kombination mit dem peripheren Antagonisten Vatinoxan Alpha2-Adrenzoptor-Agonisten bedingen durch eine initiale periphere Vasokonstriktion einen Blutdruckanstieg. In Folge dessen entsteht eine reflektorische Bradykardie, die auch einen signifikanten Abfall des Herzzeitvolumens bzw. des Cardiac Index verursacht. Schon lange wird das Konzept eines rein peripher wirkenden alpha2-Antagonisten (MK-467, heute Vatinoxan) zur Minimierung der kardiovaskulären Nebenwirkungen untersucht. Schon in frühen experimentellen Studien (10 µg/kg Dexmedetomidin, verschieden MK-467-Dosen, jeweils i.v.) wurde klar, dass die Normalisierung der Herzfrequenz mit einem niedrigeren Blutdruck erkauft wird (6). Neuere Studien untersuchen nun die zugelassene, feste Kombination von Medetomidin mit Vatinoxan. Während der Trend allgemein zur Reduktion der Dosis der alpha2-Agonisten geht, wurde hier die ursprüngliche Dosierung von 1 mg/m2 Körperoberfläche (ca. 40-50 µg/kg Körpermasse) aufgegriffen. In einer experimentellen Studie an instrumentierten Beaglen verglichen die Autoren die oben genannte Dosis in Verbindung mit 20 mg/m2 Vatinoxan (jeweils i.m.) gegen Medetomidin ohne Antagonisten (8). In beiden Gruppen fiel das Herzzeitvolumen ab, jedoch in der Gruppe mit Vatinoxan signifikant weniger (auf 42-50 % des Ausgangwertes) als in der Gruppe ohne Vatinoxan (auf 23-30 % des Ausgangwertes). Verursacht wurde dies primär durch einen 70 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Abfall der Herzfrequenz, der in der Medetomidin-Vatinoxan-Gruppe geringer war. Allerdings trat auch eine Reduktion des Schlagvolumens auf, welche in der Medetomidin-Vatinoxan-Gruppe geringer blieb. Deutlich wurde auch, dass die Veränderungen in der reinen Medetomidin-Gruppe über die Beobachtungszeit bestehen blieben, in der Gruppe mit Vatinoxan sich jedoch Richtung Ausgangwerte besserten. Während in der Medetomidin-Gruppe erwartungsgemäß der mittlere arterielle Blutdruck auf einen Maximalwert von im Mittel 142 mmHg (5 min nach Applikation) anstieg und sich dann normalisiert, fiel er in der Medetomidin-Vatinoxan- Gruppe im Mittel auf 81 mmHg (60 min nach Applikation). Nach 120 min waren die Ausgangswerte wieder erreicht (8). Bei Verwendung von alpha2-Agonisten wird immer wieder über Schwierigkeiten mit der Gefäßpunktion berichtet, die durch die initiale periphere Vasokonstriktion bedingt sind. Diese kann natürlich auch zur Minderperfusion des Gewebes führen. Mit dieser Fragestellung beschäftigt sich eine Studie mit analogen Dosierungen wie oben. Sie untersuchte mit Hilfe einer Dunkelfeldkamera die periphere Zirkulation (buccale Schleimhaut) und konnte zeigen, dass die periphere Durchblutung bei Applikation der Kombination weniger gestört ist (12). Der Effekt von Vatinoxan wurde in der Zwischenzeit auch in klinischen Studien geprüft, so bei Rüden (n=28) zur Kastration (14). In dieser Studie wurden reduzierte Medetomidin- (0,25 mg/m2 Körperoberfläche) und Vatinoxan-Dosierungen (5 mg/m2) verwendet und leider zusätzlich in der Gruppe ohne Vatinoxan die Medetomidin-Dosis auf 0,125 mg/m2 reduziert, was den Vergleich erschwert. In beiden Gruppen erhielten die Tiere zudem 0,2 mg/kg Butorphanol, die Einleitung erfolgte mit Propofol, die Erhaltung mit Sevofluran. Eine intratestikuläre Lokalanästhesie wurde durchgeführt. Auch hier fiel in beiden Gruppen die Herzfrequenz signifikant zum Ausgangswert ab, blieb jedoch in der Gruppe mit Vatinoxan über die gesamte Beobachtungszeit signifikant höher als in der Vergleichsgruppe ohne Vatinoxan. So wurden 5 Minuten nach Applikation 67±17 bzw. 43±15 Schläge pro Minute gemessen. Der Blutdruck war in der Medetomidin-Vatinoxan-Gruppe signifikant niedriger als in der reinen Medetomidin-Gruppe. Mehr als die Hälfte der Hunde (8/14) benötigte in der Medetomidin-Vatinoxan-Gruppe eine Behandlung der Hypotension (MAP < 60 mmHg, SAP < 90 mmHg), ohne Vatinoxan nur ein Tier (14). Eine experimentelle Studie (8 Beagle unter Isofluran-Narkose, randomisiertes cross-over-Design) beschäftigt sich mit der Behandlung der Hypotension, die nach einer kombinierten Verabreichung eines alpha2- Adrenozeptor-Agonisten und Vatinoxan als peripherem Antagonisten auftritt (7). Leider nutzt diese Studie Dexmedetomidin in niedriger Dosis (2,5 µg/kg KM) und 100 µg/kg KM Vatinoxan, was wiederum den Vergleich erschwert. Untersucht wurden Dexmedetomidin mit Infusion (0,9 % NaCl-Lösung), Dexmedetomidin mit Vatinoxan und Infusion, Dobutatmin, Norphenephrin oder Phenylephrin jeweils 15 min nach Applikation von Dexmedetomin mit/ohne Vatinoxan und falls MAP < 90 mmHg. Dabei wurde die Dosis der Hypotension- Therapie alle 5 Minuten adjustiert. Aufgrund der Isofluran-Narkose (zur Instrumentierung) war bei allen Tieren der Blutdruck schon bei Applikation des Dexmedetomidins niedrig (MAP um 60 mmHg), stieg nach Dexmedetomidin auf im Mittel 99 mmHg an (10 min). In den Gruppen mit Vatinoxan wurden dagegen nur mittlere Werte zwischen 72 und 76 mmHg erreicht. Mit einer Infusion konnte der Blutdruckabfall nach Vatinoxan nicht normalisiert werden, allerdings steigerten alle vasoaktiven Medikamente den Blutdruck. Während jedoch Dobutamin und Norphenephrin auch den Cardiac Index verbesserten, reduzierte Phenylephrin diesen ebenso wie die Herzfrequenz während der periphere Gefäßwiderstand und die Plasmalaktatkonzentration stiegen. Die Autoren empfehlen deshalb Dobutamin (im Mittel 3,75 µg/kg/min) oder Norphenephrin (im Mittel 0,25 µg/kg/min) zur Behandlung der Vatinoxan-induzierten Hypotension (7). Da eine Hypotension nach Vatinoxan häufig auftritt und eine Infusion als alleinige Therapie nicht reicht, scheint auch mit Vatinoxan noch keine ideale Situation erreicht zu sein. Die Ergebnisse lassen sich nicht ohne weiteres auf die Katze übertragen, so wurde bei dieser bei Vatinoxangabe auch eine Reduktion der Wirkdauer einer Sedation mit einem alpha2-Agonisten nachgewiesen (5). Außerdem scheint bei ihr, anders als beim Hund, neben dem Dobutamin auch Phenylephrin geeignet zur Behandlung einer Hypotension nach Vatinoxan (9). 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 71

Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Gabapentin Gabapentin wurde 1993 als adjektives Antikonvulsivum zur Therapie von refraktorischen partiellen epileptischen Anfällen eingeführt. Beim Menschen scheint es auch effektiv bei der Behandlung einer Reihe von chronischen Schmerzzuständen zu sein (z.B. postherpetische Neuralgie, Trigeminusneuralgie, diabetische Neuropathie, Tumorschmerzen, Kopfschmerzen). in Zusammenhang mit der Behandlung akuter Schmerzen erwähnt, dazu gehören auch postoperative Schmerzen. Man geht heute davon aus, dass neuropathische Schmerzen Bestandteil vieler Schmerzsymptomatiken sind, so sollen postoperative Schmerzen nicht nur nozizeptive Schmerzen sein, sondern auch entzündliche, neurogene und viszerale Komponenten enthalten. Gabapentin ist strukturell ähnlich zur GABA, bindet aber nicht direkt an GABA-Rezeptoren. Die Mechanismen seiner Wirkung sind nicht genau bekannt, scheinen jedoch in Zusammenhang mit dem N-Methyl-D-Asparat (NMDA) Neurotransmitter zu stehen. In den letzten Jahren ist perioperatives Gabapentin in der Humanmedizin wegen eines möglichen Opioid-sparenden Effektes in den Fokus geraten. letzten Jahren wird es In den immer wieder Ein älteres humanmedizinisches Review (10) zeigt, dass der postoperative Opioidbedarf und postoperative Schmerz-Scores nach präoperativer Gabapentingabe sinken, ebenso die Inzidenz von postoperativem Nausea und Vomitus. Allerdings sind die Patienten stärker sediert. Zusätzliche Gaben hatten keinen zusätzlichen Effekt. Ein neues Review bestätigt dieser Ergebnisse (11). Auch einige veterinärmedizinische Studien beschäftigen sich mit dieser Thematik. So eine Dissertation (1), die den Effekt von Gabapentin als perioperatives Zusatzanalgetikum zu einer μ-opioidbasierten Basisanalgesie bei der Hemilaminektomie untersucht. 70 Hunde mit thorakolumbalem Bandscheibenvorfall erhielten entweder 10 mg/kg Gabapentin oder Plazebo oral direkt vor der Anästhesieeinleitung, sowie nach Extubation alle 12 h über 5 Tage. Mittels Kurzform des Glasgow Composite Measures Pain Scale (CMPS-SF, Ausschluss der Kategorie Gang), Visueller Analog Skala (VAS) und Bestimmung der Cortisolkonzentrationen wurde der mögliche Nutzen von Gabapentin als perioperative Zusatzanalgesie beurteilt. Gabapentin als Zusatzmedikation (10 mg/kg oral, zweimal täglich) bewirkte keine statistisch nachweisbar niedrigeren Schmerzscores im Vergleich zur Plazebogruppe mit alleiniger Opioid-Analgesie, es bestand lediglich eine Tendenz zu niedrigeren Schmerzscores und zu niedrigeren Cortisolspiegeln in der Gabapentin- Gruppe. Pharmakokinetische Untersuchungen zeigten, dass die Applikation mindestens 1 h vor der Anästhesieeinleitung erfolgen sollte, damit effektive Serumkonzentrationen während der Anästhesie erzielt werden, die einer zentralen Sensibilisierung entgegenwirken (1). Eine andere Studie (4) prüft den Effekt bei einer Mastektomie beim Hund (n=20). Nach Prämedikation mit Acepromazin (0,03 mg/kg) und Morphin (0,3 mg/kg i.m.) wurde die Anästhesie mit Propofol (4 mg/kg) eingeleitet und mit Isofluran erhalten. Außerdem erhielten die Tiere Meloxicam. Als zusätzliche Analgesie war postoperativ bei Bedarf Morphin (0,5 mg/kg i.m., „rescue anlgesia“) vorgesehen. Die Tiere mit Gabapentin (10 mg/kg) benötigten signifikant weniger Morphin (9 Dosen für 6 Hunde) als die Placebogruppe (16 Dosen für 8 Hunde), allerdings konnten in dieser Studie keine Unterschiede in der Höhe der Schmerzen nachgewiesen werden. Eine aktuelle Studie (2) untersucht Gabapentin nach einer TPLO wegen Ruptur des cranialen Kreuzbandes. In diesem Fall erhielten die Tiere zur postoperativen Analgesie Carprofen (4,4 mg/kg KM p.o., alle 24 h) mit oder ohne Gabapentin (hier 20 mg/kg KM p.o. alle 8 h, beginnend in der Nacht vor der Operation) für 14 Tage. Zur Schmerzbeurteilung wurden auch hier die Glasgow Composite Measures Pain Scale (CMPS-SF) und eine Druckmessplatte verwendet. Bei dieser Untersuchung konnte kein Unterschied zwischen beiden Gruppen gezeigt werden. Höhere Schmerzwerte, die eine zusätzliche Analgesie erforderten, traten in beiden Gruppen bei jeweils 2 Hunden auf, es war jeweils nur eine zusätzliche Analgetika-Gabe notwendig (2). Ähnlich ist das Ergebnis einer klinischen Studie, welche Gabapentin als zusätzliche analgetische Komponente nach Amputation der Vordergliedmaße prüft (n=30) (15). Nach einer präoperativen Gabe von 10 mg/kg Gabapentin, wurde dieses mit 5 mg/kg alle 8 Stunden für 3 Tage fortgeführt. Postoperativ erhielten die Tiere für 18 bis 24 h eine Fentanylinfusion. In der Klinik wurden regelmäßig Schmerzevaluationen durchgeführt und auch der Besitzer wurde befragt (3 Tage nach Entlassung). Es konnten mit diesem Dosierungsregime keine statistisch signifikanten Unterschiede zwischen Gabapentin- und Placebogruppe 72 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ aufgezeigt werden. Was möglicherweise durch die kleine Tierzahl oder auch durch die restliche Schmerzmedikation verursacht sein kann. Gabapentin scheint perioperativ bei einigen Krankheitsbildern von Vorteil, jedoch ist noch nicht abschließend geklärt, bei welchen. Möglicherweise haben Dosis und Häufigkeit der Gabe einen Einfluss. Auch hier besteht das häufige Problem in der Tiermedizin, dass klinische Studien entsprechender Qualität schwierig durchzuführen sind und deshalb oft fehlten. Die perioperative Opioidgabe hat beim Tier sicher einen anderen Stellenwert und eine andere Problematik wie beim Menschen. Aus diesem Grund sind die mit Gabapentin verknüpften Hoffnungen dort sicher etwas anders gelagert. Weitere „Splitter“ aus neuesten anästhesiologischen Studien werden im Vortrag vorgestellt. Literatur 1. Aghighi SA. Analgesic efficacy of gabapentin as add-on medication in the postoperative periode after hermilaminectomy in dogs. Diss vet. med. 2010, Tierärztliche Hochschule Hannover 2. Almeida D, Wendt-Hornickle E, Conzemius MG. Evaluation of Gabapentin in the Treatment of Postoperative Pain after a Tibial Plateau Levelling Osteotomy in Dogs. VCOT Open 2023; 06(01): e1-e7, DOI: 10.1055/s-0042-1751069 3. Brodbelt DC. The Confidential Enquiry into Perioperative Small Animal Fatalities, PhD Thesis 2006, Royal Veterinary College, University of London and The Animal Health Trust 4. Crociolli GC, Cassu RN, Barbero RC, Rocha TL, Gomes DR, Nicácio GM. Gabapentin as an adjuvant for postoperative pain management in dogs undergoing mastectomy. J Vet Med Sci. 2015 Aug;77(8):1011-5. doi: 10.1292/jvms.14-0602. Epub 2015 Mar 29. PMID: 25816802; PMCID: PMC4565804. 5. Honkavaara J, Pypendop B, Ilkiw J. The impact of MK-467 on sedation, heart rate and arterial blood pressure after intramuscular coadministration with dexmedetomidine in conscious cats. Vet Anaesth Analg. 2017 Jul;44(4):811-822. doi: 10.1016/j.vaa.2016.08.011. Epub 2017 Mar 22. PMID: 28734853. 6. Honkavaara JM, Restitutti F, Raekallio MR, Kuusela EK, Vainio OM.The effects of increasing doses of MK-467, a peripheral alpha2-adrenergic receptor antagonist, on the cardiopulmonary effects of intravenous dexmedetomidine in conscious dogs. J. vet. Pharmacol. Therap 2011. 34, 332–337 7. Huuskonen V, Restitutti F, Raekallio M, Honkavaara J, Pesonen T, Vainio O. Cardiovascular effects of dobutamine, 8. norepinephrine and phenylephrine in isoflurane-anaesthetized dogs administered dexmedetomidine-vatinoxan. Vet Anaesth Analg. 2022 Nov;49(6):546-555. doi: 10.1016/j.vaa.2022.07.007. Epub 2022 Jul 31. PMID: 36058821. Joerger FB, Wieser ML, Steblaj B, Niemann L, Turunen H, Kutter AP. Evaluation of cardiovascular effects of intramuscular medetomidine and a medetomidine-vatinoxan combination in Beagle dogs: A randomized blinded crossover laboratory study. Vet Anaesth Analg. 2023 Sep;50(5):397-407. doi: 10.1016/j.vaa.2023.05.004. Epub 2023 May 29. PMID: 37481386. 9. Kobluk K, Pypendop BH. Effects of dopamine, norepinephrine or phenylephrine on the prevention of hypotension in isoflurane-anesthetized cats administered vatinoxan or vatinoxan and dexmedetomidine. Vet Anaesth Analg. 2022 Jan;49(1):54-64. doi: 10.1016/j.vaa.2021.11.001. Epub 2021 Nov 12. PMID: 34906421. 10. Kong VK, Irwin MG. Gabapentin: a multimodal perioperative drug? Br J Anaesth. 2007 Dec;99(6):775-86. doi: 10.1093/bja/aem316. PMID: 18006529. 11. Ladich EM, Zhou KQ, Spence DL, Moore CB. Opioid-Sparing Anesthesia: Gabapentin and Postoperative Pain. J Perianesth Nurs. 2022 Dec;37(6):966-970. doi: 10.1016/j.jopan.2022.04.008. Epub 2022 Sep 11. PMID: 36100525. 12. Niemann L, Kutter AP, Joerger FB, Wieser ML, Hartnack S, Steblaj B. The impact of vatinoxan on microcirculation after intramuscular co-administration with medetomidine in Beagle dogs: a blinded crossover study. Vet Anaesth Analg. 2022 Jul;49(4):336-343. doi: 10.1016/j.vaa.2021.07.007. Epub 2022 Jan 7. PMID: 35459629. 13. Redondo JL et al. Perianaesthetic mortality in cats: a worldwide multicentric study; WCVAA, 27.03-30.03.23, Sydney 14. Salla KM, Turunen HA, Kallio-Kujala IJ, Pekkola V, Casoni DC, Lepajoe J, Björkenheim P, Raekallio MR, Vainio O. Effects of vatinoxan in dogs premedicated with medetomidine and butorphanol followed by sevoflurane anaesthesia: a randomized clinical study. Vet Anaesth Analg. 2022 Nov;49(6):563-571. doi: 10.1016/j.vaa.2022.08.002. Epub 2022 Sep 8. PMID: 36115767. 15. Wagner AE, Mich PM, Uhrig SR, Hellyer PW. Clinical evaluation of perioperative administration of gabapentin as an adjunct for postoperative analgesia in dogs undergoing amputation of a forelimb. J Am Vet Med Assoc. 2010 Apr 1;236(7):751-6. doi: 10.2460/javma.236.7.751. PMID: 20367041. Kontakt Prof. Dr. Michaele Alef; Klink für Kleintiere, Veterinärmedizinische Fakultät der Universität Leipzig alef@kleintierklinik.uni-leipzig.de 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 73

Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Nach müde kommt „doof“! - Fehler in angespannten Situationen gezielt vermeiden Frauke Paul, Michaele Alef Universität Leipzig, Veterinärmedizinische Fakultät, Klinik für Kleintiere Jeder macht Fehler. Damit sind Fehler ein bedauerlicher, aber unvermeidlicher Aspekt der Arbeit. Obwohl jedes Teammitglied nach Perfektion zum Wohle der Patienten strebt, ist die Realität, dass Fehler auftreten In der Patientenversorgung können Fehler schwerwiegende und mitunter tödliche Folgen haben. (1). Es ist wichtig, dieses Thema offen und konstruktiv anzusprechen, denn wie wir Fehler behandeln, kann sich erheblich auf die Patientenversorgung auswirken. Herrscht Angst vor dem Zugeben von Fehlern, potenzieren sich ihre Auswirkungen unter Umständen. Und auch das Wohl der Mitarbeiter und die Arbeitsatmosphäre in der Praxis können von einer positiven Fehlerkultur profitieren. Angesichts des fortschreitenden Tierärztemangels und der hohen Rate von mentalen Erkrankungen allgemein und besonders in den ärztlichen und pflegenden Berufen, stellt dies einen wichtigen Aspekt zu Sicherung der Patientenversorgung da. Das Anerkennen und die Übernahme von Verantwortung für Fehler sind ein entscheidender erster Schritt. Offene Kommunikationswege sowohl im Team als auch nach außen und das Lernen aus Fehlern sind wichtig, um die Konsequenzen des eigenen Fehlers auch emotional zu verarbeiten (2). Tierärzte arbeiten oft in schnelllebigen Umgebungen und haben es mit einer Vielzahl von Fällen und Tierarten zu tun. Deswegen ist es wahrscheinlich, dass man auch mal an die Grenzen des eigenen Wissens und Können stößt. Trotz ihrer Expertise und Hingabe können Faktoren wie Müdigkeit, Zeitdruck und die Unvorhersehbarkeit von Tierreaktionen zu Fehlern beitragen. Notdienstsituationen sind damit wie geschaffen für deren Auftreten. Es ist wichtig zu verstehen, dass beim Auftreten von Fehlern aktive individuelle und latente institutionelle Faktoren zusammenkommen und beide Aspekte bei der Analyse von Fehlern berücksichtigt werden müssen. Die häufigsten Fehler in der Tiermedizin sind Medikamenten- und Kommunikationsfehler. Aber auch Fehler beim Gebrauch von Geräten oder deren Fehlfunktionen, fehlerhafte diagnostischen Überlegungen, Probenverwechslungen oder schlichtes Vergessen kommen regelmäßig vor. Verschiedene Maßnahmen helfen, die Fehlerkultur im Team zu verbessern. Strukturierte Kommunikationsschemata vor allem an kritischen Punkten, wie der Patientenübergabe, sollen verhindern, dass Informationen verloren gehen. In Krisensituationen, wie während der Reanimation, kann über die sog. „Close- Loop“-Kommunikation durch Rückkopplung das korrekte Verständnis zwischen den Personen sichergestellt werden. Sinnvoll eingesetzt, können Checklisten, Algorithmen und andere kognitive Hilfen die Wahrscheinlichkeit von Fehlern reduzieren (3). Beispiele hierfür sind die Reanimationsalgorithmen der RECOVER-Initiative, das WHO-Team Time-Out oder Dosierungstabellen. Literatur 1. 2. 3. Wallis J, Fletcher D, Bentley A, Ludders J. Medical Errors Cause Harm in Veterinary Hospitals. Front Vet Sci. 2019 Feb 5;6:12. Hofmeister EH, Love L. Patient safety culture is needed in veterinary medicine. J Am Vet Med Assoc. 2023 Sep 1;1– 5. Hofmeister EH, Quandt J, Braun C, Shepard M. Development, implementation and impact of simple patient safety interventions in a university teaching hospital. Vet Anaesth Analg. 2014 May;41(3):243–8. Kontakt Dr. Frauke Paul; Klinik für Kleintiere, Leipzig Frauke.paul@kleintierklinik.uni-leipzig.de 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 75

Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Tun Sie was, mein Welpe stirbt! Sandra Goericke-Pesch Reproduktionsmedizinische Einheit der Kliniken – Klinik für Kleintiere, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover Neonataler Untersuchungsgang Eine sorgfältige Untersuchung stellt die Basis einer ordentlichen Diagnose dar. So sollte auch bei jedem Welpen eine detaillierte Untersuchung erfolgen. Der neonatale Untersuchungsgang beinhaltet zunächst einen Vorbericht, bei dem neben dem Vorstellungsgrund unbedingt der Geburtsverlauf, mögliche Kolostrumaufnahme, aber auch die letzte Tränkeaufnahme und die Gewichtsentwicklung (idealerweise im Verlauf seit Lebensbeginn und im Vergleich zu den Wurfgeschwistern) erfragt werden sollte. Auch sollten Erkrankungen des Muttertieres in der postpartalen (und ggf. präpartalen) Phase sowie eventuelle Vorbehandlungen von Welpen und/oder Muttertier erfasst werden. Im Anschluss folgt die eigentliche Untersuchung. Diese beinhaltet das Erfassen des aktuellen Körpergewichts und die Kontrolle auf eventuelle Missbildungen. Insbesondere ist das Vorliegen einer Gaumenspalte und einer Atresia ani bei allen Welpen, die in den ersten Tagen nach der Geburt vorstellig werden, unbedingt zu kontrollieren. Es folgt die Beurteilung der Schleimhäute und des Hydratationsstatus. Harn- und Kotabsatz werden stimuliert und die Ausscheidungen beurteilt. Aufgrund der reduzierten Fähigkeit zu konzentrieren, ist ein fast durchsichtiger Urin bei Welpen < 4 Wochen als physiologisch zu werten, während eine deutliche Gelbfärbung auf eine mangelhafte Flüssigkeits- und Energiezufuhr hinweist. Beim Kotabsatz wird die Durchgängigkeit des Anus bestätigt und die Kotkonsistenz beurteilt. In den ersten Lebenstagen erfolgt auch eine Kontrolle des Nabels. Auch nach Abfallen der Nabelschnur sollte der Hautnabel untersucht werden, da auch beim Welpen Nabelentzündungen auftreten können, die sich durch Schwellung und/oder Nässen äußern. Auskultation von Herz und Lunge sowie Erfassung der Herz- und Atemfrequenz geben ebenfalls wertvolle Hinweise wie die rektale Körpertemperatur. Diese ist bis zur 4. Lebenswoche (deutlich) abweichend von adulten Werten (Tabelle 1). Neben einer Palpation des Abdomens werden zudem die wesentlichen Reflexe in Abhängigkeit vom Alter getestet. Bei Welpen in den ersten Lebenstagen sind der Saug- und Schluckreflex, aber auch der Righting und Rooting Reflex vorhanden. Tabelle 1: Die physiologische Körpertemperatur im Welpenalter Alter Bis Tag 7 2 Wochen 3 Wochen > 3 Wochen Physiologischer Bereich 34,8-37,0°C 35,0-37,8°C 36,8-38,8°C 38,0-39,0°C Erstversorgung nach der Geburt bzw. beim Kaiserschnitt Bei der Erstversorgung nach konservativer Geburtshilfe oder Kaiserschnitt sollte immer das ABC der Reanimation berücksichtigt werden: A. (Airways) Atemwege freilegen, B. (Breathing) Atmung stimulieren, C. (Circulation) Herz-Kreislauf kontrollieren und stimulieren. Vor Beginn der Reanimation sollte unbedingt auf das Vorliegen offensichtlicher Missbildungen, wie z. B. Gaumenspalte, geachtet werden. Bei betroffenen Welpen sollte umgehend eine Aufklärung des Besitzers und eine Besprechung über das weitere Vorgehen erfolgen. Mittels eines APGAR-Scores (Tabelle 2) können Welpen weitgehend objektiv z. B. nach einem Kaiserschnitt nach ihrem Zustand klassifiziert werden. Infolge der Einstufung in vital (alles o.b.B.) oder gefährdet (mäßig bis hochgradig) können direkt die Welpen identifiziert werden, die mehr Aufmerksamkeit und eine umfangreichere Betreuung benötigen. Ebenso sollte immer kontrolliert werden, ob die Hündin (ausreichend) Milch hat, um die Kolostrumversorgung und Energiezufuhr zu sichern. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 77

Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Tabelle 2: APGAR Scoring für Welpen – jeder Parameter ist mit 0-2 zu beurteilen, am Ende dient die Gesamtsumme der Erfassung des „Gefährdungsstatus“ Parameter Herzfrequenz Atemfrequenz Reflexerregbarkeit 0 <180/min < 6/min kein „Schreien“ Mobilität Schleimhautfarbe schlapp zyanotisch Scoring: 7-10 vital; 4-6 mäßig gefährdet; 0-3 hochgradig gefährdet Hypothermie-Hypoglykämie-Komplex 1 180-220/min 6-15/min, Grimassen, etwas „weinen/schreien“ Flexionen bleich 2 >220/min >15/min “weinen/schreien” vital pink Werden kalte und inaktive Welpen vorgestellt, handelt es sich i.d.R. um den Hypothermie-Hypoglykämie- Komplex. Dieser kann primär, zu kalte Umgebung, Mutterhündin unzureichende Milchproduktion, Missbildungen des Welpen (=> kein Saugen möglich), oder sekundär mit einer anderen Primärerkrankung auftreten. Während es erst zu gesteigerter Aktivität kommt, die die Hypoglykämie noch verstärkt, kommt es in Folge zu einer Verschlimmerung der Hypothermie mit allen Konsequenzen (Verlust des Saug- und Schluckreflexes, Koma). Unbehandelt führt der Komplex zum Tod des betroffenen Welpen. Mit dem Komplex assoziiert ist oft ebenfalls eine Dehydration, weshalb in jedem Fall vorstellige Patienten mit Flüssigkeit substituiert werden sollten. Bewährt haben sich Vollelektrolytlösungen, die auch subkutan gegeben werden können. In Fällen schwerer Dehydratation muss jedoch eine iv Gabe mittels Infusomat erfolgen. Das Energiedefizit muss ebenso ausgeglichen werden und die Körpertemperatur vorsichtig und langsam angehoben werden. Je nach Körpertemperatur und vorhandenem Schluckreflex kann eine orale Gabe von Glucose und Milchaustauscher erfolgen, allerdings sollte eine Aspirationspneumonie unbedingt vermieden werden. Bei einer Körpertemperatur unter 35°C sollte aufgrund des Ileus-Risikos kein Milchaustauscher verabreicht werden, so dass die Gabe von G5 notwendig wird. Dies muss unbedingt erstmalig erfolgen, bevor der Welpe erwärmt wird! Bei adäquater Temperatur (> 35°C) und fehlendem Schluckreflex sollte der Welpe alle 2-4 Stunden mittels Sonde gefüttert werden. Auch bei Fieber ist eine Flüssigkeits- und Energiesubstitution notwendig. Von besonderer Bedeutung sind außerdem pflegerische Maßnahmen (Love and care and tenderness!). Die Hündin hat keine Milch – was tun? Hat die Hündin unmittelbar nach der Geburt keine bzw. nicht ausreichend Milch, stellt dies ein gravierendes Problem dar, da Immunglobulin- und Energieversorgung gefährdet sind. Während Energie mit nahezu allen kommerziellen Milchaustauschern zugefügt werden kann, fehlen jedoch mit einer Ausnahme (Royal Canin Puppy Protech) die Immunglobuline. Im genannten Präparat sind Antikörper gegen Canines Parvovirus und E. coli enthalten. Hieraus ergibt sich, dass bei fehlender/nicht adäquater Milchproduktion der Hündin die Welpen hochgradig gefährdet für eine Sepsis aufgrund einer Hypergammaglobulinämie sind. Demnach sollte gute Hygiene selbstverständlich sein. Die orale Gabe von Serum eines gut geimpften Hundes, idealerweise aus dem „Bestand“ der Mutterhündin, kann zur Reduktion des Risikos Abhilfe leisten. Die orale Gabe von 2,2 ml/100 g Welpe innerhalb der ersten 12 Lebensstunden ist erforderlich, um das Defizit auszugleichen. Bei Gaben bis 24 Stunden sollte die Dosis bis auf 5 ml/100 g Welpe erhöht werden, was insbesondere bei größeren Würfen eine logistische Herausforderung darstellen kann. Ältere Welpen können die Antikörper nicht mehr intestinal resorbieren, weshalb die subkutane Gabe empfohlen wird. Oral verabreichte Antikörperpräparate wirken zu einem späteren Zeitpunkt später ausschließlich lokal, was aber bei intestinalem Erregereintritt dennoch von Vorteil sein kann. Ursachenforschung bei der Hündin sollte unbedingt erfolgen. Die Umwidmung von Metoclopramid (0,1-0,4 mg/kg bis 4x tgl.) kann die Prolaktinsekretion anregen. 78 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Welpe und Muttertier stellen eine Einheit dar Innerhalb der ersten 3-4 Lebenswochen stellen Welpen und Muttertier eine untrennbare Einheit dar. Das bedeutet, dass Erkrankungen des Muttertieres, wie Retentio secundinarum, Mastitis und/oder Hypogalaktie, in Erkrankungen der Welpen resultieren und umgekehrt. Deshalb sollte zumindest empfohlen werden, dass immer alle (Welpen und Hündin) untersucht werden, um Probleme vollständig zu identifizieren und dann zu behandeln. Erstversorgung des Welpen im Notdienst Wie bereits erwähnt sollte bei jedem Welpen, der als Notfall vorstellig wird, ein detaillierter Vorbericht erfragt und eine allgemeine klinische Untersuchung durchgeführt werden. Dies dient dem Ziel, die Dauer der Erkrankung einzuschätzen und den aktuellen Status sowie die Prognose einzuschätzen. Wird ein Welpe agonal vorgestellt, kann auch die Euthanasie die korrekte Entscheidung sein! Bei Bedarf kann weiterführende Diagnostik, wie z.B. Ultraschall eingeleitet werden. Auch Blutentnahmen (max. 1 ml/100 g und Woche) können sinnvoll sein, insbesondere, wenn ersichtlich ist, dass ein venöser Zugang aufgrund des Status des Patienten erforderlich ist. Ansonsten ist es in den meisten Fällen indiziert, Flüssigkeit zu substituieren (intravenös, intraossär, intraperitoneal, subkutan), das Energiedefizit auszugleichen und die Hypothermie zu therapieren (s. o.). Bei Verdacht auf Sepsis sollte nach möglicher Probenentnahme für eine bakteriologische Untersuchung eine antibiotische Therapie (z.B. Amoxicillin/Clavulansäure als orale Verabreichung) initiiert werden. Auch bei Welpen mit nachgewiesener Hypogammaglobulinämie kann dies sinnvoll sein. Bei Diarrhoe sind dagegen Flüssigkeitssubstitution (ggf. auch subkutan, ca. 2 ml/kg/h 2x täglich – es wird jeweils der (halbe) Bedarf für 12 Stunden verabreicht), Probiotika, orale Antikörperformulierungen und ggf. Nahrungsergänzungsmittel sinnvoll. Bei respiratorischen Problemen hat sich Coupage und Inhalation mit Hilfe eines Ultraschallverneblers bewährt. Die Gabe von Immunmodulatoren (z.B. Zylexis®) ist in Erwägung zu ziehen, allerdings liegen keine wissenschaftlichen Belege über den Effekt bei Neonaten bzw. jungen Welpen vor. Pflegerische Maßnahmen („Kümmern“), wie regelmäßiges Füttern (ggf. mit der Sonde, Cave: max. 40 ml/kg Magenfüllvolumen!), wenden, stimulieren von Harn und Kotabsatz sind ebenso essentiell für eine gute Prognose. Unser Ziel muss es sein, die Züchter für frühe Erkrankungsanzeichen zu sensibilisieren, damit die Patienten nicht erst kurz vor dem Tod oder sogar agonal vorgestellt werden, sondern bei kleinsten Anzeichen. Dies erhöht die Aussichten und verbessert die Prognose für den/die Welpen und nicht zuletzt die Compliance des Züchters. Sensibilisieren wir gemeinsam zum Wohle unserer Patienten – es lohnt sich! Literatur 1. Pereira KHNP, Fuchs KDM, Corrêa JV, Chiacchio SB, Lourenço MLG. Neonatology: Topics on Puppies and Kittens Neonatal Management to Improve Neonatal Outcome. Animals (Basel). 2022;12(23):3426. doi: 10.3390/ani12233426. 2. Veronesi MC. Assessment of canine neonatal viability-the Apgar score. Reprod Domest Anim. 2016 Sep;51 Suppl 1:46-50. doi: 10.1111/rda.12787 3. Veronesi MC, Fusi J. Feline neonatology: From birth to commencement of weaning - what to know for successful management. J Feline Med Surg. 2022;24(3):232-242. doi: 10.1177/1098612X221079709. Kontakt Prof. Dr. Sandra Goericke-Pesch; Reproduktionsmedizinische Einheit der Kliniken – Klinik für Kleintiere, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover Sandra.Goericke-Pesch@tiho-hannover.de 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 79

Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Der Notfall in der Reproduktionsmedizin – nicht nur Geburtshilfe Axel Wehrend Tierklinik für Reproduktionsmedizin und Neugeborenenkunde, Justus-Liebig-Universität Gießen Es gibt unterschiedliche Definitionen für einen Notfall; eine einfache lautet: Ein Notfall ist ein plötzlicher Zustand, der mit der Gefahr das Leben zu verlieren oder der irreversiblen Organschädigung verbunden ist und / oder zu anhaltenden starken Schmerzen führt. Für die tierärztliche Praxis ergeben sind bei einem Notfall verschiedene Konsequenzen. Diese sind u.a., dass eine Verpflichtung zur Erstbehandlung besteht und der Fall eine bevorzugte Behandlung vor „Nichtnotfällen“ erfahren sollte. Daraus folgt die Notwendigkeit einen Notfall zu erkennen und über die Kenntnisse zur Erstbehandlung zu verfügen. Ein Problem ergibt sich, wenn keine Möglichkeit zur weiteren Behandlung nach der Erstbehandlung besteht, weil keine Praxis oder Klinik mit der entsprechenden Expertise und Ausstattung zur Verfügung steht – ein Szenario, welcher bei eingeschränkter Verfügbarkeit eines qualifizierten tierärztlichen Notdienstes denkbar und erlebbar ist (1). Reproduktionsmedizinische Krankheitsbilder, die zu einem Notfall führen können, sind sehr vielfältig. Zu hochgradigen, unspezifischen Störungen des Allgemeinbefindens bei der Hündin führen puerperale Erkrankungen (Mastitis, Nachgeburtsverhaltung, retinierte Feten), die Pyometra und die langanhaltende Dystokie. Eine Anämie mit ihren Sekundärkomplikationen bis zum hypovolämischen Schock kann sich in Folge von postpartalen Blutungen und eines dekompensierten Hyperöstrogenismus einstellen. Der Vorfall von Gewebe (Läufigkeitsprolaps oder Vaginaltumor) kann sich durch Verhinderung von Harnabsatz und Verletzung des vorgefallenen Gewebes mit massiven Blutungen zu einem solchen entwickeln. Eine primär neurologische Symptomatik ist bei der Geburts- und Laktationseklampsie möglich. Geburts- und Laktationseklampsie Die Eklampsie der Hündin ist primär eine Hypokalzämie zum Zeitpunkt eines erhöhten Kalziumbedarfes (2). Sie tritt in Form der Geburtseklampsie (häufiger Kleinstrassen) und der Laktationseklampsie (häufiger Hündinnen mit großen Würfen) auf. Bei dieser Erkrankung handelt es sich um einen klassischen Notfall, weil die Nichtbehandlung schnell zum Tod führt. Labordiagnostische Untersuchungen zeigen, dass neben der Hypokalzämie auch eine Hypomagnesämie, Hypophosphatämie und Hyperkalämie vorliegen kann. Erste Symptome sind Jaulen und Unruhe, seltener Speicheln. Später treten tonisch-klonische Krämpfe auf. Wir beobachten dieses Krankheitsbild in den letzten Jahren in steigender Häufigkeit. Primäres Ziel ist es, das aktuelle Kalziumdefizit zu beseitigen. Gerade bei Hunden, die Krämpfe zeigen und sich gegen die Behandlung wehren, kann es notwendig sein, die Krämpfe vor Beseitigung des Kalziumdefizites zu behandeln. Bewährt hat sich in dieser Indikation die intravenöse Gabe von Diazepam (Ca-Gluconat 10% 1-1,5 mg/kg; unter Herzkontrolle; intermittierend geben). Vorfall von Gewebe aus der Rima vulvae In der Regel führt der Vorfall von Gewebe aus der Rima vulvae nicht zu lebensbedrohlichen Zuständen, werden vom Tierbesitzer jedoch als Notfall eingeordnet. Durch Verletzung und Entzündung des Gewebes kann es jedoch zu schwerwiegenden Sekundärkomplikationen kommen, so dass die Definition des Notfalles erfüllt ist (3, 4). Ziel des Vorgehens ist nach einer Stabilisierung des Patienten den Ursprung des vorgefallenen Gewebes zu lokalisieren und eine spezifische Therapie einzuleiten, die meist jedoch zeitlich verzögert durchgeführt werden kann. Bei großen Gewebemassen, die zu Störungen des Harnabsatzes führen, ist zuerst eine Katheterisierung der Harnblase durchzuführen. Die Harnröhrenöffnung befindet sich beim Prolaps vaginae oft ventral des vorgefallenen Gewebes. Sie kann meist durch Anheben des prolabierten Gewebes dargestellt werden. Ist dies initial nicht möglich, muss Harn durch transabdominale Punktion abgelassen werden. Nach Stabilisierung muss bei einem Läufigkeitsprolaps entschieden werden, ob eine chirurgische Entfernung des prolabierten Gewebes notwendig ist oder ob eine Rückbildung mit Abklingen der Läufigkeit abgewartet werden kann. Eine Kastration verhindert ein Rezidiv in der nächsten Läufigkeit. Extraluminal wachsende 80 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Vaginaltumoren können durch Kompression umgebender Strukturen zu massiven Störungen beim Kot- und Harnabsatz führen. Damit in hochschmerzhaften Fällen eine Erstbehandlung möglich ist, sollte das betroffene Tier schnell in Narkose gelegt werden, um die Blase zu katheterisieren und ggf. Kot zu erspülen. Ist der „Stau“ beseitigt, besteht ausreichend Zeit zur Überweisung. Hyperöstrogenismus Ein Hyperöstrogenismus wird endogen durch östrogenproduzierende Ovarialzysten oder Granulosazelltumoren verursacht (4, 5, 6). Zum Notfall wird dieser Zustand dann, wenn es über eine östrogenbedingte Knochenmarksdepression mit nachfolgender Thrombozytopenie und / oder Erythrozytopenie zu plötzlichen Blutungen kommt. Nach einer Stabilisierung durch Transfusion / Infusion muss die Östrogenquelle entfernt werden. Dies erfolgt auch bei schlechter Prognose durch eine Ovariohysterektomie. Die Gebärmutter sollte immer mit entfernt werden, dass die längere östrogene Stimulation zu glandulär- zystischen Veränderungen des Endometriums führt. Jegliche Verzögerung der Operation führt dazu, dass das Knochenmark weiterhin geschädigt wird. Die Halbwertzeit von Östradiol-17ß liegt beim Hund bei ca. 60 Minuten. Vor und während der Operation erfolgt eine Bluttransfusion, um Blutzellen, Thrombozyten und Gerinnungsfaktoren zu übertragen. Die Gabe von umgewidmeten Antiöstrogenen aus der Humanmedizin sind kontraindiziert, da diese beim Hund teilweise zu Metaboliten umgewandelt werden, die östrogene Wirkung haben. Literatur 1. Wehrend A. Der reproduktionsmedizinische Notfall – wenn Überweisen nicht mehr geht. 7. Tierärztetag der Tierärztekammer Schleswig-Holstein, 18.2.2023 2. Aroch I, Srebro H, Shpigel NY. Serum electrolyte concentrations in bitches with eclampsia. Vet Rec. 1999; 145 (11): 318- 320. 3. Manothaiudom K, Johnston SD. Clinical approach to vaginal/vestibular masses in the bitch. Vet Clin North Am Small Anim Pract 1991; 21, 509-521. 4. Wehrend A. 22.1. Ovartumoren. In: Kessler M (Hrsg.): Kleintieronkologie: Diagnose und Therapie von Tumorerkrankungen bei Hund und Katze. Enke-Verlag Stuttgart, 2022, 565-570. 5. Wehrend A. Leitsymptome Gynäkologie und Geburtshilfe beim Hund. Stuttgart: Enke 2010. 6. Wehrend A. Reproduktionsmedizinische Notfälle. In: Sigrist N (Hrsg.): Notfallmedizin für Hund und Katze, Enke 20217, 346-360 Kontakt Prof. Dr. Axel Wehrend; Tierklinik für Reproduktionsmedizin und Neugeborenenkunde der Justus-Liebig- Universität Gießen axel.wehrend@vetmed.uni-giessen.de 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 81

Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Der Notfall in der Reproduktionsmedizin – den Rüden nicht vergessen! Sandra Goericke-Pesch Reproduktionsmedizinische Einheit der Kliniken – Klinik für Kleintiere, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover In der Praxis denkt man bei andrologischen Patienten oftmals nur an die Benigne Prostatahyperplasie (BPH) und den Hodentumor. Umso aufregender sind dann andrologische Notfallpatienten, die einen unerwartet „überrumpeln“. Priapismus, Paraphimose und mehr Andrologische Notfälle rund um den Penis sind von besonderer Brisanz, da es sich im Idealfall um akute Notfälle handelt, die sofort versorgt werden müssen. Eine der wichtigsten Fragen, die bei jedem „Penis-Notfall“ gestellt werden muss, ist die Frage nach dem Harnabsatz. Das Funktionieren des Harnabsatzes ist in jedem Fall unbedingt sicherzustellen. Neben Penisverletzungen, z.B. infolge von Bissverletzungen, Traumata beim Decken oder Manipulation, spielen insbesondere Paraphimose und Priapismus eine wichtige Rolle. Während der Penis bei der Paraphimose nach vollständiger Erektion aufgrund von „Abschnürung“ durch das Präputium nicht mehr zurückverlagert werden kann und so weiterhin „erigiert“ bleibt, handelt es sich beim Priapismus um eine nicht sexuell-bedingte Dauererektion. Auch hier ist der Penis im erigierten Zustand vorgefallen, allerdings lässt sich bei Manipulation das Präputium häufig über den erigierten Penis verlagern, während jedoch die Erektion bestehen bleibt. Essentiell ist in jedem Fall eine Reposition des Penis in das Präputium, was entsprechend schwierig sein kann. Hier ist ausreichend Gleitmittel zu verwenden, bei Paraphimosen haben sich auch ergänzend höherprozentige Zuckerlösungen oder andere hyperosmolare Lösungen lokal bewährt. Ziel ist hierbei, Wasser zu entziehen und so eine Größenreduktion des Penis zu bewirken, damit eine Reposition möglich ist. Ist eine Rückverlagerung auch unter Sedation nicht möglich, kann eine chirurgische Eröffnung der Präputialöffnung zur Reposition mit anschließendem Verschluss erfolgen. Leider werden die entsprechenden Fälle ebenso wie Priapismus-Fälle häufig in der Praxis erst einmal abwartend oder gar mit Sedativa, die eine periphere Vasodilatation induzieren, behandelt. Infolge der Zeitverzögerung kann es zu Veränderungen der Penis- und Präputialschleimhaut bis zur Nekrose kommen. Dies ist unbedingt zu vermeiden! Im Anschluss an die Reposition sind Präputialspülungen mit NaCl oder milden antiseptischen Lösungen über einige Tage empfehlenswert, nicht zuletzt, um Verklebungen zu verhindern. Eine antiphlogistische Therapie ist sicherlich für den Patienten erleichternd, wenn die Reposition nicht unmittelbar nach Eintreten des Zustands erfolgte. Eine antibiotische Therapie ist i.d.R. nicht erforderlich. Auch beim Priapismus handelt es sich um einen akuten Notfall, der in der Humanmedizin innerhalb von max. 30 Minuten versorgt werden muss, wenn die Funktionsfähigkeit des Penis erhalten bleiben soll. Im akuten Zustand können die Corpora cavernosa punktiert und eine verdünnte Noradrenalinlösung injiziert werden. Bei bereits länger bestehendem Priapismus können eine antiphlogistische Therapie und regelmäßige Präputialspülungen therapeutisch in Erwägung gezogen werden, sofern der Harnsabsatz gewährleistet ist. Über die Zeit kommt es zur Fibrosierung des Penis mit Funktionsverlust. Wenngleich dies nicht ideal ist, macht das die Penisamputation, die bei Nekrose des Penis unbedingt zeitnah durchgeführt werden muss, überflüssig, was zu besserer Akzeptanz der Besitzer führt. Interessanterweise zeigen betroffene Patienten (die bei Erstvorstellung bereits bis zu 14 Tage einen Priapismus aufwiesen) ein (weitgehend) ungestörtes Allgemeinbefinden. Orchitis und Co. Bezüglich des Hodens können Patienten mit Hodentorsion und akuter Orchitis als Notfälle vorstellig werden. Die Hodentorsion ist eine relativ seltene, aber hochakute Erkrankung. Abdominal kryptorchide Hoden haben ein höheres Risiko zur Torsion als skrotal gelegene, obwohl auch letztere gelegentlich torsieren. Die Klinik ist variabel. Während sie bei vielen Patienten der Klinik des akuten Abdomens entspricht, die Hunde hochgradig schmerzhaft und bewegungsunwillig sind, zeigen andere Patienten keine klinischen Anzeichen und keine 82 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ offensichtliche Störung des Allgemeinbefindens. Wird die Diagnose unmittelbar gestellt, kann der Hoden möglicherweise erhalten werden, wenn er chirurgisch retorsiert wird. Leider werden die Patienten häufig erst nach mehreren Stunden oder Tagen vorstellig, nicht zuletzt, weil nicht in jedem Fall die Klinik (so) massiv ist. Deshalb ist in den meisten Fällen aufgrund von Strangulation und Nekrose die chirurgische Entfernung des torsierten Hodens die einzige Therapie. Eine Retorsion ist in diesem Fall unbedingt kontraindiziert. sind hochgradig fibrinös-purulente oder schmerzhafte, Akute Orchitiden nekrotisierende Hodenentzündungen mit Fieber, hochgradiger Störung des Allgemeinbefindens und Hinterhandlahmheit. Oftmals ist die Entzündung auf den Nebenhoden und den Processus vaginalis ausgedehnt (Periorchiepididymitis). Betroffen sind zumeist junge Rüden, im Mittel 2 Jahre und im Median 3,7 Jahre. Ursächlich liegen häufig Infektionen mit fakultativ pathogenen Erregern, wie E. coli, zugrunde, welche z.B. hämatogen-lymphogen oder aszendierend den Hoden erreichen. Differentialdiagnostisch ist eine Infektion mit Brucella canis, welche auch zu Epididymitis führen kann, auszuschließen. Zudem kann eine Orchitis infolge eines Traumas entstehen. In diesem Zusammenhang kann es z.B. zur Aszension von Urin über den Vas deferens kommen, was eine nicht-infektiöse Orchitis auslöst. Auch kann es im Zusammenhang mit einem Trauma nach Beschädigung der Blut-Hoden-Schranke zu einer autoimmunen Orchitis kommen. Bei einer akuten, vermeintlich infektiös-bedingten Orchitis sollte umgehend eine antibiotische Therapie mit einem Antibiotikum, welches Blut-Hoden-Schranken-gängig ist, z.B. mit Trimethoprim-Sulfonamiden oder einem Gyrasehemmer, eingeleitet werden, zudem eine Infusionstherapie, Gabe eines Antipyretikums und eines NSAIDs. Lokales Kühlen verschafft dem Rüden Erleichterung und kann helfen, dauerhafte Schädigung der Spermatogenese zu verhindern bzw. zu reduzieren. Idealerweise sollten bakteriologische Proben genommen werden, um eine Erregeridentifikation zu ermöglichen. Zum Ausschluss/zur Bestätigung von Brucella canis kann eine PCR von Sperma, Urin, Blut und/oder einem Präputialabstrich eingeleitet werden, außerdem sollte eine Serologie zur Antikörpertiterbestimmung erfolgen. Bei positivem Brucella canis Nachweis (PCR und/oder Serologie) sollte der Rüde umgehend kastriert werden. Eine langfristige Doppelantibiose wird ebenfalls empfohlen sowie regelmäßige Kontrollen, da die Erregerelimination schwierig und langwierig ist. Alternativ wird eine Euthanasie in den Lehrbüchern angeraten, nicht zuletzt aufgrund des zoonotischen Potentials. Auch bei Orchitiden anderer Genese ist trotz langfristiger (4-6wöchiger) adäquater antibiotischer Therapie das Rezidivrisiko recht hoch, so dass bei nicht zur Zucht genutzten Rüden eine zeitnahe Kastration angeraten ist. Wird die Infektion nicht optimal therapiert, ist mit dem Übergang zur chronischen Orchitis, die mit einer dauerhaften Infertilität assoziiert ist, zu rechnen. Prostataerkrankungen Prostataerkrankungen sind jedem geläufig, meist handelt es sich um eine akute BPH mit Prostatazysten. Einen akuten Notfall stellt jedoch die akute Prostatitis dar. Betroffene Hunde zeigen ein hochgradig gestörtes Allgemeinbefinden mit Anorexie und ggf. Vomitus, Fieber, haben Blut im Urin und Ausfluss aus dem Penis und zeigen einen steifen Gang mit Bewegungsunlust. Die Infektion kann aszendierend sein über die Urethra, aber auch deszendierend von einer Zystitis oder Nephritis. Die Diagnose wird anhand der Klinik mittels rektaler Palpation der Prostata, Sonographie und Labordiagnostik verifiziert. Eine Feinnadelbiopsie sowie eine bakteriologische Untersuchung einer Prostataspülprobe oder ggf. von Zystozentheseurin (nur 50 % Übereinstimmung mit der Prostata-BU) dient der finalen Bestätigung und der Erregeridentifikation, um ein Antibiotikum gemäß Antibiogramm zu wählen. Aufgrund des akuten Geschehens und des Schweregrades ist jedoch ein unmittelbarer Therapiebeginn mit einem Antibiotikum, welches prostatagängig ist (z.B. Trimethoprim- Sulfonamide, Gyrasehemmer) indiziert. Die antibiotische Therapie gemäß Resistenztest wird über ca./min. 4 Wochen empfohlen, um eine Elimination des Erregers zu erzielen und die Rezidivrate zu reduzieren. Idealerweise sollte ca. 1 Woche vor Absetzen der Therapie eine Kontrolluntersuchung gemacht werden, ebenso wie 4 Wochen nach Ende der Therapie. Insbesondere zu Beginn der Behandlung sollte ebenfalls eine antiphlogistische und antipyretische sowie gegebenenfalls eine Infusionstherapie eingeleitet werden, um das klinische Befinden positiv zu beeinflussen. Ein weiterer Prostata-Notfall ist der Prostata-Abszess. Dieser erfordert eine ultraschallgestützte Aspiration oder (besser) eine chirurgische Resektion mit Omentalisierung begleitet von einer Langzeitantibiose und 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 83

Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ NSAIDs. Im Fall einer spontanen Ruptur eines Prostata-Abszesses kann dies lebensbedrohlich für den Patienten sein und eine Intensivbehandlung mit Schocktherapie ist unabdingbar. Literatur 1. Christensen BW. Canine Prostate Disease. Vet Clin North Am Small Anim Pract. 2018;48(4):701-719. doi: 10.1016/j.cvsm.2018.02.012. 2. Günzel-Apel AR, Bostedt H. Reproduktionsmedizin und Neonatologie von Hund und Katze. Schattauer. 2016 3. Lea C, Walker D, Blazquez CA, Zaghloul O, Tappin S, Kelly D. Prostatitis and prostatic abscessation in dogs: retrospective study of 82 cases. Aust Vet J. 2022;100(6):223-229. doi: 10.1111/avj.13150. Kontakt Prof. Dr. Sandra Goericke-Pesch; Reproduktionsmedizinische Einheit der Kliniken – Klinik für Kleintiere, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover Sandra.Goericke-Pesch@tiho-hannover.de 84 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Blasser Patient und gestresste Tierärztin - bei der Anämie hilft ein systematischer Ansatz Iwan A. Burgener Interne Medizin Kleintiere, Vetmeduni Wien Klinische Symptome Blasse Schleimhäute sind ein häufiges klinisches Symptom bei Hunden und Katzen und können auf verschiedene Erkrankungen hinweisen. Die 3 zentralen Mechanismen dabei sind eine (physiologische) Vasokonstriktion (v.a. bei Angst und Stress) sowie eine Reduktion der peripheren Durchblutung (Dehydratation, Hypovolämie, Schock) oder Anämie. Patienten mit schwerem Blutverlust können zudem mit Anämie und Schock gleichzeitig vorstellig werden. Deshalb ist es wichtig, sich die klinischen Symptome ganz genau anzuschauen, um v.a. eine Hypovolämie nicht mit einer Anämie zu verwechseln. Da Schock und Anämie zu lebensbedrohenden Notfällen führen können, ist die klinische Einschätzung des Patienten zentral, um diesen zu stabilisieren und gezielt aufzuarbeiten. Die kompensatorischen Mechanismen können bei Anämie und Schock teils überlappen: • Tachykardie und erhöhtes Herzminutenvolumen • Zentralisation von Blut zu lebenswichtigen Organen • • • Milzkontraktion Hund • selektive Vasokonstriktion reduzierte Aktivität vermehrte Erythropoese, messbar frühestens nach 2-3 Tagen Die klinischen Symptome einer Anämie sind vom Schweregrad der Anämie, der Geschwindigkeit des Auftretens, der Zeit für die Adaptation, dem zusätzlichen Verlust von Plasmavolumen und der kardiovaskulären Funktion abhängig. Wichtige klinische Symptome: • blasse Schleimhäute • Tachykardie • Lethargie • verminderte Leistungsfähigkeit Mögliche andere klinische Symptome: • offensichtliche Blutungen o Magendarmtrakt o Harntrakt o Epistaxis • Petechien, Echymosen • • • Herzgeräusch schlechte Perfusion Ikterus Hämatemesis, Mälena, Hämatochezie Hämaturie, Hämoglobinurie u.a.m. kalte Extremitäten, Schock v.a. prähepatisch wegen Hämolyse Anämie Anämie ist der häufigste Grund für blasse Schleimhäute und kann u.a. durch Blutungen (+/- Eisenmangel), Gerinnungsstörungen, Infektionen, Autoimmunerkrankungen, (para-)neoplastisch oder genetische Störungen verursacht werden (wichtigste Ursachen siehe Tabelle 1). Der diagnostische und therapeutische Plan für eine Anämie richtet sich v.a. danach, ob die Anämie regenerativ ist oder nicht. Eine nichtregenerative Anämie ist die Folge einer ungenügenden Produktion von Erythrozyten durch das Knochenmark nach Stimulation durch 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 85

Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Erythropoietin, wohingegen eine regenerative Anämie entweder durch erhöhte Zerstörung (Hämolyse) oder durch Blutverlust (Hämorrhagie) zustande kommt. Regenerativ oder nicht? Der diagnostische und therapeutische Plan für eine Anämie richtet sich v.a. danach, ob die Anämie regenerativ ist oder nicht (wichtigste Ursachen siehe Tabelle 1). Eine nichtregenerative Anämie ist die Folge einer ungenügenden Produktion von Erythrozyten durch das Knochenmark, wohingegen eine regenerative Anämie entweder durch erhöhte Zerstörung der Erythrozyten (Hämolyse) oder durch Blutverlust (Hämorrhagie) zustande kommt. Regeneration kann man am besten erkennen durch Untersuchung der Blutausstriche mit einer Spezialfärbung für Retikulozyten (z.B. Methylenblau) oder dem Auffinden von Polychromasie (z.B. Wright’s stain). Bei neueren Geräten können die Retikulozyten auch auf dem Dot Plot gesehen werden. Andere Befunde wie Anisozytose, Howell-Jolly Körperchen und kernhaltige Erythrozyten wie Normoblasten sind keine spezifischen Indikatoren für eine adäquate Erythrozyten-Regeneration bei Hund und Katze. Die Retikulozyten sind zumeist als % der Erythrozyten dargestellt und müssen um den Hämatokriten korrigiert werden, um die Regeneration genauer anzuschauen. So ist z.B. eine (unkorrigierte) Retikulozytenzahl von 2 % bei einem Hkt von 10 % viel weniger beeindruckend als bei einem Hkt von 35 %. Eine einfache Korrektur um einen „Durchschnitts-Hämatokriten (Hkt)“ ergibt die zuverlässigere korrigierte Retikulozytenzahl: korrigierte Retikulozytenzahl (%) = ----------------------- x Retikulozytenzahl (%) gemessener Hkt normaler Hkt Für diese Berechnung beträgt der normale Hkt 45 % (Hund) resp. 35 % (Katze). Als Daumenregel gilt eine Anämie mit einer korrigierten Retikulozytenzahl von > 1 % als regenerativ. Als absoluter Wert ist die gleiche korrigierte Retikulozytenzahl bei der Katze indikativ für eine signifikantere Regeneration als beim Hund. Zudem kann eine absolute Retikulozytenzahl aus den % Retikulozyten und der Gesamtzahl der Erythrozyten errechnet werden: Absolute Retikulozytenzahl = absolute Erythrozytenzahl x Retikulozyten (%) Bei der absoluten Retikulozytenzahl spricht man beim Hund bei > 60'000/ul und bei der Katze bei > 50'000 /ul von regenerativ. Aufarbeitung regenerativer Anämien Beim diagnostischen Plan für eine regenerative Anämie sollte zuerst unterschieden werden zwischen Blutverlust und Hämolyse. Bei den meisten hämolytischen Problemen sind die Totalproteine (TP) normal, wohingegen diese bei Blutverlust häufig zu tief sind. Körperausscheidungen (Vomitus, Kot, Urin) und Körperhöhlen sollten auf das Vorhandensein von Blut untersucht werden. Falls eine Hämorrhagie festgestellt wird und deren Ursache nicht offensichtlich ist, so sollten als erstes die Plättchenzahl und ein Gerinnungsprofil bestimmt werden, um primäre oder sekundäre Gerinnungsprobleme auszuschließen. Beim Vorhandensein von gerötetem Urin kann ohne Zentrifugation nicht zwischen Hämaturie oder Hämoglobinurie oder Myoglobinurie unterschieden werden. Der Harn kann intakte Erythrozyten (= Hämaturie), Hämoglobin (= Hämoglobinurie) oder Myoglobin (= Myoglobinurie) enthalten, weshalb auch das Harnsediment genauer angeschaut werden sollte. Das Fehlen von Erythrozyten oder Erythrozyten-Bruchstücken lässt auf eine Hämoglobinurie infolge intravaskulärer Hämolyse schließen oder seltener auf eine Myoglobinurie infolge schwerer Muskelnekrose. 86 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Tabelle 1: Die wichtigsten Ursachen von regenerativen und nichtregenerativen Anämien beim Kleintier regenerative Anämie Blutverlust (Hämorrhagie) regenerative Anämie Hämolyse Trauma Gerinnungsprobleme primär Thrombozytopenie Thrombozytopathie Von Willebrand Disease sekundär Faktorenmangel (v.a. Leberprobleme) DIC Chirurgie Gastrointestinal Ulzerationen NSAID, Glukokortikoide FK, Neoplasie, … Parasiten, IBD, … Innere Blutungen Milz, Leber, … urogenitale Probleme u.a.m. Parasiten Babesien Mycoplasma haemofelis u.a. Cytauxzoon felis Herzwürmer u.a.m. Immunvermittelt primär oder sekundär (IMHA, ITP, …) Infektiös Ehrlichiose, Anaplasmose Herzwürmer FeLV, FIV, FIP u.a.m. Mikroangiopathie Trauma Medikamente Paracetamol u.a.m. Toxine Zwiebeln Kupfer Zink u.a.m. Leberprobleme osmotische Probleme Hypophosphatämie Metabolische Defekte Malamut: Stomatozyten Basenji: Pyruvatkinasedefiz. Springer Spaniel: Phospho- fruktokinasedefizienz Katzen: Porphyrie nichtregenerative Anämie Produktionsproblem (Knochenmark (KM), Niere) vermindertes Erythropoietin Niereninsuffizienz Hypothyreose Hypoadrenokortizismus andere endokrine Störungen Chronische Erkrankungen Entzündungen Neoplasien zytotoxische KM-Schädigung chemisch Medikamente (Chemo!) Pilztoxine physikalisch Bestrahlung immunvermittelt Erythrozyten-Aplasie Myelophthistische Erkrankungen Tumor Granulom Fibrose Leukämie Kernteilungsprobleme Vit. B12- / Folsäuremangel Sulfonamide, Methotrexat abnormale Erythrozytenreifung Erythroleukämie FeLV, FIV Hämsyntheseprobleme Bleivergiftung Chloramphenicol Eisenmangel Ausnahme: PERAKUTE Blutung! (noch nicht regenerativ…) Hinweise auf eine mögliche Hämolyse können schon bei der Blutentnahme auftreten, v.a. wenn schon sichtbare Agglutination auftritt. Diese kleinen Flocken bei der Blutentnahme können auf eine echte Autoagglutination hinweisen (löst sich nicht beim Mischen von 1 Tröpfchen EDTA-Blut mit 1-5 Tröpfchen NaCl auf Objektträger; Zeichen für immunvermittelt; Coombs’ nicht mehr nötig!) oder Zeichen einer Geldrollen- Bildung sein (löst sich beim Mischen auf Objektträger; z.B. bei Entzündung, Sepsis oder Neoplasien). Ikterus 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 87

Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ sowie erhöhte Bilirubinurie und Hämoglobinurie weisen auf ein hämolytisches Geschehen hin. Wenn eine Hämolyse vermutet wird, so sind zusätzliche Tests angebracht, wobei der Blutausstrich als erstes auf das Vorhandensein von Sphärozyten (IMHA!), Blutparasiten (z.B. Babesien, Mycoplasma spp.), Heinz-Körperchen oder Stomatozyten untersucht werden sollte. Falls eine Hämolyse definitiv bestätigt wurde, so sind je nach Fall weitere Untersuchungen bzgl. der Ursache notwendig wie z.B. der Coombs’ Test, FeLV/FIV SNAP-Test (Katze), Untersuchung auf Blutparasiten (Ausstrich, Serologie, PCR) wie Babesien, Mycoplasma spp. oder Ehrlichiose, Anaplasmose oder evtl. Herzwürmer. Aufarbeitung nichtregenerativer Anämien Der diagnostische Plan bei einer nichtregenerativen Anämie beinhaltet die Analyse der Erythrozytenindizes, um die Größe der Erythrozyten und deren Hämoglobingehalt zu bestimmen (siehe Tabelle 2). Makrozytäre Anämien treten bei Krankheiten auf, welche die Kernteilung behindern (z.B. Vitamin B12- und Folsäuremangel). Mikrozytose hingegen wird v.a. bei Krankheiten gesehen, welche die Hämsynthese hemmen (v.a. Eisenmangel). Dazu sollten zusätzlich die Leukozyten und die Thrombozyten angeschaut werden, da gewisse Krankheiten im Knochenmark nicht nur die Erythrozyten betreffen. Bei Katzen mit nichtregenerativen Anämien sind FeLV- und FIV-Tests sehr wichtig und sollten schon früh gemacht werden, da diese zwei Viruserkrankungen für sehr viele nichtregenerative Anämien bei der Katze verantwortlich sind. Beim Hund sind je nach Vorgeschichte und Aufenthalten gewisse Serologien/PCRs zu machen (v.a. Anaplasma phagocytophila und Ehrlichia canis). Zudem sollten auch hier die TP angeschaut werden, da eine Hypoproteinämie auf chronischen Blutverlust mit zusätzlichem Eisenverlust hinweisen könnte. Tabelle 2: Ursachen von Anämien klassifiziert aufgrund der Erythrozytengröße (MCV = mittleres korpuskuläres Volumen) mikrozytär Eisenmangel chronischer Blutverlust Magendarmtrakt Harntrakt Reproduktionstrakt Mangel im Futter Malabsorption Eisensequestration (v.a. Lunge) chronische intra- vaskuläre Hämolyse portosystemischer Shunt Akita + Shiba Inu normal! 88 normozytär Knochenmarksintoxikation Chloramphenicol Bleivergiftung Chemotherapie Östrogene makrozytär makrozytär-normo-chrom häufig bei FeLV hormoneller Einfluss ↓ chron. Niereninsuffizienz Hypothyreose Hypoadrenokortizismus inadäquates Futter Proteinverlust chronische Entzündungen chronische Infektionen FeLV, FIV chronische Ehrlichiose myeloproliferative Erkrankungen Erythrozytenaplasie Autoimmunproblem (z.B. SLE) Sulfonamide Methotrexat Folsäuremangel Vit. B12-Mangel 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Je nach Patienten sollte auch der Kot auf Wurmeier (v.a. Haken- und Peitschenwürmer) oder Protozoen (Giardien, Tritrichomonas foetus bei der Katze) untersucht werden, da dadurch chronischer Blut- und Eisenverlust durch den Magendarmtrakt verursacht werden kann. Ebenfalls endokrine und metabolische Probleme (z.B. chronische Niereninsuffizienz) können nichtregenerative Anämien verursachen, welche zumeist normozytär und normochrom sind wie die meisten Anämien von chronischen Problemen. Differentialdiagnosen bei Anämien mit Erythrozyten normaler Größe (= normal size): • N ormal pregnancy • O verhydration • R enal diseases • M yelophthistic anemia (KM durch Tumor/Granulom/Fibrose/Leukämie ersetzt) • A cute blood loss • L ymphoma/Leukemia I nflammation • S ystemic • • Z ero production • E ndocrine disorders Eine Knochenmarksaspiration schlussendlich ist angezeigt, falls die Ursache der Anämie mit einem vollständigen Blutbild, Gerinnungsstatus, Urinanalyse und Tests auf Infektionserreger nicht gefunden werden konnte oder Hinweise bestehen, dass mehrere Zelllinien im Knochenmark betroffen sind. Eine Knochenmarksaspiration kann auch hilfreich sein zur Evaluation von zytotoxischen Schäden, myelophthisischen Problemen, abnormaler Reifung der Erythrozyten, Interferenzen bei der Hämsynthese oder bei Verdacht auf Neoplasien, welche das Knochenmark (mit-) betreffen. Zudem kann bei der Knochenmarksaspiration auch gleich eine Knochenmarksbiopsie für die pathologische Analyse mitgenommen werden. Therapie Es liegt in der Natur der Krankheiten, dass die Therapie der Anämie sehr stark von ihrer Ursache abhängig ist. Bei einer traumatischen oder chirurgischen Anämie gilt es, die Blutungen möglichst schnell zum Stillstand zu bringen. Bei Blutungen infolge von Gerinnungsproblemen sollte falls möglich die Ursache bekämpft werden (z.B. Leberprobleme) und mit entsprechenden Blutprodukten therapiert werden (v.a. frisch gefrorenes Plasma bei sekundären Gerinnungsproblemen, falls vorhanden Plättchen-reiches Plasma bei Thrombozytopenien). Bei Katzen sollte relativ schnell ein FeLV/FIV-Test gemacht werden, da ein positives Resultat die Prognose deutlich verschlechtert. Generell gilt es immer, falls möglich die Ursache zu eliminieren, den Kreislauf zu stabilisieren (Kristalloide +/- Kolloide) und allenfalls Blutprodukte zum Einsatz zu bringen (siehe auch Animal Blood Bank; https://bsanimal.pt). Bei einem Verdacht auf eine IMHA ist es grundsätzlich nie falsch, neben dem Stabilisieren mit Doxycyclin zu beginnen (5 mg/kg q12h PO), da dies sowohl für Mycoplasma hemofelis bei der Katze als auch bei Anaplasma phagocytophila und Ehrlichia canis die Therapie der Wahl darstellt (Serologien/PCRs nicht vergessen!). Bevor immunsuppressive Dosen von Prednisolon (~1-2 mg/kg q12h PO) zum Einsatz gebracht werden, sollte man sicher sein, dass alle nötigen Proben entnommen wurden wie z.B. eine Knochenmarksaspiration, da nach Glukokortikoidtherapie die Diagnose oft stark erschwert oder verunmöglicht wird und allenfalls die ursächliche Therapie erschwert wird (z.B. mögliche Resistenzen gegen Chemotherapeutika bei einer Anämie sekundär zu einem Lymphom). 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 89

Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Literatur 1. Garden OA, Kidd L, Mexas AM, et al. ACVIM consensus statement on the diagnosis of immune-mediated hemolytic anemia in dogs and cats. J Vet Intern Med 2019;33(2):313-334. 2. Swann JW, Garden OA, Fellman CL, et al. ACVIM consensus statement on the treatment of immune-mediated hemolytic anemia in dogs. J Vet Intern Med 2019;33(3):1141-1172. Kontaktadresse Prof. Dr. Iwan A. Burgener; Department für Kleintiere und Pferde, Veterinärmedizinische Universität Wien, Österreich iwan.burgener@vetmeduni.ac.at 90 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Ungebremst in die Katastrophe - der hypokalzämische Notfall! Florian K. Zeugswetter VetMedUni Vienna, Österreich Der krampfende Hund Krampfanfälle (Seizures) sind die häufigste neurologische Erkrankung beim Hund und einer von 10 Fällen kann auf toxische oder metabolische Ursachen zurückgeführt werden (1). Bei den metabolischen Ursachen dominieren mit je 32 % und 10 % die Hypoglykämie, beziehungsweise die Hypokalzämie. In einer Studie mit 14 Hunden mit Muskelkrämpfen ohne Bewusstseinsverlust war die Hypokalzämie mit einem Anteil von 79 % die häufigste diagnostizierte Ursache (2). Während die beim akuten Anfall übliche Therapie mit Midazolam bzw. Antiepileptika hier eine gewisse Verbesserung bewirken, führt nur die rechtzeitige und gezielte Kalziumgabe zum endgültigen Erfolg. Die Kalziumbestimmung ist folglich ein essenzieller Bestandteil der Aufarbeitung von krampfenden Patienten. Klinische Zeichen/Symptome sind bei Gesamtkalziumwerten (tCa) unter 1.6 mmol/l (<6,5 mg/dl), bzw. ionisierte Kalziumwerten (iCa) von 0.8 mmol/l (<3,2 mg/dl) zu erwarten. In seltenen chronischen Fällen können Hunde bis tCa Werten von 1,2 mmol/l (5 mg/dl) symptomfrei bleiben (3). Gesamt oder ionisiertes Kalzium? Kalzium (Ca) ist im Blut in drei Fraktionen vertreten. Neben dem proteingebundenen Anteil (80-90 % Albumin-gebunden) liegt es als komplexiertes (mit Bikarbonat, Zitrat, Fettsäuren, Laktat, Phosphat oder Sulfat) und freies iCa vor. Nur das iCa (~56 % vom Gesamtkalzium) ist metabolisch aktiv und wird aufgrund seiner großen Bedeutung z.B. bei der Erregbarkeit von Nervenzellen sehr eng kontrolliert. Um eine klinisch relevante Hypokalzämie sicher erkennen zu können und falsch positive Befunde zu vermeiden, wird die Bestimmung des iCa empfohlen. Dies betrifft besonders Hunde mit Proteinverlusten über den Darm oder die Nieren und einer damit einhergehenden Hypoalbuminämie. Bei diesen Tieren ist der proteingebundene Anteil und damit das Gesamtkalzium (tCa) erniedrigt, das iCa aber in der Regel normal. In einer erst kürzlich veröffentlichten Studie mit 52 Hunden mit erniedrigtem tCa hatten nur 31 (60 %) tatsächlich auch ein erniedrigtes iCa (4). Da das iCa in der Praxis selten bestimmt werden kann und gerade im Notfall rasche Befunde gefragt sind, wurden schon früh Korrekturformeln unter Einbeziehung des tCa und der Albuminkonzentrationen untersucht. Diese wurden später aber als ungeeignet befunden und verworfen bzw. als obsolet bezeichnet (5). Das Thema adjusted Ca (aCa) wurde jedoch in einer 2021 publizierten Studie mit modernen Messmethoden erneut aufgegriffen (6). Bei 262 Hunden mit Hypoalbuminämie (<2,5 /L) und nicht erhöhtem Phosphor wurden das tCa und iCa bestimmt und danach das korrigierte tCa (Korrekturformel: aCa = tCa ((mg/dL) – Albumin (g/dl) + 3,5 (g/dL)) und das tCa auf die diagnostische Eignung zur Diagnose einer moderaten und damit klinisch relevanten Hypokalzämie (iCa- Werte <1,02 mmol/L) untersucht. Die Sensitivität beider Werte (Grenzwert tCa 1,75 mmol/l; Grenzwert aCa 2,35 mmol/l) war 100 %, bei einer sehr guten Spezifität von 96 und 94 %. Unter der Verwendung spezifischer Grenzwerte führte die Korrekturformel also zu keiner Verbesserung der diagnostischen Aussagekraft. Die Studie zeigte aber, dass tCa ein geeigneter erster Screening Test ist und ein Wert >1,75 mmol/l bei einem Hund mit nicht erhöhtem Phosphor eine „klinisch relevante“ Hypokalzämie so gut wie ausschließt. Klinische Zeichen der Hypokalzämie Spannungsabhängige Natriumkanäle spielen bei der Erzeugung und Fortführung von Aktionspotentialen von erregbaren Zellen eine zentrale Rolle. Im geöffneten Zustand strömt Natrium in die Zelle und das Membranpotential wir positiv (Depolarisation). Zu den erregbaren Zellen zählen neben Nervenzellen, auch Muskel- und sekretorische Zellen. Der Zustand der Natriumkanäle (geöffnet oder geschlossen) wird durch das Membranpotential, aber auch die intrazelluläre Kalziumkonzentration bestimmt. Bindeglied zwischen den Kanälen und Kalzium ist ein kleines Protein (Calmodulin) welches nach Bindung von Kalzium seine Form ändert und so als Signalvermittler fungiert. Bei steigenden Ca-konzentrationen interagiert Calmodulin mit den Natriumkanälen und führt zur Inaktivierung und verminderten Erregbarkeit. Ein Ca-Mangel bewirkt das Gegenteil und Aktionspotentiale werden leichter ausgelöst (7). Die klinischen Zeichen der Hypokalzämie 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 91

Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ basieren auf übererregten motorischen, sensiblen so wie vegetative Nervenzellen, wobei sie individuell stark variieren können. Im Vordergrund stehen Tremor, Muskelfaszikulationen, spastische Abduktion einer Extremität (meist vorne) oder steifer Gang, Muskelkrämpfe bis hin zu generalisierten epileptiformen Anfällen, Übererregbarkeit, Geräusch-, Berührungs- und Lichtempfindlichkeit, Vokalisation, Parästhesien mit Reiben der Schnauze und Nagen an den Pfoten, sowie gastrointestinale Symptome wie Inappetenz, Erbrechen oder Koliken (8,9). Auch Lethargie, Polydipsie/Polyurie, Alopezie, trockene Haut und Cataracta punctata oder lineata werden beobachtet. Ursachen der Hypokalzämie Obwohl zahlreiche Ursachen der Hypokalzämie beschrieben werden und ein leicht bis moderat erniedrigte iCa-Konzentrationen im Intensivbereich sehr häufig sind (Sepsis, Trauma, Pankreatitis, Ketoazidose, Rhabdomyolyse, Nierenversagen, Urethraobstruktion, Tumor Lysis Syndrom, Proteinverlust Enteropathie, nach Phosphor-hältigen Einläufen- Cave Katzen!) werden hypokalzämische Krämpfe vor allem beim primären Hypoparathyroidismus, 1-3 Wochen post-Partum bei kleinen Rassen und seltener bei der Frostschutzmittelvergiftung beobachtet (3,10,11). Da ein Magnesiummangel mit einer verminderten Parathormonsekretion und Wirkung assoziiert ist, sollte im Rahmen der Abklärung immer auch die Magnesiummessung berücksichtigt werden (12). Therapie der Hypokalzämie Bis zur Diagnose „Hypokalzämie“ ist beim krampfenden Patienten Midazolam 0,2 mg/kg IV oder IM eine gute Wahl. Im Falle der Hyperthermie ist das Befeuchten der Akren und konvektive Kühlung (Ventilator) indiziert. Die Therapie der Hypokalzämie muss individuell angepasst werden, besteht aber primär aus einer intravenösen Kalziumglukonatgabe (Kalziumglukonat 10 % 0,5-1 ml/kg) langsam über 20 Minuten bis zum Effekt. Das Ziel ist eine Ca-Konzentration im unteren Normalbereich. Da es bei schneller Gabe zur Bradykardie kommen kann, sollte die Herzfrequenz beobachtet und wenn möglich eine EKG-Überwachung initiiert werden (3,13). Nach der Bolusgabe ist eine Dauertropfinfusion mit 0,1-0,3 ml/kg/h sinnvoll. Wenn möglich sollte die Verabreichung i.v. erfolgen, da selbst stark vedünnte Kalziumlösungen bei s.c. Verabreichung zu Nekrosen und Kalzinosis kutis führen können. Auf das stark reizende Kalziumchlorid sollte verzichtet werden. Alkalisierende Lösungen erhöhen die Proteinbindung des iCa und sind ebenso wie Schleifendiuretika, Glukokortikoide, Cimetidin oder Phenobarbital kontraproduktiv. Mit der oralen Kalziumgabe sollte man so früh wie möglich starten. Die Gabe von elementarem Ca (eCa) 25-50 mg/kg/Tag aufgeteilt auf 2 bis 4 Gaben hat sich bewährt. Geeignete Präparate sind Kalziumglukonat (1 mg eCa in 11,2 mg), Kalziumlaktat (1 mg eCa in 7,7 mg), Kalziumzitrat (1 mg eCa in 4,7) und Kalziumkarbonat (1 mg eCa in 2,5 mg). Sehr gut geeignete Vitamin D Präparate sind Calcitriol (10-15 ng/kg/day BID über 3-5 Tage, dann 2,5 bis 7,5 ng/kg/Tag BID) oder Alphacalcidol (EinsAlpha® 2µg/ml Tropfen, 1 Tropfen = 100 ng) 10-30 ng/kg/Tag SID, später Dosisreduktion). Diese Präparate eignen sich wegen des verzögerten Wirkungseintritts nach 3-4 h und einem Wirkmaximum erst nach 3 - 5 Tagen nicht für die Therapie des hypokalzämischen Notfalls. Säugende Welpen unter 4 Wochen sollten 24 h von der Hündin entfernt, bzw. ältere Welpen wenn möglich abgestillt werden. Literatur 1. Brauer C, Jambroszyk M, Tipold A. Metabolic and toxic causes of canine seizure disorders: A retrospective study of 96 cases. Vet J. 2011;187(2):272-275. 2. Gagliardo T, Ruggeri R, Di Paola A, et al. Clinical features of muscle cramp in 14 dogs. J Vet Intern Med. 2021;35(1):372-377. 3. Schenck PA and Chew D: Hypocalcemia in dogs. In.: Clinical Endocrinology of Companion Animals, J. Rand (Ed.), 4. 5. Wiley-Blackwell, Ames, 2013. pp 315-325. Lebastard M, Cuq B, Sharman MJ, et al. Diagnostic performance of predicted ionized calcium in dogs with total hypercalcemia and total hypocalcemia. Vet Clin Pathol. 2021;50(4):515-524. de Brito Galvão JF, Schenck PA, Chew DJ. A Quick Reference on Hypocalcemia. Vet Clin North Am Small Anim Pract. 2017;47(2):249-256. 92 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ 6. De Witte F, Klag A, Chapman P. Adjusted calcium concentration as a predictor of ionized hypocalcemia in hypoalbuminemic dogs. J Vet Intern Med. 2021;35(5):2249-2255. 7. Wu X, Hong L. Calmodulin interactions with voltage-gated sodium channels. Int J Mol Sci. 2021;22(18):9798. 8. Bruyette DS, Feldman EC. Primary hypoparathyroidism in the dog. Report of 15 cases and review of 13 previously reported cases. J Vet Intern Med. 1988;2(1):7-14. 9. Russell NJ, Bond KA, Robertson ID et al. Primary hypoparathyroidism in dogs: a retrospective study of 17 cases. Aust Vet J. 2006;84(8):285-290. 10. Coady M, Fletcher DJ, Goggs R. Severity of Ionized hypercalcemia and hypocalcemia Is associated with etiology in dogs and cats. Front Vet Sci. 2019;6:276. 11. Davidson AP. Reproductive causes of hypocalcemia. Top Companion Anim Med. 2012;27(4):165-166. 12. Woods GA, Oikonomidis IL, Gow AG, et al. Investigation of hypomagnesaemia prevalence and underlying aetiology in a hospitalised cohort of dogs with ionised hypocalcaemia. Vet Rec. 2021;189(9):e301. Kontaktadresse PD Dr. Florian K. Zeugswetter, VetMedUni Vienna, Österreich florian.zeugswetter@vetmeduni.ac.at 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 93

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Rote Flecken überall – kühlen Kopf bewahren bei Hämostasestörungen! Iwan A. Burgener Interne Medizin Kleintiere, Vetmeduni Wien Hämostasestörungen Hämostasestörungen bei Hunden und Katzen sind ein wichtiger Aspekt v.a. in der Notfallmedizin. Sie können schnell lebensbedrohlich werden und erfordern eine genaue Diagnose und Behandlung. Dabei sind v.a. hochgradige Thrombozytopenien und Gerinnungsstörungen sowie die disseminierte intravaskuläre Gerinnung (DIG) zu beachten. Die DIG ist ein Syndrom, welches durch systemische Mikrothrombose gekennzeichnet ist und zu lebensbedrohenden Blutungen führen kann. Verschiedene Krankheiten können diese pathologische Aktivierung der Gerinnungskaskade auslösen und kleine Blutgerinnsel bilden, welche ihrerseits wiederum Gerinnungsfaktoren und Plättchen verbrauchen. Um bei Hämostasestörungen ruhig und gezielt arbeiten zu können ist es hilfreich, sowohl die klinischen Symptome richtig einzuschätzen wie auch die wichtigsten Bestandteile der Hämostase zu kennen und adäquat zu interpretieren. Die primäre Hämostase funktioniert durch ein Zusammenspiel von Blutgefäßwand, Thrombozyten und Von-Willebrand-Faktor, während die sekundäre Hämostase auf die Gerinnungsfaktoren angewiesen ist, welche fast alle in der Leber hergestellt werden. Die Gerinnungshemmung und die Fibrinolyse wiederum sind notwendig, um das System möglichst im Gleichgewicht zu halten. Die wichtigsten Bestandteile der Hämostase • primäre Hämostase o Blutgefäßwand o Thrombozyten o Von-Willebrand-Faktor • sekundäre Hämostase o Gerinnungsfaktoren (alle außer Faktor 8 in der Leber synthetisiert!) • fibrinolytisches System • Gerinnungshemmung Die wichtigsten Tests der Hämostase • primär o Thrombozytenzahl o Schleimhautblutungszeit (< 4 min beim Hund) o vWF-Bestimmung • sekundär o PT o aPTT o PT + aPTT o Fibrinogen o ACT o PIVKA Prothrombinzeit (extrinsisch) aktivierte partielle Thromboplastinzeit (intrinsisch) verlängert, wenn die einzelnen Faktoren unter 30 % sinken activated clotting time (~aPTT; intrinsisch) proteins inhibited by vitamin K antagonism/absence • Fibrinolyse o FSPs (FDPs) o D-Dimere Fibrinspaltprodukte (fibrin degradation products) • globale Tests der Hämostase o Beurteilung der Hämostase einschließlich Bildung und Abbau von Blutgerinnseln  Thromboelastographie TEG  Thromboelastometrie ROTEM 94 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________  ClotPro Klinische Symptome bei Hämostasestörungen • Patienten mit Störungen der primären Hämostase zeigen oft Petechien in Schleimhäuten und Haut (Ohrinnenseite, Bauch, Innenschenkel) • Patienten mit Störungen der sekundären Hämostase (d.h. mit Gerinnungsstörungen) zeigen oft Echymosen, Hämatome oder Blutungen in Muskulatur, Gelenke und Körperhöhlen • Epistaxis und Blutungen in den Magendarmtrakt kommen sowohl bei Störungen der primären als auch der sekundären Hämostase vor Thrombozyten Der Durchmesser von Thrombozyten beim gesunden Hund ist zwischen 2-4 μm, etwa ¼ - ½ der Erythrozyten. Die Plättchen bei der Katze variieren mehr und sind im Schnitt grösser als beim Hund. Verglichen mit den Katzenerythrozyten sind sie etwa ¼ bis fast gleich groß. Als vergrößerte Plättchen werden sowohl beim Hund als auch bei der Katze jene angesehen, welche etwa denselben Durchmesser haben wie Erythrozyten. Riesenthrombozyten (z.B. „Stressplättchen“, „Shift Plättchen“ oder Megathrombozyten) sind selten zu sehen und sind zumeist Folge einer aktiven Thrombopoiese oder seltener einer abnormalen Thrombopoiese infolge myelodysplastischer oder myeloproliferativen Problemen oder Myelofibrose. Die Thrombozytopenie ist die häufigste Fehlmessung von hämatologischen Geräten, weshalb eine manuelle Kontrolle bzgl. Thrombozytenzahl und Aggregaten oft nötig ist. Die Plättchenzahl kann grob geschätzt werden in einem Monolayer eines Blutausstriches falls keine großen Plättchenaggregate existieren. Mit dem 100x Objektiv (= 1000x Vergrößerung) unter Öl werden 10 Felder ausgezählt und der Durchschnitt ermittelt, welcher dann mit 15´000 multipliziert wird (= Anzahl/ul). Umgekehrt können etwa 10-30 Plättchen pro 100x- Feld als normal betrachtet werden (10x15´000 = 150´000, 30x15´000 = 450´000). Sobald Plättchenaggregate sichtbar sind, so kann man davon ausgehen, dass zumindest genügend Plättchen für die primäre Hämostase vorhanden sind (d.h. ≥ 50´000). Die wichtigsten Ursachen für eine Thrombozytopenie werden in der Folge aufgelistet. Thrombozyten ≤ 50´000 werden v.a. bei ITP und Sepsis gefunden (ITP meist ≤ 10´000), Thrombozyten ≤ 100´000 passen oft zu DIC, Ehrlichiose oder Anaplasmose. Abnormale Formen oder abnormal granulierte Thrombozyten können auch im peripheren Blut von Patienten mit Knochenmarksproblemen gesehen werden, wobei Myeloproliferation und Katzen mit FeLV-Infektion am wichtigsten sind. Ein vermehrtes Auftreten von kleinen Thrombozyten ist besonders häufig bei immunvermittelter Thrombozytopenie und verschiedenen chronischen Erkrankungen zu sehen, wobei die kleinen Plättchen teils mit den normalen Schwankungen überlappen. Das MPV (mean platelet volume) vom Analyzer kann hier helfen. Generell sind vermehrte Variation in Größe, Granularität, zytoplasmatische Polychromasie und Vakuolisation sowie filamentöse Extensionen Zeichen von vermehrter Aktivierung und sind häufiger bei kranken Tieren zu sehen. Falls nur ein grosses Granulum zu sehen ist in einem Thrombozyten, so muss differentialdiagnostisch an Anaplasma platys gedacht werden. Diese Hunde zeigen oft milde bis mittelgradige, manchmal sogar zyklische Thrombozytopenien. Familiäre oder genetische Defekte sind zumeist nicht mit abnormaler Morphologie gekoppelt und daher nicht im Blutausstrich sichtbar. Die wohl wichtigsten Ausnahmen hierzu sind der Cavalier King Charles Spaniel und der Akita Inu, bei welchen oft physiologisch eine leichte Thrombozytopenie mit vergrößerten Plättchen zu sehen ist. Die wichtigsten Ursachen von Thrombozytopenie 1) erhöhte Zerstörung a. primär immunvermittelt (autoimmun; ITP) b. sekundär immunvermittelt i. Infektionen ii. Medikamente iii. Impfungen c. Mikroangiopathie (z.B. beim Hämangiosarkom) d. Vaskulitis 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 95

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ 2) vermehrter Verbrauch a. disseminierte intravaskuläre Gerinnung (DIG) b. akute schwere Blutungen c. Thrombose in größeren Gefässen 3) vermehrte Sequestration a. Milzprobleme (Splenomegalie, Milzdrehung, starke Milzkongestion, Milztumor) b. Anaphylaxie, Endotoxämie c. Medikamente (z.B. Barbiturate) d. Addison 4) verminderte Produktion Infiltration des Knochenmarks (Leukämie, Myelofibrose, Myelophthisis) a. Panzytopenie (z.B. bei chronischer Ehrlichiose, Fanconi Syndrom, Östrogenintoxikation) b. c. zyklische Hämatopoiese, zyklische Thrombozytopenie d. Chemotherapeutika, Zytostatika e. hochgradige Ernährungsdefizite 5) gemischt oder idiosynkratisch a. bestimmte Infektionen i. v.a. jene, die das Knochenmark beeinflussen (z.B. FeLV, FIV, Histoplasmose) ii. akute virale Infektionen iii. Babesia spp. iv. Rickettsien (Anaplasmose, Ehrlichiose) b. nichtleukämische Neoplasien c. bakterielle Septikämie oder Endotoxinämie d. hochgradige Entzündung oder Nekrose e. Urämie Disseminierte intravaskuläre Gerinnung (DIG) Die disseminierte intravaskuläre Gerinnung (DIG) oder disseminated intravascular coagulopathy (DIC) ist ein Syndrom, welches durch systemische Mikrothrombose gekennzeichnet ist und zu lebensbedrohenden Blutungen führen kann. Verschiedene Krankheiten können diese pathologische Aktivierung der Gerinnungskaskade auslösen und kleine Blutgerinnsel bilden, welche ihrerseits wiederum Gerinnungsfaktoren und Plättchen verbrauchen. Dadurch wird die normale Gerinnung gestört und es treten Blutungen auf, welche sich v.a. in Haut (bei Blutentnahme!), Gastrointestinaltrakt, Respirationstrakt oder chirurgischen Wunden zeigen. Im Verlauf einer DIG kann es zur Unterbrechung der Blutzufuhr zu Organen kommen (z.B. Nieren) oder sogar ein Multiorganversagen entstehen. Krankheiten, welche mit einer DIG einhergehen können • perakut/akut immunvermittelte Probleme o Sepsis (bakteriell, viral, fungal, protozoal) o o Pankreatitis o Verbrennungen/Hitzeschlag o Gefäßveränderungen o starke toxische oder immunologische Reaktionen (z.B. Viper-Biss) o Transfusionsreaktion o massives Leberversagen o massive Gastroenteritis o Trauma o Neoplasie 96 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ • chronisch o Neoplasie o Protein-Verlust Nephropathie (PLN) o Protein-Verlust Enteropathie (PLE) o Herzwurmerkrankung o chronisches Leberproblem o Gefäßveränderungen o Hyperadrenokortizismus Eine klassische DIG geht meistens mit verlängerter PT und aPTT sowie deutlich erhöhten FSPs und D- Dimeren einher. Eine DIG ist häufig die Folge von entzündlichen, infektiösen oder neoplastischen Krankheiten, wobei Gefäßschädigungen, starker Gewebeschaden oder die Freisetzung von aktivierenden Substanzen ursächlich beteiligt sind. Die zentralen Punkte in der Pathogenese von DIG sind: 1. Thrombinproduktion erhöht 2. Unterdrückung der normalen Gerinnungshemmung 3. beeinträchtigte Fibrinolyse 4. Aktivierung der Entzündungskaskade Gewebsfaktor ist der Hauptaktivator der Gerinnungskaskade. In der Folge werden v.a. Faktor IX und VIII und die Thrombozytenoberfläche aktiviert (u.a. durch positives Feedback von Thrombin). Die vermehrte Freisetzung von Gewebsfaktor führt zu Fibrinablagerungen, welche das Fibrinolysevermögen übersteigen. Die Gerinnungshemmung sollte die Gerinnung normalerweise folgende Mechanismen: im Gleichgewicht halten durch • Tissue factor pathway inhibitor (TFPI) ist ein Proteaseinhibitor des TF-Komplexes • gebunden an Thrombin inaktiviert Antithrombin (AT) Thrombin und die Faktoren IXa, Xa, XIa, und TF:FVIIa • das Protein-C : Protein-S (PCPS) System inaktiviert die Faktoren Va und VIIIa irreversibel • die Aktivierung von Plasminogen produziert Plasmin, welches Fibrin und Fibrinogen zu FDPs und Fibrin-Monomeren abbaut • während einer starken Entzündung werden die Antikoagulantien verbraucht und inhibiert und vermehrt Fibrin abgelagert Tabelle 1: mögliche Laborveränderungen im Rahmen einer DIG perakut normal oder ↘ normal oder ↘ normal oder ↘ normal oder ↘ normal oder ↘ normal oder ↗ normal oder ↗ normal oder ↘ akut normal oder ↗ normal oder ↗ normal oder ↗ ↘ normal oder ↘ ↗ ↗ ↗ ↘ chronisch normal normal normal normal normal oder ↘ ↗ normal oder ↗ ↗ normal oder ↘ Test PT aPTT ACT Thrombozyten Fibrinogen Fibrinspaltprodukte D-Dimere Antithrombin Diagnose einer DIG Es gibt keinen Einzeltest, welcher genügend sensitiv oder spezifisch ist für die Diagnose einer DIG. Mögliche perakute, akute und chronische Veränderungen im Verlauf einer DIG sind in Tabelle 1 zusammengefasst. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 97

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Die klassische Diagnose einer DIG beruht auf folgenden Punkten: 1. Erkrankung vorhanden, welche zu einer DIG führen kann 2. Verlängerung der Gerinnungszeiten (v.a. PT, aPTT; zumeist > +25 %) 3. Thrombozytopenie 4. D-Dimere und/oder FSPs und/oder Fibrin erhöht 5. AT vermindert 6. Hinweise auf Erythrozytenfragmentation (Schistozyten, Akanthozyten) Bei negativen D-Dimeren kann eine DIG zu 95 % sicher ausgeschlossen werden! Therapie einer DIG • Sicherstellung von adäquatem kapillärem Blutfluss und Oxygenierung • unterliegendes Problem behandeln (falls bekannt…) • Organe schützen (besonders gefährdet: Lunge, Niere, Darmschleimhaut) • Plasma (frischgefroren), evtl. Vollblut (siehe auch Animal Blood Bank; https://bsanimal.pt) • Antikoagulantien (je nach Situation!) low dose Aspirin o o Clopidogrel (Plättchenaggregationshemmer; Plavix®) o Rivaroxaban (Faktor Xa Inhibitor; Xarelto®) o Heparin?  nur wirksam, wenn genug AT vorhanden  eliminiert keine Thromben, aber verhindert weitere  sehr kontrovers, eher nicht mehr… • Zukunftsmusik (Humanmedizin): aktiviertes Protein C, TFPI, … Literatur 1. Steiner V, Schwendenwein I, Burgener IA, Pagitz M, Tichy A, Luckschander-Zeller N. Comparison of the effects of open- tube and evacuated tube-assisted sampling methods on thromboelastography variables for blood samples from healthy dogs. Am J Vet Res 2021;83(3):239-244. Kontakt Prof. Dr. Iwan A. Burgener; Department für Kleintiere und Pferde, Veterinärmedizinische Universität Wien, Österreich iwan.burgener@vetmeduni.ac.at 98 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Nur nicht aus der Puste kommen – wie Katzengesundheitsvorsorge dafür sorgt, dass die Katze gesund und glücklich bleibt Katrin Hartmann, Teresa Rehme Kleintierklinik der LMU München, München Einleitung Die Kleintierklinik der LMU bietet seit April 2022 eine eigens für Katzen konzipierte „Cat’Xpert: Katzengesundheitsvorsorge“ an. Regelmäßige Gesundheitsvorsorge ist für eine gesteigerte Lebensqualität und das Wohlbefinden unserer Haustiere sowie für die Prävention von Krankheiten essenziel. Katzen haben inzwischen aufgrund von fortschrittlicher tierärztlicher Versorgung, angepasster Fütterung und aufgeklärten Besitzern eine höhere Lebenserwartung als noch vor einigen Jahren (1). Im Rahmen der Gesundheitsvorsorge kann der Entwicklung von Krankheiten vorgebeugt und bestehende Gesundheitsprobleme können in einem frühen Stadium erkannt werden. Darüber hinaus ist die Prävention von Krankheiten kostengünstiger und erfolgreicher als die Behandlung. Wichtigkeit regelmäßiger Gesundheitsvorsorge Für eine optimale Gesundheitsvorsorge spielen die an den Patienten angepasste, individuelle Beratung und Behandlung durch den Tierarzt und die Besitzer-Compliance eine wichtige Rolle. Dennoch sind sich Besitzer oft der Notwendigkeit einer regelmäßigen Gesundheitsvorsorge nicht bewusst (2). Insbesondere ältere Katzen werden im Vergleich zu jüngeren Katzen seltener zur Gesundheitsvorsorge vorgestellt, obwohl altersbedingte, chronische Krankheiten mit zunehmendem Alter häufiger auftreten (2). Darüber hinaus sind viele Besitzer von Wohnungskatzen fälschlicherweise der Meinung, dass ihre Katzen aufgrund eines vermeintlich geringen Risikos für Infektionserreger selten oder nie zur Gesundheitsvorsorge vorstellig werden müssen. Dies liegt mitunter daran, dass in der Vorstellung vieler Besitzer ein Gesundheitsvorsorge-Termin ausschließlich mit einer Impfung der Katze verbunden ist (3-5). Deshalb sind Aufklärungsgespräche und richtige Kommunikation von großer Bedeutung, um zum einen über die Notwendigkeit und Wichtigkeit einer regelmäßigen Gesundheitsvorsorge zu informieren und zum anderen, um eine Besitzer-Tierarzt-Beziehung aufbauen zu können. Besonders die Kommunikation mit Besitzern älterer Katzen ist essenziell, da besonders diese dazu neigen, Krankheitssymptome lange zu verbergen. Jegliche Änderung im Verhalten der Katze können Hinweise auf mögliche (chronische) Erkrankungen geben, weshalb eine ausführliche Anamnese bei jedem Gesundheitsvorsorgetermin durchgeführt werden sollte. Für jede Katze, unabhängig des Alters, wird ein regelmäßiger Gesundheitsvorsorge-Termin (mindestens einmal pro Jahr) empfohlen. Katzen zwischen 10 und 15 Jahren sollten alle 6 Monate, und Katzen, die älter als 15 Jahre sind, alle 4 Monate zur Gesundheitsvorsorge vorstellig werden. Bei Katzen mit chronischen Erkrankungen sind je nach Schweregrad der Erkrankung und klinischen Symptomen häufigere Kontrollen erforderlich (1). Studien zeigten, dass auch bei scheinbar gesunden älteren Katzen sowohl körperliche, als auch labordiagnostische Abweichungen häufig vorkommen (6,7), wodurch sich schlussfolgern lässt, dass frühzeitigen Erkennung und Behandlung chronischer regelmäßige Gesundheitsvorsorge-Termine zur Krankheiten auch bei scheinbar gesunden älteren Katzen besonders wichtig sind (8-10). Die Gesundheitsvorsorge umfasst die Primärprävention (Vermeidung der Entstehung von Krankheiten, z. B. durch Impfungen, Endo-/ Ektoparasitenprophylaxe), die Sekundärprävention (frühzeitige Erkennung von Krankheiten, um weiteres Fortschreiten zu verhindern, z. B. Behandlung von Bluthochdruck) und die Tertiärprävention (Verminderung der Auswirkung einer Krankheit auf das Wohlbefinden der Katze). Katzenfreundlicher Umgang in der Praxis Ein Besuch beim Tierarzt ist oft sowohl für Katzen als auch für Besitzer mit Stress verbunden, was dazu führt, dass Katzen im Allgemeinen seltener zur Gesundheitsvorsorge vorgestellt werden. Daher sollten Tierarzttermine schon im Welpenalter geübt und mit positiver Verstärkung belohnt werden, sodass die Besitzer- 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 99

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Compliance für künftige Gesundheitsvorsorge-Termine gesteigert wird. Um Transportstress zu reduzieren, sollten bereits Katzenwelpen an ihren Transportkorb gewöhnt werden (z. B. mit Lieblingsdecke oder Spielzeug) und der Transport zur Tierarztpraxis sollte geübt werden (11). Studien zeigten, dass die größten Stressfaktoren für Katzenbesitzer das Einfangen (insbesondere von wehrhaften Katzen) sowie der Stress der Katze beim Transport und bei tierärztlichen Untersuchungen sind (4,5). Ziel sollte es sein, den Tierarztbesuch für jede Katze so angenehm und stressfrei wie möglich zu gestalten. Tabelle 1: Übersicht über die empfohlenen Untersuchungen und diagnostischen Maßnahmen in der Gesundheitsvorsorge Empfohlene diagnostische Untersuchungen in der Gesundheitsvorsorge ausführliche Anamnese Allgemeinuntersuchung (inkl. Chip ablesen, Bestimmung des Body und Muscle Condition Score, Körpergewicht und Temperatur) Bestimmung des Impfstatus (richtige Grundimmunisierung, Antikörper-Messung vor Impfung)  Impfung nur bei Bedarf Endo-/Ektoparasitenprophylaxe (Kotflotation, selektive Entwurmung) Aufklärung über Reisekrankheiten und Reiseprophylaxe jede Katze jede Katze jede Katze jede Katze Katzen, die mit Besitzern reisen Untersuchung auf Reisekrankheiten FIV/FeLV-Status (und entsprechend FeLV-Impfung) Katzen mit Reisegeschichte jede Katze mind. einmalig (Wiederholung bei Freigängerkatzen, je nach epidemiologischer Lage) ausgewachsene/ältere Katzen (> 2 J.) ausgewachsene/ältere Katzen (> 2 J.) alte Katzen (> 6 J.) alte Katzen (> 6 J.) ausgewachsene/ältere Katzen (> 2 J.) ausgewachsene/ältere Katzen (> 2 J.) großes Blutbild Serumprofil SDMA totales T4 Blutdruckmessung Urinalyse (spezifisches Gewicht, UP/C für Früherkennung CNE) Die physiologischen Parameter (Blutdruck, Körpertemperatur, Herz- und Atemfrequenz) von gestressten Katzen in Tierkliniken weichen signifikant ab, im Vergleich zu denselben Parametern in ihrer häuslichen Umgebung (12). Um den Stress vor und während der Behandlung beim Tierarzt zu minimieren, ist eine ausführliche Aufklärung der Besitzer über Verbesserungsmöglichkeiten für den Transport und Tipps zum Medical Training zu Hause wichtig. Bereits zu Hause kann eine Allgemeinuntersuchung (z. B. durch Anfassen der Ohren, Mäulchen, Pfoten) mit positiver Verstärkung geübt werden. Eine weitere Möglichkeit zur Stressreduzierung und um den Tierarztbesuch so angenehm wie möglich zu gestalten, ist ein „katzenfreundlicher“ Umgang mit Katzen in der Praxis (11). Dazu gehört zum Beispiel, dass Katzen in einem separaten Warteraum, mit Sichtschutz vor Hunden, warten oder Termine für Katzen in der Praxis zu einem anderen Zeitpunkt als für Hunde stattfinden, um Stressfaktoren, wie Lärm oder unangenehme Gerüche, zu vermeiden (13). Zu einem katzenfreundlichen Umgang im Behandlungsraum kann das Auslegen von Handtüchern oder Decken auf dem Behandlungstische beitragen; auch die Verwendung von synthetischen Katzen-Gesichtspheromonen zeigte in vielen Studien eine Verringerung von Angst, Aggressionen und Stress (14-17). Schlussfolgerung Regelmäßige Gesundheitsvorsorge-Termine steigern die Lebensqualität und die Lebenserwartung von Katzen. Entscheidend ist hierfür die richtige Aufklärung und Kommunikation zwischen Besitzer und Tierarzt, um das Bewusstsein für die Notwendigkeit einer regelmäßigen Gesundheitsvorsorge zu steigern. 100 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Literatur 1. Ray M, Carney HC, Boynton B, et al. 2021 AAFP Feline Senior Care Guidelines. J Feline Med Surg 2021; 23(7): 613- 638. 2. Eschle S, Hartmann K, Bergmann M. Compliance of dog and cat owners in preventive health care. Tierarztl Prax Ausg K 2020; 48(5): 349-360. 3. Volk JO, Felsted KE, Thomas JG, et al. Executive summary of phase 2 of the Bayer veterinary care usage study. J Am Vet Med Assoc 2011; 239(10): 1311-1316. 4. Volk JO, Felsted KE, Thomas JG, et al. Executive summary of the Bayer veterinary care usage study. J Am Vet Med Assoc 2011; 238(10): 1275-1282. 5. Volk JO, Thomas JG, Colleran EJ, et al. Executive summary of phase 3 of the Bayer veterinary care usage study. J Am Vet Med Assoc 2014; 244(7): 799-802. 6. Paepe D, Verjans G, Duchateau L et al. Routine health screening: findings in apparently healthy middle-aged and old cats. J Feline Med Surg 2013; 15: 8-19. 7. O'Neill DG, Church DB, McGreevy PD et al. Longevity and mortality of cats attending primary care veterinary practices in England. J Feline Med Surg 2015; 17: 125-133. 8. Elliott J, Rawlings JM, Markwell PJ et al. Survival of cats with naturally occurring chronic renal failure: effect of dietary management. J Small Anim Pract 2000; 41: 235-242. 9. Elliott J, Watson A: Chronic kidney disease: staging and management. In: Bonagura J, Kirk R, ED. Kirk's current veterinary therapy XIV. 14. Aufl. Philadelphia, United States, Elsevier Saunders; 2008: S. 883-892. 10. Syme HM, Markwell PJ, Pfeiffer D et al. Survival of cats with naturally occurring chronic renal failure is related to severity of proteinuria. J Vet Intern Med 2006; 20: 528-535. 11. Rodan I, Sundahl E, Carney H, et al. AAFP and ISFM feline-friendly handling guidelines. J Feline Med Surg 2011; 13(5): 364-375. 12. Quimby JM, Smith ML, Lunn KF. Evaluation of the effects of hospital visit stress on physiologic parameters in the cat. J Feline Med Surg 2011; 13(10): 733-737 13. Rodan I, Sparkes AH. Preventive health care for cats. The Cat. 2012: 151-180. 14. Frank D, Beauchamp G, Palestrini C. Systematic review of the use of pheromones for treatment of undesirable behavior in cats and dogs. J Am Vet Med Assoc 2010; 236(12): 1308-1316. 15. Griffith CA, Steigerwald ES, Buffington CA. Effects of a synthetic facial pheromone on behavior of cats. J Am Vet Med Assoc. 2000; 217(8):1154-1156. 16. Gunn-Moore DA, Cameron ME. A pilot study using synthetic feline facial pheromone for the management of feline idiopathic cystitis. J Feline Med Surg 2004; 6(3): 133-138. 17. Kronen PW, Ludders JW, Erb HN, et al. A synthetic fraction of feline facial pheromones calms but does not reduce struggling in cats before venous catheterization. Vet Anaesth Analg 2006; 33(4): 258-265. Kontakt Prof. Dr. Katrin Hartmann; Kleintierklinik der LMU München, München vorstandsassistenz@medizinische-kleintierklinik.de Dr. Teresa Rehme; Kleintierklinik der LMU München, München t.rehme@medizinische-kleintierklinik.de 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 101

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Im Multiversum der Babesiose Catharina C. Euler Veterinärmedizinische Fakultät, Klinik für Kleintiere, Universität Leipzig Hintergrund Die Canine Babesiose ist eine primär durch Zeckenbisse übertragene protozoäre Erkrankung, die durch verschiedene Babesien-Arten verursacht wird und weltweit bei Hunden vorkommt. Die auch als Hundemalaria bekannte Erkrankung gehört zu den wichtigsten durch Blutparasiten verursachten Erkrankungen. Die klinischen Verläufe der Caninen Babesiose sind vielfältig. Betroffene Hunde zeigen neben Blutbildveränderungen wie Anämien und Thrombozytopenien zum Teil auch komplizierte Verläufe mit akutem Nierenversagen, neurologischen Ausfallerscheinungen und anderen Komplikationen. Erreger und Übertragung Derzeit sind mindestens 9 genetisch unterschiedliche Babesien-Arten identifiziert worden (1,2). Zu den bekanntesten Babesien des Hundes gehören die großen Babesien (Unter-) Arten (B. canis, B. vogeli), sowie kleine Babesien (B. gibsoni, B. vulpes) (3). Hauptsächlich wird die Canine Babesiose durch Zecken übertragen. In Europa sind die Hauptvektoren von großen Babesien die Bunt -oder Auwaldzecke (B. canis), bzw. die Braune Hundezecke (B. vogeli) in Südeuropa (4). Auch vektorlose Übertragungsmöglichkeiten wie Blut und Speichel, z.B. über Bluttransfusionen, sind in der Literatur beschrieben (5). Klinik Eine Babesiose kann perakut, akut, chronisch oder auch subklinisch verlaufen. Es ist wichtig zu beachten, dass die Schwere der Erkrankung und die klinischen Symptome abhängig von verschiedenen Faktoren wie Babesien-Art, Immunstatus und Co-Infektionen variieren können (6). Die klassische (akute) Verlaufsform der Caninen Babesiose manifestiert sich oft als hämolytische Anämie, begleitet von Fieber, Schwäche, Ikterus und Hämoglobinurie (7). Jedoch kann diese Erkrankung auch abweichende Verläufe nehmen, bei denen Anämie nicht immer das hervorstechende Symptom ist (Tab.1). Diagnostik Die Diagnose der Caninen Babesiose erfolgt durch eine Kombination von Faktoren, darunter klinische Symptome, Laborveränderungen (u.a. aregeneritive bis regenerative hämolytische Anämie, Thrombozytopenie, Hämoglobinurie, Bilirubinämie, Leukopenie mit Neutropenie, prärenal und renale Azotämie), mikroskopische Untersuchung von Blutausstrichen (8), (Abb. 1), indirekte serologische Tests zum Antikörper-Nachweis (z.B. IFAT, ELISA) (9) und molekulare Tests wie PCR (Polymerase-Kettenreaktion) zur Identifizierung der Babesien- Art (10). Therapie Die Wahl der richtigen Behandlung und Therapie hängt von der auslösenden Babesien-Art ab. Die Behandlung einer Infektion mit großen Babesien, umfasst die Verabreichung von Imidocarb-Dipropionat (Dosierung von 3–6mg/kg s. c. oder i.m) und die Behandlung von jeweiligen Begleitsymptomen. Bei einer Infektion mit kleinen Babesien kann aktuell noch keine komplette Eliminierung des Erregers erzielt werden. Zu den Therapieansätzen gehört u.a. eine Kombinationstherapie aus Atavaquon und Azithromycin (11). Prophylaxe Neben einer täglichen adspektorischen Untersuchung und Entfernung vorhandener Zecken, sollte eine Zeckenprophylaxe über den gesamten Zeitraum, in dem Zecken aktiv sein können (in Deutschland üblicherweise von März bis Juni und von September bis November) angewandt werden. 102 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Da das Risiko einer Infektion mit verschiedenen Faktoren wie z.B. milde Winter steigt, ist eine ganzjährige Vektorprophylaxe mit Akariziden (Spot-On, Zeckenhalsbänder (12)), ratsam. Tabelle 1: Klinische Krankheitsbilder der akuten caninen Babesiose Unkomplizierte Verlaufsform (ohne Organdysfunktion) Milder Verlauf • akute Hämolyse, leichte Anämie Schwerer Verlauf • akute hämolytische Krise, lebensbedrohende Anämie Komplizierte Verlaufsform mit (Multi-) Organdysfunktion Akute Nierenschädigung • Hypoxie der Niere • Hämoglobinurie Hepatopathie • Bilirubinämie und Bilirubinurie • Ikterus, erhöhte Leberenzymaktivitäten Pankreas • Akute Pankreatitis Kardiale Dysfunktion • Myokarditis, Myokardischämie Neurologische Dysfunktionen • Zerebrale Babesiose • Vestibuläre Probleme • Bewegungsstörungen durch partielle Lähmungen • Neuromuskuläre Schwäche Okuläre Komplikationen • Akute Blindheit Koagulopathie • Disseminierten intravasalen Koagulopathie (DIC) • Petechien und Ekchymosen Systemic Inflammatory Response Syndrome (SIRS) Pulmonale Komplikationen Lungenödem • • Akutes Atemnotsyndrom (ARDS) Perakuter Verlauf • klinische Symptome < 24 Stunden, hochgradige intravaskuläre Hämolyse Abb.1: Blutausstrich: große Babesien (Babesia canis) in einem Erythrozyten; Quelle: C. Euler, Veterinärmedizinische, Fakultät, Klinik für Kleintiere, Universität Leipzig 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 103

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Prognose Insgesamt weist die Prognose bei Canine Babesiose eine große Variabilität auf. Sie ist abhängig von verschiedenen Faktoren einschließlich der Babesien-Art, dem Schweregrad der Erkrankung, der rechtzeitigen Diagnose und der angemessenen Behandlung. Bei frühzeitiger Diagnose und Behandlung haben viele Hunde gute Genesungschancen. Literatur 1. Schnittger L, Rodriguez AE, Florin-Christensen, et al. Babesia: a world emerging. Infect Genet Evol 2012; 12(8): 1788– 2. 1809 Lack JB, Reichard MV, Van Den Bussche RA. Phylogeny and evolution of the Piroplasmida as inferred from 18S rRNA sequences. Int J Parasitol 2012; 42(4): 353–363 3. PattonWS. Preliminary report on a new piroplasm (Piroplasma gibsoni sp. nov.) found in the blood of the hounds of the Madras Hunt and subsequently discovered in the blood of the jackal Canis aureus. Bull Soc Pathol Exot 1910; 3: 274–280 4. Duh D, Tozon N, Petrovec M et al. Canine babesiosis in Slovenia: molecular evidence of Babesia canis canis and Babesia canis vogeli. Vet Res 2004; 35(3): 363–368 5. Boozer L, Macintire D. Babesia gibsoni: An emerging pathogen in dogs. Compendium on Continuing Education for the Practising Veterinarian–North American Edition 2005; 27(1): 33–42 Irwin PJ. Canine babesiosis: from molecular taxonomy to control. Parasit Vectors 2009; Suppl 1 (Suppl 1): S4 6. 7. Matijatko V, Torti M, Schetters TP. Canine babesiosis in Europe: how many diseases? Trends Parasitol 2012; 28(3): 99– 105 8. Bohm M, Leisewitz AL, Thompson PN, et al. Capillary and venous Babesia canis rossi parasitaemias and their association 9. with outcome of infection and circulatory compromise. Vet Parasitol 2006; 141: 18–29 Jongejan F, Fourie JJ, Chester ST et al. The prevention of transmission of Babesia canis canis by Dermacentor reticulatus ticks to dogs using a novel combination of fipronil, amitraz and (S)-methoprene. Vet Parasitol 2011; 179: 343–350 10. Globokar Vrhovec M. Retrospektive Analyse der parasitologischen Untersuchungs-ergebnisse eines privaten Untersuchungslabors: Intestinale, respiratorische und vektorübertragene Parasitosen bei Hunden und Katzen in Deutschland (2004–2006) [Dissertation]. Giessen: Justus-Liebig-Universität Giessen; 2013 11. Di Cicco MF, Downey ME, Beeler E et al. Re-emergence of Babesia conradae and effective treatment of infected dogs with atovaquone and azithromycin. Vet Parasitol 2012; 187: 23–27 1. ESCCAP. Bekämpfung von Ektoparasiten (Flöhe, Zecken, Läuse, Haarlinge, Sand- und Stechmücken) bei Hunden und Katzen. Deutsche Adaption der ESCCAP-Empfehlung Nr. 3, Februar 2022. Im Internet: https://www.esccap.org/uploads/docs/yc6cp5ga_22022EktoparasitenEmpfehlung3.pdf; Stand: August 2022 Kontakt Dr. Catharina C. Euler; Veterinärmedizinische Fakultät, Klinik für Kleintiere, Universität Leipzig catharina.euler@kleintierklinik.uni-leipzig.de 104 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Völlig unterzuckert! Wenn der Treibstoff fehlt! Florian K. Zeugswetter VetMedUni Vienna, Österreich Der krampfende Hund Krampfanfälle (Seizures) sind die häufigste neurologische Erkrankung beim Hund und einer von 10 Fällen kann auf toxische oder metabolische Ursachen zurückgeführt werden (1). Bei den metabolischen Ursachen dominiert die Hypoglykämie mit 32 % klar vor der Hypokalzämie (10 %). Um Akut-, aber auch Langzeitschäden zu verhindern ist die rasche Diagnose und Therapie von großer Bedeutung (2). Als Hypoglykämie werden Glucosekonzentrationen unter dem Normalbereich einer Spezies bezeichnet. Die in der Humanmedizin üblichen Grenzwerte von 3,5 mmol/l (63 mg/dl) für zu niedrige und 3 mmol/l (54 mg/dl) für klinisch problematische Werte sind grundsätzlich auch auf den Hund übertragbar (2,3). Es ist jedoch zu bedenken, dass Hunde im Schnitt niedrigere Glukosewerte als Menschen aufweisen und dass bei gesunden Hunden durchweg Werte bis 3,1 mmol/l (55 mg/dl) auftreten können (4). Die Glukosemessung Bei jedem krampfenden Patienten ist die Glukosemessung ein wesentlicher Bestandteil der Aufarbeitung. Bei der Messung ist die venöse der kapillären bzw. interstitiellen Messung vorzuziehen, da rasch abfallende Werte nur mit deutlicher Verzögerung im Interstitium erkannt werden können (5). Vor dem Kauf von Glukometern sollte man sich über die Spezieseignung informieren. Nicht alle Glukometer, selbst einige die für den Hund vermarktet werden, liefern auch verlässliche Werte (6). Humane Glukometer und kontinuierliche Monitoringsysteme messen (7). Wie von älteren Glukosemessgeräten bekannt (z.B. Reflotron), hat der Hämatokrit einen Einfluss auf die Messung und hohe Werte führen bei den meisten Geräten zu einem negativen Bias (8). Da einige ältere Glukometer (z.B. Ascensia elite, Wellion Gluco Calea) bei mangelndem Blutangebot dennoch messen und dann falsch niedrige Werte anzeigen, ist auf diese Eigenheit zu achten. Optimalerweise sollte jede Hypoglykämie, diagnostiziert mit einem Glukometer oder einem kontinuierlichen Messsystem, mit einer Labormessung bestätigt werden. tendenziell zu niedrige Werte Während die Glukose bei einer Lagerung von Vollblutproben im Kühlschrank bei 4°C über 8 Stunden kaum absinkt, ist bei Raumtemperatur (25°C) mit einem durchschnittlichen Abfall um 8, 23 und 49 % nach 2, 4, beziehungsweise 8 Stunden zu rechnen (9). Klinische Zeichen der Hypoglykämie Obwohl man beim Wort Hypoglykämie primär an epileptiformen Krämpfe denkt und dieses markante klinische Zeichen vor allem beim Insulinom das häufigste beschriebene Symptom ist (10), sollte auch bei anfallsartigen Hungerattacken, Lethargie/Schwäche, plötzlichen Symptomen der Sympathikusaktivierung (Tremor, Unruhe, Hecheln/Tachypnoe, Tachykardie/Palpitation, blasse Schleimhäute, Mydriasis, gesträubtes Fell), cognitiver Dysfunktion und Ataxie die Hypoglykämie differentialdiagnostisch einbezogen werden. Die Bradykardie ist ein eher ungewöhnliches Symptom (11). Ursachen der Hypoglykämie Bei den Ursachen der Hypoglykämie muss bei nicht diabetischen Hunden neben Fehlmessungen primär zwischen hormonellen und nicht hormonellen Ursachen unterschieden werden. Zu den hormonellen Ursachen zählen neuroendokrine Tumore der Bauchspeicheldrüse (Insulinome und IGF-2ome) (12), der Morbus Addison, IGF-2 produzierende mesenchymale Tumore und seltener ein Wachstumshormon- oder Glucagonmangel (evtl. bei Pankreatitis). Zu den nicht-hormonellen Ursachen zählen ein Missverhältnis zwischen Glukosespeicherung und Verbrauch bei Welpen und Jagdhunden, Glykogenspeicherkrankheiten (v.a. beim Malteser), fortgeschrittenen Hepatopathien, bakterielle, parasitäre oder virale Infektionen (z.B. Sepsis, Babesiose und Parvovirose) sowie Vergiftungen (v.a. Xylitol, Knollenblätterpilz, Oleander, Amphetamine, orale Antidiabetika und Schlangenbiss). 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 105

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Bei der Xylitolvergiftung sind Hypoglykämien ab 0,03 mg/kg möglich (13). Ein Kaugummi kann bis zu 1g Xylitol enthalten und auch in vielen humanen Medikamenten wie Ursofalk Suspension ist Xylitol enthalten. Therapie der Hypoglykämie Beim krampfenden Patienten ist bis zur Diagnose „Hypoglykämie“ die intramuskuläre oder intravenöse Midazolamverabreichung mit ~0,2 mg/kg ein guter erster Schritt und vereinfacht das Setzen eines Venenzugangs. Mögliche sekundäre Hyperthermien sollten mit konvektiver Kühlung (Akren befeuchten und Ventilator) und Infusionen behandelt werden. Nach der Diagnose Hypoglykämie ist ein intravenöser Glukosebolus mit 0,5 bis 1 Gramm/kg 1:3 verdünnt mit 0,9 % NaCl über 5-10 Minuten die Therapie der Wahl. Gegen die orale Therapie bei unbekannter Ursache spricht die Gefahr des Fehlschluckens, die verzögerte Wirkung (14) und die verstärkte Insulinausschüttung bei Insulinomen (Inkretineffekt, 15). Bei der oralen Gabe wird der Maximaleffekt erst nach 15 Minuten erreicht und beim Insulinom muss mit einem reflektorischen noch stärkeren Glukoseabfall gerechnet werden. Bei schlecht auf die Glukoseinfusionen ansprechenden Hypoglykämien kann Dexamethason (0,5 mg/kg oral, i.v., i.m.) oder Glukagon (1 mg s.c., i.v. oder als DTI 10 ng/kg/h) verabreicht werden (16, 17). Für Notfälle gibt es Glukagon Notfallsets mit 1 mg zu 1 ml Spritzen (Glucagen® Hypokit, Novo Nordisk) in der Apotheke zu kaufen. Die Glucagonbolusverabreichung erhöht den Blutzucker bei gesunden Hunden innerhalb von 10 Minuten (16). Vor der Verabreichung sollte Serum abgenommen und eingeforen werden, da Glukokortikoide und Glucagon Insulinmessung beeinflussen. Auf Prednisolon sollte im Notfall verzichtet werden, da dieses die Cortisolmessung verfälscht und eine verlässliche Addison-Abklärung verhindert. In unserer Studie hatte Glucagon keinen Effekt auf die ACTH- oder Cortisolsekretion bei gesunden Hunden (16). Nach der Akuttherapie sollten bis zur Diagnose mehrmals täglich kleine glukosearme Mahlzeiten verabreicht werden. Ideal eignen sich paradoxerweise Diabetiker-Diäten. Aufgrund der sehr raschen Absorption und der geringen Bindung an Tierkohle sind die bei anderen Vergiftungen üblichen Maßnahmen wie Emesis, Magenspülung und Tierkohleverabreichung bei der Xylitolintoxikation kaum sinnvoll. Hypoglykämien werden in der Regel schon 30 bis 60 Minuten nach der Aufnahme beobachtet. Glücklicherweise ist Erbrechen ein häufiges erstes Symptom (13). Bei der Knollenblätterpilzvergiftung kann das Silymarin der Mariendistel Leben retten (18). Literatur 1. Brauer C, Jambroszyk M, Tipold A. Metabolic and toxic causes of canine seizure disorders: A retrospective study of 96 cases. Vet J. 2011;187(2):272-275. 2. Amiel SA. The consequences of hypoglycaemia. Diabetologia. 2021 May;64(5):963-970. 3. Yi KC, Heseltine JC, Jeffery ND, et al. Effect of withholding food versus feeding on creatinine, symmetric dimethylarginine, cholesterol, triglycerides, and other biochemical analytes in 100 healthy dogs. J Vet Intern Med. 2023;37(2):626-634. Ismail-Hamdi S, Romdane MN, et al. Comparison of a human portable blood glucose meter and automated chemistry analyser for measurement of blood glucose concentrations in healthy dogs. Vet Med Sci. 2021;7(6):2185-2190. 4. 5. Koenig A, Hoenig ME, Jimenez DA. Effect of sensor location in dogs on performance of an interstitial glucose monitor. Am J Vet Res. 2016;77(8):805-817. 6. Kang MH, Kim DH, Jeong IS, et al. Evaluation of four portable blood glucose meters in diabetic and non-diabetic dogs and cats. Vet Q. 2016;36(1):2-9. 7. Cohen TA, Nelson RW, Kass PH, et al. Evaluation of six portable blood glucose meters for measuring blood glucose 8. concentration in dogs. J Am Vet Med Assoc. 2009;235(3):276-280. Lane SL, Koenig A, Brainard BM. Formulation and validation of a predictive model to correct blood glucose concentrations obtained with a veterinary point-of-care glucometer in hemodiluted and hemoconcentrated canine blood samples. J Am Vet Med Assoc. 2015;246(3):307-312. 9. Collicutt NB, Garner B, Berghaus RD, et al. Effect of delayed serum separation and storage temperature on serum glucose concentration in horse, dog, alpaca, and sturgeon. Vet Clin Pathol. 2015;44(1):120-127. 10. Goutal CM, Brugmann BL, Ryan KA. Insulinoma in Dogs: A Review JAAHA 2012; May-Jun;48(3):151-63. 11. Little CJ. Hypoglycaemic bradycardia and circulatory collapse in a dog and a cat. J Small Anim Pract. 2005;46(9):445- 448. 12. Finotello R, Ressel L, Arvigo M, et al. Canine pancreatic islet cell tumours secreting insulin-like growth factor type 2: a rare entity. Vet Comp Oncol. 2016;14(2):170-180. 13. DuHadway MR, Sharp CR, Meyers KE, et al. Retrospective evaluation of xylitol ingestion in dogs: 192 cases (2007- 2012). J Vet Emerg Crit Care (San Antonio). 2015;25(5):646-654. 14. Holt RL, Gordon JM, Ruaux C. Immediate effect of transmucosal application of corn syrup or 50% dextrose solution on blood glucose concentrations in healthy dogs. J Vet Emerg Crit Care (San Antonio). 2019;29(6):630-634. 106 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ 15. Oda H, Mori A, Lee P, et al. Characterization of the use of liraglutide for glycemic control in healthy and Type 1 diabetes mellitus suffering dogs. Res Vet Sci. 2013;95(2):381-388. 16. Zeugswetter F.K., Schornsteiner E., Haimel G., et al. Metabolic and hormonal responses to subcutaneous glucagon in healthy beagles. J Vet Emerg Crit Care (San Antonio) 2012,22(5), 558-563. 17. Harris ME, Weatherton L, Bloch CP. Glucagon therapy in canines with an insulinoma: A retrospective descriptive study of 11 dogs. Can Vet J. 2020;61(7):737-742. 18. Vogel G, Tuchweber B, Trost W, Mengs U. Protection by silibinin against Amanita phalloides intoxication in beagles. Toxicol Appl Pharmacol. 1984;73(3):355-362. Kontakt PD Dr. Florian K. Zeugswetter, VetMedUni Vienna, Österreich florian.zeugswetter@vetmeduni.ac.at 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 107

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Parvovirose beim Hund - Aktuelle Therapieoptionen gegen Macht- und Atemlosigkeit in Anbetracht der Prognose Dorothee Dahlem Kleintierklinik Ettlingen Hintergrund Die kanine Parvovirose ist eine weltweit verbreitete Infektionserkrankung mit nach wie vor hoher Morbidität und Mortalität. Betroffene Patienten müssen isoliert werden. Schutzkleidung muss bei Kontakt mit infizierten Patienten getragen werden und spezifische Desinfektionsmaßnahmen sind erforderlich, um den Infektionserreger letztlich zu eliminieren. Das Risiko einer Infektion mit dem kaninen Parvovirus erhöht sich mit der 10. Lebenswoche, wenn die schützenden maternalen Antikörper nicht mehr vorhanden sind. Risikofaktoren für die Entwicklung einer Infektion sind zudem Infestationen mit Endoparasiten und hoher Infektionsdruck durch hohe Tierzahlen und unhygienische Umgebung (1). Diagnosestellung Ersten Anhaltspunkt für die Diagnosestellung liefert zunächst das Signalement in Kombination mit den entsprechenden klinischen Symptomen. Junge Hunde mit unzureichendem Impfschutz in Kombination mit gastrointestinalen Symptomen, vorwiegend blutige Diarrhoe sind typische Hinweise auf die Infektionserkrankung (3). In der allgemeinen Blutuntersuchung fallen häufig Zytopenien auf. Blutchemisch stehen Hypoproteinämie und Elektrolytimbalancen als Folge der Verluste über den Gastrointestinaltrakt im Vordergrund (3). Die Kombination der beschriebenen klinischen Symptome und labordiagnostischen Befunden verleitet zur Sicherung der Verdachtsdiagnose. Verschiedene Schnelltests basierend auf einem ELISA-Verfahren stehen zur Diagnosesicherung zur Verfügung. Die entsprechenden Schnelltests haben den Vorteil, dass die Probengewinnung mit Hilfe eines Rektaltupfers einfach durchführbar ist und die Tests im klinikeigenen Labor erfolgen können und in wenigen Minuten ein Ergebnis liefern. Ein positiver Schnelltest ist bei ungeimpften Tieren mit entsprechenden klinischen Symptomen als Beweis der Infektion anzusehen. Bei geimpften Tieren (modifizierte Lebendvakzine) besteht innerhalb von vier Wochen nach Impfung das Risiko einer Ausscheidung von Feldstamm und Impfstamm des Parvovirus, welches zu falsch positiven Testergebnissen führen kann. Der sichere Nachweis der Virusstämme wurde bislang nur mit Hilfe eines PCR-Verfahrens detektiert, allerdings kann eine Interferenz mit dem Schnelltest nicht ausgeschlossen werden und muss bei der Testergebnisinterpretation berücksichtigt werden ist, dass ein negatives Schnelltestergebnis die Infektion nicht ausschließt. Gründe für die falsch negativen Testergebnisse können eine hohe Konzentration interferierender Antikörper sein ebenso wie eine niedrige Viruslast, falscher Zeitpunkt der Probenentnahme oder sehr blutig-schleimiger Kot, welcher Schwierigkeiten bei der Testdurchführung mit sich bringt (4). Sofern der Antigennachweis kein sicheres Ergebnis liefert, muss die Virusinfektion mit Hilfe einer PCR-Analyse aus dem Kot nachgewiesen werden. Der direkte DNA-Nachweis bietet zudem die Möglichkeit der Differenzierung zwischen Feldstamm und Impfstamm. Nachteil ist, dass das Testergebnis nicht sofort vorliegt. Hunde mit entsprechender Verdachtsdiagnose müssen daher isoliert werden und als potentiell kontagiöse Patienten angesehen werden, um eine Übertragung des Virus zu vermeiden (2). Therapie (4, 5). Problematisch Ziel der Therapie ist in erster Linie der Ausgleich der Dehydratation. Hunde mit Parvovirose sind absolute Intensivpatienten, deren Therapie hochfrequent reevaluiert und angepasst werden muss und die intensiver Pflegemaßnahmen bedürfen. Eine ist unverzichtbar, um Folgeerscheinungen der Infektionserkrankung wie eine Invagination rechtzeitig erkennen zu können (6). regelmäßige abdominale Palpation 108 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Infusionstherapie 1. Die Infusionstherapie sollte immer intravenös durchgeführt werden. Die Kalkulation der benötigten Flüssigkeitsmenge erfolgt analog zu der Infusionsrate bei adulten Tieren basierend auf dem Schweregrad der Dehydratation, der anhaltenden Verluste und des Erhaltungsbedarf (Tabelle 1). Zu beachten ist zudem, dass der Erhaltungsbedarf bei Jungtieren höher ist als bei adulten Tieren. Bei Welpen sollte mit einem Erhaltungsbedarf von 3-4 ml/kg/h kalkuliert werden. Ab einem Alter von 4-6 Monaten passt sich der Erhaltungsbedarf an den Bedarf adulter Tiere an (2 ml/kg/h) (7). Das Volumendefizit sollte innerhalb von 6-12 h ausgeglichen werden. Zum Defizit hinzuzurechnen sind neben dem Erhaltungsbedarf die kontinuierlichen Verluste über Diarrhoe, Vomitus und Magensekretion (Abbildung 1). Kristalloide Infusionslösungen sind für den initialen Dehydratationsausgleich zu bevorzugen und können im Bedarfsfall mit Elektrolyten und Glukose substituiert werden. Gerade bei Zwergrassen ist eine Glukosesupplementierung in Form einer 5-10%igen Glukoselösung häufig unverzichtbar. Als Folge der gastrointestinalen Symptome tritt häufig eine Hypokaliämie auf, die ebenfalls ausgeglichen werden muss (Tabelle 2). Tabelle 1: Kalkulation des Dehydratationsgrades und des Volumendefizits Dehydratation [%] Eingesunkene Bulbi Verminderter Hautturgor nein geringgradig mittelgradig hochgradig hochgradig Hypovolämischer Schock Verminderte Schleimhautfeuchtigkeit nein nein geringgradig mittelgradig hochgradig nein nein nein geringgradig hochgradig <5 5-6 6-8 8-10 10-12 >10 Infolge der Zerstörung des Darmepithels ist die Parvovirose bei betroffenen Hunden häufig mit einem schwerwiegenden Proteinverlust assoziiert. Ab einer Albuminkonzentration unter 20 g/l muss daher auch der Einsatz einer kolloidalen Lösung, zum Beispiel Gelafundin (1-2 ml/kg/h), in Erwägung gezogen werden, um eine Extravasation von Flüssigkeit in Körperhöhlen und die Subkutis zu vermeiden (6). Fresh frozen plasma kann ebenfalls eingesetzt werden aufgrund der enthaltenen onkotischen Komponenten sowie der enthaltenen Immunglobuline und Serumprotease-Inhibitoren, die möglicherweise bei der Neutralisierung des zirkulierenden Virus helfen (6). Die Plasmatransfusion stellt allerdings keine adäquate Therapie zur Steigerung der Albuminkonzentration dar (8). Zu beachten ist, dass die Verabreichung von Plasma die Prognose von Hunden mit Parvovirose bislang nicht verbessern konnte. Dies gilt auch für hyperimmunisiertes Plasma (9). Blutprodukte sollten daher nach Bedarf eingesetzt werden. In Einzelfällen kann auch die Verabreichung von humanem Albumin erforderlich werden, sofern andere Maßnahmen nicht ausreichen, um den onkotischen Druck zu steigern. Anaphylaktische Reaktionen sind möglich [10]. Abb. 1: Beispielkalkulation der Berechnung der initialen Infusionsrate für einen Welpen mit Parvovirose Signalement: Labrador Retriever, 3 Monate, 8 kg 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 109

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Tabelle 2: Kaliumsupplementierung Serumkaliumkonzentration [mEq/L] Menge Kaliumchlorid in mEq, die zu 500 ml Infusionslösung zugefügt wird <2,0 2,1-2,5 2,6-3,0 3,1-3,5 3,6-5,0 40 30 20 14 10 Menge Kaliumchlorid in Maximale mEq, die zu 1000 ml Infusionsrate [ml/kg/h] Infusionslösung zugefügt wird 80 60 40 28 20 6 8 12 18 25 Modifiziert nach Greene RW, Scott RC: Lower urinary tract disease. In: Ettinger SJ, editor: Textbook of Veterinary Internal medicine. Philedelphia.1997. WB Saunders, p. 1572. 2. Antiemese Zur Kontrolle der Nausea und des Vomitus können verschiedene Medikamente zum Einsatz kommen. Maropitant (1 mg/kg q24h intravenös) hat sich als potentes Antiemetikum bewährt, ist aber erst zugelassen ab einem Alter von über 16 Wochen. Alternativ oder als zusätzliches Antiemetikum kann Metoclopramid verwendet werden (0,3 mg/kg intravenös, anschließend 1-2 mg/kg/d intravenös). 3. Antibakterielle Therapie Veränderungen der intestinalen Mukosa als Folge der Parvovirusinfektion führen zur Unterbrechung der Darmbarrierefunktion und einer Dysbiose. Nicht selten bedingen diese Veränderungen eine Translokation von Bakterien und Endotoxinen mit nachfolgender Sepsis und Multiorganversagen. Zur Reduktion dieses Risikos kommen in vielen Fällen antibakterielle Arzneimittel zum Einsatz. Breitspektrum-antimikrobielle Arzneimittel werden bei neutropenischen Hunden angewandt. Klassischerweise fällt die Wahl auf Breitspektrumpenicilline, Cephalosporine der 2. Generation und teilweise Fluorchinolone. Seltener kommen Aminoglykoside zum Einsatz (6, 12). 4. Analgesie Viele Patienten mit Parvovirose zeigen eine abdominale Dolenz und profitieren von einer analgetischen Therapie. Aufgrund der potentiellen Beeinträchtigung der gastrointestinalen Motilität durch Opiode sollten partielle Agonisten wie Buprenorphin (0,01-0,02 mg/kg q8h iv) oder Agonisten-Antagonisten wie Butorphanol (0,1-0,2 mg/kg/h iv) im Vergleich zu kompletten mu-Agonisten bevorzugt werden. Die Analgesie kann zusätzlich um einen Lidocain-Dauertropf (15-30 µg/kg/min iv) ergänzt werden. Lidocain zeigt auch eine gewisse prokinetische Effektivität (18). 5. Prokinetika Vergleichbar zu Patienten mit anderweitigen schwerwiegenden Erkrankungen sind auch Patienten mit Parvovirose häufig von gastrointestinalen Motilitätsstörungen betroffen. Zu den klassischen Strategien der Vermeidung einer gastrointestinalen Dysmotilität gehören eine frühe Mobilisierung, Ausgleich von Elektrolyt- und Säure-Basen-Imbalancen und eine frühzeitige Nahrungszufuhr. Daneben können verschiedene prokinetische Medikamente zum Einsatz kommen (12, Tabelle 3). Gerade bei schwerwiegender Magenentleerungsstörung kann eine Entlastung des Magens mit Hilfe einer nasogastrischen Sonde erfolgen, indem die Flüssigkeit aus dem Magen abgehebert wird. 6. Ernährung Die frühzeitige enterale Ernährung von Hunden mit Parvovirose ist zentraler Bestandteil der Therapie. Die reduziert die Morbidität und die frühzeitige enterale Ernährung von Hunden mit Parvovirose Hospitalisationsdauer (11). Empfohlen wird daher, dass die enterale Ernährung trotz persistierender gastrointestinaler Symptome innerhalb von 12h nach Hospitalisierung initiiert wird. Empfehlenswert ist eine hochverdauliche Nahrung, wobei inzwischen schon spezifische kommerzielle gastrointestinale Diäten für 110 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Welpen erhältlich sind. Eine Fütterung per Spritze stellt keine adäquate Möglichkeit der Energiezufuhr dar und birgt auch das Risiko der Förderung der Aversion gegenüber Futtermitteln, so dass frühzeitig das Legen einer nasoösophagealen oder nasogastrischen Sonde in Erwägung zu ziehen ist. Häufig können zu Beginn nur minimale Futtermengen verabreicht werden und nicht der vollständige Energiebedarf, dennoch hat sich auch diese sogenannte „minimal luminal nutrition“ bewährt, weil sie zur Erholung der Darmmukosa beiträgt. Tabelle 3: Prokinetische Arzneimittel Wirkstoff Dosierung Metoclopramid Wirkort Prokinetische Wirkmechanismus Dopaminerger (D2) Antagonist Gastroösophagealer Sphinkter Magen Darmtrakt Chemorezeptor- Triggerzone Magen Kolon Gastroösophagealer Sphinkter Magen, Darmtrakt Kolon Magen Kolon 0,2-0,5 mg/kg q8h po/iv 1-2 mg/kg/d iv 0,01-0,2 mg/kg q12h po/rektal 0,5-1,0 mg/kg q8h po/iv 1,0-2,0 mg/kg q8-12h po Prucalopid Erythromycin Serotonerge (5-HT4) Agonisten Motilinrezeptoren Ranitidin Acetylcholinesterase- Inhibitoren Cholinomimetische Arzneimittel 7. Anthelmintika Koinfektionen mit Endoparasiten sind weit verbreitet bei Hunden mit Parvovirose. Sie können die klinische Symptomatik durch Behinderung der Erholung der intestinalen Mukosa und Förderung der Virusreplikation verschlimmern. Sobald der Vomitus kontrolliert ist, sollte eine antiparasitäre Therapie ergänzt werden (6). Protozoen ebenso wie Helminthen sind als Koinfektionen bei Hunden mit Parvovirose beschrieben. Die gewählten Antiparasitika sollten eine Effektivität gegen Spulwürmer haben. Über eine Erweiterung der antiparasitären Therapie muss in Abhängigkeit von den Befunden der Kotuntersuchung entschieden werden. Immuntherapie und zusätzliche Therapiemaßnahmen 8. Infolge der hohen Gefahr einer Neutropenie als Folge der Affinität der Parvoviren zum Knochenmark und der Sepsis im Rahmen im der Infektionserkrankung haben verschiedene Untersuchungen den Nutzen des Einsatzes eines rekombinanten granulozyten-stimulierenden Faktors (cG-CSF) untersucht. Verwendet wird meist der Wirkstoff Filgastrim (5 µg/kg q24h subkutan). Bislang konnte kein eindeutiger Nutzen des Arzneimittels in Zusammenhang mit der Parvovirose nachgewiesen werden. Der Effekt auf die Prognose und auch die Neutrophilenzahl ist allerdings fraglich. Auch in Anbetracht der mit diesem Arzneimittel verbunden Kosten muss der Einsatz kritisch überlegt werden (13). Der Einsatz von rekombinantem felinem Interferon-Omega (1-5 x 106 IU/kg iv über 3 Tage) lieferte teilweise vielversprechende Ergebnisse bei Hunden mit Parvovirose. Interferone sind Proteine mit antiviraler und immunmodulatorischer Aktivität und tragen zur Aktivierung des zellulären Immunsystems bei. Verschiedene Untersuchungen ergaben eine niedrigere Mortalitätsrate bei Hunden, die mit Interferon therapiert wurden im Vergleich zu Hunden ohne diese Therapie. Dennoch limitiert der hohe Kostenaufwand häufig den Einsatz dieses Arzneimittels (14). 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 111

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ 9. Modifikation der intestinalen Mikrobiota Die Parvovirose geht mit eine signifikanten Dysbiose einher (15). Einzelne Untersuchungen ergaben ein möglicher Benefit einer probiotischen Therapie bei Hunden mit einer Parvovirus-Infektion (16). Die orale Verabreichung von Probiotika, die Vielfalt unterschiedlich zusammengesetzter probiotischer Präparate und der variable Erfolg beim Einsatz von probiotischen Arzneimitteln erschwert aber die Auswahl geeigneter Präparate. Die Kottransplantation in Form eines rektalen Einlaufs bietet eine gute Alternative zur Modifikation des intestinalen Mikrobioms. Hunde mit Parvovirose, die eine Kottransplantation erhalten, zeigen eine schnellere Verbesserung der Diarrhoe im Vergleich zu infizierten Hunden ohne probiotische Modulation (17). Abb. 2: Outpatient-Protokoll für Hunde mit Parvovirose (nach Venn EC (19)) Hunde mit Parvovirose stellen absolute Intensivpatienten dar. Gerade wenn finanzielle Aspekte bei der Entscheidung zur Euthanasie überwiegen, sollten mit den Besitzern besprochen werden, ob ein sogenanntes outpatient-Protokoll zur ambulanten Therapie dieser Intensivpatienten in Frage kommt. Natürlich stellt eine ambulante Behandlung infizierter Hunde keine adäquate Therapiealternative dar, dennoch birgt dieses Therapiemanagement zumindest eine Chance für die betroffenen Hunde. Viele Therapiemaßnahmen werden bei einem solchen Protokoll von den Besitzern zu Hause durchgeführt. Ambulante Kontrollen zur Entscheidung über das weitere Vorgehen müssen natürlich dennoch in der tierärztlichen Praxis erfolgen (Abbildung 2). Impfung Gemäß der aktuellen Impfrichtlinien können Hunde ab einem Alter von 6 Wochen mit einer modifizierten Lebendvakzine geimpft werden. Die Impfung muss alle 3-4 Wochen wiederholt werden bis zu einem Alter von 16 Wochen. Hochrisikopatienten können ab einem Alter von 4 Wochen bis zu einem Alter von 20 Wochen alle 3-4 Wochen geimpft werden. Eine Boosterung muss nach einem Jahr und anschließend alle 3 Jahre durchgeführt werden. Die aktuell verfügbare Impfung bietet einen Schutz gegen CPV-2, CPV-2a, CPV-2b und CPV-2c (18). Prognose Die Überlebensrate bei therapierten Hunden liegt im Bereich von 60-90 %. Als negativ prognostische Faktoren gelten Hypovolämie, Fieber sowie eine Lymphozytenzahl unter 1000/µl und das Vorkommen einer Hypalbuminämie zum Zeitpunkt des Therapiebeginns (18). Trotzdem die Parvovirose eine potentiell heilbare Erkrankung ist, zeigt sich bei Hunden nach überstandener Parvovirusinfektion ein höheres Risiko für chronische gastrointestinale Symptome. Neutropenie, Hypothermie und der Einsatz von Metoclopramid im Rahmen der Infektionserkrankung scheinen Risikofaktoren zu sein für die Entwicklung von chronischen gastrointestinalen Symptomen (20). 112 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Literatur 1. Leisewitz AL. Canine and feline parvovirus infection. In: Ettinger SJ, Feldman EC, Côté E. Textbook of Veterinary Internal Medicine. 8th edition. Elsevier. 2017. pp 991-996. 2. Greene CE, Decaro N. Canine Viral Enteritis. In: Greene CE. Infectious diseases in dogs and cats. 4th edition. Elsevier. 2012. pp 67-76. 3. Mia M, Hasan M. Update on Canine Parvovirus Infection: A Review from the Literature. Vet Sci: Research and 4. Reviews.2021;7(2):92-100. Freisl M, Speck S, Truyen U, et al. Faecal shedding of canine parvovirus after modified-live vaccination in healthy adult dogs. Vet J. 2017:219:15-21. 5. Decaro N, Crescenzo G, Desario C, et al. Long-term viremia and fecal shedding in pups after modified-live canine parvovirus vaccination. Vaccine. 2014;32:3850-3853. Lee JA, Cohn LA. Fluid therapy for pediatric patients. Vet Clin Small Anim. 2016; 47(2):373-382. 6. Goddard A, Leisewitz AL. Canine Parvovirus. Vet Clin Small Anim. 2010;40:1041-1053. 7. 8. Brown AJ, Otto CM. Fluid therapy in vomiting and diarrhea. Vet Clin North Am Small Anim Pract. 2008;38(3):653-75. 9. Acciacca RA, Sullivan LA, et al. Clinical evaluation of hyperimmune plasma for treatment of dogs with naturally occurring parvoviral enteritis. J Vet Emerg Critic Care. 2020;30(5):525-533. 10. Brown RO, Bradley JE, Luther RW. Response of serum albumin concentrations to albumin supplementation during central total pareneteral nutrition. Clin Pharm. 1987;6:222-226. 11. Mohr AJ, Leisewitz AL, et al. Effect of early enteral nutrition on intestinal permeability, intestinal protein loss, and outcome in dogs with severe parvoviral enteritis. J Vet Intern Med. 2003;17:791-798. 12. Sullivan LA. Parvoviral Enteritis: What`s New?. Advances Small Anim Med Surg. 2019. 13. Armenise A, Trerotoli P, Cirone F, et al. Use of recombinant canine granulocyte-colony stimulating factor to incease leukocyte count in dogs naturally infected by canine parvovirus. Vet Microbiology. 2019; doi.org/10.1016/j.vetmic.2019.03.015. 14. Gerlach M, Proksch AL, Dörfelt R, et al. Therapie der kaninen Parvovirose – Übersicht und aktuelle Erkenntnisse. Tierärztl Prax Ausg K Kleintiere Heimtiere. 2020;48:26-37. 15. Park JS, Guevarra RB, Kim BR, et al. Intestinal Microbial Dysbiosis in Beagles Naturally Infected with Canine Parvovirus. J. Microbiol. Biotechnol. 2019; 29(9):1391-1400. 16. Arslan HH, Aksu DS, Terzi G. Therapeutic effects of probiotic bacteria in parvoviral enteritis in dogs. Rev Med Vet- Toulouse. 2012; 163(2):55-59. 17. Pereira GQ, Gomes LA, Santos IS. Et al. Fecal microbiota transplantation in puppies with canine parvovirus infection. J Vet Intern Med. 2018;32:707-711. 18. Mazzaferro EM. Update on Canine Parvovial Enteritis. Vet Clin Small Anim. 2020;50:1307-1325. 19. Venn EC, Preisner K, Boscan PL, et al. Evaluation of an outpatient protocol in the treatment of canine parvoviral enteritis. J Vet Emerg Crit Care. 2016; 00(0):1-4. 20. Sato-Takada K, Flemming AM, Voordouw MJ, et al. Parvovirus enteritis and other risk factors associated with persistent gastrointestinal signs in dogs later in life: a retrospective cohort study. BMC Vet Res. 2022:18-96. Kontakt Dr. Dorothee Dahlem, Kleintierklinik Ettlingen info@kleintierklinik-ettlingen.de 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 113

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Husten, Giemen, Atemnot – kann das felines Asthma sein? Bianka Schulz Kleintierklinik der Ludwig-Maximilians Universität München Krankheitsbilder und Differentialdiagnosen Felines Asthma und die feline chronische Bronchitis gelten als die häufigsten entzündlichen Bronchialerkrankungen bei Katzen. Während das Krankheitsbild des FA auch durch Etablierung experimenteller Katzenmodelle in den letzten Jahren hinsichtlich Ätiologie, diagnostischer Parameter und Therapiemöglichkeiten gründlicher erforscht wurde, ist die CB der Katze bisher noch wenig untersucht. Ursächlich werden Allergene, Infektionen oder Umweltreize als Auslöser der chronisch-entzündlichen Atemwegserkrankungen vermutet. Die am häufigsten beschriebenen Symptome bei beiden Krankheitsbildern sind Husten, Atemgeräusche und Dyspnoeepisoden. Dabei kann eine Erkrankung sowohl mild mit gelegentlichem Husten als auch hochakut mit Atemnot und Zyanose als sogenannter „Status asthmaticus“ verlaufen. Katzen zeigen häufig nicht nur eine erhöhte Atemfrequenz, sondern auch eine erschwerte abdominal betonte Atmung und auskultatorisch ein giemendes Atemgeräusch (1). Labordiagnostisch kann bei Katzen mit FA eine Eosinophilie vorliegen. Röntgenologisch zeigen betroffene Katzen meist eine bronchiale oder bronchointerstitielle Lungenzeichnung. Unterscheiden kann man Asthma und Bronchitis jedoch nur anhand des zytologischen Zellbildes in Spülproben aus den tiefen Atemwegen, bei denen zwischen einer eosinophilen und einer sterilen neutrophilen Entzündung differenziert werden kann (2). Respiratorische Symptome können differentialdiagnostisch auch bei anderen Krankheitsbildern der Katze auftreten, Husten ist jedoch häufig Symptom einer Bronchialerkrankung und tritt bei der Katze, anders als beim Hund, eher nicht im Rahmen kardialer Erkrankungen auf. Auch wenn chronisch-entzündliche Bronchialerkrankungen wahrscheinlich die häufigsten hustenauslösenden Erkrankungen darstellen, müssen bakterielle und bei Freiläuferkatzen auch parasitäre Infektionen ausgeschlossen werden, seltenere Ätiologien sind pulmonale oder intrathorakale Neoplasien, Fremdkörper, Thoraxerguss, Hernien, Lungenlappentorsionen, Trauma oder auch interstitielle Lungenerkrankungen. Atemnot kann bei Patienten mit respiratorischen, kardialen oder intrathorakalen (vor allem Erguss) Problemen auftreten, vor einer gründlichen Abklärung steht hier erstmal eine Stabilisierung nach einer initialen klinischen Einschätzung. Hinweise auf eine kardiale Erkrankung bei Katzen mit Atemnot können Herzgeräusche, Arrhythmien und Hypothermie geben; Patienten mit respiratorischen Erkrankungen zeigen oft einen längeren Krankheitsverlauf als Katzen mit kardialen Erkrankungen (3, 4). Katzen mit Asthma zeigen meist eine exspiratorische Dyspnoe, Patienten mit Erguss eher eine schnelle flache Atmung. Eine inspiratorische Dyspnoe, oft von Atemgeräuschen begleitet, deutet eher auf eine Obstruktion in den oberen Atemwegen hin (Masse, Stenose, Sekret, Ödem, Neoplasie, Larynxparalye), eine exspiratorische Dyspnoe eher auf eine Problematik der unteren Atemwege (5). Diagnostikoptionen Die Diagnostik bei Katzen mit respiratorischen Symptomen sollte sich an den Symptomen und der Stabilität des Patienten orientieren, bei Dyspnoe kann eine erste Einschätzung mittels Kurzschall in Brustlage erfolgen, um Aufschluss über Erguss, Pneumothorax, Konsolidierungen oder Hinweise auf ein Lungenödem zu erhalten, auch eine initiale kardiale Einschätzung kann so erfolgen. Der stabile respiratorische Patient kann mittels Bildgebung (Thoraxröntgen) oder Computertomographie (CT) weiter abgeklärt werden, liegen Hinweise auf eine Bronchialerkrankung vor (bronchiale/bronchointerstitielle Lungenzeichnung, erweitertes Lungenfeld), kann eine Bronchoskopie mit Bronchoalveolarlavage (BAL) oder eine blinde BAL mit nachfolgender Zytologie und Kultur zur Diagnosestellung durchgeführt werden, um sterile von infektiösen Entzündungen abzugrenzen. Eine diagnostische Abklärung mittels CT, Bronchoskopie und BAL sollte vor allem durchgeführt werden, wenn ein Patient auf bereits durchgeführte Therapiemaßnahmen nicht anspricht. Da eine BAL eine Narkose erfordert, sollte sie nur beim stabilen narkosefähigen Patienten durchgeführt werden. 114 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Labordiagnostik Infektionen Die Labordiagnostik wie Blutbild und Serumchemie kann in manchen Fällen Hinweise auf eine Grunderkrankung geben, so zeigen Katzen mit felinem Asthma häufiger auch eine Bluteosinophilie und bei schweren bakteriellen (Bronchopneumonie, Pyothorax) kann eine Neutrophilie mit Linksverschiebung vorliegen. Zur Differenzierung einer kardialen von einer respiratorischen Genese kann beim Patienten mit Dyspnoe die Messung des NT-proBNP herangezogen werden. Mittels Baermann-Wetzel- Auswanderungs-Verfahren sollte bei Freiläufern eine Sammelkotprobe von drei unterschiedlichen Portionen auf Lungenwurmlarven hin untersucht werden. Alternativ oder ergänzend kann eine PCR für Aelurostrongylus abstrusus mittlerweile auch aus einem Rachentupfer oder Kotproben durchgeführt werden. Therapie und Stabilisierung Die Therapie richtet sich nach der Grundursache. Die Therapie eines Patienten mit Dyspnoe, bei dem eine entzündliche Bronchialerkrankung vermutet wird oder nachgewiesen wurde, sollte aus einem kurzwirksamen Kortikosteroid (Prednisolon, Dexamethason), einem Bronchodilatator (Terbutalin, Theophyllin, Salbutamol) und Sauerstoff (Sauerstoffkäfig, -zelt) bestehen. Inhalative Kortisonaerosolsprays sind für die Notfalltherapie nicht geeignet. Die Basis der Langzeittherapie von FA und CB besteht in den meisten Fällen aus der inhalativen oder oralen Gabe von Glukokortikoiden (1). Inhalative Kortikosteroide (bspw. auf der Basis von Fluticason, Budesonid, Beclomethason) sind mit deutlich weniger Nebenwirkungen behaftet und sollten deshalb, falls möglich, einer systemischen Kortisongabe vorgezogen werden. Bei manchen Patienten ist eine Monotherapie mit Kortikosteroiden jedoch nicht ausreichend zur Kontrolle der klinischen Symptome. In diesen Fällen kann ein zusätzlich eingesetzter Bronchodilatator helfen. Dieser kann oral in Form von Terbutalin, Theophyllin oder Propentophyllin oder inhalativ als Salbutamol (kurzwirksam) oder Salmeterol (länger wirksam) verabreicht werden. Beim Patienten mit einer dekompensierten Herzerkrankung und Dyspnoe aufgrund eines Lungenödems zielt die initiale Therapie auf eine Entwässerung ab, besteht Thoraxerguss, muss dieser punktiert und abgezogen werden, gleichzeitig sollte Material für die Ergussanalyse (Zytologie, Kultur, Zellzahl, Protein) asserviert werden. Eine Sauerstofftherapie ist bei allen Patienten mit Dyspnoe indiziert. Bei stark gestressten Katzen kann eine leichte Sedation (Butorphanol) zur Entspannung und Stabilisierung des Patienten beitragen. Literatur 1. 2. 3. 4. 5. Grotheer M, Schulz B. Felines Asthma und chronische Bronchitis – Übersicht zu Diagnostik und Therapie [Feline asthma and chronic bronchitis - an overview of diagnostics and therapy]. Tierarztl Prax Ausg K Kleintiere Heimtiere. 2019 Jun;47(3):175-187. German. Grotheer M, Hirschberger J, Hartmann K, Castelletti N, Schulz B. Comparison of signalment, clinical, laboratory and radiographic parameters in cats with feline asthma and chronic bronchitis. J Feline Med Surg. 2020 Jul;22(7):649-655. Dickson D, Little CJL, Harris J, Rishniw M. Rapid assessment with physical examination in dyspnoeic cats: the RAPID CAT study. J Small Anim Pract. 2018 Feb;59(2):75-84. Swift S, Dukes-McEwan J, Fonfara S, Loureiro JF, Burrow R. Aetiology and outcome in 90 cats presenting with dyspnoea in a referral population. J Small Anim Pract. 2009 Sep;50(9):466-73. Sigrist NE, Adamik KN, Doherr MG, Spreng DE. Evaluation of respiratory parameters at presentation as clinical indicators of the respiratory localization in dogs and cats with respiratory distress. J Vet Emerg Crit Care (San Antonio). 2011 Feb;21(1):13-23. Kontakt PD Dr. Bianka Schulz; Kleintierklinik der LMU München Bianka.Schulz@LMU.de 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 115

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Feline Obstipation – Eine Erkrankung, die wiederkehrend den Atem raubt Dorothee Dahlem Kleintierklinik Ettlingen Definition Der Begriff Obstipation beinhaltet eine Kombination aus erschwertem Kotabsatz, niedriger Kotabsatzfrequenz und einer Anschoppung von Kot im Kolon und/oder Rektum. Keine einheitliche Meinung existiert darüber, ob die Begriffe Verstopfung, Obstipation und Konstipation als Synonyme verwendet werden können oder ob Obstipation möglicherweise eine schwerwiegendere Verlaufsform dieses Symptomkomplexes beschreibt. Ursachen der Obstipation Die Ursachen der felinen Obstipation können unterteilt werden in Erkrankungen, die mit einem höheren Widerstand im Kolon/Rektum einhergehen und dadurch den Kotabsatz erschweren oder Erkrankungen, bei denen der Druckaufbau im Kolon/Rektum vermindert ist und die Evakuierung des Kots Probleme bereitet (Tabelle 1). Tabelle 1: Ursachen der Obstipation ↑Widerstand ↓Druckaufbau Neuromuskulär Megakolon Rückenmarkerkrankung (L4-S3): Diskopathie, Neoplasie, Missbildung Dysautonomie Ganglioneuritis des Kolons Endokrin Hypothyreose Hyperkalzämie Hypoadrenokortizismus Medikamentell Anticholinergika Opioide Bariumhaltiges Kontrastmittel Extramural Beckenfraktur/Beckenengstand Neoplasie Becken/Anus Verklebungen Mural Kolonstriktur Neoplasie Kolon/Rektum Atresia ani Schmerz (Fisteln, Bisswunden/Trauma, Analbeutelabszess, Neoplasie) Luminal Fremdkörper (Knochen, Sand, Haare) Umweltfaktoren mit Verlängerung der Transitzeit (verschmutzte Katzentoilette) Diagnostische Aufarbeitung Neben der Anamnese, bei der vor allem Umwelfaktoren, Vorerkrankungen und eine potentielle Traumavorgeschichte abgefragt werden müssen, muss bei jeder Katze mit chronischer Obstipation eine neurologische Untersuchung durchgeführt werden, um Hinweise auf eine systemische neurologische Erkrankung zu erhalten. Die rektale Untersuchung als Bestandteil der allgemeinen klinischen Untersuchung zur Abklärung in Allgemeinanästhesie durchführen. Mit Hilfe einer radiologischen Untersuchung des Beckens in zwei Ebenen muss das Vorliegen eines Beckenengstandes als Folge einer Fraktur abgeklärt werden. Die Blutuntersuchungen müssen neben der allgemeinen Hämatologie und Blutchemie die Bestimmung der Schilddrüsenhormonkonzentration, ggf. die Bestimmung der Konzentration des Thyroidea-stimulierenden Hormons (TSH) und des Basalkortisols beinhalten. Die Blutuntersuchungen dienen der Abklärung der zuvor intraluminaler rektaler Veränderungen lässt sich bei der Katze in der Regel nur 116 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ aufgeführten metabolischen Differentialdiagnosen als Ursache eines erschwerten Kotabsatzes. In Abhängigkeit von den Befunden der weiterführenden Diagnostik können auch eine sonografische Untersuchung des Abdomens zur Detektion extraluminal lokalisierter Obstruktionen und eine endoskopische Untersuchung des Kolons mit Biopsieentnahme erforderlich werden zur Detektion möglicher entzündlicher Erkrankungen des Kolons und Rektums sowie zur Detektion spezifischer intraluminaler Obstruktionen in Form einer Striktur oder einer Neoplasie. Natürlich richtet sich der Umfang der diagnostischen Maßnahmen auch nach der Chronizität und dem Schweregrad der klinischen Symptomatik. In vielen Fällen kann keine spezifische Ursache der Obstipation gefunden werden. Untersuchungen zufolge wird bei etwa 2/3 der Katzen die Diagnose eines idiopathischen Megakolons gestellt, etwa ¼ der Katzen weist eine Stenose im Beckenkanal auf und 6 % zeigen neurologische Erkrankungen. Ein höheres Alter, Adipositas und das Vorliegen einer chronischen Nierenerkrankung stellen unter anderem bekannte prädisponierende Faktoren für das Auftreten einer Obstipation bei der Katze dar (1, 2). Dem idiopathischen Megakolon kommt somit als Ursache der felinen Obstipation besondere Bedeutung zu. Das Megakolon stellt eine Erkrankung der glatten Muskelzellen im Kolon dar. Vermutet wird, dass eine veränderte Phosphorylierung der leichten Ketten der Muskelfasern die Erkrankung bedingt. Die Anzahl und Dichte der Muskelfasern sind normal. Die Diagnosestellung eines idiopathischen Megakolon beruht in erster Linie auf der Anamnese, klinischen Symptomatik und dem Ausschluss anderweitiger Ursachen der Obstipation. Radiologische Befunde können die These eines Megakolons unterstützen. Liegt der Quotient gebildet aus dem maximalen Durchmesser des Kolons und der Länge des fünften Lendenwirbels über 1,48, ergibt sich ein zusätzlicher Hinweis auf das Vorliegen eines Megakolons (3). Therapie der Obstipation Die Therapie obstipierter Katze beinhaltet zwei Komponenten. Zum einen die akute Evakuierung des Kots aus dem Enddarm und eine chronische Therapie zur Reduktion des Risikos von Rezidiven. Klistiere sind in der Regel nur eine adäquate Maßnahme bei milden Verlaufsformen. Schwerwiegende Obstipationen müssen in Form eines Einlaufs gelöst werden. Je nach Schweregrad der Obstipation und der Kooperation der Katze kann der Einlauf im Wachzustand oder in Narkose erfolgen. Eine Dehydratation sollte im Vorfeld der Narkose durch Zufuhr einer intravenösen Infusion ausgeglichen werden. Gespült werden Rektum und Kolon durch Einführen einer dünnen weichen Ernährungssonde in das Rektum optimalerweise am Kot vorbei. In der Regel werden warmes Wasser oder Infusionslösung verwendet. Diese Flüssigkeiten werden mit Paraffinöl und/oder Ultraschallgel und ggf. Lactulose gemischt. Das Gemisch wird über die Sonde in den Enddarm eingegeben und soll den harten, obstipierten Kot aufweichen und unter manueller Kompression ein Gleiten der Kotballen aus dem Anus ermöglichen. Bei chronischen Obstipationen müssen die harten Kotballen während des Spülens durch Druck von außen mit der Hand zerdrückt werden und Richtung Anus massiert werden. Die Spülung wird so lange fortgesetzt, bis der Enddarm leer ist. Phosphathaltige Einläufe und Klistiere müssen vermieden werden, da sie zu lebensbedrohlichen Elektrolytentgleisungen führen. Die langfristige Förderung des Kotabsatzes hängt zum einen von der Grundursache ab und muss andererseits auch individuell an das Ansprechen des Patienten angepasst werden. Zum Einsatz kommen hierbei Laxantien zur Modulation der Kotkonsistenz und zum Erhöhen der Gleitfähigkeit des Kots, prokinetische Medikamente zur Förderung der Kolonmotilität und Fasern zur Modulation der Kotkonsistenz und Förderung des Austriebs (Tabelle 2). Bei chronischen Verlaufsformen und fehlendem Ansprechen auf das konservative Management kann eine subtotale Kolektomie bei einem idiopathischen Megakolon als Therapie in Betracht gezogen werden. Hierbei handelt es sich nicht um eine kausale Therapie. Der dilatierte Darmabschnitt wird lediglich chirurgisch reseziert, in der Hoffnung, dass anschließend ein besserer Kotabsatz möglich ist. Die subtotale Kolektomie ist keine unkomplizierte Operation. 10 % der Katzen zeigen größere Komplikationen. Bei einem Drittel der operierten Katze treten trotzdem rezidivierende Obstipationen auf. Die Komplikationsrate ist umso größer, je größer der zu entfernende Kolonanteil ist (4). 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 117

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Prokinetika Prucaloprid 0,2-1 mg/kg pro Tag per oral Tabelle 2: Langfristige Therapeutika zur Reduktion des Risikos einer rezidivierenden Obstipation Laxantien Gleitmittel Paraffinöl Petroleumgel Bienenwachs Hyperosmotische Wikstoffe Laktulose (nach Effekt) Macogol (1/2 Messerspitze q12h per oral) Mirtazapin 2 mg/Katze q24h transdermal Kotmodulation Faserreiche Diät Fasersupplementierung Rübenschnitzel Kleie Zellulose Guarkernmehl Pektin Flohsamenschalen Sojabohnenschalen Stimulative Wirkstoffe Bisacodyl (5 mg q24h per oral) Prognose Obstipationen bei der Katze verlaufen häufig chronisch rezidivierend. Die Therapie muss sehr individuell an die Bedürfnisse der Katze angepasst werden, da nicht jede Katze ein gutes Ansprechen auf die einzelnen Komponenten der konservativen Therapie zeigt. Literatur 1. 2. 3. Jones SA, Quimby JM, Summers SC, et al. Survey of defecation habits in apparently heathy and chronic kidney disease cats. J Fel Med Surg. 2022; 24(2):131-141. Benjamin SE, Drobatz KJ. Retrospective evaluation of risk factors and treatment outcome predictors in cats presenting to the emergency room for constipation. J Fel Med Surg. 2022; 22(2):153-160. Trevail T, Gunn-Moore D, Carrer I. et al. Radiographic diameter of the colon in normal and constipated cats and in cats with megacolon. Vet Radiol Ultras. 2011; 52(5):516-520. 4. Grossmann RM, Summer JP, Lopez DJ. Et al. Evaluation of outcomes following subtotal colectomy fot he treatment of idiopathic megacolon in cats. J Vet Med Assoc. 2021;259(11). Kontaktadresse Dr. Dorothee Dahlem; Kleintierklinik Ettlingen info@kleintierklinik-ettlingen.de 118 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Hilfe, der Hund hustet – abwarten oder ab in den Notdienst? Bianka Schulz Kleintierklinik der Ludwig-Maximilians-Universität München Einleitung Auslöser für akuten oder chronischen Husten können verschiedene respiratorische, kardiale oder intrathorakale Grunderkrankungen sein. Husten stellt nur ein Symptom dar und kann eine Vielzahl von verschiedenen Ursachen haben. Tierbesitzern erscheint ein akut auftretender Husten jedoch oft als ein bedrohliches Problem, in vielen Fällen wird beim Hund ein Fremdkörper in den Atemwegen vermutet, wenn die Symptomatik sehr akut und stark beginnt. Viele sind so verunsichert, dass sie Ihr Tier in einer tierärztlichen Notfallsprechstunde vorstellen, weil sie auch bei gutem Allgemeinbefinden des Hundes befürchten, sonst etwas zu verpassen. Dann ist es Aufgabe von uns als Tierärzten einzuschätzen, ob es sich um eine unkomplizierte oder auch chronische Problematik handelt oder um einen echten Notfall, was sicherlich seltener der Fall ist. Akuter Husten Beim Hund ist vor allem eine infektiöse Tracheobronchitis oder CIRD (canine infectious respiratory tract disease), ehemals Zwingerhusten eine häufige Ursache für akuten Husten (1). Hier spielen in den meisten Fällen virale Erreger eine Rolle, auch in Kombination mit Bordetella bronchiseptica oder anderen bakteriellen Erregern. Bei einem unkomplizierten Verlauf ohne hohes Fieber, schlechtem Allgemeinbefinden oder Pneumoniesymptomen ist eine rein symptomatische Therapie indiziert; der Husten sollte innerhalb von 7-10 Tagen selbstlimitierend sein. Besteht er über diesen Zeitrahmen hinaus, kann es sich um eine Bordetelleninfektion oder um ein anderes Grundproblem (respiratorischer Fremdkörper, sterile Entzündung, Atemwegskollaps, Herzproblem) handeln und eine weitere Abklärung wäre indiziert. Bakterielle Bronchopneumonien treten bei Hunden häufiger auf als bei Katzen. Hinweisend auf das Vorliegen einer Pneumonie können Symptome wie Husten, Dyspnoe, Zyanose, Fieber und verstärkte Atemgeräusche sein, weiterhin das Vorliegen von Lungeninfiltraten im Röntgenbild. Blutbildveränderungen wie Neutrophilie und Linksverschiebung können, müssen jedoch nicht vorhanden sein (2). Beim Hund hat sich das C-reaktive Protein (CRP) als ein guter Biomarker erwiesen, um bakterielle Pneumonien von anderen Krankheitsprozessen wie Herzversagen, chronische Bronchitis und Lungenfibrose zu differenzieren (3). Häufige Erreger, die in Studien bei Hund und Katze mit Infektionen der unteren Atemwege nachgewiesen wurden, waren E. coli, Streptococcus sp., Staphylococcus sp., Bordetella bronchiseptica, Pasteurella sp., und Mycoplasma cynos.; das Keimspektrum und die Resistenzlage dieser Bakterien können sich jedoch je nach Studie stark unterscheiden. Bordetelleninfektionen treten vor allem bei jungen Hunden auf, dort dann auch oft mit schweren respiratorischen Symptomen. Eine diagnostische Aufarbeitung ist in jedem Fall gerechtfertigt, wenn nach primärer Therapie, die möglichst mit einem „First-Line-Antibiotikum“ wie Amoxicillin, Amoxicillin- Clavulansäure oder Doxycyclin erfolgen sollte, keine Besserung eintritt, eine zugrunde liegende Ursache (bspw. Fremdkörper) vermutet wird oder rezidivierend Symptome auftreten. In diesem Fall sollte, wenn es der Zustand des Patienten zulässt, eine Bronchoskopie und/oder Bronchoalveolarlavage zum Nachweis beteiligter Bakterien durchgeführt werden. Eine Kultivierung von Rachentupfern zur Identifizierung von bakteriellen Erregern ist bei Hunden und Katzen nicht geeignet, da das Keimspektrum in diesem Bereich nicht mit dem der unteren Atemwege übereinstimmt und diese Proben physiologischerweise in den meisten Fällen ein positives Keimwachstum zeigen. Chronischer Husten Die häufigsten Ursachen für chronischen Husten beim Hund sind Atemwegskollaps (Tracheal- /Bronchialkollaps), chronisch-entzündliche Atemwegserkrankungen (chronische Bronchitis, eosinophile Bronchopneumopathie) und Herzprobleme (Linksherzvergrösserung, Herzversagen und Lungenödem). Die klinische Untersuchung sollte in jedem Fall eine gründliche Auskultation (Herzgeräusch, Herzfrequenz, Arrhythmie, obere Atemwege, Lungenfeld) umfassen. Häufig kann so schon eine Eingrenzung der Problematik 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 119

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ erfolgen. Weiterhin sollte bei jedem Patienten Diagnostik zum Ausschluss einer Lungenwurminfektion (Kotuntersuchung, Antigennachweis invasiveren Diagnostikmaßnahmen erfolgen. für Angiostrongylus vor vasorum im Blut) Eine diagnostische Aufarbeitung ist bei chronischem Husten in jedem Fall indiziert, um zielgerichtet zu therapieren. Bakterielle Infektionen sind nur sehr selten Ursache für chronischen Husten. Somit ist eine empirische Antibiotikatherapie bei dieser Problematik meist nicht gerechtfertigt. Diagnostik Eine erste Einschätzung können die klinische Untersuchung und der Vorbericht liefern. Thoraxröntgen in 2 Ebenen kann helfen einzuschätzen, ob eine Pneumonie, Lungenödem, Aspiration oder eine lobäre Verschattung bei Inhalation eines Fremdkörpers, Lungenlappentorsion oder einer Neoplasie vorliegen könnte, wobei röntgenologische Veränderungen einer klinischen Symptomatik „hinterherhinken“ können. Bei einer unkomplizierten CIRD sind röntgenologisch meist keine Veränderungen detektierbar. Bei Verdacht auf eine kardiale Ursache oder Komponente, kann die Herzgröße mittels Vertebral heart score eingeschätzt werden. Bei gleichzeitig bestehender Atemnot kann die Erstevaluierung mittels Thoraxultraschall einen Erguss ausschließen und eine schnelle Einschätzung des Herzens zur Evaluierung von Dekompensation und Volumenüberladung kann vorgenommen werden (4). Die Labordiagnostik kann mittels Blutbild (Neutrophilie mit Linksverschiebung und CRP-Erhöhung bei bakterieller Bronchopneumonie, Bluteosinophilie bei Eosinophiler Bronchopneumopathie) helfen, eine erste Einschätzung vorzunehmen, Serumparameter helfen, die Narkosefähigkeit für eine ggf erforderliche Abklärung einzuschätzen. Weiterführende Diagnostik wie eine Computertomographie, Tracheobronchoskopie und BAL sind Maßnahmen, die meist nicht im Notdienst durchgeführt werden müssen, außer, es besteht der Verdacht auf einen obstruierenden trachealen Fremdkörper. Literatur 1. 2. 3. 4. Reagan KL, Sykes JE. Canine Infectious Respiratory Disease. Vet Clin North Am Small Anim Pract. 2020 Mar;50(2):405-418. Dear JD. Bacterial pneumonia in dogs and cats. Vet Clin North Am Small Anim Pract. 2014 Jan;44(1):143-59. Viitanen SJ, Laurila HP, Lilja-Maula LI, Melamies MA, Rantala M, Rajamäki MM. Serum C-reactive protein as a diagnostic biomarker in dogs with bacterial respiratory diseases. J Vet Intern Med. 2014 Jan-Feb;28(1):84-91. Boysen SR, Lisciandro GR. The use of ultrasound for dogs and cats in the emergency room: AFAST and TFAST. Vet Clin North Am Small Anim Pract. 2013 Jul;43(4):773-97. Kontaktadresse PD Dr. Bianka Schulz; Kleintierklinik der LMU München Bianka.Schulz@LMU.de 120 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Der Atemlosigkeit zuvorkommen – Praktisches Therapiemanagement beim Übergang von präsymptomatischer zu symptomatischer Linksherzerkrankung beim Hund Jan-Gerd Kresken Tierärztliche Klinik für Kleintiere am Kaiserberg, Duisburg Inhalt des Vortrages Bei der Therapie der degenerativen Mitralklappenerkrankung ist es als Kardiologe sehr wichtig den Beginn der klinischen Phase dieser Herzerkrankung möglichst vor einem unkontrollierten Auftreten von Symptomen zu entdecken. Der Übergang vom präsymptomatischen, oder später einem kompensierten Stadium in die Symptomphase, ist immer sehr dramatisch. Atemlosigkeit ist meistens eine Kombination aus Dyspnoe oder sogar Orthopnoe mit Husten und Röcheln. Hunde im Stadium B2 haben ein Herzgeräusch aber keine Symptome. Hunde im Stadium C1 sind im Prinzip im gleichen kompensierten Stadium, dass aber nur mit einer richtigen Medikation erhalten werden kann. Im Vorfeld zu diesem Ereignis gibt es aber einige klinische Hinweise und messtechnische Kenndaten und umweltbedingte Faktoren, die auf ein bevorstehendes Ereignis hinweisen. Im Vortrag werden die aus der praktischen Erfahrung des Autors gewonnenen Beobachtungen an Beispielen erklärt. Allgemeines Die Insuffizienz der Mitralklappe ist mit Abstand der häufigste kardiologische Befund beim Hund. Sie ist als solches unspezifisch. Allerdings kann man unter Berücksichtigung von Alter und Rasse der Patienten auf die Ursache der Leckage mit großer Wahrscheinlichkeit schließen. Es gibt spezifische kardiale Erkrankungen die zu einer MI führen. Diese können sekundäre oder primäre Ursachen haben Bei den primären Mitralklappeninsuffizienzen kommt es durch einen direkten Defekt der Klappe zur Insuffizienz. Folgende Erkrankungen können eine primäre Mitralklappeninsuffizienz verursachen: degenerative Mitralklappenendokardiose (CMVD) angeborene Mitralklappendysplasie (MD) infektiöse Endokarditis • • • Bei einer sekundären Mitralklappeninsuffizienz kommt es aufgrund einer Volumenüberladung/Dilatation des linken Herzens (z. B. im Rahmen einer DCM oder eines PDA) zu einer Aufweitung des Klappenannulus und damit zur Insuffizienz der Klappe. Die Klappe selbst ist hierbei strukturell nicht verändert. Die chronische degenerative Mitalklappenerkrankung ist die häufigste Ursache für eine Insuffizienz und das hauptsächlich bei den Vertretern kleiner Hunderassen (< 20 kg KGW). Bei den Vertretern von Hunden größerer Rassen liegen die beschriebenen Prävalenzen bei bis zu 30 % in der Population. Zudem besteht eine klare Altersdisposition, spricht es handelt sich um eine erworbene Herzerkrankung die überwiegend im letzten Altersdrittel (Ausnahmen) auftritt. Eine genetische Ursache der CMVD wurde bei vielen Rassen (Teckel, CKCS, etc.) populationsgenetisch bewiesen. Sprich: je älter der Hund ist, umso wahrscheinlicher wird eine Mitralklappendegeneration festzustellen sein. Schweregrad und Progression der Erkrankung variieren stark: Jahrelange Phasen ohne medikamentöse Therapie sind möglich. Trotz der schleichenden Progression kann die korrekte Therapie lange Phasen mit einer hohen Lebensqualität ermöglichen. Mit dem Linksherzversagen und dem darauffolgenden Rechtsherzversagen nach Lungenhochdruck (PAH, Pulmonale Arterielle Hypertonie) hat die Erkrankung das Endstadium erreicht. Die transthorakale Echokardiografie ist zurzeit der Goldstandard zur Evaluierung des Schweregrads und wird auch zur Diagnosesicherung der Erkrankung empfohlen 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 121

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Symptome Es gibt keine spezifischen Symptome, die exklusiv auf eine Herzerkrankung hinweisen. Oftmals handelt es sich um eine unklare Gemengelage von Atembeschwerden oder unterschiedlichster Auffälligkeiten im Verhalten des Patienten. Folgende Symptome und Beschwerden werden regelmäßig vom Tierbesitzer genannt (in ungefährer zeitlicher oder kausaler Abfolge): reduzierte Leistungsbereitschaft und -fähigkeit • • Tachypnoe bei Belastung • Husten, zuerst nur bei Freude und Aufregung (als Anzeichen einer Kardiomegalie, nicht aber als Leitsymptom für ein kongestives Herzversagen) Zu einem späteren Zeitpunkt zeigen die Patienten dauerhaft: • Dyspnoe • Orthopnoe • Aszites • Synkopen • Gewichtsverlust • Anorexie Klassifikation Die ACVIM-Klassifikation besticht durch ihre klare Trennung von asymptomatischem und symptomatischem Patient und hat wie die CHIEF-Klassifikation den Risikopatienten eingeführt. Die Autoren haben die ACVIM-Klassifikation, um den asymptomatischen Patienten, der unter Medikation steht, erweitert. Nur so kann man einen durch Behandlung kompensierten und stabilisierten klinischen Patienten (Stadium C1) von einem Patienten im Stadium B2 trennen. Das „Dogs Echocardiography Progression Protocol“ (DEPP-Klassifikation) kombiniert die jeweiligen Vorteile der CHIEF- und der ACVIM-Klassifikation im Bereich der Patienten aus den Gruppen B und C (Tab. 2) und verwendet im Gegensatz zu den anderen Klassifikationssystemen die sonografischen Veränderungen am Herzen und nicht nur die Röntgentechnik. 122 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Detektionsverfahren Auskultation Typisch für die chronisch degenerative Mitralklappenerkrankung ist ein systolisches Herzgeräusch mit Punctum maximum an der linken Thoraxwand, apikal im Bereich des Knorpel-Knochenübergangs der Rippen gelegen. Zu Beginn der Erkrankung (Stadium B1) ist das Geräusch zunächst leise (Grad 1 – 2/6) und muss nicht unbedingt während der gesamten Systole zu hören sein. In diesem Stadium ist auch ein musikalisches (möwenschreiähnliches) Geräusch möglich. Im weiteren Verlauf wird das Geräusch zunehmend holosystolisch und lauter (Grad 3 – 4/6). Dazu gehört auch, dass das Herzgeräusch nun einen tieferfrequenten (basslastigeren) Charakter annimmt. In fortgeschrittenen Fällen mit ventrikulärer Hyperkinesie kann ein dritter Herzton (ventrikulärer Füllungston) und ein tastbares Schwirren auftreten (Grad 5 – 6/6). Wenn bei der Auskultation eine respiratorische Sinusarrhythmie festgestellt wird, ist meistens von einem asymptomatischen Patienten auszugehen. Eine respiratorische Arrhythmie spricht somit gegen ein kongestives Herzversagen, sie kann bei primären Atemwegskrankheiten (z. B. einer Lungenfibrose) sogar in verstärktem Maße auftreten. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 123

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Echokardiographie Die transthorakale Echokardiografie ist zurzeit der Goldstandard zur Früherkennung einer Mitralklappenveränderung. Sie wird auch zur Evaluierung des Schweregrads der Erkrankung empfohlen. Mittels der 2-D-Echokardiografie können die Myokardfunktion und der Status des Remodelings gut beurteilt werden. Durch die Doppler-Echokardiografie ist es weiter möglich, auch den linksventrikulären Füllungsdruck und den Pulmonalarteriendruck zu bestimmen Ruheatemfrequenz Die Ruheatemfrequenz (RRR, Resting Respiratory Rate,) wird in einer absoluten Ruhesituation, am besten bei einem liegenden, ruhenden Hund gemessen. Alternativ kann die Atemfrequenz beim schlafenden Hund gemessen werden (SRR, Sleeping Respiratory Rate), die meistens niedriger als die RRR ist. RRR und SRR steigen bei Patienten im kongestiven Herzversagen (Lungenödem) kontinuierlich an. Ein Wert unter 30 Atemzügen/min gilt als unverdächtig. Bei Werten über 35 Atemzüge/min ist bei Hunden mit Kongestionen ein kritischer Punkt erreicht, bei dem der Tierbesitzer umgehend den Tierarzt aufsuchen sollte. Hierbei ist jedoch anzumerken, dass die Mitralklappenpatienten im Idealfall bereits einige Zeit unter tierärztlicher Obhut stehen und die Besitzerkommunikation schon frühzeitig auf die Atemfrequenz zu legen ist. Die individuelle Atemfrequenz bei Hunden kann somit sehr früh vom Besitzer überwacht werden. Nicht selten sind die Atemfrequenzen in Ruhe nämlich deutlich unter 20/min. Die Bestimmung der Ruheatemfrequenz stellt eine sehr sensitive Methode zur Erkennung eines Lungenödems dar und kann bereits vor dem Auftreten radiologischer Veränderungen (interstitielles Lungenödem) ansteigen. Jedoch ist sie nicht spezifisch für ein Lungenödem. Therapie Stadium A Das Stadium A beschreibt Patienten mit hohem Risiko, eine Herzerkrankung zu entwickeln. Bei diesen Hunden konnte jedoch zum Untersuchungszeitpunkt noch keine kardiale Abnormalität dokumentiert werden. Stadium B Das Stadium B beschreibt Patienten, bei denen eine strukturelle Herzerkrankung vorliegt. Im Falle einer Mitralklappenendokardiose bestehen entsprechende strukturelle Veränderungen der Mitralklappe, die zu einer Insuffizienz der Klappe und zum typischen Herzgeräusch (systolischen Herzgeräusch mit Punctum maximum über der Mitralklappe) führen (Abb. 2). Diese Patienten haben oder hatten zu keinem Zeitpunkt Symptome, d. h., dass bis zum Untersuchungszeitpunkt kein kongestives Herzversagen aufgetreten ist. Patienten im Stadium B1 weisen sekundär zur Grunderkrankung (Mitralklappenendokardiose) keine röntgenologisch oder echokardiografisch nachweisbare Kardiomegalie auf Patienten im Stadium B2 zeigen eine Kardiomegalie (linksatriale oder linksventrikuläre Vergrößerung im Röntgen oder Herzultraschall) aufgrund der Mitralklappeninsuffizienz. Dies bedeutet, dass die Erkrankung bereits hämodynamisch relevant ist Stadium C Im Stadium C der Mitralklappenendokardiose haben oder hatten die Hunde ein kongestives Herzversagen. Dies bedeutet, dass die Patienten klinische Symptome eines kardiogenen Lungenödems zeigen oder zeigten. In diesem Stadium ist es wichtig, das diuretische Management dem Patienten und der Jahreszeit anzupassen. Bei Furosemid kann man grob in drei Diuresestufen einteilen: Leichte Diurese: 2-4 mg/kg/d (verteilt) Mittlere Diurese 4-8 mg/kg/d (verteilt) Starke Diurese: > 8 mg/kg/d und ggf. additive Diuretika 124 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Stadium D Das Fortschreiten der Erkrankung ins Stadium D ist dadurch gekennzeichnet, dass der Patient nicht mehr auf die unten ausgeführte Standardtherapie anspricht und weitere therapeutische Unterstützung benötigt. Dieses Stadium stellt das Endstadium der Erkrankung da Zusammenfassung der therapeutischen Maßnahmen in den verschiedenen Stadien der CMVD Therapeutische Empfehlungen Stadium B1 Es gibt keine therapeutische Empfehlung Stadium B2 (EPIC und tw. VETPROOF) • Pimobendan 0,25- 0,3 mg/kg zweimal tgl. • ACEi+Spironolacton, wenn hoher Vorhofdruck vorliegt (E>>A) Stadium C (QUEST, BESST, Carpodiem, Bernay, VALVE, Consensus, PO) • Pimobendan • Furosemid, Torasemid, Hydrochlorothiazid • ACEi + Spironolacton für komplette RAAS Hemmung (VALVE Studie: alleinige Gabe ohne Spironolacton nicht sinnvoll) Literatur 1. Kresken JG, Wendt R, Modler P. Praxis der Kardiologie Hund und Katze. Stuttgart: Enke; 2017 Kontakt Dr. Jan-Gerd Kresken; Tierärztliche Klinik für Kleintiere am Kaiserberg, Duisburg kresken@tierklinik-kaiserberg.de 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 125

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Atemlos durch die Nacht – und was Abhilfe bei Dyspnoe schafft: Modernes Diuresemanagement aus Sicht der Human- und Veterinärmedizin Imke März1, Luciano Pizzulli2 1Tierklinik Hofheim, IVC Evidensia; 2Gemeinschaftskrankenhaus Bonn Einleitung Die überwiegende Mehrheit der akuten Herzinsuffizienz-Episoden in der Human- und Tiermedizin ist durch Symptome und Anzeichen einer Stauung mit Volumenüberlastung gekennzeichnet [1,2]. Das Ziel der Therapie ist die Linderung der Stauung, welches im akuten Stadium in erster Linie durch den Einsatz von Diuretika erreicht wird. Schleifendiuretika sind aufgrund ihrer schnellen und starken Wirkung Therapie der ersten Wahl. Der angemessene Einsatz stellt eine Herausforderung dar, insbesondere im chronischen Stadium, wenn eine Verschlechterung der Nierenfunktion, Störungen des Elektrolythaushaltes oder eine Diuretikaresistenz eintritt. Ätiologie Die Ursachen einer kongestiven Herzinsuffizienz beim Menschen sind viele, unter anderem koronare Herzerkrankungen, Hypertension, Herzklappenfehler. Bei Hund und Katze stehen die Linksherzinsuffizienz mit Lungenödem im Vordergrund. Beim Hund wird diese in erster Linie durch degenerative Klappenerkrankungen, aber auch durch DCM oder angeborene Erkrankungen wie der PDA bedingt. Bei der Katze stehen die unterschiedlichen Formen der Kardiomyopathien, insbesondere dem HCM-Phänotyp im Vordergrund. Aszites ist beim Hund nicht selten. Kardiale Ursachen sind Arrhythmien wie Vorhofflimmern infolge einer Linksherzerkrankung mit linksatrialer Vergrößerung. Ein schwerer Lungenhochdruck oder Perikarderguss kann zu einem Rechtsherzversagen mit Aszites und Pleuraerguss führen. Bei der Katze kommt es im Zug der Kardiomyopathien häufig zu einem Pleuraerguss oder einer Mischform aus Lungenödem und Pleuraerguss. Symptomatik Die Herzinsuffizienz führt zu einer eingeschränkten körperlichen Belastbarkeit und nachweisbarer kardialer Funktionsstörung (WHO-Definition). Beim Menschen steht die Einschränkung der Leistungsfähigkeit im Vordergrund, welche nach Richtlinien der New York Heart Association (NYHA) eingeteilt wird. Die Einschätzung der Belastbarkeit bei Tieren ist vom Einfühlvermögen des Besitzers abhängig. Bei Hunden ist sie oft schleichend und wird als Symptom anderer Veränderungen verkannt, unter anderem Alter, andere Erkrankungen wir Arthrosen oder dem Wetter. Die Belastbarkeit von Katzen – Freigänger oder Wohnungskatzen – ist deutlich schwieriger einzuschätzen. Tiere mit Lungenödem werden mit Tachypnoe, Dyspnoe bis hin zur Atemnot vorgestellt. Dieses darf nicht mit Hecheln verwechselt werden. Husten ist nur selten ein Symptom einer kongestiven Herzinsuffizienz bei Hund und Katze. Bei kleinen und mittelgroßen Hunden tritt er im Zusammenhang mit Erkrankungen der oberen Atemwege wie Bronchomalazie auf. Selten wird der Hund so spät vorgestellt, dass er Ödemflüssigkeit abhustet. Eine Sonderstellung nimmt hier der Dobermann mit DCM ein. Bei Vorliegen eines Pleuraergusses kann eine abdominale Atmung beobachtet werden. Häufig wird diese von Besitzern erst erkannt, wenn sich die Katze zurückzieht, aufhört zu fressen oder nach kurzem Stress Atemnot mit Maulatmung zeigt. Ist eine Herzerkrankung im Vorfeld bekannt, werden viele Besitzer aufgefordert, die individuelle Ruheatemfrequenz ihres Tieres zu ermitteln und vorstellig zu werden, wenn diese zunimmt. Hilfreich sind Videos der Atmung, sowohl zum Vergleich als auch zur Einschätzung anderer Ursachen. Diagnostik Bei der Diagnostik spielen in der Human- und Tiermedizin neben der klinischen Untersuchung auch die Bildgebung eine wichtige Rolle. 126 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ In der klinischen Untersuchung fallen neben einer Tachy - oder Dyspnoe auch inspiratorisch veränderte Lungengeräusche auf. Hunde mit Lungenödem haben in der Regel ein linksseitiges Herzgeräusch lauter 2/6. Ausnahme ist hier die DCM, bei der das Herzgeräusch leise sein kann. Bei der Katze hingegen ist die Auskultation nicht zuverlässig. Die Herzfrequenz ist beim Hund erhöht, die physiologische respiratorische Arrhythmie aufgehoben. Bei Katzen ist eine relative Bradykardie prognostisch ungünstig. Die Röntgenuntersuchung des Thorax ist Diagnostik der Wahl zur Einschätzung eines Lungenödems. Neben der Morphologie des Herzens mit Hinweisen auf eine Linksherzvergrößerung, kann bei Tieren die VHS (vertebral heart score) ermittelt werden. Zu beachten sind die rassespezifischen Werte beim Hund (Tabelle 1), während man bei Katzen bei VHS > 8 von einer Kardiomegalie ausgeht. Beim Hund kann zudem der Vorhof in der lateralen Aufnahme beurteilt werden (VLAS). Ein Wert > 2,5 gilt als hinweisend, > 3 als beweisend für eine linksatriale Vergrößerung, welche auch ohne Lungenödem zu diagnostizieren ist. Diagnostik der Wahl für einen Pleuraerguss ist der Ultraschall des Thorax. Der erfahrene Untersucher kann bei Mensch und Tier sonographisch auch ein Lungenödem feststellen. Tabelle 1: Referenzwerte der VHS (Vertebral Heart Score) verschiedener Hunderassen Rasse CKCS Yorkshire Terrier Pudel Deutscher Schäferhund Dobermann Rottweiler Boxer Labrador Greyhound Whippet EPIC Studie (rasse-unspezifisch) 10,6 ± 0,5 9,7 ± 0,5 10,1 ± 0,5 9,7 ± 0,7 10 ± 0,6 9,8 ± 0,1 11,6 ± 0,8 10,8 ± 0,6 10,5 ± 0,1 11 ± 0,5 < 10,5 Referenzwert VHS Therapie Das Ziel der Therapie bei diesen Patienten ist die Entlastung der Stauung durch Erreichen eines Zustands der Euvolämie. Schleifendiuretika sind Eckpfeiler für die Behandlung der akuten und chronischen dekompensierten Herzinsuffizienz und des damit verbundenen kardiogenen Lungenödems [1–3]. Vor der Therapie sollte immer eine Blutuntersuchung erfolgen, mit Augenmerk auf Nierenwerte und Elektrolyte. Je nach Ausmaß der Symptome, nach Dauer der klinischen Symptome (häufig werden Tiere erst nach Tagen vorgestellt), kann eine stationäre Therapie mit intravenöser Gabe von Furosemid und Sauerstoff nötig sein. Bei hoher Dosierung von Schleifendiuretika, sollte Kalium oral substituiert werden. Hunde und Katzen brauche immer freien Zugang zu Wasser. Die zusätzliche Standardtherapie einer Herzerkrankung muss parallel erfolgen [2,4]. Sobald es zu einer Verbesserung der Atmung kommt, kann auf die orale Gabe eines Diuretikums umgestellt werden. In der Tiermedizin sind dafür Furosemid und Torasemid zugelassen. Letzteres steht in Tablettenform zur Verfügung. Aufgrund der jahrelangen Erfahrung wird von vielen Tierärzten Furosemid als Therapie der ersten Wahl verschrieben. Die Erfahrungen mit Torasemid nehmen ständig zu, Vorteil dieses Schleifendiuretikums ist in erster Linie die bessere Bioverfügbarkeit (Tabelle 2). In den ersten Tagen wird eine höhere Dosierung des Schleifendiuretikums verschrieben, die optimalerweise nach 3 bis 5 Tagen reduziert werden sollte. Es wird die niedrigste mögliche Tagesdosierung angestrebt, die bei Verschlechterung wieder erhöht werden kann. Hierfür ist die Compliance mit dem Besitzer und einem zuverlässigen Monitoring der Atemfrequenz essenziell. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 127

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Tabelle 2: Furosemid und Torasemid im Vergleich [6–12] Bioverfügbarkeit (oral) HWZ oral Wirkdauer Dosierung - Akut i.m./i.v. - Akut DTI Furosemid Hund 50% 1-2 h 6 h 2-4 mg/kg 0,17-0,5 - Umstellung auf oral (akut) - Erhaltungs- dosis oral mg/kg/h 4-8 mg/kg/d 1-2 mg/kg/d Torasemid Hund 92-98% 6-8 h 12 h Katze 88% 12 h 12 h Nur oral Nur oral Nur oral Nur oral Katze 48 ± 23% 1 h 6 h 2 mg/kg 0,17-0,33 mg/kg/h 2 mg/kg 0,3-0,6 0,2-0,4 q12h 1-2 mg/kg/d 0,1-0,2 mg/kg/d mg/kg/d 0,2 mg/kg/d mg/kg/d Zunehmende Erfahrung Dosierungs-anpassung h Stunden; HWZ Halbwertzeit; DTI Dauertropfinfusion; i.m. intramuskulär; i.v. intravenös; mg/kg/d mg pro Kg pro Tag; mg/kg/h mg pro Kg pro Stunde; k.A. keine Angaben; Msch Mensch Mehr Erfahrung = einfacher Bekommt das Tier Furosemid und zeigt trotz optimaler Dosierung eine Verschlechterung, so sollte man spätestens ab einer Tagesdosis von 8mg/kg Furosemid über eine Diuretikaresistenz nachdenken und möglichst auf Torasemid oder eine sequentielle Nephronblockade umstellen. Die dreimal tägliche Gabe von Furosemid sollte vermieden werden, da dieses die Compliance der Besitzer meist übersteigt. Eine regelmäßige Kontrolle der Nierenwerte unter kardialer Therapie ist wichtig und sollte je nach Ausmaß der Erkrankung und Compliance der Besitzer nach 2 bis 4 Wochen und anschließend alle 3 bis 6 Monate erfolgen. Auch die Körperkonstitution ist zu beurteilen, da Besitzer die kardiale Kachexie häufig unterschätzen. Bei Vorliegen eines relevanten Pleuraergusses muss dieser abpunktiert und im Anschluss wie oben beschrieben diuretisch behandelt werden. Dieser ist bei Katzen häufiger als bei Hunden. Da die Atemfrequenz bei Katzen schwerer zu ermitteln ist, zudem diese bei einem erneuten Pleuraerguss nicht ansteigen muss, kann man die Besitzer bitten, die Katze einmal die Woche zu wiegen oder zu filmen. Nebenwirkungen von Schleifendiuretika sind dosisabhängig. Die Langzeitgabe kann zu einer Beeinträchtigung der Nierenfunktion und somit zu einer Azotämie, bis hin zur Nierenerkrankung führen. Dieses gilt insbesondere für höhere Dosierungen, weshalb die niedrigste mögliche Dosierung angestrebt werden sollte. Der Umgang mit diesen Veränderungen ist bei Mensch und Tier sehr unterschiedlich. Klinisch relevante Hypokaliämien treten bei höheren Dosierungen und Vorliegen einer Inappetenz vor. Literatur 1. 2. 3. 4. 5. 6. Mullens W, Damman K, Harjola VP, Mebazaa A, Brunner-La Rocca HP, Martens P, et al. The use of diuretics in heart failure with congestion — a position statement from the Heart Failure Association of the European Society of Cardiology. Eur J Heart Fail. 2019;21(2):137–55. Keene BW, Atkins CE, Bonagura JD, Fox PR, Häggström J, Fuentes VL, et al. ACVIM consensus guidelines for the diagnosis and treatment of myxomatous mitral valve disease in dogs. J Vet Intern Med. 2019; Ellison DH, Felker GM. Diuretic Treatment in Heart Failure. N Engl J Med. 2017;377(20):1964–75. Luis Fuentes V, Abbott J, Chetboul V, Côté E, Fox PR, Häggström J, et al. ACVIM consensus statement guidelines for the classification, diagnosis, and management of cardiomyopathies in cats. J Vet Intern Med. 2020;34(3):1062–77. Boswood A, Häggström J, Gordon SG, Wess G, Stepien RL, Oyama MA, et al. Effect of Pimobendan in Dogs with Preclinical Myxomatous Mitral Valve Disease and Cardiomegaly: The EPIC Study—A Randomized Clinical Trial. J Vet Intern Med. 2016 Nov 28;30(6):1765–79. Pelligand L, Guillot E, Geneteau A, Guyonnet J, Magnier R, Elliott J, et al. Population Pharmacokinetics and Pharmacodynamics Modeling of Torasemide and Furosemide After Oral Repeated Administration in Healthy Dogs. Front Vet Sci. 2020;7(April):1–17. 128 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ 7. 8. 9. 10. 11. 12. Besche B, Blondel T, Guillot E, Garelli-Paar C, Oyama MA. Efficacy of oral torasemide in dogs with degenerative mitral valve disease and new onset congestive heart failure: The CARPODIEM study. J Vet Intern Med. 2020;34(5):1746–58. UECHI M, MATSUOKA M, KUWAJIMA E, KANEKO T, YAMASHITA K, FUKUSHIMA U, et al. The Effects of the Loop Diuretics Furosemide and Torasemide on Diuresis in Dogs and Cats. J Vet Med Sci. 2003;65(10):1057–61. Roche-Catholy M, Paepe D, Devreese M, Broeckx BJG, Woehrlé F, Schneider M, et al. Pharmacokinetic and pharmacodynamic properties of orally administered torasemide in healthy cats. J Vet Intern Med. 2022;36(5):1782–91. Poissonnier C, Ghazal S, Passavin P, Alvarado MP, Lefort S, Trehiou-Sechi E, et al. Tolerance of torasemide in cats with congestive heart failure: A retrospective study on 21 cases (2016-2019). BMC Vet Res. 2020;16(1):1–11. Sleeper MM, O’Donnell P, Fitzgerald C, Papich MG. Pharmacokinetics of furosemide after intravenous, oral and transdermal administration to cats. J Feline Med Surg. 2019 Oct 19;21(10):882–6. Paulin A, Schneider M, Dron F, Woehrlé F. A pharmacokinetic/pharmacodynamic model capturing the time course of torasemide-induced diuresis in the dog. J Vet Pharmacol Ther. 2016;39(6):547–59. Kontakt Dr. Imke März; Tierklinik Hofheim, IVC Evidensia i.maerz@tierklinik-hofheim.de 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 129

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Heiß, heißer, Hitzschlag – ein Notfallpatient, nicht nur in den Sommermonaten! Katja Kalenyak Klinik für Kleintiere, Veterinärmedizinische Fakultät, Universität Leipzig Einleitung Hitzschlag – eine potenziell lebensbedrohliche Situation bei Hunden (seltener bei Katzen) – entsteht, wenn der Körper es nicht mehr schafft, die Wärme, die durch die Umgebungstemperatur, Anstrengung und Stoffwechselprozesse entsteht, abzugeben (1-3). Hitzschlag ist definiert als eine Hyperthermie, die zu einer progressiven systemischen Entzündungsreaktion, Multiorganversagen und folglich zu einer neurologischen Dysfunktion und potenziell zum Tod führen kann (4, 5). Beim Hund wird Hitzschlag mit einer inneren Körpertemperatur > 41 °C charakterisiert (2). Je nach Höhe der Körpertemperatur und Dauer der Hyperthermie kann es zu Zelltod, Denaturierung wichtiger Enzyme und Aktivierung der Gerinnungskaskade kommen (1). Unter normalen Umweltbedingungen werden beim Hund ca. 70 % der Körperwärme durch Radiation und Konvektion über die Körperoberfläche abgegeben (2). Anfangs kommt es bei Hitzebelastung zu einer zentralen Vasokonstriktion und einer peripheren Vasodilatation und somit zu einer Umverteilung des Blutflusses in die Haut, um die Hitzeabgabe zu erleichtern. Im Falle eines weiteren Anstiegs der Umgebungstemperatur nimmt die Hitzeabgabe über Konvektion und Radiation über die Haut ab und die Hitzeabgabe erfolgt hauptsächlich über Verdunstung (Hecheln) (2,3,6). (ausgelöst durch hohe langanhaltender übermäßiger körperlicher Anstrengung bei Man unterscheidet den klassischen Hitzschlag (ausgelöst durch hohe Umgebungstemperaturen) und den anstrengungsinduzieren Hitzschlag körperliche Belastung bei hoher Umgebungstemperatur oder jeglicher Außentemperatur) (3, 5). Auch wenn vermutlich viele Leser „an den Hund im Auto im Sommer“ als typisches Beispiel für einen Patienten mit Hitzschlag denken, stellt die anstrengungsinduzierte Hyperthermie die Hauptursache dar. Laut einer aktuellen Studie umfasst die anstrengungsinduzierte Hyperthermie zirka 75 % aller Patienten und kann prinzipiell zu jeder Jahreszeit auftreten, sodass der Hitzschlag nicht nur einen Notfall in den Sommermonaten darstellt (5,7). Klinisches Bild und Diagnose Prinzipiell können Hunde jeden Alters und jeder Rasse einen Hitzschlag erleiden. Adipositas, höheres Körpergewicht, mangelnde Akklimatisation (= langfristige Anpassung an veränderte Umweltbedingungen (3)), dichtes Haarkleid und höheres Alter wurden allerdings u.a. als prädisponierende Faktoren identifiziert (2,5,7). Zusätzlich waren in mehreren Studien der Labrador Retriever und insbesondere brachyzephale Hunderassen überrepräsentiert (2,5,7,8). Brachyzephale Hunde sind aufgrund ihrer Obstruktion der oberen Atemwege (z.B. stenotische Nares, zu langes Gaumensegel, hypoplastische Trachea, Neigung zu Larynxödem) besonders gefährdet und überproportional häufig betroffen (2,5), da sie Hitze auch bei normaler Umgebungstemperatur unzureichend abgeben können. langsame und Je nach Aufmerksamkeit und Wissensstand der Besitzer kann der Vorbericht unter Umständen ungenau sein. Anamnestisch sollten nicht nur die Umgebungstemperatur, sondern auch prädisponierende Faktoren und besondere Ereignisse (z.B. auch Aufregung / Stress durch Schmerz, Trennungsangst oder der Behandlung beim Tierarzt oder Hundefriseur) erfragt werden (2,5). Zusätzlich sollten Rasse-spezifische Erkrankungen wie die maligne Hyperthermie, „exercise-induced collapse“ und „exercise-induced hyperthermia syndrome“ (z.B. beim Labrador Retriever, Greyhound, Border Collie, English Springer Spaniel) berücksichtigt werden (9-12). Das klinische Bild bei Patienten mit Hitzschlag ist sehr variabel. Patienten können sowohl mit Hyperthermie als auch mit Normo- oder Hypothermie (z.B. durch Schock oder nach vorangegangener Kühlung) vorgestellt werden. Häufig sind Patienten bei reduziertem Bewusstsein, zum Teil sogar in Seitenlage und nicht ansprechbar. Hunde mit Hitzschlag können Hecheln, Tachypnoe oder auch Dyspnoe zeigen. Neurologische 130 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Symptome wie Desorientierung, Ataxie, Krampfanfälle und Koma und gastrointestinale Symptome wie Vomitus und hämorrhagische Diarrhoe sind ebenfalls häufig (3). Durch eine Kombination unter anderem aus direktem Zellschaden durch Hitze, schwerwiegendem hypovolämischen und distributiven Schock, metabolischer Azidose, Endotoxämie und disseminierter intravasaler Koagulopathie (DIC) kommt es beim Hitzschlag zu einer verminderten Organdurchblutung, Gewebsnekrose und hämorrhagischer Diathese. Als schwerwiegende Komplikationen können akutes Nierenversagen, ARDS respiratory distress syndrome), Leberschaden, Rhabdomyolyse, Enzephalopathie, Sepsis, DIC und eine akute Pankreatitis auftreten (2). (acute Entsprechend der vorliegenden Organschäden sind in der blutchemischen Untersuchung eine Azotämie (prärenal oder renal), erhöhte Leberenzymaktivitäten, Hyperbilirubinämie und eine Erhöhung der Kreatininkinase zu erwarten. Des Weiteren kann eine Hypoglykämie (z.B. bei Sepsis, schwerwiegendem Leberschaden) und eine Hypoalbuminämie vorliegen (2,3). Hämatologisch kann sowohl eine Leukozytose als auch eine Leukopenie vorliegen. Eine Thrombozytopenie liegt bei der Mehrheit der Patienten vor (8). Diese kann sowohl im Rahmen eines vermehrten Verbrauchs (z.B. bei DIC, gastrointestinalen Blutungen) als auch durch eine immunmediierte Zerstörung entstehen (2,3,13). Eine hämatologische Besonderheit bei Hunden mit Hitzschlag ist der Nachweis kernhaltiger Erythrozyten („nucleated red blood cells“) im Blutausstrich, welche durch eine Korrelation ihrer Anzahl mit sekundären Komplikationen als prognostischer Faktor dienen können (14). Des Weiteren weisen Patienten mit Hitzschlag häufig Gerinnungsstörungen und somit abnorme Gerinnungsparameter auf (1,2). Therapie und Prognose Wie jeder Notfallpatient sollte auch ein Patient mit Hitzschlag nach dem ABC-System (airway, breathing, circulation) beurteilt werden (1). Ansonsten stellen die Hauptsäulen der Therapie beim Hitzschlag eine zügige Kühlung des Patienten, Flüssigkeitstherapie zur Stabilisierung des Kreislaufs und Management sekundärer Komplikationen (z.B. Schock, Hypoglykämie, DIC, Nierenversagen) dar (1,3). Aufgrund der hohen Priorität der Korrektur der Körpertemperatur wird sogar empfohlen, dass Patienten mit Hitzschlag noch vor dem Transport zum Tierarzt von ihren Besitzern gekühlt werden (15,16). Prinzipiell wird bei jungen gesunden Hunden eine Kühlung durch Wasserimmersion mit kaltem (Leitungs-)Wasser und bei alten Hunden oder Hunden mit anderen Grunderkrankungen eine Kühlung durch Verdunstung angeraten (15). Bei letzterer werden Haarkleid und Haut mit lauwarmem Wasser besprüht und durch kontinuierlichen Luftstrom (z.B. Ventilator, beim Transport offenes Fenster bei der Autofahrt) verdunstet. Zusätzlich können bei älteren oder kranken Tieren auch Kühlakkus in die Achsel oder Leiste gelegt werden (15). Kalte Infusionslösungen, Einläufe oder Magenspülungen mit kaltem Wasser und Kühlung mit Eiswasser sind eher nicht zu empfehlen, da es hierbei zu einer peripheren Vasokonstriktion und dadurch einer schlechteren Wärmeabgabe kommt (3, 16). Die aktive Kühlung sollte bei Erreichen einer Körpertemperatur von 39,5°C oder Zittern beendet werden (3,15). Intravenöse Infusionstherapie unterstützt durch die Stabilisierung des Kreislaufes zusätzlich auch die Wärmeabgabe. Die Art der Infusionslösung, Infusionsrate / -menge und zusätzliche Elektrolyt- und Glukosesubstitutionen sollten immer individuell an den Zustand des Patienten – insbesondere unter Berücksichtigung des Volumen- und Hydratationsstatus und des Blutdrucks – angepasst werden (1). Die weitere Therapie richtet sich nach den klinischen Symptomen des Patienten und dem Auftreten zusätzlicher Komplikationen und kann den Einsatz von Blutprodukten, Antibiotika, Antiemetika (z.B. Maropitant, Ondansetron, Metoclopramid), Analgetika (z.B. Buprenorphin, Butorphanol, Fentanyl), Gastroprotektiva (Pantoprazol, Omeprazol, Sucralfat, Famotidin) und Antiarrhythmika (z.B. Lidocain) notwendig machen (1,3). Patienten mit Hitzschlag sind Intensivpatienten, die einer engen klinischen Überwachung bedürfen. Die Prognose ist multifaktoriell und unter anderem abhängig davon, wie lange die Hyperthermie angedauert hat, wie hoch die Körpertemperatur war, wie zügig die Kühlung und Behandlung erfolgte und ob sekundäre Komplikationen aufgetreten sind (1,17). Die Mortalität beträgt bei Patienten mit Hitzschlag ca. 50 % (8,18,19). Daher ist eine sehr gute Aufklärungsarbeit bei Besitzern über die Risikofaktoren, die zu einem Hitzschlag führen 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 131

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ können, und den ersten Hilfemaßnahmen essenziell, um einen Hitzschlag zu vermeiden oder im Notfall dann doch frühzeitig richtig zu therapieren. Literatur 1. Johnson SI, McMichael M, White G. Heatstroke in small animal medicine: a clinical practice review. J Vet Emerg Crit Care. 2006; 16(2):112-119. 2. Bruchim Y, Horowitz M, Aroch I. Pathophysiology of heatstroke in dogs - revisited. Temperature 2017; 4(4):356-370. 3. McIntosh J. Hitzschlag – eine saisonale Herausforderung. kleintier konkret 2017; 20(02): 23-31. 4. Bouchama A, Knochel JP. Heat stroke. N Engl J Med. 2002; 346(25):1978-88. 5. Hall EJ, Carter AJ, O'Neill DG. Dogs don't die just in hot cars - exertional heat-related illness (heatstroke) is a greater threat to UK dogs. Animals. 2020; 10(8):1324. 6. Hemmelgarn C, Gannon K. Heatstroke: thermoregulation, pathophysiology, and predisposing factors. Compend Contin Educ Vet. 2013; 35(7):E4. 7. Hall EJ, Carter AJ, O'Neill DG. Incidence and risk factors for heat-related illness (heatstroke) in UK dogs under primary veterinary care in 2016. Sci Rep. 2020;10(1):9128. 8. Bruchim Y, Klement E, Saragusty J, Finkeilstein E, Kass P, Aroch I. Heat stroke in dogs: a retrospective study of 54 cases (1999-2004) and analysis of risk factors for death. J Vet Intern Med. 2006; 20:38–46. 9. Dickinson PJ, Sullivan M. Exercise induced hyperthermia in a racing greyhound. Vet Rec. 1994; 135(21):508. 10. Taylor SM, Shmon CL, Shelton GD, Patterson EN, Minor K, Mickelson JR. Exercise-induced collapse of Labrador retrievers: survey results and preliminary investigation of heritability. J Am Anim Hosp Assoc. 2008; 44(6):295-301. 11. Taylor S, Shmon C, Su L, Epp T, Minor K, Mickelson J, Patterson E, Shelton GD. Evaluation of dogs with Border Collie collapse, including response to two standardized strenuous exercise protocols. J Am Anim Hosp Assoc. 2016; 52(5):281- 90. 12. Thrift E, Wimpole JA, Child G, Brown N, Gandolfi B, Malik R. Exercise-induced hyperthermia syndrome (canine stress syndrome) in four related male English springer spaniels. Vet Med (Auckl). 2017; 8:59-68. 13. Zenker I, Keller L, Meichner K, Unterer S, Hartmann K. Immune mediated destruction of platelets in dogs with heat stroke: a prospective study. Tierarztl Prax K. 2009; 37(5):314-318. 14. Aroch I, Segev G, Loeb E, Bruchim Y. Peripheral nucleated red blood cells as a prognostic indicator in heatstroke in dogs. J Vet Intern Med. 2009; 23(3):544-51. 15. Hanel RM, Palmer L, Baker J, Brenner J-AA, Crowe DTT, Dorman D, Gicking JC, Gilger B, Otto CM, Robertson SA, et al. Best practice recommendations for prehospital veterinary care of dogs and cats. J Vet Emerg Crit Care. 2016; 26:166–233. 16. Hall EJ, Carter AJ, Bradbury J, Beard S, Gilbert S, Barfield D, O’Neill DG. Cooling methods used to manage heat-related illness in dogs presented to primary care veterinary practices during 2016–2018 in the UK. Vet Sci. 2023; 10:465. 17. Segev G, Aroch I, Savoray M, Kass PH, Bruchim Y. A novel severity scoring system for dogs with heatstroke. J Vet Emerg Crit Care. 2015; 25(2):240-7. 18. Teichmann S, Turković V, Dörfelt R. Hitzschlag bei Hunden in Süddeutschland. Eine retrospektive Studie über 5,5 Jahre. Tierarztl Prax K. 2014; 42(4):213-22. 19. Hall EJ, Carter AJ, Chico G, Bradbury J, Gentle LK, Barfield D, O'Neill DG. Risk factors for severe and fatal heat-related illness in UK dogs - a VetCompass study. Vet Sci. 2022; 9(5):231. Kontakt Dr. Katja Kalenyak; Klinik für Kleintiere, Veterinärmedizinische Fakultät, Universität Leipzig katja.kalenyak@kleintierklinik.uni-leipzig.de 132 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Augenerkrankungen für jedermann- kein besonderes Equipment erforderlich Sabine Sahr Tierärztliche Gemeinschaftspraxis Quandt und Bracke, Greifswald; Tierarztpraxis DVM A. Lehmann, Neubrandenburg Kleine Lidtumoren Ein Lidrandtumor kann für das Tier potentiell belastend sein. Eine frühe Diagnose und Therapie sind sinnvoll. Abwarten hingegen ist nicht zielführend. Lidtumoren sind v.a. bei älteren Hunden häufig und überwiegend gutartig (1). Sie resultieren vor allem aus den Meibomdrüsen (Adenom, Epitheliom). Papillome und Histiozytome sind ebenfalls häufig und treten gern bei jüngeren Hunden auf. Bei Katzen sind Lidtumore eher selten zu finden und viel häufiger maligne als beim Hund (65 % SCC, Adenokarzinom, Adenom, Mastzelltumor, Basalzellkarzinom, Fibrosarkom, Hämangiosarkom, Hämangiom u.a.). Warum soll man den Tumor frühzeitig entfernen? Beim Hund sind sie oft gutartig und wachsen über Jahre. Die OP beim jüngeren Hund ist mit einem geringeren Narkoserisiko verbunden, Hornhautschäden werden vermieden und die OP ist lidlängenschonend, ohne die Notwendigkeit von Verschiebeplastiken möglich (2). Bei der Katze kann die frühe Intervention entscheidend für den Therapieerfolg, den Augenerhalt und sogar das Überleben des Tieres sein. Die bevorzugte Behandlungsoption ist die chirurgische Entfernung des Tumors, begleitet von einer histopathologischen Untersuchung. Sehr gut eignen sich die Keilexzision (wedge resection) oder Hausinzision für maximale Lidlängenschonung (2). In ausgewählten Fällen kann beim Hund auch eine Kryotherapie sinnvoll sein. Das periodische Kürzen überstehender Tumoranteile kann als palliative Maßnahme bei fehlender Narkosefähigkeit für kurze Zeiträume in Betracht kommen. Keratokonjunktivitis sicca KCS Tränen sind unerlässlich für den Erhalt der Gesundheit und Funktion der Cornea und Bindehaut. Sie dienen der Befeuchtung, Ernährung der Kornea und Reinigung der Augenoberfläche von Debris. Sie enthalten Wachstumsfaktoren, Immunglobuline, Lysozyme und weitere Faktoren der Immunabwehr mit antibakterieller Funktion. Der Tränenfilm besteht aus 3 Schichten: einer Mukusschicht, nahe dem Hornhautepithel, die von den Becherzellen der Konjunktiva produziert wird, einer flüssigen Phase, produziert von den Tränendrüsen und einer Lipidschicht, die von den Meibomdrüsen der Lider hergestellt wird und die Evaporation der Tränen reduziert und sie stabilisiert. Das trockene Auge ist eine sehr häufige Erkrankung der Augenoberfläche des Hundes, bei der es infolge von Unterversorgung der Zellen, Debrisansammlung und bakterieller Überwucherung zu chronischen Entzündungen der Bindehaut und Hornhaut kommt. Das Problem besteht in einem Mangel oder einer fehlerhaften Zusammensetzung der Tränenflüssigkeit (qualitative KCS). Die Folge sind zunehmende Visuseinschränkungen durch Vaskularisation und Pigmentierung der Hornhaut. Die Erkrankung hat einen wesentlichen Einfluss auf die Lebensqualität und wird in der Regel spät erkannt. Leitsymptome sind schleimiger, teils eitriger Augenausfluss, wechselnder Blepharospasmus (zT dezent), wiederkehrende Konjunktivitiden, Wind- und Lichtscheue, Ulcusneigung, später Trübung und Pigmentierung der entzündeten Hornhaut, Visuseinschränkung bis Blindheit. Ursachen der KCS sind beispielsweise: genetische Prädispositionen bei WHWT, Cocker Spaniel, Shih Tzu, Yorkshire Terrier, Lhasa apso, Englischer Bulldogge, Mops, Französischer Bulldogge, Minibullterrier u.a., Kongenitale Tänendrüsenhypoplasie (Yorkshire Terrier, Bedlington Terrier)(3), autoimmune Prozesse, neurogene Ursachen (Atropin, Sulfonamide…), endokrine Erkrankungen (Hypothyreose, Diabetes mellitus, Cushing)(4-5) , infektiös (Leishmaniose, FHV, Staupe)(6-7) und idiopathisch. (neurogene KCS), Medikamentengaben 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 133

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Die KCS-Entwicklung kann durch anatomische Faktoren wie Brachyzephalie, Exophthalmus, Makroblepharon und Resektion der Nickhautdrüse gefördert werden. Häufig stecken Ursachenkombinationen hinter einer Erkrankung. Diagnose der KCS Ein erster Verdacht entsteht aufgrund der typischen klinischen Symptome. Die Bestimmung von Tränenquantität und -qualität ist für die erste Einschätzung mit einfachen Mitteln möglich. Bestimmung der Tränenquantität: Die Tränenproduktion, lässt sich mithilfe des Schirmer Tränentests (STT I, Basal- und Reflextränenfluss) messen. Dieser Test kann bei gefährdeten Rassen regelmäßig vorsorglich durchgeführt werden. Der Papierstreifen wird am Übergang vom mittleren zum äußeren Drittel in den Lidrand eingehängt und eine Minute in Position gehalten. Berühren des vorderen Abschnittes mit den Fingern sollte vermieden werden. Mithilfe der Skala kann der Wert ermittelt werden. Der Normwert liegt beim normocephalen Hund über 15 mm/ min (ca. 20 +/- 3.0) (8-11). Die Schwere kann nach STT unterteilt werden (12): Normwert >15mm/min; frühe KCS bei 10-14mm/min; moderate KCS bei 5-10mm/min und schwere KCS bei <5mm/min. Bei Katzen liegt der STT im Mittel zwischen 14 und 18 mm/min, Werte unter 10mm/min sind nicht selten bei klinisch gesunden Tieren. Katzen mit Werten unter 6-9mm/min mit KCS-Symptomen sollten als pathologisch angesehen werden (13-15). Träufelt man vorab ein Lokalanästhetikum in das Auge, erhält man den STT II, eine Messung des basalen Tränenflusses. Die Normwerte hier schwanken beim Hund rasseabhängig und liegen je nach Quelle bei 6.2 +/- 3.1 mm/min bzw. 11.6 mm/min (SD 6.1 mm). (8,11,16) Es stehen auch weitere Methoden zur Verfügung wie Phenol Red Thread Test, Strip meniscometry tube (SMT) und STT mit nasolacrimalem Reflex NL-STT. Messung der Tränenqualität: TFBUT – Tear film break up time Die Lipid- und Mucinschichten des Tränenfilms sind verantwortlich für dessen Stabilität. Sie reduzieren die Verdunstung und gewährleisten die Anhaftung an die Hornhaut. Die TFBUT ermöglicht eine Aussage über die Tränenfilmstabilität. Der Test kann mit einem befeuchteten Fluoreszeinstreifen durchgeführt werden, welcher in die ventrale Fornixkonjunktiva appliziert wird. Ein Blinzelvorgang (spontan oder manuell) verteilt das Fluoreszein auf der Augenoberfläche. Danach wird das Lid offengehalten. Der dorsolaterale Quadrant wird mit Cobalt-Blau-Filter und Vergrößerung beobachtet und die Zeit bis zum Auftreten erster dunkler Flecken oder Streifen gemessen, Lokalanästhetikum möglichst vermeiden (17.) Der Normwert beim Hund liegt bei 20 sec (15-40sec). Brachyzephale haben niedrigere Werte um die 10 oder niedriger (11,18). Die Schwankungen zwischen den Rassen sind groß und der Test subjektiv (17). Bei Katzen liegt der Wert bei 16.7 (± 4.5) s (13). Tear ferning (TF), Farnkrauttest: Er gibt Informationen über die Zusammensetzung der Tränenfilms, besonders dessen Elektrolytgehalt. Tränenflüssigkeit trocknet auf dem Objektträger bei Raumtemperatur und es wird das Kristallisationsmuster beurteilt. Ein ‚gesunder‘ Tränenfilm ähnelt sehr Farnblättern. Veränderungen des Musters treten häufiger bei Hunden mit KCS auf. Für die Gewinnung der Tränenflüssigkeit kann der STT- Streifen zentrifugiert oder entsprechende Kapillaren genutzt werden (19-22). Punctate fuoreszein staining PFS: Kornealer Fluoreszein-Uptake ist ein wichtiger Hinweis auf eine KCS und erlaubt Aussagen über die Integrität des Hornhautepithels. Verschiedene Graduierungssysteme finden Anwendung (Eaton et al., Saito et al., Sebbag et al.) (23-25). Lissamin Grün Färbung: Diese Färbung dient als adjuvante Diagnostik bei KCS und färbt devitalisierte bulbäre Konjunktiva (Grad 0-3). 134 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Viele weitere spezialisierte Verfahren zu Beurteilung der Gesundheit der Augenoberfläche und des Tränenfilms stehen zur Verfügung wie Ocular Thermography, Meibometrie und Meibographie, Messung der Tränenosmolarität usw. Therapie der KCS Benetzung: Hierfür stehen unterschiedliche Präparate mit Hyaluronsäure und Tränenfilmstabilisatoren zur Verfügung, die den Visus nicht beeinträchtigen. Auf Konservierungsmittel sollte möglichst verzichtet werden. Für die Nacht eignen sich diverse Gele und Salben. Zusätzlich können anfangs Acetylcystein-haltige Augenmedikamente bei starkem Mukus hilfreich und reizlindernd sein. Tränenstimulation: Mittel der Wahl bei reduzierter Tränenproduktion sind die Wirkstoffe Ciclosporin, Tacrolimus und Pimecrolimus (26-29). Diese Substanzen wirken immunmodulierend und tränenstimulierend. Sie wirken entzündungshemmend und tragen wesentlich zur Verminderung der Keratitis pigmentosa bei. Auch bei qualitativer KCS zeigen diese Substanzen gute Wirkung. Ciclosporin ist als Augensalbe zugelassen und findet auch in höheren Konzentrationen als Zubereitung breite Anwendung. Tacrolimus steht als Hautsalbe zur Verfügung und kann im Bedarfsfall umgewidmet werden. Auch hier besteht die Möglichkeit individueller Zubereitungen. Pimecrolimus ist ebenfalls als Hautsalbe nach Umwidmung anwendbar. Therapie von Begleiterscheinungen: Oft initial die Therapie von Begleiterscheinungen und Komplikationen der KCS angezeigt wie beispielsweise visuseinschränkende Keratitis, Ulcusbildung und eitrige Konjunktivitis. ist Die neurogene KCS spricht idR gut auf das Parasympathomimetikum Pilocarpin an. Verabreicht wird es entweder als Augentropfen in 0,1 %- Verdünnung oder oral oder in Kombination (30). Die Augentropfen können in der 1 oder 2%igen Form oral verabreicht werden in steigender Dosierung bis Nebenwirkungen auftreten (31). Entscheidend ist die Therapie der (mutmaßlichen) Ursache des Nervenausfalls! Die spontane Remission kann mehrere Monate dauern. Zusätzliche Maßnahmen wie Wärmeapplikation und Lidmassagen können bei qualitativen Formen hilfreich sein. Die medikamentelle Therapie richtet sich nach Schwere, Art und Ursache der Erkrankung. Bis auf wenige Ausnahmen, ist eine dauerhafte Behandlung notwendig und sinnvoll. Chirurgische Therapie: Bei totaler KCS kann es zwischen 3 und 6 Monate dauern, bis sich eine Besserung einstellt. Versagt dennoch die Behandlung mit hochkonzentrierten Ciclosporin- und Tacrolimuspräparaten ist die Ductus parotideus Transposition eine chirurgische Möglichkeit. Die Verlegung des Speichelganges birgt zahlreiche Komplikationsmöglichkeiten intra- und postoperativ, kann mitunter aber die einzige Möglichkeit zum Augenerhalt sein. Bulbusprolaps Der Bulbusprolaps ist eine hochschmerzhafte Erkrankung und ein echter Notfall, der sofortiger Behandlung bedarf. Je nach Ausmaß des Vorfalls lassen sich Protrusio bulbi, Prolapsus bulbi sowie die Luxatio bulbi unterscheiden. Wichtig ist es, den Augapfelvorfall nicht mit einer Vorverlagerung des Bulbus durch orbitale Veränderungen v.a. akute Blutungen/Traumata und einem Buphthalmus zu verwechseln (32). Ein entscheidendes Merkmal beim Prolaps sind die hinter dem Bulbus eingerollten Lider, die eine spontane Rückverlagerung verhindern. Der traumatische Bulbusvorfall kann einhergehen mit Abriss der extraokulären Muskeln bis hin zur Zerreißung des Bulbus selbst. Schwere Hornhautdefekte und intraokuläre Blutung sind häufig. Auch Läsionen des N. opticus und des N. trigeminus, der Tränendrüse u./od. deren Innervation sowie Läsion des N. oculomotorius und des Ggl. ciliare sind möglich. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 135

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Therapie: Sofortmaßnahmen: Das betroffene Auge kann sofort mit Salben oder anderen Mitteln befeuchtet werden. Direkte Verabreichung von Atropin Augentropfen, systemischer Analgesie und Antibiose sind sinnvoll. Auch ein Halskragen kann als Sofortmaßnahme vor weiterem Trauma schützen (32). Anschließend sollte der Hund schnellstmöglich einer chirurgischen Versorgung zugeführt werden. Hierbei gilt es dann zu entscheiden ob eine Reposition möglich und sinnvoll ist oder eine Enukleation durchgeführt werden muss. In jedem Fall ist die Besitzeraufklärung hinsichtlich des hohen Erblindungsrisikos (je nach Vorfall), bleibendem lateralen Strabismus und späterer Komplikationen essentiell. In folgenden Fällen ist die Reposition nicht erfolgversprechend: bei Abriss des Nervus opticus, Bulbusruptur, Abriss von mehr als 3 Augenmuskeln (32) und bei starken intraokulären Blutungen. Die Reposition erfolgt in Vollnarkose (Vorsicht Augentrauma bei Einleitung). Eine Kanthotomie erleichtert die sanfte Reposition erheblich. Die ausgerollten Lider werden mit einer gepolsterten Tarsorrhaphie verschlossen (Nahtmaterial 5-0, 4-0). Der korrekte Sitz der Fäden ist essentiell. Nasal sollte ein Bereich von ca. 10mm für die Medikamentenapplikation offengelassen werden (32). Sytemische NSAIDs und Antibiose sowie lokale Zykloplegie und Antibiose sind sinnvoll. Der Lidverschluss sollte 2 Wochen in Position bleiben. Mögliche Spätfolgen sind Blindheit, Strabismus, sensorisches Defizit der Kornea → Ulcus/KCS, Keratokonjunktivitis sicca (KCS), Sekundärglaukom, bleibender Exophthalmus (32) und Phthisis bulbi. Die Prognose für den Augenerhalt liegt bei ca. 68 % (32). Der Visus kann nur bei etwa 40 % der erhaltenen Bulbi nachgewiesen werden (32). Die Prognose unterscheidet sich stark danach, ob es sich um brachy- oder normozephale Hunde handelt. Bei einem normozephalen Hund sind deutlich stärkere Traumata notwendig, um einen Prolaps zu verursachen. Entsprechend stärker sind auch die Bulbusverletzungen (32,33). Besonders bei Katzen ist ein Bulbusprolaps regelmäßig mit schweren Schädel-Hirn-Traumata assoziiert und tritt nicht isoliert auf. Die Prognose ist schlecht (32,33). Positive prognostische Faktoren sind: erhaltener konsensueller oder direkter PPR, Dazzle, Visus, normaler Fundus, Brachyzephalie Prophylaktische Maßnahmen sind bei Brachyzephalen die Lidspaltenplastik, Zuchthygiene und das getrennte Füttern von Hunden. Literatur 1. Aquino, S. M. (2008). Surgery of the eyelids. Topics in Companion Animal Medicine, 23(1), 10–22. 2. Aquino, S. M. (2007). Management of eyelid neoplasms in the dog and cat. Clinical Techniques in Small Animal Practice, 22(2), 46–54. 3. Westermeyer, Hans D.; Ward, Daniel A.; Abrams, Kenneth. Breed predisposition to congenital alacrima in dogs. Veterinary Ophthalmology, 2009, 12. Jg., Nr. 1, S. 1-5. 4. Gemensky‐Metzler, Anne J., et al. Retrospective study of the prevalence of keratoconjunctivitis sicca in diabetic and nondiabetic dogs after phacoemulsification. Veterinary ophthalmology, 2015, 18. Jg., Nr. 6, S. 472-480. 5. Williams, D. L., et al. Reduced tear production in three canine endocrinopathies. Journal of Small Animal Practice, 2007, 48. Jg., Nr. 5, S. 252-256. 6. Naranjo, Carolina, et al. Characterization of lacrimal gland lesions and possible pathogenic mechanisms of keratoconjunctivitis sicca in dogs with leishmaniosis. Veterinary parasitology, 2005, 133. Jg., Nr. 1, S. 37-47. 7. De Almeida, Denize E., et al. Conjunctival effects of canine distemper virus‐induced keratoconjunctivitis sicca. Veterinary ophthalmology, 2009, 12. Jg., Nr. 4, S. 211-215. 8. Hamor, Ralph E., et al. Evaluation of results for Schirmer tear tests conducted with and without application of a topical anesthetic in clinically normal dogs of 5 breeds. American Journal of Veterinary Research, 2000, 61. Jg., Nr. 11, S. 1422- 1425. Faghihi, Houman; RAJAEI, Seyed Mehdi. Tear film breakup time and Schirmer tear test in normal dogs: effects of age, sex, reproductive status, skull type, and nasolacrimal duct patency. Veterinary Ophthalmology, 2023, 26. Jg., S. 72-80. 9. 10. Gianetto, Claudia; Piccione, Giuseppe; Giudice, Elisabetta. Daytime profile of the intraocular pressure and tear production in normal dog. Veterinary Ophthalmology, 2009, 12. Jg., Nr. 5, S. 302-305. 11. Gelatt, K. N., et al. Evaluation of tear formation in the dog, using a modification of the Schirmer tear test. Journal of the American Veterinary Medical Association, 1975, 166. Jg., Nr. 4, S. 368-370. 12. Reinstein, Shelby. Dry eye in dogs: When good glands go bad. Veterinary Team Brief, 2017, S. 33-37. 13. Cullen CL, Lim C, Sykes J. Tear film break-up times in young healthy cats. Veterinary Ophthalmology 2005; in press. 136 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ 14. Rajaei, Seyed Mehdi, et al. Evaluation of tear production using the Schirmer tear test I in healthy cats; effect of age, life stage, sex, breed and neuter status. Veterinary Record, 2019, 184. Jg., Nr. 26, S. 799-799. 15. Cure, T. H.; Gelatt, K. N. Schirmer tear test--in cats. Modern veterinary practice, 1970. 16. Dodi, Pier Luigi. Immune-mediated keratoconjunctivitis sicca in dogs: current perspectives on management. Veterinary Medicine: Research and Reports, 2015, S. 341-347. 17. Seyer, Lindsay D.; Wills Robert W.; Betbeze, Caroline M. Investigation of fluorescein stain–based tear film breakup time test reliability in dogs in a clinical setting. American Journal of Veterinary Research, 2021, 82. Jg., Nr. 12, S. 1019-1025. 18. Arnold TS, Wittenburg LA, Powell CC. Effect of topical naltrexone 0.3% on corneal sensitivity and tear parameters in normal brachycephalic dogs. Vet Ophthalmol. 2014;17(5):328–333 19. Oriá, Arianne P., et al. Tear ferning test in healthy dogs. Veterinary ophthalmology, 2018, 21. Jg., Nr. 4, S. 391-398. 20. Williams, David; Hewitt, Heather. Tear ferning in normal dogs and dogs with keratoconjunctivitis sicca. Open Veterinary Journal, 2017, 7. Jg., Nr. 3, S. 268-272. 21. Lamkin, Irini D., et al. Osmolarity of basal and reflex tears of normal dogs. Veterinary Ophthalmology, 2020, 23. Jg., Nr. 4, S. 747-753. 22. Rolando, M.; Baldi, F.; Zingirian, M. The effect of hyperosmolarity on tear mucus ferning. Fortschr Ophthalmol, 1986, 83. Jg., Nr. 6, S. 644-646. 23. Sebbag, Lionel; Kass, Philip H.; Maggs, David J. Reference values, intertest correlations, and test-retest repeatability of selected tear film tests in healthy cats. Journal of the American Veterinary Medical Association, 2015, 246. Jg., Nr. 4, S. 426-435 24. Eaton, Joshua Seth, et al. The SPOTS system: an ocular scoring system optimized for use in modern preclinical drug development and toxicology. Journal of Ocular Pharmacology and Therapeutics, 2017, 33. Jg., Nr. 10, S. 718-734. 25. Saito, Akihiko, et al. Punctate fluorescein staining scores in dogs with or without aqueous tear deficiency. Veterinary Ophthalmology, 2021, 24. Jg., Nr. 1, S. 28-36. 26. Berdoulay, Andrew; English, Robert V.; Nadelstein, Brad. Effect of topical 0.02% tacrolimus aqueous suspension on tear production in dogs with keratoconjunctivitis sicca. Veterinary Ophthalmology, 2005, 8. Jg., Nr. 4, S. 225-232. 27. Ofri, Ron, et al. Clinical evaluation of pimecrolimus eye drops for treatment of canine keratoconjunctivitis sicca: a comparison with cyclosporine A. The Veterinary Journal, 2009, 179. Jg., Nr. 1, S. 70-77. 28. Morgan, R. V.; ABRAMS, K. L. Topical administration of cyclosporine for treatment of keratoconjunctivitis sicca in dogs. Journal of the American Veterinary Medical Association, 1991, 199. Jg., Nr. 8, S. 1043-1046. 29. Gilger, B. C.; Allen, J. B. Cyclosporine A in veterinary ophthalmology. Veterinary ophthalmology, 1998, 1. Jg., Nr. 4, S. 181- 187. 30. Wegg, Michaela L. A retrospective evaluation of systemic and/or topical pilocarpine treatment for canine neurogenic dry eye: 11 cases. Veterinary ophthalmology, 2020, 23. Jg., Nr. 2, S. 341-346. 31. Atheis, Franziska L.; Walser‐Reinhardt, Ladina; Spiess, Bernhard M. Canine neurogenic keratoconjunctivitis sicca: 11 cases (2006–2010). Veterinary Ophthalmology, 2012, 15. Jg., Nr. 4, S. 288-290. 32. Eule, Corinna. Der Bulbusprolaps-Ein traumatisches Ereignis. kleintier konkret, 2008, 11. Jg., Nr. 01, S. 10-13. 33. Gilger, B. C., et al. Traumatic ocular proptoses in dogs and cats: 84 cases (1980-1993). Journal of the American Veterinary Medical Association, 1995, 206. Jg., Nr. 8, S. 1186-1190. Kontakt Dr. Sabine Sahr; Tierärztliche Gemeinschaftspraxis Quandt und Bracke, Greifswald tierauge@gmail.com 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 137

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Dry Eye Disease beim Menschen Ulrike Hampel Klinik und Poliklinik für Augenheilkunde, Universitätsklinikum Leipzig Definition Laut dem Dry Eye Report II der Tearfilm and Ocular Surface Society wird das Trockene Auge definiert als „eine multifaktorielle Erkrankung der Augenoberfläche, charakterisiert durch einen Verlust der Homöostase des Tränenfilms und begleitet von okulären Symptomen, bei der eine Instabilität und Hyperosmolarität des Tränenfilms, Entzündung und Schädigung der Augenoberfläche und neurosensorische Abnormitäten eine ätiologische Rolle spielen“ (1). Es werden 3 Unterformen unterschieden: • hyposekretorische Form durch eine Störung der wässrig-muzinösen Tränenfilmanteile • hyperevaporative Form durch eine Störung der Lipidanteile des Tränenfilms • Kombinierte Form Die häufigste Form ist die hyperevaporative Form bedingt durch eine Meibom-Drüsen-Dysfunktion. Dabei kommt es zu einer qualitativen und quantitativen Veränderung des Meibom-Drüsensekrets durch eine Obstruktion der Ausführungsgänge (2). Epidemiologie Das Trockene Auge ist eine Volkskrankheit mit einer Prävalenz von 15-17% der Gesamtbevölkerung in Deutschland (3) mit Zunahme im Alter und höherer Prävalenz bei Frauen (1). Therapie Für die Therapie kommen nicht-medikamentöse Behandlungen wie z.B. Kontaktlinsen oder Punctum Plugs infrage. Als medikamentöse Therapie werden neben Tränenersatzstoffe häufig zusätzlich Immunmodulation wie lokale Steroide oder Cyclosporin A und in schweren Fällen auch Serum-Augentropfen eingesetzt. Insbesondere bei okulärer Rosacea kann eine Lichtstimulation mittels hochenergetischer Lichtpulse (Intense pulsed light) hilfreich sein. Für die Behandlung der Meibom-Drüsen-Dysfunktion stehen verschiedene Möglichkeiten der thermisch-mechanische Behandlung zur Verfügung. Zusammenfassung Für die Behandlung der Volkskrankheit Trockenes Auge gibt es eine Reihe an Behandlungsmöglichkeiten, jedoch ist eine kausale Therapie weiterhin nicht möglich. Literatur 1. DEWS-2 Report 2017, http://www.tfosdewsreport.org/reporttfos_dews_ii_report/36_36/de/#A52 2. MGD-Report 2011, https://www.tfosdewsreport.org/reporttfos_dews_ii_report/36_36/de/ 3. Reitmeir P, Linkohr B, Heier M et al. Common eye diseases in older adults of southern Germany: results from the KORA-Age Study. Age and Ageing (2017)46:481-486 Kontakt PD Dr. Ulrike Hampel; Universitätsklinikum Leipzig, Klinik und Poliklinik für Augenheilkunde ulrike.hampel@uniklinik-leipzig.de 138 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Bitte nicht übersehen: das akute Glaukom! Wie kommt man mit einfachen Mitteln auf diese Diagnose und wie geht es danach weiter? Andrea Steinmetz Klinik für Kleintiere, Universität Leipzig Das Glaukom ist eine der häufigsten Erblindungsursachen beim Menschen. Allein in Deutschland sind ca. 1 Mio Menschen betroffen. In der Humanophthalmologie wird das Glaukom derzeit als ein multifaktorieller Komplex von Augenerkrankungen angesehen, bei welchem die Bestimmung des aktuellen Intraokulardruckes eher zweitrangig ist. Es werden sogar „Normaldruck“-Glaukome festgestellt. Diagnostisch sind hier die Bestimmung von Gesichtsfeldausfällen sowie die Optische Kohärenztomografie von Bedeutung (1-3). von Papillenveränderungen, (Perimetrie) und Im Gegensatz dazu spricht man in der Veterinärmedizin nur im Zusammenhang mit einem erhöhten Augeninnendruck von einem Glaukom. Nach eigenen Erfahrungen sind gemessene Drücke von > 90 mm Hg (Normalwerte < 25 mm Hg) möglich. Derlei Drücke richten Schäden in allen Augenabschnitten an. Besonders einschneidend ist jedoch die Auswirkung auf die Rezeptoren der Netzhaut: Initial entsteht ein Ischämie- bedingter Funktionsausfall der Retina (= transiente Blindheit), welcher in den oberen Druckdimensionen bereits nach wenigen Stunden in einen irreparablen Schaden übergeht (= definitive Blindheit)(4). Aus diesem Grund ist es für jeden Tierarzt von immenser Bedeutung, mindestens die Kardinalsymptome eines Glaukoms zu verinnerlichen. Ein akutes Glaukom zeigt sich mit nachstehenden Symptomen, welche auch ohne jedes Hilfsmittel detektiert werden können: - Rötung der Konjunktiva und der darunter liegenden Schichten - Hornhautödem - Mydriasis (weite Pupille) - Praller Bulbus (Ballotement je mit Zeige- und Mittelfinger vergleichend palpieren) - Blindheit (negative Drohreaktion, u.U. fehlender Blendreflex) - Dolenz Liegt das Verdachtsmoment eines akuten Glaukomes vor, muss umgehend eine Tonometrie durchgeführt werden. Kann dies nicht in der eigenen Praxis geschehen, muss der Patient als Notfall zu einem Spezialisten überwiesen werden. Diesem obliegen dann die weitere Diagnostik und therapeutische Maßnahmen. Zunächst muss zwischen Primär- und Sekundärglaukom differenziert werden. Das Sekundärglaukom ist bei Hunden die häufigere Form, bei Katzen das deutlich dominierende Glaukom. Beim Sekundärglaukom steht die Ursachenbekämpfung an erster Stelle. Beim Primärglaukom liegt das Problem im Kammerwinkel und es wird noch zwischen Offen- und Engwinkelglaukom differenziert. Bei beiden Formen muss jedoch auf jeden Fall der Intraokulardruck gesenkt werden. Medikamentös kommen primär lokale Prostaglandinderivate (nicht bei Uveitis und Linsenluxation), lokale und systemische Karboanhydrasehemmer sowie Mannitol intravenös zum Einsatz (5-7). Der Einsatz von Rho-Kinase-Inhibitoren befindet sich gegenwärtig noch in der Untersuchungsphase (8,9). Bei unzureichendem Effekt der pharmakologischen Therapie sollte man chirurgische Maßnahmen wie die Punktion, Dioden-Laser-Verfahren (Endo- oder transsklerale, auch gepulste Verfahren)(10-12), Shunt- Operationen (13-15) oder Kombinationsverfahren(16) in Betracht ziehen. Leider bleibt die Langzeitprognose trotzdem eine schlechte. Ziel aller Maßnahmen nach einem ersten akuten Glaukomschub ist es, die Erblindung des Auges weitestmöglich hinauszuzögern. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 139

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Beim sogenannten End-stage-Glaukom handelt es sich um ein definitiv erblindetes Auge. Hinweise hierfür wären: - Eine bereits länger bestehende Symptomatik - Ein vergrößerter Augapfel (Buphthalmus) Diese Augen können durchaus Phasen mit normalen Augeninnendrücken besitzen. Dennoch entstehen bei den wiederkehrenden Druckschüben starke Schmerzen für das Tier, welche leider nur aufmerksame Besitzer registrieren. Wir Tierärzte müssen deshalb als Anwälte dieser Schmerzpatienten den Besitzern eine zeitnahe Enukleation nahelegen. Postoperativ wird ein Zugewinn an Lebensqualität für das Tier von nahezu 100 % der Besitzer gesehen. Kein Besitzer hat es danach bereut, die Operation bei seinem Tier durchführen zu lassen (17). In Ausnahmefällen kann eine chemische Ablation (18) oder die Implantation einer intraokulären Prothese (19) als Alternative zur Enukleation durchgeführt werden. Es wird empfohlen, das normotensive Partnerauge eines an einem Primärglaukom erkrankten Auges prophylaktisch medikamentös zu behandeln (20,21). Literatur 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. Silva FR, Vidotti VG, Cremasco F, Dias M, Gomi ES, Costa VP. Sensitivity and specificity of machine learning classifiers for glaucoma diagnosis using Spectral Domain OCT and standard automated perimetry. Arquivos brasileiros de oftalmologia. 2013;76(3):170-174. Onyekaba N-AE, Estrela T, Naithani R, McCarthy KM, Jammal AA, Medeiros FA. Comparison of 10-2 and 24-2 Perimetry to Diagnose Glaucoma Using OCT as an Independent Reference Standard. Ophthalmology. Glaucoma. 2023;6(2):187-197. Chandler PA. Perimetry in glaucoma. American journal of ophthalmology. 1955;39(6):890-892. Smedes SL, Dubielzig RR. Early degenerative changes associated with spontaneous glaucoma in dogs. Journal of veterinary diagnostic investigation: official publication of the American Association of Veterinary Laboratory Diagnosticians, Inc. 1994;6(2):259-263. Borghi V, Bastia E, Guzzetta M, et al. A novel nitric oxide releasing prostaglandin analog, NCX 125, reduces intraocular pressure in rabbit, dog, and primate models of glaucoma. Journal of ocular pharmacology and therapeutics: the official journal of the Association for Ocular Pharmacology and Therapeutics. 2010;26(2):125-132. Volopich S, Mosing M, Auer U, Nell B. Comparison of the effect of hypertonic hydroxyethyl starch and mannitol on the intraocular pressure in healthy normotensive dogs and the effect of hypertonic hydroxyethyl starch on the intraocular pressure in dogs with primary glaucoma. Veterinary ophthalmology. 2006;9(4):239-244. Maślanka T. A review of the pharmacology of carbonic anhydrase inhibitors for the treatment of glaucoma in dogs and cats. Veterinary journal (London, England: 1997). 2015;203(3):278-284. Leary KA, Steibel JP, Harman CD, Anderson AL, Komáromy AM. Safety and efficacy of topically administered netarsudil-latanoprost fixed dose combination (FDC; Rocklatan™) in normal and glaucomatous dogs with ADAMTS10-open-angle glaucoma (ADAMTS10-OAG). Veterinary ophthalmology. 2021;24(6):610-619. Leary KA, Lin K-T, Steibel JP, Harman CD, Komáromy AM. Safety and efficacy of topically administered netarsudil (Rhopressa™) in normal and glaucomatous dogs with ADAMTS10-open-angle glaucoma (ADAMTS10-OAG). Veterinary ophthalmology. 2021;24 Suppl 1(Suppl 1):75-86. Story BD, Sapienza JS, Di Girolamo N, Kim K. Long-term results (1 year) in 19 dogs treated with MicroPulse transscleral diode cyclophotocoagulation for refractory glaucoma. Veterinary ophthalmology. 2021;24(6):572-581. Sebbag L, Allbaugh RA, Strauss RA, et al. MicroPulse™ transscleral cyclophotocoagulation in the treatment of canine glaucoma: Preliminary results (12 dogs). Veterinary ophthalmology. 2019;22(4):407-414. Graham KL, Hall EJS, Caraguel C, White A, Billson FA, Billson FM. Comparison of diode laser trans-scleral cyclophotocoagulation versus implantation of a 350-mm2 Baerveldt glaucoma drainage device for the treatment of glaucoma in dogs (a retrospective study: 2010-2016). Veterinary ophthalmology. 2018;21(5):487-497. Westermeyer HD, Hendrix DVH, Ward DA. Long-term evaluation of the use of Ahmed gonioimplants in dogs with primary glaucoma: nine cases (2000-2008). Journal of the American Veterinary Medical Association. 2011;238(5):610-617. Graham KL, Donaldson D, Billson FA, Billson FM. Use of a 350-mm2 Baerveldt glaucoma drainage device to maintain vision and control intraocular pressure in dogs with glaucoma: a retrospective study (2013-2016). Veterinary ophthalmology. 2017;20(5):427-434. Crowe YC, Groth AD, White J, Hindley KE, Premont JE, Billson FM. Outcomes of baervedlt implant surgery in 17 dogs (20 eyes) with primary closed-angle glaucoma (2013-2019). Veterinary ophthalmology. 2021;24 Suppl 1:109- 115. 140 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ 16. 17. 18. 19. 20. 21. Sapienza JS, van der Woerdt A. Combined transscleral diode laser cyclophotocoagulation and Ahmed gonioimplantation in dogs with primary glaucoma: 51 cases (1996-2004). Veterinary ophthalmology. 2005;8(2):121- 127. Bujan JD, Boyd EJ, Pont RT. Comparing the behaviour of dogs before and after enucleation due to glaucoma. The Veterinary record. 2021;188(7):e53. Julien ME, Schechtmann SA, Michau TM, Welihozkiy A, Baldwin TL, Stine JM. Pharmacologic ciliary body ablation for chronic glaucoma in dogs: A retrospective review of 108 eyes from 2013 to 2018. Veterinary ophthalmology. 2021;24 Suppl 1:125-130. LOVEKIN LG. PRIMARY GLAUCOMA IN DOGS. Journal of the American Veterinary Medical Association. 1964;145:1081-1091. Plummer CE, Bras D, Grozdanic S, et al. Prophylactic anti-glaucoma therapy in dogs with primary glaucoma: A practitioner survey of current medical protocols. Veterinary ophthalmology. 2021;24 Suppl 1:96-108. Miller PE, Schmidt GM, Vainisi SJ, Swanson JF, Herrmann MK. The efficacy of topical prophylactic antiglaucoma therapy in primary closed angle glaucoma in dogs: a multicenter clinical trial. Journal of the American Animal Hospital Association. 2000;36(5):431-438. Kontakt Dr. Andrea Steinmetz; Klinik für Kleintiere der Universität Leipzig, An den Tierkliniken 23, 04103 Leipzig steinmetz@kleintierklinik.uni-leipzig.de 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 141

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Tumor im Auge = Enukleation? Andrea Steinmetz Klinik für Kleintiere, Universität Leipzig Tumoren des Augapfels bei Hunden und Katzen bilden in der Datensammlung einer renommierten veterinärophthalmopathologischen Untersuchungseinrichtung gegenüber den periokulären den größeren Anteil (1). Dabei wird hinsichtlich ihres Ursprunges zwischen primären und sekundären intraokularen Tumoren unterschieden. Beide Gruppen zusammengefasst, ergibt sich bezüglich der Häufigkeit caniner Tumorarten nachstehende Rangfolge: 1. Melanozytom der anterioren Uvea (benigne) 2. Adenom und Adenokarzinom von Iris und Ziliarkörper 3. Melanom der anterioren Uvea (maligne) 4. Metastasen 5. Lymphom Betrachtet man die caninen bulbären melanozytären Tumoren nun noch einmal gesondert, reihen sich die Tumoren hinsichtlich ihrer Häufigkeit in einer Studie folgendermaßen ein (2): 1. Melanozytom der anterioren Uvea (benigne) 2. Melanom der anterioren Uvea (maligne) 3. Limbales Melanozytom (benigne); Prädisposition Deutscher Schäferhund, Labrador und Golden Retriever 4. Choroidales Melanozytom (benigne) 5. Metastatisches Melanom (maligne) 6. Choroidales Melanom (maligne) Bei den Katzen dominiert eindeutig das diffuse Irismelanom vor dem uvealen Lymphom (1). Maligne melanozytäre Tumoren der anterioren Uvea entwickeln sich stufenweise aus zunächst benignen Anhäufungen von Melanozyten (Vorstufe: Melanoblast). Diese Anhäufung wird je nach Ausprägung als Naevus oder Melanozytose bezeichnet. Melanozytome als erste und benigne Tumorvariante haben dann schon einen deutlichen Volumeneffekt. Entwickelt das Gewebe histologisch nun Malignitätskriterien, spricht man von Melanomen. Diese zeigen sich bei Hunden und Pferden in einer nodulären, bei Katzen in einer diffusen Ausprägung. V.a. letztere weisen ein beträchtliches Metastasierungspotential auf. Uveale Melanozytome treten bei Hunden mit einem Alters-spike < 2 Jahren auf. Sogar Welpen können betroffen sein. Sonst handelt es sich hier eher um eine Erkrankung älterer Hunde (3). Es empfiehlt sich in jedem Fall eine rechtzeitige Therapie, um der Transformation der gutartigen zur bösartigen Variante zuvor zu kommen. Tiere mit Melanozytomen weisen eine deutlich bessere Überlebenszeiten, als solche mit Melanomen (2). Nach Ansicht der Autorin stellt die Diodenlaser-Therapie eine relativ schonende und auch wiederholbare Maßnahme dar. Weitere in der Tiermedizin gegenwärtig bei melanozytären Tumoren angewandte Therapien sind die chirurgische Exzision, die photodynamische Therapie, die Radio- und die Kryotherapie (4). Insbesondere das limbale Melanozytom als auch melanozytäre uveale Tumoren (5) bieten sich bei überschaubarer Größe für eine chirurgische Maßnahme ggf. in Kombination mit einer Lasertherapie an. Bei nicht pigmentierten Umfangsvermehrungen im Augenvorderabschnitt ist vorab in jedem Fall eine Biopsie zu empfehlen, da eine Verwechslung mit entzündlichen Prozessen sonst nicht ausgeschlossen werden kann (7). Eine Iris-Biopsie empfiehlt sich beispielsweise bei Katzen zu Sicherung der Diagnose eines diffusen Irismelanomes (8) und für die Diagnostik der intraokulären Lymphom-Erkrankungen. Es ist anzumerken, dass immerhin 64 % dieser Lymphomerkrankungen nur solitär im Auge vorkommen und somit eine bessere Prognose bei Durchführung einer Chemotherapie aufweisen (6). 142 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Bei den Tumoren im hinteren Augenabschnitt dominieren choroidale Melanozytome. Diese scheinen sehr langsam zu wachsen (9) und werden meist sehr spät bemerkt. Choroidale Melanome erfordern aufgrund der Destruktion des Augapfels und einer möglichen systemischen Wirkung (10) u./o. Metastasierung eine zeitnahe Enukleation oder Exenteratio orbitae. Zusammenfassung Die moderne Veterinärophthalmologie verfügt über verschiedene bulbuserhaltene onkologische Therapiemaßnahmen. Literatur 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. Dubielzig RR. Tumors of the canine globe. Available at: https://www.vetmed.wisc.edu/lab/coplow/wp- content/uploads/sites/14/2023/03/CanineGlobeK92016.pdf. Giuliano EA, Chappell R, Fischer B, Dubielzig RR. A matched observational study of canine survival with primary intraocular melanocytic neoplasia. Veterinary ophthalmology. 1999;2(3):185-190. Veterinary ocular pathology: A comparative review. Edinburgh: Saunders Elsevier; 2010. Guerra Guimarães T, Menezes Cardoso K, Tralhão P, et al. Current Therapeutics and Future Perspectives to Ocular Melanocytic Neoplasms in Dogs and Cats. Bioengineering (Basel, Switzerland). 2021;8(12). Dufour VL et al. Abstracts: Annual Scientific Meeting of the European College of Veterinary Ophthalmologists, Salzburg, Austria, June 2-5, 2022: Surgical technique, histopathology and visual outcome following sector iridectomy for uveal melanocytic mass in the dog: 13 cases. Veterinary ophthalmology. 2023(early view). Musciano AR, Lanza MR, Dubielzig RR, Teixeira LBC, Durham AC. Clinical and histopathological classification of feline intraocular lymphoma. Veterinary ophthalmology. 2020;23(1):77-89. Collier E et al. Abstracts: Annual Scientific Meeting of the European College of Veterinary Ophthalmologists, Online, May 20-23, 2021: Iridal ‘nodular granulomatous episcleritis’ masquerading as intraocular neoplasia: Clinical and histopathological findings in seven dogs. Veterinary ophthalmology. 2022;25(2):e1-e43. Featherstone HJ, Scurrell EJ, Rhodes M, Pinheiro de Lacerda R. Iris biopsy to investigate feline iris hyperpigmentation. Veterinary ophthalmology. 2020;23(2):269-276. Nautscher N, Steffl M, Schmon K, Ludwig E. Bulbus Destruction by Choroidal Melanocytoma in a Dog: A 3-Year History. Veterinary sciences. 2022;9(6). Steinmetz A, Ellenberger K, März I, Ludewig E, Oechtering G. Oculocardiac reflex in a dog caused by a choroidal melanoma with orbital extension. Journal of the American Animal Hospital Association. 2012;48(1):66-70. Kontakt Dr. Andrea Steinmetz; Klinik für Kleintiere der Universität Leipzig, An den Tierkliniken 23, 04103 Leipzig steinmetz@kleintierklinik.uni-leipzig.de 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 143

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Notfall? Hat Zeit? Zahnfraktur/Zahnluxation – Behandlungsoptionen und Entscheidungsfindung Jan Schreyer Tierärztliche Gemeinschaftspraxis am Kaßberg, Dentalzentrum für Tiere, Chemnitz Die Prävalenz dentoalveolärer Traumata bei Hunden und Katzen ist mit etwa 26 % sehr hoch (1). Dabei können als Folge des Traumas Schäden an der Zahnhartsubstanz, der Zahnpulpa oder dem Zahnhalteapparat (Parodont) entstehen. Sichtbar werden diese in Form von Zahnfrakturen, Zahnverfärbung durch Entzündung oder Nekrose der Pulpa, Luxation oder Avulsion des Zahnes. Zahnfrakturen werden je nach Lokalisation und Ausmaß in Kronen-, Kronen-Wurzel- und Wurzelfrakturen unterteilt. Frakturen ohne Eröffnung der Pulpa werden als unkompliziert, solche mit Eröffnung der Pulpa als kompliziert bezeichnet (1,2). Unabhängig von Ausmaß und Pulpenbeteiligung benötigen Zahnfrakturen immer eine Therapie. Unkomplizierte Frakturen werden meist berundet und versiegelt oder es erfolgt eine Füllungstherapie. Wenn die Frakturlinie sehr nahe an der Pulpa liegt, muß zum Schutz der Pulpa eine indirekte Überkappung erfolgen (3). Komplizierte Frakturen maturer Zähne sollten mit einer Wurzelkanalbehandlung und Füllung versorgt werden (3-5). Bei komplizierten Frakturen juveniler Zähne (offene Wurzelspitze und sehr dünne Dentinwände) erfolgt bei vitaler Pulpa eine Vitalamputation, bei nekrotischer Pulpa hingegen eine Apexifikation. Das Vorliegen einer vitalen Pulpa wird bis zu 48 Stunden nach der Zahnfraktur angenommen. Bei späterer Versorgung sinkt die Prognose einer Vitalamputation erheblich. Aus diesem Grund sollten frisch frakturierte juvenile Zähne immer als Notfall angesehen und behandelt werden (3,4). Bei Wurzelfrakturen erfolgt bei günstiger Lokalisation eine Schienung und endodontische Versorgung des Zahnes (3-5). In allen Fällen, in denen der betroffene Zahn entweder keine zahnerhaltende Therapie mehr zulässt oder der Tierbesitzer eine solche ablehnt sollte eine Extraktion erfolgen. Abwarten ist keine Therapieoption! Innerlich verfärbte Zähne beinhalten entsprechend der Studienlage zu etwa 90 % eine nekrotische Pulpa. Auch in diesen Fällen sollte zur Zahnerhaltung eine Wurzelkanalbehandlung und Füllung erfolgen (6,7). Alternativ sollte der betroffene Zahn extrahiert werden. Luxierte und avulsierte Zähne müssen auch, falls eine zahnerhaltende Therapie angestrebt wird, als Notfälle behandelt werden, da die Prognose stark von der Zeitspanne zwischen Trauma und Versorgung abhängt. Für avulsierte Zähne besteht nur dann eine günstige Prognose für den Zahnerhalt, wenn die Reimplantation innerhalb von 1 Stunde (trockener Transport des Zahnes) bis zu 3 Stunden (Transport in geeignetem Medium) erfolgt. Bei luxierten Zähnen ist in Abhängigkeit von Ausmaß und Richtung der Luxation auch eine spätere Reposition noch erfolgversprechend. Nach Reimplantation/Reposition des betroffenen Zahnes erfolgt eine Stabilisierung mittels Schienung und eine Wurzelkanalbehandlung und Füllung, da die Pulpa des Zahnes durch den Verlust der Blutversorgung irreversibel geschädigt wird (1,2,8). Alternativ zur Zahnerhaltung können luxierte Zähne auch extrahiert werden. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass Zahntraumata immer einer entsprechenden Versorgung, entweder durch zahnerhaltende Therapie oder durch Extraktion, bedürfen. Wird ein Erhalt der Zähne angestrebt, stellen frische Frakturen immaturer Zähne und Avulsionen/Luxationen zahnärztliche Notfälle dar. Literatur 1. Soukup JW, Hetzel S, Paul A. Classification and Epidemiology of Traumatic Dentoalveolar Injuries in Dogs and Cats: 959 Injuries in 660 Patient Visits (2004–2012). Journal of Veterinary Dentistry. 2015; 32:1: 6-14 2. Soukup J. Traumatic dentoalveolar injuries. In: Lobprise HB, Dodd JR. Wigg´s Veterinary Dentistry – Principles and Practice. Second edition Hoboken NJ: Wiley-Blackwell; 2019: 109-130 144 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ 3. Reiter AM, Gracis M. Management of dental and oral trauma. In: Reiter AM, Gracis M. BSAVA Manual of Canine and Feline Dentistry and Oral Surgery. Fourth edition : BSAVA; 2018: 196-244 4. Peak M, Lobprise HB. Advanced endodontic therapy. In: Lobprise HB, Dodd JR. Wigg´s Veterinary Dentistry – Principles and Practice. Second edition Hoboken NJ: Wiley-Blackwell; 2019: 335-356 5. Boyd RC. Basic endodontic therapy. In: Lobprise HB, Dodd JR. Wigg´s Veterinary Dentistry – Principles and Practice. Second edition Hoboken NJ: Wiley-Blackwell; 2019: 1311-334 6. Hale FA. Localized Intrinsic Staining of Teeth Due to Pulpitis and Pulp Necrosis in Dogs. Journal of Veterinary Dentistry. 7. 2001; 18:1: 14-20 Feigin K, Bell C, Shope B, Henzel S, Snyder C. Analysis and Assessment of Pulp Vitality of 102 Intrinsically Stained Teeth in Dogs. Journal of Veterinary Dentistry. 2021; 39:1: 21-33 8. Gracis M, Orsini P. Treatment of Traumatic Dental Displacement in Dogs: Six Cases of Lateral Luxation. Journal of Veterinary Dentistry. 1998; 15:2: 65-72 Kontakt Dr. Jan Schreyer, Tierärztliche Gemeinschaftspraxis am Kaßberg, Dentalzentrum für Tiere, Chemnitz dr.schreyer@fuer-mein-tier.de 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 145

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Oromaxillofaziales Trauma - Kieferfrakturen Martina van Suntum, Linus Klasen Tierklinik Germersheim Einleitung Kieferfrakturen können traumatisch durch Unfall, Biß, Sturz, Pferdetritt oder andere Insulte bedingt sein oder als pathologische Kieferfrakturen bei Neoplasien, metabolischen Erkrankungen und hochgradigen Parodontalerkrankungen auftreten. Ziel der Kieferfrakturversorgung ist die Wiederherstellung von Okklusion, Stabilität und Funktion (1). Diagnostik Die klinische Untersuchung am wachen Patienten und soweit möglich die Inspektion der Maulhöhle geben bereits Hinweise auf das mögliche Vorliegen einer Kieferfraktur. Stets ist auch die Okklusion zu prüfen (1,2). Je nach Anamnese muss zunächst die Stabilisierung der Patienten im Vordergrund. stehen, bevor die weitere Diagnostik erfolgen kann. Die Aussagekraft der Computertomografie ist deutlich höher als die der Röntgenuntersuchung und sollte wenn möglich bevorzugt werden (3). Therapieoptionen Die Anwendung klassischer Osteosyntheseverfahren wie Plattenosteosynthese oder fixateur externe ist aus anatomischen Gründen schwierig und meist schädlich. Im Unterkiefer beanspruchen Zahnwurzeln und Mandibularkanal viel Platz und es steht nur wenig Knochengewebe für chirurgische Verfahren zur Verfügung (4). Eine Ausnahme stellen hier die sehr weit caudal gelegenen Frakturen des Unterkiefers dar, die mit entsprechend kleinen Osteosynthesesystemen versorgt werden können (5). Die Therapieform der ersten Wahl bei Kieferfrakturen sind nicht invasive oder minimal-invasive Therapieverfahren (6). Die Behandlung begleitender Weichteilverletzungen soll hier nicht erläutert werden und wird in einem separaten Vortrag besprochen. Mandibulafrakturen des Corpus mandibulae können einen günstigen oder ungünstigen Verlauf haben. Verläuft die Frakturlinie von rostrodorsal nach caudoventral, führt der Zug des Musculus digastricus als Maulöffnermuskel zur Dislokation, während bei einer umgekehrten Verlaufsrichtung der Frakturlinie von caudodorsal nach rostroventral wenig Dislokationsneigung besteht. Schnauzenhalfter Als temporäre mandibulo-maxilläre Fixation kann in vielen Fällen auf das einfache Verfahren des Schnauzenhalfters zurückgegriffen werden, das mit doppelseitig verklebtem textilem Klebebandstreifen individuell angefertigt wird und eine weitgehende Frakturstabilisierung bei gering tolerierter Maulöffnung erlaubt. Dieses Verfahren eignet sich sehr gut für die Versorgung von Jungtieren, parodontal erkrankten Patienten, zur vorübergehenden Stabilisierung vor endgültiger Versorgung oder in Kombination mit anderen Therapieverfahren (1,6). Intraorale Kunststoffschiene Die angestrebte Stabilisierung bei ungünstigen Mandibulafrakturen ist mit dem konservativen Therapieverfahren der intraoralen Kunststoffschiene optimal zu erreichen (4). Diese temporäre, rigide interdentale Fixation benutzt im idealen Fall die Zähne des Unterkiefers als Ankerungspunkte. Bei fehlenden Zähnen können oft Retentionshilfen in Form von Drahtschlingen oder Osteosyntheseschrauben ergänzt werden (7). Die Mundhöhle wird nach erfolgter Strahlendiagnostik sorgfältig inspiziert, die Weichteilverletzungen chirurgisch behandelt und beschädigte Zähne versorgt oder extrahiert. Mit Hilfe der Schmelzanätztechnik wird anschließend die Kunststoffschiene direkt am Patienten angelegt. Es eignen sich hierfür Materialen zur temporären Kronenherstellung aus der humanzahnärztlichen Praxis. Die Apparatur kann unter Einlage eines Cerclagedrahtes verbesserte Stabilität erhalten. Verschiedene Techniken eignen sich hierfür (7). Die Okklusion 146 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ muss während der Applikation beachtet werden und es kann hilfreich sein, die Intubation über eine Myohyotomie vorzunehmen (8). Hunde der Klein- und Zwerghunderassen haben im Verhältnis zur Größe des Kopfes relativ große Zähne und neigen stärker zu Parodontalerkrankungen als große Hunde (4). Beide Faktoren begünstigen pathologische Kieferfrakturen. Es kann bei diesen Patienten ein minimales Trauma ausreichen, um die Fraktur herbeizuführen. Dies gilt auch für Zahnextraktionen der betreffenden Zähne und aus forensischen Gründen wird zusätzlich zum üblichen präoperativen Dentalröntgen die postoperative Dokumentation empfohlen. Zahnwurzel im Frakturspalt Die Evaluierung der im Frakturspalt befindlichen Wurzel(n) ist wichtig für den Therapieerfolg. Parodontal geschädigte Wurzeln verhindern die Heilung und müssen entfernt werden, während gesunde Zähne oder gesunde Teile eines Zahns zur Applikation der Kunststoffschiene zunächst erhalten werden sollten (1,6,7). Rigide mandibulo-maxilläre Fixation Weiter caudal insbesondere gelegene Mandibulafrakturen, können mittels Compositeverblockung zwischen den Fangzähnen oder den Backenzähnen stabilisiert werden (7). Die Einschränkung für den Patienten ist nicht unerheblich und die Atemwege müssen frei sein. Sollte es zum Erbrechen kommen, besteht für die Patienten Aspirationsgefahr - deshalb sollten Patienten eng selektiert werden. Cerclage bei Katzen, Ein einfach anzuwendendes Verfahren bei der Versorgung von Symphysenseparation und symphysennaher Fraktur ist die zirkumferrente Unterkiefercerclage, die caudal der beiden Canini positioniert wird und unter Haut des Kinns per Quirl geschlossen wird (7). Katzen mit Symphysenseparation leiden häufig an zusätzlichen Schädelfrakturen (1). Frakturen der Maxilla sind meist nur wenig disloziert und müssen meist nicht versorgt werden. Fazit Die Wiederherstellung von Funktion, Okklusion und Schmerzfreiheit sind die Therapieziele und nicht die perfekte Rekonstruktion. Nicht oder minimal invasive Therapieverfahren sind zur Versorgung von Kieferfrakturen vorzuziehen, um Beschädigungen der Gewebe zu vermeiden und möglichen Komplikation, zum Beispiel Nichtheilung vorzubeugen. Literatur 1. Freeman A, Southerden P. Mandibular fracture repair techniques in cats: a dentist’s perspective. J Fel Med Surg. 2023; 25(2):1- 10. 2. Boudrieau RJ, Arzi B, Verstraete FJM. Principles of maxillofacial trauma repair. In: Verstraete FJM, Lommer MJ, Arzi B, editors. Oral and Maxillofacial Surgery in Dogs and Cats, 2nd ed. St. Louis, MO: Elsevier 2020. S. 252–61. 3. Bar-Am Y, Pollard RE, Kass PH, Verstraete FJM. The diagnostic yield of conventional radiographs and computed tomography in dogs and cats with maxillofacial trauma. Vet Surg. 2008; 37:294–9. 4. De Paolo MH, Arzi B, Pollard RE, Kass PH, Verstraete FJ. Craniomaxillofacial trauma in dogs—Part I: fracture location, morphology and etiology. Front Vet Sci. 2020;28:(7):241. 5. Boudrieau RJ, Arzi B. Maxillofacial fracture repair using miniplates and screws. In: Verstraete FJM, Lommer MJ, Arzi B, editors. Oral and Maxillofacial Surgery in Dogs and Cats, 2nd ed. St. Louis, MO: Elsevier 2020. S 319–38. 6. Snyder CJ, Lothamer C. Patient Triage, First Aid Care, and Management of Oral and Maxillofacial Trauma. Vet Clinics Small Anim Pract 2022; 52.(1): 271-288. 7. Reiter M, Gracis M:Management of dental, oral and maxillofacial developmental disorders. In: Reiter M, Gracis M, Herausgeber. BSAVA Manual of Canine and Feline Dentistry and Oral Surgery. 4th Ed, Gloucester, UK: BSAVA Publications; 2018. S. 245-278 8. Soukup JW, Snyder CJ. Transmylohyoid orotracheal intubation in surgical management of canine maxillofacial fractures: an alternative to pharyngotomy endotracheal intubation. Vet Surg. 2015; 44:432-436. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 147

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Sieht oft ganz schön schlimm aus Orofaciales Trauma - Weichteilverletzungen Ingo Blanke Zentrum für Tierzahnheilkunde Oral- und Kieferchirurgie der Tierklinik Oberhaching des Kleintierzentrums Starnberg Klassifikation 1. Dentoalveoläre Traumata a. Endodontale Trauma b. Parodontale Trauma 2. Maxillofaziale Traumata a. Weichteil Trauma b. Kieferfrakturen c. Gelenksverletzungen d. Gaumenspalten Schädel-Hirntraumata Verteilungsmuster von Kopftraumata bei Kleintieren, Sterblichkeitsrate, Prognose Workflow bei der Aufarbeitung eines Polytraumapatienten, Planung des optimalen Operationszeitpunktes Bildgebung: Vorteile einer Computertomographie Pharyngale Intubation zur Sicherung der Atemwege während des operativen Eingriffes Klassifikation von Mandibular Frakturen in Anbetracht der Biomechanik Klinische Beispiele für Kiefertraumata 1. Zungenlazerationen 2. Symphysiolyse 3. Unterkieferfrakturversorgung mittels maxillomandibulärer Approximation 4. Pathologische Unterkieferfraktur mittels Plattenosteosynthese 5. Unterkieferfrakturversorgung mittels Intradental-Wiring-Technik 6. Unterkieferfrakturversorgung mittels interossäre Drahtcerclage 7. Unterkieferfrakturversorgung mittels maxillomandibulärer Verblockung 8. Partielle Kieferresektion 9. Versorgungsmöglichkeiten für Kiefergelenksluxationen 10. Versorgungsmöglichkeiten für Kiefergelenksankylosen 11. Versorgungsmöglichkeiten für traumatische Gaumenspalten Überlegungen zur postoperativen Versorgung von Kiefertaumapatienten Legen einer Oesophagus Sonde Literatur Tobias KM, Johnston SA, Digestive System, Section VIII, Chapter 98, S.1676, 1. 2. Veterinary Surgery Small Animal Smith MM. Pharyngostomy endotracheal tube. J Vet Dent.2004;21(3):191-194. 3. Howard PE, Tape muzzle for mandibular fractures.Vet Med Small Anim Clin.1981;76(4):517-9 4. Verstraete FJ,Lommer MJ,Oral and Maxillofacial Surgery in Dogs and Cats,Second Edition,Capter 32,Second 6,S.314,Fig.32.4.A,Elsevier 5. Bennett JW, et. al.,Dental composite for the fixation of mandibular fractures and luxations in 11 cats and 6 dogs.Vet Surg.1994;23:190-194 6. Arzi B, Cissell DD, Verstraete FJ, et al., Computed tomographic findings in dogs and cats with temporomandibular joint disorders: 58 cases (2006-2011). J. Am Vet Med Assoc. 2013;242(1):69-75 7. Maas CP,Theyse LF,Temporomandibular joint ankylosis in cats and dogs.A report of 10 cases.Vet Comp Orthop Traumatol.2007;20(3):192-197 Tobias KM,Johnston SA,Digestive System,Section VIII,Feeding Tubes,Chapter 98,S.1677,Veterinary Surgery Small Animal 8. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 149

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ 9. Andreasen JO,Lauridsen E,Gerds TA, Dental Trauma Guide:a source of evidence-based treatment guidelines for dental trauma.Dent Traumatol.2012;28:345-350 10. Soukup JW, Het al. Classification and epidemiology of traumatic dentoalveolar injuries in dogs and cats:959 injuries in 660 patient visits (2004-2012). J Vet Dent. 2015, 32:6 11. Hale FA.Localized intrinsic staining of teeth due to pulpitis and pulp necrosis in dogs.J Vet. Dent. 2001;18: 14-20 12. Andreasen FM, Pedersen BV.Prognosis of luxated permanent teeth-the developement of pulp necrosis.Endod Dent Traumatol.1985;1:207-220 13. Gracis M, Orsini P.Treatment of traumatic dental displacement in dogs:six cases of lateral luxation.J Vet Dent.1998;15:65- 72 14. Startup S.Wire-composite splint for luxation of the maxilary canine tooth.J Vet Dent.2010;27:198-202 15. Weider L,Hughes K,Ciarochi J, Dunn E.Early versus delayed repair of facial fractures in the multiply injured patient.Am Surg.1999;65:790-793 16. Arzi B, Cissell DD, Verstraete FJ, et al., Computed tomographic findings in dogs and cats with temporomandibular joint disorders: 58 cases (2006-2011). J Am Vet Med Assoc. 2013;242(1):69-75 17. Strom PC, Arzi B, et. al.,Ankylosis and pseudoankylosis of the temporomandibular joint in 10 dogs (1993-2015).Vet Comp Orthop Traumatol.2016;29(5):409-415 18. Maas CP,Theyse LF,Temporomandibular joint ankylosis in cats and dogs.A report of 10 cases.Vet Comp Orthop Traumatol.2007;20(3):192-197 19. Hoffer M,Manfra MS,et al.,Evaluation of composite resin materials for maxillomandibular fixation in cats for treatment of jaw fractures and temporomandibular joint luxations. Vet Surg.2011;40(3):357-368 20. Bar-AM Y, Pollard RE,Kass PH, Verstraete FJ.The diagnostic yield of conventional radiographs and computed tomography in dogs and cats with maxillofacial trauma.Vet Surg. 2008;37 (3):294-299 Kontakt Dr. Ingo Blanke, Fachtierarzt für Kleintiere, Tierklinik Oberhaching/Kleintierzentrum Starnberg blanke@tierklinik-oberhaching.de 150 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Ganz Fast: A-Fast, E-Fast, Faster than Fast – Sonographische Notfalldiagnostik Claudia Köhler, Sophie Ophey, Sabrina Gamerad, Ingmar Kiefer Klinik für Kleintiere, Veterinärmedizinische Fakultät Leipzig Der Einsatz von bildgebenden Verfahren ist bei Notfallpatienten, insbesondere bei Traumapatienten, in den überwiegenden Fällen notwendig und hilfreich. Die Zielsetzung besteht dabei darin, in kürzester Zeit einen Überblick über die betroffenen Körperregionen und Organsysteme zu erhalten, um das Ausmaß einer Beeinträchtigung oder Schädigung abzuschätzen. Die Abwägung zwischen der Notwendigkeit einer diagnostischen Maßnahme und deren Dauer und damit verbundenen, zusätzlichen Belastung des Patienten ist teilweise herausfordernd. So kann eine sehr lange Untersuchungsdauer und eine kreislaufbelastende Lagerung des Patienten für eine ausgedehnte bildgebende Diagnostik den Prozess der Patientenstabilisierung erschweren und den Zustand des Patienten im schlimmsten Fall beeinträchtigen. Ursprünglich für die Triage von Traumapatienten entwickelt, hat sich in der Humanmedizin Anfang der 90er Jahre die sogenannte FAST (focused assessment with sonography for trauma) Methode im Rahmen des sogenannten POCUS (Point-of-care-ultrasound) entwickelt. Diese Methode basiert auf eine organbezogene, fokussierte und damit schnelle Sonographie für entsprechende akutmedizinische Fragestellungen. Zusätzlich wird der ortsungebundene Charakter der Untersuchung vor allem bei „bedside“ Untersuchungen von stationären, immobilen Patienten hervorgehoben (1, 2). Beschäftigt man sich mit der entsprechenden human- und tiermedizinischen Literatur zum Thema, trifft man auf eine Vielzahl von Akronymen, die teilweise ähnliche Sachverhalte beschreiben. So bezeichnet man die Ausweitung des ursprünglich für das Abdomen beschriebene FAST Protokoll auf den Thorax in der Humanmedizin als E-FAST Untersuchung (Extended-FAST). In der Tiermedizin werden in der notfall- und intensivmedizinischen Versorgung unterschieden zwischen der sogenannten AFAST (Abdominal FAST) und TFAST (Thoracic FAST) Methode. Zudem gibt es, je nach Literatur, noch entsprechende Modifizierungen und Erweiterungen, wie beispielsweise die VET BLUE Methode (Veterinary bedside lung examination) (3, 4). Es gilt zu betonen, dass die fokussierte Ultraschalluntersuchung keinesfalls die traditionelle, umfassende Sonographie ersetzen, sondern lediglich in einer Notfallsituation eine schnelle, fokussierte Ersteinschätzung ermöglichen soll. Bei unklaren FAST Befunden und zur weiteren Diagnosesicherung ist, nach initialer Stabilisierung des Patienten, eine Ausweitung der bildgebenden Diagnostik dringend anzuraten. Abbildung 1: Schematische Darstellung der AFAST Untersuchungsmethode bei einem Hund in rechter Seitenlage in Anlehnung an Lumb P. et al. 2014: DH = Diapragphmatisch-Hepatisch, SR = Spleno-Renal, CC = Cysto-Colic, HRU = Hepato-Renal-Umbilical 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 151

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ AFAST (Abdominal Focused Assessment with Sonography for Trauma) Schlüsselpunkt der Untersuchung ist die Suche nach freier Flüssigkeit im Abdomen und Retroperitoneum in vier verschiedenen Lokalisationen mit fünf akustischen Fenstern. Der Patient wird dafür in rechte Seitenlage verbracht. Grundsätzlich ist ein Scheren nach der Literatur nicht erforderlich, wird aber je nach Natur des Fells von den Autoren angeraten. Als Kopplungsmedium sollte Alkohol, ggf. zusätzlich Gel, verwendet werden. Der Einsatz eines Mikrokonvexschallkopfes wird aufgrund der kleinen Ankopplungsfläche und des divergierenden Schallkegels in Kombination mit einem Abdomen-Preset empfohlen. Folgende vier Untersuchungsbereiche (siehe Abbildung 1) sollten in Seitenlage evaluiert werden: 1) Diaphragmatisch-Hepatisch (DH) 2) Splenic-Renal (SR) 3) Cysto-Colic (CC) 4) Hepato-Renal-Umbilical (HRU) Als zusätzlich fünften Untersuchungsbereich wird der Hepato-Renal 5th View (HR5th) empfohlen, der abweichend von den anderen vier Bereichen, in Brust-Bauchlage erfolgt. In den vier vorbeschriebenen Lokalisationen wird die Anwesenheit von Flüssigkeit anhand eines Scores (AFS=Abdominal Fluid Score) mit den Möglichkeiten 0 (keine freie Flüssigkeit), 0,5 (ggr. Menge), 1 (mgr.-hgr. Menge) evaluiert. Bei anschließender Summierung der Einzelscore ergibt sich ein Gesamtscore von 0 bis 4. Zudem werden Größen- und Strukturveränderungen der Gallenblase und Harnblase und Strukturveränderungen der Milz und Nieren in den Befund aufgenommen. Bei nachweisbarer freier Flüssigkeit werden die Patienten entsprechend der Menge in die Gruppen „Small Volume Bleeder“ (AFS 1-2) oder „Large Volume Bleeder“ (AFS 3-4) eingeteilt und diese Ergebnisse als Entscheidungshilfen für die Notwendigkeit einer Bluttransfusion bzw. eines chirurgischen Eingriffes zu Rate gezogen. So sollte nach einem Trauma ein Patient mit einem AFS von 3-4 (ohne offenes Abdominaltrauma) initial idealerweise mit einer Bluttransfusion behandelt werden, wohingegen ein traumatisierter Patient mit einem AFS von 1-2 zunächst überwacht werden sollte. Essentiell für die Beurteilung solcher Patienten sind engmaschige sonographische Nachkontrollen, um eine akute Veränderung der Situation frühzeitig zu erkennen. Das diaphragmatisch-hepatische Schallfenster (Position 1) eignet sich zusätzlich für die Beurteilung des Kreislaufzustandes des Patienten. So kann die Evaluierung des Durchmessers der Vena cava caudalis einen qualitativen Rückschluss auf den zentralen Venendruck ermöglichen. Die V. cava caudalis, die sich in dieser Schallkopfposition im Bereich ihres Zwerchfelldurchtrittes dorsal der Leber darstellt, weist atmungsbedingte variable Durchmesser von ca. 35–50 % auf. Stellt sich die V. cava caudalis sonographisch sehr flach mit einer Durchmesservarianz von weniger als 10 % während der In- und Exspiration dar, ist von einem ausgeprägten Volumenmangel auszugehen. Dagegen ist bei einer sehr prominenten V. cava ohne deutliche Durchmesserveränderung, bei gleichzeitig vorliegenden dilatierten Lebervenen, von einem hohen zentralvenösen Druck auszugehen. Der Befund spricht bei Patienten, die vorab keine Flüssigkeitstherapie erhalten haben, für das Vorliegen eines Rechtsherzversagens, eines Perikardergusses mit Tamponade oder einer restriktiven Perikarditis. Im Falle einer vorherigen Flüssigkeitstherapie kann dieses Bild einer prominenten V. cava caudalis bei gleichzeitiger Lebervenenstauung auf eine Volumenüberladung hindeuten. An dieser Stelle ist auf den potentiellen Einfluss des angewandten Schallkopfdruckes auf den Gefäßdurchmesser hinzuweisen, so dass die Ergebnisse immer in der Zusammenschau aller üblichen klinischen und diagnostischen Parameter zu bewerten sind (3,4). TFAST (Thoracic Focused Assessment with Sonography for Trauma) Die Patientenvorbereitung und die angewandte Technik ähnelt der AFAST Untersuchung mit dem Unterschied, dass der Patient auch stehend oder in Brust-Bauchlage untersucht werden kann. Die sonographische Untersuchung des Thorax erfolgt an fünf Lokalisationen (siehe Abbildung 2): 1) Chest tube site rechts (CTS) 2) Chest tube site links (CTS) 3) Pericardial site rechts (PCS) 4) Pericardial site links (PCS) 5) Diaphragmatisch-Hepatisch (DH) 152 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Abbildung 2: Darstellung der Schallkopfpositionen für die TFAST Untersuchung bei einem stehenden Hund: CTS = Chest Tube Site, PCS = Pericardial Site, DH = Diagphragmatisch-Hepatisch Grundkenntnisse der Sonoanatomie der intrathorakalen Strukturen sind für eine Beurteilung essentiell. Physiologischerweise ist die gut belüftete Lunge bzw. deren Oberfläche an hyperechogenen, horizontalen A- Linien mit entsprechender gleitender „Sliding-Bewegung“ im dorsalen Thoraxbereich (entsprechend CTS beidseits) zu erkennen. Ist diese gleitende Kranial –und Kaudalbewegung der Linien nicht darstellbar, spricht dies für das Vorliegen von freier Luft im Pleuralspalt im Sinne eines Pneumothorax. In den perikardialen Positionen (PCS beidseits) ist auf das Vorliegen von freier Flüssigkeit im Pleuraspalt bzw. perikardial gelegener Flüssigkeit halbmondförmig um das Herz zu achten. Eine Erweiterung dieses 5-Punkte-Schemas ist die Evaluierung der (peripheren) Lungenanteile anhand vier weiterer Lokalisationen (exkl. dem diagphragmatischen-hepatischen Fenster) nach der Vet BLUE Methode auf jeder Brustwandseite: 1) Caudodorsal (Cd) 2) Perihilär (Ph) 3) Mittlere Region (Md) 4) Kraniale Region (Cr) Bei dieser Methode wird besonders auf das Vorliegen von B-Linien (sogenannten „lung rockets“) geachtet. Dabei handelt es sich um vertikal verlaufende hyperechogene Reverberationsartefakte, die aufgrund von einer pulmonalen Verdichtung z.B. infolge von Flüssigkeiten auftreten können; bei diesem Erscheinungsbild wird daher auch von der „wet lung“ gesprochen. Das Zählen der sichtbaren B-Linien in jeder Lokalisation (0 bis >3) soll eine Schätzung des Ausmaßes der pulmonalen Flüssigkeitseinlagerung ermöglichen. Ferner ist auf weitere sonographische Veränderungen im Bereich der Lunge zu achten. Dies kann beispielsweise eine vollständige Verdichtung der Lunge (Hepatisierung) infolge einer kompletten alveolären Verdichtung ohne Luftbronchogramme sein. Hypoechogene, periphere Rundherde können im Rhamen von Metastasen oder Granulome dargestellt werden. Peripher gelegene, trianguläre hypoechogene Areale, ohne den Hinweis auf Blutfluss, können auf einen pulmonalen Thrombembolismus hindeuten (3, 5). Zusammenfassend ist die fokussierte sonographische Untersuchung des Notfallpatienten eine valide Methode um zügig Informationen zu freien Flüssigkeiten und gravierenden Organverletzungen zu erhalten. Bei den FAST-Untersuchungen handelt es sich um eine Notfalldiagnostik, die weder das Ziel hat Kosten zu sparen noch eine umfassende Diagnostik bietet. So sind Folgeuntersuchungen und eine Ausdehnung der bildgebenden Diagnostik nach Stabilisierung in den überwiegenden Fällen trotzdem notwendig. Dies sollte bei 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 153

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ der Auswahl des Diagnostikumfangs bei einem Notfallpatienten berücksichtigt werden. Nicht zuletzt ist ein kontinuierliches Training der Untersuchungsgänge unabdingbar, um eine kompetente und zügige Diagnostik im Notfall absolvieren zu können. Literatur 1. Michels G. Bettseitige Bildgebung in der Notfall- und Intensivmedizin. Medizinische Klinik – Intensivmedizin und Notfallmedizin 2019; 114, 488-489. 2. Böer J. Das E-Fast-Protokoll. In: Blank W., Mathis G., Osterwalder J. Kursbuch Notfallsonografie. Thieme Verlag; 2019, S. 3. 81-83. Lisciandro GR. Point-of-Care Ultrasound. In: Mattoon JS, Sellon RK, Berry CR. Small Animal Diagnostic ultrasound. 4th edition. St.Louis, Missouri: Elsevier; 2021.p.76-101. 4. Boysen SR, Rozanski EA, Tidwell AS, et al. Evaluation of a focused assessment with sonography for trauma protocol to detect free abdominal fluid in dogs involved in motor vehicle accidents. JAVMA 2004;225(8):1198-1204. 5. Cole L, Pivetta M, Humm K. Diagnostic accuracy of a lung ultrasound protocol (Vet BLUE) for detection of pleural fluid, pneumothorax and lung pathology in dogs and cats. J Small Anim Pract 2021;62(3):178-186 Lumb P. Karakitsos D. Critical Care Ultrasound, St.Louis: Saunders 2014. 6. Kontakt Dr. Claudia Köhler; Klinik für Kleintiere, Veterinärmedizinische Fakultät Leipzig koehler@kleintierklinik.uni-leipzig.de 154 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Bildgestützte Diagnostik und Therapie in der Notfallsituation Ingmar Kiefer, Michaele Alef, Claudia Köhler Klinik für Kleintiere, Veterinärmedizinische Fakultät, Universität Leipzig; Leipzig Grundsätze für die Diagnostik und Therapie in der Notfallsituation Gerade für den Bildgeber, der in der Regel strukturiert und vollständig vorgeht, ist es in der Notfallsituation besonders wichtig, sich von diesem Vorgehen zu lösen, insbesondere dann, wenn er durch die Diagnostik selbst den Patienten in eine noch schlechtere Situation bringt, als es der Notfall ohnehin schon getan hat. Auf der anderen Seite kann jedoch eine unzureichende Diagnostik, die dazu führt, dass Patienten unvollständig oder gar falsch diagnostiziert werden, für diesen fatal sein. Das Abwägen, welche Diagnostik zwingend erforderlich ist und auf welche verzichtet werden kann, ist immer eine Gradwanderung und muss von Patient zu Patient neu entschieden werden. Auf der anderen Seite gibt es Möglichkeiten, den Patienten durch einfach durchzuführende Maßnahmen unter Nutzung der Bildgebung zu stabilisieren. Anwendungen Zu den Untersuchungen, die bei vielen Patienten in einer Notfallsituation durchgeführt werden, gehört die Röntgendiagnostik des Thorax. Diskutiert wird bei solchen Patienten immer, ob eine Röntgendiagnostik dem Patienten durch den Stress während der Untersuchung eher schadet. So wird bei solchen Patienten mitunter empfohlen, dass eine sonographische Diagnostik des Brustkorbs durchgeführt wird, weil diese schneller geht und weniger belastend ist. Diese Idee ist aus der Notfallmedizin der Humanmedizin übernommen worden. Der primäre Einsatz der Thoraxsonographie in der Notfalldiagnostik ist im Gegensatz zur Kleintiermedizin jedoch im mobilen Bereich, wo Projektionsradiographie oder CT nicht zur Verfügung stehen. Unabhängig davon ist die Situation bei Hund und Katze durch die Behaarung eine signifikant schlechtere als beim Menschen, auch wenn man nicht immer scheren muss und für die Fragestellung Pneumothorax auch ein Befeuchten mit Alkohol als ausreichend beschrieben wird. Die Methode muss jedoch aus vielen Gründen kritisch hinterfragt werden. Dies beginnt zunächst mit der Untersuchungsdauer. Eine Röntgendiagnostik beim Kleintier sollte mit einem geübten und eingespielten Team bei entsprechender Vorbereitung deutlich weniger als eine Minute, inklusive der Zeit für die Lagerung, dauern. Wird nur eine Ebene angefertigt, so verkürzt sich diese Zeit noch einmal erheblich. Selbst ein erfahrener Diagnostiker braucht für die sonographische Beantwortung der Fragestellung Pneumothorax mindestens genauso lang, in der Regel sogar länger. Was aber noch wichtiger erscheint, ist die stark eingeschränkte Aussagekraft der Methodik. Einen Pneumothorax festzustellen mag mit etwas Übung noch möglich sein, eine Aussage über die Dimension bis hin zur Differenzierung eines Spannungspneumothoraxes, ist sonographisch aber unmöglich: Dazu kommt, dass die Beurteilung eines Lungenödems oder anderer Lungenpathologien, wie zum Beispiel des felinen Asthmas schwierig bis unmöglich ist. Deshalb ist bei Patienten mit dem Verdacht einer Lungenpathologie eine Röntgendiagnostik vorzuziehen. Häufig wird bei diesen Tieren nur eine laterolaterale Aufnahme angefertigt, um den Patienten nur kurz zu belasten. Im Vergleich zu einer Aufnahme im dorsoventralen Strahlengang haben wir signifikant weniger Informationen. Auch wenn es die Meinung gibt, dass man in dem laterolateralen Strahlengang alle für die Notfallsituation relevanten Befunde sieht, so ist diese Ansicht falsch. Fernerhin lässt sich darüber diskutieren, ob die laterolaterale Aufnahme des Thorax weniger belastend ist, als eine Aufnahme im dorsoventralen Strahlengang. Es ist davon auszugehen, dass ein Patient eine dorsoventrale Aufnahme bei Dyspnoe in der Regel besser toleriert, da diese der physiologischen Körperhaltung doch sehr nahekommt. Der Informationsgewinn, den wir mit einer solchen Aufnahme bekommen ist im Vergleich zur Sonographie oder einer einzelnen laterolateralen Aufnahme, enorm. Neben der Fragestellung des Pneumothorax (einseitig oder beidseitig) und eines Pleuraergusses (einseitig oder beidseitig) haben wir die Möglichkeit strukturelle Veränderungen in der Lunge (z.B. Lungenödem etc.) auch graduell zu beurteilen. Grundsätzlich sollten aber immer beide Untersuchungsebenen angefertigt werden, lässt der Patient jedoch nur eine Ebene zu, so ist stets die dorsoventrale Projektion vorzuziehen, weshalb in der Notfallsituation immer mit dieser begonnen werden sollte. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 155

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Ganz anders stellt sich die Situation dar, wenn Vorbericht und klinische Untersuchung auf einen Erguss hindeuten. Der Nutzen der klassischen Projektionsradiographie ist hierbei sehr gering, weshalb bei diesen Patienten alleine schon aus Strahlenschutzaspekten auf die initiale Röntgendiagnostik verzichtet werden sollte. Der Thorax dieser Patienten kann in der Regel gut in Brust-Bauchlage sonographisch untersucht werden und es kann relativ einfach differenziert werden, ob ein Erguss oder eine Masse oder beides vorliegt, während dies röntgenologisch meist schwierig möglich ist. Diese Position kann dann sofort auch dazu genutzt werden, den Erguss zu punktieren, um dem Patienten direkt zu helfen. Hierbei ist von großem Vorteil, dass es sich bei der Sonographie um ein Realtime-Verfahren handelt, was den Untersucher in die Situation versetzt, die Position der Nadelspitze zu kontrollieren und gegebenenfalls zu korrigieren. Der technische Aufwand ist minimal, bis auf eine Kanüle, eine Verlängerung und eine Spritze wird wenig gebraucht, ggf. ist eine Absaugpumpe und ein Dreiwegehahn noch hilfreich. Zu Durchmesser der Punktionskanüle gibt es keine exakten Angaben, es muss jedoch beachtet werden, dass bei kleinen Kanülen (z.B. 22G) es wesentlich länger dauert, einen relevanten Erguss abzusaugen. Zusätzlich kommt es bei diesen Kanülen häufiger dazu, dass diese verstopfen, abhängig von der Art des Ergusses. Auf der anderen Seite wird der Erguss, insbesondere bei Nutzung einer Absaugpumpe, sehr schnell abgesaugt, was zu einer Kreislaufdestabilisierung führen kann, da sich die Druckverhältnisse im Thorax sehr schnell ändern können. Deshalb sollten die Patienten bei dieser Intervention streng überwacht werden. Da die Position der Nadel sonographisch überwacht wird und angepasst werden kann, ist die Gefahr einer Verletzung von relevanten Strukturen wie Herz oder Lunge eher gering. Deshalb ist diese Methode auch anderen Methoden ohne Kontrolle der Punktionskanüle unbedingt vorzuziehen, zumal es auch schneller geht, da die Kanüle sich seltener irgendwo ansaugt. Gleiches gilt auch für die Punktion eines Perikardergusses. Sollte der Grund für die Punktion nicht primär diagnostisch, sondern therapeutisch sein, so sollte kritisch überprüft werden ob der Erguss, gerade wenn dieser gering ist, zu einer relevanten Funktionsbeeinträchtigung führt. Ist dies der Fall, dann empfiehlt sich mehr oder weniger ein identisches Vorgehen. Eine EKG-Überwachung ist sicher sinnvoll, aber nicht zwingend erforderlich, da die Funktion des Herzens sonographisch bei der Punktion auf dem Monitor dargestellt wird. Wird mit der Nadel das Perikard berührt, so spürt man dieses durch ein leichtes Kratzen. Leichte Berührungen sind in der Regel unproblematisch (das Herz reagiert mit Extrasystolen), natürlich müssen Stiche in das Myokard oder gar Verletzungen unbedingt vermieden werden. Durch die Anpassung der Nadelposition kann der Erguss in den meisten Fällen fast vollständig evakuiert werden. Geringe Reste sind in der Regel nicht relevant, meist laufen diese dann durch die Punktion in den Pleuraraum ab, wo sie resorbiert werden. Grundsätzlich sollte beachtet werden, dass das Entfernen eines Perikardergusses die Diagnostik in Hinblick auf die Suche nach einer neoplastischen Ursache erschwert, weshalb die Punktion erst (soweit möglich) nach der Diagnostik erfolgen sollte. Häufig werden Patienten in Notfallsituationen mit einer stark eingeschränkten Kreislaufsituation vorgestellt, was das Einbringen eines venösen Zuganges deutlich erschwert. In manchen Fällen ist selbst die V. jugularis nicht mehr zu punktieren. In dieser Situation hat es sich bewährt, den Zugang unter sonographischer Kontrolle zu legen, was in der Humanmedizin absolut etabliert ist. Bedingt durch die größeren anatomischen Verhältnisse geht dies beim Menschen allerdings auch etwas einfacher als bei Hund und Katze. Um bei schlechter Kreislauflage und damit wenig gefüllten Gefäßen erfolgreich sonographisch gestützt einen Zugang zu platzieren, müssen einige Dinge beachtet werden. Dies beginnt schon bei der Vorbereitung des Patienten. Die Patienten müssen so gelagert werden, dass sowohl der Schallkopf als auch die Hand des Punktierenden genügend Platz haben. Weiterhin ist darauf zu achten, dass die Gefäße möglichst gradlinig verlaufen, so sollte zum Beispiel bei der Punktion der V. jugularis der Hals unterbaut werden und Kopf und Hals nicht verdreht sein. Aus der Sicht der Sonographie ist es ein gewisser Balanceakt zum einen mit genügend Druck eine gute Ankopplung zu erreichen, auf der anderen Seite aber nicht das Gefäß so zu komprimieren, dass kein Lumen mehr darstellbar ist. Da es nicht möglich ist, gleichzeitig die Sonographie und die Punktion durchzuführen, ist es erforderlich, dass alle Beteiligten sich mehr oder weniger blind vertrauen. Dies ist insbesondere von der Person, die den Zugang legt, erforderlich. Er muss mehr oder weniger blind den Anweisungen des Ultraschallers Folge leisten, wenngleich er natürlich die Position der Nadelspitze auf dem Monitor verfolgen 156 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ kann. Neben der Druckproblematik stellt sich bei dem Verfahren das Problem, dass die Nadel und der Schallkegel sich in einer Ebene befinden müssen, damit die Position der Nadel exakt kontrolliert werden kann. Dieser Punkt ist häufig die größte Herausforderung bei dieser Anwendung. Biopsie- und Punktionshilfen können bei den klassischen Zugängen nicht genutzt werden, wohl jedoch unter Umständen bei der Seldingertechnik. Dies funktioniert aber nur, wenn der Führungsdraht und die initiale Punktionskanüle lang genug sind, wobei die Punktionskanüle auch durch eine Spinalkanüle ersetzt werden kann. Mit etwas Übung ist dieses Verfahren bei dem entsprechenden Patientengut unbedingt zu empfehlen, es fordert jedoch eine Lernzeit, bis es sicher funktioniert. Punktionen des Abdomens stellen in der Regel keine große Herausforderung dar, sonographisch wird der Ort der Ansammlung lokalisiert und dann unter Ultraschallkontrolle punktiert. Es ist darauf zu achten, dass ein wenig Kraft benötigt wird um durch die Haut und Bauchdecke zu stechen, aber ist man durch diese durch, so gibt es praktisch keinen Widerstand mehr, was dazu führen kann, dass man Organe verletzen kann. Dies trifft insbesondere auf die Katze zu. Bei einem geringgradigen Erguss besteht die Möglichkeit, dass das Netz mit angesaugt wird und so die Kanüle verstopft. Deshalb muss der Sitz der Kanüle vor der Aspiration kontrolliert werden und nur mit wenig Unterdruck aspiriert werden. Problematisch ist die Punktion häufig bei Erkrankungen wie der Nokardiose, da es durch Fibrin und vergleichbaren Materialen sehr häufig zu einer Verlegung der Nadel kommt. In der Regel befindet sich die meiste Flüssigkeit bei Patienten in Rückenlage in der Milz/Nierenloge. Katzen und Hunde mit einem vollständigen Verschluss der harnableitenden Wege gehören zu den häufigsten Notfällen in der Kleintierpraxis. Hier ist zu beachten, dass die Wiederherstellung des Harnabsatzes zunächst Priorität gegenüber der exakten Diagnostik hat. So sollte zum Beispiel bei einem geblockten Kater zunächst ein Katheter geschoben werden und erst nach vollständiger Stabilisation des Patienten sollte dieser sonographisch untersucht werden. Bei Patienten, bei denen das Positionieren des Katheters nicht möglich ist, kann als ultima ratio eine Punktion der Harnblase notwendig sein. Auch wenn in der Literatur nur wenig über Komplikationen bei einer Zystozentese berichtet wird, so treten diese trotzdem auf. Hierbei kommt es fast nie zu einem „Platzen der Harnblase“ sondern viel häufiger zu einer Leckage des Organs. Deshalb sollte die Punktion falls nötig und möglich unter sonographischer Kontrolle stattfinden und es ist vorteilhaft nach der Punktion durch einen Katheter für einen gesicherten Harnabsatz zu sorgen, damit nicht durch eine erneute Stauung die Gefahr der Leckage erhöht wird. In den meisten Fällen lässt sich der Katheter, wenn die Blase leer ist, schieben, auch wenn dies vorher nicht möglich war. Wie auch in der Humanmedizin kann bei Hund und Katze die Situation auftreten, dass ein Tier eine hochgradige Blutung in den Thorax oder das Abdomen aufweist, dringend eine Bluttransfusion benötigt, aber kein Spenderblut zur Verfügung steht. Für diese Fälle gibt es in der Humanmedizin die Möglichkeit der maschinellen Autotransfusion. Mit diesem Gerät wird das Blut aufgefangen, gewaschen und gefiltert und anschließend retransfundiert. Diese Methode wird beim Menschen bei neoplastischen und infektiösen Ursachen der Grunderkrankung abgelehnt, da es zur Streuung von Tumorzellen und Infektionsursachen kommen kann. Ebenfalls wird eine Autotransfusion von nicht aufbereitetem Blut abgelehnt, da dies mit hohem Risiko für eine Gerinnungsaktivierung oder das Einschwämmen von Zytokinen, Endotoxinen oder anderer biologischer Substanzen verbunden ist. In der Regel stehen in der Veterinärmedizin solche maschinellen Autotransfusionssysteme nicht zur Verfügung. Deshalb sollte nur in aller größter Not auf die Autotransfusion zurückgegriffen werden. In diesem Fall eignet sich die sonographisch gestützte Punktion hervorragend um dieses Blut gezielt aus dem verschlossenen Abdomen zu gewinnen. Literatur 1. Dietrich, Christoph Frank, and Dieter Nürnberg, eds. Interventioneller Ultraschall: Lehrbuch und Atlas für die Interventionelle Sonografie. Georg Thieme Verlag, 2011. 2. Mattoon, John S., Rance K. Sellon, and Clifford Rudd Berry. Small Animal Diagnostic Ultrasound. Elsevier Health Sciences, 2021. 3. Hecht, Silke. Diagnostic Radiology in Small Animal Practice 2nd Edition. 5m Books Ltd, 2020. 4. Dietrich, Christoph F. Ultraschall-kurs. Deutscher Ärzteverlag, 2020. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 157

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ 5. Boysen, Soren, Kris Gommeren, and Serge Chalhoub. The Essentials of Veterinary Point of Care Ultrasound: Pleural Space and Lung. Grupo Asís Biomedia SL, 2022. 6. Byers, Christopher G., and Massimo Giunti. "Feline Emergency & Critical Care Medicine." Edra, 2021. Kontakt Dr. Ingmar Kiefer; Klinik für Kleintiere, Veterinärmedizinische Fakultät, Leipzig kiefer@kleintierklinik.uni-leipzig.de 158 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Blutung - wo hin und wie diagnostiziere ich es? Sophie Ophey, Claudia Köhler, Sabrina Gamerad, Ingmar Kiefer Abteilung für Bildgebende Diagnostik, Klinik für Kleintiere, Universität Leipzig Für Notfallpatienten spielt die bildgebende Diagnostik eine wichtige Rolle. Dabei ist sie bei Traumapatienten relevant, um einen Überblick über die entstandenen Läsionen zu gewinnen. Auch bei den traumaunabhängigen Blutungsursachen ist sie für die Diagnosestellung essenziell (z.B. Perikarderguss und Hämoabomen). Dabei werden für die initiale Aufarbeitung v.a. die Röntgendiagnostik und die Sonographie genutzt. Blutungen im Bereich des Thorax: Perikarderguss: Bei dem klinischen Verdacht eines Perikardergusses (Schwäche, Schocksymptome, dumpfe Herztöne (1)) ist die Echokardiographie das Diagnostikum der Wahl (2). In diesem Fall ist ein anechogener oder hypoechogener Saum mit unterschiedlich starkem Ausprägungsgrad zwischen Epikard und Perikard (= hyperechogene Linie) sichtbar. Mittels TFAST (thoracic focused assessment with sonography for trauma) kann unter anderem im perikardialen Seitenfenster im Bereich der Herzspitze ein sogenanntes „bullseye sign“ dargestellt werden (3). Dabei sollte, wenn der Zustand des Patienten dies zu lässt vor der Punktion nach einer ursächlichen, kardialen Masse gesucht werden, da diese innerhalb des Ergusses besser darstellbar ist. Wurde initial eine Röntgendiagnostik durchgeführt, präsentiert sich ein Perikarderguss klassischerweise mit „globoider“ (= generalisiert vergrößerter, abgerundeter) Herzsilhouette, sowie sehr scharf abgrenzbarer Herzkontur. Zudem können eine verbreiterte V. cava caudalis (>1,5 facher Durchmesser der Aorta (4)), sowie schmale Lungengefäße und im angrenzenden Abdomen ein Detailverlust im Sinne eines Aszites sichtbar sein. Abb. 1: Die Echokardiographie des Herzens im 4- Kammer-Blick (rechts parasternal) zeigt einen deutlichen Perikarderguss (weiße Sternchen). 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 159

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Hämothorax: Bei einem Hämothorax ist sonographisch ein Pleuraerguss (= anechogenes oder echoreiches Material zw. Thoraxwand und Lungenlappen) unterschiedlichen Ausmaßes sichtbar. Dabei folgt der Erguss der Schwerkraft und ist somit vor allem in den ventralen Bereichen sichtbar. Ohne Erguss ist lediglich belüftete Lunge in Form von A-Linien (= Reverberationsartefakten) darstellbar. Der Unterschied zum Perikarderguss ist, dass sich dieser halbmondförmig und nicht, wie der Pleuraerguss triangulär geformt darstellt (3). Die genaue Einteilung des Ergusses (z.B. in Transudat oder Exsudat) ist sonographisch nicht möglich. Deshalb sollte immer eine Thorakozenthese und eine darauffolgende Ergussanalyse angestrebt werden. Röntgenologisch ist ein Pleuraerguss durch flüssigkeits-/ weichteildichtes Material zwischen Lunge und Thoraxwand zu erkennen, wodurch der Pleuraspalt erweitert und die Lungenlappen retrahiert und abgerundet erscheinen. Zudem sind sie stärker konturiert, so, dass die Grenzen zwischen den einzelnen Lappen darstellbar werden. Außerdem kommt es zu einer Silhouettierung des Ergusses mit dem Herzen und dem Zwerchfell. Des Weiteren erscheint die Lunge aufgrund der Überlagerung mit dem Erguss diffus milchglasartig verschattet, wobei die Ausprägung von der Menge des Ergusses abhängt. Aus diesem Grund sollte die Röntgendiagnostik nach Punktion wiederholt werden, um pulmonale und/oder mediastinale Veränderungen auszuschließen. Ergänzend ist zu sagen, dass ein Pleuraerguss in der ventrodorsalen Projektionsebene besser sichtbar ist als in der dorsoventralen Projektionsebene, da sich der Erguss in Rückenlage schwerkraftbedingt in den Lungenrecessus sammelt und somit eine Überlagerung mit dem Sternum ausbleibt. Allerdings sollte bei instabilem Kreislauf oder ausgeprägter Dyspnoe das Wohlergehen des Patienten Vorrang vor der besseren Lagerung erhalten, so dass eine dorsoventrale Projektionsebene vorzuziehen ist. Abb. 2: Die ventrodorsale Projektion eines Thorax zeigt einen mgr.-hgr. Pleuraerguss, der sich als flüssigkeits-/ weichteildichtes Material zwischen Lungenlappen (Sternchen) und Thoraxwand hervorhebt. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 160

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Lungenblutung: Bei dem Verdacht einer Lungenbeteiligung ist eine Projektionsradiographie des Thorax unumgänglich, da das gesamte Ausmaß deutlich besser einzuschätzen ist als bei der sonographischen Untersuchung. Häufig sind alveoläre Verschattungen der Lunge im Bereich der Krafteinwirkung, infolge einer Kontusion und damit einhergehender Blutung, nachweisbar. Der Unterschied zu einer Atelektase ist, dass der betroffene Lungenanteil nicht volumengemindert erscheint. Liegt eine Blutungsneigung vor, kann es zu Beginn zu einem unstrukturierten, netzartigen Erscheinungsbild kommen. Sind größere Blutungen oder Hämatome entstanden, ist eine diffuse alveoläre Lungenzeichnung oder ein interstitielles noduläres Muster sichtbar (4). Sonographisch können B-Linien und ggf. fokale, i.d.R. hypoechogene, Umfangsvermehrungen im Parenchym dargestellt werden, die zu einer Unterbrechung der A-Linien führen. Diese sind allerdings erst sichtbar, wenn sie sich in den peripheren Lungenanteilen befinden. Blutungen im Bereich des Abdomens: Hämoabdomen: Freie Flüssigkeit im Abdomen ist das klassische Bild bei einer akuten abdominalen Blutung. Dabei ist sonographisch anechogenes Material zwischen den Organen sichtbar, welches i.d.R. korpuskuläre Bestandteile enthält. Ein hgr. Aszites ist einfach zu erkennen, da die abdominalen Organe förmlich „in der Flüssigkeit schwimmen“ (5). Geringe Flüssigkeitsmengen sind dagegen v.a. in den folgenden Lokalisationen aufzufinden: • Kranialer Harnblasenpol • Zwischen Milz und Bauchwand • Zwischen den Leberlappen und Leber und Zwerchfell Liegt eine abdominale Blutung vor, sollte nach der Ursache gesucht werden. Sonographisch sollte v.a. auf parenchymale Veränderungen von Milz und Leber, z.B. im Sinne einer Umfangsvermehrung, geachtet werden. Sind Umfangsvermehrungen sichtbar, kommen differentialdiagnostisch Neoplasien, Regeneratknoten oder Hämatome in Frage. Liegt eine akute Blutungsneigung vor, kann sich diese sonographisch mit multiplen herdartigen Veränderungen, mit variablem Erscheinungsbild, innerhalb der Organe und/oder des Fettgewebes, sowie einem Aszites manifestieren. In der Röntgendiagnostik zeigt sich das Vorliegen eines Aszites durch einen Detailverlust, der dazu führt, dass die normale Kontrastierung der einzelnen Organe zum Fettgewebe verloren geht und diese damit nicht mehr voneinander abgrenzbar sind. Differentialdiagnostisch muss man an eine Peritonitis denken. Bei einem geringen BCS und im Welpenalter kann eine röntgenologisch geringe Detailerkennbarkeit physiologisch sein. Ist der Ausprägungsgrad des Aszites gering können sogenannte „Fettschlieren“ ersichtlich sein, die sich als flüssigkeits-/ weichteildichte Streifen/Schlieren im Bereich des abdominalen Fettgewebes darstellen. Bei schlierenhaften Veränderungen, die über die Bauchwand hinaus gehen, sollte eher an eine Verschmutzung bzw. nasses Fell gedacht werden. Insgesamt ist festzuhalten, dass bei dem Verdacht eines Aszites die Sonographie unumgänglich ist, ebenso wie eine Ergussanalyse, wenn sich der Verdacht bestätigt. Retroperitoneale Blutung: Auch retroperitoneale Blutungen und/oder Hämatome sind infolge von Traumata oder rupturierten Nebennierentumoren möglich. Hinweise in der Röntgendiagnostik sind ein vermindertes Detail und/oder Fettschlieren im Bereich des Retroperitonealraums, ventral der Lendenwirbelsäule und im Bereich der Nieren, sowie eine Vergrößerung des Retroperitonealraums, wodurch dieser zu einer Verlagerung des Darmkonvolutes (v.a. des Kolons) nach ventral führen kann. Sonographisch ist es schwierig zwischen einem reinen retroperitonealen Erguss und Aszites zu unterscheiden. Allerdings ist es hinweisend, wenn sich die freie Flüssigkeit halbmondförmig um die Nieren (3), im Verlauf der Ureteren und um die großen Bauchgefäße akzentuiert verteilt und im restlichen Abdomen keine freie Flüssigkeit sichtbar ist. Außerdem kann ein Umlagern des Patienten helfen, da sich retroperitoneale Flüssigkeit nicht umverlagert. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 161

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Magen-Darm-Trakt: Blutungen in den Magen-Darm-Trakt sind sowohl sonographisch als auch radiologisch schlecht darstellbar. Bei dieser Fragestellung ist die Bildgebung primär für die Ursachensuche, bzw. den Ursachenausschluss notwendig und nicht für die Erkennung einer gastrointestinalen Blutung. Literatur 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. Nelson RW, Couto CG, Steffen T, Hrsg. Innere Medizin der Kleintiere. 6. Auflage. München: Elsevier; 2023. MacDonald KA, Cagney O, Magne ML. Echocardiographic and clinicopathologic characterization of pericardial effusion in dogs: 107 cases (1985-2006). J Am Vet Med Assoc 2009; 235(12):1456–61. doi: 10.2460/javma.235.12.1456. Small animal diagnostic ultrasound. Fourth edition. St. Louis, Missouri: Elsevier; 2021. Verfügbar unter: https://www.sciencedirect.com/science/book/9780323533379. Pückler K von, Hrsg. Röntgen Hund und Katze: Thorax und Abdomen: Röntgenbilder sicher befunden. 1. Auflage. Stuttgart: Thieme; 2018. Verfügbar unter: http://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bsz:24-epflicht-1939731. Stander N, Wagner WM, Goddard A, Kirberger RM. Normal canine pediatric gastrointestinal ultrasonography. Vet Radiol Ultrasound 2010; 51(1):75–8. doi: 10.1111/j.1740-8261.2009.01626.x. Penninck D. Atlas of Small Animal Ultrasonography. 2nd ed. Somerset: Wiley; 2015. Verfügbar unter: http://gbv.eblib.com/patron/FullRecord.aspx?p=4180219. British Small Animal Veterinary Association. BSAVA Manual of canine and feline thoracic imaging. Quedgeley: British Small Animal Veterinary Association; 2008. (BSAVA manuals series). Hecht S, Hrsg. Röntgendiagnostik in der Kleintierpraxis: Mit 37 Tabellen; [zusätzlich online: 50 interaktive Fallbeispiele zu Diagnostik bei Hund und Katze. 2. vollständig überarb. u. erw. Aufl. Stuttgart: Schattauer; 2012. Kontakt Sophie Ophey; Abteilung für Bildgebende Diagnostik, Klinik für Kleintiere, Universität Leipzig sophie.ophey@kleintierklinik.uni-leipzig.de 162 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Frakturen und Sofortmaßnahmen im Notdienst bei Hunden und Katzen Andreas Brühschwein Kleintierklinik der LMU München Bei der ersten Hilfe vor Ort sollte wichtiger Hinweis an den Besitzer sein, dass selbst sehr brave Tiere unter Schmerzen nicht selten unerwartet ihre Besitzer beißen. Manipulationen der Tiere und betroffenen Körperteile sollten deshalb vermieden oder minimiert werden. Das Anlegen eines Maulkorbes sollte in Erwägung gezogen werden. Bei offenen Frakturen etwaige Blutungen möglichst mit direktem Druck stillen. Freiliegende Knochen und Wunden sollten steril abgedeckt werden. Wenn kein Verbandskasten mit geeignetem sterilen Verbandsmull oder Gazekompressen zur Verfügung stehen, dann sind möglichst saubere Tücher, Kleidungsstücke oder Windeln oft die nächstbesten Alternativen. In der Regel ist von durch Laien in Eigenregie oder Schmerzmedikationen eher abzuraten, da diese nicht selten kontraproduktiv enden. Oberarm- und Oberschenkelfrakturen können in der Regel nicht sinnvoll bandagiert oder geschient werden. Unsachgemäß angelegte Verbände bergen die Gefahr zusätzlicher Hebelkräfte und etwaiger Dislokation auf eine Fraktur. Eine erste Wundreinigung vor Ort ist ein zweischneidiges Schwert. Sie kann hilfreich sein, aber unsachgemäße Wundreinigungen bergen die Gefahr, Verunreinigungen tiefer in den Körper zu spülen. Ruhe zu behalten, sich selbst zu schützen und möglichst schnell eine Tierklinik aufzusuchen, dürfte meist der beste Rat sein. durchgeführten Repositionsversuchen, selbst angelegten Schienenverbänden Bevor man sich in der Praxis auf eine Fraktur konzentriert, sollten die Vitalwerte durch eine klinische Allgemeinuntersuchung überprüft und gegebenenfalls stabilisiert werden. Atemwege, Herz und Kreislauf müssen priorisiert evaluiert und gegebenenfalls behandelt werden. Lebenserhaltende Maßnahmen und eine etwaige Stabilisierung des Patienten müssen der Frakturversorgung vorangehen. Die betroffenen Organsysteme und der Schweregrad der Verletzungen bestimmen das weitere Vorgehen. Klinische Untersuchungen können bei Bedarf durch labordiagnostische (Blutanalyse) und apparative Tests (Blutdruck, Pulsoximetrie) ergänzt werden. Gründliche und vollständige klinische orthopädische und neurologische Untersuchungen sollten stets erfolgen. Nicht selten gibt es weitere oder sogar multiple Verletzungen (Polytrauma). Ein klinisch unauffälliger Zustand kann sich später noch verschlechtern. Deshalb sollte stets ein Monitoring des Patienten durch Kontrolluntersuchungen im Verlauf erfolgen. Eine Stabilisierung und die Behandlung von Schock, Hypovolämie, Pneumothorax, Lungenkontusion, thorakaler oder abdominaler Blutungen und anderer lebensbedrohlicher Probleme, um nur einige zu nennen, muss vor einer etwaigen operativen Frakturversorgung in Narkose (1-2) mit dem entsprechend posttraumatisch erhöhten Narkoserisiko erfolgen. Die Erstbehandlung und das weitere Vorgehen richtet sich nach den klinischen Problemen und dem Verletzungsmuster. Die Reihenfolge etwaiger Operationen richtet sich nach der kritischen Bedeutung des verletzten Organsystems für das Überleben des Patienten. Da Frakturen in der Regel sehr schmerzhaft sind, sollte rechtzeitig an eine Schmerztherapie (3) gedacht werden. Bei offenen Frakturen kann je nach Grad (I bis III) eine antibiotische Behandlung notwendig sein, die sich an den jeweils aktuellen Antibiotika-Empfehlungen (4) orientieren sollte. Wundversorgung, Vermeidung von Kontamination und Infektionen sowie die Verhinderung von weiteren Gewebeschäden sind essenziell. Je nach Lokalisation und Art der Fraktur kann es notwendig sein, den betroffenen Körperbereich bis zur Versorgung vorläufig zu immobilisieren, beispielsweise mit stabilisierenden Verbänden. Ein ruhiggestellter Bruch verursacht weniger Schmerzen und die scharfen Kanten der Knochenfragmente verursachen keine weiteren Schäden an den Muskeln, Nerven und Blutgefäßen, die den Knochen umgeben. Geschlossene Frakturen werden möglichst innerhalb von 2 bis 4 Tagen behandelt, während offene Frakturen am besten innerhalb von 8 Stunden nach der Verletzung mit einem ersten Eingriff zur Reinigung der Wunde und des Knochens behandelt werden. Dann kann bei offenen Frakturen ggf. eine endgültige Operation um 24-48 Stunden verschoben werden. Vorbericht eines Traumas, wie beispielsweise Autounfall, Sturz aus hoher Höhe oder Bissverletzungen sind häufige Gründe für Frakturen. Schussverletzungen oder pathologische Frakturen sind eher seltenere Gründe. Wenn möglich sollte man sich den Unfallhergang genau beschreiben lassen. Dabei sollte der Schweregrad des Traumas mit der Fraktur und dem Verletzungsmuster verglichen werden. Die meiste 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 163

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Frakturen sind traumatisch, aber pathologische Frakturen oder Ermüdungsbrüche können ebenfalls auftreten. Bei Bagatelltraumata, die zu Frakturen eigentlich kräftiger Knochen führen, sollte an pathologische Frakturen gedacht werden. Hier sollte auf den Röntgenaufnahmen nochmal konkret auf Zeichen von vorbestehenden Knochenläsionen geachtet werden, insbesondere aggressive Osteolysen und periostale Reaktionen können auf einen Knochentumor hinweisen. Eine generalisierte Knochenatrophie weist auf eine Osteopenie metabolischen Ursprungs hin, meist einen Hyperparathyreoidismus. An den Humeruskondylen können vorbestehende Fissuren (Humeral Intercondylar Fissure, HIF) vorliegen. Diese sind oft bilateral, weshalb dort kraniokaudale Aufnahmen im Seitenvergleich erwogen werden sollten. Tastbaren Knochenkonturen sollten gründlich klinisch untersucht werden. Bei den orthopädischen Tests für die einzelnen Gliedmaßenabschnitte ist auf Dolenz und Krepitation zu achten. Hinweise auf Frakturen liefern abnorme Achsenabweichungen, abnorme Beweglichkeiten (bei instabilen Frakturen), Stufen, Kanten, Dellen oder Lücken. Schmerz, Schwellung, Rötung, Wärme, Funktionsverlust oder eingeschränkte Beweglichkeit können auf Frakturen hinweisen, aber auch von Entzündungen oder Tumoren verursacht werden. Bildgebung und Screening nach etwaigen inneren Verletzungen können je nach Situation des Patienten und verfügbarer Technik mit Röntgenaufnahmen von Thorax- und Abdomen, mittels AFAST und TFAST Screening Ultraschalldiagnostik (abdominal and thoracic focused assessment with sonography for trauma, triage, erfolgen. Magnetresonanztomographie (MRT) kann in entsprechenden Zentren zur Notfalldiagnostik von Wirbelfrakturen und etwaigen Rückenmarksläsionen zum Einsatz kommen. Ganzkörper-Computertomographie tracking) mittels (CT) and oder Klinisch auffällige und frakturverdächtige Bereiche werden mittels Röntgenaufnahmen weiter untersucht. Frakturen sind manchmal nur in einer einzelnen Ebene erkennbar und deshalb sollte immer zwei orthogonale Aufnahmen angefertigt werden, das sogenannten Grundbilderpaar. Schlecht gelagerte Projektionen oder Aufnahmen geringer Bildqualität sollten wiederholt werden, bis eine qualitativ gute und vollständige Röntgenstudie vorliegt. Die Sichtbarkeit der Frakturlinie im Knochen auf zwei orthogonalen ermöglicht eine Differenzierung von Überlagerungen, Mach-Linien oder Gefäßkanälen. In röntgenologisch unklaren oder negativen Fällen, kann das orthogonale Grundbilderpaar durch zusätzliche schräge oder tangentiale Projektionen ergänzt werden, insbesondere bei hohen anamnestischen oder klinischen Verdachtsmomenten. Röntgenaufnahmen helfen auch, Frakturen im Knochen von Luxationen im Gelenk zu unterscheiden. Bei fraglich (in-)stabilen Gelenken sind gehaltene Stressaufnahmen anzufertigen, um die Bandstabilität zu überprüfen. Frakturlinien müssen sich nicht immer als Aufhellungslinie darstellen, sondern können sich bei Überlagerung der Fragmente auch als Verschattungslinien zeigen. Manche Frakturen, insbesondere Wirbelfrakturen, sind oft nur indirekt anhand von Form- oder Konturveränderungen erkennbar. Frakturen sind nicht immer röntgenologisch nachweisbar. Nicht dislozierte Frakturen oder Fissuren können manchmal auf Röntgenaufnahmen gar nicht sichtbar sein. Gerade Schädelfrakturen sind röntgenologisch oft nicht klar zu diagnostizieren. Hier können Computertomographie weiterhelfen, deren unmittelbarer Einsatz im Notdienst meist oder Magnetresonanztomographie können in besonderen Fällen zur Frakturdiagnose herangezogen werden. Aber Röntgenbilder sind nach wie vor die wichtigste Grundlage für die Beurteilung von Frakturen. In unklaren Fällen können Aufnahmen im Verlauf zum Monitoring eingesetzt werden. Im Verlauf kann sich eine Frakturspalt weiter dislozierten und so zur Sichtbarkeit führen oder man erkennt indirekt anhand einer Proliferation von Kallus, dass eine Fraktur vorgelegen hat. ausgewählten Versorgungszentren möglich ist. Auch Sonographie nur in Frakturen stellen sich auf Röntgenaufnahmen meist als Aufhellungslinien dar, können sich bei entsprechender Überlagerung der Frakturfragmente in manchen Fällen auch als Verschattungslinien präsentieren. Kompressionsfrakturen können ebenfalls als Verdichtungszonen erscheinen. Mikrofrakturen sind in der Regel nicht röntgenologisch sichtbar. Es gibt verschiedene Kategorien bei der Einteilung von Frakturen, insbesondere nach Ursache (traumatische und pathologische Frakturen, Stressfrakturen), Grad (vollständig versus unvollständig: Fissur, Grünholzfraktur), Lokalisation der Fraktur im Knochen (epiphysär, metaphysär, diaphysär, apophysär), Art und Form des Frakturverlaufs (Quer-, Schräg-, Spiral-, Splitter, Trümmer-, Stück- , Mehrfragment-, Avulsions-, Abspreng-, Impressions-, Stauchungs-, Fugenfraktur) und nach Weicheil- (offen versus gedeckt), Gelenk- (artikulär, extraartikulär) sowie Fugenbeteiligung (Jungtier, Fugentrauma Salter- Harris I – VI). 164 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Die Situation des umgebenden Weichteilmantels und eine etwaige Verbindung mit äußeren Wunden spielen eine wichtige Rolle (gedeckte oder offene Fraktur). Frakturen werden nach der Art und dem Grad der Dislokation (Verschiebung) ihrer Hauptfragmente charakterisiert. Die klinische Stabilität einer Fraktur ist nicht immer einfach einzuschätzen. Frische akute Frakturen haben scharfe Ränder. Abgerundete Ränder, Kallus und beginnendes Remodeling weisen hin auf chronische Frakturen in beginnender knöcherner Heilung. Bei Verdacht auf eine pathologische Fraktur ändert sich meist die weitere Behandlungsstrategie. Ein Staging (Metastasensuche) kann mit Röntgenaufnahmen des Thorax und einer Sonographie des Abdomens erfolgen, was manchmal noch unmittelbar vor Ort im Notdienst erfolgen kann. Pulmonale Rundherde mit Verdacht auf Lungenmetastasen können manchmal eine fraglich tumorverdächtige Knochenläsion eines fraglichen Verdachtes auf eine pathologische Fraktur untermauern. Das Staging soll auch helfen, zu entscheiden, ob es sich um einen Primärtumor im Knochen handelt, oder eine Skelettmetastase. Eine gründliche und umfassende Charakterisierung der Fraktur nach den oben aufgeführten Kriterien und eine klinische Einschätzung des Patienten sind wichtig, für die weitere Behandlungsstrategie und Prognose. Konservative Behandlung oder chirurgische Versorgung? Selber operieren oder überweisen? Pin, Platte oder Fixateur? Eine Verbandsbehandlung benötigt oft viele Verbandswechsel, führt leicht zu Komplikationen und ist am Ende manchmal teurer als eine operative Fixation mit einfacher Nachsorge. Unnötige Operationen sollten vermieden werden. Gerade bei Jungtieren heilen Frakturen oft sehr gut. Das weitere Vorgehen hinsichtlich der Versorgung und die weitere Prognose hängen individuell von vielen Faktoren ab. Sehr aktive und stürmische Tiere, die nicht ruhig gehalten werden können sowie alte, kranke, geschwächte, übergewichtige Tiere und Patienten mit Begleitverletzungen sowie Hunde von Riesen- oder Zwergrassen sind prognostisch ungünstige Faktoren auf Seite des Patienten. Junge, gut ruhigzuhaltende, gesunde, schlanke und sportliche Tiere mit normalem Ernährungszustand und nur einer frakturierten Gliedmaße ohne Begleitverletzungen sind prognostisch günstige Faktoren. Einfache, nicht dislozierte, stabile, geschlossene Frakturen sind prognostisch günstiger als komplexe, dislozierte, instabile und offene Frakturen. Die Entscheidung zur chirurgischen Versorgung hängt individuell vom Patienten und seiner Fraktur ab. Oft gibt es alternative Optionen. Hüftgelenksrekonstruktion, Femurkopfhalsresektion oder Kunsthüfte? Versuch eines Gliedmaßenerhalts oder gleich Amputation? Oft lohnt sich vorab eine Kontaktaufnahme mit dem Chirurgen mit Übermittlung von Röntgenbildern und Fotos, um vorab die Möglichkeiten und Kosten einer etwaigen Operation zu besprechen. Mit dem Besitzer können dann die verschiedenen Behandlungsoptionen, etwaige Alternativen und die zu erwartenden Kosten besprochen und die gemeinsam die beste Lösung gefunden werden. Neben den unmittelbaren Kosten sind die Kosten der Kontrolltermine und etwaiger Verbandswechsel sowie die Möglichkeiten der Ruhighaltung und Nachsorge wichtige Punkte die es mit dem Besitzer zu besprechen gilt. Literatur 1. 2. 3. 4. Leitlinie Anästhesiologische Versorgung bei Hund und Katze der Fachgruppe Veterinärmedizinische Anästhesie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie (VAINS) der Deutschen Veterinärmedizinischen Gesellschaft e.V. https://www.dvg.net/fileadmin/Bilder/DVG/PDF/21-10-12-Leitlinie_langversion_last.pdf Grubb T, Sager J, Gaynor JS, Montgomery E, Parker JA, Shafford H, Tearney C. 2020 AAHA Anesthesia and Monitoring Guidelines for Dogs and Cats. J Am Anim Hosp Assoc. 2020 Mar/Apr;56(2):59-82. doi: 10.5326/JAAHA-MS-7055. PMID: 32078360. https://meridian.allenpress.com/jaaha/article/56/2/59/435292/2020- AAHA-Anesthesia-and-Monitoring-Guidelines-for Gruen ME, Lascelles BDX, Colleran E, Gottlieb A, Johnson J, Lotsikas P, Marcellin-Little D, Wright B. 2022 AAHA Pain Management Guidelines for Dogs and Cats. J Am Anim Hosp Assoc. 2022 Mar 1;58(2):55-76. doi: 10.5326/JAAHA-MS-7292. PMID: 35195712. https://meridian.allenpress.com/jaaha/article/58/2/55/478141/2022- AAHA-Pain-Management-Guidelines-for-Dogs-and Frey E, Costin M, Granick J, Kornya M, Weese JS. 2022 AAFP/AAHA Antimicrobial Stewardship Guidelines. J Am Anim Hosp Assoc. 2022 Jul 1;58(4):1-5. doi: 10.5326/1547-3317-58.4.1. PMID: 35793483. https://www.avma.org/sites/default/files/2022-12/2022-AAFP-AAHA-Antimicrobial-Stewardship-Guidelines.pdf Kontaktadresse PD Dr. Andreas Brühschwein; Kleintierklinik der LMU München bruehschwein@lmu.de 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 165

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Bildgebende Diagnostik bei Patienten mit Dyspnoe Eberhard Ludewig, Sibylle Kneissl Klinische Abteilung für Bildgebende Diagnostik, Department für Kleintiere und Pferde, Veterinärmedizinische Universität Wien Dyspnoe (Atemnot) bedeutet, dass die Atemtätigkeit erschwert ist. Versucht der Organismus, die Atemnot den zusätzlichen Einsatz der auxiliären Atemmuskulatur zu kompensieren, wird dieser Zustand als Orthopnoe bezeichnet (1, 2, 3, 4). Dyspnoe ist grundsätzlich von Tachypnoe, Hyperventilation und Hyperpnoe abzugrenzen. Diese drei Zustände gehen nicht immer mit einer Dyspnoe einher (2, 4): • Als Tachypnoe wird ein Anstieg der Atemfrequenz über den Normalwert hinaus bezeichnet. • Hyperventilation bezeichnet ein erhöhtes Atemminutenvolumen im Verhältnis zum Stoffwechselbedarf. • Hyperpnoe ist ein überproportionaler Anstieg des Atemminutenvolumens im Verhältnis zu einem Anstieg des Stoffwechselniveaus. Die Ursachen der Dyspnoe sind sehr vielfältig (1, 2): 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. Lungenerkrankungen: Pneumonien, Kontusionen - Blutungen, kardiogene und nicht- kardiogene Ödeme, Eosinophile Bronchopneumopathien, Asthma, Lungenfibrose, Lungenembolie, Lungen-lappentorsion Obstruktionen der Atemwege: Fremdkörper, Massen, Stenosen, Spasmen - Paralysen, Tracheal- und Bronchialkollaps, Hypoplasie der Trachea, Ziliäre Dyskinesie Erkrankungen der Pleura und des Mediastinums: Pneumothorax, Liquidothorax, Pleuritis, pleurale und mediastinale Massen Erkrankungen des Zwerchfells: Ruptur, Hernien Herz-Kreislauf-Erkrankungen: erworbene und kongenitale Herzerkrankungen, Perikarderkrankungen, Myokarderkrankungen, Cor pulmonale, Arrhythmien Hämatologisch-metabolische Ursachen: Anämie, Hyperthyreose, Azidose (Urämie) Neurologische Ursachen: Läsionen des Atemzentrums (Formatio reticularis der Medulla oblongata) und des N. phrenicus, Myasthenie, Myopathie Weitere: Thoraxdeformationen, große abdominale Raumforderungen, Trauma Abhängig vom zeitlichen Verlauf können akute und chronische Formen der Dyspnoe unterschieden werden. Dabei ist das Auftreten einer akuten Dyspnoe grundsätzlich als Notfallsituation einzustufen. Abhängig vom Schweregrad der Dyspnoe unterscheidet man die Belastungs- und Ruhedyspnoe. Die Ruhedyspnoe stellt dabei die schwerwiegendere Atemstörung dar. Weiterhin können inspiratorische (obere Atemwege) und exspiratorische (untere Atemwege) Formen der Dyspnoe unterschieden werden und von der asynchronen Atmung (Brustwand-Pleura, Zwerchfell) abgegrenzt werden (1, 2). Das klinische Erscheinungsbild gibt in einem gewissen Umfang Hinweise auf die Ursachen. Die Informationen aus der Anamnese und die Befunde der klinischen Untersuchung sind deshalb für die bildgebende Diagnostik richtungsweisend. Bildgebende Verfahren werden eingesetzt, um Veränderungen zu detektieren, deren Ausmaß zu erfassen sowie die Ursachen zu erkennen. Röntgenuntersuchung des Thorax und des Halses nehmen eine herausragende Stellung, weil mit ihr auch am wachen Patienten zahlreiche Veränderungen dargestellt werden können (5, 6, 7). Weitere Verfahren, die bei Patienten mit Dyspnoe zum Einsatz kommen, sind die Computertomographie (CT), die Ultraschalldiagnostik und - bei erwarteten zentralnervösen Läsionen - die Magnetresonanztomographie (6, 8). Im Vortrag wird die Rolle bildgebender Verfahren bei der Diagnostik bei Patienten mit sehr unterschiedlichen Ursachen einer Dyspnoe dargestellt. Zudem sollen die diagnostischen Potenziale der verschiedenen Bildgebungstechniken illustriert werden. 166 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Fall 1 Mops, wbl, 11 Jahre - Dyspnoe seit 2 Wochen, progressiver Verlauf (Abb. 1) Abb. 1. Die Röntgennahmen zeigen Transparenzminderung in mehreren Lungenabschnitten. Der Lobus cranialis pulmonis sinistri ist weichteildicht verschattet. Im Pleuralspalt ist Flüssigkeit nachweisbar (A + B). In der CT können diese Veränderungen näher differenziert werden (C). Auf dem dorsalen Schnittbild (MinIP) ist erkennbar, dass der Hauptbronchus des linken Kraniallappens von den weiter distal befindlichen Bronchien scheinbar ‚abgeschnitten‘ ist (Dreiecke). Die distalen Bronchien (Pfeile) haben einen geringen Durchmesser und verlaufen irregulär. Diagnose: Torsion des linken kranialen Lungenlappens (Quelle: Bildgebende Diagnostik - Veterinärmedizinische Universität Wien) 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 167

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Fall 2 EKH, ml, 5 Monate - akute Dyspnoe nach vermutetem Trauma (Abb. 2) Abb. 2. Auf den Röntgenaufnahmen ist im kaudalen linken Hemithorax eine weichteildichte Struktur sichtbar. Diese Struktur ist vom Zwerchfell nicht abgrenzbar. Die Herzsilhouette wird nach rechts verlagert. Abdominale Organe liegen - sofern beurteilbar - in ihrer normalen Position (u.a. Magen) (A + B). In der Ultraschalluntersuchung ist erkennbar, dass es sich bei dem intrathorakalen Weichteilschatten um Lebergewebe handelt. Die Leberanteile liegen in unmittelbarer Nachbarschaft des Herzens (C). Diagnose: Zwerchfellruptur (Quelle: Bildgebende Diagnostik - Veterinärmedizinische Universität Wien) 168 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Fall 3 Yorkshire Terrier, ml, 11 Jahre - anfallsweise Dyspnoe und Husten seit 6 Monaten mit Progression der Symptomatik (Abb. 3) Abb. 3. aus Anhand der beiden einer ausgewählten Aufnahmen Aufnahmeserie (Fluoroskopie, Durch- leuchtungsuntersuchung) wird die Dynamik der Veränderung der Aufnahme in Inspiration ist eine nur geringe Reduktion der Höhe der zervikalen Trachea vorhanden ist die Veränderung hochgradig. Das Lumen ist fast vollständig verlegt (B). In Exspiration deutlich. Auf (A). Diagnose: Kollaps der Trachea (Quelle: Bildgebende Diagnostik Veterinärmedizinische Universität Wien) - Literatur 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. Luis Fuentes V, Johnson LR, Dennis S. BSAVA Manual of Canine and Feline Cardiorespiratory Medicine. British Small Animal Veterinary Association, Glou¬cester: 2010. Glaus T. Dyspnoe. In: Neiger R (Hrsg). Differenzialdiagnosen Innere Medizin bei Hund und Kat-ze. Stuttgart: Enke, 2014, 138-166. King LG, Boag A. BSAVA Manual of Canine and Feline Emergency and Critical Care, British Small Animal Veterinary Association, Glou¬cester: 2018. Johnson LR. Canine and Feline Respiratory Medicine - An Issue of Veterinary Clinics of North America (Small Animal Practice). Elsevier Health Sciences, 2020. Hecht S. Röntgendiagnostik in der Kleintierpraxis. Stuttgart: Schattauer, 2012. Schwarz T, Johnson V. BSAVA Manual of Canine and Feline Thoracic Imaging. British Small Animal Veterinary Association, Glou¬cester: 2008. Muhlbauer MC, Kneller SK. Radiography of the Dog and Cat. Ames-Chichester-Oxford: Wiley-Blackwell, 2013. Thrall DE. Textbook of Veterinary Diagnostic Radiology. Philadelphia: WB Saunders, 2016. Kontakt Prof. Dr. Eberhard Ludewig; Klinische Abteilung für Bildgebende Diagnostik, Department für Kleintiere und Pferde, Veterinärmedizinische Universität Wien (Vetmeduni Vienna) eberhard.ludewig@vetmeduni.ac.at 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 169

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Ileusdiagnostik- Wann bin ich mir sicher Kristina Merhof Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover, Klinik für Kleintiere Normal oder dilatiert? Um zu erkennen wann Dünndarmschlingen dilatiert sind, muss man normale Variation von Pathologie unterscheiden lernen. Dünndarmschlingen sollten bei Hunden nicht breiter als die zweifache Breite der schmalsten Dünndarmschlinge sein (1). Bei Katzen sollte die Breite der Dünndarmschlingen nicht breiter als 1.2cm sein (1). Generell gilt, dass Hunde normalerweise circa 1/3 bis 2/3 Gas im Dünndarm haben, bei Katzen ist es viel weniger, da sie nicht hecheln. Dünndarmschlingen sind beim Hund dilatiert wenn sie das 1.6fache der mittleren Höhe des Wirbelkörpers von L5 überschreiten (2). Sollte dieser Wert >2.0 liegen besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine Obstruktion (2). Bei Katzen besteht eine Dilatation bei einer Breite von >1.2cm (1). Für die Diagnose von dilatierten Dünndarmschlingen muss man sich sicher sein, Dünn- von Dickdarm unterscheiden zu können, da für Dickdarmschlingen ein größeres Volumen normal sein kann das für Dünndarmschlingen schon pathologisch ist. Einteilung Ileus Ileus wird definiert als die Aufhebung der Darmpassage was in den meisten Fällen mit einer Dilatation von Dünndarmschlingen mit Gas, Flüssigkeit oder einer Kombination aus beiden verbunden ist. Man unterscheiden zwei Typen von Darmverschluss- den paralytischen/ funktionalen und den mechanischen Ileus. Paralytischer Ileus Der paralytische Ileus entspricht einer Darmlähmung. Diese betrifft den gesamten Dünndarm. Die möglichen Ursachen für einen funktionellen Ileus sind vielfältig und reichen von einer Enteritis oder Peritonitis, Dysautonomie, Elektrolytimbalanzen, vorhergehender Operation oder Trauma bis hin zu Intoxikationen. Die dramatischsten Formen des paralytischen Ileus entstehen durch Magendrehung und Volvulus. Mechanischer Ileus. Ein mechanischer Ileus wird verursacht durch eine fokale Obstruktion des Dünndarms. Die Obstruktion kann im Duodenum descendens (proximale Obstruktion), kurz vor oder an der Ileozäkalklappe (distale Obstruktion) oder irgendwo dazwischen liegen. Die oral der Obstruktion liegenden Darmabschnitte dilatieren, die aboral der Obstruktion gelegenen Abschnitte haben in der Regel einen normalen Durchmesser. Bei einer proximalen Obstruktion sieht man je nach Position der Obstruktion eventuell nur einen dilatieren Magen soweit der Hund nicht konstant erbricht. Bei einer distalen Obstruktion dilatiert der gesamte Dünndarm und kann dadurch unter Umständen aussehen wie ein paralytischer Ileus. Bei Obstruktionen im Bereich der mittleren Darmabschnitte, z.B. im Jejunum sind auf dem Röntgenbild oder im Ultraschall sowohl dilatierte, als auch normale Dünndarmschlingen sichtbar. Dieses Phänomen nennt man „zwei Populationen Dünndarmschlingen“. Bei einer eben erst entstandenen Obstruktion ist in der Regel zuerst mehr Gas in den oralen Dünndarmschlingen sichtbar, später wird der Anteil Flüssigkeit in den dilatierten Dünndarmschlingen grösser. Aus einem länger bestehenden mechanischen Ileus kann ein funktionaler Ileus werden. Die Obstruktion ist dann schwieriger zu diagnostizieren und ggf. wird ein Ultraschall zur Suche nach dem Fremdkörper benötigt. Eine Obstruktion kann erfolgen aufgrund eines luminalen Fremdkörpers, einer Invagination, einer Neoplasie, einer Obstipation, durch Granulome, intraluminale Zysten, Polypen aber auch Adhäsionen und Strikturen. Bei der Suche nach einem mechanischen Ileus ist es wichtig nach intraabdominal freiem Gas zu suchen, um eine Perforation des Darms rechtszeitig zu diagnostizieren. Ein fokaler Verlust des serösen Details kann ein erster Hinweis auf eine fokale Peritonitis und ggf. eine bevorstehende Perforation sein. 172 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Diagnostik Eine Röntgenuntersuchung des Abdomens in drei Ebenen (rechts- und linksanliegend, ventrodorsal oder dorsoventral) ist die Methode der Wahl für Patienten mit Verdacht auf einen Ileus. Die linkslaterale Projektion sollte bei Hunden immer zuerst erstellt werden, da so die Chance besteht, dass Gas in das Duodenum transportiert wird und dieses somit besser sichtbar gemacht wird (3). Bei der Suche nach den zwei Populationen Dünndarmschlingen ist es sehr wichtig, Dünndarm von Dickdarm zu unterscheiden. Das ist oft möglich, wenn der Dickdarm noch Gas und/ oder geformten Kot enthält. Wenn der Dickdarm leer ist können Dünn- und Dickdarm oft nicht sicher voneinander unterschieden werden. Dann ist entweder ein Ultraschall oder eine Pneumocolonographie nötig. Eine Gabe von Barium ist in der Regel nicht notwendig. Barium kann zudem bei einer Perforation oder späteren OP mit Austreten des Bariums in die Bauchhöhle zu einer Peritonitis führen. Auch wenn man ggf. noch eine Endoskopie plant sollte vorher kein Barium gegeben werden, da durch das Kontrastmittel das Endoskop beschädigt werden kann. Bei uneindeutigen Fällen ist oft die erneute Röntgenkontrolle nach 8-12h Fasten hilfreich. Sollte der Patient nicht stabil sein oder sich klinisch verschlechtern ist eine Ultraschalluntersuchung angezeigt. Ultraschall ist ebenfalls Methode der Wahl bei Patienten mit einem deutlich reduzierten abdominalen Detail, bei Verdacht auf eine Pathologie die röntgenologisch nicht immer eindeutig zu diagnostizieren ist (wie z.B. eine Pankreatitis) oder bei Patienten, die nicht gefastet werden dürfen (Welpen, inappetente Katzen). Vergleicht man Röntgenbilder und Computertomographie für die Diagnose eines mechanischen Ileus sind beide Methoden etwa gleich sensitiv und spezifisch bei erfahrenen Radiologen (4). Bei Hunden über 25kg Körpergewicht ist eine Computertomographie sensitiver als eine Ultraschalluntersuchung für abdominale Pathologien (5). Literatur 1. 2. 3. 4. 5. Bradley K. The small intestines. In: BSAVA Manual of Canine and Feline Abdominal Imaging, Herausgeber: British Small Animal Veterinary Association 2012 Graham JP. Quantitative estimation of intestinal dilation as a predictor of obstruction in the dog. Journal of Small Animal Practice (1998) 39, 521-524. Hart DV. Initial influence of right versus left lateral recumbency on the radiographic finding of duodenal gas on subsequent survey ventrodorsal proejctions of the canine abdomen. Vet Radiol Ultrasound, Vol. 56, No. 1, 2015, pp 12-17. Drost WT. Comparison of computed tomography and abdominal radiography for detection of canine mechanical intestinal obstruction. Vet Radiol Ultrasound, Vol. 57, No. 4, 2016, pp 366-375. Fields EL. Comparison of abdominal computer tomography and abdominal ultrasound in sedated dogs. Vet Radiol Ultrasound, Vol.53, No. 5, 2012, pp 513-517. Kontakt Dr. Kristina Merhof; Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover, Klinik für Kleintiere kristina.merhof@tiho-hannover.de 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 173

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Harnabsatzstörungen und warum ich nicht hektisch werden sollte! Sabrina Gamerad, Claudia Köhler, Ingmar Kiefer Klinik für Kleintiere, Veterinärmedizinische Fakultät Leipzig Einleitung Ursachen für Harnabsatzstörungen können eine Obstruktion oder eine Destruktion der Harnorgane sein. In den Fällen ist eine zeitnahe Diagnostik nötig. Dennoch gilt, wie bei allen Notfallsituationen, dass man nicht in Hektik verfallen sollte, besonders was die bildgebende Diagnostik betrifft. Im Notdienst werden als primäre Diagnostika die Sonographie und die Röntgendiagnostik angewendet. Je nach Fragestellung wird die native Diagnostik durch Kontrastmitteluntersuchungen ergänzt. In der Sonographie können, im Gegensatz zur Röntgendiagnostik, prinzipiell alle Arten von Konkrementen dargestellt werden. Der Zugang zur Urethra ist jedoch durch das knöcherne Becken eingeschränkt. Auch ist die Sonographie bei der Diagnostizierung von Weichteilveränderungen, wie zum Beispiel obstruierenden Neoplasien, der Projektionsradiographie überlegen. Zudem ist es in der Sonographie möglich, zwischen Weichteilstrukturen und Flüssigkeit zu unterscheiden. Die Röntgendiagnostik bietet den Vorteil in kürzester Zeit eine Übersicht des Abdomens zu erhalten. Dabei können zum Beispiel röntgendichte Harnsteine dargestellt werden. Zudem kann man Hinweise auf freie Flüssigkeit im Abdomen oder Retroperitoneum erhalten. Die Computertomographie und die Magnetresonanztomographie spielen in der Notfalldiagnostik eine untergeordnete Rolle dar. Sie können allerdings im weiteren Verlauf hilfreich sein, vor allem bei Veränderungen innerhalb der Beckenhöhle, wo der Zugang bei den anderen Modalitäten begrenzt ist. Welche Modalität oder welche Kombination von bildgebenden Verfahren angewendet wird, hängt von der klinischen Präsentation des Patienten, dem Signalement sowie der spezifischen Fragestellung ab. Untersuchungstechniken Röntgendiagnostik Native Röntgendiagnostik Zur Beurteilung des Harntraktes werden in der Regel eine ventrodorsale und eine laterolaterale Aufnahme des Abdomens benötigt. Wichtig ist, dass nach kaudal über das Becken hinaus eingeblendet wird, damit der vollständige Verlauf der Urethra abgebildet ist. Bei Rüden mit Verdacht auf eine Urolithiasis wird zudem eine seitliche Aufnahme mit stark nach kranial gebeugten Hintergliedmaßen angefertigt, um auch den proximalen Anteil der Urethra überlagerungsfrei darstellen zu können (1–4). Kontrastmitteluntersuchungen Kontrastmitteluntersuchungen verbessern die Sichtbarkeit der sonst weichteildichten Strukturen und stellen eine Ergänzung zur nativen Röntgendiagnostik dar. Teilweise ist zur Durchführung dieser Untersuchungen, je nach klinischem Zustand und Wehrhaftigkeit des Patienten, eine Allgemeinanästhesie oder Sedation nötig (5– 9). Ausscheidungsurographie Bei der Ausscheidungsurographie wird wasserlösliches, jodhaltiges, nichtionisches Kontrastmittel (250-350 mg/ml; 600-850 mg Jod/Kg Körpergewicht) intravenös appliziert. Dieses wird über die Nieren ausgeschieden, wodurch die Nieren, die Ureteren und die Harnblase durch die Kontrastanhebung besser darstellbar sind. Um mögliche negative Folgen durch das Kontrastmittel zu minimieren, empfiehlt sich vor der Durchführung eine adäquate Stabilisierung und ggf. nötige Rehydrierung des Patienten. Eine Ausscheidungsurographie kann zum Beispiel bei der Diagnostik einer Harnleiterruptur hilfreich sein (5–7, 9–11). 174 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Retrograde Zystographie Bei der retrograden Zystographie wird Kontrastmittel über einen Harnkatheter in die Harnblase instilliert. Die Harnblase wird vorher, wenn möglich, entleert. Als Kontrastmittel kommen Negativkontrastmittel (Luft, CO2), Positivkontrastmittel (jodhaltig, wasserlöslich, nichtionisch in einer Konzentration von ca. 150 mg Jod/ml (ggf. verdünnt mit steriler physiologischer Kochsalzlösung)) oder eine Kombination aus beidem im Rahmen einer Doppelkontrastdarstellung in Frage. Positivkontrastmittel können zur Darstellung von Perforationen, Negativkontrastmittel zur Lokalisierung der Harnblase, etwa bei einer Perinealhernie mit Vorfall der Harnblase, und eine Doppelkontrastuntersuchung zum Nachweis von Veränderungen innerhalb der Harnblasenwand und dem Lumen angewendet werden. Die Menge an Kontrastmittel hängt von der Patientengröße sowie der Harnblasenfüllung ab und beträgt in der Regel ca. 4-10 ml/kg Körpergewicht (Hund) bzw. 10-50 ml/Tier (Katze) (5–7, 9–11). Retrograde Urethrographie Bei der retrograden Urethrographie wird Kontrastmittel über einen Harnkatheter in die Urethra appliziert. Der Katheter wird weit distal positioniert. Es sollte ein möglichst großer Katheterdurchmesser gewählt werden, um einen Rückfluss des Kontrastmittels zu verhindern. Auch Ballonkatheter verhindern Artefakte durch zurückfließendes Kontrastmittel. Zudem sollte möglichst keine Luft mit eingebracht werden. Durch die Gasblasen entstehen Füllungsdefekte, die zum Beispiel als Harnsteine fehlinterpretiert werden können. Verwendet werden in der Regel Positivkontrastmittel um Perforationen oder Obstruktionen darzustellen. Für eine Kontrastmitteldarstellung der Urethra sind Mengen von ca. 1 ml/kg Körpergewicht beim Hund und 1-10 ml/Tier bei der Katze beschrieben. In der Regel wird eine Kombination der beschriebenen Verfahren, eine Urethrozystographie, durchgeführt (5–7, 9–11). Ultraschalldiagnostik Die Untersuchung wird in Rücken- oder Seitenlage am geschorenen Patienten durchgeführt. Es sollten Schallköpfe mit einer möglichst hohen Frequenz gewählt werden. Neben der Untersuchung der Harnorgane von abdominal sind bei dem Verdacht auf eine Obstruktion noch weitere Schallfenster möglich. Im Bereich der Harnröhre auf Höhe des Penisknochens bei Rüden, sowie perineal. Auch rektale Untersuchungsmethoden sind zur Beurteilung der intrapelvin gelegenen Urethra beschrieben (8, 10, 12, 13). Ausgewählte Pathologien Obstruktive Erkrankungen Urolithiasis Die am häufigsten vorkommenden Steinarten sind in der Regel röntgendicht und können als mineraldichte Strukturen innerhalb der Harnorgane in der nativen Röntgendiagnostik diagnostiziert werden. Dabei muss beachtet werden, dass Cystin-, Urat- und Xanthinsteine in der nativen Röntgenuntersuchung nicht oder nur schlecht sichtbar sind. Bei diesen Steinen können Kontrastmitteluntersuchungen sinnvoll sein. Steine innerhalb der Ureteren können mittels Ausscheidungsurographie diagnostiziert werden, welche als Füllungsdefekte sichtbar werden können. Die betroffenen Ureteren stellen sich zudem prästenotisch dilatiert dar. Allerdings ist Vorsicht geboten, da auch physiologische Ureteren auf Grund der Peristaltik Füllungsdefekte aufweisen. In einer retrograden Urethrozystographie können die Urolithen in Harnblase und Urethra als Füllungsdefekte sichtbar werden (5, 7, 9–11). In der Sonographie sind alle Steinarten sichtbar, allerdings ist der Zugang zur Harnröhre eingeschränkt. Urolithen stellen sich sonographisch klassischerweise als Strukturen mit stark reflexreicher Oberfläche und hartem distalen Schallschatten dar (8, 12, 13). Entzündliche Veränderungen Auch bei entzündlichen Veränderungen, wie einer Zystitis oder Urethritis, kann es durch Wandverdickungen oder Entzündungsprodukten sowie Blutkoageln zu einer Obstruktion des Harntraktes kommen. Zudem führen Entzündungen, Traumata oder chirurgische Interventionen sekundär teilweise zu Urethrastrikturen. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 175

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Die native Röntgendiagnostik ist für die Fragestellung ungeeignet, da die Urethra auf nativen Röntgenaufnahmen nicht sichtbar ist. Eine retrograde Urethrographie ist hierbei eine hilfreiche Technik, um eventuelle Obstruktionen der Urethra festzustellen (5, 7, 9–11). Soweit die Urethra einsehbar ist, können in der Sonographie im Falle von entzündlichen Prozessen teilweise Wandverdickungen oder eine Verlegung des Lumens dargestellt werden (8, 12, 13). Neoplasien Auch Neoplasien der Harnblase oder Harnröhre können in seltenen Fällen zu einer Obstruktion der harnableitenden Wege führen. Am häufigsten handelt es sich dabei um Übergangszellkarzinome. In der nativen Röntgendiagnostik können vorwiegend sekundäre Obstruktionshinweise, wie eine stark in der nativen gefüllte oder formveränderte Harnblase, sichtbar sein. Wandveränderungen sind Röntgendiagnostik nur sichtbar, wenn diese mit Mineralisationen einhergehen. (5–7, 9–11). Die Sonographie ist bei der Darstellung von Neoplasien der Röntgendiagnostik deutlich überlegen. Die häufigste Lokalisation der Übergangszellkarzinome ist das Trigonum vesicae. Die Neoplasien stellen sich als breitbasig aufliegende, mehr oder weniger irregulär berandete Wandverdickungen mittlerer Echogenität dar, welche teilweise Mineralisationen aufweisen (8, 12, 13). Obstruktion durch Lageveränderung Im Falle des Vorliegens von Hernien z.B. bei Perinealhernien, Inguinalhernien oder abdominalen Hernien kann es, bedingt durch eine Lageveränderung der Harnblase, zur Obstruktion dieser kommen. Zu einer Beurteilung der Lage der Harnblase ist die Projektionsradiographie, wahlweise als Zystographie mit Luft, gut geeignet (7, 9, 10, 14). Auch in der Sonographie kann beurteilt werden, ob sich die Harnblase in physiologischer Position befindet (8, 13). Funktionelle Obstruktion Zu einer funktionellen Obstruktion der Harnblase kommt es, wenn eine Dysfunktion der beim Harnabsatz beteiligten Nerven vorliegt. Klassische traumatische Ursachen sind Frakturen oder Luxationen im Bereich der kaudalen Lendenwirbelsäule, dem Sacrum oder der kranialen Schwanzwirbelsäule. Die knöchernen Veränderungen sind in der Regel gut in der Röntgendiagnostik darstellbar, während die funktionelle Obstruktion nur durch eine stark gefüllte Harnblase vermutet werden kann (10, 14, 15). Destruktive Erkrankungen Nach einem Trauma kann es zu Perforationen und Rupturen der Ureteren, Harnblase und/oder der Urethra kommen. Im nativen Röntgenbild sind Ureteren nicht sichtbar. Sekundäre Hinweise auf eine Harnleiterruptur können ein verwaschenes retroperitoneales Fettgewebe und oder ein retroperitonealer Detailverlust sein. Um die Rupturstelle zu identifizieren, kann eine Ausscheidungsurographie nützlich sein. Im Falle einer Ureterruptur tritt Kontrastmittel in das umgebende Gewebe aus. Der Ureter vor der Rupturstelle kann sich teilweise dilatiert und mit geschlängeltem Verlauf darstellen. In der nativen Röntgendiagnostik sind bei einer Harnblasenruptur eine verminderte Detailerkennbarkeit bzw. bei geringen Mengen an in der Harnblasenumgebung erkennbar. Der Füllungszustand der Harnblase ist variabel. Bei kleinen Perforationen erscheint die Harnblase in der Regel gefüllt. Bei größeren Rupturen verkleinert sich das Lumen. Eine gefüllte Harnblase schließt eine Ruptur nicht aus. flüssigkeitsdichte streifige Veränderungen freier Flüssigkeit Im Fall eines vollständigen Harnblasenabrisses kaudal des Sphinkters, kann es zu einer Verlagerung der Harnblase nach kranial kommen. Bei einer retrograden Kontrastmitteluntersuchung wird bei Vorliegen einer Harnblasenruptur teilweise freies Kontrastmittel im Abdomen sichtbar. Bei einer Urethraruptur ist Kontrastmittel im umgebenden Gewebe darstellbar (5, 7, 9–11, 14). 176 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ In der Sonographie kann beim Vorliegen einer Harnleiterruptur freie Flüssigkeit im Retroperitoneum dargestellt werden. Der Ureter vor der Rupturstelle ist teilweise dilatiert darstellbar, zudem ist in manchen Fällen eine Erweiterung des Nierenbeckens sichtbar. Bei einer Harnblasenruptur kann freie Flüssigkeit im kaudalen Abdomen detektiert werden. Ob es sich dabei um Urin handelt, ist durch eine sonographisch gestützte Punktion und folgenden Analyse des Punktats zu ermitteln. Beim Verdacht auf eine Perforation der Harnblase, kann ein Flüssigkeits-Luft-Gemisch über einen Harnkatheter eingegeben werden. Beim Vorliegen einer Ruptur lassen sich dann zum Teil Luftblasen außerhalb des Harnblasenlumens darstellen. Zudem kann an der Rupturstelle mitunter eine fokale Verdickung der Harnblasenwand dargestellt werden. Beim Vorliegen eines Aszites sollte eine Pseudoharnblasenruptur durch das Tangentialphänomen nicht mit einer realen Ruptur verwechselt werden (8, 12, 13). Fazit Bei Harnabsatzstörungen ist bildgebende Diagnostik, nach initialer Stabilisierung, zwingend erforderlich. Wie zeitnah weiterführende Diagnostik erfolgen sollte und ob eine Sonographie, eine Röntgendiagnostik oder eine Kombination aus beidem angewendet wird, ist von Fall zu Fall zu entscheiden. Beide Verfahren eignen sich mit den jeweiligen Vor- und Nachteilen, um die häufigsten notfallmäßigen Harnabsatzstörungen zu diagnostizieren. Hektik muss bei der Diagnostik also keine aufkommen. Literatur 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 Morgan JP, Doval J, Samii V. Lagerungstechniken in der Röntgendiagnostik beim Hund. Hannover: Schlüter; 1998 Sirois M, Anthony E, Mauragis D. Handbook of radiographic positioning for veterinary technicians. Clifton Park, NY: Delmar Cengage Learning; 2010 Waibl H, Mayrhofer E, Matis U, et al. Atlas der Röntgenanatomie des Hundes. 3., unveränderte Auflage. Stuttgart: Enke; 2012 Waibl H, Mayrhofer E, Matis U, et al. Atlas der Röntgenanatomie der Katze. 1. Neuaufl. Stuttgart: Parey; 2004 von Pückler K, Hrsg. Röntgen Hund und Katze: Thorax und Abdomen: Röntgenbilder sicher befunden. 1. Auflage. Stuttgart: Thieme; 2018 Hartung K, Ludewig E, Tellhelm B. Röntgenuntersuchung in der Tierarztpraxis. 2., überarb. und erw. Aufl. Stuttgart: Enke; 2010 Hecht S, Hrsg. Röntgendiagnostik in der Kleintierpraxis. 2. vollständig überarb. u. erw. Aufl. Stuttgart: Schattauer; 2012 Mattoon JS, Sellon RK, Berry CR, Hrsg. Small animal diagnostic ultrasound. Fourth edition. St. Louis, Missouri: Elsevier; 2021 O'Brien R, Barr F J, Hrsg. BSAVA manual of canine and feline abdominal imaging. Quedgeley: British Small Animal Veterinary Association; 2009 Dennis R, Kirberger RM, Barr F, Wrigley RH. Handbook of small animal radiology und ultrasound: Techniques and differential diagnoses. 2nd ed. Edinburgh u.a.: Churchill Livingstone Elsevier; 2010 Muhlbauer MC KS. Radiography of the dog and cat: Guide to making and interpreting radiographs. Ames, Iowa: Wiley-Blackwell; 2013 Du Plessis W, Hrsg. Sono-Grundkurs für Tiermediziner: Ultraschalldiagnostik bei Hund und Katze - verstehen, erkennen, interpretieren. 1. Auflage. Stuttgart: Schattauer; 2013 Penninck D. Atlas of Small Animal Ultrasonography. 2nd ed. Somerset: Wiley; 2015 Morgan JP WP. Atlas of radiology of the traumatized dog and cat: The case-based approach. 2nd ed. Hannover: Schlütersche; 2004 Schrey CF. Leitsymptome und Leitbefunde bei Hund und Katze: Differenzialdiagnostischer Leitfaden. 4., aktualisierte Auflage. Stuttgart, New York: Georg Thieme Verlag; 2019 Kontakt Sabrina Gamerad; Klinik für Kleintiere, Veterinärmedizinische Fakultät Leipzig 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 177

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Jetzt nur die Zwerchfellruptur? Urs Geissbühler Klinische Radiologie, Departement für klinische Veterinärmedizin, Vetsuisse Fakultät, Bern und Vetimage 1815 GmbH, Ried-Brig Abstract Die Zwerchfellruptur ist bei Hund und Katze eine häufige Verletzung der Trennwand zwischen Brust- und Bauchhöhle nach traumatischen Ereignissen. Die traumatische Ursache ist meist eine Kollision oder ein Sturz aus größerer Höhe. Eine Zwerchfellruptur geht meist mit einer Verlagerung von Bauchhöhlenorganen in die Brusthöhle einher. Dies wiederum führt zu einer Verkleinerung des Lungenvolumens als Folge einer Kompression von Lungengewebe durch die vorgefallenen Organe und durch einen häufig einhergehenden Pleuraerguss. Weitere Ursachen für ein verkleinertes Lungenvolumen sind Lungenkontusionen, Pneumothorax und tympanisch vergrößerte inkarzerierte Hohlorgane. Die respiratorischen Probleme können durch hypovolämische oder toxische Schockzustände zusätzlich verstärkt werden. Da die für eine chirurgischen Behandlung unverzichtbare Allgemeinanästhesie eine besondere Herausforderung darstellt und die Teambesetzung während der Nacht und an Wochenenden in manchen Institutionen reduziert ist, ist eine rasche und korrekte Triage beim Vorliegen einer Zwerchfellruptur in akute und subakute Notfälle von großer Bedeutung. Diese Triage wird in der Regel rasch und schonend mit Hilfe von sorgfältig In bestimmten Fällen sind Ultraschall, Computertomographie, Fluoroskopie und Kontrastmitteluntersuchungen zur Aufarbeitung nötig. interpretierten Röntgenaufnahmen unterstützt. Röntgenanatomie des Diaphragmas Das Diaphragma ist eine kuppelförmige Struktur aus Muskulatur und Sehnengewebe und trennt die Brusthöhle von der Bauchhöhle. Das Zwerchfell setzt seitlich am Rippenbogen (costodiaphragmatischer Recessus) und dorsal an der ventralen Oberfläche 3. und 4. Lendenwirbelkörpers an und bildet dort den lumbodiaphragmatischen Recessus. Das Diaphragma weist drei Öffnungen auf. Dorsal befindet sich der Hiatus aorticus, durch den Aorta, Vena azygos und Ductus thoracicus durchtreten. Zentral befindet sich der Hiatus für den Durchtritt des Oesophagus. Rechts ventral befindet sich das Foramen cavale für den Durchtritt der Vena cava caudalis. Röntgenologisch kontrastiert das weichteildichte Diaphragma kranial zum gasdichten Lungengewebe. Die kaudale Oberfläche ist wegen des unmittelbaren Kontaktes zu den weichteildichten Bauchhöhlenorganen, insbesondere der Leber, nicht abgrenzbar. Ausnahmen dazu bilden Katzen und gut genährte Hunde; bei diesen Tieren ist der ventralste Anteil des Zwerchfells in laterolateralen Aufnahmen dank des falziformen und suprasternalen, mediastinalen Fetts, respektive den kaudoventralsten Lungenanteilen als feine weichteildichte bandförmige Struktur sichtbar. Die verschiedenen Anteile des Diaphragmas stellen sich in den verschiedenen Aufnahmerichtungen wie folgt dar: • • laterolaterale Aufnahmen: Die sehnige Kuppel befindet sich cranioventral, die beiden Crura caudodorsal, wobei in der rechts lateralen Aufnahme die rechte Crus cranial der linken und in der links lateralen Aufnahme die linke Crus cranial der rechten positioniert ist. Außerdem verlaufen die beiden Crura in der rechts lateralen Aufnahme meist parallel während sie in der links lateralen Aufnahme ventral konvergieren. Unmittelbar kaudal des linken Crus ist oft der gashaltige Magenfundus erkennbar. ventrodorsale Aufnahme: Die sehnige Kuppel befindet sich cranial leicht rechts der Mittellinie, die beiden Crura rechts und links lateral • dorsoventrale Aufnahme: Nur die sehnige Kuppel ist sichtbar 178 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Physiologische Aspekte und röntgenologische Beurteilung Das Zwerchfell ist Teil des Atemapparates und trägt von allen Anteilen am meisten zur inspiratorischen Bruskorberweiterung bei. Form und Position ist röntgenologisch eine Momentaufnahme. Endinspiratorisch ist die Zwerchfellmuskulatur kontrahiert und die Kuppel ist kaudal positioniert und abgeflacht und umgekehrt. Sämtliche Recessus werden geöffnet. Während der Exspiration erschlafft die Zwerchfellmuskulatur (passiver Vorgang). Form, Position, Symmetrie, Integrität und Kontur sind die Beurteilungskriterien für das Zwerchfell. Mehrere technische und patientenabhängige Faktoren beeinflussen diese Kriterien: • Position des Zentralstrahls (Thorax/Abdomen) und Aufnahmerichtung (VD/DV) • Organgröße, Nährzustand und Respirationszyklus • Seitenlage und rassespezifische Thoraxkonformation Eine Zwerchfellverlagerung ist neben der Atmung durch eine thorakale oder abdominale Volumenzunahme oder -verminderung bedingt. Subjektiv kann die Lage des Zwerchfells mit Hilfe der Distanz zwischen Herzspitze und Zwerchfellkuppel und mit der Position der verschiedenen Recessus überprüft werden. Die Zwerchfellsymmetrie wird in der VD oder DV Aufnahme beurteilt. Unilaterale Verlagerungen können einfacher diagnostiziert werden als bilaterale. Bei bilateralen Zwerchfellverlagerungen kann eine fluoroskopie wichtige Informationen liefern. Die Ursachen für Zwerchfellverlagerungen sind vielfältig und können im Thorax oder im Abdomen liegen. Die Zwerchfellkontur kann durch eine weichteildichte Verschattung kranial des Zwerchfells oder durch eine zwerchfellassoziierte weichteildichte Volumenzunahme verursacht sein. Die kaudale Zwerchfelloberfläche ist nur identifizierbar, wenn sich Gas in der Peritoneal- oder Retroperitonealhöhle befindet. Bildgebende Diagnostik der Zwerchfellruptur Ein Zwerchfellriss entsteht in der Regel an der schwächsten Stelle; Risslänge und -stelle sind jedoch variabel. Rechtsseitige Risse sind häufiger als linksseitige. Ein Riss kann auch beide Seiten betreffen und radiär oder gebogen verlaufen. Ein Riss entsteht unmittelbar nach akut erhöhtem intraabdominalem Druck bei offener Glottis. Lebergewebe fällt bei einem rechtsseitigen, Magen bei einem linksseitigen Riss am häufigsten vor. Dünndarm und Omentum können bei allen Rissen vorfallen. Weniger häufig fallen Milz, Dickdarm, Nieren oder Uterus vor. Das häufigste klinische Symptom bei einem Zwerchfellriss ist Dyspnoe. Weitere Symptome hängen von den vorgefallenen Organen ab. Die Abschnürung von vorgefallenem Magen führt zu rascher lebensbedrohlicher Magentympanie und ist ein chirurgischer Notfall. Eine DV Röntgenaufnahme des Thorax ist bei einem Tier mit Dyspnoe das schonendste bildgebende Verfahren. Nimmt die Dyspnoe in Seitenlage zu kann bei entsprechender technischer Ausrüstung das Tier in Sternallage belassen werden und eine LL Aufnahme mit horizontalem Strahlengang angefertigt werden. Hilfreich ist außerdem die Überprüfung der Lage der abdominalen Organe. Deshalb sollen auch Abdomenaufnahmen angefertigt werden. Bei einer Zwerchfellruptur kann eines oder mehrere der nachfolgend gelisteten Röntgenzeichen sichtbar sein: • Unterbrochene oder veränderte Zwerchfellkontur • Nicht oder nicht vollständig abgrenzbare oder nach dorsal oder seitlich verlagerte Herzsilhouette • Weichteil- oder fettdichte Verschattung vornehmlich im ventralen Teil des Thorax mit eventueller Dorsalverlagerung des intrathorakalen Teils der Trachea • Präsenz von gashaltigen tubulären Strukturen und/oder kleinen mineraldichten Verschattungen im Thorax • Präsenz von abdominalen Organen im Thorax • Pleuraerguss • Disloziertes und/oder kollabiertes Lungengewebe • Absenz von abdominalen Organen in der Bauchhöhle 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 179

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ • Nach cranial verlagerte Magenachse • Rippenfrakturen und Frakturen des appendikulären Skelettes • Lungenkontusionen Ein Zwerchfellriss muss nicht zwingend mit einem Vorfall von abdominalen Organen begleitet sein. Ultraschall ist eine geeignete nicht-invasive Methode zur weiteren Aufarbeitung von unklaren Fällen. Allerdings erfordert die Methode viel Erfahrung, da das Diaphragma nur schwer abgrenzbar ist und am Diaphragma Spiegelartefakte eine Beurteilung zusätzlich erschweren. Bei der Ultraschalluntersuchung soll der Fokus auf folgende Befunde gelegt werden: • Unterbrechung des hyperechogenen Interfaces zwischen Lunge und Diaphragma • Nachweis von abdominalen Organen im Thorax; die Unterscheidung zwischen normalem Leber- und konsolidiertem Lungengewebe kann eine Herausforderung darstellen. In der Literatur werden außerdem folgende Röntgenkontraststudien zur Aufarbeitung von unklaren Fällen (bei Verdacht auf Perforation des Gastrointestinaltraktes jodhaltigem Kontrastmittel und vorgeschlagen: Bariumkontrastpassage kontraindiziert), Positivkontrastperitoneographie mit nicht-ionischem Negativkontrastperitoneographie mit Luft oder CO2. Bei Patienten in stark reduziertem komatösem Allgemeinzustand kann eine Computertomographie ohne Sedation und Allgemeinanästhesie in Betracht gezogen werden. Bei stabilen Patienten zum Beispiel bei chronischen Fällen kann ebenfalls eine Computertomographie weiterhelfen. Literatur 1. 2. 3. 4. 5. Spattini G, Rossi F, Vignoli M, Lamb CR. Use of ultrasound to diagnose diaphragmatic rupture in dogs and cats. Vet Radiol Ultrasound. 2003 Mar-Apr;44(2):226-30. doi: 10.1111/j.1740-8261.2003.tb01276.x. Lamb CR. Radiology Corner: Loss of the Diaphragmatic Line as a Sign of Ruptured Diaphragm. Vet Radiol Ultrasound. 2004 Aug. doi.org/10.1111/j.1740-8261.2004.04056.x Hyun C. Radiographic diagnosis of diaphragmatic hernia: review of 60 cases in dogs and cats. J Vet Sci. 2004 Jun;5(2):157-62. PMID: 15192344 Llabrez-Diaz F, Petite A, Saunders J, Scharz T. The thoracic boundaries. In: Schwarz T, Johnson V. BSAVA Manual of Canine and Feline Thoracic Imaging. 2008. S. 340-76. Sepuya RG, Dozeman ET, Prittie JE, Fischetti AJ, Weltman JG. Comparing diagnostic findings and cost of whole body computed tomography to traditional diagnostic imaging in polytrauma patients. J Vet Emerg Crit Care (San Antonio). 2022 May;32(3):334-340. doi: 10.1111/vec.13189. Epub 2022 Feb 24. PMID: 35199929 Kontakt Dr. Urs Geissbühler, Klinische Radiologie Vetsuisse Fakultät Bern und Vetimage 1815 GmbH, Ried-Brig, urs.geissbuehler@vetsuisse.unibe.ch und urs.geissbuehler@vetimage1815.ch 180 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Dystokie: Was weiß Patrick darüber? Patrick Kircher Klinik für Bildgebende Diagnostik, Vetsuisse-Fakultät Zürich, Zürich, Schweiz Einleitung Sowohl bei Hund und Katze kann die Bestimmung des Geburtstermins eine Herausforderung darstellen. Um schnell bei Geburtskomplikationen eingreifen zu können, ist eine akkurate Bestimmung jedoch wichtig. Wie hinlänglich bekannt reicht der Decktermin allein nicht. Bei der Hündin kann die empfängliche Zeit bis 10 Tage dauern und die Spermatozoen können bis zu 9 Tage im weiblichen Geschlechtstrakt fertil bleiben. Dieser Umstand allein schon zeigt, wie wichtig andere Techniken zur Geburtszeitbestimmung sind. Die Bildgebung stellt nur eine Möglichkeit dar und ist allein für sich nicht alleinseligmachend. Dennoch: ist der Decktermin nicht bekannt, so sind Röntgen und Ultraschall die einzige Technik bei der Kätzin. Bei der Hündin können Labortechniken zusätzlich beigezogen werden. Tabelle 1: Geburtszeitpunkt Katze, geschätzt mittels sichtbarer Mineralisation der fötalen Skelettanteile (Haney et al. 2003). Anzeichen Erste Mineralisation Wirbelsäule Schädel Scapula Humerus Femur Radius Tibia Becken Schwanz Metacarpalia, Metatarsalia Zähne Tage vor Geburt 25-29 22-27 21-27 17-24 20-24 19-23 15-22 15-21 8-20 8-16 3-14 1-6 Tabelle 2: Geburtszeitpunkt Hund, geschätzt mittels sichtbarer Mineralisation der fötalen Skelettanteile (Rendano et al. 1984). Anzeichen Erste Mineralisation (Schädel, Wirbelsäule) Scapula, humerus, femur sichtbar Radius, ulna, tibia sichtbar Pelvis sichtbar Zähne sichtbar Tage vor Geburt 19-22 14-19 12-15 8-12 2-7 Röntgen Vorab muss erwähnt werden, dass Röntgen für das Zählen der Föten genauer ist als der Ultraschall. Stellt sich also die Frage der Anzahl zu erwartenden Welpen, so reicht meist eine seitliche Aufnahme. Für die Bestimmung der Tragzeit, der Größe der Föten und ihre intrauterine Lage ist eine zweite Ebene anzufertigen. Im Vergleich zum Ultraschall ist die Erkennung des fötalen Todes immer um etwa 24 Stunden verzögert. Bei fötalem Tod können auf dem Röntgen gas im und um den Fötus erkannt werden. Ein weiteres Zeichen ist das Überlappen der Schädelknochen. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 181

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Die Bestimmung der Tragzeit ist nicht besonders genau und hängt stark vom Equipment ab. Die folgenden Tabellen geben die Richtwerte bei Hund und Katze an. Ultraschall Die ultrasonographische Untersuchung des Fötus ermöglicht gleichzeitig die Bestimmung des Geburtszeitpunkts und der fötalen Vitalität. Die Anzahl Föten sollte allerdings nicht mittels Ultraschall bestimmt werden. Die Gefahr einzelne Föten zu verpassen oder sie gar doppelt zu zählen ist schlicht zu groß. Für die Bestimmung des Geburtszeitpunkts, beziehungsweise der Tragezeit, können anatomische Begebenheiten und Messparameter verwendet werden. Es existieren viele Publikationen, die sich mit den Merkmalen beschäftigen. Die wohl einfachste Variante ist die Bestimmung der Organe der Föten. Die folgenden Tabellen beschreiben das Erscheinen einzelner Organsysteme bei der Hündin und der Katze. Abb. 1: Transversalschnitt durch den fötalen Schädel. Der BPD beträgt 2,65 cm. Daraus lässt sich in diesem Fall ein Alter von ca. 60 Tagen post Ovulation berechnen. Ultrasonographische Messmethoden Sowohl beim Hund als auch bei der Katze wurden Messmethoden etabliert, welche den Geburtszeitpunkt bestimmen sollen. Die Genauigkeit dieser Methoden hängt einerseits von der Sorgfalt bei der Messung ab, als auch vom Parameter selbst. Um die Genauigkeit zu verbessern sollten die Messungen an mindestens zwei Föten vorgenommen werden. Bei Einlingen sollten mindestens zwei Parameter bestimmt werden. Allgemein kann gesagt werden, dass die Kombination mehrerer Parameter im Durchschnitt die wohl besten Resultate liefert. Inner Chorionic cavitiy (ICC) In früher Trächtigkeit ist sie die genauste Methode (wohl auch, weil sie eigentlich die einzige ist). Am besten ist sie etwa 45-42 Tage vor der Geburt. Outer uterine diameter (OUD) Der uterine Durchmesser kann ebenfalls bestimmt werden, ist jedoch deutlich inakkurater als der ICC. Crown-Rump-Length (CRL) Die Schädel-Rumpf-Länge eignet sich ebenfalls am Besten im frühen Zeitraum, da die Krümmung des Fötus im späteren Verlauf der Trächtigkeit die Messung stark beeinflusst. 182 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Abb. 2: Longitudinalschnitt durch den Fötus. Die CRL beträgt hier 2,46 cam, woraus sich ein Alter von ca. 20 Tagen post Ovulation berechnen. Head-Diameter (HD) Der Schädeldurchmesser wird in der Sagittalen bestimmt. Es wird der größte Messwert verwendet. Dies ist erst möglich, wenn der Schädel klar sichtbar ist. Weiter kann der Biparietale Durchmesser (BPD) verwendet werden. Es ist essentiell, dass die parietalen Knochen strikt parallel dargestellt werden. Der BPD ist in der späteren Trächtigkeit (<25 Tage vor Geburt) der genauste Parameter. Tabelle 3: Ultrasonographische Parameter zur Berechnung des Geburtszeitpunktes beim Hund. Parameter Frühe Trächtigkeit (> 25 Tage vor Geburt) ICC Tage vor Geburt Referenz Rasse Mittel 45 - (6 x ICC in cm) 45.34 - (6.27 x ICC in cm) (ICC in mm – 82.13)/1.8 (ICC in mm – 68.88)/1.53 63.2 – (18.58 + 0.71 x ICC in mm) 63.4 – (18.92 + 0.65 x ICC in mm) 47.61 - (4.98 x OUD in cm) (OUD in mm – 80.78)/1.57 (OUD in mm – 85.17)/1.83 38 - (3 x CRL) 40.36 - (4.54 x CRL in cm) + (0.24 x CRL2 in cm) Mattoon and Nyland 2002 Yeager et al. 1992 Luvoni and Grioni 2000 Luvoni and Grioni 2000 Son et al. 2001 Son et al. 2001 Yeager et al. 1992 Luvoni and Grioni 2000 Luvoni and Grioni 2000 Mattoon and Nyland 2002 Yeager et al. 1992 36 - (7 x BD) 42.11 - (12.75 x BD in cm) + (1.17 x BD2 in cm) 45 - (15 x BPD) 43.92 - (14.88 x BPD in cm) + (0.11 x BPD2 in cm) (BPD in mm – 29.18)/0.7 (BPD in mm – 25.11)/0.61 63.2 – (24.7 + 1.54 x BPD in mm) 63.4 – (23.89 + 1.63 x BPD in mm) 35 - (6 x BPD) - (3 x BD) 34.27 – (5.89 x BPD in cm) – (2.77 x BD in cm) (DPTV in mm – 10.27)/0.24 (DPTV in mm – 14.15)/0.4 (DPTV in mm – 10.11)/0.24 Mattoon and Nyland 2002 Yeager et al. 1992 Mattoon and Nyland 2002 Yeager et al. 1992 Luvoni and Grioni 2000 Luvoni and Grioni 2000 Son et al. 2001 Son et al. 2001 Mattoon and Nyland 2002 England et al. 1990 Beccaglia et al. 2008a Beccaglia and Luvoni 2004 Beccaglia and Luvoni 2004 Klein Malteser Yorkshire Mittel Klein Mittel OUD CRL (≤ 38 d) Späte Trächtigkeit (< 25 Tage vor Geburt) BD Mittel BPD Mittel BD und BPD DPTV Klein Malteser Yorkshire Mittel Gross Mittel Klein 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 183

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Deep Portion of the fetal Diencephalo-telencephalic Vesicle (DPTV) Zwischen Tag 30 und Tag 7 vor der Geburt kann dieser als symmetrische anechogene Region im Sagittalschnitt des Gehirns dargestellt werden. Er repräsentiert den Thalamus und die Basalganglien. (nur Hund) Body diameter (BD) Der Körperdurchmesser wird in der Transversalen am breitesten Ort gemessen. Der BD sollte immer zusammen mit dem BDP verwendet werden. Trächtigkeit und Dystokie Die Dystokie kann von der Mutter oder aber auch vom Fötus verursacht werden. Viele Ursachen sind mittels Röntgen nicht erkennbar. Fehlpositionierungen, Beckenengstände oder fötomaternale Disproportionen können radiographisch dargestellt werden. Zwei orthogonale Ebenen sind empfohlen, um die Ursache zu evaluieren. Beckenengstände aufgrund von alten Frakturen sind nicht selten, bisweilen gar nicht bekannt. Vor allem freilaufende Katzen sollten diesbezüglich untersucht werden. Es ist manchmal erstaunlich was Katzen wegstecken können, ohne dass die Besitzer wirklich darauf aufmerksam werden. Messwerte für die Voraussage über eine eventuelle Dystokie aufgrund der fötalen Größe existieren so nicht. Es muss also abgeschätzt werden, ob eine natürliche Geburt möglich ist. Kontakt Prof. Dr. Patrick Kircher; Klinik für Bildgebende Diagnostik, Vetsuisse-Fakultät Zürich, Zürich, Schweiz 184 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Behandlung von Arthrose-Patienten – Option monoklonale Antikörper Sabine Tacke Klinikum Veterinärmedizin, Klinik für Kleintiere (Chirurgie), Justus-Liebig-Universität Gießen Zusammenfassung Die Osteoarthritis (OA) ist eine häufige Ursache von chronischen Schmerzen bei Hund und Katze. Bisher erfolgte die medikamentelle Schmerztherapie primär mit Nichtsteroidalen Antiphlogistika. Seit einigen Jahren steht nun für den Hund der canine monoklonale Antikörper (mAb) Bedinvetmab und für die Katze der felinisierte monoklonale Antikörper Frunevetmab zur Linderung der OA bedingten Schmerzen zur Verfügung. Die Wirkung der mAbs erfolgt über die Bindung an den Nerve Growth Factor (NGF). Dadurch kann dieser nicht mehr über den Tropomyosin-Rezeptorkinase A (TrkA) Rezeptor in die Nervenzelle aufgenommen werden und die periphere und zentrale Sensibilisierung kann nicht mehr erfolgen. Erste Studien belegen die gute Verträglichkeit und auch Wirksamkeit der mAbs bei der Therapie der OA. Grundsätzlich muss aber bei der Therapie der OA immer der multimodale Ansatz beachtet werden. Einleitung Mit Zunahme der durchschnittlichen Lebenserwartung von Hund und Katze nimmt auch die Anzahl von Patienten mit chronischen Schmerzen, bedingt durch eine Osteoarthritis (OA), in der Veterinärmedizin immer mehr zu. Die OA ist eine fortschreitende degenerative Gelenkerkrankung, die durch Schmerzen und Bewegungseinschränkungen gekennzeichnet ist. Chronische und rezidivierende Schmerzen sind das wichtigste klinische Symptom der OA. Akute Schübe treten aufgrund einer Entzündung des erkrankten Gelenks auf und diese Entzündung ist eine der Hauptursachen für den Schmerz der OA. Jeder Schub führt zur peripheren und zentralen Sensibilisierung der Nozizeptoren. Das Ziel einer jeden OA-Therapie ist es, den Schmerzkreislauf so früh wie möglich zu unterbrechen, das Fortschreiten der OA zu vermindern und die Lebensqualität der Patienten zu maximieren. Grundsätzlich erfolgt die Therapie der OA multimodal. Das heißt, dass die Ursache möglichst diagnostiziert und wenn möglich bzw. notwendig auch chirurgisch therapiert werden muss. Zusätzlich muss eine patientenadaptierte Schmerztherapie erfolgen, eventuelle ist eine Gewichtsreduktion notwendig und auch die Physiotherapie ist ein ganz wichtiger Bestandteil der multimodalen Therapie der OA (1-4). Periphere und zentrale Sensibilisierung im Rahmen der OA Der OA-Schmerz ist ein pathologischer (maladaptiver) Schmerz. Er beinhaltet eine nozizeptive, entzündliche und neuropathische Komponente. Eine wichtige Rolle beim Unterhalt des Schmerzes spielen die Prostaglandine (PG). Diese führen zu einer peripheren Sensibilisierung und damit zu einer Chronifizierung des Schmerzes. In den letzten Jahren wurde auch die Rolle des Nerve Growth Factor (NGF) im Rahmen der Entzündung bei der OA entdeckt und näher untersucht. NGF bindet am hochaffinen Rezeptor Tropomyosin- Rezeptorkinase A (TrkA) und ruft sowohl eine periphere als auch eine zentrale Sensibilisierung hervor (5-8). Neue Wirkstoffe zur Therapie der OA Zur medikamentellen Schmerztherapie wurden, bis vor kurzem, vor allem die Nichtsteroidalen Antiphlogistika (NSAIDs) zur Hemmung der PG-Synthese bzw. seit einiger Zeit auch zur Hemmung des PGE4- Rezeptors alleine eingesetzt. Ein aktueller Forschungsschwerpunkt in den letzten Jahren war unter anderem die Entwicklung monoklonaler Antikörper (mAbs) gegen NGF. mAbs werden auch als biologische Therapeutika oder Biologika bezeichnet. Es sind hochspezifische Proteine des Immunsystems die im Fall der Therapie der OA am NGF binden und damit die Aufnahme über den TrKa Rezeptor verhindern. Dies führt zur Reduktion der peripheren und zentralen Sensibilisierung, Reduktion der Reaktion mit Immunzellen (v.a. Mastzellen) und Reduktion der neurogenen Entzündung. Eine Besonderheit der mAbs ist, dass sie nur speziesspezifisch angewendet werden können, denn sonst kann eventuell eine Immunantwort ausgelöst werden. Aktuell stehen zur Linderung der OA bedingten Schmerzen der canine monoklonale Antikörper Bedinvetmab für den Hund 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 185

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ und der felinisierte monoklonale Antikörper Frunevetmab für die Katze zur Verfügung. Die Verabreichung erfolgt, im Gegensatz zu den NSAIDs, nicht per oral, sondern per injektionem. Aufgrund der langen Wirkdauer ist die Injektion nur einmal monatlich notwendig. Beim Hund zeigen erste eigene klinische Erfahrungen der Autorin, dass ein Nachlassen der Wirkung bei einigen Patienten schon nach ca. 28 Tagen auftreten kann. Allerdings sind zum Zeitpunkt der Erstellung des Abstracts, aufgrund der noch nicht ausreichenden Fallzahlen, noch keine statistischen Aussagen dazu möglich. Bis zum Einsetzen der Wirkung kann es 2-7 Tage dauern, mAbs sind also keine Therapeutika, die für einen ganz akuten Schub einer OA geeignet sind. In einem solchen Fall ist die Kombination von einem NSAID mit einem mAb die Therapie der Wahl. Eine parallele Verabreichung von einem NSAID mit einem mAb ist bis zu einer Dauer von 14 Tagen beim Hund untersucht worden und kann ohne Risiko, sofern keine Kontraindikation bestehen, durchgeführt werden. Die mAbs gegen NGF passieren nicht die Blut-Hirn-Schranke, sodass Nebenwirkungen im ZNS nicht befürchtet werden müssen. Der Abbau der mAbs erfolgt durch Endozytose und Metabolismus in der Zelle zu Aminosäuren und Peptiden unter minimaler Beteiligung von Leber, Niere und des Gastro-Intestinal-Traktes. Eine erste klinische Studie über 9 Monate beim Hund hat die klinische Wirkung und Sicherheit der Anwendung von Bedinvetmab (0.5–1.0 mg/kg) gezeigt. Aktuell bestehen keine Kontraindikationen zur Kombination mit anderen Arzneimitteln, Wechselwirkungen sind bisher nicht beobachtet worden. Nicht angewendet werden sollen mAbs zur Therapie von OA Schmerzen bei Hunden und Katzen unter 12 Monaten, da hier der NGF für die Entwicklung des Nervensystems noch benötigt wird. Bei älteren Tieren besteht keine Gefahr einer schädigenden Wirkung auf das Nervensystem. Auch bei Tieren, die für die Zucht vorgesehen sind oder bei trächtigen oder laktierenden Tieren sollten Bedinvetmab und Frunevetmab nicht eingesetzt werden (7-15). Indikationen zum Einsatz der mAbs Bedinvetmab bzw. Frunevetmab sind zur Linderung osteoarthro-sebedingter Schmerzen bei Hunden bzw. bei Katzen zugelassen. Mögliche Nebenwirkungen sind bei Bedinvetmab: leichte lokale Reaktionen an der Injektionsstelle und bei Frunevetmab: fokale Hautreaktionen wie Juckreiz und Alopezie. Bei beiden Wirkstoffen kann es zu einer vorübergehenden oder anhaltenden Antikörperbildung gegen die Anti-NGF-mAbs kommen und damit theoretisch zu einer Neutralisation des mAKs mit Limitierung der schmerzlindernden Wirkung. Studien zur Langzeitanwendung über mehrere Jahre und eventuell resultierenden Nebenwirkungen liegen aufgrund der kurzen Zulassung bisher noch nicht vor. Beachtet werden muss bei eventuellen Berichten aber auch immer, dass der Einsatz der mAbs der Zulassung entsprechen muss. Aufgrund der wichtigen physiologischen Bedeutung von NGF für die Entwicklung und Erhaltung sensorischer und sympathischer Neurone beim wachsenden Tier sollten Anti-NGF-mAbs nur beim ausgewachsenen Patienten eingesetzt werden. Zugelassen sind die beiden Arzneimittel bei Hund und Katze jeweils erst ab einem Alter von 12 Monaten (bzw. bei der Katze zusätzlich erst ab einer Körpermaße von 2,5 kg). Bei tragenden, laktierenden oder Zuchttieren sollten die beiden mAbs nicht eingesetzt werden. Bei Katzen mit einer chronischen Nierenerkrankung ab IRIS-Stadium 3 und höher ist der Einsatz von Frunevetmab nicht untersucht worden und wird daher vom Hersteller nicht empfohlen, es muss eine Nutzen- Risiko-Bewertung durch den Tierarzt erfolgen. Beim Hund ist eine gleichzeitige Gabe der Anti-NGF-mAbs mit NSAIDs für einen Zeitraum von 2 Wochen untersucht worden, in dieser Zeit wurden keine Nebenwirkungen beobachtet. Laut Zulassung wird deshalb eine gleichzeitige Gabe auf 2 Wochen begrenzt empfohlen. Fazit Die mAbs zur Linderung der OA bedingten Schmerzen bei Hund und Katze stellen eine sehr interessante neue Möglichkeit der Therapie dar und klinische Erfahrungen und Studien zeigen Wirkungen und Verträglichkeit. Allerdings wird auch mit diesen Therapeutika alleine keine Heilung einer OA möglich sein. Die multimodale Therapie wird nach den heute bekannten wissenschaftlichen Erkenntnissen immer die Therapie der Wahl sein und auch durch die mAbs ist die OA nicht heilbar, sondern es werden Symptome gelindert bzw. therapiert. Weiter Informationen zur Schmerztherapie können Sie auf https://www.vetline.de/initiative- tiermedizinische-schmerztherapie-itis finden. 186 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Literatur 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. Gaynor JS, Muir III WW. Handbook of Veterinary Pain Management. 3 ed. St. Louis: Elsevier; 2014. Tacke S. Therapie chronischer Schmerzen bei Hund und Katze. Tierärztl Umschau. 2017;70(6):231-8. Fox SM, Millis D. Multimodal management for canine osteoarthritis. In: Fox SM, Millis D, editors. Multimodal management for canine osteoarthrits. London: Manson Publishing Ltd; 2010. S. 31-64. Tacke S, Henke J. Schmerz - Pathophysiologie und Therapie. In: Bockstahler B, Witteck K, Levine D, Maierl J, Millis D, editors. Physikalische Medizin, Rehabilitation und Sportmedizin auf den Punkt gebracht Ein Leitfaden für die Kleintierpraxis. Babenhausen: VBS GmbH; 2019. S. 65-79. Isola M, Ferrari V, Miolo A, Stabile F, Bernardini D, Carnier P, et al. Nerve growth factor concentrations in the synovial fluid from healthy dogs and dogs with secondary osteoarthritis. Vet Comp Orthop Traumatol. 2011;24(04):279-84. Schmelz M, Mantyh P, Malfait AM, Farrar J, Yaksh T, Tive L, et al. Nerve growth factor antibody for the treatment of osteoarthritis pain and chronic low-back pain: mechanism of action in the context of efficacy and safety. Pain. 2019;160(10):2210-20. Enomoto M, Mantyh PW, Murrell J, Innes JF, Lascelles BDX. Anti-nerve growth factor monoclonal antibodies for the control of pain in dogs and cats. Vet Rec. 2019;184(1):23. Epstein ME. Anti-nerve growth factor monoclonal antibody: a prospective new therapy for canine and feline osteoarthritis. Vet Rec. 2019;184(1):20-2. Corral MJ, Moyaert H, Fernandes T, Escalada M, Tena JKS, Walters RR, et al. A prospective, randomized, blinded, placebo-controlled multisite clinical study of bedinvetmab, a canine monoclonal antibody targeting nerve growth factor, in dogs with osteoarthritis. Vet Anaesth Analg (accepted). Gearing DP, Huebner M, Virtue ER, Knight K, Hansen P, Lascelles BD, et al. In Vitro and In Vivo Characterization of a Fully Felinized Therapeutic Anti-Nerve Growth Factor Monoclonal Antibody for the Treatment of Pain in Cats. J Vet Intern Med. 2016;30(4):1129-37. Gearing DP, Virtue ER, Gearing RP, Drew AC. A fully caninised anti-NGF monoclonal antibody for pain relief in dogs. BMC Veterinary Research. 2013;9(1):226. Gruen ME, Thomson AE, Griffith EH, Paradise H, Gearing DP, Lascelles BD. A Feline-Specific Anti-Nerve Growth Factor Antibody Improves Mobility in Cats with Degenerative Joint Disease-Associated Pain: A Pilot Proof of Concept Study. J Vet Intern Med. 2016;30(4):1138-48. Krautmann M, Walters R, Cole P, Tena J, Bergeron LM, Messamore J, et al. Laboratory safety evaluation of bedinvetmab, a canine anti-nerve growth factor monoclonal antibody, in dogs. Vet J. 2021; 276:105733. Lascelles BDX, Knazovicky D, Case B, Freire M, Innes JF, Drew AC, et al. A canine-specific anti-nerve growth factor antibody alleviates pain and improves mobility and function in dogs with degenerative joint disease- associated pain. BMC Veterinary Research. 2015;11(1):101. Keizer RJ, Huitema AD, Schellens JH, Beijnen JH. Clinical pharmacokinetics of therapeutic monoclonal antibodies. Clin Pharmacokinet. 2010;49(8):493-507. Corral MJ, Moyaert H, Fernandes T, Escalada M, Kira STJ, Walters RR, Stegemann MR. A prospective, randomized, blinded, placebo-controlle)d multisite clinical study of bedinvetmab, a canine monoclonal antibody targeting nerve growth factor, in dogs with osteoarthritis. Vet Anaesth Analg (2021), 48(8): 943-955 Michels GM, Honsberger NA, Walters RR, Cleaver DM. A prospective, randomized, double-blind, placebo- controlled multisite, parallel-group field study in dogs with osteoarthritis conducted in the United States of America evaluating bedinvetmab, a canine anti-nerve growth factor monoclonal antibody Vet Anaesth Analg (2023), 50(5): 446-458 Kontakt Prof. Dr. Sabine Tacke; Klinikum Veterinärmedizin, Klinik für Kleintiere (Chirurgie), Justus-Liebig-Universität Gießen Sabine.P.Tacke@vetmed.uni-giessen.de 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 187

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Meine Gallenblase hält nicht bis zum nächsten Tag Emilia Mazur Abteilung Chirurgie, Klinik für Kleintiere, Universität Leipzig Übersicht Gallenblasenerkrankungen Die Gallenblase speichert und Konzentriert Galle. Erkrankungen dieses Organs kommen bei Hunden und Katzen relativ selten vor. In einzelnen Fällen können die Auswirkungen jedoch verheerend sein. Aus diesem Grund ist eine schnelle Diagnosestellung und die Auswahl einer geeigneten Therapiemethode sehr wichtig. Die Symptome sind dabei häufig unspezifisch. Erbrechen, Lethargie, Anorexie, abdominale Schmerzen, Ikterus, Polyurie/dipsie oder eine Erhöhung der Leberenzyme können auftreten (1). Zu den häufigsten Gallenblasenerkrankungen gehören Sludge, Mukozelen und Gallenblasensteine (2). Sludge ist eingedickte Galle und wird oft als eine Vorstufe der Mukozele diskutiert. Die Ursachen für diese Erkrankung sind multifaktoriell und nicht umfassend geklärt. Es werden unter anderem endokrine Erkrankungen wie Hyperadrenokortizismus, Hypothyreose oder Hyperlipidämie als Faktoren diskutiert (3). Gallenblasensteine können aufgrund von Eindickung von Galle, einer Abflussbehinderung oder Entzündungen entstehen (4). Eine andere Erkrankung ist die Cholezystitis. Diese tritt bei aufsteigenden Infektionen durch verschiedene Erreger wie Clostridien oder E. Coli auf (5, 6). Außerdem können Neoplasien, Polypen oder als Konsequenz verschiedener Ursachen Gallenblasenrupturen auftreten. Therapiemöglichkeiten und Prognose Die Wahl einer geeigneten Therapiemethode ist von der Erkrankung abhängig. Die Cholezystitis kann nach Diagnosestellung meistens konservativ mit einer spezifischen Antibiose behandelt werden (5). Eine Cholezystektomie ist wiederum angeraten bei einer chronischen Cholelithiasis, Obstruktionen, Neoplasien oder chronischen Cholezystitiden (6). Bei der Versorgung der Mukozele gehört die operative Entfernung der Gallenblase zum Goldstandard. Werden die Erkrankungen nicht rechtzeitig erkannt und therapiert, können sie mit einer hohen Mortalität zusammenhängen (1). Prognostisch schlecht ist das Auftreten einer galligen Peritonitis in Folge einer Gallenblasenruptur (7). Tiere, bei denen eine Cholezystenterostomie durchgeführt wurde, haben aufgrund von wiederkehrenden Infektionen ebenfalls eine schlechtere Prognose (1). langen Lernkurve des Operateurs und einem größeren laparoskopische Gallenblasenentfernung zum Standardverfahren. Bei einer entsprechenden Therapie sind die Überlebenschancen in den meisten Fällen jedoch sehr gut. Ist eine operative Entfernung der Gallenblase notwendig, stehen die klassische, am offenen Abdomen durchgeführte, oder die minimalinvasive Methode zur Verfügung. Beide haben ihre Daseinsberechtigung. In der Humanmedizin gehört die In der Kleintiermedizin wird sie noch eher selten genutzt. Dies könnte mit relativ hohen Anschaffungskosten für das Equipment, einer technischen Aufwand zusammenhängen. Sind diese Hindernisse überwunden, erweist sich die minimalinvasive Methode als gute Alternative zur klassischen Entfernung der Gallenblase beim Hund (8). Sie kann sicher bei unkomplizierten Gallenblasenerkrankungen nach sorgfältiger Auswahl der Patienten durchgeführt werden (9). Es konnte nachgewiesen werden, dass Hunde nach einer laparoskopische Gallenblasenentfernung eine weniger ausgeprägte Immunreaktion zeigten. Es kam zu geringeren Entzündungsreaktionen und Verklebungen als bei der klassischen Methode (10,11). Die Methode kann weniger invasiv und mit geringeren Nebenwirkungen verbunden sein als die klassische Laparotomie. Literatur 1. Smalle TM, Cahalane AK, Köster LS. Gallbladder mucocoele: A review. J S Afr Vet Assoc. 2015 Dec 9;86(1):1318. English. doi: 10.4102/jsava.v86i1.1318. PMID: 26824341; PMCID: PMC6138112. 188 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ 2. Mizutani S, Torisu S, Kaneko Y, Yamamoto S, Fujimoto S, Ong BH, Naganobu K. Retrospective analysis of canine gallbladder contents in biliary sludge and gallbladder mucoceles. J Vet Med Sci. 2017 Feb 28;79(2):366-374. doi: 10.1292/jvms.16-0562. Epub 2016 Dec 17. PMID: 27990011; PMCID: PMC5326943 3. Smalle TM, Cahalane AK, Köster LS. Gallbladder mucocoele: A review. J S Afr Vet Assoc. 2015 Dec 9;86(1):1318. English. doi: 10.4102/jsava.v86i1.1318. PMID: 26824341; PMCID: PMC6138112. 4. Baumgärtner W, Gruber A. Spezielle Pathologie für die Tiermedizin. Hrsg. 2., aktualisierte Auflage. Stuttgart: Thieme; 2020. doi:10.1055/b-006-166360 5. Ramery E, Papakonstantinou S, Pinilla M, McAllister H, Jahns H, Gallagher B, O'Brien PJ. Bacterial cholangiohepatitis in a dog. Can Vet J. 2012 Apr;53(4):423-5. PMID: 23024392; PMCID: PMC3299517) 6. BSAVA Manual of Canine and Feline Endoscopy and Endosurgery 2018 7. Jaffey JA, Graham A, VanEerde E, Hostnik E, Alvarez W, Arango J, Jacobs C, DeClue AE. Gallbladder Mucocele: Variables Associated with Outcome and the Utility of Ultrasonography to Identify Gallbladder Rupture in 219 Dogs (2007- 2016). J Vet Intern Med. 2018 Jan;32(1):195-200. doi: 10.1111/jvim.14898. Epub 2017 Dec 4. Erratum in: J Vet Intern Med. 2018 May;32(3):1290. PMID: 29205503; PMCID: PMC5787181 8. Kanai H, Hagiwara K, Nukaya A, Kondo M, Aso T. Short-term outcome of laparoscopic cholecystectomy for benign gall bladder diseases in 76 dogs. J Vet Med Sci. 2018 Nov 23;80(11):1747-1753. doi: 10.1292/jvms.18-0266. Epub 2018 Sep 20. PMID: 30232303; PMCID: PMC6261809 9. Scott J, Singh A, Mayhew PD, Brad Case J, Runge JJ, Gatineau M, Kilkenny J. Perioperative Complications and Outcome of Laparoscopic Cholecystectomy in 20 Dogs. Vet Surg. 2016 Nov;45(S1):O49-O59. doi: 10.1111/vsu.12534. Epub 2016 Aug 9. PMID: 27503575 10. Szabó G, Mikó I, Nagy P, Bráth E, Peto K, Furka I, Gamal EM. Adhesion formation with open versus laparoscopic cholecystectomy: an immunologic and histologic study. Surg Endosc. 2007 Feb;21(2):253-7. doi: 10.1007/s00464-005- 0015-y. Epub 2006 Dec 4. PMID: 17146599 11. Szabó G, Mikó I, Peto K, Bráth E, Nagy P, Gamal EM. Laparoszkópos versus nyitott cholecystectomia: válaszreakciók a májágyban [Laparoscopic versus open cholecystectomy: reaction in the liver bed]. Magy Seb. 2005 Apr;58(2):106-10. Hungarian. PMID: 16018277 Kontakt Dr. Emilia Mazur; Abteilung Chirurgie, Klinik für Kleintiere, Universität Leipzig emilia.mazur@kleintierklinik.uni-leipzig.de 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 189

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Wenn man richtig Luft ablassen muss. Mein Thorax ist atemlos Leif-Erik Thul Klinik für Kleintiere der Universität Leipzig Definition Als Pneumothorax bezeichnet man eine Ansammlung von Luft im Pleuraraum. Dies vermindert den intrathorakalen Unterdruck, was zum Kollaps der Lunge führt und eine inspiratorische Entfaltung der Lunge erschwert. Je nach Ursache kann ein Pneumothorax grob in „erworben“ oder „spontan“ eingeteilt werden. Ätiologie und Pathophysiologie Die Ursachen für einen Pneumothorax sind vielfältig und die grobe Einteilung in „erworben“ und „spontan“ kann weiter differenziert werden. Ein erworbener Pneumothorax lässt sich weiter einteilen in „traumatisch“ und „iatrogen“, welche wiederrum in „offen“ und „geschlossen“ zu unterteilen sind. Der erworbene traumatische offene Pneumothorax wird durch perforierende Verletzungen der Brustwand, wie z.B. Stich, Biss-, und Schusswunden, hervorgerufen. Dies ermöglicht die Kommunikation der Außenluft mit dem Pleuraraum. Ein geschlossener, traumatisch bedingter Pneumothorax, wird durch stumpfe Traumata ausgelöst, welche das Lungengewebe schädigen, so, dass Luft in den Pleuraraum gelangen kann. Der offene iatrogene Pneumothorax wird durch Thorakozenthesen oder Thoraxchirurgie verursacht. Die geschlossene Form wird durch ein Barotrauma, sprich durch einen zu hohen Druck bei der künstlichen Beatmung ausgelöst. Der spontane Pneumothorax entsteht durch eine Leckage im Lungengewebe, wobei die Ursachen in primäre und sekundäre eingeteilt werden. Für einen primären iatrogenen Pneumothorax sind Bullae verantwortlich. Als Sekundärursachen gelten Schädigungen des Lungengewebes infolge von infektiösen oder neoplastischen Erkrankungen. Besteht ein hochgradiger Pneumothorax, bei dem der Druck im Thorax höher ist als der atmosphärische Druck, wird dieser als Spannungs- oder Ventilpneumothorax bezeichnet. Wie der Name schon sagt, muss dafür entweder die Brustwand, oder das Lungengewebe als Ventil fungieren, sprich Luft in den Pleuraraum einlassen, aber diese nicht wieder herauslassen. Dies führt dazu, dass der Druck im Thorax steigt, Organe und Gewebe verdrängt werden und das Zwerchfell in Richtung Abdomen gedrückt wird. Dieser Zustand ist immer als akuter lebensbedrohlicher Notfall anzusehen. Symptome Die Symptomatik eines Pneumothorax ist abhängig von dessen Ausmaß. Ein geringgradiger Pneumothorax ist häufig klinisch unauffällig. Bei schwerwiegenderen Fällen steht die Atemnot mit beschleunigter und/oder erschwerter Atmung im Vordergrund. Folgesymptome sind Zyanosen, Schwäche, bis hin zum Schock. Diagnostik Anhand der Symptomatik und fehlenden Atemgeräuschen bei der Auskultation kann ein mittel- bis hochgradiger Pneumothorax schnell festgestellt werden. Die Diagnose wird radiologisch gesichert. Je nach Zustand des Patienten empfiehlt es sich ein Röntgenbild im dorso-ventralen Strahlengang anzufertigen. Entsprechend des Schweregrades sind besonders im kaudodorsalem Thoraxbereich die Gefäßzeichnungen der Lunge nicht bis an das Zwerchfell und die Brustwand verfolgbar. Des Weiteren erscheint das Herz im latero-lateralen Strahlengang zentralisiert und die Lungenlappen, infolge einer Atelektase, mehr oder weniger verdichtet. CT-Untersuchungen können in nachfolgend hilfreich sein für die Ursachensuche. 190 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Abb. 1: Dorsoventrale Röntgenaufnahme eines Hundes mit mittelgradigem Pneumothorax. Lungenzeichnungen sind geringgradig verdichtet und die Gefäßzeichnung der Lunge ist nicht bis an das Zwerchfell, oder die Brustwand verfolgbar. Therapie Ein offener traumatischer Pneumothorax, sollte so schnell wie möglich chirurgisch angegangen werden. Während der OP können mögliche Lungentraumata erkannt und direkt versorgt werden. Bei einem geschlossenen Pneumothorax ist die erste lebensrettende Maßnahme eine Thorakozenthese. Dazu wird der dorsale Bereich des 7.-9. Intercostalraums geschoren und desinfiziert. Als nächstes wird eine Injektions- oder Flügelkanüle verwendet, welche mit einem Drei-Wege-Hahn verbunden ist und in den vorbereiteten Intercostalraum eingestochen wird. Die Luft kann nun evakuiert werden. Dies ist in den meisten Fällen auf beiden Seiten nötig. Wenn es die Kooperation des Patienten erlaubt, ist keine Narkose oder Sedation notwendig. Im Anschluss sollte der Patient engmaschig überwacht werden und falls nötig weitere Thorakozenthesen erhalten. Sind wiederholte Thorakozenthesen nötig, empfiehlt es sich Thoraxdrainagen zu legen. Hierzu sollte der Patient in Narkose gelegt werden und der dorsale Brustkorb im Bereich des 7.-9. intercostalraum großflächig ausgeschoren und desinfiziert werden. Die Thoraxdrainage wird wie bei der Thorakozenthese durch den 7.-9. Intercostalraum eingebracht, sollte aber 3-4 Intercostalräume davor durch einen Hautschnitt in die Unterhaut gebracht werden, um so eine direkte Kommunikation der Pleurahöhle mit der Außenluft zu vermeiden. Nach erfolgreichem legen der Thoraxdrainagen kann die Luft manuell, via Ventil oder durch ein aktives Vacuumsystem evakuiert werden. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 191

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Wenn der Patient stabil ist, sollte die Grunderkrankung, welche für den Pneumothorax verantwortlich ist, diagnostiziert und behandelt werden. Sollte eine chirurgische Intervention nötig sein und eine Lungenlappen (Teil-)Resektion indiziert sein, ist dies mit einem Stapler relativ einfach und schnell durchzuführen. Abb. 2: Ventrodorsale Röntgenaufnahme eines Hundes mit geringgradigem Pneumothorax und einer einseitigen Thoraxdrainage. Prognose Je nach Ursache und rechtzeitiger Thorakozenthese ist die Prognose als gut zu bewerten. Literatur 1. 2. 3. 4. Gilday C, Odunayo A, Hespel A-M. Spontaneous Pneumothorax: Pathophysiology, Clinical Presentation and Diagnosis. Top Companion Anim Med 2021; 45:100563. doi: 10.1016/j.tcam.2021.100563. Kohn B, Schwarz G. Praktikum der Hundeklinik. Stuttgart: Enke Verlag; 2018. Lutz H, Kohn B, Forterre F. Krankheiten der Katze. Stuttgart: Georg Thieme Verlag; 2019. Sigrist N. Notfallmedizin für Hund und Katze. Stuttgart: Georg Thieme Verlag KG; 2022. Kontakt Leif-Erik Thul; Klinik für Kleintiere der Universität Leipzig leif-erik.thul@kleintierklinik.uni-leipzig.de 192 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Wenn der Fuge im Wachstum die Luft ausgeht Anna Schmidt Klinik für Kleintiere, Universität Leipzig Ursachen und Therapie Wenn der Epiphysenfuge im Wachstum die Luft ausgeht, führt dies in der Regel zu einem verminderten Längenwachstum des Knochens. Zu besonders gravierende Auswirkungen kann dies führen, wenn der Gliedmaßenabschnitt durch zwei Knochen gebildet wird, so zum Beispiel das Antebrachium. Hier ist als zusätzliche Besonderheit die Verteilung der Wachstumsfugen zu nennen. Während das Längenwachstum des Radius durch zwei epiphysäre Fugen (proximal ca. 40 %, distal ca. 60 %) generiert wird, zeichnet sich die Ulna dadurch aus, dass sie lediglich im distalen Anteil eine zapfenförmige epiphysäre Wachstumsfuge aufweist. Bei der proximalen Fuge der Ulna handelt es sich um eine apophysäre Fuge, die nur einen sehr geringen Anteil zum Längenwachstum beiträgt (ca. 15 %) und deren Aufgabe hauptsächlich in der Ausbildung des Olecranons besteht. (Lars Theyse) Auslöser einer verminderten Leistungsfähigkeit der Wachstumsfuge bei nicht chondrodystrophen Rassen sind häufig Traumata, die zu Frakturen oder Stauchungen nach Salter-Harris führen. Während bei Stauchungen der Fuge leider keine Akuttherapie möglich ist, sollten Frakturen adäquat gerichtet und stabilisiert werden, da daraus sonst ein ungleichmäßiges Wachstum der beiden Röhrenknochen resultieren wird. Ergebnis ist eine Varus- oder Valgusstellung des Karpus sowie meist eine Fehlstellung und Torsion der Pfote. Des Weiteren liegt häufig eine Inkongruenz im Ellbogengelenk vor. (MacDonald und Matthiesen 1991) Durch daraus resultierenden Fehlbelastungen kann es zu frühzeitigen Arthroseerscheinungen und Sekundärerkrankungen des Ellbogen- und Karpalgelenkes kommen. (Theyse et al. 2005) Heute sind Patienten mit traumatisch bedingten Fehlstellungen häufig ehemalige Straßenhunde, deren Fugenfrakturen im Wachstum nicht vorsorgt wurden. Hier besteht die Möglichkeit durch Korrekturosteotomien und Distraktionsosteogenesen eine Verbesserung der entstandenen Fehlstellungen und Längendefizite zu erzielen. Vorteilhaft ist das Knochengewebe ein sehr hohes Regenerationsvermögen aufweist. (Lars Theyse) Vorbericht und Diagnostik Bei dem Fall „Jaimi“ handelt es sich bei initialer Vorstellung um einen circa fünf Monate alten, unkastrierten Mischlingsrüden, der einige Wochen vor Vorstellung aus Osteuropa nach Deutschland importiert wurde. Der Patient zeigt eine Lahmheit Grad zwei aus vier der linken Vordergliedmaße sowie eine geringgradig ausgeprägte Außenrotation der Pfote. Bereits adspektorisch kann ein Längendifferenz der beiden Vordergliedmaßen festgestellt werden. Aufgrund der Fehlstellung der Gliedmaße werden vergleichende Summationsradiographien sowie eine Computertomographie beider Vordergliedmaßen angefertigt. Diese weisen deutliche Veränderungen der Knochenausbildung des linken Antebrachiums nach. Die Ulna zeigt sich nach palmar konvex im Verlauf. Der Radius ist deutlich verkürzt. Radiologisch ist eine Fraktur der distalen Radiusfuge als Ursache des Short-Radius-Syndroms zu vermuten. Die distale Epiphyse erscheint nach caudolateral verlagert. Zudem besteht der Verdacht auf eine Torsion des distalen Fragments. Die distale Epiphysenfuge ist vollständig geschlossen. Durch die knöchernen Deformationen von Radius und Ulna kommt es sekundär zu Veränderungen der angrenzenden Gelenke. Im Ellbogengelenk zeigt sich eine hochgradige Inkongruenz mit einer positiven radioulnären Stufe von gut vier Millimeter. Der Spalt des antebrachiocarpalen Gelenks erscheint aufgeklappt durch das Abkippen der distalen Radiusepiphyse nach kaudal. Vergleichende Messungen ergeben ein Längendefizit des Radius von circa 52 Millimeter und circa 20 Millimeter der Ulna im Vergleich zur kontralateralen Seite. Operatives Vorgehen Zur operativen Korrektur der Folgen des Short-Radius-Syndroms wird zunächst eine partielle Ostektomie (circa zwei Zentimeter) der distalen Ulna durchgeführt. Das Periost bleibt bestehen. Anschließend erfolgt eine Keilosteotomie des Radius zur Korrektur der Fehlstellung der distalen Gelenkfläche. Im Anschluss wird ein 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 193

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Circular External Sceleton Fixator (CESF) angebracht. Dafür werden in diesem Fall je zwei sich kreuzende Kirschnerdrähte in vier Ebenen eingebracht. Anschließend werden Aluminiumringe mittels Schrauben daran fixiert; ein Vollring im Bereich der distalen Epiphyse des Radius, zwei Vollringe im Bereich der Radiusdiaphyse und ein 5/8-Ring im Bereich der proximalen Ulna. Die einzelnen Ringsegmente werden mit Hilfe von drei Gewindestangen miteinander verbunden. Wichtig ist hierbei, dass ober- und unterhalb eines jeden Rings eine Schraubenmutter zur Positionierung und Fixation angebracht wird. Außerdem müssen alle Gewindestangen distal einen adäquaten Überstand – mindestens von der Länge der gewünschten Distraktion – aufweisen. Sinnvoll ist zudem eine Seite der distalen Schraubenmuttern dauerhaft zu markieren (z.B. Nagellack). Zur Kontrolle der erfolgten Distraktion sollte der initiale Anstand zwischen den beiden distalen Ringen dokumentiert und bei den Kontrollterminen notiert werden. Abb.1: Circular External Skeleton Fixator post operationem Therapieverlauf Vier Tage nach dem Anbringen des CESF wird der proximale Ring über drei Tage um drei Millimeter nach distal verbracht. Dies dient der Korrektur der radioulnären Stufe und zur Verbesserung der Kongruenz des Ellbogengelenks. Die Verlagerung des Rings geschieht durch Schrauben der Muttern. Jede 360°-Drehung der Mutter entspricht in diesem Fall einem Millimeter Bewegung des Rings. Der Ring auf Höhe der distalen Radiusepiphyse wird um einen halben Millimeter (eine halbe Umdrehung der Muttern) nach distal verlagert. Im Folgenden wird zwei Mal täglich eine Distraktion um einen halben Millimeter durch die Besitzerin durchgeführt. Die limitierenden Faktoren der Distraktionsstrecke sind am Ende Muskeln und Sehnen, die lediglich ein beschränktes Dehnungspotenzial aufweisen. Zur Prävention einer dauerhaften Kapelgelenksbeugehaltung führt die Besitzerin von Beginn der Distraktion an mehrfach täglich Streckübungen des Karpus durch. Die Distraktion erfolgt über insgesamt vier Wochen. Unterdessen wird der Patient in wöchentlichem Rhythmus zur Kontrolle und zum Verbandswechsel vorgestellt. Es gibt in dieser Zeit keine Komplikationen. Die 194 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ durchgeführten Röntgenkontrollen zeigen eine progressive Distraktion und den Beginn einer knöchernen Überbrückung der Osteotomiezonen. Es kann eine Distraktion von dreißig Millimeter erreicht werden. Währenddessen zeigt sich eine progressive Streckhemmung mit weiterhin vorhandenen palmarer Fußung. Physiotherapeutische Übungen zur Minderung der Symptomatik werden mehrfach täglich auch nach Abschluss der Distraktion durch die Besitzerin durchgeführt. Nach vier Wochen werden die Kirschnerdrähte aus der proximalen Ulna entfernt. Die übrigen Anteile des CESF verbleibt für weitere drei Wochen in Neutralposition am Patienten zur Stabilisierung. Sieben Wochen nach Anbringen des CESF werden das Gestell und die Kirschnerdrähte entfernt. Der Patient wird kontrolliert belastet und mit physiotherapeutischen Übungen unterstützt. Abb. 2: Röntgenologische Kontrolle drei Wochen post operationem Outcome Gut zwei Monate nach initialer Vorstellung findet eine Abschlusskontrolle statt. Klinisch ist eine deutlich geringere Lahmheit festzustellen. Die Beugung des Karpus ist beschränkt auf 20°. Alle radiologischen Befunde stellen sich deutlich regressiv dar. Die radioulnäre Stufe im Bereich des Ellbogengelenks ist nicht mehr nachvollziehbar. Die Inkongruenzen im Bereich des Ellbogen- und Antebrachiokarpalgelenkes sind deutlich 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 195

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ regressiv. Ausgemessen ist das Längendefizit des Radius um 32 Millimeter auf 20 Millimeter reduziert worden, die Ulna zeigt lediglich noch ein Defizit von fünf Millimeter im Vergleich zur kontralateralen Seite. Der Outcome dieses Falls ist sehr zufriedenstellend. Literatur 1. 2. 3. Lars Theyse: Eine richtig üble Pfote – da hilft Distraktionsosteogenese. In: Leipziger Blaue Hefte, Leipziger Tierärztekongress 2022 - Band 1, S. 270–271. Online verfügbar unter https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bsz:15- qucosa2-760159, zuletzt geprüft am 28.09.2023. MacDonald, J. M.; Matthiesen, D. (1991): Treatment of forelimb growth plate deformity in 11 dogs by radial dome osteotomy and external coaptation. In: Veterinary surgery : VS 20 (6), S. 402–408. DOI: 10.1111/j.1532- 950x.1991.tb00347.x. Theyse, Lars F. H.; Voorhout, George; Hazewinkel, Herman A. W. (2005): Prognostic factors in treating antebrachial growth deformities with a lengthening procedure using a circular external skeletal fixation system in dogs. In: Veterinary surgery : VS 34 (5), S. 424–435. DOI: 10.1111/j.1532-950X.2005.00064.x. Kontakt Anna Schmidt; Klinik für Kleintiere, Universität Leipzig anna.schmidt@kleintierklinik.uni-leipzig.de 196 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Mit einem zertrümmerten Becken durch die Nacht Lars Theyse Abteilung Chirurgie, Kleintierklinik Leipzig, Veterinärmedizinische Fakultät, Universität Leipzig Trauma ist ein sehr häufiges Problem bei Katzen. In den meisten Fällen handelt es sich dabei um Bissverletzungen, Fenstersprünge und Verkehrsunfälle. Die Bissverletzungen beschränken sich meistens auf die Weichteile, können aber bei Perforation der Bauchdecke oder Thoraxwand direkt lebensbedrohlich sein. Eine chirurgische Exploration und Versorgung ist hier zielführend (1). Fenstersprünge sind ein typisches Problem bei Wohnungskatzen. Kraniomaxillofaziales Trauma ist meistens das Ergebnis, eventuell in Kombination mit Frakturen der Röhrenknochen (2). Autounfälle sind typisch für Freigänger mit hochgradigem multiplem Trauma als Folge. Häufig gehören Pneumothorax, stumpfe abdominale Verletzungen, Frakturen des abaxialen Skeletts und sehr oft Beckenfrakturen zu den Auswirkungen des Traumas. Anpassungen an den Lebensraum der Katze sind daher sehr wichtig um das Risiko eines Traumas zu reduzieren und das Tierwohl zu optimieren (3). Die Frakturen des Beckens stehen im Fokus des Vortrtages. Wichtig ist festzustellen, dass das Becken zusammen mit dem Kreuzbein oder Sakrum eine Ringstruktur bildet. Der Beckenboden wird gebildet vom Os pubis und Os ischium. Das Os ilium fungiert als Seite des Beckens und artikuliert über das sakroiliakale Gelenk mit dem Sakrum. Damit ist der Beckenring vollendet. Zusammen mit dem Os acetabulum formen Os ilium, Os pubis und Os ischium das Acetabulum und damit einen Teil des Hüftgelenks. Das Becken hat zwei wichtige Funktionen. Zuerst schützt das Becken die intrapelvikalen urogenitalen und intestinalen Strukturen. Zweitens ist das Becken für die Fortbewegung unerlässlich. Das Becken fungiert als Ursprung oder Insertion der wichtigsten Muskelgruppen der lumbalen Wirbelsäule und des Hinterbeins. Das Becken ist zuständig für die Kraftübertragung des Oberschenkels über das Hüftgelenk, über das Os Ilium, über das sakroiliakale Gelenk und über das Sakrum zur Wirbelsäule. Weil das Becken eine Ringstruktur hat, verursacht die Fraktur einer der Elemente immer zusätzliche Frakturen oft kombiniert mit Fraktur-Luxationen des sakroiliakalen Gelenks. Die typische Konfiguration von Beckenfrakturen bei der Katze bedeutet eine Kombination von Frakturen des Beckenbodens, eine einseitige Fraktur des Iliums und eine kontralaterale Fraktur-Luxation des sakroiliakalen Gelenks. In Analogie zu den Beckenfrakturen beim Menschen, ist mit einem hochgradigen Trauma der Weichteile und traumabedingten Blutverlusten zu rechnen. In der Regel verursachen Beckenfrakturen einen Verlust des zirkulierenden Blutvolumens von über 30 %. Deshalb ist es sehr wichtig, Katzen zuerst zu stabilisieren und chronische subklinische Erkrankungen auszuschließen (4). Dekompensation vom Kreislauf ober Nierenversagen sind öfter Nebenbefunde nach Beckentrauma. Auf dieser Grundlage werden Beckenfrakturen meistens erst nach einigen Tagen versorgt. Ziel der chirurgischen Versorgung ist eine Wiederherstellung der Stabilität des Beckens, Rekonstruktion des Beckenkanals und funktionelle Wiederherstellung der Fortbewegung. Wichtigster Grund der chirurgischen Intervention ist die Korrektur der funktionellen Achse des Beckens. Das bedeutet, dass Frakturen des Hüftgelenks, Frakturen der Flügel des Iliums und Fraktur-Luxationen des sakroiliakalen Gelenks chirurgische behandelt werden müssen. Damit können isolierte Frakturen des Beckenbodens und Frakturen des Ischiums caudal des Acetabulums meistens konservativ versorgt werden. Frakturen des Iliums mit intakten sakroiliakalen Gelenke werden meistens mit einer lateralen Plattenosteosynthese versorgt. Die Frakturen des Ilium sind in der Regel schräg und zwischen Acetabulum und sakroliakalem Gelenk positioniert. Der Zugang erfolgt über eine Roll-Up der Gluteus-Muskulatur. Wichtig ist, dass dorsal im Ilium die größte Knochenmasse zu finden ist. Meistens wird die Platte lateral positioniert aber in Ausnahmefällen ist eine dorsale Positionierung auch möglich (5). In der Regel wird eine einzelne Platte mit idealerweise 3 Schrauben cranial und 3 Schrauben caudal der Fraktur genutzt. Wegen der Anatomie des Beckens und des Verlaufs der Fraktur ist in viele Fälle ein Kompromiss notwendig. Wenn auf einer Seite der Fraktur nur eine Schraube möglich ist, kann eine zweite Platte zusätzliche Stabilität erzeugen (6). Wichtig ist, 198 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ nicht die craniozentrale Zone des Iliums zu benutzen, weil die Knochenmasse dort minimal ist. Theoretisch schaffen winkelstabile Systeme mit niedriger Schraubenbesetzung mehr Stabilität. Abb 1: Ventrodorsales Röntgenbild des Beckens nach Versorgung einer sakroiliakalen Fraktur-Luxation und kontralateraler Iliumfraktur. Intraartikuläre Frakturen des Acetabulums erfordern eine anatomische Rekonstruktion, um die Funktion des Hüftgelenks zu gewährleisten und die Entwicklung einer Osteoarthrose der Hüfte weitgehend zu verhindern. Der Zugang zum Acetabulum bedeutet die Anwendung einer Osteotomie des Trochanter major oder Tenotomie zur Mobilisierung der Gluteus-Muskulatur. Zusätzlich ist eine Tenotomie der Gemelli-, Piriformes- und Obturatorius-Sehnen notwendig. Winkelstabile Plattensystemen positioniert direkt dorsal des Acetabulums, sind ideal zur Stabilisierung dieser intraartikulären Frakturen (7). Falls Rekonstruktion und Stabilisierung nicht möglich sind, kann eine Resektion des Femurkopfes und -hales eine Notlösung sein. Bei Fraktur-Luxationen des sakroiliakalen Gelenks in Kombination mit kontralateralen Frakturen des Iliums oder Acetabulums wird mit der Versorgung der Fraktur-Luxation begonnen. Reposition des sakroiliakalen Gelenks ist am besten zu erreichen, solange das Becken noch instabil ist. Stabilisierung des Gelenks erfolgt idealerweise mit einer Zugschraube. Weil die Dimensionen des Sakrumwirbelkörpers ungefähr 6 mm x 6 mm bettragen, wird dazu meistens eine 2.0 oder 2.4 mm kortikale Schraube benutzt. Um 60 % der Breite des Wirbelkörpers auszunutzen, bedeutet dies in der Regel eine Länge von 24 mm. Der chirurgische Zugang ist von dorsal auf Höhe des Sakrums. Das Ilium ist immer nach craniodorsal verlagert. Zuerst wird das Sakrum nach dorsal verlagert um die C-förmige Knorpelschicht, die meistens am Sakrum verbleibt, zu identifizieren. Das Bohrloch für die Zugschraube sollte direkt cranial und zentral des Knorpels positioniert werden. Zu vermeiden ist, dass der Wirbelkanal oder die lumbosakrale Bandscheibe dabei penetriert werden (8). Durchleuchtung während der Positionierung kann dabei unterstützen. Das Gleitloch der Zugschraube im Ilium wird wieder auf Basis von der Position des Zentrums des sakroiliakalen Gelenks gebohrt. Mit der Zugschraube positioniert im Gleitloch werden die beide Bohrkanäle ausgerichtet und damit das Gelenk reponiert. Anziehen der Zugschraube resultiert in der endgültigen Reposition und Stabilisierung des Gelenks. Zusätzliche Frakturen des Sakrums können ein komplizierender Faktor sein. Eine geschlossene Reposition und 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 199

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Stabilisierung mit einer kanülierten Schraube unter Anwendung von Durchleuchtung ist eine zusätzliche Technik. Bei beidseitigen sakroiliakalen Fraktur-Luxationen ist die Herangehensweise großenteils identisch. Die Prognose der chirurgischen Versorgung von Beckenfrakturen bei der Katze ist in der Regel sehr gut (9). Wenn die ideal geeignete chirurgische Versorgung von Beckenfrakturen aus Kostengrunden nicht möglich ist, kann konservatives Management bei der Katze trotzdem zu relativ günstigen Ergebnissen führen (10). Zusammenfassend führt die chirurgische Versorgung von Beckenfrakturen bei der Katze zu einer schnelleren Erholung mit Wiederherstellung der Funktionalität und einer günstigen Prognose. Literatur 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. Cabon Q, Deroy C, Ferrand FX, Pillard P, Cachon T, Fau D, et al. Thoracic bite trauma in dogs and cats: a retrospective study of 65 cases. Vet Comp Orthop Traumatol. 2015;28(6):448-54. Tundo I, Southerden P, Perry A, Haydock RM. Location and distribution of craniomaxillofacial fractures in 45 cats presented for the treatment of head trauma. J Feline Med Surg. 2019;21(4):322-8. de Assis LS, Mills DS. Introducing a Controlled Outdoor Environment Impacts Positively in Cat Welfare and Owner Concerns: The Use of a New Feline Welfare Assessment Tool. Front Vet Sci. 2020;7:599284. Hammer M, Gutbrod A, Sigrist NE, Jacot V, Del Chicca F, Evans R, et al. Predictors of comorbidities and mortality in cats with pelvic fractures. Vet Surg. 2020;49(2):281-90. Langley-Hobbs SJ, Meeson RL, Hamilton MH, Radke H, Lee K. Feline ilial fractures: a prospective study of dorsal plating and comparison with lateral plating. Vet Surg. 2009;38(3):334-42. Wiersema T, Koolen T, Theyse LFH, Maarschalkweerd RJ, van Zuilen CD, van Rijn SJ. Comparison of Single versus Double Lateral Plating in Treatment of Feline Ilial Fractures Using Veterinary Cuttable Plates. Vet Comp Orthop Traumatol. 2021;34(5):321-6. Haine DL, Parsons K, Barthelemy N, Burton N, Langley-Hobbs SL. Outcome of surgical stabilisation of acetabular fractures in 16 cats. J Feline Med Surg. 2019;21(6):520-8. Han CK, Kang J, Lee H, Kim N, Heo S. Evaluation of a screw insertion landmark for a minimally invasive repair technique in induced bilateral sacroiliac luxation in feline cadavers. J Feline Med Surg. 2022;24(2):152-9. Meeson RL, Geddes AT. Management and long-term outcome of pelvic fractures: a retrospective study of 43 cats. J Feline Med Surg. 2017;19(1):36-41. Bouabdallah R, Meghiref FZ, Azzag N, Benmohand C, Zenad W, Rebouh M. Conservative management of pelvic fractures in dogs and cats in Algiers: Incidence and long-term clinical outcomes. Vet World. 2020;13(11):2416-21. Kontakt Prof. Dr. Lars Theyse; Chirurgie der Kleintiere, Klinik für Kleintiere, Veterinärmedizinische Fakultät, Universität Leipzig lars.theyse@kleintierklinik.uni-leipzig.de 200 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Operative Ankylose des Radioulnärgelenks zur Behandlung persistierender Lahmheit bei Hunden nach arthroskopischer partieller Coronoidektomie bei medialer Coronoiderkrankung Thomas Niedenführ Klinik für Kleintiere, Universität Leipzig Einleitung Ellenbogendysplasie ist eine der häufigsten Erkrankung bei großwüchsigen Hunden und Riesenassen. Die wohl bekannteste und am häufigsten auftretende Erkrankung des Ellbogengelenks ist die mediale Coronoid- Erkrankung oder auf Englisch medial coronoid disease (MCD)(1, 2). Als Ätiopathogenese werden eine gestörte endochondrale Ossifikation, eine Beeinträchtigung der Gefäße, die zu einer fokalen Osteonekorse führt, sowie statische und dynamische Inkongruenz vermutet (3, 4). Fissurenbildung bis hin zur Fragmentierung des Processus coronoideus medialis (MCP) mit verschiedensten Möglichkeiten der Lage der osteochondralen Läsionen an der Ulna, sind das das Endergebnis (2). Zur Versorgung einer MCD werden mehrere Behandlungsmöglichkeiten in der Literatur beschrieben, darunter ein osteochondrales Debridement (5), die Proximale Ulna-Osteotomie (6, 7), ein Release des Musculus biceps brachialis (2) und eine medikamentöse Behandlung (8, 9). Der derzeitige Goldstandard für die Behandlung dieser Ellbogenpathologie ist die arthroskopische partielle Coronoidektomie (9, 10). Traditionell wird ein Debridement des defekten Knorpels und Knochen durchgeführt. Die Arthroskopie ermöglicht die direkte Beurteilung primärer Knorpelläsionen aufgrund einer Ellbogendysplasie sowie die Einschätzung und Graduierung der Gelenkoberfläche und Knorpelschäden (10-12). Die mediale Coronoid-Erkrankung ist jedoch durch eine fortschreitende Arthrose gekennzeichnet, die zu einer wiederkehrenden oder anhaltenden Lahmheit des Ellenbogengelenks führt (13). Sollte eine rezidivierende und persistierende Lahmheit nach einer arthroskopischen partiellen Coronoidektomie vorhanden sein, bleiben nur wenige Behandlungsmöglichkeiten übrig. Das „Canine Unicompartmental Elbow“ -System ist ein unikompartimentelles Gelenkersatzsystem, bei dem press-fit Humerus- und Ulnarimplantate verwendet werden, um die geschädigten Gelenkoberflächen des medialen Gelenkkompartiments teilweise wiederherzustellen und zu ersetzen. Ziel ist es, den Knochen-Knochen-Kontakt während der gesamten Standphase und etwas darüber hinaus zu eliminieren. Eine weitere Möglichkeit um Schmerzen zu lindern und klinische Beschwerden und Lahmheiten zu verbessern, bietet eine sliding humeral osteotomy (14). Soweit den Autoren bekannt ist, existiert aktuell keine weniger invasive Alternative zur Behandlung von persistierenden oder rezidivierenden Lahmheiten nach einer arthroskopischen partiellen Coronoidektomie. Diese Fallstudie wurde aufgrund der Hypothese durchgeführt, dass die Elimination der Pronation und Supination im Radioulnärgelenk Schmerzen und Lahmheit im Ellenbogengelenk reduzieren würde, da die meisten Entzündungen dort lokalisiert sind. Diese Fallserie beschreibt die Technik und das Ergebnis der radioulnären Ankylose als Behandlung bei Hunden mit persistierender und rezidivierender Lahmheit des Ellenbogengelenks nach arthroskopischer partieller Coronoidektomie und Knorpeldebridement. Material und Methoden In diese Fallserie wurden drei Hunde mit mittelschwerer bis schwerer Lahmheit des Ellenbogengelenks nach arthroskopischer Behandlung einer medialen Coronoid-Erkrankung und fehlgeschlagener medikamentösen Behandlung aufgenommen. Eine Anamnese, sowie orthopädische Untersuchung wurden durchgeführt, um den Grad der Lahmheit und das Ausmaß der Schmerzen im Ellenbogengelenk zu beurteilen. Zusätzlich wurden beide Ellenbogengelenke vor der Operation mittels Computertomographie untersucht. Mit einer Second-Look- Arthroskopie wurden das mediale Kompartiment und die Knorpeloberfläche mit einem 1,9-mm-Arthroskop mit 30°-Winkel (Storz) untersucht und beurteilt. Für die Arthroskopie wurden mediale Standardzugänge verwendet (12, 15). Während der Arthroskopie wurden sowohl der Gelenkknorpel als auch das Radioulnärgelenk untersucht und beurteilt. Falls noch vorhanden, wurden dysplastischer Knochen und Knorpel durch Kürettage entfernt und aufgefrischt. Anschließend wurden über einen caudomedialen Zugang an der proximalen Ulna, 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 201

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ unmittelbar distal des Radioulnärgelenks, 2 appositionelle bikortikale Schrauben von der kaudalen Oberfläche der Ulna zur kranialen Oberfläche des Radius eingebracht. Auf diese Weise wurde jegliche Beweglichkeit in Supination und Pronation blockiert. Nach der Operation wurde die Positionierung der Implantate mittels mediolateraler und craniocaudaler Röntgenaufnahmen überprüft. Alle Hunde wurden für 24 Stunden stationär aufgenommen und erhielten währenddessen Opioide, nichtsteroidale Antiphlogistika und Antibiotika. Zusätzlich erhielt jeder Hund für mindestens 2 Tage einen modifizierten Robert-Jones-Verband, um das operierte Bein zu unterstützen. Jeder Patient konnte am nächsten Tag entlassen werden. Ergebnisse Bei allen Hunden verbesserte sich der Grad der Lahmheit innerhalb der ersten beiden Wochen postoperativ, und innerhalb von sechs Wochen zeigten alle Patienten eine Verbesserung der Lahmheit um 2 Grade. Bei der sechs Wochen postoperativen Kontrolluntersuchung, ergaben die orthopädische und radiologische Untersuchung keine Komplikationen. Für die Röntgenbeurteilung wurde eine mediolaterale und craniocaudale Aufnahme angefertigt, um die Implantate zu beurteilen. Schlussfolgerung Diese neue chirurgische Technik der radioulnären Ankylose zeigte bei den beschriebenen Patienten eine Verringerung der Lahmheit des Ellenbogengelenks. Die Beseitigung der Pronation und Supination im Ellenbogengelenk war bei diesen ausgewählten Patienten effektiv zu einer Verringerung der Gelenkschmerzen und einer Verbesserung der Funktion. Literatur 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. Michelsen J. Canine elbow dysplasia: aetiopathogenesis and current treatment recommendations. Veterinary journal (London, England : 1997). 2013;196(1):12-9. Fitzpatrick N, Yeadon R. Working algorithm for treatment decision making for developmental disease of the medial compartment of the elbow in dogs. Veterinary Surgery. 2009;38(2):285. Lau SF, Theyse LF, Voorhout G, Hazewinkel HA. Radiographic, computed tomographic, and arthroscopic findings in Labrador retrievers with medial coronoid disease. Veterinary Surgery. 2015;44(4):511-20. Mariee IC, Gröne A, Theyse LFH. The role of osteonecrosis in canine coronoid dysplasia: Arthroscopic and histopathological findings. The Veterinary Journal. 2014;200(3):382-6. Palmer R, editor MCPD/OCD. 25 th annual meeting of the INTERNATIONAL ELBOW WORKING GROUP. Preston CA, Schulz KS, Taylor KT, Kass PH, Hagan CE, Stover SM. In vitro experimental study of the effect of radial shortening and ulnar ostectomy on contact patterns in the elbow joint of dogs. American journal of veterinary research. 2001;62(10):1548-56. Turner BM, Abercromby RH, Innes J, McKee WM, Ness MG. Dynamic Proximal Ulnar Osteotomy for the Treatment of Ununited Anconeal Process in 17 Dogs. Veterinary and comparative orthopaedics and traumatology : VCOT. 1998;11(02):76-9. Burton NJ, Owen MR, Kirk LS, Toscano MJ, Colborne GR. Conservative Versus Arthroscopic Management for Medial Coronoid Process Disease in Dogs: A Prospective Gait Evaluation. Veterinary Surgery. 2011;40(8):972-80. Evans R, Gordon-Evans W, Conzemius M. Comparison of three methods for the management of fragmented medial coronoid process in the dog. Veterinary and Comparative Orthopaedics and Traumatology. 2008;21(02):106-9. Meyer-Lindenberg A, Langhann A, Fehr M, Nolte I. Arthrotomy versus arthroscopy in the treatment of the fragmented medial coronoid process of the ulna (FCP) in 421 dogs. Veterinary and comparative orthopaedics and traumatology : VCOT. 2003;16(04):204-10. Van Ryssen B, van Bree H. Arthroscopic findings in 100 dogs with elbow lameness. The Veterinary record. 1997;140(14):360-2. Van Ryssen B, van Bree H, Simoens P. Elbow arthroscopy in clinically normal dogs. American journal of veterinary research. 1993;54(1):191-8. Theyse LFH, Hazewinkel HAW, van den Brom WE. Force plate analyses before and after surgical treatment of unilateral fragmented coronoid process. Veterinary and comparative orthopaedics and traumatology : VCOT. 2000;13(03):135-40. Fitzpatrick N, Yeadon R, Smith T, Schulz K. Techniques of application and initial clinical experience with sliding humeral osteotomy for treatment of medial compartment disease of the canine elbow. Veterinary Surgery. 2009;38(2):261-78. Sams AE. Canine Elbow Joint Arthroscopy: Introduction and Description of Technique. Compendium on Continuing Education for the Practicing Veterinarian. 2000;22:135-44. 202 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Keine Luft für meinen Lungenlappen Pia Rebentrost Klinik für Kleintiere, Universität Leipzig Einleitung Die Lungenlappentorsion ist eine bei Hund und Katze selten auftretende Erkrankung. Sie bezeichnet die Verdrehung eines Lungenlappens im Hilusbereich um seine Längsachse. Es handelt sich um eine lebensbedrohliche Erkrankung, die nach Diagnosestellung eine zeitnahe chirurgische Intervention erfordert. Ätiologie Die Ätiologie der spontanen Lungenlappentorsion ist nicht vollständig geklärt. Ein partieller Kollaps des betroffenen Lungenanteils führt zum Verlust des Kontaktes zur Brustwand, den angrenzenden Lungenlappen und dem Mediastinum [1]. Aufgrund der dadurch gegebenen Hypermobilität kommt es zur Verlagerung und Verdrehung des entsprechenden Lungenlappens [2]. Einige Primärerkrankungen der Lunge bzw. des Thorax können diese Pathologie begünstigen. Hierzu zählen chronische Lungenerkrankungen, Pleuraergüsse im Allgemeinen (v. a. Chylo - und Pyothorax), thorakale Traumata sowie der hiermit häufig assoziierte Pneumothorax [3-5]. Auch nach vorangegangenen thorakalen Eingriffen, kann es aufgrund ausbleibender Reposition der Lungenlappen oder bleibenden Atelektasen zur Torsion kommen [3]. Neoplasien wirken sich ebenfalls begünstigend aus [3]. Pathogenese Die Torsion führt zu einer Obstruktion des Bronchus sowie einer venösen und lymphatischen Abflussstörung bei zumindest partiell erhaltenem arteriellem Blutfluss [5]. Daraus resultieren Einblutung, Ödembildung und Nekrose des betroffenen Lungenlappens [2]. Es kommt zur vollständigen Konsolidierung und stauungsbedingt zum Pleuraerguss. Aufgrund der Verfärbung und Verfestigung des Gewebes (Hepatisation) ähnelt es schlussendlich makroskopisch dem Lebergewebe [6]. Signalement Lungenlappentorsionen wurden bei Hunden und Katzen beschrieben, wobei Katzen deutlich seltener betroffen sind [4, 7-9]. Es handelt sich zumeist um Tiere jungen-adulten bis mittleren Alters [8, 10]. Prädisponiert sind große, tief- und schmalbrüstige Hunde [11], aber auch kleinere Hunde, wie z.B. Yorkshire Terrier [12] können eine Lungenlappentorsion entwickeln. Eine besonders ausgeprägte Rasseprädisposition für die spontane Drehung des linken Kraniallappens wurde bei Hunden der Rasse Mops beschrieben, wobei Rüden häufiger betroffen sind als Hündinnen [10]. Obwohl prinzipiell jeder Lungenlappen eine Torsion erfahren kann, sind der rechte mittlere und der linke kraniale Lungenlappen am häufigsten betroffen [13]. Kombinationen sind ebenfalls möglich [14, 15]. Klinik Die Patienten werden entweder im akuten oder bereits im chronischen Stadium der Erkrankung vorgestellt. Anamnestisch kann ein vorangegangener Thoraxchirurgischer Eingriff, eine bekannte Pneumonie oder ein Traumavorbericht bereits Hinweise auf eine mögliche Lungenlappentorsion liefern [3]. In der klinischen Untersuchung präsentieren sich die Patienten zuweilen apathisch und inappetent [8]. Sie zeigen Tachypnoe mit oder ohne Dyspnoe sowie Husten und ggf. blutigen Auswurf [9, 11]. Bei der kardiopulmonalen Auskultation sind gedämpfte Herz- und Lungengeräusche [11] oder ein rasselndes bzw. giemendes Atemgeräusch in der betroffenen Region hörbar [3, 10]. In chronischen Fällen sind intermittierender Vomitus und Gewichtsabnahme möglich. Fieber, blasse Schleimhäute sowie eine abdominale Dolenz treten ebenfalls vereinzelt auf [10]. 204 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Diagnostik Labordiagnostisch zeigen sich unspezifische Abweichungen, wie eine Neutrophilie mit oder ohne Linksverschiebung [11]. Eine Anämie ist bei chronischer Erkrankung möglich. Die alkalische Phosphatase (AP), die Creatinkinase (CK) sowie das Serumbilirubin können erhöht [11], das Totalprotein und das Albumin erniedrigt sein [3]. Zur initialen bildgebenden Diagnostik eignet sich die Projektionsradiografie. Röntgenaufnahmen des Thorax in zwei Ebenen zeigen einen mehr oder weniger ausgeprägten Pleuraerguss sowie eine Verschattung des betroffenen Lungenlappens [13]. Dieser stellt sich im akuten Stadium kleiner oder normalgroß und im späteren Verlauf stauungsbedingt vergrößert dar. Aufgrund der Größenzunahme des betroffenen Lungenlappens, kann es zur Verlagerung der Trachea nach dorsal und/oder zur Verdrängung des Mediastinums kommen [13, 16]. Luftbronchogramme sind ebenfalls zu Beginn der Erkrankung sichtbar und zeigen ggf. bereits einen unphysiologischen Verlauf. Die im Lumen des Bronchus befindliche Luft wird innerhalb von 2-3 Tagen durch Flüssigkeit ersetzt, sodass dieser sich im weiteren Verlauf schmal oder irregulär darstellen kann, bis letztendlich keine Luftbronchogramme mehr erkennbar sind [16]. In chronischen Fällen bildet sich ein pulmonales Emphysem, d.h. kleine Luftbläschen innerhalb des Lungenparechyms, eine vesikuläre Lungenzeichnung [13, 17]. Zur Schnittbilddiagnostik kommt die Computertomografie des Thorax in Frage. Hier zeigt sich der betroffene Lungenlappen ebenfalls vergrößert und von einem fokalen Pleuraerguss umgeben [18]. Der zugehörige Bronchus stellt sich schmal, kollabiert oder verlegt und abrupt endend dar [19, 20]. Auch in der Computertomografie ist das vesikuläre Emphysem gut zu erkennen [18]. Der gedrehte Lungenlappen spart Kontrastmittel aus, wobei andere sekundär atelektatische Lungenlappen in der Region Kontrast anreichern [19]. Zur Diagnosesicherung kann eine virtuelle Bronchoskopie mit Hilfe einer Rekonstruktion des CT- Datensatzes hilfreich sein [20]. Steht keine Schnittbilddiagnostik zur Verfügung, kann zur Sicherung der Verdachtsdiagnose eine Sonografie des Thorax nützlich sein. Der betroffener Lungenlappen stellt sich hier als vergrößerte, echoarme Weichteilmasse mit multiplen Gasblasen im Gewebe dar [13]. Zur besseren Darstellung des fehlenden venösen Rückstroms, kann eine Doppleruntersuchung durchgeführt werden [13]. Der umgebende Pleuraerguss lässt sich sonografisch gestützt punktieren [18]. Bei dem gewonnenen Punktat handelt es sich am häufigsten um serosanguinöse Flüssigkeit [11], aber auch chylöse oder purulente Ergüsse sind möglich [3]. Handelt es sich um hämorrhagische Flüssigkeit nach vorangegangenem, nicht blutigem Pleuraerguss, so kann dies für eine Lungenlappentorsion hinweisend sein [1]. Zur unmittelbaren visuellen Darstellung der Drehstelle kann außerdem eine Bronchoskopie durchgeführt werden. Die Schleimhaut ist in diesem Bereich in Falten gelegt und Lumen des Bronchus verschmälert [21]. Das Gewebe stellt sich ggf. ödematös dar und es ist intraluminal blutige Flüssigkeit sichtbar [1]. Therapie Initial sollte eine Stabilisierung der Atmung des Patienten vor der operativen Versorgung erfolgen. Die symptomatische Therapie umfasst eine Thorakozentese oder im Falle eines besonders ausgeprägten Pleuraergusses das Einlegen einer Thoraxdrainage sowie eine Sauerstofftherapie über eine Nasensonde oder einen Sauerstoffkäfig. Ergänzend wird die medikamentelle Therapie einer evtl. zugrundeliegenden chronischen Lungenerkrankung, eine prophylaktische Antibiose, sowie eine Infusionstherapie zur Vermeidung einer präoperativen Dehydratation begonnen. Die Diagnose Lungenlappentorsion erfordert eine zügige chirurgische Versorgung. Zu einer Spontanheilung kommt es nur in sehr seltenen Fällen, da sich der betroffene Lungenlappen aufgrund von Größenzunahme und Verklebungen mit dem umliegenden Gewebe nahezu nie zurückverlagert. Aufgrund der massiven Schädigung des Lungengewebes ist eine chirurgische Reposition des betroffenen Lungenlappens ebenfalls nur äußerst selten möglich [1]. Die Therapie der Wahl stellt daher die totale Lungenlappenresektion über eine interkostale Thorakotomie dar [8]. An der Drehstelle sollte, wenn möglich, keine Manipulation erfolgen, um die Freisetzung von Toxinen in das venöse System zu vermeiden. Die Lobektomie im gedrehten Zustand ist mit Hilfe eines TA- Staplers vergleichsweise einfach zu realisieren. Sollte dieser nicht zur Verfügung stehen, so wird die Drehstelle 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 205

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ abgeklemmt und der Lungenlappen im Anschluss zurückgedreht, um die Ligatur der Gefäße und eine Steppnaht des Bronchus zu ermöglichen [2]. Nach vollständiger Resektion werden die angrenzenden Lungenlappen vorsichtig gebläht und visuell sowie palpatorisch überprüft. Des Weiteren erfolgt eine histopathologische sowie bakteriologische Untersuchung des entnommenen Gewebes. Nach dem Einlegen einer Thoraxdrainage wird der Brustkorb schichtgerecht verschlossen. Nachsorge Nach dem Eingriff ist ein stationärer Aufenthalt zwingend notwendig. Die antimikrobielle Therapie wird fortgeführt und die Medikation ggf. nach Erhalt des Befundes der bakteriologischen Untersuchung angepasst. Eine Sauerstofftherapie kann, vor allem bei Patienten mit bekannter Grunderkrankung, unterstützend hilfreich sein. Die Thoraxdrainage sollte mehrfach täglich geleert und deren Produktion bis zur Entfernung über jeweils 24h dokumentiert werden. Die Kontrolle und Pflege der Wunde erfolgen standardmäßig. Prognose Nach erfolgreicher chirurgischer Versorgung ist die Prognose günstig [3]. Bei gleichzeitiger Torsion des rechten kranialen und mittleren Lungenlappens ist sie als vorsichtig zu betrachten [3]. Hunde der Rasse Mops scheinen eine bessere Prognose als Hunde anderer Rassen zu haben [10]. Rezidive der Erkrankung sind beschrieben, jedoch sehr selten [22]. Literatur 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. Fossum, T.W., Chirurgie der Kleintiere. 2020: Fischer Gustav Verlag GmbH & Company KG. Tobias, K.M. and S.A. Johnston, Veterinary surgery: small animal. (No Title). 2017. Park, K.M., et al., Lung lobe torsion in dogs: 52 cases (2005–2017). Veterinary surgery, 2018. 47(8): p. 1002-1008. Hambrook, L.E. and S.T. Kudnig, Lung lobe torsion in association with a chronic diaphragmatic hernia and haemorrhagic pleural effusion in a cat. Journal of Feline Medicine and Surgery, 2012. 14(3): p. 219-223. Gelzer, A., et al., Accessory lung lobe torsion and chylothorax in an Afghan hound. Journal of the American Animal Hospital Association, 1997. 33(2): p. 171-176. Gicking, J. and M. Aumann, Lung lobe torsion. Compend Contin Educ Vet, 2011. 33(4): p. E4. Kerpsack, S.J., et al., Chylothorax associated with lung lobe torsion and a peritoneopericardial diaphragmatic hernia in a cat. American Animal Hospital Association (USA), 1994. Benavides, K.L., E.A. Rozanski, and T.J. Oura, Lung lobe torsion in 35 dogs and 4 cats. The Canadian Veterinary Journal, 2019. 60(1): p. 60. Millard, R., J. Myers, and R. Novo, Spontaneous lung lobe torsion in a cat. Journal of veterinary internal medicine, 2008. 22(3): p. 671-673. Murphy, K.A. and B.A. Brisson, Evaluation of lung lobe torsion in Pugs: 7 cases (1991–2004). Journal of the American Veterinary Medical Association, 2006. 228(1): p. 86-90. Neath, P.J., D.J. Brockman, and L.G. King, Lung lobe torsion in dogs: 22 cases (1981–1999). Journal of the American Veterinary Medical Association, 2000. 217(7): p. 1041-1044. Choi, J. and J. Yoon, Lung lobe torsion in a Yorkshire terrier. Journal of Small Animal Practice, 2006. 47(9): p. 557- 557. D'ANJOU, M.A., A.S. Tidwell, and S. Hecht, Radiographic diagnosis of lung lobe torsion. Veterinary Radiology & Ultrasound, 2005. 46(6): p. 478-484. White, R. and N. Corzo‐Menendez, Concurrent torsion of the right cranial and right middle lung lobes in a whippet. Journal of Small Animal Practice, 2000. 41(12): p. 562-565. Siems, J., S. Jakovljevic, and W. Alstine, Radiographic diagnosis—lung lobe torsion. Veterinary Radiology & Ultrasound, 1998. 39(5): p. 418-420. Lord, P., R. Greene, and W. DeHoff, Lung lobe torsion in the dog greiner, tp. Journal of the American Animal Hospital Association, 1973. Hofeling, A.D., et al., Spontaneous midlobar lung lobe torsion in a 2-year-old Newfoundland. Journal of the American Animal Hospital Association, 2004. 40(3): p. 220-223. Belmudes, A., et al., Lung lobe torsion in 15 dogs: peripheral band sign on ultrasound. Veterinary Radiology & Ultrasound, 2021. 62(1): p. 116-125. Seiler, G., et al., Computed tomographic features of lung lobe torsion. Veterinary Radiology & Ultrasound, 2008. 49(6): p. 504-508. Schultz, R., J. Peters, and A. Zwingenberger, Radiography, computed tomography and virtual bronchoscopy in four dogs and two cats with lung lobe torsion. Journal of Small Animal Practice, 2009. 50(7): p. 360-363. 206 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ 21. 22. Moses, B., Fiberoptic bronchoscopy for diagnosis of lung lobe torsion in a dog. Journal of the American Veterinary Medical Association, 1980. 176(1): p. 44-47. Spranklin, D.B., K.P. Gulikers, and O.I. Lanz, Recurrence of spontaneous lung lobe torsion in a pug. Journal of the American Animal Hospital Association, 2003. 39(5): p. 446-451. Kontakt Dr. Pia Rebentrost; Klinik für Kleintiere Universität Leipzig Pia.Rebentrost@kleintierklinik.uni-leipzig.de 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 207

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Mein Zwerchfell macht mich atemlos! Sophie Auer Klinik für Kleintiere, Universität Leipzig Definition Man unterscheidet bei den verschiedenen Zwerchfelldefekten zwischen echten Hernien und traumatischen Hernien, die welchen es sich per Definition um Rupturen handelt. Echte Zwerchfellhernien sind, mit Ausnahme der Hiatushernie, selten. Während bei den echten Hernien die vorgefallenen Organe in einem Bruchsack aus Peritoneum liegen, befinden sich diese bei einer traumatischen Ruptur frei in der Pleuralhöhle (1–3). Traumatische Zwerchfellruptur Pathophysiologie Die traumatische Ruptur ist die bei Hund und Katze mit 85 % der Fälle die häufigste Form der Zwerchfellhernie (4–6), wobei Autounfälle hierbei als Hauptursache genannt werden können (4,5,7). Eine Schädigung des Zwerchfells kann entweder direkten oder indirekten Ursprungs sein. Direkte Verletzungen durch Stich- und Schusswunden kommen bei Tieren eher selten vor. Als Mechanismus für eine indirekte Schädigung des Zwerchfells wird ein plötzlicher Anstieg des intraabdominalen Drucks (IAP) bei geöffneter Stimmritze in maximaler Inspiration vermutet. Der Vorfall von abdominalen Organen tritt normalerweise unmittelbar nach dem Bruch des Zwerchfells auf (8–10). Hierdurch kommt es zum einen zu kardiorespiratorischen Auswirkungen, zum anderen sind die hernierten Organe selbst betroffen. So kann es zu einer Inkarzeration, Obstruktion und/oder Strangulation der betroffenen Organe kommen (4). Im Falle des Darmkonvolutes kann daraus ein Ileus resultieren. Eine sekundäre Tympanie als Folge einer Verlagerung des Magens in den Thorax kann, aufgrund der Kompression der V. cava caudalis sowie der Lunge, bereits nach kurzer Zeit zum Tod des Tieres führen (7,11). Bei 88 % der betroffenen Tiere kommt es zu einem Vorfall der Leber, was durch ihre anatomische Nähe zum Zwerchfell begründet ist (4, 5). Zu den Folgen zählen die Ausbildung eines Aszites/Pleuraergusses bei ca. 25 % der Tiere mit Leberherniation (6,11) aufgrund der venösen Stauung, Nekrosen von Leberlappen, welche mit einer bakteriellen Proliferation verbunden sind, sowie Gallengangsobstruktionen (12). Das häufigste klinische Symptom eines Zwerchfellrisses ist Dyspnoe, welche vor allem durch die insuffiziente Funktion des Zwerchfells sowie die Lungenkompression (durch vorgefallene Organe und den Pleuraerguss) verursacht wird (4). Durch diese Kompression und Atelektasen der Lungenlappen kommt es zu einer Hypoventilation und damit verbundenen Hypoxie. Weiterhin kann es durch eine Verschlechterung der Lungenfunktion im Schock zu einer erhöhten Permeabilität der Lungengefäße und damit zu einem Lungenödem kommen, wodurch sich die Hypoventilation noch potenziert. Aufgrund einer drohenden Dekompensation sollten betroffene Tiere deshalb äußert vorsichtig behandelt werden (13). Diagnose Bei den klinischen Zeichen dominieren die respiratorischen Symptome (v.a Dyspnoe) bei etwa 38 % der Patienten (14). Einige Tiere zeigen Dysphagie, Erbrechen, Durchfall oder Verstopfung was einen Vorfall von Teilen des Magen-Darm-Trakts nahelegt. Auch unspezifische Zeichen wie Lethargie und Gewichtsverlust können Teil des Symptomkomplexes sein (14). Patienten nach einem akuten Trauma zeigen neben der Zwerchfellruptur häufig weitere Verletzungsmuster und befinden sich regelmäßig im Schock (15,16). In der klinischen Untersuchung fallen häufig gedämpfte oder fehlerhaft gelagerte Herztöne auf (14). Auch das Auftreten von Darmgeräuschen im Thorax kann bei der Auskultation auffallen (6,13). Weiterhin kann, vor allem bei chronischen Fällen, bei der Palpation ein „leeres“ Abdomen auffallen (11). Die zwei wichtigsten bildgebenden Verfahren sind die Röntgen – sowie die Ultraschalluntersuchung, wobei das Röntgen als erstes Diagnostikum bei einem vermuteten Zwerchfellriss am häufigsten Anwendung findet. Ohnehin sollte die Anfertigung eines Röntgenbildes des Thorax bei jedem Patienten mit einem Trauma angestrebt werden, insbesondere wenn eine Dyspnoe oder Frakturen vorliegen (15, 17). Zu den möglichen Befunden in der Röntgenuntersuchung zählt eine schlecht oder nicht abgrenzbare Zwerchfellsilhouette in der latero-lateralen 208 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Projektion bei 66-97 % der Tiere. Jedoch sollten noch weitere Kriterien für die Diagnosestellung herangezogen werden (16, 18). So ist das Vorliegen von abdominalen Organen im Thorax ein sicheres Zeichen für das Vorliegen einer Zwerchfellruptur. Des Weiteren kann es zu einer Verlagerung oder Maskierung der Herzsilhouette kommen. Auch eine Kranialverlagerung von Pylorus und Duodenum ist möglich. Sekundäre Veränderungen wie kollabierte Lungenlappen oder ein Pleuraerguss werden in der dorso-ventralen Projektion eher erkannt (5,16,19). Bestehen Unsicherheiten bei der Diagnosestellung kann eine ventro-dorsale Aufnahme in aufrechter Position des Tieres helfen, da es hier zu einer Zurückverlagerung der vorgefallenen Organe in das Abdomen kommen kann und man so ein vergleichendes Bild erhält (20). Die ultrasonografische Untersuchung eignet sich, aufgrund der sehr guten Schalleigenschaften von Flüssigkeiten, vor allem bei Tieren mit Pleuraerguss. Hier führt man durch einen Interkostalraum direkt kranial des gedachten Ansatzes des Zwerchfells oder durch einen subkostalen Zugang die Untersuchung durch um vorgefallene Organe zu identifizieren (21). Therapie Die chirurgische Versorgung eines Zwerchfellrisses sollte zeitnah nach der Stabilisierung des Patienten stattfinden, da in einer Studie mit 63 Patienten gezeigt werden konnte, dass 93,7 % der Tiere, welche innerhalb der ersten 24 Stunden nach Einlieferung operiert wurden auch lebend entlassen wurden (22). Zur Stabilisierung gehören vor allem die Therapie des Schockgeschehens, eine adäquate Analgesie sowie die Verbesserung der Atemsituation. Dafür kann die vordere Körperhälfte des Patienten leicht hochgelagert und ein etwaiger Pleuraerguss evakuiert werden um die Hypoventilation zu reduzieren. Auch eine Sauerstoffapplikation mit Hilfe einer Sauerstoffsonde/Maske oder Box wird empfohlen. Bis zur Operation ist eine engmaschige Überwachung zwingend erforderlich, da es bei diesen Patienten zu einer rapiden Atemdekompensation kommen kann. Besonders gefährdet sind hier Tiere mit einem Vorfall des Magens in den Thorax. Hier kann in sehr kurzer Zeit ein Spannungspneumothorax entstehen. In diesem Fall muss der Magen perkutan oder über eine Schlundsonde dekomprimiert werden und die Versorgung im Anschluss erfolgen (14, 23). Die Operation erfolgt in aller Regel in Rückenlage über eine Laparotomie in der Linea alba. Dabei beginnt sie am Xyphoid und endet mittig zwischen Nabel und Os pubis. Das falciforme Fett sollte stumpf entfernt werden um eine bessere Sicht auf das Zwerchfell zu erhalten. Auch die Verwendung eines Retraktors kann hilfreich sein um den Zugang zu erleichtern. Das Zwerchfell sollte einer genauen Untersuchung unterzogen werden, da bei einigen Tieren multiple Risse vorliegen (11). In vielen Fällen könnten die vorgefallenen Organe durch leichten Zug wieder ins Abdomen zurück verlagert werden. Sind Milz und Leber inkarzeriert und gestaut, so ist das Gewebe sehr vulnerabel, sodass das Handling entsprechend vorsichtig stattfinden sollte (13). Eine Erweiterung des Zwerchfellrisses ist nötig, wenn die verlagerten Organe aufgrund ihrer Kongestion/Schwellung nicht reponierbar sind oder Verklebungen mit der Pleura bestehen. Teilweise muss auch der Zugang in der Linea alba um eine kaudale Sternotomie erweitert werden um intrathorakale Verklebungen oder Verwachsungen sicher lösen zu können (24). Einfache, akute Zwerchfellrisse können mit Einzelheften oder einer fortlaufenden Naht verschlossen werden (14,25). Für Rupturen nahe den Rippen mit wenig Gewebe im lateralen Bereich empfehlen sich circumcostale Hefte um ein Ausreißen des Nahtmaterials zu vermeiden (7,26). Bei Einzelheften ist es von Vorteil die Fäden vorzulegen und erst im Anschluss zu knoten um beim Einstechen nicht die Lunge zu verletzen. Der Faden sollte aus einem langsam resorbierbaren Material zum Beispiel Polydioxanon der Stärke 3-0 bis 0 USP bestehen. Der Verschluss des Zwerchfells sollte von dorsal nach ventral erfolgen vor allem wenn Risse neben einem Hiatus vorliegen (27). Kurz vor dem Verschluss des letzten Heftes, sollte eine Ernährungssonde in den Thorax eingelegt werden über die man in der postoperativen Phase den Pneumothorax evakuieren kann. Diese führt aus dem Thorax durch das Zwerchfell ins Abdomen und endet in der Laparotomiewunde. Chronische Atelektasen der Lunge sollten nur langsam und mit einem maximalen Beatmungsdruck von 20cm H20 aufgedehnt werden, da es bei einer zu raschen Reexpansion mit hohem Druck zu Schäden der Gefäßwände und damit zur Ausbildung eines Lungenödems kommen kann (28). So kann es sinnvoll sein den Pneumothorax langsam über mehrere Stunden zu evakuieren. Bei Patienten mit einem hohen Risiko eines Pneumo- oder Liquidothorax sollte eine Thoraxdrainage eingelegt werden. Postoperativ sollte der Sitz der Drainage, ein möglicher Pneumothorax und Pleuraerguss sowie etwaige kollabierte Lungenlappen radiologisch überprüft werden. Weiterhin ist eine gute Überwachung, eine ausreichende Analgesie sowie beim 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 209

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Auftreten einer Hypoxie eine Sauerstoffapplikation indiziert. Die Thoraxdrainage sollte regelmäßig und bei Anzeichen von Dyspnoe vorsichtig abgesaugt werden. Sie kann entfernt werden, wenn nahezu keine Luft und weniger als 2-3ml/kg/Tag Flüssigkeit produziert werden (27). Prognose Die Prognose hat sich in den letzten Jahrzehnten mit einer Überlebensrate von 52 % hin zu 82 - 89 % je nach Studie deutlich verbessert (11,18,22,29). Jedoch versterben ca. 15 % der Tiere in der präoperativen Phase. Dies hängt zum einen mit der Hypoventilation, dem Schockgeschehen und möglichen Herzrhythmusstörungen (4,6,11), zum anderen aber auch mit der Fixation für die klinische Untersuchung, dem Röntgen sowie einer etwaigen Thorakozentese zusammen (11,14,30). Zu den tödlichen post operativen Komplikationen gehören ein Pneumothorax, Pleuraerguss, Lungenödem, Schock und Herzrhythmus- störungen sowie Rupturen, Obstruktionen oder Strangulation des Magen-Darm-Traktes (4,6, 7,11). Literatur 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. Cariou MPL, Shihab N, Kenny P, Baines SJ. Surgical management of an incidentally diagnosed true pleuroperitoneal hernia in a cat. J Feline Med Surg 2009; 11(10):873–7. Lojszczyk-Szczepaniak A, Komsta R, Debiak P. Retrosternal (Morgagni) diaphragmatic hernia. Can Vet J 2011; 52(8):878–83. Voges AK, Bertrand S, Hill RC, Neuwirth L, Schaer M. True diaphragmatic hernia in a cat. Vet Radiol Ultrasound 1997; 38(2):116–9. Boudrieau SJ MWW. Pathophysiology of traumatic diaphragmatic hernia in dogs. Compend Contin Educ Pract Vet 1987; 1987(9):379. Wilson GP, Hayes HM. Diaphragmatic hernia in the dog and cat: a 25-year overview. Semin Vet Med Surg Small Anim 1986; 1(4):318–26. Wilson GP, Newton CD, Burt JK. A review of 116 diaphragmatic hernias in dogs and cats. J Am Vet Med Assoc 1971; 159(9):1142–5. Walker RG, Hall LW. Rupture oft the diaphragm: Report of 32 cases in dogs and cats. Vet Rec 1965; 77:830–7. Mushin WW, Rendell Baker L, Thompson PW, Hrsg. Automatic ventilation of the lungs. 3. Auflage. Oxford: Blackwell Scientific Publications; 1980. Dronen SC. Disorders of the chest wall and diaphragm. Emerg Med Clin North Am 1983; 1(2):449–68. Levine SH. Diaphragmatic hernia. Vet Clin North Am Small Anim Pract 1987; 17(2):411–30. Garson HL, Dodman NH, Baker GJ. Diaphragmatic hernia. Analysis of fifty-six cases in dogs and cats. J Small Anim Pract 1980; 21(9):469–81. Markowitz J, Archibald J, Downie HG. Experimental Surgery, Including Surgical Physiology. Academic Medicine 1964; 39(9):871. Helphrey ML. Abdominal flap graft for repair of chronic diaphragmatic hernia in the dog. J Am Vet Med Assoc 1982; 181(8):791–3. Stickle R. Positive contrast celiography (peritonography) for the diagnosis of diaphragmatic hernia in dogs and cats. J Am Vet Med Assoc 1984; 185:295–8. Spackman CJ, Caywood DD, Feeney DA, Johnston GR. Thoracic wall and pulmonary trauma in dogs sustaining fractures as a result of motor vehicle accidents. J Am Vet Med Assoc 1984; 185(9):975–7. Sullivan M, Lee R. Radiological features of 80 cases of diaphragmatic rupture. J Small Anim Pract 1989; 30(10):561– 6. Tamas PM, Paddleford RR, Krahwinkel Jr DJ. Thoracic trauma in dogs and cats presented for limb fractures. The Journal of the American Animal Hospital Association (USA) 1985. Minihan AC, Berg J, Evans KL. Chronic diaphragmatic hernia in 34 dogs and 16 cats. J Am Anim Hosp Assoc 2004; 40(1):51–63. Roudebush P, Burns J. Pleural effusion as a sequela to traumatic diaphragmatic hernias: a review of four cases. The Journal of the American Animal Hospital Association (USA) 1979. Williams J, Leveille R, Myer CW. Imaging modalities used to confirm diaphragmatic hernia in small animals. Compendium on Continuing Education for the Practicing Veterinarian 1998; 20(11):1199–210. Stowater JL, Lamb CR. Ultrasonography of noncardiac thoracic diseases in small animals. J Am Vet Med Assoc 1989; 195(4):514–20. Gibson TWG, Brisson BA, Sears W. Perioperative survival rates after surgery for diaphragmatic hernia in dogs and cats: 92 cases (1990-2002). J Am Vet Med Assoc 2005; 227(1):105–9. Bredal WP, Eggertsdóttir AV, Austejjord Ø. Acute Gastric Dilatation in Cats: A Case Series. Acta Vet Scand 1996; 37(4):445–52. Henderson RA. Controlling Peritoneal Adhesions. Vet Surgery 1982; 11(1):30–3. 210 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ 25. 26. 27. 28. 29. 30. Aronsohn M. Diaphragmatic Advancement for Defects of the Caudal Thoracic Wall in the Dog. Vet Surgery 1984; 13(1):26–8. Ayres CJ, Treharne DF, Eagleson JS. Eventration of the diaphragm in a Great Dane. Aust Vet Pract 1978; (8):219. Johnston SA. Veterinary Surgery: Veterinary Surgery: Small Animal Expert Consult - E-BOOK. 2nd ed. Philadelphia: Elsevier - Health Sciences Division; 2018. S. 1594-1600. Sewell RW, Fewel JG, Grover FL, Arom KV. Experimental evaluation of reexpansion pulmonary edema. Ann Thorac Surg 1978; 26(2):126–32. Schmiedt CW, Tobias KM, Stevenson MAM. Traumatic diaphragmatic hernia in cats: 34 cases (1991-2001). J Am Vet Med Assoc 2003; 222(9):1237–40. White JD, Tisdall PLC, Norris JM, Malik R. Diaphragmatic hernia in a cat mimicking a pulmonary mass. J Feline Med Surg 2003; 5(3):197–201. Kontakt Dr. Sophie Auer; Klinik für Kleintiere, Leipzig Sophie.Auer@kleintierklinik.uni-leipzig.de 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 211

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Jetzt geht meinem Larynx die Puste aus Rudi Barthmann Klinik für Kleintiere Universität Leipzig Larynxparalyse bei Hunden Die Larynxparalyse ist eine Erkrankung, die durch eine Dysfunktion des M. cricoarythenoideus dorsalis ausgelöst wird. Sie kann uni- und bilateral sowie kongenital beim jungen Hund oder erworben beim alten Hund auftreten. Zum Auslösen der Erkrankung muss eine Noxe an einer oder mehreren für die Funktion des Muskels kritischen anatomischen Strukturen vorliegen. Diese Strukturen sind Nucleus ambiguus, Nervus vagus, Nervus laryngeus recurrens oder der Muskel selbst (1-3). Ätiologisch können Endokrinopathien, Traumata, periphere Neuropathien oder Neoplasien sein. Durch die daraus bedingte Funktionsstörung des Muskels kommt es zu einer nicht ausreichenden Abduktion der Arythenoid-Knorpel resultierend in einer Obstruktion der oberen Atemwege. Alle anderen Muskeln der Larynx wirken als Adduktoren der Stimmbänder. Klinische Symptome sind inspiratorischer Stridor, Belastungsintoleranz, Dyspnoe bis hin zum Kollaps. Die kongenitale Form wurde bereits für viele Hunderassen beschrieben, wie z.B. Bouvier des Flandres, Sibirischer Husky, Dalmatiner, Rottweiler, Alaskan Malamut und weitere (1,2,4,5). Hereditär erkrankte Tiere präsentieren sich typischerweise bereits mit einem Alter unter einem Jahr (4,6). Bei der deutlich häufiger vorkommenden erworbenen Form sind Labrador Retriever und Rottweiler überrepräsentiert. Das mediane Alter zur chirurgischen Versorgung liegt zwischen 9 bis 12 Jahren (3,7,8). Oft haben betroffene Tiere noch weitere neurologische Auffälligkeiten, sodass die Larynxparalyse Teil einer komplexeren Neuromuskulären Erkrankung zu sein scheint. Daher wurde in der angloamerikanischen Literatur der Begriff Geriatric onset laryngeal paralysis polyneuropathy – GOLPP vorgeschlagen (9). Betroffene Tiere zeigen häufig histologisch degenerative Veränderungen in den nervalen Strukturen und eine Atrophie des Muskels. Zusätzlich kommt in einigen Fällen eine funktionelle Dysfunktion des Oesophagus vor (9,10). Letztere erhöht das Risiko für Aspirationspneumonien deutlich. Die Diagnostik besteht in der Regel aus der spezifischen Anamnese und klinischen Symptomatik sowie einer Endoskopie der oberen Atemwege. Dabei wird der Grad der Abduktion der Arythenoid-Knorpel eingeschätzt. Eine zusätzliche Stimulation der Atmung mit Doxapram kann während der Endoskopie erfolgen und eine bessere Einschätzung der Funktion geben (11). Außerdem sollte präoperativ eine Röntgenuntersuchung vom Thorax erfolgen. Diese dient zur Beurteilung der Lungen und ggf. Feststellung einer bereits vorliegenden Aspirationspneumonie sowie einer Beurteilung des kranialen Mediastinums auf mögliche, die Nn. laryngeus reccurens einbeziehende Pathologien. Zudem sollte eine neurologische Untersuchung durchgeführt werden. Des Weiteren kann ein komplettes Staging inklusive Sonografie des Abdomens erfolgen, um Neoplasien auszuschließen. Für die chirurgische Versorgung sind verschiedene Methoden beschrieben. Die häufig verwendeten sind die Lateralisation des Arythenoids mit Fadenzügel, seltener auch die Ventriculocordektomie und partielle Laryngektomie. Eine Reinnervation mit einer neuromuskulären Schwenkplastik wurde ebenfalls beschrieben. Bei der Lateralisation wird ein Fadenzügel von der Basis des Proc. Muscularis des Arytenoids zum Cricoid oder alternativ zum Thyreoid gespannt, um eine Abduktion des Arytenoids zu bewirken. Die operative Versorgung wird einseitig durchgeführt, da die bilaterale Versorgung mit deutlich häufigeren Komplikationen einhergeht (1). Die Komplikationsrate bei Hunden mit bereits festgestellten zusätzlichen neurologischen Ausfälligkeiten liegt ebenfalls deutlich höher und muss in der Besitzerkommunikation berücksichtigt werden. Bei unilateraler Arythenoid Lateralisation ist eine Komplikationsrate von 28 % beschrieben (12). Die Aspirationspneumonie peri- und unmittelbar postoperativ ist dabei die wichtigste Komplikation. Nach chirurgische Versorgung können Patienten wieder eine gute Lebensqualität erreichen. Literatur 1. Johnston SA, Tobias KM. Veterinary Surgery: Small Animal Expert Consult-E-Book: 2-Volume Set: Elsevier Health Sciences; 2017. 212 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ 2. Srikanth K, von Pfeil DJF, Stanley BJ, Griffitts C, Huson HJ. Genome Wide Association Study with Imputed Whole Genome Sequence Data Identifies a 431 kb Risk Haplotype on CFA18 for Congenital Laryngeal Paralysis in Alaskan Sled Dogs. Genes. 2022;13(10):1808. 3. Griffin J, Krahwinkel D. 'Laryngeal paralysis: Pathophysiology, diagnosis, and surgical repair'. Compendium on Continuing Education for the Practicing Veterinarian. 2005;27. 4. Venker-van Haagen A. Investigations on the pathogenesis of hereditary laryngeal paralysis in the Bouvier 1980. 5. O'Brien JA, Harvey CE, Kelly AM, Tucker JA. Neurogenic atrophy of the laryngeal muscles of the dog. The Journal of small 6. animal practice. 1973;14(9):521-32. von Pfeil DJF, Zellner E, Fritz MC, Langohr I, Griffitts C, Stanley BJ. Congenital laryngeal paralysis in Alaskan Huskies: 25 cases (2009-2014). Journal of the American Veterinary Medical Association. 2018;253(8):1057-65. 7. Gaber CE, Amis TC, LeCouteur RA. Laryngeal paralysis in dogs: a review of 23 cases. Journal of the American Veterinary Medical Association. 1985;186(4):377-80. 8. Broome C, Burbidge H, Pfeiffer D. Prevalence of laryngeal paresis in dogs undergoing general anaesthesia. Australian Veterinary Journal. 2000;78(11):769-72. 9. Stanley BJ, Hauptman JG, Fritz MC, Rosenstein DS, Kinns J. Esophageal Dysfunction in Dogs with Idiopathic Laryngeal Paralysis: A Controlled Cohort Study. Veterinary Surgery. 2010;39(2):139-49. 10. Thieman KM, Krahwinkel D, Sims MH, Shelton GD. Histopathological confirmation of polyneuropathy in 11 dogs with laryngeal paralysis. Journal of the American Animal Hospital Association. 2010;46(3):161-7. 11. Tobias KM, Jackson AM, Harvey RC. Effects of doxapram HCl on laryngeal function of normal dogs and dogs with naturally occurring laryngeal paralysis. Veterinary anaesthesia and analgesia. 2004;31(4):258-63. 12. MacPhail CM, Monnet E. Outcome of and postoperative complications in dogs undergoing surgical treatment of laryngeal paralysis: 140 cases (1985-1998). Journal of the American Veterinary Medical Association. 2001;218(12):1949-56. Kontakt Dr. Rudi Barthmann, Klinik für Kleintiere Universität Leipzig 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 213

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Der Notfall-Medikamentenkoffer für die Dermatologie Wolfgang Bäumer Institut für Pharmakologie und Toxikologie, FB Veterinärmedizin, FU Berlin Im Folgenden wird auf die Pharmakologie von Wirkstoffen eingegangen, die auch in den folgenden Vorträgen zu Notfallpatienten in der Dermatologie Erwähnung finden. Adrenalin Adrenalin ist sicherlich eines der ersten Medikamente, das man mit einem „Notfallkoffer“ assoziiert. Der Einsatz von Adrenalin erfolgt in der Dermatologie im Zusammenhang mit anaphylaktischem oder auch anaphalyktoidem (pseudoallergischem) Schock. Bei ersterem ist eine vorherige Sensibilisierung zwingend erforderlich, bei letzterem entsteht ein nahezu identisches Bild durch eine Mastzelldegranulation nicht allergischen Ursprungs (häufig über eine Aktivierung der Mas related G protein coupled receptors durch Substanzen wie Morphin, Ciprofloxacin oder Polyvinylpyrrolidon) (1). Adrenalin hat auf das Herz- Kreislaufsystem eine dosisabhängige Wirkung auf adrenerge alpha- und beta-Rezeptoren. In den zur Behandlung des allergischen Schocks vorgesehenen hohen Dosierungen (0,5-1 µg/kg) überwiegt ein positiv inotroper Effekt auf das Herz und ein dem peripheren Kreislaufversagen entgegenstehender Effekt auf die Gefäße. Zusätzlich hat Adrenalin den Vorteil, dass es über die beta-Wirkungen zu einer Bronchospasmolyse kommt und eine weitere Freisetzung von Histamin und anderen vasoaktiven Substanzen aus Mastzellen unterbunden wird. Aufgrund der nur kurzen Halbwertzeit hält allerdings die Wirkung bei einmaliger Gabe nur recht kurz an. Ist eine intravenöse Applikation nicht möglich kann Adrenalin auch intratracheal verabreicht werden. Bronchodilatatoren Katzen, die unter Bronchspasmen leiden, können über den inhalativen Weg mit kurz oder mittellang wirkenden Beta-2-Agonisten behandelt werden. Die meiste klinische Erfahrung liegt für Salbutamol vor, das auch beim Status asthmaticus empfohlen wird, obwohl einige experimentelle Studien darauf hinweisen, dass die Wirksamkeit u.U. durch stark eingeschränktes Atemminutenvolumen nicht ausreichend ist, es kann dann mit parenteral Terbutalin (0,01 mg/kg) behandelt werden. Immunmodulatoren Glukokortikoide Für die Behandlung vieler immunvermittelter Erkrankungen stehen Glukokortikoide wie Prednisolon immer noch ganz vorne bei der Pharmakotherapie. Es wird zuweilen zwischen einer anti-inflammatorischen und einer immunsuppressiven Dosierung unterschieden, obwohl dies allein mechanistisch schon nicht trennscharf möglich ist. Allerdings ist klar, dass die immunsupprimierende Funktion mit steigender Dosierung zunimmt, jedoch auch das Nebenwirkungsspektrum. Daher wird oft eine Kombination mit anderen Immunmodulatoren (z.B. Cyclosporin A, Azathioprin, Mycophenolat-Mofetil) empfohlen, da dies oft zu einer Reduzierung der Glukokortikoid-Dosis und durch einen oft komplementären Effekt zu einer zuverlässigeren Immunsuppression führt. Neben der Hemmung der Phospholipase A2 und damit der Freisetzung der Arachidonsäure und folgend der Synthese von Prostaglandinen und Leukotrienen wird auch die Funktion einer Reihe von Immunzellen (T- Zellen, B-Zellen, dendritischen Zellen) z.T. direkt gehemmt, z.T. indirekt über eine Reduktion der Pro- inflammatorischen Zytokine (z.B. IL-1 beta, TNF alpha, IL-2) beeinflusst. So steht bei längerer Anwendung höherer Dosen eine Modulation der zellulären wie auch der humoralen Immunität im Vordergrund. Prednisolon kann anfangs mit 2-3 mg/kg verabreicht werden, sollte aber möglichst bald auf die maximal nötige Dosis reduziert werden. Dies ist, wie oben erwähnt, oft einfacher, wenn eine Kombination mit anderen Immunsuppressiva durchgeführt wird (2). Für die topische Applikation steht Hydrocortisonaceponat (0,584 mg/ml) zur Verfügung. 214 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Zur Unterstützung bei Schockzuständen sind gar nicht stark wirksame Glukokortikoide indiziert, sondern das schnell wirksame Methylprednisolonhydrogensuccinat (15-30 mg/kg i.v. über mehrere Minuten). Typische Nebenwirkungen gerade bei hohen Dosierungen stellen u.a. Polydipsie, Polyurie, iatrogener Cushing, Magen- Darm-Ulzerationen und ein grundsätzlich erhöhtes Infektionsrisiko dar. Für die inhalative Gabe gibt es für Katzen positive Studien für Budesonid und vor allem für das stark wirksamene Fluticason. Dosisempfehlungen liegen bei 220 µg Fluticason alle 12 Stunden, dies kann bei längerer Anwendung auf 110 µg reduziert werden. Maximale Effekte werden erst nach 7 bis 10 Tagen erwartet. Cyclosporin A Der Calcineurininhibitor Cyclosporin A hemmt die Aktivierung des Transkriptionsfaktors NFAT (Nuclear Factor of Activated T cells) wodurch eine T-Zellaktivierung unterdrückt wird, aber auch die Funktion anderer Zellen wie antigenpräsentierende Zellen und Keratinozyten werden moduliert. Die empfohlene Dosis von Cyclosporin A zur Behandlung allergischer Hauterkrankungen bei Katzen liegt mit 7 mg/kg etwas höher als die für Hunde (5 mg/kg). Die Bioverfügbarkeit ist sowohl bei Hunden als auch Katzen eher gering. Auf Grund der langen Halbwertzeit des Medikaments (etwa 24 Std.) ist eine geringe Bioakkumulation bei wiederholter Gabe zu beobachten. Das Fließgleichgewicht wird innerhalb von 7 Tagen erreicht. Zur deutlichen Immunsuppression wird Cyclosporin A entweder höher dosiert oder mit anderen Immunmodulatoren kombiniert. Oclacitinib Interferenz mit der Oclacitinib (Apoquel©) ist ein JAK-Inhibitor, der die Funktion von JAK1-abhängigen Zytokinen hemmt, die an allergischen Entzündungen beteiligt sind (IL-2, IL-4, IL-6, IL-13). Oclacitinib reduziert darüber hinaus den IL- 31-induzierten Juckreiz bei Hunden, wahrscheinlich wegen seiner IL-31- Rezeptorsignaltransduktion. Vorteilhaft ist die schnelle Wirkung auf den Juckreiz innerhalb von Stunden. Die zugelassene Dosierung ist 0,4 bis 0,6 mg/kg 2x täglich über 14 Tage und sollte dann auf 1x täglich reduziert werden. Oclacitinib ist nun 10 Jahre im Handel und es gibt mittlerweile auch Langzeituntersuchungen, die die Sicherheit von Oclacitinib bestätigen (z.T. auch für eine kontinuierliche 2x tägliche Gabe über >100 Tage). Jedoch bietet sich bei Langzeitanwendung eine regelmäßige Kontrolle des Blutbildes an (3). Es gibt einige Fallbeschreibungen für den „Off-Label-Use“ von Oclacitinib bei anderen immunvermittelten Erkrankungen, oft etwas höher dosiert, z.T. mit Prednisolon kombiniert und es kommt oft zu Rückfällen nach Absetzen von Oclacitinib (3). Oclacitinib ist nicht für Katzen zugelassen. Die Halbwertzeit ist mit 2,3 Stunden etwas kürzer als bei Hunden, die Bioverfügbarkeit recht hoch (87 %). Auch Sicherheitsstudien wurden bereits durchgeführt, bei den z.B. über 28 Tage 1 mg/kg bei Katzen gut vertragen worden sind. Es wird die Dosis von 1 mg/kg 1-2x täglich beim felinen atopischen Syndrom empfohlen. Es sollten aber regelmäßige Kontrollen des Blutbildes erfolgen, da noch zu wenige Daten vorliegen (3). Mykophenolat-Mofetil Mykophenolat-Mofetil wird im Körper durch Esterasen zur Mykophenolsäure als aktive Substanz metabolisiert. Diese hemmt die Inosinmonophosphat-Dehydrogenase, ein Enzym, das essenziell für die Purinsynthese vor allem in Immunzellen, wie B- und T-Zellen ist. Es kann bei Immunerkrankungen von Hund und Katze eingesetzt werden. Muss aber derzeit aus der Humanmedizin umgewidmet werden (z.B. Cellcept 250 mg/500 mg). Auch eine parenterale Verabreichung ist möglich (mit dem Vorteil eines schnellen Wirkungseintritts). Die Halbwertzeit bei Hunden ist recht kurz (in einer Studie etwa 1 Stunde) und auch die Umwandlung zu Mykophenolsäure scheint variabel zu sein. Es wird daher derzeit in den USA an einer für die Hund optimierten Formulierung gearbeitet, die eine hundespezifische Freisetzung und vorteilhafte Pharmakokinetik haben soll (4). Dosisempfehlungen für den Hund reichen von 10 - 20 mg/kg alle 8 bis 12 Stunden, für Katzen werden 10 mg/kg alle 12 Stunden empfohlen. Bei Hunden werden als häufige Nebenwirkungen gastrointestinale Störungen, Gewichtsverlust und Lethargie beschrieben, die gastrointestinalen Störungen können so gravierend sein, dass die Behandlung abgebrochen werden muss. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 215

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Azathioprin Azathioprin wird nach oraler Verabreichung in ein anderes Thiopurin, 6-Mercaptopurin, umgewandelt. Weitere Metaboliten (Thioguanin-Nukleotid) der Thiopurine hemmen die De-novo-Purinsynthese und interagieren mit DNA und RNA, was schließlich zu einer Hemmung der Zellproliferation führt, insbesondere bei schnell proliferierenden Zellen wie Lymphozyten. Azathioprin wird mit einer Dosierung von 2 mg/kg täglich bei einer Reihe von immunvermittelten Krankheiten eingesetzt, z. B. bei hämolytischer Anämie, Pemphigus, Myasthenia gravis und entzündliche Darmerkrankungen (2). Es wird häufig mit Glukokortikoiden wie Prednisolon kombiniert. Die volle Wirkung tritt in der Regel verzögert auf (etwa 10 Tage) und die Hemmung der Zellproliferation kann zur Hauptnebenwirkung werden: Knochenmarkssuppression, die zu Leukopenie, Anämie und Thrombozytopenie führen kann. Auch sind Hepatopathien und Pankreatitis beschrieben worden. Katzen reagieren sehr empfindlich auf Azathioprin, eine Anwendung wird nicht empfohlen. Literatur 1. 2. 3. 4. McNeil BD, Pundir P, Meeker S et al. Identification of a mast-cell-specific receptor crucial for pseudo-allergic drug reactions. Nature. 2015;519(7542):237-41. Rieder J, Mischke R. Immunsuppressive Therapie bei Hunden und Katzen. Eigenschaften von Wirkstoffen und ihre Anwendung bei verschiedenen immunvermittelten Erkrankungen. Tierarztl Prax Ausg K Kleintiere Heimtiere. 2018;46(2):105-118. Marsella R, Doerr K, Gonzales A, et al. Oclacitinib 10 years later: lessons learned and directions for the future. J Am Vet Med Assoc. 2023;261(S1):S36-S47. Klotsman M, Coquery S, Sathyan G, et al. Pharmacokinetics and Pharmacodynamics of Immediate- and Modified-Release Mycophenolic Acid Preparations in Healthy Beagle Dogs. Front Vet Sci. 2021;7:611404. Kontakt Prof. Dr. Wolfgang Bäumer; Institut für Pharmakologie und Toxikologie, FB Veterinärmedizin, FU Berlin wolfgang.baeumer@fu-berlin.de 216 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Der dermatologische Notfall: autoimmune subepidermale Blistering-diseases beim Hund Maren Dölle Anicura Hamburg GmbH Abstract Ulzerative Hautveränderungen sind in der Regel augenscheinlich für den Tierbesitzer und meist schmerzhaft für den betroffenen Hund. Sie werden daher oft zügig in der tierärztlichen Sprechstunde als Notfall vorgestellt. Autoimmune subepidermale blasenbildende Dermatosen (AISBD), welche am Übergang von der Epidermis zur Dermis im Bereich der Basalmembranzone entstehen, sind hier eine mögliche, wenngleich seltene, Ursache. Die drei häufigsten Erkrankungsbilder aus diesem Komplex gemäß absteigender Prävalenz sind beim Hund: das Mucous Membrane Pemphigoid (MMP), die Epidermolysis bullosa aquisita (EBA) und das bullöse Pemphigoid (BP). Alle drei Formen eint klinisch die Entwicklung von Vesikeln und Blasen als Primärläsion in der Haut, welche nach meist schneller Ruptur eine tiefe Erosion bis Ulzeration nach sich zieht. Alter und Rasseprädispositionen, sowie der klinische Verlauf im Hinblick auf die Lokalisation und Ausdehnung der Hautveränderungen sind neben der histopathologischen Untersuchung von Hautbiopsien entscheidend für die Diagnosestellung. Die Lokalisation der Hautbiopsie-Entnahme und eine versierte Befundung sind ebenfalls relevant. Das therapeutische Vorgehen ist initial vergleichbar bei allen drei Erkrankungsbildern im Sinne des Einsatzes immunsupprimierender Dosen eines Glukokortikoids mit etwaig notwendiger Kombination anderer Wirkstoffe. Die mittel- und langfristige Therapie unterscheidet sich bisweilen und ist meist sehr individuell. Die Prognose ist vorsichtig bis gut. Einleitung Autoimmune subepidermale blasenbildende Dermatosen (AISBD) des Hundes sind eine sehr seltene Gruppe von autoimmunen Hauterkankungen. Eine aktuelle Übersichtsarbeit fasst 77 Fälle zusammen (1). Allen AISBD ist gemein, dass Autoantikörper sich gegen spezifische Strukturen der Basalmembranzone richten, am Übergang von der Epidermis zur Dermis. Die klinische Entwicklung von Vesikeln und Blasen in der Haut, gefolgt von tiefen Erosionen bis hin zu Ulzerationen sind die Folge (1). Die drei häufigsten Erkrankungsbilder des AISBD- Komplexes beim Hund sind das Mucous Membrane Pemphigoid (MMP), die Epidermolysis bullosa aquisita (EBA) und das bullöse Pemphigoid (BP). Sehr selten und teils nur in Einzelfällen nachgewiesen sind die junctional EBA, gemischte AISBD, type-1 bullöser systemischer Lupus erythematosus, lineare IgA Dermatose und der Pemphigus gestationis (1). Die Diagnose der AISBD erfolgt aus der Kombination der klinischen Befunde, der Anamnese, der indirekten Histopathologie und etwaiger spezifischer Labordiagnostik, wie einer direkten und/oder Immunfluoreszenz-Technik. Letztere ist keine Standard-Diagnostik und kann daher nicht in jedem Fall hinzugezogen werden. Des Weiteren sind die Zielmoleküle der AISBD-Subtypen teils überlappend. Daher kann man nur selten eine auf Molekularbiologie basierende sichere Diagnose der genauen Variante einer AISBD stellen. In der Literatur ist daher oft die Rede von einer AISBD ohne weitere Differenzierung (1, 2). Anhand der klinischen Entstehung und Entwicklung, sowie der genauen Anamnese des Patienten, kann man jedoch meist den Verdacht auf einen bestimmten AISBD-Subtyp stellen (1). Therapeutisch sollte bei allen Erkrankungen initial eine Remission mit Glukokortikoiden plus etwaiger Kombination anderer Wirkstoffe angestrebt werden. Verwendet werden hierfür Azathioprin, Ciclosporin, Mycophenolat Mofetil, Chloambucil, Tetrazyklinantibiotika in Kombination mit Niacinamid und andere. Aufgrund der geringen Anzahl an Fällen, existieren bisher keine genauen Therapieschemata für die jeweiligen Erkrankungen. Im Folgenden sind die wesentlichen klinischen Unterschiede der häufigsten AISBD-Erkrankungen beim Hund beschrieben. Ein zusammenfassender Überblick ist in Tabelle 1 hinterlegt. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 217

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Tabelle 1: Charakteristika der häufigsten AISBD beim Hund AISBD Häufigkeit innerhalb der AISBD Rasse- prädisposition Medianes Alter (Jahre) 6 MMP +++ Deutscher Schäferhund Dominante Verteilung der Hautläsionen Mukosa/ mukokutane Hautareale Mukosa/ mukokutane Hautareale + Behaarte Haut (Pfotenballen, Friktionsstellen) Behaarte Haut (v.a. Rumpf) Hauptantigen Collagen XVII Ebene der Spaltbildung Lamina lucida Collagen VII Lamina densa Collagen XVII Lamina lucida EBA ++ Deutsche Dogge 1 BP + - 5 Mucous Membrane Pemphigoid (MMP) Der Mucous Membrane Pemphigoid (MMP) ist die häufigste Erkrankung aus dem AISBD-Komplex beim Hund mit einer Prävalenz innerhalb der AISBD von 48 % (1, 3). Im Jahr 2001 wurde das Zielmolekül entdeckt, gegen welche sich die Autoantikörper am häufigsten richten: Collagen XVII, ein spezifisches Protein im Hemidesmosom (4). Die daraus folgende Spaltbildung in der Haut befindet sich im Bereich der Lamina lucida der Basalmembranzone. Klinisch sind vor allem ulzerative Läsionen im Bereich der Schleimhäute und der mukokutanen Übergänge auffällig (5, 6). Der Deutsche Schäferhund und dessen Kreuzungen sind prädisponiert (29 %) (1). Durchschnittlich tritt die Erkrankung im mittleren Alter von 5 Jahren auf, ein Drittel sind älter als 8 Jahre. Der MMP stellt sich klinisch meist in langsamer Entwicklung und ohne sichtbare Vesikel und/oder Blasen (Primärlasion) dar, sondern aufgrund deren schneller Ruptur meist durch das zunehmende Auftreten tiefer Erosion und Ulzerationen. Am häufigsten ist die Maulschleimhaut betroffen (63 %). In etwa der Hälfte der Fälle sind zudem die mukosalen und perimukosalen Hautareale der Augen (44 %), der Lefzen (54 %) und des Nasenspiegels (59 %) betroffen. Genital- und Analbereich können ebenfalls involviert sein – hier meist perimukosal (46 %). Die Ausprägung ist typischerweise bilateral symmetrisch. Die behaarte Haut ist bedeutend seltener betroffen (10 %), hierbei am häufigsten an den konkaven Pinnae, seltener noch an Friktionsstellen und meist nicht stark. Histopathologisch ist eine subepidermale Vesikelbildung ohne wesentliche Anzahl an Entzündungszellen typisch (5). Mittels einer PAS- oder einer immunhistochemischen Färbung von Collagen IV (entspricht der Lokalisation der Lamina densa) kann eine Sichtbarmachung des Vesikelbodens einen MMP zumindest von einer EBA differenzieren. Leider ist die Sensitivität dieser Technik gering. Therapeutisch ist der MMP meist innerhalb weniger Monate in Remission zu bekommen, rezidiviert jedoch häufig – v.a. bei Dosisreduktionen – sodass eine lebenslange Therapie in der Regel notwendig ist. EBA Die Epidermolysis bullosa aquisita (EBA) ist die zweithäufigste Erkrankung aus dem AISBD-Komplex mit einer Prävalenz von 26 % innerhalb der AISBD beim Hund (1). Autoantikörper sind hier gegen das Collagen VII gerichtet, mit folgender Spaltbildung im Bereich der Lamina densa der Basalmembranzone (7), im Vergleich zum MMP also tiefer gelegen. Im Unterschied zum MMP tritt die EBA meist im frühen Alter von unter einem Jahr auf (46 %; Median: 1,2 Jahre) und die prädisponierte Rasse ist die Deutsche Dogge (58 %). Der Deutsch Kurzhaar ist die zweithäufigste betroffene Rasse (13 %). Die Entstehung der EBA ist anders als beim MMP häufig akut innerhalb weniger Tage und deutlich schwerwiegender im Verlauf. Lethargie, Pyrexie und Schmerzen sind in über 90 % der Fälle typische Begleitsymptome nebst den auftretenden Hautveränderungen. Klinisch sind Vesikel und Blasen oftmals sichtbar - im Unterschied zum MMP. Erosion, Ulzera und auch erythematöse Maculae bis 218 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Plaques sind ebenfalls häufig anzutreffen. Betroffene Lokalisationen sind die Maulhöhle (92 %), Lefzen (79 %), Nasenspiegel (60 %), konkave Pinnae (79 %) und die behaarte Haut - im Gegensatz zum MMP – in über 90 % der Fälle vor allem an Friktionsstellen, wie Achsel- und Leistenbereich. Zudem sind charakteristischer Weise häufig die Pfotenballen (71 %) betroffen. Histopathologisch ist eine subepidermale Blasenbildung mit einer dominanten Anzahl an Entzündungszellen (meist neutrophile Granulozyten) typisch. Mittels einer PAS- oder einer immunhistochemischen Färbung von Collagen IV kann eine positive Färbung des Vesikel-/Blasendaches hinweisend auf eine EBA sein. Entgegen früherer Meinungen kann eine EBA in den meisten Fällen mittels immunsuppressiver Kombinations-Therapie innerhalb von 2-3 Monaten kontrolliert werden. Einmal in Remission, kann die Therapie häufig wesentlich reduziert und in manchen Fällen sogar beendet werden (1, 7). Abb.1 Pfotenballen eines Hundes mit einer AISBD (V.a. Epidermolysis bullosa aquisita): scharf begrenzte Ulzerationen als Folge rupturierter subepidermaler Blasen. BP Das Bullöse Pemphigpid (BP) ist sehr selten, wenngleich die dritthäufigste AISBD des Hundes (10 %) (1, 2, 8). Das Hauptantigen gegen das sich die Autoantikörper richten ist hier ebenfalls das Collagen XVII, wie auch beim MMP. Sicher nachgewiesen und publiziert sind bislang lediglich 9 Fälle. Beim Menschen hingegen ist der BP mit Abstand die häufigste AISBD. Historisch wurden daher in der Veterinärdermatologie bis in die 90er Jahre hinein einige Fälle vermutlich fälschlicherweise dem BP zugerechnet, da bis hierhin die molekulare Feindiagnostik noch keine genauere Differenzierung zuließ (3). Die Hautläsionen des BP orientieren sich anders als beim MMP und der EBA hauptsächlich am Rumpf, Schleimhäute sind selten betroffen. Die Entstehung im mittleren Alter am häufigsten, eine Rasseprädisposition ist nicht bekannt. Die wenigen Fälle zeigten Erosionen, Ulzera (89 %) und Krusten, nur in der Hälfte der Fälle sichtbare Vesikel oder Blasen (44 %). Die Lokalisationen beliefen sich zu 100 % auf die behaarte Haut (meist Friktionsstellen) und nur zu ca. 60 % auf muköse oder mukokutane Areale. Pfotenballen, Krallenfalze oder Genital-/Analbereiche waren in weniger als 25 % betroffen und in den meisten Fällen mild. ist Histopathologisch ist eine subepidermale Blasenbildung mit einer dominanten Anzahl an Entzündungszellen (meist eosinophilen Granulozyten) typisch. Mittels einer PAS- oder einer immunhistochemischen Färbung von Collagen IV kann eine positive Färbung des Vesikel-/Blasenbodens hinweisend auf einen BP sein und von einer EBA abgrenzen. Das BP sprach in den berichteten Fällen gut auf eine immunsuppressive Therapie an. Ähnlich dem Therapieverlauf der EBA konnte die Therapie nach Remission häufig wesentlich reduziert und in manchen Fällen sogar beendet werden (1). 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 219

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Literatur 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. Bizikova P, Olivry T, Linder K et al. Spontaneous autoimmune subepidermal blistering diseases in animals: a comprehensive review. BMC Vet Res 19, 55 (2023). Aymeric E, Bensignor E. A case of presumed autoimmune subepidermal blistering dermatosis treated with oclacitinib. Vet Dermatol. 2017;28(5):512–e123. Olivry T. An autoimmune subepidermal blistering skin disease in a dog? The odds are that it is not bullous pemphigoid. Vet Dermatol. 2014;25(4):316–8. Olivry T, Dunston SM, Schachter M, Xu L, Nguyen N, Marinkovich MP, et al. A spontaneous canine model of mucous membrane (cicatricial) pemphigoid, an autoimmune blistering disease affecting mucosae and mucocutaneous junctions. J Autoimmun. 2001;16(4):411–21. Tham HL, Olivry T, Linder KE, Bizikova P. Mucous membrane pemphigoid in dogs: a retrospective study of 16 new cases. Vet Dermatol. 2016;27(5):376–e94. Olivry T, Chan LS. Spontaneous canine model of mucous membrane pemphigoid. In: Chan LS, editor. Animal models of human inflammatory skin diseases. 1st ed. Boca Raton: CRC Press; 2004. p. 241–9. Bizikova P, Linder KE, Wofford JA, Mamo LB, Dunston SM, Olivry T. Canine epidermolysis bullosa acquisita: a retrospective study of 20 cases. Vet Dermatol. 2015; 26(6):441–50. Olivry T, Chan LS. Natural bullous pemphigoid in companion animals. In: Chan LS, editor. Animal models of human inflammatory skin diseases. 1st ed. Boca Raton: CRC Press; 2004. p. 241–9. Kontakt Dr. Maren Dölle; AniCura Tierärztliche Spezialisten Hamburg GmbH maren.doelle@anicura.de 220 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Der dermatologische Notfall: Pemphigus foliaceus / vulgaris beim Hund Nina Thom Kleintierklinik Justus-Liebig-Universität Gießen, Kleintierpraxis Aartalsee, Hohenahr Das Wort „Pemphigus“ stammt aus dem Griechischen und bedeutet „Blase“, angelehnt an die primäre Läsion beim Menschen. Zum Pemphigus Komplex gehören in der Human- und Tiermedizin mehrere Formen, entsprechend der klinischen und histologischen Unterschiede. Beim Hund ist der Pemphigus foliaceus die häufigste autoimmune Hauterkrankung. Der Pemphigus vulgaris ist tritt sehr selten auf, kann aber aufgrund der Tiefe der Läsionen und der Schwere der Erkrankung ein perakuter lebensbedrohlicher dermatologischer Notfall sein. Zur Erkrankung kommt es, wenn auf ein genetisch bzw. immunologisch prädisponiertes Individuum auslösende Faktoren als Trigger wirken. Neben chronischen Hauterkrankungen und Infektionen sind UV-Licht und Medikamente als Auslöser bekannt. Der zentrale Mechanismus in der Pathogenese des Pemphigus ist der durch Autoantikörper gegen desmosomale Proteine bedingte Verlust der interzellulären Kohäsion der Keratinozyten, der zur Akantholyse führt. Damit ergibt sich eine Ablösung der Keratinozyten aus dem Zellverband und eine Abrundung der Zelle, was zu dem in der Zytologie typischen Bild des „akantholytischen Keratinozyten“ führt. Dazu kommt es beim oberflächlichen Pemphigus foliaceus im Stratum spinosum. Der tiefe Pemphigus vulgaris zeichnet sich durch eine suprabasale Akantholyse aus, sodass die basalen Keratinozyten als „Reihe von Grabsteinen“ unter einem epidermalen Spalt stehen. Klinisch entsteht so die Blase als Primärläsion. Beim Pemphigus foliaceus sind Pusteln die primäre Läsion, die schnell zu Krusten werden, beim Pemphigus vulgaris stehen fragile transiente Vesikel und daraus resultierende Erosionen und Ulzerationen im Vordergrund. Pemphigus foliaceus Beim Hund sind diverse Rassen (Chow Chow, Dackel, Spaniel usw.) für einen Pemphigus foliaceus prädisponiert. Klinisch zeigen sich im Anfangsstadium Pusteln, die sich zu Erosionen und Krusten weiterentwickeln. Die Läsionen sind in der Regel bilateral symmetrisch verteilt. Der Beginn der Erkrankung beim Hund ist meist im Gesicht: Nasenrücken, Pinnae, periokulär („classical facial pemphigus“) oder mit Läsionen vor allem am Rumpf („truk dominant pemphigus“) auch die Sohlenballen sind häufig betroffen (Ablösung, Erosionen, Hyperkeratose). Erste Hinweise, neben dem Vorbericht und dem klinischen Bild, erhält man in der zytologischen Untersuchung von Abklatschpräparaten. Diese werden am besten von Inhalt einer intakten Pustel gewonnen. Die neutrophilen Granulozten sind nicht degeneriert und es finden sich akantholytische Keratinozyten. Bakterien und neutrophile Karyolyse sind nur in sekundär infizierten Läsionen sichtbar. Die definitive Diagnose lässt sich jedoch nur mittels der histologischen Untersuchung von Hautbiopsien stellen, da sowohl eine Staphylokokken-, als auch eine Trichopyton - Infektion klinische und zytologische Differentialdiagnosen sein können, die außerdem auch zu einer Akantholyse führen können. Die Wahrscheinlichkeit eines Pemphigus foliaceus steigt jedoch ab mit steigender Anzahl akantholytischer Keratinozyten pro Gesichtsfeld und wenn diese „Cluster / Nester“ bilden. Für die histologische Diagnosestellung ist ebenfalls eine intakte Pustel bevorzugt. Man findet typischerweise nicht-degenerierte neutrophile Granulozyten und akantholytische Keratinozyten, die in Pusteln im Bereich der subkornealen Epidermis liegen. Pemphigus vulgaris Aufgrund der Seltenheit dieser tiefen Form des Pemphigus ist keine Rassedisposition bekannt. Die Läsionen finden sich symmetrisch vor allem in der Mundhöhle und an mukokutanen Übergängen, seltener auch in 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 221

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ behaarter Haut, meist an Achsel und Leiste, sowie Krallenbetten und Ballen. Die meist perakut betroffenen Tiere sind aufgrund der Tiefe der Läsionen systemisch krank, anorektisch und febril. Auch hier ist die Histologie unerlässlich für die Diagnosestellung, die Zytologie kann nur unspezifische Befunde liefern. Die suprabasale Akantholyse der Epidermis und / oder Mukosa mit folgender Spalt- oder Vesikelbildung oberhalb ist das diagnostische Merkmal in der Histopathologie. Die Basalzellen distanzieren sich lateral und apikal voneinander und stehen als Reihe einzelner Zellen auf der Basalmembran („row of tombstones“). Im Spalt können freie akantholytische Keratinozyten flotieren. Therapie Wie bei jeder immunsuppressiven Therapie gilt das wichtige Prinzip „Primum non nocere / First, do no harm“. Die Medikation (Art der Applikation: topisch / systemisch), Wahl der Wirkstoffe und Dosis) sollte stetig an das klinische Bild angepasst werden. Schon initial sollten potentielle Kurz- und Langzeitnebenwirkungen bedacht und mit den Besitzern diskutiert werden. Das Ziel der Therapie ist die Suppression der Autoimmunreaktion. Da diese Therapie meist langfristig, häufig lebenslang, durchgeführt werden muss, hängt die Prognose nicht nur von der erfolgreichen Unterdrückung der Hautläsionen ab, sondern auch von den Nebenwirkungen der Behandlung. Für die immunsuppressive oder immunmodulatorische Therapie stehen verschiedene Medikamente zur Verfügung. Das initiale Mittel der Wahl und die gängigste Therapie sind Glucocorticoide. Sie reduzieren die Bildung von Antikörpern, und inhibieren die Proliferation von Lymphozyten und vermindern die Produktion von Entzündungsmediatoren. Bei der systemischen Therapie mit Prednisolon beispielsweise beginnt man mit 1 - 4 mg/kg/24h. Die Dauer wird an das klinische Bild angepasst und sobald sich eine keine neuen Läsionen mehr entwickeln und die Entzündungen in Remission sind wird die Dosis reduziert, um mittelfristig alle 48h verabreicht zu werden. Bei der alternierenden Gabe jeden 2. Tag reduzieren sich die vielfältigen Langzeitnebenwirkungen der Steroide. Ziel sollte es sein, die Dosis bzw. die Frequenz der Gabe so weit als möglich reduzieren zu können. Gegebenenfalls ist sogar das Absetzen der Medikation möglich. Nur etwa 35% der Fälle sprechen zufriedenstellend auf Glucocorticoide allein an. Daher werden häufig zusätzliche Medikamente als „Steroid-sparende“ Therapie zur Reduktion der Langzeitnebenwirkungen oder zur Potenzierung der immunsuppressiven Wirkung eingesetzt. Ein Medikament der Wahl kann das Cyclosporin sein, welches für die canine Atopie zugelassen ist, aber als Immunmodulator für diverse Erkrankungen zum Einsatz kommt und eine deutlich bessere langfristige Verträglichkeit als Glucocorticoide hat. Als Calcineurininhibitor hemmt es primär die T-Zell Funktion und Zytokinproduktion. Es greift also deutlich gezielter in die Immunantwort ein als Glucocorticoide und hat als Hauptkurzzeitnebenwirkung Erbrechen und Durchfall, bei langfristiger Anwendung kann es zu einem längeren und dichteren Fell kommen und dosisabhängig reversible Zahnfleischwucherungen können auftreten. Die initiale Dosis liegt bei etwa 5 mg/kg/Tag, kann aber je nach Schwere der Symptomatik variieren und das Ausschleichen erfolgt graduell anhand der klinischen Befunde. Ein spezielles labordiagnostisches Monitoring ist hier nicht erforderlich, ratsam ist eine Überprüfung der Leberwerte 2-3 x jährlich. Für die gute Wirksamkeit beim Pemphigus foliaceus liegen Daten aus Fallserien vor. Oclacitinib, das ebenfalls für die canine atopische Dermatitis zuglassen ist, aber u.a. bei immunmediierte Vaskulopathien erfolgreich eingesetzt wird, zeigte sich als zusätzlicher Immunmodulator hilfreich in einem Fall vom Pemphigus vulgaris und zeigte einen vergleichbar guten steroid-sparenden Effekt bei Hunden mit Pemphigus foliaceus wie Azathioprin in einer initialen Dosis von etwa 0,55mg/kg/ 12h. Durch die Janus-Kianse 1 Hemmung kommt es hier zur selektiven Immunsuppression durch Hemmung pro-inflammatorischer Zytokine. Seltene Nebenwirkungen können milde, meist vorrübergehende gastrointestinale Störungen oder auch PU/PD sein. Ein labordiagnostisches Monitoring ist nicht zwingen erforderlich, ratsam ist eine 1 -2 x jährliche hämatolgische Kontrolle und Kontrolle der Blutchemie. Mycophenolat Mofetil ist für B- und T- Lymphozyten selektives Immunsuppressivum. Es wirkt durch Hemmung eines Enzyms der Guanosinsynthese, sodass die Zellproliferation unterbunden wird. Zu den häufigsten Nebenwirkungen zählen hämorrhagische Gastroenteritiden, welche teilweise schwer verlaufen. Die Startdosis leigt bei 20 -40 mg/kg/Tag. Zum Monitoring gehört die 2-3 wöchentliche hämatologische 222 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Untersuchung in den ersten 1 -2 Monaten, die im weiteren Verlauf alle 2 – 3 Monate überprüft werden sollte. Für die Wirksamkeit beim Pemphigus foliaceus liegen bisher nur wenige Daten vor, daher und wegen der potentiell schweren gastrointestinalen Nebenwirkungen sollte es nur nach gründlicher Abwägung als Steroid sparendes Medikament beim Pemphigus foliaceus eingesetzt werden. Das Zytostatikum Azathioprin ist ein Antimetabolit der Nukleinsäure Purin und damit auch zytotoxisch für T- Zellen und führt zur Reduktion der auf Antikörpersynthese. Es wird meist in Kombination mit Glucocorticoiden eingesetzt. Beim Hund liegt die Initialdosis bei 1-2 mg/kg 24 – 48 h. In Anlehnung an die Humanmedizin wird vermutet, dass bis zum Wirkungseintritt 4 – 8 Wochen vergehen, eine Studie beim Hund gibt es dazu aber nicht. Obwohl das Medikament in den allermeisten Fällen sehr gut vertragen wird, kann es zu schwerwiegenden Nebenwirkungen kommen. Die wichtigsten sind Myelosuppression, Hepatotoxizität und eine akute Pankreatitis. Die Azathioprin Therapie bedarf daher eines engeren Monitorings als die Monotherapie mit Glucocorticoiden. Hämatologie und Blutchemie sollte während der ersten 3 Monate etwa alle 2-3-Wochen kontrolliert werden. Danach können Abstände größer gewählt werden. Chlorambucil ist ein alkylierendes Zytostatikum. Die Dosis ist 0,1- 0,2mg alle 24 – 48h, wobei Nebenwirkungen und Monitoring dem Azathioprin ähnlich sind. Cyclophosphamid ist ein weiteres alkylanierednes Zytostatikum, welches als mögliche Behandlung des Pemphigus beschrieben ist. Aber wegen der zusätzlichen Gefahr einer hämorrhagischen Zystitis wird es nicht als Routinetherapie beim Pemphigus eingesetzt. Die Kombination aus Tetrazyklin (Doxicyclin) und Niacinamid wirkt antiinflammatorisch, beispielsweise durch die Reduktion der Komplementsystemaktivierung, Verminderung der Prostaglandin- und Antikörpersynthese. Niacinamid vermindert unter anderem die Mastzelldegranulation und inhibiert die Phosphodiesterase. Vermutlich dauert auch bei dieser Therapie der Wirkungseintritt 4 – 8 Wochen. Äußerst kritisch betrachtet werden muss diese Option allerdings hinsichtlich der Resistenzproblematik bei einer langfristigen Antibiotikagabe, so dass sie durch alternative Therapieoptionen, wie Cyclosporin oder Oclacitinib in Fällen von Pemphigus obsolet geworden ist. Prognose Die Prognose auf eine vollständige Heilung nach Absetzen der Medikamente ist als vorsichtig zu betrachten und ist abhängig von der vorliegenden Form (oberflächlich – tief, lokalisiert –generalisiert). Retrospektiven Studien zum Pemphigus foliaceus beschreiben eine Langzeit-Überlebensrate von bis zu 82,5 %. Die meisten dieser Patienten standen unter niedrig dosierter Dauermedikation, aber in selteneren Fällen kann eine dauerhafte Remission auch nach vollständigem Absetzen der Medikamente erreicht werden. Literatur Fitzpatrick´s Dermatology in General Medicine; 6th Edition 2003, Section 9, 59, p 558 ff 1. 2. Muller and Kirk´s Small Animal Dermatology, 6th Edition 2001; Chapter 9, p 667 ff 3. Olivry T: A Review of Autoimmune Skin Diseases in Domestic Animals I - superficial Pemphigus; Vet Derm 2006, 17, 291 – 305 4. Rosenkrantz W: Pemphigus: Current Therapy; Vet Derm 2004, 15, 90 – 98 5. Amagai M et al: The molecular logic of pemphigus and impetigo: the desmoglein story, Vet Derm 2009, 20, 308 -312 6. Gomez S et al: Outcome and complications associated with treatment of pemphigus foliaceus in dogs: 43 cases (1994– 2000); JAVMA 2004, 224 (8),1312 - 1316 7. Müller et al: Pemphigus Foliaceus in 91 Dogs; JAAHA 2006, 42, 189 – 196 8. Bizikova P, Linder KE, Mamo LB. Trunk-dominant and classic facial pemphigus foliaceus in dogs - comparison of anti- 9. desmocollin-1 and anti-desmoglein-1 autoantibodies and clinical presentations. Vet Dermatol. 2022 Oct;33(5):414-425. Jordan TJM, Affolter VK, Outerbridge CA, Goodale EC, White SD. Clinicopathological findings and clinical outcomes in 49 cases of feline pemphigus foliaceus examined in Northern California, USA (1987-2017). Vet Dermatol. 2019 Jun;30(3):209- e65. 10. Deep pemphigus (pemphigus vulgaris, pemphigus vegetans and paraneoplastic pemphigus) in dogs, cats and horses: a comprehensive review Heng L. Tham, Keith E. Linder, Thierry Olivry 11. Putra, A., Austel, M. and Banovic, F. (2022), A retrospective evaluation of the steroid sparing effects of oral mycophenolate mofetil (MMF) as an adjunct immunosuppressant for the treatment of canine pemphigus foliaceus. Vet Dermatol, 33: 77- e24. https://doi.org/10.1111/vde.13028 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 223

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ 12. Chong E, Austel M, Banovic F. A Retrospective Evaluation of the Steroid-Sparing Effect of Oral Modified Ciclosporin for Treatment of Canine Pemphigus Foliaceus. Vet Sci. 2022 Mar 23;9(4):153. doi: 10.3390/vetsci9040153. PMID: 35448651; PMCID: PMC9029188. 13. Fukushima K, Lappin M, Legare M, Veir J. A retrospective study of adverse effects of mycophenolate mofetil administration to dogs with immune-mediated disease. J Vet Intern Med. 2021 Sep;35(5):2215-2221. doi: 10.1111/jvim.16209. Epub 2021 Jul 6. Erratum in: J Vet Intern Med. 2022 Sep;36(5):1844. PMID: 34231261; PMCID: PMC8478029. 14. Hernandez-Bures, A, Bidot, WA, Griffin, CE, Rosenkrantz, WS. The use of oclacitinib compared to azathioprine in the management of canine pemphigus foliaceus: A retrospective analysis. Vet Dermatol. 2023; 00: 1–13. https://doi.org/10.1111/vde.13203 Kontakt Dr. Nina Thom; Kleintierklinik Justus-Liebig-Universität Gießen; Kleintierpraxis Aartalsee, Hohenahr; Nina.Thom@vetmed.uni-giessen.de 224 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Die Katze mit Juckreiz an Kopf und Nacken Ralf Mueller Kleintierklinik der Ludwig-Maximillians-Universität, München Die Katze mit Juckreiz an Kopf und Nacken kann durch miliare Dermatitis in diesem Bereich oder durch Alopezie, Erosionen und Geschwüre gekennzeichnet sein. Bei leichter Erkrankung sind die Veränderungen visuell unauffällig, die Krusten sind aber leicht bei der Palpation zu spüren. Die Liste der Differentialdiagnosen ist sehr lang. Allergien (insbesondere atopische Dermatitis und Futterreaktionen) und Ektoparasiten (Otodectes cynotis, Notoedres cati) sind jedoch die häufigsten Ursachen. Manche der Ektoparasiten sind in bestimmten Regionen sehr selten, in anderen kommen sie regelmäßig vor. Pemphigus foliaceus, obwohl bei der Katze vorkommend, ist typischerweise durch großflächigere Krusten ohne ausgeprägten Juckreiz gekennzeichnet. Dermatophytosen sind häufig mit fokaler Alopezie verbunden, die sich langsam ausweitet. Bei älteren Katzen sollte auch an Tumoren gedacht werden. Sekundäre Infektionen kommen natürlich bei der Katze ebenfalls vor, Bakterien und Hefen können zur Symptomatik beitragen. Nach gründlicher Anamnese und Untersuchung stellen wir unsere Differentialdiagnosen zusammen. Wenn eine bestimmte Ursache auf Grund dieser Befunde wahrscheinlich ist, konzentrieren wir uns auf diese zuerst. Saisonale Dermatitis im Sommer spricht für Flohbefall oder für atopische Dermatitis. Flohkontrolle sowie in schweren Fällen symptomatische Behandlung mit Chlorpheniramin (2-4mg/Katze zweimal täglich) für die ersten 2 Wochen oder Prednisolon (1-2 mg täglich) für eine Woche. Wenn nach 4 Wochen die Symptome abgeklungen sind, lag entweder eine Flohbissallergie vor oder eine saisonale Atopie ist ohne Ihre Mithilfe abgeklungen. War die ersten 2 Wochen eine klare Besserung zu verzeichnen, dann aber eine Verschlechterung, liegt keine Flohbissallergie vor, aber Chlorpheniramin oder Prednisolon wirkt bei diesem Patienten zufriedenstellend. Wenn Selamectin oder Imidacloprid/Moxidectin zur Flohkontrolle eingesetzt werden, hat man gleichzeitig andere Ektoparasiten wie Otodectes erfolgreich behandelt. Sind mehrere Tiere oder Kontaktpersonen betroffen, sollte zuerst ein Hautgeschabsel durchgeführt werden. Im Gegensatz zum Hund ist Räude bei der Katze relativ leicht zu diagnostizieren. Kopf und Halsgegend sind hauptsächlich betroffen und gründliche Hautgeschabsel sind positiv. Wenn die Hautgeschabsel negativ sind, können Proben für eine Pilzkultur und/oder Hautbiopsien entnommen werden. Die billigere Alternative in Gegenden mit regelmäßigem Milbenbefall ist eine Versuchstherapie mit Selamectin (6 mg/kg) als Spot-on alle 2 Wochen für 3-4 Behandlungen oder Moxidectin Spot-on monatlich für 2-3 Behandlungen. Kontaktkatzen müssen mitbehandelt werden. Wenn Sie mit Ihrer bisherigen Untersuchung keine weiterführenden Hinweise erhalten haben, ist ein Tesapräparat und/oder Abklatschpräparat zur zytologischen Auswertung der nächste Schritt. Für Abklatschpräparate können Sie eine Kruste entfernen und Proben von der darunter liegenden Erosion nehmen. Zeigt Ihr Zytologiepräparat, dass eine Pyodermie vorliegt, müssen Sie dieselbige natürlich behandeln. Wenn beide Proben negativ sind, empfehlen sich je nach Bereitschaft des Besitzers und Schwere und Chronizität des Falles die folgenden Vorgehensweisen: Bei nicht-saisonalem Auftreten kann zusätzlich eine Eliminationsdiät verabreicht werden. Bei Katzen wird ausschließlich eine Eiweißquelle verabreicht, da viele Tiere sich standhaft weigern, Reis oder Kartoffeln als Teil einer normalen Ernährung zu akzeptieren. Wenn nach einem Monat keine Besserung eingetreten ist, liegen weder Flohbissallergie noch Futtermittelallergie vor. Ist der Patient in Remission, wird das ursprüngliche Futter gegeben, während die Flohkontrolle fortgesetzt wird. Ist innerhalb von 2 Wochen kein Rezidiv zu verzeichnen, ist eine Futtermittelallergie ausgeschlossen und die Katze hatte entweder Flohbissallergie oder saisonale Atopie, die unabhängig von Ihrer Behandlung verschwand, weil die Saison der betreffenden Allergene vorbei war. Je mehr Versuchstherapien Sie parallel durchführen, um so sorgfältiger muss ein Zeitplan aufgestellt werden, der es Ihnen ermöglicht, am Ende Ihres Cocktails eine Diagnose oder zumindest eine Verdachtsdiagnose zu stellen, um im Falle eines Rezidivs nicht wieder mit allem von vorn anfangen zu müssen. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 225

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ ist Um seltene Erkrankungen frühzeitig ausschließen zu können sowie einige Hinweise für Ihre weitere diagnostische Aufarbeitung zu gewinnen, empfiehlt es sich des Öfteren, als ersten Schritt Proben für eine Hautbiopsie zu entnehmen. Die Biopsie in der Diagnose von Ernährungsdefiziten und Autoimmunerkrankungen unabdingbar, wird die Diagnose von Dermatophytosen und Pyodermien erheblich beschleunigen und kann Ihnen in manchen allergischen Fällen Hinweise auf die Art der Allergie geben (bei Flohbissallergie und bei anderen Ektoparasiten sind eosinophile Granulozyten in der superfiziellen Dermis oder Epidermis charakteristisch). Kontakt Prof. Dr. Ralf Müller; Medizinische Kleintierklinik, Ludwig-Maximillians-Universität München 226 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Die Kahle Katze – Psychogen oder Allergie-bedingt? Wie kann man diese unterscheiden? Sonya Bettenay Tierdermatologie Consultations Oberhaching Abstract Eine Glatze ist in den Augen der meisten Besitzer definitiv nicht schön. Katzen werden oft wegen Fellverlust vorgestellt. Dies wird häufig durch übermäßige Pflege verursacht und kann mit einer psychogenen Erkrankung verbunden sein. Allerdings kommt es häufiger vor, dass bei sorgfältiger Untersuchung eine zugrunde liegende Ursache identifiziert werden kann. Manche Katzen haben, natürlich, beide Faktoren: eine feststellbare Dermatose (z.B. Allergie, Infektion) und eine gleichzeitige psychogene Komponente. Ein wichtiger Teil jeder dermatologischen Untersuchung ist eine sorgfältige und aussagekräftige Anamnese. Historische Fragen, die sich insbesondere an möglichen allergischen Erkrankungen orientieren, sind essentiell. Hinweisen auf eine Allergie oder Ektoparasiten soll gesucht werden. Es müssen Tests zum Ausschluss möglicher Infektionen (Dermatophyten oder sekundäre Mikroorganismen einschließlich Malassezien und Bakterien oder die oben genannten Ektoparasiten) durchgeführt werden. Wenn der Besitzer keinen Juckreiz bemerken, muss dennoch die Möglichkeit eines selbstverursachten Problems in Betracht gezogen werden, da sich manche Katzen privat verstecken und übermäßig viel Fell ausrupfen. Wenn Pruritus bestätigt wird oder vermutet wird und Allergien in Betracht gezogen werden, kann eine Abklärung zur Untersuchung auf Infektionen und zum Ausschluss (durch Behandlung aller Haustiere im Haushalt) von Ektoparasiten eingeleitet werden (sogenannte Allergieabklärung). Allergische Dermatitis ist Die Diagnose erfolgt erst nach Ausschluss aller anderen Ursachen. Katzen stellen eine besondere Herausforderung dar, da sie häufig die Einnahme von Medikamenten verweigern, Besitzer häufig davor zurückschrecken, Wohnungskatzen gegen Ektoparasiten zu behandeln, und wenn wir bei einer Katze mit ganzjährigem Juckreiz eine Nahrungsmittelallergie vermuten, verweigern sie häufig eine Eliminationsdiät. Schließlich können Katzen, die unterstimuliert sind, tatsächlich irgendeine Form eines psychogenen Selbsttraumas entwickeln. Klinische Untersuchung Dermatologie erlaubt, mehr als jede andere Spezialdisziplin, eine visuelle Verbindung zwischen klinischen Veränderungen und Pathologie herzustellen. Klinische Definitionen und ein klares Verständnis der Entwicklung erlaubt es, eine Diagnose schneller zu erreichen. Wichtige Fragen, die wir während der klinischen Untersuchung beantworten möchten, sind: welchen genauen primären und / oder sekundären Läsionen sind vorhanden? Die Ursache der Alopezie lässt sich besser erraten, wenn wir Haut und Haarkleid genau untersuchen. Haarausfall entsteht entweder durch Bruch bestehender Haarschäfte, durch Schädigung des Haarfollikels (z.B. immunvermittelte Krankheit oder Entzündung/Infektion) oder durch ein Fehlen des Haarwachstums (Dysplasie / Dystrophie/ Hormonbedingt). Bei Katzen kommt auch oft die Frage, ob Selbsttrauma eine Rolle spielt? Alopezie bezieht sich auf einen kompletten Haarausfall, entzündlich oder nicht-entzündlich oder ein fehlendes Wachstum. Hypotrichose ist partieller Haarausfall. Krusten / Schuppen geben ein Hinweis auf die unterliegende, zugrundeliegende Pathologie: Gelbliche, oberflächliche, schuppige Krusten sind häufig mit Seborrhoe oder Pustelbildung assoziert. Pusteln in Katzen sind äußerst selten. Schuppenbildung ist am häufigsten mit Ektoparasiten assoziiert. Fest- steckende, rote Krusten sprechen für einen Ulkus und Blutung. Die zytologische Untersuchung des eitrigen Exsudats unter einer superfiziellen Kruste kann die Entzündungszellart und manchmal beim Pemphigus foliaceus auch akantholytischen Zellen zeigen. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 227

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Klinischer Verlauf Eine dermatologische Untersuchung braucht eine gute Anamnese. Nur bei wenigen Krankheiten kann man basierend auf dem klinischen Bild eine Diagnose stellen. Was waren die ersten Läsionen / Symptome? Ist Juckreiz vorhanden? Saisonalität? Beginnendes Alter? Zusätzliche klinische Symptome? (PU, Durchfall usw) Auf Kortison angesprochen? Auf antimikrobielle Therapie angesprochen? Ektoparasitenbehandlung gegeben? Hautanatomie - & - revision: Die Haare sind wichtig sowohl für die physikalische Barriere der Haut wie auch im sozialen Kontext bzw. für die Paarung. Hormone beeinflussen das Haarwachstum ebenfalls, auf systemischer genauso wie auf lokaler Ebene durch Rezeptoren auf den Haarfollikeln. Allerdings sind Endokrinopathien im Vergleich zu Hunden eine seltene Ursache für Alopezie bei Katzen Angeborene Alopezien sind auch mit Haarschaftabnormalitäten assoziiert. Mögliche Differentialdiagnosen sind: • Allergien • Ektoparasiten • Psychogen • Dermatophytose • Anagen Defluxion (Anamnese) Telogenes Effluvium (Anamnese) • • Hormonelle Krankheiten (Rarität!) • Immunkrankheiten: Alopecia areata / Pseudopelad (selten) Tests, die Mann durchfuhren soll: 1. Tesapräparat: – Durchsichtiges Tesaband ist direkt auf die Hautoberfläche multiple Foci gedrückt und danach auf einen Objektträger mit einem Tropfen Methylenblau oder Laktophenol-Wasserblau oder die Diff Quik 3 (Blaue) Färbe geklebt. Dieser Test kann Ektoparasiten, Dermatophyten, Malassezien und Bakterien identifiziere und ist hochempfehelnswert bei alopezische / hypotrichotischen Stellen. 2. Wood’sche Lampe: - Im Gegensatz zu den Lehrbüchern werden damit fast alle Fälle von M. Canis identifiziert. Wichtig ist die korrekte Interpretation: – es muss eine apfelgrüne Fluoreszenz beobachtet werden, die entlang des Haarschafts verläuft. 3. Superfizielle Hautgeschabsel: Demodex gatoi, eine Milbe, die bei Katzen Alopezie, Juckreiz und Schuppenbildung verursacht, wohnt nicht in die Haarfollikel, sondern in die Epidermis und man findet die „superfiziell“ (auch bei Tesapräparat). 4. Ektoparasiten-diagnostische Behandlung: Die Isoxazolines sind die einfachste Breitspektrum, effektive Medikament die den meisten Milben und Flöhe erledigen wird. Wichtig hier ist ALLE Tiere im Haus soll behandelt werden. 5. Tiefe Hautgeschabsel: Demodex Cati, die in die Haarfollikel-Lumena wohnt, ist bei Katzen eine Seltenheit und oft mit Immunsuppression assoziert. Demodex Cati verursacht eine entzündliche Dermatose, mit Papeln und Krusten, Hautverdicking zusätzlich zur Hypotrichose. 228 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Besitzergespräch Katzen sind oft viel frustrierender für Besitzer als Hunde. Sie nehmen keine Tabletten, sie fressen die Ausschlussdiät nicht, man sieht auch nicht ob die Selbst-traumatisieren. Und juckende Katzen können auch netterweise ihre Blutige Geschenke auf dem Kopfkissen lassen. Katzenbesitzer brauchen nicht nur eine Diagnose und einen erstellten Behandlungsplan. Wichtig für eine erfolgreiche Therapie ist auch, eine realistische Erwartungshaltung zu definieren. Eine besondere Frage ist: ist ein Rezidiv zu erwarten? Auch ist ein Termin für Wiederholungsuntersuchungen bei der Mehrheit der Katzen- Alopezie-Fällen zu empfehlen. Kontakt Dr. Sonya Bettenay, Tierdermatologie Consultations Oberhaching 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 229

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Der dermatologische Patient mit Atemnot – eosinophiles Granulom der Katze Ralf Müller1, Romy M. Heilmann2 1Medizinische Kleintierklinik, Veterinärmedizinische Fakultät, Ludwig-Maximilians-Universität München; 2Innere Medizin der Kleintiere, Klinik für Kleintiere, Veterinärmedizinische Fakultät, Universität Leipzig Das eosinophile Syndrom der Katze beschreibt die Folge einer Überempfindlichkeitsreaktion (z.B. auf Mückenstiche, Flohbisse, Medikamente oder Futterantigene) und kann neben den Hautsymptomen einer allergischen Reaktion (Pruritus, Ödeme, nässende Wunden, Beulen oder auch knotige Erhebungen) zu hochgradigen akuten Zuständen führen. Die Kombination aus dermatologischen Auffälligkeiten und chronisch-intermittierendem Husten bis hin zu akuten respiratorischen Zuständen kann dabei wegweisend sein. (Asthma-Anfällen mit Dyspnoe) Der eosinophile Granulom-Komplex der Katze schließt drei wesentliche Formen ein. Das ohne Sekundärinfektionen apruritische indolente Ulkus betrifft charakteristisch die Oberlippe im Bereich des mukokutanen Übergangs mit fokaler Ulzeration, Fibrosierung und Deformation. Das eosinophile (lineare) Granulom betrifft verschiedene Hautstellen und kann pruritisch sein; charakteristisch sind lineare Hautverdickungen, teils mit Erosionen oder Ulzerationen, im kaudalen Bereich der Oberschenkel und proliferative Läsionen im Bereich von Zunge, hartem Gaumen und/oder Kinn. Eosinophile Plaques sind rundliche, erhabene und häufig erosive bis ulzerierte (häufig sekundär bakteriell infizierte) Läsionen, die mit starkem Juckreiz verbunden sind und an verschiedene Hautstellen auftreten können, am häufigsten im ventralen Bereich des Abdomens und median an den Oberschenkeln. Der Komplex ist häufig durch Futter-, Floh- oder Umweltallergie bedingt, damit sind Eliminationsdiät und Flohbekämpfung integrale Bestandteile der Aufarbeitung. Das eosinophile Granulom kann mit einer eosinophilen Entzündung der Atemwege einhergehen und mit Husten bis hin zu einem asthmatischen Reaktionsmuster einhergehen (1,2). Davon nicht immer klar abgrenzbar ist das eigenständig auftretende Asthma bronchiale der Katze, welches klinisch überlappend eine reversible Einschränkung des Luftstroms darstellt. Diese wird bedingt durch hyperreaktive Atemwege und erhöhte Schleimbildung sowie entzündungsbedingte (eosinophile) chronische Hypertrophie der glatten Muskulatur. Asthma ist eine Unterform der Erkrankung der unteren Atemwege (Bronchien) der Katze und ist von der chronischen Bronchitis durch das von eosinophilen Granulozyten dominierende Zellbild abzugrenzen. Klinisch sind diese beiden Erkrankungen jedoch praktisch nicht zu unterscheiden und es gibt derzeit keinen Goldstandard-Test für die Diagnose von Katzenasthma. Das Aufspüren spezifischer Antigene, die eine asthmatische Reaktion auslösen, kann für die Gestaltung der individuellen Therapie hilfreich sein. Spezies- spezifische Immunassays (ELISA) zur Messung allergenspezifischer IgE im Katzenserum oder Intradermaltests vermögen jedoch lediglich Hinweise auf eine Allergenexposition zu geben (3). In der klinischen Untersuchung können asthmatische Katzen mit Dyspnoe, Keuchen, Husten, exspiratorisch-forcierter Atmung, Nasenausfluss, Tachypnoe bis Dyspnoe und Zyanose auffallen. Auskultatorisch sind ein besonders exspiratorisch verstärktes Atemgeräusch und trockenes Knisterrasseln wahrzunehmen. Da sich die Atemwegssymptome infolge Stresses beim Handling während der Untersuchung der Katze verschlimmern können, ist ein besonders vorsichtiger und möglichst stressarmer Umgang wichtig. Mitunter können die klinische Untersuchung und Auskultation des Thorax auch unauffällig sein. Röntgenaufnahmen des Thorax betroffener Katzen geben häufig ein bronchiales bis bronchointerstitielles Lungenmuster, bisweilen auch eine Hyperinflation der Lunge zu erkennen. Bronchiale Obstruktionen infolge Konstriktion und/oder eines Schleimpropfes können auch zu einem (meist fokal) alveolären (atelektatisch) oder gemischten Lungenmuster führen. Diese Befunde sind allerdings nicht spezifisch und können mitunter auch subtil oder nicht vorhanden sein. Bronchoskopisch fallen bei betroffenen Katzen vor allem hyperämische, ödematöse Bronchialwände mit Schleimansammlung und Lumeneinengung auf. Die zytologische Untersuchung bronchoalveolärer Lavageflüssigkeit (BALF) zeigt eine überwiegend eosinophile Entzündung. Da allerdings eosinophile 230 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Granulozyten auch in BALF gesunder Katzen vorkommen (bis zu 25 % der Zellen in BALF-Zytologie!) und auch andere Atemwegserkrankungen (mykotische Pneumonie, hypereosinophiles Syndrom, Lungenparasiten und Dirofilariose) mit einer erhöhten Zahl an eosinophilen Granulozyten einhergehen kann, ist die Diagnose mitunter schwierig. Ein Risiko der Bronchoskopie bei asthmatischen Katzen besteht in der Auslösung eines hochgradigen Bronchospasmus. auszulösen. Insbesondere in der Akuttherapie finden häufig β2-Adrenergika (bspw. Albuterol-Inhalation) Einsatz, um die Symptome eines Bronchospasmus zu lindern. Aufgrund ihres Nebenwirkungsspektrum sollten diese Bronchodilatatoren bei Katzen mit Kardiopathien, Diabetes mellitus, Hyperthyreose, Hypertension oder Epilepsie vorsichtig in Erwägung gezogen werden. Von einer dauerhaft täglichen Applikation sollte auch aufgrund des entzündungsunterhaltenden Potenzials eher abgesehen werden. Methylxanthine (bspw. Theophyllin) sind für eine chronische Verabreichung eher geeignet. Vorsicht ist bei der Kombination mit Fluorchinolonen, β-adrenergen Agonisten oder Ketamin angezeigt. Die Langzeit-Therapie richtet sich nach dem Spektrum und Schweregrad der klinischen Symptome. Dabei liegt das Ziel in der Unterbindung der Entzündungsreaktion und Stabilisierung der Atemwege, um die klinischen Symptome (insbesondere Dyspnoe) zu lindern und den Gasaustausch zu verbessern. Drängt sich eine immunmodulatorische Therapie auf (z.B. klinische Symptome ≥2-mal wöchentlich), sollte als Glukokortikoid zunächst Prednisolon in einer Anfangsdosis von 1–2 mg/kg PO 2× tägl. gegeben und nach 5–7 Tagen langsam über 1–2 Monate ausgeschlichen werden. Aufgrund der Nebenwirkungen systemischer Glukokortikoidgabe (z.B. Polyurie, Polydipsie, Hautatrophie, schlechte Wundheilung, erhöhte Infektanfälligkeit, Verschlimmerung eines Diabetes mellitus oder kongestiver Herzinsuffizienz) stellen Glukokortikoid-Inhalationspräparate (bspw. Fluticason über einen Dosierinhalator) eine gute alternative Behandlungsoption dar. Infolge ihrer Verabreichung in die Atemwege verbessert sich die lokale Wirksamkeit, während unerwünschten systemische Wirkungen deutlich reduziert sind. Häufig wird Fluticason bis zum Erreichen seiner maximalen Wirkung in den ersten 1–2 Wochen mit einer systemischen Glukokortikoid-Gabe kombiniert und letztere dann zügig ausgeschlichen. Die Gabe von Lipidextrakt aus neuseeländischen Grünlippmuscheln, als Quelle mehrfach ungesättigter Omega-3- Fettsäuren, kann zusätzlich in Betracht gezogen werden. Die Überwachung des Ansprechens auf die Therapie besteht noch immer weitestgehend aus der Beurteilung der klinischen Symptome.  FAZIT FÜR DIE PRAXIS • Das eosinophile Granulom der Katze ist ein häufig auftretendes Syndrom mit verschiedenen klinischen Präsentationen, das häufig durch Allergien (Floh- Futter oder Umweltallergie) bedingt ist. • Eine eosinophile Entzündung der Atemwege kann Bestandteil des eosinophilen Syndroms sein und Symptome von Asthma/allergischer Entzündungsreaktion hervorrufen. • Eine Eliminationsdiät zur Vermeidung von den relevanten Allergenen und gute Flohbekämpfung sind bei der Aufarbeitung und gegebenenfalls der Langzeittherapie essentiell. Glukokortikoide sind ein wichtiger Eckpfeiler in der Therapie der Erkrankung. Unerwünschte systemische Nebenwirkungen einer Langzeitgabe von Glukokortikoiden lassen sich durch Inhalationspräparate minimieren. • Für die Akuttherapie eines Bronchospasmus eignen sich inhalative β2-Adrenergika, für eine chronische Verabreichung sind Methylxanthine eher geeignet. Literatur 1. Bajwa J. Feline atopic syndrome – an update. Can Vet J. 2021; 62(11): 1237–1240. 2. Mueller RS, Nuttal T, Prost C, et al. Treatment of the feline atopic syndrome – a systematic review. Vet Dermatol. 2021; 32: 43– e8. 3. Moriello KA, Stepien RL, Henik RA, Wenholz LJ Pilot study: prevalence of positive aeroallergen reactions in 10 cats with small- airway disease without concurrent skin disease. Vet Dermatol. 2007; 18: 94–100. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 231

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ „Neue“ Eiweißquellen bei Haut- und Darmpatienten: Wie geeignet sind Insekten- und Pflanzenproteine? Nadine Paßlack Professur für Klinische Grundlagenforschung in der Inneren Medizin der Kleintiere, Klinik für Kleintiere (Innere Medizin), Justus-Liebig-Universität Gießen Hintergrund Die Gründe für den Einsatz eines insekten- oder pflanzenproteinbasierten Futtermittels bei Hunden und Katzen sind vielfältig. Aus veterinärmedizinischer Sicht können diese Diäten für Futtermittelallergiker relevant sein. Hier stellt die Auswahl einer gut verträglichen und bislang noch nicht beim Tier eingesetzten Proteinquelle eine zentrale Maßnahme in der Behandlung der Patienten dar (1). In Abhängigkeit von der bisherigen Fütterung können Insekten- und ggf. auch Pflanzenprotein somit eine interessante Fütterungsoption darstellen. Aktuelle Studienlage insbesondere (2-13 u.a.). Nach aktueller Studienlage werden insekten- und pflanzenproteinbasierte Futtermittel meist gut von Hunden im ersten und Katzen akzeptiert und vertragen Untersuchungsabschnitt ein Futter auf Basis von Hermetia illucens Larvenmehl Erbrechen mit nachfolgender Futterverweigerung bei einer von zehn Katzen hervor. Im zweiten Studienabschnitt zeigten drei von zehn Katzen eine geringe Futterakzeptanz, Erbrechen wurde hierbei nicht beobachtet (4). In einer klinischen Studie mit Hunden mit futtermittelassoziierter atopischer Dermatitis wurde ein Futter auf Basis von Mehlkäferlarvenmehl von 14 Hunden gut vertragen. Lediglich ein Hund zeigte gastrointestinale Beschwerden (3). In einer Studie mit Katzen rief Die zur von insekten- publizierten Daten scheinbaren Rohrproteinverdaulichkeit und pflanzenproteinbasierten Futtermitteln für Hunde und Katzen variieren. Während die meisten Futtermittel dabei in einem handelsüblichen (14) Bereich von > 80 % lagen (6-9,11-12,15 u.a.), konnten bei einigen Futtermitteln eher mäßige (4-5,15-16 u.a.) oder teils auch überdurchschnittlich hohe Verdaulichkeiten (2,10,13) festgestellt werden. Mögliche Ursachen für diese Variationen liegen in der Art der Proteinträger (z. B. Verwendung von Proteinisolaten) und der weiteren Zusammensetzung der Futtermischung. Bei Einsatz von Insektenmehlen ist auch der für Hunde und Katzen schwerverdauliche Chitinanteil zu berücksichtigen. Eine eher mäßige Proteinverdaulichkeit des Futters ist insbesondere bei Futtermittelallergikern oder auch allgemein bei Darmpatienten nicht ideal. Bei den betroffenen Hunden und Katzen wäre vielmehr eine möglichst hochverdauliche Diät anzuraten, zudem sollte ein unnötiger Proteinüberschuss im Futter vermieden werden (1). Bislang liegt lediglich eine Studie zum gezielt diätetischen Einsatz von insektenmehlhaltigem Futter bei Heimtieren vor. In der bereits oben erwähnten Studie mit Hunden mit atopischer Dermatitis führte das Futter auf Basis von Mehlkäferlarvenmehl zu insgesamt guten klinischen Ergebnissen, indem bei 12/15 Tieren eine Verbesserung der Hautläsionen und bei 6/14 Tieren eine Verbesserung der Fellqualität festzustellen war (3). Vor dem Hintergrund einer eventuellen Verwendung von insekten- und pflanzenbasierten Futtermitteln bei Haut- und Darmpatienten wäre es darüber hinaus wichtig, dass zukünftige Studien auch die Effekte dieser Futtermittel auf das Immunsystem und die intestinale Mikrobiota weiter untersuchen. Bei Fütterung von Diäten mit pflanzlichen Eiweißträgern (meist in Kombination mit Geflügelmehl) konnte in mehreren Studien bereits gezeigt werden, dass die Konzentrationen an mikrobiell gebildeten Eiweißabbauprodukten (z. B. Ammoniak, Indole, Phenole) in Kotproben von Hunden und Katzen geringer waren als bei ausschließlichem Einsatz von tierischen Eiweißquellen im Futter (2,8-9,12-13). Weiterhin nahmen die Konzentrationen an kurzkettigen Fettsäuren in den Kotproben der Tiere häufig zu (2,8-9,12). Beides könnte auf einen positiven Effekt der pflanzlichen Eiweißlieferanten auf das intestinale Milieu von Hunden und Katzen hindeuten. Allerdings wurden 232 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ diese Studien mit gesunden Tieren durchgeführt, sodass weiterführende Untersuchungen evaluieren müssen, ob günstige und klinisch relevante Veränderungen auch bei Magen-Darm-Patienten auftreten. Ein mögliches Problem, das mit der Fütterung von insekten- oder pflanzenbasierten Diäten auftreten kann, ist - wie bei allen anderen Nahrungseiweißen auch - die eventuelle Auslösung einer Allergie. Auch Kreuzreaktivitäten könnten ggf. eine Rolle spielen und sollten zukünftig näher untersucht werden. Erste Hinweise liefert in dem Zusammenhang eine in vitro-Studie, in welcher Serum-IgE von Hunden, das gegen Futtermilben gerichtet war, auch an Insektenprotein gebunden hat (17). Weiterhin konnten mehrere Untersuchungen zeigen, dass kommerziell erhältliche vegane Alleinfuttermittel häufig nicht geeignet waren, den gesamten Nährstoffbedarf von Hunden und Katzen sicher zu decken (18-21). Hier besteht demnach dringend Optimierungsbedarf, damit bei Hunden und Katzen, unabhängig vom Gesundheitszustand, keine Versorgungsprobleme auftreten. Schließlich ist bei Einsatz von leguminosenhaltigen Diäten auf einen möglichen Zusammenhang zu der Entwicklung einer dilatativen Kardiomyopathie bei Hunden hinzuweisen, der aktuell Gegenstand von zahlreichen Untersuchungen ist. Fazit Insekten- und pflanzenproteinbasierte Futtermittel sind aus diätetischer Sicht aktuell v.a. für Darm- und Hautpatienten zur Bereitstellung einer „alternativen“ Eiweißquelle interessant. Aufgrund der teilweise eher geringen Datenlage sollten zukünftige Studien insbesondere die Effekte dieser Futtermittel auf das Immunsystem und die intestinale Mikrobiota von Hunden und Katzen untersuchen. Auch mögliche Risiken, die von diesen „neuen“ Eiweißquellen ausgehen könnten, sind weiter zu evaluieren. Literatur 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. Verlinden A, Hesta M, Millet S et al. Food allergy in dogs and cats: a review. Crit Rev Food Sci Nutr. 2006;46(3):259- 73. Beloshapka AN, de Godoy MRC, Detweiler KB et al. Apparent total tract macronutrient digestibility, fecal characteristics, and fecal fermentative end-product concentrations of healthy adult dogs fed bioprocessed soy protein. J Anim Sci. 2016;94(9):3826-3834. Böhm TMSA, Klinger CJ, Gedon N et al. Effekt eines Insektenprotein-basierten Futters auf die Symptomatik von futtermittelallergischen Hunden. Tierarztl Prax Ausg K Kleintiere Heimtiere 2018;46: 297-302. Paßlack N, Zentek J. Akzeptanz, Verträglichkeit und scheinbare Nährstoffverdaulichkeit von Alleinfuttermitteln auf Basis von Hermetia-illucens-Larvenmehl bei Katzen. Tierarztl Prax Ausg K Kleintiere Heimtiere. 2018;46(4):213-21. Kröger S, Heide C, Zentek J. Evaluation of an extruded diet for adult dogs containing larvae meal from the Black soldier fly (Hermetia illucens). Anim Feed Sci Technol. 2020;270:114699. Abd El-Wahab A, Meyer L, Kölln M et al. Insect Larvae Meal ( Hermetia illucens) as a Sustainable Protein Source of Canine Food and Its Impacts on Nutrient Digestibility and Fecal Quality. Animals 2021;11:2525. Freel TA, McComb A, Koutsos EA. Digestibility and safety of dry black soldier fly larvae meal and black soldier fly larvae oil in dogs. J Anim Sci 2021;99:skab047. Reilly LM, He F, Rodriguez-Zas SL et al. Use of Legumes and Yeast as Novel Dietary Protein Sources in Extruded Canine Diets. Front Vet Sci. 2021;8:667642. Reilly LM, He F, Rodriguez-Zas SL et al. Effects of graded inclusion levels of raw garbanzo beans on apparent total tract digestibility, fecal quality, and fecal fermentative end-products and microbiota in extruded feline diets. J Anim Sci. 2021;99(12):skab297. Holt DA, Aldrich CG. Evaluation of Torula yeast as a protein source in extruded feline diets. J Anim Sci. 2022;100(12):skac327. Kilburn-Kappeler LR, Lema Almeida KA, Aldrich CG. Evaluation of graded levels of corn-fermented protein on stool quality, apparent nutrient digestibility, and palatability in healthy adult cats. J Anim Sci. 2022;100(12):skac354. Kim HS, Li S, Zheng Y et al. Apparent total tract digestibility and palatability of extruded diets with graded levels of whole soybeans by dogs. Front Vet Sci. 2023;10:1137788. Sieja KM, Oba PM, Applegate CC et al. Evaluation of high-protein diets differing in protein source in healthy adult dogs. J Anim Sci. 2023;101:skad057. FEDIAF 2021. https://europeanpetfood.org/wp-content/uploads/2022/03/Updated-Nutritional-Guidelines.pdf Quilliam C, Ren Y, Morris T et al. The Effects of 7 Days of Feeding Pulse-Based Diets on Digestibility, Glycemic Response and Taurine Levels in Domestic Dogs. Front. Vet. Sci. 2021;8:654223. Quilliam C, Reis LG, Ren Y et al. Effects of a 28-day feeding trial of graincontaining versus pulse-based diets on cardiac function, taurine levels and digestibility in domestic dogs. PLoS ONE 2023;18(5):e0285381. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 233

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ 17. 18. 19. 20. 21. Premrov Bajuk B, Zrimšek P, Kotnik T et al. Insect Protein-Based Diet as Potential Risk of Allergy in Dogs. Animals 2021;11:1942. Kanakubo K, Fascetti AJ, Larsen JA. Assessment of protein and amino acid concentrations and labeling adequacy of commercial vegetarian diets formulated for dogs and cats. J Am Vet Med Assoc 2015;247(4):385-92. Zafalon RVA, Risolia LW, Vendramini THA et al. Nutritional inadequacies in commercial vegan foods for dogs and cats. PLoS ONE 2020;15(1): e0227046 Dodd SA, Shoveller AK, Fascetti AJ et al. A Comparison of Key Essential Nutrients in Commercial Plant-Based Pet Foods Sold in Canada to American and European Canine and Feline Dietary Recommendations. Animals (Basel) 2021;11(8):2348. Starzonek J, von Lindeiner L, Vervuert I. Beurteilung in Deutschland erhältlicher veganer Alleinfuttermittel für Hunde und Katzen. Tierarztl Prax Ausg K Kleintiere Heimtiere 2021;49(4):262-71. Kontakt Prof. Dr. Nadine Paßlack; Professur für Klinische Grundlagenforschung in der Inneren Medizin der Kleintiere, Klinik für Kleintiere (Innere Medizin), Justus-Liebig-Universität Gießen nadine.passlack@vetmed.uni-giessen.de 234 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Der krampfende Notfall: „Da rollt’n Zug durch meinen Kopf…“ Irene C. Böttcher Klinik für Kleintiere, Universität Leipzig Krampfgeschehen jeglicher Art wirken natürlicherweise bedrohlich auf die Besitzer. Welche Anfälle sind aber Fälle für den Notdienst und welche nicht? Hinweise in der Anamnese, ob es sich wirklich um Anfälle handelt, sind insbesondere die autonomen Anzeichen Speicheln, Urin- und Kotabsatz sowie eine Mydriasis, die häufig bei Katzen mit orofazialen Anfällen auftritt. Am Telefon Zur Einordnung sind folgende Fragen hilfreich: - Ist der Anfall bereits beendet? Falls nein, wie lange hält er bereits an? Tiere, die einen einzelnen Anfall gezeigt haben, der bereits beendet ist und dessen Dauer unter 5 min gelegen hat, müssen nicht als Notfall einbestellt werden, sondern können einen Termin zur Aufarbeitung in der regulären Sprechstunde bekommen. Ein Anfall, der länger als 5 min anhält, muss als Status epilepticus angesehen werden und ist ein Notfallpatient. - Gab es innerhalb der letzten 24 Stunden mehrere solcher Anfälle? Patienten mit sog. Clusteranfällen, die also mehrere Anfälle (unter 5 min) pro 24 Stunden mit dazwischen normalem Bewusstsein zeigen, sind ebenfalls Notfälle. Gerade diese Fälle werden häufig unterschätzt. Bei Katzen gibt es die besondere Form der orofazialen Anfälle, bei denen lediglich Starren, Speicheln und Zuckungen im Gesichtsbereich auftreten. Auch hier sind mehrere dieser Anfälle pro 24 Stunden ein behandlungswürdiger Notfall und dürfen nicht übersehen werden. - Sind Speicheln, große Pupillen, Urin- oder Kotabsatz aufgetreten? Insbesondere diese autonomen Anzeichen sind Hinweise, dass es sich wirklich um Anfälle handelt. - Liegt eine Insulinbehandlung, eine Laktation oder eine Grunderkrankung vor? In diesen Fällen macht es Sinn, auch bei einem einzelnen Anfall den Patienten in den Notdienst zu bestellen, um eine Hypoglykämie, eine Hypokalzämie oder eine andere metabolische Entgleisung auszuschließen. - Haben Sie ein Notfallmedikament zuhause, das Sie vor dem Transport noch verabreichen können? Die Behandlung eines Status epilepticus sollte so früh wie irgendwie möglich begonnen werden, um zu verhindern, dass der Anfall refraktär wird und nicht mehr auf Medikamente anspricht. Abgekürzte Anamnese Bereits im Wartezimmer kann eine abgekürzte Anamnese erfolgen. Die fünf wichtigsten Fragen sind: 1. Wie lange zeigt der Patient schon den Anfall? Die Dauer des Anfalls beeinflusst die Ansprechbarkeit auf Medikamente. 2. Ist der Patient ein bekannter Epileptiker? Falls ja, muss vor der Gabe von antikonvulsiven Medikamenten eine Serumprobe zur Bestimmung des Wirkspiegels asserviert werden. Außerdem ist eine höhere Dosis an Benzodiazepinen notwendig, um den Anfall zu unterbrechen. 3. Ist der Patient ein bekannter Diabetiker? Falls ja, hat der Ausschluss einer Hypoglykämie höchste Priorität. 4. Bekommt der Patient irgendwelche Medikamente und wenn ja, welche? 5. Wurde eine Substanz- oder Giftaufnahme beobachtet? Falls ja, werden Dekontaminationsmaßnahmen wie Magenspülung, Aktivkohle, Lipidinfusion oder bei kutaner Aufnahme Waschen durchgeführt. Empfehlung: Patient und Besitzer zunächst trennen! Es ermöglicht eine stressfreiere Notfallversorgung, senkt Ihren Arbeitsdruck und gibt dem Besitzer die Gelegenheit, kurz von der Stresssituation Abstand zu 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 235

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ gewinnen. Im Wartezimmer kann sich ihr Anmeldepersonal um die Besitzer kümmern und die notwendigen Daten für die Akte leichter aufnehmen. Erster Schritt am Patienten: Venenkatheter einlegen und Blutproben abnehmen! Das erste Ziel ist, einen Venenkatheter einzulegen, um einen dauerhaften Zugang für antikonvulsive Medikamente und Dauertropfinfusion zu schaffen. Dies ist in der Regel leichter an den Hintergliedmaßen, da es dort ungefährlicher ist und weniger Ruderbewegungen auftreten. Bei einem vorbehandelten Epileptiker wird beim Legen des Venenzugangs eine Serumprobe asserviert, um nachträglich eine Spiegelbestimmung VOR der Gabe von Notfallmedikamenten bestimmen zu können. Parallel zum weiteren Vorgehen lassen Sie, soweit vorhanden, Parameter in Ihrem hausinternen Labor durchführen. Das absolute Minimum an Werten ist die Bestimmung von Glukose und Kalzium. Falls möglich, sind auch Blutbild und eine Basisbestimmung an blutchemischen Parametern hilfreich. Damit können Sie sich sicherer ein Gesamtbild vom Zustand des Patienten machen, wie der Gesamtorganismus durch den Anfall belastet ist und ob systemisch eine Dekompensation eingetreten ist. Eine Hypoglykämie ist in den allermeisten Fällen die Ursache der Anfälle und nicht die Folge und muss behandelt werden (0,5-1,0 ml/kg einer 50% Dextroselösung i.v., verdünnt zur Vermeidung von Phlebitis). Zweiter Schritt am Patienten: Anfall medikamentös unterbrechen, dabei IMMER auch ein langwirksames antikonvulsives Medikament geben! Das erste zu verabreichende Medikament ist Diazepam 0,5-2,0 mg/kg (bei Epileptikern unter Therapie mind. 1 mg/kg) langsam i.v., intranasal (über Zerstäuber) oder rektal oder Midazolam 0,2-0,5 mg/kg i.v., intranasal (über Zerstäuber) oder i.m.. Diazepam i.m. wird sehr schlecht resorbiert und kann nicht empfohlen werden. Der rektale Verabreichungsweg ist der Schlechteste in Bezug auf Bioverfügbarkeit und erreichtem Serumlevel. Für Katzen ist die intranasale Applikation nicht ausreichend untersucht. Spätestens nach der rektalen, intramuskulären oder nasalen Verabreichung eines Benzodiazepins wird dann ein Venenkatheter gelegt. Der Bolus eines Benzodiazepins kann 2-3x wiederholt werden. Mehr als 3 Boli können zu einer Akkumulation im ZNS mit Depression und kardiovaskulärem Kollaps führen, daher folgt dann eine Umstellung auf eine Dauertropfinfusion (Diazepam 0,1-0,5 mg/kg/h, Midazolam 0,2-0,5 mg/kg/h) oder ein anderes Antikonvulsivum. Diazepam Dauertropfinfusion wird für Katzen nicht empfohlen wegen der Gefahr einer Propylenglykol-Toxizität. Parallel zu einem Benzodiazepin wird IMMER ein langwirksames antikonvulsives Medikament verabreicht, auch wenn der Anfall zunächst gestoppt ist, da die Wirkung der Benzodiazepine nach 20-30 min bereits wieder nachlässt. Dies ist entweder Phenobarbital als Bolus von 5-10 mg/kg i.v. (bei vorbehandelten Tieren zunächst 5 mg/kg). Nach 30 min kann der Phenobarbitalbolus wiederholt werden. Eine Gesamtdosis von 15-20 mg/kg wird als Ladedosis betrachtet, nach der ein ausreichender Spiegel für die Dauerbehandlung erreicht ist, und sollte in 24 Stunden nicht überschritten werden. In die Gesamtdosis wird auch die orale Dauermedikation einberechnet, falls der Patient bereits Phenobarbital als Dauertherapie erhält. Als Alternative zu Phenobarbital, besonders bei sehr jungen Tieren mit Verdacht auf einen portosystemischen Shunt, kann Levetiracetam als Bolus von mind. 20 mg/kg i.v. verabreicht werden. In der Literatur sind auch Boli von 40 oder 60 mg/kg i.v. beschrieben (cave: immer langsam über 5 min und verdünnt verabreichen). Ein mögliches Vorgehen ist, mit einem Bolus von 60 mg/kg zu beginnen und dann alle 8 Stunden die Erhaltungsdosis von 20 mg/kg zu verabreichen. Levetiracetam kann auch rektal (dann in der Dosis 40 mg/kg), und in Ausnahmen s.c. und i.m. verabreicht werden. Bis auf den Fall des sehr jungen Patienten (mit einem möglichen portosystemischen Shunt) nicht zu viel über Kontraindikationen für Medikamente nachdenken! Die Wahrscheinlichkeit, dass der Status epilepticus den Patienten lebensbedrohlich schädigt, ist um vieles höher als der unwahrscheinliche Fall, dass eine Kontraindikation für ein antikonvulsives Medikament vorliegt. 236 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Dritter Schritt am Patienten: Temperatur messen! Unabhängig von der Dauer des Anfalls kann die innere Körpertemperatur erhöht sein, muss sie aber nicht. Auch bei Clusteranfällen liegt die Körpertemperatur oft über 40,0°C, insbesondere Katzen mit orofazialen Anfälle können extrem hohe Temperaturen entwickeln. Gegebenenfalls muss der Patient aktiv gekühlt werden. Vierter Schritt am Patienten: Infusion geben! Status epilepticus und Cluster sind kreislaufbelastend, dazu kommt häufig eine Hyperthermie, Azidose und Elektrolytverschiebungen. In der Regel beginnt man eine Dauertropfinfusion mit hoher Rate wie bei einem hypovolämischen Schock und passt die Infusionsmenge dann der Kreislaufsituation regelmäßig an. Fünfter Schritt am Patienten: Medikamentenkaskade stur abarbeiten! Sollte der Anfall nach Diazepam/Midazolam und Phenobarbital/Levetiracetam noch nicht beendet sein, sind folgende Medikamente der nächste Schritt: - Propofol 2-6 mg/kg i.v. als Bolus, anschließend 0,1-0,6 mg/kg/min CRI (Vorsicht bei Katzen: Heinz- - - - Körper-Bildung möglich) oder Ketamin 3-5 mg/kg i.v. Bolus, anschließend 0,1-0,5 mg/kg/h CRI oder Dexmedetomidin 0,5-3 µg/kg i.v. als Bolus, anschließen 0,5-7 µg/kg/h CRI oder Kombination aus Ketamin/Dexmedetomidin: Bolus Ketamin 1 mg/kg i.v., danach Bolus Dexmedetomidin 3 µg/kg i.v., anschließend Ketamin 1 mg/kg/h CRI und Dexmedetomidin 3-7 µg/kg/h CRI Sollte immer noch Anfallsaktivität vorhanden sein, ist eine Inhalationsanästhesie mit Isofluran 1-2% MAC möglich. Für die hartnäckigen Fälle: Eine Studie mit Hunden konnte zeigen, dass Fosphenytoin 15 mg/kg i.v. oder i.m. einen Status epilepticus beenden kann. Phenytoin sollte wegen erhöhter Nebenwirkungsrate nicht verwendet werden. Neue nicht pharmakologische Ansätze sind Vagusstimulation und transkranielle magnetische Stimulation. Management in den ersten 24 Stunden: Status epilepticus Patienten müssen stationär überwacht werden, idealerweise auf einer Intensivstation. 50% der Patienten zeigen einen oder mehrere weitere Anfälle, am häufigsten innerhalb der nächsten 7-12 Stunden. Ein Überwachungsfenster von 24-48 Stunden hat sich bewährt. Es wird zum einen auf äußerlich sichtbare Anzeichen eines Anfalls geachtet (tonisch-klonische Anfälle, Bewusstseinsveränderungen, Speicheln). Besonders die Pupillen sollen genau beobachtet werden, da Miosis oder Mydriasis Hinweise auf einen erhöhen intrakraniellen Druck geben können. Idealerweise wird der Blutdruck regelmäßig überwacht. Hypotension muss unbedingt vermieden werden. Hypertension, v.a. in Verbindung mit Bradykardie, kann ein Hinweis auf einen erhöhten Hirndruck sein. Erhöhter Hirndruck wird mit Mannitol oder hypertoner NaCl behandelt. Daneben werden Kreislauf, Atmung, Herzfrequenz und Körpertemperatur regelmäßig überwacht. Beim bewusstseinseingeschränkten Patienten ist Pulsoxymetrie sinnvoll. Blutglukose, Elektrolyte und ggf. Laktat und Blutgasanalyse werden wiederholt gemessen. Falls vorhanden, ist eine EEG-Überwachung ideal. Liegende Patienten müssen weich gebettet werden und werden alle 4 Stunden gewendet. Auf Entleerung der Blase, ggf. mit Katheter, und Menge der Urinproduktion wird geachtet. Befeuchtende Augentropfen werden bei bewusstseinseingeschränkten Patienten regelmäßig verabreicht. Langfristig muss auch die Fütterung gewährleistet werden. Bei CRI-Gaben von Medikamenten wird die Dosis alle 6 h um 50 % reduziert. Mindestens 2maliges Reduzieren wird vor dem endgültigen Absetzen empfohlen. Behandlung von Clusteranfällen: Für die Behandlung durch den Besitzer zuhause kann folgendes Vorgehen empfohlen werden: 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 237

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ 1. Gabe eines kurzwirksamen Antikonvulsivums: nach dem 1. oder 2. Anfall Midazolam (0,2-0,5 mg/kg) intranasal beim Hund oder Diazepam (0,5-2 mg/kg) rektal bei Hund und Katze durch den Besitzer verabreichen lassen. 2. Zusätzliche Gabe eines langwirksamen Antikonvulsivums: Pulstherapie mit Levetiracetam 60 mg/kg p.os gefolgt von 20 mg/kg alle 8 Stunden bis der Patient mind. 48 Stunden anfallsfrei ist UND/ODER zusätzliche p.os-Dosis des Erhaltungsmedikaments. 3. Als Notfall vorstellen lassen, wenn 3 oder mehr Anfälle in 24 Stunden auftreten. Die Behandlung in der Praxis ist ähnlich, mit dem Unterschied, dass die Medikamente bevorzugt i.v. verabreicht werden. Midazolam Dauertropfinfusion kann angewendet werden, wenn die Bolus Gabe nicht erfolgreich ist. Wann sollte überwiesen werden? Indikationen zur Überweisung sind: - - - keine Möglichkeit der stationären Überwachung über 24 Stunden keine langwirksamen Antikonvulsiva wie Phenobarbital oder Levetiracetam in der Praxis vorhanden bei klinischen Anzeichen eines Hitzschlags und keiner Möglichkeit zur Messung von Gerinnungsparametern - wenn der Patient trotz Wirkungsende der Medikamente nicht aufwacht (dann besteht Verdacht auf einen nicht-konvulsiven Status epilepticus) VOR einer Überweisung sollte immer eine Notfallbehandlung mit Benzodiazepinen, Kreislaufstabilisation und bei Bedarf Kühlung erfolgen, damit der Patient den Transport überlebt! Literatur 1. Charalambous M, Volk HA, van Ham L, Bhatti SFM. First-line management of canine status epilepticus at home and in hospital-opportunities and limitations of the various administration routes of benzodiazepines. BMC Vet Res. 2021;17(1):103. 2. Blades Golubovic S, Rossmeisl JH Jr. Status epilepticus in dogs and cats, part 1: etiopathogenesis, epidemiology, and diagnosis. J Vet Emerg Crit Care. 2017;27(3):278-287. 3. Blades Golubovic S, Rossmeisl JH Jr. Status epilepticus in dogs and cats, part 2: treatment, monitoring, and prognosis. J Vet Emerg Crit Care. 2017;27(3):288-300. 4. Charalambous M, Bhatti SFM. Management of status epilepticus and cluster seizures in dogs and cats. In: De Risio L, Munana K, Herausgeber. A practical guide to seizure disorders in dogs and cats. 1. Aufl. Florida: Edra Publishing US LLC; 2022. S. 323-347. Kontakt Dr. Irene C. Böttcher; Klinik für Kleintiere, Universität Leipzig i.c.boettcher@kleintierklinik.uni-leipzig.de 238 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Der zweibeinige Schädel-Hirn-Trauma-Patient: „Mein Kopf schlägt ganz laut Alarm“ Matthias Krause Universitätsklinikum Leipzig, Pädiatrische Neurochirurgie, Klinik für Neurochirurgie, Leipzig Einleitung und Epidemiologie Das Schädel-Hirn-Trauma (SHT, TBI – traumatic brain injury) ist eine von außen wirkende Gewalteinwirkung auf den knöchernen Schädel und das Gehirn. Man unterscheidet hierbei offene und geschlossene Schädel- Hirn-Traumata. Geschlossene SHT stellen die weitaus häufigsten Verletzungen dar. In Abhängigkeit von der Art, Richtung und Schwere der Gewalteinwirkung tritt die primäre Schädigung am Gehirn ein. Die sekundären Schädigungen treten verzögert binnen Stunden oder Tagen auf. Hier sind posttraumatisches Hirnödem, sekundäre Blutungen, Liquorzirkulationsstörungen und -fisteln, Epilepsie, Gefäßverletzungen und Infektionen bei offenen Verletzungen die häufigsten Komplikationen [1,2,3]. Vor allem Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren sind mit 28 % überproportional häufig betroffen, was die besondere Gefährdung dieser Altersgruppe verdeutlicht. Männer sind häufiger betroffen als Frauen (41,6 % : 58,4 %), jedoch ist die Inzidenz bei Frauen in den letzten Jahren deutlich gestiegen [4-7]. Beim Menschen beträgt die Inzidenz nach neueren Studien etwa 332 pro 100.000 Einwohnern pro Jahr [3,4,6]. Man unterteilt das SHT in leichte (90,9 %, 302/100.000), mittlere (3.9 %, 13/100.000) und schwere (5,2 %, 17/100.000) Traumata. Etwa 180 unter 100.000 Traumapatienten überleben mit einer signifikanten permanenten Schädigung. 40 von 100.000 Einwohnern versterben jährlich am Schädel-Hirn-Trauma. Das SHT ist mit Abstand die häufigste Todesursache bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen bis 45 Jahre. Ca. 4000 Menschen werden jährlich in Deutschland zu Langzeitpflegefällen [7]. Vor allem Fahrradfahrer sind trotz Helm die häufigsten Patienten mit mittlerem Schädel-Hirn-Trauma. Freizeitunfälle (35,7 %), häusliche Unfälle (30,0 %) und Verkehrsunfälle (26,4 %) sind die häufigsten Unfalltypen. Arbeitsunfälle treten nur bei 15,0 % der Verletzten auf [8]. Indikatoren und Prädiktoren für das Schädel-Hirn-Trauma Wichtigster Indikator für das Vorliegen eines Schädel-Hirn-Traumas ist der Unfallmechanismus, gefolgt von Bewußtseinsstörung und neurologischem Defizit [8,9]. Die Prognose des Schädel-Hirn-Traumas wird vor allem durch die primäre Hirnschädigung bestimmt. Sekundäre Folgeschädigungen als Kaskade pathophysiologischer Abläufe oder sekundärer Blutungen können jedoch zu schwersten Komplikationen und ebenso letalem Ausgang führen. Zur Abschätzung der Schwere des Schädel-Hirn-Traumas ist der von Teasdale 1974 eingeführte Glasgow-Coma-Scale (GCS) internationaler Standard [2,3,9]. Mit Hilfe des Glasgow-Coma-Scales kann bereits zeitnah am Unfallort die primäre Schädigung abgeschätzt werden. Der GCS ist neben dem Alter und der Kreislaufstabilität des verunfallten Menschen ein wichtiger Prognosefaktor beim SHT (Abbildung 1). Der GCS ist ein einfaches Scoring-System zur Beurteilung der schwere der Bewußtseinsstörung beim SHT, (z.B. für andere Ursachen der Bewußtseinsstörung angewendet werden kann aber auch Subarachnoidalblutung). Alter über 60 Jahre, hypotone präklinische Kreislaufsituation mit systolischem Blutdruck unter 100mmHg sowie Hypoxie mit arterieller Sauerstoffsättigung unter 95 % sind prognostisch als ungünstig zu bewerten. Menschen mit schwerem SHT in der Altersgruppe über 80 Jahren haben eine sehr schlechte Prognose mit einer 30-Tages-Mortalität von über 95 %. Leitlinien zum Management des human Schädel-Hirn-Traumas Aufgrund der Häufigkeit des humanen SHT und der weitreichenden Folgen auch im sozioökonomischen Sinne sind Leitlinien der verschiedenen Fachgesellschaften etabliert worden, welche das präklinische und klinische Management der Patienten evidenzbasiert standardisieren sollen. Entsprechend dem Evidenzgrad 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 239

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ werden durch die AWMF (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften) S2k-Leitlinien bzw. S2e-Leitlinien erarbeitet und aktualisiert [3]. Hier werden sowohl präklinische Versorgung (am Unfallort bis zur Notaufnahme) als auch die akutmedizinische Therapie im Krankenhaus abgebildet. Abb.1: Humaner Glasgow-Coma-Scale nach Teasdale mit Werten von 3-15. Die Glasgow Outcome Scale (GOS) wird mit Werten von 0-5 angegeben. Diagnostik des Schädel-Hirn-Traumas Das Schädel-Hirn-Trauma ist vor allem eine klinische Diagnose, die sich durch die Anamnese bzw. den Unfallhergang und das Muster äußerlicher Verletzungen ergibt. Symptome sind Kopfschmerzen, Bewußtseinsstörungen (auch ante- oder retrograde Amnesie), Übelkeit und Erbrechen. Neurologische Ausfallserscheinungen, Pupillenstörungen, Sprachstörungen oder Verhaltensänderung sind manifeste Symptome einer stattgehabten Hirnschädigung. leichter SHT (GCS 13-15) Im Falle ist bei gesunden Patienten ohne Risikofaktoren (z.B. Gerinnungshemmer) keine Bildgebung indiziert, sondern lediglich eine stationäre Überwachung angezeigt. Alle SHT mit GCS <13 oder neurologischen Ausfällen werden einer CT-Untersuchung zugeführt, da das Risiko einer intrakraniellen Pathologie hoch ist [10,11]. Im Falle anhaltender Bewußtseinsstörung ohne Regredienz der Symptome oder nicht beurteilbarer (intubierter und sedierter) Patienten ist eine Wiederholung 6-12 Stunden nach dem initialen Computertomogramm notwendig [12]. Intrakranielle operations- bzw. therapiepflichtige Pathologien wie Hydrocephalus, intrakranielle Blutungen und Hirnödem werden so mit einer Sensitivität von >95 % erfaßt. Therapie des Schädel-Hirn-Traumas Da die primäre Unfallfolge nicht zu beheben ist, ist die Therapie des Schädel-Hirn-Traumas auf die Verhinderung sekundärer Schädigungskaskaden und Beseitigung primärer Verletzungsfolgen gerichtet. Die operative Therapie raumfordernder intrakranieller Verletzungen hat bei jedem Verletzten stets die absolut höchste Dringlichkeit. 240 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Operationspflichtige Schädigungen sind u.a. raumfordernde Kontusionsblutungen, intrazerebrale Blutung - - Subdural- und Epiduralhämtome - - Akuthydrocephalus - Hirnödem mit Mittellinienverlagerung raumfordernde Impressionsfrakturen Etwa 5,0 % aller Schädel-Hirn-Trauma Patienten erfordern eine sofortige operative Therapie [7]. Nach der Operation erfolgt in Abhängigkeit von den Begleitverletzungen die intensivmedizinische und konservative Therapie. Hierzu steht beim bewußtseinsgestörten Patienten die Neuroprotektion und Kontrolle des intrakraniellen Druckes zur Vermeidung von sekundären Schädigungen durch Störungen des Oxigenierung und Glukoseutilisation des verletzten Gehirns im Vordergrund. Aus diesem Grunde wird bei mittleren und schweren SHT häufig eine längerdauernde Analgosedierung mit kontrollierter Beatmung und Monitoring des intrakraniellen Druckes (ICP) und des Sauerstoffpartialdruckes im Gehirn (ptiO2), sowie unter Umständen weiteren metabolischen Parametern notwendig. Aufgrund der Häufigkeit von Liquorzirkulationssstörungen ist die Anlage von externen Ventrikeldrainagen häufig indiziert, um somit erhöhte ICP-Werte therapieren zu können. Dabei gelten intrakranielle Drücke bis 15mmHg als normwertig, über 20mmHg besteht die Indikation zur hirndrucksenkenden medikamentösen Therapie. Längerfristige Erhöhungen des ICP über 30mmHg gehen mit einer schlechten Prognose einher, über 50mmHg ist das Überleben unwahrscheinlich. Die medikamentöse Therapie des SHT wird nach neuesten Leitlinien vor allem nach dem cerebralen Perfusionsdruck (cerebral perfusion pressure, CPP) gesteuert. Dieser errechnet sich aus dem MAP (mean arterial pressure) – ICP. Beim erwachsenen Menschen sind Werte von <55mmHg und über 75mmHg prognostisch ungünstig [2,3,13]. Neben der Sedierung zur Reduzierung der neuronalen Sauerstoffbedarfs und dem verbundenen Rückgang des cerebralen Blutflusses (CBF) als Maßnahme zur Senkung des Hirndruckes stehen nur kurzfristig wirksame Medikamente wie Osmodiuretika (Mannitol), hyperosmolare Kochsalzlösung und die Barbituratgabe zur Verfügung. Oberkörperhochlagerung um 30° und kurzfristige Hyperventilation der Patienten kann zusätzlich eingesetzt werden. Ultima ratio stellt die dekompressive Kraniektomie dar, welche in Einzelfällen erwogen werden kann [14]. Die Gabe von Glukokortikoiden ist mit einer signifikant erhöhten 14-Tages-Letalität verbunden und wird deshalb beim SHT nicht angewendet [15]. Outcome nach Schädel-Hirn-Verletzung Das Outcome nach humanem Schädel-Hirn-Trauma kann in der Frühphase nur sehr ungenau abgeschätzt werden. Der Glasgow-Outcome Score wird im Verlauf als einer von vielen Scoring-Systemen genutzt (siehe Abb.1). Wesentliche Faktoren sind die initiale Bewußtseinsstörung und neurologische Störungen, die Dauer der Bewußtlosigkeit und das Alter. Die Mortalität liegt bei ca. 0,5-0,9 %, bei schwerem Schädel-Hirn-Trauma bei 14 % [8,9]. 13.5 % der verstorbenen Patienten erliegen den Verletzungen innerhalb der ersten 2h, weitere 47,5 % innerhalb des ersten Tages. 30 % der Verstorbenen sind älter als 74 Jahre [8]. Etwa ein Drittel (35 %) aller Patienten kann bereits innerhalb von 24h nach stationärer Aufnahme entlassen werden. Die Mehrheit (65 %) der Patienten erfordert einen stationären Aufenthalt von maximal 3 Tagen. Nur 18.4 % der Verletzten wird länger als eine Woche im Krankenhaus behandelt [8,16]. In Nachuntersuchungen waren 36.2 % aller Patienten nach 6 Monaten nicht arbeits- oder schulfähig. 3.8 % der Verunfallten mit mittlerem und schwerem SHT überleben die Rehabilitation nicht oder bleiben in einem vegetativen Status (GOS=1-2). Mit schweren Behinderungen überleben 44 %, mit mittlerem Behinderungsgrad 30 % der Patienten (GOS=3-4). 26 % der Verunfallten sind beschwerdefrei (GOS=5) [16]. Kosten der humanen Schädel-Hirn-Trauma Behandlung Schädel-Hirn-Trauma ist einer der größten sozioökomomischen Faktoren in Deutschland und wird mit einer Schadenssumme von ca. 2,8 Mrd.€ / Jahr angegeben [8]. In Deutschland kostet eine 24stündige SHT- Überwachung auf einer Normalstation ca. 500€. Schwer Schädel-Hirn-Verletzte Patienten mit Intensivstationsaufenthalt und Langzeitbeatmung können Behandlungskosten von über 50.000€ - 100.000€ 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 241

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ allein für die Akutbehandlung verursachen. Die Kosten durch Ausfall der Patienten als Einzahler in das Sozialsystem sind schwer zu beziffern. Literatur 1. Miller JD. Head injury, J Neurol Neurosurg Psychiatr 1993;56(5):440-447. 2. Brain Trauma Foundation. Management and Prognosis of Severe Traumatic Brain Injury. 2000. 3. AWMF-Leitlinie „S2k Leitlinie Schädel-Hirn-Trauma im Kindes- und Jugendalter“ Reg. 024-018 www.awmf.org 4. Bruns J Jr, Hauser WA. The epidemiology of traumatic brain injury: A review, Epilepsia 2003;44(suppl 10):2-10. 5. Casper W. Verletzungen und Vergiftungen – Ergebnisse aus dem Bundesgesundheitssurvey 1998, Bundesgesundheitsblatt 2000;6:407-414. 6. Murray GD, Teasdale GM, Braakman R et al on behalf of the European Brain Injury Consortium. The European Brain Injury Consortium Survey of head injuries, Acta Neurochirurgica 1999;141:223-236. 7. Steudel WI, Cortbus F, Schwerdtfeger K. Epidemiology and preventions of fatal head injuries in Germany – trends and the impact of the reunification, Acta Neurochirurgica 2005;147:231. 8. Möllmann FT. Epidemiologie, Unfallursachen und akutklinische Initialversorgung beim Schädel-Hirn-Trauma. Dissertation. Universität Münster, 2006 9. Teasdale GM, Jennett B. Assessment of coma and impaired consciousness: practical scale, Lancet 1974;2:81-84. 10. Stiell IG, Wells GA, Vandemheen K, Clement C et al. The Canadian CT Head Rule for patients with minor head injury. Lancet 2001;357:1391-1396. 11. Hebb MO, Clarke DB, Tallon JM. Development of a provincial guideline for the acute assessment and management of adult and pediatric patients with head injuries. Can J Surg 2007;50:187-194. 12. Schnellinger MG, Reid S, Louie J. Are serial brain imaging scans required for children who have suffered acute intracranial injury secondary to blunt head trauma? Clin Pediatr 2010;49:569-573. 13. Catala-Temprano A, Claret Teruel G, Cambra Lasaosa FJ et al. Intracranial pressure and cerebral perfusion pressure as risk- factors in children with traumatic brain injuries. Neurosurgery 2007;106:463-466. 14. Hutchinson PJ, Kolias AG, Timofeev IS, Corden EA et al. Trial of decompressive craniectomy for traumatic intracranial hypertension N Engl J Med 2016 Sep 22, 375(12):1119-30. 15. Alderson P, Roberts I. Corticosteroids for acute traumatic brain injury. The Cochrane Database of Systematic Reviews 2005, Issue 1. Art. No.: CD000196.pub2. DOI: 10.1002/14651858.CD000196.pub2 EG2a. 16. Harrison D, Prabhu G, Grieve R et al. Risk adjustment in neurocritical care (RAIN) – prospective validation of risk prediction models for adult patients with acute traumatic brain injury to use to evaluate optimum location and comparative costs of neurocritical care: a cohort study. Health Technol Assess 2013;17(23): 1-350. Kontakt Prof. Dr. Matthias Krause; Universitätsklinikum Leipzig, Pädiatrische Neurochirurgie, Klinik für Neurochirurgie krause@kinderneurochirurgie-leipzig.de 242 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Der vierbeinige Schädel-Hirn-Trauma Patient: Mein Kopf schlägt ganz laut Alarm. Teil II Thomas Flegel Klinik für Kleintiere, Veterinärmedizinische Fakultät, Universität Leipzig, Leipzig Kopftraumata werden in ungefähr einem Fünftel der Hunde mit Trauma-Ereignissen gesehen. Wie hoch die Inzidenz eines daraus resultierenden Schädel-Hirn-Traumas (SHT) ist, ist dagegen nicht bekannt. Mitunter werden die Patienten mit Patienten mit erheblichen neurologischen Defiziten vorgestellt, was dazu führt, dass mitunter eine Therapie überhaupt nicht erst versucht wird. Es ist jedoch auch bei schweren SHT möglich, dass sich Patienten bei adäquater Therapie wieder erholen. Initialbeurteilung Patientenbesitzer erwarten von uns bereits bei der initialen Untersuchung Aussagen zur Prognose, in der Regel schon bevor aufwendige Diagnostik durchgeführt werden konnte. Somit hat die initiale Untersuchung des Patienten folgende Aufgaben zu erfüllen: 1. Allgemeinzustand des Patienten zu beurteilen, 2. Schwere der neurologischen Schädigung beurteilen, 3. Festzustellen, ob es weitere Läsionen am Nervensystem, in Thorax und Abdomen oder an den Gliedmaßen gibt. Beim Vorliegen eines oder mehrerer der folgenden Befunde muss von einer ungünstigen Prognose (komatöser Bewusstseinszustand, Enthirnungsstarre, Cheyne-Stokes Atmung, ausgegangen werden ataktische Atmung, beidseitige nicht lichtresponsive Mydriasis, Status epilepticus, massive offene Schädelfrakturen). Es sollte bei diesen Patienten über die Option der Euthanasie gesprochen werden. Soll eine Therapie dennoch versucht werden, muss davon ausgegangen werden, dass eine zeit- und kostenintensive Therapie mit einer dennoch ungünstigen Prognose verbunden sein wird. Eine objektivere Gesamteinschätzung des neurologischen Zustandes kann mit einer an die Humanmedizin angelehnten modifizierten Leipzig-Coma-Scale versucht werden. Dabei werden basierend auf der neurologischen Untersuchung Punkte für die 3 Kategorien Bewusstsein, Motorik und Hirnstammreflexe vergeben. Ein gesundes Tier kann maximal 15 Punkte erreichen. Hunde, die weniger als 8 Punkte erzielen, haben eine ungünstige Prognose. normal unangemessene Reaktion schläft, lässt sich aber durch Geräusche wecken schläft, lässt sich aber durch Schmerz wecken keine Reaktion (Koma) normaler Gang mit Hilfe gehfähig nicht gehfähige Tetraparese/Hemiparese intermittierender Opisthotonus, Extensorspasmus permanenter Opisthotonus/Extensorspasmus Modifizierte Glasgow-Koma-Skala (Leipzig): Bewusstsein: Motorik: Pupillengröße: beide Pupillen mittlere Größe bilaterale mittelgradige Miosis Anisokorie beide Pupillen stecknadelkopfgroß bilaterale Mydriasis (kein Pupillenlichtreflex) 5 4 3 2 1 5 4 3 2 1 5 4 3 2 1 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 243

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Ein Thoraxröntgen ist bei allen SHT-Patienten generell indiziert, um nach den folgenden Pathologien zu suchen: Pneumothorax, Lungenkontusion, Pleuraerguss, Zwerchfellhernie und Rippenfrakturen. Besondere Bedeutung hat das Identifizieren eines Lungenödems, bei dem es sich nach einem SHT in der entweder um eine zusätzliche Lungenkontusion oder um ein nichtkardiogenes Lungenödem handeln kann. Letzteres manifestiert sich häufig in den kaudodorsalen Lungenbezirken und kann zu hochgradiger Dyspnoe führen. Das nichtkardiogene Lungenödem spricht in der Regel nicht auf die Gabe von Diuretika an, sondern wird durch die Applikation von Sauerstoff therapiert. Die Gabe von Glukokortikoiden ist umstritten, möglicherweise wirkt sich aber die niedrig dosierte Applikation von Methylprednisolon positiv auf den Krankheitsverlauf des nichtkardiogenen Lungenödems aus. traumaassoziierten intrakraniellen Läsion Zur genaueren Charakterisierung einer ist die Computertomografie (CT) die Methode der Wahl, insbesondere da sie bei einem stark traumatisierten Patienten mitunter ohne Sedation möglich ist, alle Schädelfrakturen sicher identifiziert und da sie neben der Darstellung des Neurokraniums die Möglichkeit eines Ganzkörperscans beinhaltet. Gehirnläsion, die mit einer Blutung einhergehen und eine gewissen Größe erreicht haben, sind als hyperdense Strukturen deutlich erkennbar (65- 95 HU). Solche Blutungen sind mit der Überlebensrate negativ korreliert (1). Auch eine sekundäre Herniation des Kleinhirns in das Foramen magnum als Ausdruck der Hirnschwellung sind in der CT in der Regel darstellbar. Der CT-Koret Score kann helfen, die Prognose basierend auf den Ergebnissen des CT-Scans einzuschätzen (1). Eine genauere Vorstellung von parenchymalen Gehirnläsionen ist jedoch in der Regel nur durch die Magnetresonanztomografie möglich. Therapie Die therapeutischen Optionen in der Tiermedizin sind leider begrenzt und im Wesentlichen darauf ausgerichtet, dem Gehirn möglichst physiologische Bedingungen zu schaffen, um den intrinsischen regenerativen Kapazitäten und der Plastizität des Gehirnes die Möglichkeit zu geben, die sekundären Prozesse einzudämmen und die primären Schäden zu heilen. Dazu wird versucht, den Blutdruck im Normalbereich zu halten, die Oxygenierung des Gehirnes zu gewährleisten, die Freisetzung von freien Radikalen und exzitatorischen Neurotransmittern zu minimieren sowie einer Steigerung des intrakraniellen Druckes entgegenzuwirken, um einen physiologischen zerebralen Blutfluss zu gewährleisten. Die Therapie wird also von folgenden Säulen gebildet: 1. Aufrechterhaltung eines physiologischen Blutdrucks Unter physiologischen Bedingungen ist das Gehirn in der Lage, die zerebrale Durchblutung zu regulieren und somit eine normale Durchblutung zu gewährleisten, solange der mittlere arterielle Blutdruck (MAP) sich innerhalb der Grenzen von 50-150 mmHg bewegt. Bei einem SHT jedoch geht diese Fähigkeit der Autoregulation oft verloren. Damit wird die zerebrale Durchblutung direkt abhängig vom peripheren Blutdruck (niedriger Blutdruck = geringe zerebrale Durchblutung). Daher ist es essentiell durch eine gezielte Infusionstherapie den MAP basierend auf regelmäßigen Messungen im Bereich 90-120 mmHg zu halten. Als Infusionslösungen bieten sich folgende Möglichkeiten an: - - bei Schock: initial Vollelektrolytlösung (Hund: 90 ml/kg; Katze: 40-50 ml/kg) oder 7.5%ige NaCl-Lösung zur intravasalen Expansion und Antiödemwirkung im Gehirn (Hund: 4 ml/kg; Katze: 2-4 ml/kg über 5-10 Minuten; Wirkdauer < 75 Minuten) gefolgt von Vollelektrolytlösung in Erhaltungsdosis oder - HyperHES- 7.2% NaCl (Hund: 5-6 ml/kg; Katze: 2-4 ml/kg über 5-10 Minuten) gefolgt von Vollelektrolytlösung in Erhaltungsdosis Sollte sich der Blutdruck nicht in den gewünschten Bereich angehoben werden, so kann Dopamin in der Dosis von 2µg/kg/Minute als Dauertropfinfusion eingesetzt werden. Ein erhöhter Blutdruck dagegen sollte nur sehr vorsichtig mit Blutdruck senkenden Medikamenten therapiert werden, da der erhöhte Blutdruck Ausdruck eines Cushingreflexes sein könnte (siehe weiter unten). 244 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Infusionslösungen, die zusätzlich Glukose enthalten sollten vermieden werden, solange keine Hypoglykämie nachgewiesen wurde. 2. Oxygenierung Die Oxygenierung des Blutes lässt sich zwar theoretisch mit der Pulsoximetrie beurteilen, bei einem stark traumatisierten Patienten jedoch kann die mit dem Schockgeschehen assoziierte periphere Minderdurchblutung falsche Ergebnisse liefern. Daher sollte man, soweit verfügbar, eher der arteriellen Blutgasanalyse vertrauen. Dies hat außerdem den Vorteil, dass man so nicht nur den Sauerstoff- sondern auch den Kohlendioxidpartialdruck überwachen kann. Die Therapie einer Hypoxämie und/oder einer Hyperkapnie sollte sich an den gemessenen Werten orientieren. Dabei ist eine Normokapnie ebenso wichtig wie eine optimierte Sauerstoffversorgung. Arterielle Zielwerte für den Sauerstoff- und Kohlendioxidpartialdruck sind: > 90 mmHg PaO2: PaCO2: 35-40 mmHg Bei einem wachen Patienten bestehen folgende Möglichkeit, die Oxygenierung zu verbessern: • Sauerstoffnasensonde: maximale erreichbare inspiratorische O2-Konzentration: 30-40 % • Sauerstoffkäfig: • Halskragen mit Sauerstoff: Dosis: 100 ml/kg/Minute maximale erreichbare inspiratorische O2-Konzentration: >50 % Dosis: 200-300 ml/kg/Minute Versuche eine Nasensonde zu legen, sollten jedoch unterbleiben, wenn diese Manipulation zu erheblichen Abwehrreaktionen des Patienten führt. Sauerstoffkäfig, Halskragen und Sauerstoffmaske bergen jedoch das Risiko einer Hyperkapnie und/oder Hyperthermie. Besteht die Notwendigkeit, die Effizienz der Atmung bei einem wachen Patienten zu verbessern, so muss die Möglichkeit einer Vollnarkose in Betracht gezogen werden, um das Tier intubieren und kontrolliert beatmen zu können. Zu diesem Zweck können Barbiturate eingesetzt werden, da sie zusätzlich die metabolische Rate des Gehirnes senken, indem sie den Stoffwechsel herunterfahren und gleichzeitig antiepileptisch wirken. Alternativ kann Propofol (1–6 mg/kg i.v. Bolus; gefolgt von 100–400 mg/kg/min. DTI) oder Ketamin (0,1–1 mg/kg i.v. Bolus; gefolgt von 2–10 µg/kg/min DTI) Verwendung finden. Bei Verdacht einer intrakraniellen Drucksteigerung sollte Inhalationsanästhetika eher vermieden werden. Zur Schmerztherapie ist Buprenorphin geeignet (0,01–0,02 mg/kg TID). 3. Verhinderung des Anstiegs des intrakraniellen Druckes Wir werden hier die therapeutischen Möglichkeiten zur Senkung des intrakraniellen Druckes besprechen, doch zuvor stellt sich die Frage, woran man eine Erhöhung des intrakraniellen Druckes erkennt. Eine sichere Beurteilung des intrakraniellen Druckes ist nur durch die direkte oder indirekte Messung des Druckes möglich. Die direkte Messung erfordert das Einführen einer Messsonde in die Schädelkapsel- ein Verfahren, dass in der Tiermedizin bisher keinen routinemäßigen Einsatz gefunden hat. Alternativ kann die Bestimmung des intrakraniellen Druckes indirekt über die ultraschallgestützte Messung des Widerstandsindexes der Arteria basilaris am Foramen magnum erfolgen (2). Der Praktiker ist jedoch eher auf indirekte Anzeichen einer intrakraniellen Drucksteigerung angewiesen. Cushingreflex: Bei einer intrakraniellen Drucksteigerung würde bei gleichbleibendem arteriellen Blutdruck immer weniger Blut ins Gehirn gelangen (das Blut muss gegen den Druck im Gehirn in das Gehirn gepumpt werden). Folglich könnte die zerebrale Durchblutung in einen kritischen Bereich absinken. Ein Schutzmechanismus, der Cushingreflex, hilft dem Gehirn diese potentiell lebensbedrohliche Situation zu überleben. Über einen Anstieg des PCO2 im Gehirn initiiert das Vasomotorzentrum eine arterielle Blutdrucksteigerung, um die Durchblutung des Gehirnes zu gewährleisten. Der Blutdruckanstieg wird jedoch von Barorezeptoren registriert und es kommt zu einer reflektorischen Bradykardie. Damit ist der Cushingreflex, das gleichzeitige Vorliegen eines erhöhten mittleren arteriellen Blutdrucks und einer Bradykardie, bei einem 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 245

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Patienten mit hochgradigen neurologischen Ausfällen nach SHT hinweisend auf einen gesteigerten intrakraniellen Druck. Mannitol: 0.5-1 g/kg über 15 Minuten (kann innerhalb 24h 2mal wiederholt werden) oder 7.5%ige NaCl-Lösung über 5-10 Minuten (Dosis siehe weiter oben) oder HyperHES über 5-10 Minuten (Dosis siehe weiter oben) Wichtig: bei einem Patienten mit einem Cushingreflex darf keinesfalls der Blutdruck gesenkt werden, um diesen in den Normalbereich von 90 - 120 mmHg zu bringen. Bei diesen Tieren muss stattdessen der intrakranielle Druck gesenkt werden. Möglichkeiten zur Senkung des intrakraniellen Druckes: - leichte Kopfhochlagerung um ca. 30° fördert den venösen Abfluss - Osmotherapie, um intrakraniellen Ödemen entgegenzuwirken: - Temperatur im unteren Normalbereich halten - Hyperventilation (Zielwert: PaCO2: 35-40 mmHg) - künstliches Barbituratkoma Glukokortikoide werden zur Therapie des SHT nicht empfohlen. Literatur Phenobarbital: 10-20 mg/kg i.v. Pentobarbital: 2-5 mg/kg i.v. Bolus gefolgt von Dauertropfinfusion (cave: Atemsuppression) 1. Chai O, Peery D, Bdolah-Abram T, Moscovich E, Kelmer E, Klainbart S, Milgram J, Shamir MH. Computed tomographic findings in dogs with head trauma and development of a novel prognostic computed tomography–based scoring system. AJVR 2017; 78: 1085-1090. 2. Saito M, Olby NJ, Spaulding K, Munana K, Sharp N J. Relationship among basilar artery resistance index, degree of ventriculomegaly, and clinical signs in hydrocephalic dogs. Vet Radiol Ultrasound 2003;44: 687-94. Kontakt Prof. Dr. Thomas Flegel; Klinik für Kleintiere, Universität Leipzig flegel@kleintierklinik.uni-leipzig.de 246 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Der gelähmte Notfall: „Bleib doch nur steh‘n für ein‘n Moment…“ Shenja Loderstedt1; Kaspar Matiasek2 1Klinik für Kleintiere, Veterinärmedizinische Fakultät, Universität Leipzig; 2Abteilung für klinische und vergleichende Neuropathologie, Institut für Tierpathologie, Tierärztliche Fakultät, Ludwig-Maximilians- Universität München Teil I: Bandscheibenvorfall oder doch etwas ganz anderes? Teil II: Wirbelluxationen und -frakturen Akute Rückenmarkerkrankungen bei Hund und Katze (946/4497) die häufigste Diagnose und Die akute Rückenmarkerkrankung, Myelopathie, ist eine häufige neurologische Erkrankung des Hundes. In einer retrospektiven Studie an 4497 neurologisch erkrankten Hunden aus einer universitären Überweisungsklinik waren Rückenmarkerkrankungen mit 34,5 % die häufigste Erkrankungsursache. Bandscheibenvorfälle waren mit 21 % thorakolumbale Bandscheibenvorfälle mit 63 % (596/946) dabei die häufigste Lokalisation (1). Entsprechend der Lokalisation der Rückenmarkerkrankung können in der klinisch-neurologischen Untersuchung Ataxien und Lähmungen einer Gliedmaße (Monoparese), beider Hintergliedmaßen (Paraparese) oder allen vier Gliedmaßen (Tetraparese) festgestellt werden. Die Lähmung der Vorder- und Hintergliedmaße einer Körperseite bei neurologisch unauffälliger Funktion der Gliedmaßen der Gegenseite ist bei Rückenmarkerkrankungen von Hund und Katze äußerst selten (bis nie) festzustellen. Eine Lateralisation der Defizite kann dagegen nicht selten festgestellt werden und ist ein wichtiges Kriterium in der Wichtung möglicher Differentialdiagnosen. Neben Bandscheibenvorfällen können viele verschiedene andere Erkrankungen Lähmungserscheinungen der Gliedmaßen verursachen. Klinische Symptome In der klinischen Vorstellung präsentieren sich die Patienten mit unterschiedlich stark ausgeprägten Symptomen und Defiziten, welche von spinalen Palpationsschmerzen bis zu einer vollständigen Lähmung der betroffenen Gliedmaßen mit Verlust der Tiefenschmerzwahrnehmung reichen können. Zur Charakterisierung des Schweregrades der neurologischen Ausfallserscheinungen wird in Literatur und Praxis die modifizierte Frankel Skala (modified Frankel scale) verwendet (Tabelle 1). Die Lähmungserscheinungen können entsprechend der Lokalisation des Erkrankungsprozesses nur die Hintergliedmaßen oder Vorder- und Hintergliedmaßen betreffen. Sind die Vorder- und Hintergliedmaßen betroffen, ist die Läsion cranial des Rückenmarksegmentes T3 zu lokalisieren. Sind nur die Hintergliedmaßen betroffen, dann liegt die Läsion caudal des Rückenmarksegmentes T2. Eine Differenzierung zwischen C1-5 und C6-T2, sowie T3-L3 und L4- S3 Rückenmarksegmente ist aufgrund reduzierter segmentaler spinaler Gliedmaßenreflexe zu treffen (2). Differentialdiagnostische Überlegungen Differentialdiagnostisch sind bei akuten Rückenmarkerkrankungen und damit einhergehender Lähmung der Gliedmaßen eine Vielzahl von Erkrankungen in Betracht zu ziehen. In der klinischen Routine bedient man sich zur Beschreibung und Wichtung der in Frage kommenden Differentialdiagnosen des VETAMIN D Schemas. Eine Wichtung der möglichen Diagnosen in wahrscheinlich und unwahrscheinlich ist mit Hilfe anamnestischer und klinisch-neurologischer Parameter möglich und somit entscheidend für das weitere diagnostische Vorgehen. In einer retrospektiven Studie an 500 Hunden mit Rückenmarkerkrankungen wurden unterschiedliche Parameter (Rasse, Alter, Gewicht, Einsatz der Symptome, Pro-/ Regression der Symptome, Schmerz, Asymmetrie, neuroanatomische Lokalisation) bezüglich ihrer Aussagekraft in der Differenzierung möglicher Differentialdiagnosen untersucht. So konnte gezeigt werden, dass nur ischämische Myelopathien und nicht kompressive Nucleus pulposus Extrusionen (ANNPE) als perakute, nicht progressive, nicht schmerzhafte und asymmetrische T3-L3 Myelopathien vorgestellt wurden (3). Dagegen waren T3-L3 Myelopathien aufgrund kompressiver Nucleus pulosus Extrusionen (IVDE) (Bandscheibenvorfall Hansen Typ 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 247

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ I) in den meisten Fällen charakterisiert durch akute, meist progressive, schmerzhafte und recht symmetrische Symptome (3). Die zwei genannten Beispiele für eine vaskuläre oder degenerative Ätiologie entsprechen dem Anfangs- und Endbuchstaben des Akronyms VETAMIN D. Tabelle 1: modifizierte Frankel Skala (GM = Gliedmaßen, Parese = unvollständige Lähmung, Plegie = vollständige Lähmung) Klinischen Symptome Paraplegie ohne erhaltene oberflächliche und tiefe Schmerzwahrnehmung  vollständiger Verlust der selbstständig-bewussten Bewegung der betroffenen GM  keine bewusste Reaktion (Umschauen, Abwehr, Lautäußerung) beim Klemmen der Zwischenzehenhaut oder des Nagelbettes der betroffenen GM (Beachte! Ein Anziehen der GM beim Klemmen ist KEINE bewusste Schmerzwahrnehmung, sondern nur Ausdruck eines erhaltenen Flexorreflexes!) Paraplegie ohne erhaltene oberflächliche, aber intakter tiefe Schmerzwahrnehmung vollständiger Verlust der selbstständig-bewussten Bewegung der betroffenen GM keine bewusste Reaktion (Umschauen, Abwehr, Lautäußerung) beim Klemmen der Zwischenzehenhaut, aber entsprechende bewusste Reaktion beim Klemmen des Nagelbettes der betroffenen GM (Beachte! In unterschiedlicher Literatur wird diese Gruppe in Grad 0 oder 2 integriert. Die Frankel Skala hat in diesen Fällen nur Grade von 0-5) Paraplegie mit erhaltener oberflächlichen und tiefen Schmerzwahrnehmung vollständiger Verlust der selbstständig-bewussten Bewegung der betroffenen GM vorhandene bewusste Reaktion (Umschauen, Abwehr, Lautäußerung) beim Klemmen der Zwischenzehenhaut oder des Nagelbettes der betroffenen GM Nicht gehfähige Parese Patient kann ohne Hilfe keine 10 zusammenhängende Schritte laufen Gehfähige Parese Patient kann ohne Hilfe 10 zusammenhängende Schritte laufen  Gangbild mehr oder weniger stark paretisch und ataktisch Paraspinaler Schmerz Gangbild ist unauffällig In der klinisch-neurologischen Untersuchung kann eine paraspinale Schmerzhaftigkeit nachvollzogen werden. Normal Grad 0 1 2 3 4 5 6 Entzündliche Erkrankungen können infektiös und nicht-infektiös immunvermittelt bedingt sein. Entzündungen des zentralen Nervensystems (ZNS) sind oft nicht nur auf das Rückenmarkgewebe beschränkt und involvieren auch die Rückenmarkhäute (Meningomyelitis) und/oder das Gehirngewebe (Encephalomyelitis/ Meningoencephalomyelitis). Neuroanatomisch ist in diesen Fällen multifokal zu lokalisieren. Ein Beispiel für immunvermittelte Myelitis ist Granulomatöse Meningoencephalomyelitis (GME). Aber auch Steroidresponsive Meningitis-Arteriitis (SRMA) kann das ZNS involvieren und eine Myelitis verursachen. Rückenmarkstraumata werden in den aller meisten Fällen mit akuter Symptomatik vorgestellt. Der Schweregrad der klinischen Symptomatik ist dabei nicht zwangsläufig vom Schweregrad der Wirbelsäulenverletzung abhängig. So kann ein Patient mit klinisch manifester Subluxation zweier Wirbelkörper mit einem Frankel score von 0 präsentiert werden. Dagegen kann ein Patient mit instabiler Wirbelfraktur schmerzhaft und gehfähig mit geringgradiger Ataxie und Parese vorgestellt werden. Bei Anomalien ist eher eine chronische Symptomatik zu vermuten. Aber auch Neoplasien und Anomalien können sich, meist in Kombination mit einer Co-Ätiologie, mit akuter Symptomatik präsentieren. Exemplarisch sei hier die Atlanto-Axiale-Instabilität/ Subluxation genannt, welche chronisch bestehend bei einem zusätzlichen Minor-Trauma akut Symptome verursachen kann. Tabelle 2 gibt einen exemplarischen Überblick über beispielhafte Rückenmarkerkrankungen und die zu vermutenden Symptome (4,5). Vollständigere Übersichten über Rückenmarkerkrankungen sind der einschlägigen Literatur zu entnehmen. 248 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Tabelle 2: VETAMIN D Klassifikation, beispielhafte Erkrankungen und zu erwartende Symptome; In der Altersspalte wird die Verteilung innerhalb des ersten (1 - jung), mittleren (2 - mittel alt) und letzten (3 - alt) Lebensdrittel angegeben. (Beispiele, Kein Anspruch auf Vollständigkeit.) (Abkürzungen: GME - Granulomatöse Meningoencephalomyelitis, SRMA - Steroidresponsive Meningitis-Arteriitis, FIP – Feline Infektiöse Peritonitis, AAI - Atlanto-Axiale-Instabilität/ Subluxation, IVDE – Intervertebral Disc Extrusion (Bandscheibenvorfall Hansen Typ 1)) Asymmetrie Schmerz Erkrankungen (Beispiele) Alter Einsatz der Symptome Pro-/ Regression der Symptome Nicht progressiv Progression 1-2 Perakut Akut bis chronisch Asymmetrisch nein Eher symmetrisch Ja Perakut Perakut bis chronisch Akut bis chronisch Akut bis chronisch Stationär bis progressiv Stationär bis progressiv Progressiv Progressiv Eher symmetrisch Eher symmetrsich Asymmetrisch bis symmetrisch Meist symmetrisch ja ja Nein bis ja ja Vaskulär Entzündlich Faserknorpelem bolie (FCE); GME, SRMA, Toxoplasmose, Neosporose, FIP, Discospondylitis Traumatisch Anomalie Metabolisch Idiopathisch Neoplastisch Wirbelluxation, Wirbelfraktur AAI Meningeom, Osteosarkom Degenerativ IVDE Diagnostischer Plan Entsprec hend der Ursache unterschi edlich GME – 2 SRMA/ FIP - 1 1-3 1 2-3 2 Die Wirbelsäule wie auch das Rückenmark lassen sich mit entsprechenden bildgebenden Verfahren darstellen. Dabei sind die Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Verfahren in Bezug auf die wahrscheinlichen Differentialdiagnosen zu berücksichtigen. Entsprechend der Wichtung der Wahrscheinlichkeit der unterschiedlichen Differentialdiagnosen ist für jeden Fall ein individueller diagnostischer Plan zu erstellen. Bei einer bestehenden Rückenmarkerkrankung ist in vielen Fällen zur genauen Diagnosestellung eine MRT und/ oder CT-Untersuchung notwendig. Jedoch kann eine Röntgenuntersuchung des relevanten Abschnittes der Wirbelsäule in einigen Fällen ausreichend, angezeigt oder gar als erstes diagnostisches Mittel klinisch indiziert sein. Im Fall eines 12jährigen Hundes mit chronischen orthopädischen Problemen und Gangschwierigkeiten seit einigen Monaten, welcher mit akuter nichtgehfähiger Paraparese vorgestellt wird, sind neoplastische oder degenerative Erkrankungen am wahrscheinlichsten. Im Röntgen der Brust-Lendenwirbelsäule könnten knöcherne Veränderungen im Sinne einer lytischen Wirbelkörperläsion gesehen werden. Ein zusätzliches Röntgen des Thorax ergibt Hinweise auf eine metastatische Lungenerkrankung. In diesem Fall ist mit dem Röntgen die sehr wahrscheinliche Diagnose einer Neoplasie des betroffenen Wirbelkörpers gestellt. In einem anderen Fall wird eine perakut paraparetische Katze nach Autounfall vorgestellt. In diesem Fall ist es für die weitere Handhabung des Tieres essential, die Stabilität der Wirbelsäule und eventuelle thorakale Verletzungen einschätzen zu können. Auch in diesem Fall ist eine Röntgenaufnahme als erstes diagnostisches Mittel indiziert. In diesem Fall empfiehlt es sich, das betroffene Tier auf einer röntgendurchlässigen Platte in lateraler Seitenlage zu fixieren (soweit die Kooperativität des Tieres dies zulässt) und alle weiteren Untersuchungen und Behandlungen in dieser Position zu vollführen, bis eine Aussage zur Wirbelsäulenstabilität getroffen werden kann. Im dritten Fall wird ein mittelalter Dackel mit akuter T3-L3 Myelopathie vorgestellt. Die Hauptätiologie in 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 249

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ diesem Fall ist degenerativ und eine Diskopathie die Hauptdifferentialdiagnose. In diesem Fall wird das Röntgenbild mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht diagnostisch sein. In jedem Fall ist anhand eines nativen Röntgenbildes keine Operationsindikation zu stellen. Wird das Röntgen mit der Myelographie kombiniert, kann in den allermeisten Fällen die Indikation zur Operation gestellt und im Fall eines Bandscheibenvorfalls die Operation geplant werden. Bei dem Verdacht entzündlicher ZNS-Erkrankungen (Myelitis) ist eine Liquor-Untersuchung meist notwendig. Als vierter Fall wird ein junger Jack Russel Terrier mit perakuter, nicht schmerzhafter, stark asymmetrischer Paraparese vorgestellt. Die Symptome begannen am Vortag beim Spielen mit dem Ball. In diesem Fall ist eine intramedulläre Myelopathie im Sinne eines FCE oder einer nicht kompressiven Nucleus pulposus Extrusion (ANNPE) am wahrscheinlichsten und eine Diagnose wird nur mittels MRT-Untersuchung zu erreichen sein. Wirbelfraktur – Wirbelluxation Im oben geschilderten Fall wird eine Katze mit Paraparese nach Autounfall vorgestellt. Die latero-laterale Röntgenaufnahme, welche nach Fixation der Katze auf dem dafür vorgesehenen „Röntgenbrett“ angefertigt wurde, ergab eine Wirbelfraktur. Für das weitere Vorgehen und die Therapieempfehlung gegenüber den Besitzern muss die Stabilität der Wirbelfraktur eingeschätzt werden. Hierzu können unterschiedliche Klassifikationsschemata herangezogen werden. Generell gilt, der Hauptanteil der Stabilität liegt im ventralen Kompartiment (Wirbelkörper, Bandscheibe) der Wirbelsäule. Im „Zwei-Säulen-Model“ wird die Wirbelsäule in ein dorsales (Lamina, Wirbelgelenke, Pedikel) und ventrales Kompartiment (Wirbelkörper, Bandscheibe) geteilt. Ist das ventrale oder mehr als ein Kompartiment betroffen, ist die Wirbelfraktur als instabil einzuschätzen. Bei dem „Drei-Säulen-Model“ wird die Wirbelsäule in ein dorsales, mittleres und ventrales Kompartiment eingeteilt. Auch in diesem Fall gilt, ist mehr als ein Kompartiment betroffen, gilt die Fraktur als instabil. Eine eher funktionelle Klassifikation betrachtet die Bandscheibe, den Wirbelkörper und die Wirbelgelenke. Ist nur die Bandscheibe traumatisch stark geschädigt, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit von einer Instabilität auszugehen. In diesem Fall wird im Röntgen wahrscheinlich keine knöcherne Läsion gesehen. Der Patient kann dennoch plegisch vorgestellt werden, da es zum Zeitpunkt des Traumas möglicherweise zu einer temporären Luxation gekommen ist. Das Röntgen bietet immer nur eine statische Momentaufnahme. Bei einer traumatischen Luxation kann aufgrund der Muskelstabilität wieder repositionieren. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass bei Verdacht einer Wirbelfraktur bis zur Diagnosestellung von einer Sedation und Medikamenten, welche zu einer Muskelrelaxation führen können, Abstand genommen werden sollte. Sedativa können eine neurologische Einschätzung des Patienten mit akutem ZNS-Trauma erschweren bis unmöglich machen. Muskel relaxierende Medikamente reduzieren die Stabilität der Wirbelsäule und erhöhen so das Risiko der Luxation. Verletzungen der Wirbelgelenke bei unverletztem Wirbelkörper und Bandscheibe gelten als relativ stabil. Ist dagegen der Wirbelkörper frakturiert, ist in den allermeisten Fällen von einer instabilen Situation auszugehen. Eine Kombination von zwei oder mehr Wirbelkörperteilen ist als instabil einzuschätzen. Eine instabile Wirbelfraktur/ -luxation/ -subluxation ist chirurgisch zu stabilisieren. Wird ein Trauma-Patient mit Verdacht auf Wirbelfraktur vorgestellt, ist ein standardisiertes Vorgehen empfohlen. Für die optimale Behandlung des Patienten sollte neben der betreuenden Tierärztin mindestens eine weitere fachkundige Person involviert sein. Eine initiale Notfallversorgung und Stabilisierung des Traumapatienten ist nach dem ABC Notfall Schema durchzuführen (Airway – Sicherstellen der Funktion der Luftführenden Wege, gegebenenfalls Intubation), Breathing – Sauerstoff Supplementation, gegebenenfalls Blutgasanalyse, Circulation – ausreichende intravenöse Infusion, Shock-Patient!). Währenddessen oder danach kann ggf. durch eine weitere Person die Anamnese erhoben werden. Der Patient sollte währende der initialen medizinischen Handlungen auf dem „Röntgenbrett fixiert werden. Nach Stabilisierung kann die klinische und neurologische Untersuchung (zu Ende) durchgeführt werden. Wird auf dem im nächsten Schritt angefertigten Röntgenbild eine Wirbelfraktur festgestellt und der Patient ist paraplegisch ohne erhaltene Tiefenschmerzwahrnehmung, ist aufgrund der sehr schlechten bis infausten Prognose die Option der Euthanasie mit den Besitzern zu besprechen. Bei erhaltender Tiefenschmerzwahrnehmung ist weiterführende Diagnostik angezeigt. Sollte das Röntgenbild keinen Hinweis auf eine traumatische Wirbelsäulenläsion ergeben, ist ebenfalls weiterführende Diagnostik zu empfehlen. 250 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ gegebenenfalls In der medikamentösen Therapie ist, wie bereits erwähnt, von muskelrelaxierenden und sedativen Medikamenten bis zum Zeitpunkt der Narkose Abstand zu nehmen. Auch kritisch beurteilt werden muss die Anwendung von Opioiden vor der Überprüfung der Tiefenschmerzwahrnehmung. Diese kann unter Opioidwirkung der Tiefenschmerzwahrnehmung führen. Die Gabe von Glukokortikoiden beim akuten spinalen Trauma wird heute kritisch gesehen. Eine generelle Empfehlung für die Gabe wird in der aktuellen Literatur nicht gegeben. Literatur 1. Fluehmann G, Doherr MG, Jaggy A. Canine neurological diseases in a referral hospital population between 1989 and 2000 in falschen Einschätzung beeinflusst sein und zu einer Switzerland. J Small Anim Pract 2006; 47: 582–7. 2. Loderstedt S. Neuroanatomische Lokalisation – Nur eine akademische Übung? kleintier konkret 2019; 22: 13–20. 3. Cardy TJA, Decker SD, Kenny PJ, Volk HA. Clinical reasoning in canine spinal disease: what combination of clinical information is useful? Vet Rec 2015; 177: 171–171. 4. Luttgen PJ, Cuddon PA. Saunders Manual of Small Animal Practice (Third Edition). Sect 9: Nerv Syst 2006; 1294–303. 5. Platt SR, Olby NJ. BSAVA Manual of Canine and Feline Neurology. British Small Animal Veterinary Association, 2004. Kontakt Dr. Shenja Loderstedt; Klinik für Kleintiere, Veterinärmedizinische Fakultät der Universität Leipzig shenja.loderstedt@kleintierklinik.uni-leipzig.de 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 251

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Tetanus: „Von außen wurde ich hart wie Stein…“ Sarah Gutmann Klinik für Kleintiere, Universität Leipzig, Leipzig Tetanus bei Hund und Katze – Toxine und Empfindlichkeit Der Tetanus (Wundstarrkrampf) wird durch eine Wundinfektion mit dem grampositiven Bakterium Clostridium tetani ausgelöst, dessen Sporen ubiquitär im Erdboden vorkommen. Die vegetative Form des Erregers kann unter anaeroben Bedingungen die Tetanustoxine Tetanospasmin und Tetanolysin bilden (1, 2, 3). Während Tetanolysin hämolysierend wirkt, werden durch Tetanospasmin die für Tetanus typischen Muskelspasmen ausgelöst (2, 3). Zum größten Teil tritt Tetanospasmin im Bereich der neuromuskulären Endplatte in das Nervengewebe ein und gelangt über retrograden Transport entlang der peripheren Nerven ins zentrale Nervensystem. Durch die irreversible Blockade der hemmenden Interneurone des Rückenmarks und des Gehirns verhindert Tetanospasmin die Freisetzung von Glycin und y-Aminobuttersäure (GABA), wodurch es zu unkontrollierten Aktivierungen der α-Motoneuronen und somit zur Verkrampfung der quergestreiften Muskulatur kommt (1, 2, 3). Eine weitere Verteilung im Organismus bei hoher Toxinlast beruht auf einer hämatogenen Ausbreitung zu anderen neuromuskulären Endplatten, sowie des direkten Eindringens des Toxins ins ZNS durch Penetration des vierten Ventrikels (1, 3). Veränderungen der autonomen Funktionen werden durch Bindung des Toxins an sympathische präganglionäre Neurone verursacht (1,3). Tetanus kommt beim Kleintier regelmäßig, aber selten vor. Dies beruht auf der verminderten Empfindlichkeit unserer Hunde und Katzen gegenüber dem Toxin Tetanospasmin im Vergleich zum Mensch oder Pferd. So sind Hunde 600-mal und Katzen sogar 7200-mal resistenter gegen das Tetanustoxin im Vergleich zum Pferd (1). Symptome beim Kleintier Beim Tetanus werden eine fokale und eine generalisierte Form unterschieden. Bei der fokalen Form zeigen sich die typischen Muskelkontraktionen nur lokal im Gebiet nahe der Eintrittswunde, was zum Beispiel zu einer spastischen Gliedmaße führen kann. Bei einer Eintrittspforte der Erreger im Kopfbereich (zum Beispiel Zahnfrakturen) können Trismus (Kieferklemme) oder der typische Risus sardonicus, bei dem die Lefzen zu einem „Teufelsgrinsen“ nach hinten gezogen werden, beobachtet werden. Weitere Veränderungen im Gesichtsbereich sind oft steil aufgerichtete und zusammengezogene Ohren mit deutlicher Stirnfaltenbildung, sowie ein beidseitiger Enophthalmus mit Nickhautvorfall. Bei der generalisierten Form zeigen die Patienten am gesamten Körper Muskelspasmen, die, so lange die Tiere noch stehfähig sind, oft zu einer Sägebockhaltung führen. Der Schwanz wird oft nach dorsal spastisch abgestellt. Beim weiteren Fortschreiten der Erkrankung kommt es zum Festliegen der Tiere und die Patienten können einen Opisthotonus durch die Kontraktion der Nackenmuskulatur zeigen. Diagnosestellung Die Diagnose des Tetanus kann in der Regel als Blickdiagnose im Zusammenhang mit dem Vorbericht gestellt werden. In der Anamnese sollte nach einer Wunde gefragt werden. Diese ist in der Regel etwa eine knappe Woche vor dem Auftreten der ersten Symptome mit Steifigkeit bzw. Gangstörungen oder Veränderungen der Gesichtsmimik aufgefallen. Im Falle von Zahnfrakturen oder Verletzungen im Maulbereich durch den Zahnwechsel bei Junghunden, sowie kleinen, sich schnell schließenden Wunden kann dem Besitzer im Vorfeld allerdings auch keine Wunde aufgefallen sein. Beim Auftreten der fokalen Form kann die Diagnosestellung unter Umständen etwas komplexer sein. In diesem Fall kann versucht werden Tetanus-Antikörper im Blut des Patienten nachzuweisen. Eine Erregerisolation aus der kontaminierten Wunde in Form einer Anzucht kann versucht werden, ist aber nur selten erfolgreich (max. 33%; 3, 4). 252 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Therapie Die Therapie des Tetanus kann vor allem in schwerwiegenden Fällen sehr komplex sein und eine Überweisung in eine Klinik mit stationärer Unterbringung und 24-Stunden-Überwachung der Patienten erforderlich machen. Sie sollte aber auch bei fokalen oder milden generalisierten Fällen nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Die Therapie stützt sich auf mehrere Säulen: Zum einen sollte sofern möglich die Eintrittspforte der Erreger identifiziert und saniert werden. In einer kürzlich durchgeführten retrospektiven Falldatenanalyse der Tetanuspatienten der Klinik für Kleintiere Leipzig konnte die Eintrittswunde in knapp zwei Drittel der Tiere identifiziert werden, was sich mit den Angaben der Literatur deckt (5, 6). Am häufigsten handelte es sich um Pfotenverletzungen (44 %), gefolgt von Zahnverletzungen/ -frakturen bzw. durch den Zahnwechsel- bedingte Verletzungen (15 %), Kastrationswunden (14 %) oder Verletzungen an den Gliedmaßen oberhalb der Pfoten (12 %; 5). Zur Elimination der toxin-bildenden Clostridien sollte ein Antibiotikum verabreicht werden. Hier wird im Allgemeinen Metronidazol (10 mg/kg TID i.v./ p.o. über 10 Tage) empfohlen (3). Zur Reduktion der frei zirkulierenden Tetanustoxine sollte Tetanus-Antitoxin (Equines Tetanus-Serum anhängig vom KGW 10.000 – 20.000 I.E. je Tier) verabreicht werden. Bevor die volle Dosis subkutan oder intravenös gegeben wird, empfiehlt sich eine Testdosis von 0,5 - 1 ml s.c. zu verabreichen und auf Anzeichen einer allergischen Reaktion zu achten. Bereits gebundenes Tetanospasmin kann mit dem Antitoxin allerdings nicht mehr abgefangen werden (3). Des Weiteren sollten die Patienten vor allem im Falle von schweren Muskelkontraktionen sediert und auch relaxiert werden. Zur Muskelrelaxation können sowohl Diazepam (0,5 mg/kg TID i.v./ p.o./ rektal), als auch Methocarbamol (30 - 50 (- 100) mg/kg TID i.v./ p.o.) und Magnesium (50 – 100 mg/kg TID p.o./ i.v.) verwendet werden. Zur Sedation eignen sich Phenothiazinderivate wie Acepromazin (0,02-0,05 mg/kg s.c./ i.m. als Bolusgabe nach Bedarf) oder α2-Agonisten wie Medetomidin (5 - 15 µg/kg i.v./ i.m. als Bolusgabe bei Bedarf). Die permanente Hypertonizität führt zu nicht unerheblichen Schmerzen der Tiere. Als Schmerzmittel können klassische NSAIDs wie Robenacoxib (1 - 2 mg/kg SID p.o./ s.c.) oder in schweren Fällen auch Opioide (z.B. Levomethadon (0,2 - 0,4 mg/kg s.c. alle 6 Stunden), Buprenorphin (0,01 mg/kg s.c./ i.v. alle 6-8 Stunden)) eingesetzt werden. Sobald die Tiere eine ausreichende Relaxation und Analgesie erhalten haben, sollten bei generalisiert betroffenen Fällen mit täglichen vorsichtigen physiotherapeutischen Übungen begonnen werden. Da die Tiere erhöht licht-, geräusch- und berührungsempfindlich sind und jede Form von Stress die Muskelkontraktionen verschlimmern kann, sollten betroffene Tiere in einer ruhigen und abgedunkelten Umgebung auf einer gepolsterten Unterlage untergebracht und regelmäßig vorsichtig gewendet werden. Solange die Tiere noch zuverlässig Schlucken können, kann eine assistierte Fütterung aus der Hand versucht werden. Sollte dies in schweren Fällen durch starken Trismus oder Spasmen im Bereich des Oropharynx nicht mehr möglich oder die Gefahr einer Aspirationspneumonie durch Verschlucken erhöht sein, sollten Ernährungssonden gelegt werden, um die Ernährung der Patienten sicherzustellen. Hierbei ist eine PEG-Tube (perkutane endoskopische Gastrostomie Sonde) der Ösophagussonde vorzuziehen. Im Falle einer ausbleibenden Miktion aufgrund von Spasmen des Blasensphinkters oder bei festliegenden Tieren auch aus hygienischen Gründen kann ein Blasenverweilkatheter zur Gewährleistung der regelmäßigen Urinelimination notwendig werden. Komplikationen und Prognose Da das Toxin irreversibel an die Rezeptoren bindet, ist die Dauer der Symptome mit etwa 2 bis 3 Wochen sehr lang. Erst in dieser Zeit werden neue unbesetzte Rezeptoren gebildet, die die Toxin-besetzten Rezeptoren ersetzen. Die Komplikationsrate von 18 – 50 % ist relativ hoch (4 -10). Aufgrund der generalisierten Spasmen kommt es häufig zu schweren Hyperthermien, die lebensbedrohlich werden können. Aufgrund von Veränderungen in der autonomen Regulation der Patienten durch das Tetanustoxin, kann es zu Tachypnoe, Tachykardie, Arrhythmien, Bradykardie, Hypo- oder Hypertension, Hypersalivation und vermehrter Sekretion der Atemwege kommen (1, 2, 3). Daher sollten die Patienten in Abhängigkeit von der Schwere der Erkrankung regelmäßig überwacht, die Vitalparameter gemessen und die Therapie entsprechend angepasst werden. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 253

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Hund / Katze ___________________________________________________________________________________________________________ Respiratorische Komplikationen sind vor allem Aspirationspneumonien und Dyspnoe aufgrund der Lähmung bzw. Spasmen des Zwerchfells, des Larynx und weiterer Atemmuskeln (6, 7). Dies kann eine mechanische Ventilation des Patienten notwendig machen (3, 6, 7). Aufgrund der Gefahr der Aspirationspneumonie sollte eine Röntgenaufnahme des Thorax zu Beginn der Therapie und im späteren Verlauf sobald sich die Atmung verschlechtert eine Kontrollaufnahme erfolgen. Ein durch Tetanus ausgelöster Megaösophagus oder eine Hiatushernie können so ebenfalls frühzeitig erkannt werden (1). In der Regel sind nach der Genesung der Tetanuspatienten keine schwerwiegenden Folgeerscheinungen zu erwarten, allerdings wurden in den letzten Jahren einige Fallserien über REM-Schlafstörungen bei Hunden nach überstandenem Tetanus veröffentlicht (4, 11). Diese können mit Vokalisation, Kaubewegungen des Kiefers und Ruderbewegungen der Gliedmaßen einhergehen, dürfen aber nicht mit epileptischer Anfallsaktivität verwechselt werden (4, 11). Die Mortalitätsrate liegt laut Literatur im Bereich zwischen 8 und 50 % (4 - 10). Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Tetanus beim Kleintier zwar selten vorkommt und auch heilbar ist, allerdings ist die Therapie meist sehr zeitaufwendig und kostspielig. Besonders bei Patienten mit generalisiertem Tetanus können schwere Komplikationen auftreten, die unter Umständen auch zum Versterben der Tiere führen können. Literatur Löffler C. Tetanus beim Hund. Kleintier.konkret, 2015; 2: 34-43. 1. 2. Popoff MR. Tetanus in animals. J Vet Diagn Invest. 2020 Mar;32(2):184-191. 3. Linnenbrink T, McMichael M. Tetanus: pathophysiology, clinical signs, diagnosis, and update on new treatment modalities. J Vet Emerg Crit Care 2006; 16 (3): 199–207. 4. Shea A, Hatch A, De Risio L, Beltran E. Association between clinically probable REM sleep behavior disorder and tetanus in dogs. J Vet Intern Med. 2018 Nov;32(6):2029-2036. doi: 10.1111/jvim.15320 5. Molter L, Rüdiger A, Flegel T, Dietzel J, Gutmann S. Tetanus bei 52 Hunden und 2 Katzen - eine retrospektive 6. Falldatenanalyse. Proceedings des 69. Jahreskongresses der DVG-Fachgruppe DKG-DVG 2023; Berlin. Zitzl J, Dyckers J, Güssow A, Lehmann H, Hazuchova K. Survival in canine tetanus - retrospective analysis of 42 cases (2006-2020). Front Vet Sci. 2022 Dec 15;9:1015569. doi: 10.3389/fvets.2022.1015569. 7. Guedra M, Cortellini S, Humm K. Respiratory complications in dogs with tetanus: A retrospective study of 53 cases. Can Vet J. 2021 Nov;62(11):1202-1206. 8. Bandt C, Rozanski EA, Steinberg T, Shaw SP. Retrospective study of tetanus in 20 dogs: 1988-2004. J Am Anim Hosp Assoc. 2007 May-Jun;43(3):143-8. doi: 10.5326/0430143. 9. Burkitt JM, et al. Risk factors associated with outcome in dogs with tetanus: 38 cases (1987–2005). J Am Vet Med Assoc 2007;230:76–83. 10. Adamantos S, Boag A. Thirteen cases of tetanus in dogs. Vet Rec. (2007) 161:298–303. doi: 10.1136/vr.161.9.298 11. Knipe M, Embersics C, Dickinson P. Electroencephalography of rapid eye movement sleep behavior disorder in a dog with generalized tetanus. J Vet Intern Med. 2023 Jan;37(1):277-281. doi: 10.1111/jvim.16585. Kontakt Dr. Sarah Gutmann; Abteilung Neurologie und Neurochirurgie, Klinik für Kleintiere, Leipzig Sarah.gutmann@kleintierklinik.uni-leipzig.de 254 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Verhaltenstherapie ___________________________________________________________________________________________________________ Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr? Viviane Theby Tierakademie Scheuerhof, Wittlich Mit dem Alter lassen die kognitiven Fähigkeiten der Hunde nach (Chapagain et al., 2020). Welpen lernen deutlich schneller. Inzwischen hat man auch immer mehr herausgefunden, dass für viele soziale Fähigkeiten gar kein Lernen notwendig ist, sondern wahrscheinlich genetisch fixiert sind (Bray et al., 2021). Welpen von Anfang an verantwortungsvoll trainieren Daher hat es viele Vorteile schon Welpen verantwortungsvoll zu trainieren. Besonders für Ersthundehalter kommt dabei der Aufklärung in der Tierarztpraxis eine hohe Bedeutung zu. Wehr vielversprechend sind dabei Studien, die herauszufinden versuchen, welche Verhalten bei den Hunden am aussagekräftigsten sind, um Probleme anzukündigen, damit früh genug interveniert werden und diese Probleme daher vermieden werden können (Joleka et al., 2023). Vielleicht bietet sich die Arbeit mit kompetenten Hundeschulen an (González-Martínez et al., 2019). Allerdings halte ich es für nötig, sich ein genaues Bild von den fachlichen Fähigkeiten der Hundetrainer zu machen. Zu oft ist es nämlich leider immer noch so, dass gerade Menschen mit schwierigen Hunden nicht geholfen werden kann. Welpentraining ist keine Anfängeraufgabe, sondern der beste Trainer der Hundeschule sollte sich damit befassen. Auch da ist Aufklärungsarbeit der Hundehalter in der Praxis extrem wichtig. Inzwischen ist bekannt, dass das Können des Trainers einen entscheidenden Einfluss auf das Verhalten des Tieres hat (Meier et al., 2023). Auch Welpenschule für die in der Praxis, was eine Fortbildungsmöglichkeit tiermedizinischen Fachangestellten sein könnte, können vielen Hundehaltern hilfreich sein (Christos et al., 2022). Neben der Wissensvermittlung und Aufklärung zum Training und Verhalten der jungen Hunde bietet auch das Gewöhnen an die Praxis einen großen Vorteil. Die Hunde kommen gerne in die Praxis und haben weniger Angst, was die Behandlung vereinfachen und Verletzungen durch Beißvorfälle minimieren kann. Oft haben Hundehalter die Vorstellung, dass sie ihren Welpen erst einmal „Hund sein“ lassen wollen und eine Ausbildung noch nicht für nötig halten. Allerdings lernt der Welpe sowieso in jedem Augenblick. Es besteht also in einem solchen Fall die große Gefahr, dass er nicht nur nichts lernt, sondern eine Menge an unerwünschtem Verhalten, was später zu Problemen führen kann. Ein sehr typisches Beispiel ist das Ziehen an der Leine: Fast jeder Hundehalter bringt seinem Welpen perfekt bei, an der Leine zu ziehen. Ich habe noch keinen Menschen gesehen, der nicht seinem Welpen nachgeht, wenn der irgendwo hinzieht. Wenn Hundehalter die Zusammenhänge zwischen Verhalten und Verstärker früh genug verstehen würden, dürfte Leinenführigkeit gar kein Problem sein. Dasselbe gilt für den Rückruf, aber auch für Verhalten in der Wohnung wie Betteln bei Tisch, aufgeregtes Verhalten bei Verlassen des Hauses oder Anbellen von Besuch. Es ist viel leichter, diese Verhaltensweisen erst gar nicht entstehen zu lassen, als ihnen später entgegen zu wirken. Auch alte Hund können noch lernen Zwar geht es langsamer, aber die Neuroplastizität (Carrillo-Marquez et al., 2022) besteht bis ins hohe Alter. Auch dieser Aspekt darf sich mehr und mehr verbreiten. Durch Veränderungen im Gehirn, was wir durch Training, Gestaltung des Alltags (Milgram, 2003), neue Bewegungen oder auch Nahrung z.B. erreichen können, können wir immer auch Verhalten ändern. O´Brian et al. (2021) fanden heraus, dass man über Training der alten Hunde das Kognitive Dysfunktion Syndrom aufhalten kann. Viel zu oft ist es leider so, dass Hunde mit einem bestimmten Verhaltensproblem ein „Etikett“ angehängt bekommen und die Hundehalter sich der potentiellen Entwicklungsmöglichkeiten gar nicht bewusst sind. In unserer Hundeschule haben wir über fast 25 Jahre Training die Erfahrung gemacht, dass für alte Hunde viele gymnastische Übungen, isometrische Übungen und Training an Geräten viele Vorteile für Hund und Halter bringen (Theby & Hares, 2014). 256 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Verhaltenstherapie ___________________________________________________________________________________________________________ Literatur 1. Bray, EE; Gnanadesikan, GE; Horschler, DJ; Levy, KM; Kennedy, BS; Famula, TR & MacLean, EL (2021) „Early-emerging and highly heritable sensitivity to human communication in dogs“ Current Biology 31, 3132-3136 2. Carrillo-Marquez, J. R., & Carrillo-Ruiz, J. D. (2022). Neurophysiology Involved in Neuroplasticity: Mechanisms of Forgetting. In Neurophysiology-Networks, Plasticity, Pathophysiology, and Behavior. IntechOpen. 3. Chapagain, D; Wallis, LJ, Range, F; Affenzeller, N; Serra, J; Virányi, Z (2020), „Behavioural and cognitive changes in aged pet dogs: No effects of an enriched diet and lifelong training“ PLoS ONE 15(9): e0238517 4. Christos, C., & Buckely, L. A. (2022). „Veterinary-led puppy parties: A cross-sectional survey to quantify the methods and approaches undertaken within UK veterinary practices“ Journal of Veterinary Behavior, 58, 1-9. 5. González-Martínez, A; Martínez, MF; Rosado, B; Luno, I; Santamaria, G; Suárez, ML; Camino, F; de la Cruz, LF & Diéguez, FJ (2019) „Association between puppy classes and adulthood behavior of the dog“ Journal of Veterinary Behvior 32, 36-41 Joleka, F; Mercier, P; Honneckman, L; Dunham, AE; Overall, KL (2023) „Sensitivity of benchmarked behavioral assays for distress: Should we attend to certain behaviors during exams?“ Journal of Veterinary Behavior, 66, 36-38 6. 7. Meier, J; Theby, V; Hillmann, E; Gygay, L; Fischer-Tenhagen, C (2023) „Why workshop work: examining the efficiacy of training Trainers to train goats“ Animal welfare (in press) 8. Milgram, N. W. (2003). Cognitive experience and its effect on age-dependent cognitive decline in beagle dogs. Neurochemical research, 28, 1677-1682. 9. O´Brian, ML; Herron, ME; Smith, AM (2021) „Effects of a four-week group class created for dogs at least eight years of age on the development and progression of signs of cognitive dysfunction syndrome“ Journal of the American Veterinary Medical Association 259 (6) 10. Theby, V & Hares, M (2014) „Alter Hund - na und - Körper und Geist fordern und fördern - für Hunde Ü5“ DVD Kontakt Dr. Viviane Theby; Tierakademie Scheuerhof, Wittlich scheuerhof@t-online.de 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 257

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Verhaltenstherapie ___________________________________________________________________________________________________________ Mit Medical Training eine solide Basis fürs Leben schaffen Nicole Stein Tierarztpraxis Nicole Stein, Mülheim-Kärlich Was ist eigentlich Medical Training? Mit Medical Training assoziieren viele die Vorbereitung auf den Besuch beim Tierarzt. Medical Training kann aber so vieles mehr. Es umfasst neben der Vorbereitung auf medizinische Versorgung auch die Gewöhnung an Pflegemaßnahmen und alle Manipulationen, die einem Tier durch das Zusammenlegen mit dem Menschen unweigerlich widerfahren. Fellpflege bis hin zum Baden, Krallen kürzen, Zecken ziehen, Versorgung von kleinen Wunden, Pflege und Behandlungen von Augen und Ohren, aber auch Pfoten abwischen, Geschirr anziehen oder einfach nur die Leine am Halsband einhängen. Die Liste ist unendlich lang und unsere Tiere sind damit täglich konfrontiert. Jedes Tier empfindet ohne Training solche Manipulationen am eigenen Körper als übergriffig. Vor allem, wenn sie ungefragt durchgeführt werden. Medical Training ist Bindungsarbeit pur Durchdacht aufgebautes Training von Handlingmaßnahmen bis hin zu medizinischer Versorgung ist eine gute Möglichkeit der Bindungsarbeit. Die Tiere lernen kleinschrittig und individuell angepasst Berührungen im besten Fall entspannt anzunehmen und nicht einfach nur irgendwie hinzunehmen. Medical Training gehört mit all seinen Facetten auf jeden Fall in die Welpenzeit. Durch behutsames Heranführen an nötige Manipulationen entsteht Vertrauen, dass essentiell wichtig ist, um jegliche Form von Behandlungen und Pflegemaßnahmen auch später noch für beide Seiten entspannt durchführen zu können. Berührungen positiv verknüpfen Ganz vorne auf dem Plan stehen Berührungen jeglicher Art. An Berührungen – ob mit der Hand oder mit Gegenständen – gewöhne ich die Welpen sehr gerne mit Hilfe der Tellington TTouches®. Für mich gehören tägliche TTouch-Einheiten und Tellington Körperbänder unbedingt in die Welpenzeit hinein. Denn damit lernen die Welpen am besten und ganz nebenbei, dass menschliche Hände Gutes tun und wie einfach es ist zu entspannen und in schwierigen Situationen runter zu fahren. Das Kennenlernen von Gegenständen wie die Bürste, die Schermaschine, die Krallenzange oder auch das Stethoskop passiert beim Welpen ohne negative Vorerfahrungen oft so nebenbei. Wichtig ist auch hier wieder sehr achtsam zu sein und den Welpen zunächst einmal nur positive Erfahrungen mit den Gegenständen machen zu lassen. Unangenehme Reize Natürlich ist es auch wichtig die Welpen mit unangenehmen Dingen wie Schmerzreize, starke Gerüche oder ungewöhnliche Geräusche zu konfrontieren. Aber hier ist weniger mehr. In erster Linie geht es in der Welpenzeit mal darum Vertrauen aufzubauen und Sicherheit zu vermitteln. Medizinische Untersuchungen vorbereiten Warten können spielt gerade für die Tierarztpraxis eine wichtige Rolle. Hundewelpen sollten lernen sich beispielsweise im Wartenzimmer auf einer Decke mit einem Kauartikel zu beschäftigen, während Katzenwelpen die Box als Entspannungs- und Rückzugsort kennenlernen müssen. Weitere wichtige Lerninhalte für die Welpen im Bereich Medical Training sind sich entspannt fixieren und hochheben zu lassen, entspannt auf einem Tisch stehen, ruhig auf der Seite liegen und die ersten Schritte eines Maulkorbtrainings. Etwas weiter gefasst gehören noch Aufgaben wie Auto fahren, fremde Räumlichkeiten und fremde Personen und zu einer guten Medical Training Ausbildung der Welpen dazu. 258 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Verhaltenstherapie ___________________________________________________________________________________________________________ Kooperationsverhalten Koopertionsverhalten räumen den Tieren im Medical Training ein Mitbestimmungsrecht ein. Für viele Behandlungen und Untersuchungen sind sie ein hilfreiches Tool. Ein oft genutztes Koopertionsverhalten ist beispielsweise das Kinn-Target. Dabei legt der Hund sein Kinn auf der Hand oder einem Gegenstand (Stuhl oder Kiste) ab und signalisiert so seine Bereitschaft sich behandeln zu lassen. Löst er das Kooperationsverhalten auf, indem er den Kopf von der Unterlage abhebt, gibt er zu verstehen, dass ihm die Manipulation zu viel ist und bittet um eine Pause. Tiere, mit denen auf diese Weise Behandlungen trainiert werden, lassen sich viel entspannter untersuchen als Tiere, bei denen Zwang angewendet wird. Der Aufbau dieser Kooperationsverhalten gehört auch schon in die Welpenzeit hinein. Auch wenn die Anwendung in medizinischen Behandlungen und Pflegemaßnahmen erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt, sollte man die Welpenzeit nutzen, um schon mal die Grundlagen dafür zu legen. Literatur 1. Viviane Theby: Das Kosmos Welpenbuch 2. Viviane Theby: Verstärker verstehen 3. Sabine Schroll: Katzen-Kindergarten Kontakt Nicole Stein, Tierarztpraxis Nicole Stein nicole.stein@tierarztpraxis-stein.de 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 259

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Verhaltenstherapie ___________________________________________________________________________________________________________ Gibt es ADHS beim Hund oder sind auffällige Hunde nur nicht ausgelastet? Celina del Amo Tierärztliche Gemeinschaftspraxis Lupologic, Neuss Abstract Hunde, die unkonzentriert sind und die sich körperlich unruhig oder auch impulsiv zeigen, werden häufig als „hyperaktiv“ bezeichnet. Das Verhalten der Hunde schränkt die Hund-Halter-Harmonie ggf. stark ein. Der Gedanke, es könnte sich um ADHS handeln, ist manchmal für den Halter ein Hoffnungsschimmer. Bevor man aber vorschnell diese Diagnose stellt, gilt es den Fall sauber zu analysieren. Die Kernfrage hierbei ist: Haben wir es mit einem neurologischen, einem „psychiatrischen“ oder einem Trainings- bzw. Haltungs- und Versorgungsproblem zu tun? Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) Als Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung wird in der Humanmedizin eine Krankheit bezeichnet, für deren Diagnose bislang noch kein verlässlicher Biomarker gefunden wurde. Die Diagnosestellung erfolgt im Regelfall anhand der vorliegenden Symptome und spezieller Fragebögen. Die Erkrankung wird als neurologische Entwicklungsstörung eingeschätzt. Kennzeichen von ADHS sind: im Altersvergleich (Kinder) und situativen Vergleich mit anderen Patienten (Erwachsene) verkürzte Aufmerksamkeitsspannen, Konzentrationsschwächen, Hyperaktivität und ggf. gesteigerter Impulsivität. Als Ursache gilt eine Gehirnfunktionsstörung (Neurotransmitterstörung), die sich bereits kurz nach der Geburt entwickelt und sich oft vor dem vierten Lebensjahr bzw. spätestens bis zum zwölften Lebensjahr zeigt. Bei den Patienten müssen nicht grundsätzlich alle der genannten Kennzeichen vorhanden sein oder im gleichem Schweregrad auftreten. Es gib Fälle bzw. Krankheitsverläufe, die ohne bemerkenswerte Hyperaktivität und auch mit ungestörter Impulskontrolle einhergehen. In der Humanmedizin werden hinsichtlich der Häufigkeit, mit der das Problem auftritt, ganz konträre Meinungen vertreten. Die einen gehen von einer hohen Dunkelziffer nicht diagnostizierter Patienten aus, die anderen halten das Auftreten von ADHS für überbewertet bzw. sogar für eine häufig gestellte Fehldiagnose. Aktuell sind in Deutschland 2-6 % der Kinder per Diagnosestellung von ADHS betroffen (1). Die Therapie von ADHS besteht aus verschiedenen Bausteinen. Neben psycho- und verhaltenstherapeutischen Ansätzen steht auch Sport auf dem Programm. Am bekanntesten und auch am häufigsten als Einzeltherapie genutzt ist jedoch ein pharmakologischer Therapieansatz. Hierbei werden Stimulanzien (v. a. Methylphenidat) eingesetzt, die bei den Patienten einen paradoxen beruhigenden Effekt erzeugen. Vorrangig wird hierbei die neuronale Informationsübertragung verändert, die Dopamin als Neurotransmitter nutzt. Übertragung auf Hunde Die bei ADHS verzeichneten Verhaltensauffälligkeiten können auch bei Hunden auftreten. Konkret sind Konzentrationsschwächen, motorische Unruhe und ggf. auch unerwünscht impulsives Verhalten keine Seltenheit. Sie vorschnell als ADHS zu klassifizieren, ist jedoch im Sinne eines fachgerechten Vorgehens recht gewagt. Da das Krankheitsbild auch bei Menschen uneinheitlich und somit schlecht quantifizierbar ist, ist eine einfache Übertragung auf den Hund kritisch zu sehen. Dies gilt speziell, da für jedes der genannten Leitsymptome auch beim Hund andere Ursachen in Frage kommen, die teils nicht im Entferntesten etwas mit einer neurologischen Entwicklungsstörung zu tun haben. Einzelne Fallberichte und Studien mit geringer Patientenzahl von Hunden, die unter dem Einsatz von Stimulanzien (neben Methylphenidat auch andere Amphetamine) zur Ruhe kommen, sind jedoch vorhanden. Als Grundkrankheit wurde bei den Hunden Narkolepsie bzw. Hyperaktivität diagnostiziert (2,3). 260 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Verhaltenstherapie ___________________________________________________________________________________________________________ Der Weg zur Diagnose Um eine sichere Diagnose stellen zu können ist es unumgänglich, den Fall allumfassend zu analysieren. Ideal ist es, wenn man den Hund sowohl gründlich körperlich abklärt und zusätzlich im Detail schaut, welche psychischen/emotionalen Belastungen vorliegen und wie er gehalten, versorgt und trainiert wird. Körperliche Ebene Oft basiert die Einschätzung „ADHS“ auf einer reinen Vermutung. Häufig ist bei den Patienten überhaupt noch keine gründliche klinische Untersuchung erfolgt. Da Konzentrationsmangel und motorische Unruhe völlig unspezifische Begleiterscheinung bei einer Vielzahl von Erkrankungen sind, die Unwohlsein beim Hund auslösen, gilt es „alles“ anzuschauen und als potenzielle Ursache für die Verhaltensauffälligkeit in Betracht zu ziehen. Wenn man in der allgemeinen Untersuchung Verdachtsmomente findet, gilt es, diese ggf. mit Spezialuntersuchungen zu untermauern. Psychische Ebene im Vordergrund. Schon Auf psychischer Seite stehen vor allem Angstbelastungen in milder Ausprägungsform (Unsicherheit) ist die Konzentrationsfähigkeit eingeschränkt. Bei schwereren Ängsten ist zudem motorische Unruhe („Zappeln“, Meideverhalten oder Fluchtversuche) regelmäßig mit im Programm. Auch ein Kippen in Richtung aggressiven Reaktionen ist keine Seltenheit. Hier ist es wichtig zu schauen, ob das Verhalten auf einer Überforderung basiert, etwa wenn die Belastung nicht nachlässt und dem Hund keine Lösungsstrategie vertraut ist oder ob eine Impulskontrollstörung vorliegt. In letzterem Fall liegt der Verhaltensreaktion das Erleben von Frustration zugrunde. Bei dem Verdacht mangelnder Frustrationstoleranz sind im Sinne der Gefahrprophylaxe ggf. weiterführende Test erforderlich. Umwelt-Ebene Folgende Fragen gilt es zu klären: Wie wird der Hund gehalten und versorgt? Wie ist der Umgang mit ihm? Wie wird er trainiert? Welche Verhaltensdetails wurden (ggf. auch unabsichtlich!) belohnt und wann wurden ggf. (welche) Strafen eingesetzt? Waren die Maßnahmen geeignet, um dem Hund zu mehr innerer Ruhe zu verhelfen? Wie gut ist sein aktueller Trainingsstand? Wann wurden erste Trainingsübungen gestartet und wann wurde er auffällig? Zeigt er sich locker und vertrauensvoll im Umgang mit dem Halter? Mangelnde Auslastung Als „Sonderpunkt“ gilt auch, die Auslastung des Hundes zu überprüfen. Anders als von Laien häufig vermutet, ist mangelnde Auslastung im Regelfall jedoch nicht die Ursache für die Verhaltensauffälligkeiten. Dies bedeutet allerdings keinesfalls, dass die Hunde grundsätzlich ideal versorgt werden. Vielmehr sind die Symptome schlicht nicht die Folge mangelnder Auslastung. Ein Hund, der über einen längeren Zeitraum massive Langeweile erleben musste und ggf. zu wenig Bewegung bekommen hat, zeigt anschließend keine anhaltende Konzentrationsschwäche oder Unruhe, wenn die defizitäre und tierschutzrelevante Haltung verbessert wird. Auch Impulskontrollstörungen sind nicht die Folge mangelnder Auslastung. Therapie Die Therapie muss individuell ausgerichtet werden, da den ADHS-ähnlichen Symptomen ganz unterschiedliche Ursachen zugrunde liegen können. Insgesamt geht es nicht um ein „mehr“, sondern um einen punktgenauen Ansatz. An oberster Stelle steht die Therapie etwaiger Schmerzen und anderer chronischer Grunderkrankungen. Zusätzlich können Umstellungen der Ration in vielen Fällen vorteilhaft sein. Bei Verdacht auf eine Futtermittelunverträglichkeit kommt eine Ausschlussdiät oder mindestens die Umstellung auf eine hydrolysierte Diät in Frage. Auch kohlenhydratarme Nahrung sowie die Ergänzung mit MCT-Öl oder bestimmten Aminosäuren kann in manchen Fällen den Weg zu einem Durchbruch ebnen. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 261

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Verhaltenstherapie ___________________________________________________________________________________________________________ Hinsichtlich des Trainings sind Umstellung auf einen kleinschrittigen und belohnungsbasierten Übungsansatz (bei gleichzeitigem Verzicht auf Strafen) sinnvoll – falls dies vorher nicht gegeben war. Lohnend ist darüber hinaus die Umsetzung von Konzentrationsübungen. Besonders geeignet sind die Schulung eines längeren Blickkontakts und Target-Übungen (z. B. „Nasentouch“ oder mit dem Kinn in der Hand stationieren). Selbstkontrolle-Übungen sind ein Übungs-Multitalent (einzige Einschränkung: sie sollten ohne saubere Abklärung nicht bei Hunden mit einem bestehenden Aggressionsproblem zur Anwendung kommen). Sie steigern gleichzeitig die Konzentration, die Kooperation mit dem Halter und die Impulskontrolle. Hunde, die Selbstkontrolle-Übungen zur Absteckung von Alltagsregeln kennenlernen, erleben automatisch ein höheres Maß von innerer Ruhe und Eigenkontrolle. Das ist sehr vorteilhaft. Aber sie können auch im Spaßsektor als „Spiel“ umgesetzt werden und dienen dann vor allem der geistigen Auslastung. Kontrollierte und vergleichsweise langsame aber ausdauernd umgesetzte Bewegung (ideal: langsamer Trab) führt zu wesentlich mehr Ruhe als das häufig vom Halter angestrebte action-gebundene Auspowern. Vor allem bei gleichzeitig bestehenden Angst- oder Impulskontrollproblemen kommt auch ein psychopharmakologischer Ansatz in Frage. Nach entsprechender Umwidmung kann beim Hund beispielsweise Fluoxetin (SSRI) eingesetzt werden. Prognose Die Prognose ist bei sauberer Fallanalyse häufig gut, da man vielen Ursachen sowohl auf der körperlichen Seite als auch auf der trainerischen Ebene therapeutisch effektiv die Stirn bieten kann. Fazit Der Verdacht, dass der Hund ADHS haben könnte oder nicht ausgelastet ist, wird häufig geäußert und die Hunde zeigen auch entsprechende Verhaltensauffälligkeiten. Die Therapieerfolge mit den oben aufgeführten Maßnahmen deuten jedoch eher in die Richtung, dass ADHS für diese Patienten eine Fehldiagnose wäre. Einzig die sehr seltene echte Hyperaktivität scheint klinisch relevante Ähnlichkeit mit ADHS zu haben. Literatur 1. Göbel K, Baumgarten F, Kuntz B, Hölling H, Schlack R. ADHS bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland – Querschnittergebnisse aus KiGGS Welle 2 und Trends. Journal of Health Monitoring 2018 3(3), DOI 10.17886/RKI-GBE- 2018-078. Robert Koch-Institut 2. Van Heerden J, Eckersley GN, Narcolepsy in a long-haired dachshund. Journal of South African Veterinary Association 1989, 60(3):151-3 3. Bareggi S R, Becker R E, Ginsburg B, Genovese E. Paradoxical effect of amphetamine in an endogenous model of the hyperkinetic syndrome in a hybrid dog: correlation with amphetamine and p-hydroxyamphetamine blood levels. Pharmacology 1979 Apr 25; 62(3):217-24 Kontakt Celina del Amo; Tierärztliche Gemeinschaftspraxis Lupologic, Neuss info@lupologic.de 262 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Verhaltenstherapie ___________________________________________________________________________________________________________ Ist es Epilepsie, eine Mangelernährung oder doch „nur“ ein Verhaltensproblem? Benjamin-Andreas Berk1,2 1BrainCheck.Pet, Tierärztliche Praxis für Neurologie, Schwerpunkt: Epilepsie, Mannheim, Deutschland 2Department of Clinical Science and Services, Royal Veterinary College, Hatfield, United Kingdom. Das große Rätsel des Krampfes Der Begriff „Krampf“ ist nach dem deutschen Duden je nach Kontext unterschiedlich definiert. Der Kontext bestimmt maßgeblich zum einen die Schwere, aber auch die Handhabung. Entsprechend dieser nach Umstand bedingten Definition, ruft dieses Wort bei Verwendung im Tierbesitzergespräch unterschiedliche Reaktionen beim tiermedizinischen Personal hervor. Somit ist es umso wichtiger, dass man im Detail erfasst und bewertet, was genau passiert ist. Ein „Krampf“ bedeutet in diesem Zusammenhang nicht automatisch, dass es „epileptiform“ alias epilepsieartig (= einem epileptischen Anfall oder seinen Erscheinungsformen vergleichbar) sein muss. Ein Krampf kann somit die Facette einer Verhaltensproblematik beinhalten. Die genaue Ursache gilt es für uns Tierärzt*innen stets nach standardisierten Richtlinien und der besten Methoden der tierärztlichen Praxis zu eruieren. Die Consensus Statement Veröffentlichungen der International Veterinary Epilepsy Task Force richtigen Diagnostik. Zusammenfassend steht somit bei jedem „krampfen“ auch immer die Frage im Raum, ist es wirklich Epilepsie, oder hat gibt es doch eine andere Ursache? (IVETF, 2015) bieten hier eine umfassende Informationsbasis der Zu Beginn sollte man verstehen, was ein epileptiformer Krampfanfall (eA) ist und wie dieser abläuft. Man unterteilt einen eA in verschiedene Abschnitte, in denen unterschiedliche Dinge im Gehirn ablaufen und aufeinander folgen. Hyperexzessive neuronale Hirnaktivität entlädt sich und führt zu einem Output mit bestimmten Kardinalszeichen. Der eigentliche Krampf ist der sogenannte Ictus; in der postiktalen Phase (Nach- Anfallsphase) versucht sich das Gehirn wieder zu erholen und einen „Reset“ durchzuführen (1). Bei wiederkehrendem (>24 h) Auftreten von solchen eA bzw. dass es das Gehirn bei einem Abstand von mindestens 24 h erneut generiert, spricht man von der in der Kleintierpraxis am häufigsten vorkommenden chronischen, neurologischen Erkrankung: der Epilepsie. Die Epilepsie kommt bei ca. 0.6 bis 0.8 % der Hunde (2, 3) und geschätzt bei 0.5 % der Katzen vor (4, 5). Die klassischen Kardinalssymptome eines eA sind: a) Bewusstseinseinschränkung oder -verlust, b) vegetative Nervensystemsymptome (Harn- oder Kotabsatz, Speicheln), c) postiktale Phase. Die Ursache/n für einen eA können vielseitig sein, neben der reaktiven (stoffwechselbedingten, entzündlichen) Form, gibt es die idiopathische, sowie die strukturell bedingte Art der Epilepsie. (6). Grundlegend handelt es sich hierbei um eine Ausschlussverfahren nach IVETF 2015, die dem Tierärzt*innen zur Diagnose verhelfen. Differentialdiagnosen – Nicht alles, was zappelt, ist automatisch ein Epileptiker. Neben den epileptischen Krampfanfällen gibt es noch diverse andere Arten von „Krämpfen“, die nach ihrer Symptomatik eine andere Erkrankung darstellen und Therapie erfordern. Diese Art von Krämpfen kann den Tierarzt in die Irre leiten, zu Fehldiagnosen bringen oder andere Erkrankungen nachahmen. Zu den Differentialdiagnosen des Krampfes gehören: a) Vestibularsyndrom; b) Idiopathischer Kopftremor; c) Synkope; d) Kataplexie / Narkolepsie; e) Paroxysmale Verhaltens- / Zwangsstörung; f) Neuromuskuläre Erkrankungen; g) Paroxysmale Dyskinesie. Jede dieser Anfallserkrankungen zeichnet sich durch bestimmte Leitsymptome aus und kann dadurch von den anderen unterschieden werden. Zusammenfassend besteht hier immer eine Verwechslungsgefahr (6, 7). Neben der Identifikation der Kardinalssymtpome, stellt somit das Video ein wichtiges Hilfsmittel dar. Eine Videoaufnahme objektiviert die Bewertung des „Krampfes“ und hilft den Vorbericht des Tierbesitzers abzugleichen. Die Epilepsie und das Verhalten – Was ist da los? Eine Differentialdiagnose des ist anfallsartig-auftretende Verhaltensstörung (6). Die Definition einer Verhaltensstörung kann auf verschiedene Arten erfolgen; eine oder mehr der folgenden Eigenschaften ist jedoch allen gemein: (A) störend für den Tierbesitzer (abnormales, aber epileptiformen Krampfanfalls die 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 263

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Verhaltenstherapie ___________________________________________________________________________________________________________ auch natürliches Verhalten, z.B. Territorialverhalten); (B) gefährlich für Artgenossen, Familienmitglieder, Fremde oder den Tierbesitzer, oder für das Tier selbst; (C) direkter oder indirekter, negativer Einfluss auf das Wohlbefinden des Tieres; (D) treten im Zusammenhang oder als Folge einer Erkrankung. Wissenschaftlich nachgewiesen, stehen das Verhalten und der Gesundheitszustand eines Tieres in einer direkten Verbindung (8). Für Tierärzt*innen erschwert diese Gegebenheit in vielen Fällen eine klare Diagnostik und zielgerichtete Behandlungsweise (9). Grundsätzlich sollte man aber folgende vier Bereiche an gesundheitliche Beschwerden im diagnostischen Plan berücksichtigen und bewerten: Solche Probleme, die (a) die Wahrnehmung der Umwelt beeinflussen oder vollständig vorenthalten (z.B. Erblindung); die (b) die Verarbeitung interne, neuronale Verarbeitungsprozesse (hormonell und/ oder neurologisch), welche am Verhalten beteiligt sind, beeinflussen; die (c) die eine Stressantwort hervorruft und Verhalten akut verändert (z.B. Schmerz) oder solche Probleme, die das übliche Verhalten/ Fortpflanzung verändern oder negativ beeinflussen (z.B. Fraktur). (z.B. Gehirntumor) oder von wahrgenommener Information Bei Anfallspatienten kann es aus den obig beschriebenen Gegebenheiten grundsätzlich sehr schwer sein, initial eine wahre Verhaltensstörung von der Epilepsie per se zu trennen. Diese Problematik liegt darin, dass Verhaltensveränderungen erste Anzeichen einer sich entwickelnden Epilepsie sein können (9). Darüber hinaus geht die Erkrankung im Verlauf selbst mit Verhaltensbegleiterkrankungen (z.B. Angst (10), ADHDS (11, 12) oder Kognitionsveränderungen (13)) einher. Fast 50 % der Tierbesitzer von Hunden mit idiopathischer Epilepsie geben akut verändertes und auffälliges Verhalten als Vorbote eines Krampfanfalls an (14). Ein bidirektionaler Zusammenhang zwischen Epilepsie und Verhalten ist somit schwer abstreitbar. Erste ethologische Ausschlussdiagnose: Schmerz Verhaltensveränderungen beim Kleintier sind statistisch am häufigsten mit Schmerz assoziiert (15). Klassische Symptome sind Aggression, zunehmendes Angstverhalten, Schreckhaftigkeit, ungewollter Harn- /Kotabsatz, Vokalisierung, vermehrtes Lecken (16) oder auch stark veränderte Körperhaltung, Mimik, bis hin zu Drangwandern und Verstecken. Wiederkehrende, repetitive Verhaltensequenzen wurden ebenso mit chronischem Schmerz in Verbindung gebracht (17). Leider bestehen in der Tiermedizin keine spezifischen Studien zur Assoziation von Schmerz und manifestierten, repetitiven Verhalten, alias Zwangsstörungen. Epileptiforme Krampfanfälle können prä-iktal und auch post-iktal mit ähnlichem Verhaltensveränderungen einhergehen. Diese Verhaltensabweichungen sind begleitet von mit im MRT nachweisbaren Veränderungen in Liquorverteilung sowie Perfusion und per Spektroskopie darstellbare Metabolismusverschiebungen (z.B. Lactat, freie Fettsäuren) im Hirnparenchyms (18-20). Zu den von Tierbesitzern berichteten klassischen Anfallsvorboten gehören Stress, Müdigkeit, Wetterveränderungen oder hormonelle Faktoren. Hierbei waren 264 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Verhaltenstherapie ___________________________________________________________________________________________________________ fokale Anfälle doppelt so häufiger assoziiert als bei einem generalisierten Geschehen (21). Diese Ähnlichkeiten können dem Diagnostiker bei keinem bis wenig vorliegendem Bildmaterial oder dem alleinigen Verlass auf den Tierbesitzerbericht des „Krampfes“ schnell in die falsche Richtung drängen. Aus einem klinischen Gesichtspunkt bleibt somit ein Schmerzleiden immer eine relevante Differentialdiagnose. Zweite ethologische Ausschlussdiagnose: Stereotypie Als stereotypes oder auch repetitives, zwanghaftes Verhalten bezeichnet man immer wiederkehrende Verhaltenssequenzen, die keinem erkennbaren Zweck dienen. Das Verhalten verläuft jedoch nach einem gleichen bis ähnlichen Muster und spiegelt so eine anfallsartige Episode wieder. Sie treten über einen langen Zeitraum regelmäßig auf und können durch bestimmte Ereignisse getriggert werden (22). Häufig gibt es somit einen bekannten Auslöser, nach dem das Verhalten gezeigt wird; in vielen Fällen kann aber kein Trigger gefunden werden. Zu den Stereotypien gehört auch die nach De Risio et al. 2015 (6) relevante paroxysmale Zwangsstörung. Zu den klassischen Stereotypien zählen z. B. folgende Verhaltensweisen: • • • • • • Übermäßiges Lecken Übermäßiges Bellen Schwanzjagen, im-Kreis-Laufen, Fliegenfangen Starres Stehen vor der Wand Fressen unverdaulicher Gegenstände (Tüten, Steine, etc.) Verstecken hinter Gegenständen Oft ist eine Steigerung der stereotypen Verhaltensstörungen beim Tier zu beobachten. Diese Steigerung kommt oft durch ungewollte Bestätigung durch den Tierhalter zu Stande. Nicht selten und unter langer Dauer der Erkrankung, kann das Verhalten des Tieres nicht mehr aktiv unterbrochen werden (23). Es kommt auch zur Vernachlässigung lebensnotwendiger Verhaltensweisen, wie Schlafen oder Fressen, da das anfallsartige Verhalten als Priorität in den Vordergrund tritt. Beim Anfallspatienten können derartige Stereotypien auch auftreten. Der Phänotypus von Krampfanfällen kann, besonders bei fokalem Typus, sich als Verhaltensstörung zeigen. Das heißt, der nervale „Kurzschluss“ führt aufgrund seiner Neurolokalisation nicht zum klassischen Output, sondern es werden verhaltensinvolvierte Gehirnareale unwillkürlich aktiviert und ausgeführt (1). So kommt es nur zur kurzen, zeitlich begrenzten Verhaltensveränderungen oder einer Mischung mit motorischen, vegetativ-nervalen Eigenschaften. Bei Kleintieren sind hier langanhaltende Episoden von Rastlosigkeit, Aufmerkamskeits-suchendes Verhalten oder Angst dokumentiert. Zur Abgrenzung zwischen Verhaltensstörung und fokal, epileptiform-getriggerte Verhaltensepisode sind die klassischen Kardinalszeichen heranzuziehen; bei epileptiformen Ereignissen kann das Verhalten nicht unterbrochen werden und es kommt zumeist zu einer postiktalen Nachphase. Eine Verhaltensstörung tritt oft im Zusammenhang mit Trigger, wie Stress oder Aufregung auf (22). Dritte ethologische Ausschlussdiagnose: Verhaltenskomorbiditäten der Epilepsie liegt darin, dass neben diese Tendenz Zunehmend bewegt man sich in der Wissenschaft zu dem Begriff des „Epileptischen Syndroms“. Der Grund für auch Verhaltensbegleiterkrankungen und Veränderungen in der kognitiven Leistung nachgewiesen wurden. Hunde mit idiopathischer Epilepsie zeigen im Krankheitsverlauf ein gesteigertes Angstverhalten (9, 10), ein dem Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitätssyndrom-artiges kognitive Einschränkungen in der Problemfindung, oder dem räumlichen Erinnerungsvermögen (24). Verhalten, Epilepsie und Fütterung eigentlichen Anfallsgeschehen, dem (ADHS) Verhalten (12) und Das Fachgebiet der Veterinärneurodiätetik wird zu sehendest größer. Neue klinische Studien, Fallberichte oder auch in-vitro Untersuchungen unterstreichen die fundamentale Rolle von Fütterung (Bestandteile, Fütterungsarten, Futtersupplemente) in Physiologie und Pathologie des Nervensystems. Somit sollte es keine Verwunderung darstellen, dass diätetische Effekte auf Verhalten und auch anfallsartige Erkrankungen bestehen. Bis dato ist der Wissenstand noch begrenzt, befindet sich im Wachstum. In der Verhaltensmedizin ist schon lange bekannt, dass ein Mangel oder Überversorgung von bestimmten Vitaminen oder Mineralien mit Verhaltensstörungen verknüpft sein kann. Ebenso wächst der wissenschaftliche 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 265

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Verhaltenstherapie ___________________________________________________________________________________________________________ Nachweis darüber, dass die Darmflora das Verhalten durch die Produktion von Vorstufen von Neurotransmitter und Hormonen beeinflussen kann (25, 26). In der Veterinärepileptologie unterstützen bereits mehrere greifbare, klinischen Studien den Effekt von mittelkettigen Fettsäuren (MCT). Ein regelmäßiger Konsum von MCTs (C6 – C12) in bestimmten Verhältnissen zu einer durchschnittlichen, eher kohlenhydrat-dominierenden Ration kann das Anfallsgeschehen um bis zu 70 % reduzieren (27-30). Positive Effekte wurden neben Hundeepileptiker, auch für Demenzpatienten gezeigt. Ebenso konnte MCT auch die Kognition und Verhaltensbegleiterkrankungen bei Hundeepileptikern positiv beeinflussen (12, 24). Neuronale Prozesse – egal ob Verhaltensstörung oder epilepitforme Krampfanfälle – hängen signifikant von Neurotransmittern, Hormonen und Energieverfügbarkeit ab. Die regelmäßige, bedarfsgerechte Nährstoffzufuhr ist somit von Bedeutung für einen funktionierendes Gehirn. Weitere Forschung ist unabdingbar, um die Zusammenhänge von molekularbiologisch bis klinisch greifbarer und für die Therapie in beiden Bereichen anwendbar zu machen. Zusammenfassung Im Allgemeinen kann aus dieser Literaturübersicht geschlussfolgert werden, dass die Verhaltensmedizin ein unabdingbarer und wichtiger Anteil in der korrekten Abklärung und Diagnostik einer Anfallserkrankung beim Kleintier darstellt. Der Tierbesitzerbericht und digitale Hilfsmittel, wie ein Video, helfen initial bei der phänotypischen Diagnosestellung und bilden die Basis für weitere Abklärung bis hin zur finalen Therapie. Da die Epilepsie zunehmend als eine Syndrom-Erkrankung anerkannt ist, sollte das therapeutische Management stets multimodal organisiert sein. Die Lebensqualität von Mensch und Tier steht hierbei im Fokus. Literatur 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. Berendt M, Farquhar RG, Mandigers PJ, Pakozdy A, Bhatti SF, De Risio L, et al. International veterinary epilepsy task force consensus report on epilepsy definition, classification and terminology in companion animals. BMC Vet Res. 2015;11:182. Erlen A, Potschka H, Volk HA, Sauter-Louis C, O'Neill DG. Seizure occurrence in dogs under primary veterinary care in the UK: prevalence and risk factors. J Vet Intern Med. 2018. Kearsley-Fleet L, O’Neill DG, Volk HA, Church DB, Brodbelt DC. Prevalence and risk factors for canine epilepsy of unknown origin in the UK. Vet Rec. 2013;172. Wahle AM, Bruhschwein A, Matiasek K, Putschbach K, Wagner E, Mueller RS, et al. Clinical characterization of epilepsy of unknown cause in cats. J Vet Intern Med. 2014;28(1):182-8. Heller HB. Feline Epilepsy. Vet Clin North Am Small Anim Pract. 2017. De Risio L, Bhatti S, Munana K, Penderis J, Stein V, Tipold A, et al. International veterinary epilepsy task force consensus proposal: diagnostic approach to epilepsy in dogs. BMC Vet Res. 2015;11:148. de Risio L, Platt S. Canine and Feline Epilepsy: Diagnosis and Management: CABI; 2014. Camps T, Amat M, Manteca X. A Review of Medical Conditions and Behavioral Problems in Dogs and Cats. Animals (Basel). 2019;9(12). Shihab N, Bowen J, Volk HA. Behavioral changes in dogs associated with the development of idiopathic epilepsy. Epilepsy Behav. 2011;21(2):160-7. Hobbs SL, Blackwell EJ, Wetz KE, Packer RMA. Owner reported management of interictal anxiety behaviours in canine epilepsy. Veterinary Record. 2022;190(8):e1321. Jokinen TS, Tiira K, Metsahonkala L, Seppala EH, Hielm-Bjorkman A, Lohi H, et al. Behavioral Abnormalities in Lagotto Romagnolo Dogs with a History of Benign Familial Juvenile Epilepsy: A Long-Term Follow-Up Study. J Vet Intern Med. 2015;29(4):1081-7. Packer RM, Law TH, Davies E, Zanghi B, Pan Y, Volk HA. Effects of a ketogenic diet on ADHD-like behavior in dogs with idiopathic epilepsy. Epilepsy Behav. 2016;55:62-8. Packer RMA, McGreevy PD, Salvin HE, Valenzuela MJ, Chaplin CM, Volk HA. Cognitive dysfunction in naturally occurring canine idiopathic epilepsy. PLoS One. 2018;13(2):e0192182. Finnegan SL, Volk HA, Asher L, Daley M, Packer RMA. Investigating the potential for seizure prediction in dogs with idiopathic epilepsy: owner-reported prodromal changes and seizure triggers. Vet Rec. 2020;187(4):152. Hellyer P, Rodan I, Brunt J, Downing R, Hagedorn JE, Robertson SA. AAHA/AAFP pain management guidelines for dogs & cats. J Am Anim Hosp Assoc. 2007;43(5):235-48. Melzack R, Wall PD. Pain mechanisms: a new theory. Science. 1965;150(3699):971-9. Asmundson GJ, Katz J. Understanding the co-occurrence of anxiety disorders and chronic pain: state-of-the-art. Depress Anxiety. 2009;26(10):888-901. 266 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Verhaltenstherapie ___________________________________________________________________________________________________________ 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. Maeso C, Sánchez-Masian D, Ródenas S, Font C, Morales C, Domínguez E, et al. Prevalence, distribution, and clinical associations of suspected postictal changes on brain magnetic resonance imaging in epileptic dogs. J Am Vet Med Assoc. 2021;260(1):71-81. Nagendran A, McConnell JF, De Risio L, José-López R, Quintana RG, Robinson K, et al. Peri-ictal magnetic resonance imaging characteristics in dogs with suspected idiopathic epilepsy. J Vet Intern Med. 2021;35(2):1008-17. Neppl R, Nguyen CM, Bowen W, Al-Saadi T, Pallagi J, Morris G, et al. In vivo detection of postictal perturbations of cerebral metabolism by use of proton MR spectroscopy: preliminary results in a canine model of prolonged generalized seizures. AJNR Am J Neuroradiol. 2001;22(10):1933-43. Forsgard JA, Metsahonkala L, Kiviranta AM, Cizinauskas S, Junnila JJT, Laitinen-Vapaavuori O, et al. Seizure- precipitating factors in dogs with idiopathic epilepsy. J Vet Intern Med. 2018. Horwitz DF, Mills DS. BSAVA Manual of Canine and Feline Behavioural Medicine: Wiley; 2010. Luescher UA, McKeown DB, Halip J. Stereotypic or obsessive-compulsive disorders in dogs and cats. Vet Clin North Am Small Anim Pract. 1991;21(2):401-13. Berk BA, Packer RMA, Law TH, Wessmann A, Bathen-Nöthen A, Jokinen TS, et al. Medium-chain triglycerides dietary supplement improves cognitive abilities in canine epilepsy. Epilepsy Behav. 2021;114(Pt A):107608. Coelho LP, Kultima JR, Costea PI, Fournier C, Pan Y, Czarnecki-Maulden G, et al. Similarity of the dog and human gut microbiomes in gene content and response to diet. Microbiome. 2018;6(1):72. Tynes VV, Landsberg GM. Nutritional Management of Behavior and Brain Disorders in Dogs and Cats. Vet Clin North Am Small Anim Pract. 2021;51(3):711-27. Berk BA, Packer RMA, Law TH, Wessmann A, Bathen-Nöthen A, Jokinen TS, et al. A multicenter randomised controlled trial of medium-chain triglyceride dietary supplementation on epilepsy in dogs. JVIM. 2020. Law TH, Davies ES, Pan Y, Zanghi B, Want E, Volk HA. A randomised trial of a medium-chain TAG diet as treatment for dogs with idiopathic epilepsy. Br J Nutr. 2015;114(9):1438-47. Masino SA, Freedgood NR, Reichert HR, Director CJ, Whittemore VH, Zupec-Kania B. Dietary intervention for canine epilepsy: Two case reports. Epilepsia Open. 2019;4(1):193-9. Molina J, Jean-Philippe C, Conboy L, Añor S, de la Fuente C, Wrzosek MA, et al. Efficacy of medium chain triglyceride oil dietary supplementation in reducing seizure frequency in dogs with idiopathic epilepsy without cluster seizures: a non-blinded, prospective clinical trial. Vet Rec. 2020;187(9):356. Kontakt Dr. Dr. Benjamin-Andreas Berk; BrainCheck.Pet ®, Tierärztliche Praxis für Neurologie, Schwerpunkt: Epilepsie & andere Anfallserkrankungen, Mannheim 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 267

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Verhaltenstherapie ___________________________________________________________________________________________________________ Prophylaxe und Therapie von Mensch-Katze-Beziehungsproblemen Franziska Kuhne AG für angewandte Verhaltenskunde und Tierverhaltenstherapie, Fachbereich Veterinärmedizin, Justus- Liebig-Universität Gießen Einleitung In der kurativen Praxis wird eine Katze vorstellig, weil sie unsauber ist, weil die Katze Menschen oder eine andere Katze angegriffen hat oder weil die Katze anhaltend miaut oder ihre Besitzer:innen nicht schlafen lässt. Solcherart Verhalten einer Katze kann die Mensch-Katze-Beziehung erheblich belasten. Unsauberkeit ist das häufigste Verhaltensproblem von Katzen, das Katzenbesitzer:innen zu einer Konsultation von Tierärzt:innen veranlasst, aber auch der häufigste Grund, weshalb Katzen (ins Tierheim) abgegeben werden. Reagiert die Katze aggressiv auf Menschen oder eine andere im eigenen Haushalt lebende Katze, ist nicht nur das Vertrauen in die Katze zerstört, sondern auch die Enttäuschung vieler Besitzer:innen sehr groß. Die meisten Besitzer:innen rechnen nicht damit, dass ihre Katze sie oder ihre andere Katze kratzen oder beißen und damit ernsthaft verletzen könnte. Aber auch Katzen, die einem täglich den Schlaf rauben oder anhaltend Miauen und damit den Tagesablauf bestimmen, können ihren Besitzer:innen ganz schön auf die Nerven gehen. Katzen gelten als pflegeleicht und unproblematisch zu halten, weshalb die Mensch-Katze-Beziehung bei aufkommenden Problemverhalten sehr leicht ins Wanken gerät. Zusätzlich gelten Katzen als nicht erziehbar, somit gehen viele Besitzer:innen davon aus, an dem Verhalten ihrer Katze nichts ändern zu können. Unsauberkeit von Katzen Ist eine Katze unsauber, so setzt sie Urin und/oder Kot in der Wohnung außerhalb der Katzentoilette ab. Die Gründe dafür können vielfältig sein. Liegt die Ursache an der Katzentoilette selbst, d.h. an der Art oder dem Standort der Katzentoilette, dem Management der Katzentoilette oder an einer aktuellen oder vergangenen Erkrankung, so handelt es sich prinzipiell um normalen Urinabsatz. Die Katze kann oder will nur die Katzentoilette nicht benutzen. Gerade in Folge einer Erkrankung des Urogenitaltraktes kann die Katze die Schmerzen beim Urinabsatz mit der Katzentoilette verbinden und dann trotz abgeheilter Erkrankung weiterhin die Katzentoilette meiden. Eine langfristige Schmerztherapie ist deshalb entscheidend, besonders um des Schmerzgedächtnis einer Katze zu umgehen. Häufig sind nur minimale Veränderungen im Management der Katzentoilette erforderlich, wie Reinigungsfrequenz oder –mittel, Größe der Katzentoilette oder Standort einer zusätzlichen Katzentoilette, um das Zusammenleben von Mensch und Katze wieder stressfreier zu ermöglichen. Eine Katze, die immer wieder auf die Couch oder an den Schreibtisch Urin absetzt, kann aber auch Markierverhalten zeigen. Mit Hilfe von diesen Urin-Markierstellen versucht sich die Katze wieder wohl und sicher in ihrem Territorium zu fühlen. Die Katze setzt sich auf ihre Art und Weise gegen irgendetwas zur Wehr, beispielsweise gibt es eine neue Katze, die sie nicht mag; oder die Katze wird grob behandelt bzw. immer wieder im Schlaf gestört. In der Regel setzen die Katzen an der Stelle den Urin ab, wo sich der Verursacher ihres Unwohlseins hauptsächlich befindet, das kann dann auch einmal das Hundekörbchen oder das Kinderbett treffen. Es ist wichtig, den wahren Grund für die Verunsicherung der Katze herauszufinden und am Umgang mit der Katze und/oder den Haltungsbedingungen etwas zu ändern, so dass sich die Katze wieder wohl in ihrem Territorium fühlt und deshalb keinen Grund mehr hat zu markieren. Ein Therapieansatz ist auch den eigenen Geruch der Katze in der ganzen Wohnung zu verteilen, beispielsweise kann mit Hilfe ihrer Decke durch tägliches „Staubwischen“ der Geruch der Katze verteilt werden. Die Katze muss dann nicht mehr markieren, weil es ja schon nach ihr riecht. Aggressives Verhalten von Katzen Eine Katze kratzt oder beißt nicht grundlos und auch nicht ohne Vorwarnung. Der Grund ist vielleicht noch offensichtlich, die Vorwarnung meistens subtil. Manchmal sitzt eine Katze einfach nur da. Das entscheidende ist aber, wo sie sitzt. Wenn die Katze im Türrahmen sitzt, dann ist der Durchgang blockiert und jeder, der sich 268 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Verhaltenstherapie ___________________________________________________________________________________________________________ traut durchzugehen, riskiert einen Pfotenhieb. Weitere subtile Drohmimiken der Katze sind die angelegten Ohren und auseinandergespreizten Vibrissen. Die Pupillen sind geweitet oder schmal. Deutlicher wird es meistens, wenn die Katze ohne ausgefahrene Krallen einen Pfotenhieb andeutet oder faucht. Das Problem ist häufig, dass Menschen die subtilen Gesten einer Katze nicht wahrnehmen und die andere Katze nicht ausweichen kann. Ein Katze-Mensch-Konflikt eskaliert dann noch zusätzlich, weil der Mensch glaubt, die Katze für ihr Fehlverhalten korrigieren oder sanktionieren zu müssen. Und Katze-Katze-Konflikte können selten gelöst werden, da keine der Katzen das Territorium verlässt und somit die Tiere sich ständig wieder über den Weg laufen. Deshalb ist es entscheidend den wahren Grund für das aggressive Verhalten der Katze herauszufinden. Vielleicht ist die aggressive Katze krank, von Fieber über Cystitis bis Diabetes ist vieles möglich. Für Katzen muss immer jemand schuld sein, dass es ihnen schlecht geht. Damit es nicht zu einem endgültigen Bruch der Mensch-Katze- oder auch Katze-Katze-Beziehung kommt, ist es wichtig medizinische Ursachen so schnell wie möglich zu erkennen und zu behandeln. Und das ist das nächste Problem, viele Katzen leiden still, so dass die meisten Besitzer:innen nicht merken, wenn ihre Katze erkrankt ist. Die Katze ist also möglicherweise schon länger krank. Insofern kann man auch wieder froh sein, dass die Katze sich in ihrem Verhalten verändert hat und dadurch ihre Erkrankung offensichtlich geworden ist. Ferner kommt es zu aggressiven Verhalten zwischen Katzen recht häufig, wenn eine Katze beispielsweise durch einen längeren Klinikaufenthalt das Territorium verlassen hat und die daheim gebliebenen Katzen in der Zwischenzeit neue Regeln etabliert haben. Diese Katze muss nach einem Klinikaufenthalt wie eine völlig fremde Katze behandelt und wieder neu integriert werden, d.h. anfangs komplett räumlich separieren und dann langsam mit Geruchsaustausch beginnen. Muss die Katze im Zuge einer Erkrankung von den Besitzer:innen zu Hause behandelt werden, so können zwangsweise Tabletteneingaben, Augentropfen oder eine Wundbehandlung Grund für aggressives Verhalten der Katze dem Menschen gegenüber sein. Hier die Besitzer:innen über schonende Fixierungstechniken sowie Medikamenteneingabemethoden zu informieren, ist entscheidend, damit die Behandlung erfolgreich ist und langfristig die Mensch-Katze-Beziehung nicht darunter leidet. Nächtliche Unruhe, anhaltendes Miauen sowie andere Verhaltensprobleme Gleichwohl die Katzenhaltung leichter mit dem Leben moderner Menschen, deren Alltag geprägt ist von langen Arbeitszeiten und fortschreitender Urbanisierung, vereinbar zu sein scheint, kann eine Katze den Alltag eines Menschen ziemlich durcheinanderbringen. Die Katzenbesitzer:innen können nicht mehr durchschlafen, weil die Katze morgens um 4:00 Uhr gefüttert oder rausgelassen werden möchte. Die Katze miaut immer länger und lautstarker und scheint dabei orientierungslos im Raum zu stehen. Wird die Katze allerdings angesprochen, hört sie sofort auf mit Miauen und streicht einem schnurrend um die Beine. Weiterhin gibt es die Katzen, welche sich quer über das Notebook legen, wenn die Besitzer:innen mitten in einem Online-Meeting sind. Oder auch die Katzen, welche sich zuerst schnurrend und tretelnd mitten auf den Bauch legen, während die Besitzer:innen auf der Couch ruhen, nur um dann plötzlich in die Hand zu beißen. Dies sind alles Folgen von Missverständnissen in der Mensch-Katzen-Kommunikation sowie ungewollt verstärktes Verhalten, was man eigentlich unterbinden möchte. Die Besitzer:innen über das arttypische Verhalten von Katzen und die Grenzen der Mensch-Katzen-Kommunikation aufzuklären sind entscheidende, aber leider häufig unterschätzte Möglichkeiten, um Konflikte in der Mensch-Katze-Beziehung zu begegnen. Viele Tierbesitzer suchen tierärztlichen Rat, welcher auch trotz regen Austauschs in sozialen Medien einen entscheidenden Einfluss auf die Entscheidungen und auf das Verhalten der Besitzer:innen ihren Tieren gegenüber hat. Die Katzenbesitzer:innen auf der Basis der lerntheoretischen Grundlagen darüber aufzuklären, dass sie ihrer Katze das Verhalten, worüber sie sich aufregen oder was sie aktuell nervt, selbst beigebracht haben erfordert rhetorisches Geschick, Einfühlungsvermögen und Zeit. Verhalten, was der Katze häufig ungewollt beigebracht wurde, kann ihr auch wieder abgewöhnt werden. Was zwar schwieriger bzw. langwieriger ist, als es ihr gar nicht erst anzugewöhnen, aber möglich ist es trotzdem. Wenn die Katze beispielsweise einen nachts immer wieder weckt, gibt es die Möglichkeit ihr mittels eines Futterautomaten, eine Portion Futter zur Verfügung zu stellen; sich eine chipgesteuerte Katzenklappe zu zulegen, so dass die Katze selbstständig nach draußen kann; oder die Katze nachts nicht mehr mit ins Schlafzimmer zu lassen. Dies sind mit Sicherheit nicht alle Therapiemöglichkeiten, da das Mensch-Katzen-Problem immer individuell ist und die Therapie deshalb auch 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 269

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Verhaltenstherapie ___________________________________________________________________________________________________________ individuell angepasst werden muss. Ein wenig Zeit und gezieltes Nachfragen, um an die entscheidenden Informationen zu gelangen, sind die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Tierverhaltenstherapie. Literatur 1. Karn-Buehler, J.; Kuhne, F. (2021): Perception of stress in cats by German cat owners and influencing factors regarding veterinary care. J. Fel. Med. Surg., 1-10. DOI: 10.1177/1098612X211041307 2. Kuhne, F. (2015): Ursachen, Diagnose und verhaltensmedizinische Therapie der Unsauberkeit von Katzen. Tierärztl. Prax. (K) 43, 50-57. DOI: 10.15654/tpk-140328 3. Overall KL: Clinical Behavioral Medicine for Small Animals. St Louis: Mosby; 1997. 4. Schroll, S, Dehasse, J. (2015): Verhaltensmedizin bei der Katze: Leitsymptome, Diagnostik, Therapie und Prävention, Enke Verlag 5. Steinkamp, J.; Kuhne, F.; Hackbarth, H.; Kramer, M. (2018): Grundeinstellung von Katzenhaltern gegenüber den Tieren und der Natur sowie deren Einfluss auf die Mensch-Katze-Beziehung. Berl. Münch. Tierärztl. Wochenschr. 121 (11/12), 473-481. DOI: 10.2376/0005-9366-17033 Kontakt PD Dr. Franziska Kuhne; AG für angewandte Verhaltenskunde und Tierverhaltenstherapie, Fachbereich Veterinärmedizin, Justus-Liebig-Universität Gießen Franziska.Kuhne@vetmed.uni-giessen.de 270 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Verhaltenstherapie ___________________________________________________________________________________________________________ Alter ist keine Krankheit - Management und Therapie von altersbedingten Erkrankungen mit Verhaltensveränderungen bei Hund und Katze Angelika Firnkes Lehrstuhl für Tierschutz, Verhaltenskunde, Tierhygiene und Tierhaltung, Veterinärwissenschaftliches Department, Ludwig-Maximilian-Universität, München Einführung Alter ist keine Krankheit - aber der Alterungsprozess beeinflusst die Leistungsfähigkeit des Gehirns und des Körpers negativ und das Krankheitsrisiko steigt. Schleichende Verhaltensänderungen bei älteren Katzen und Hunden sind nicht selten die ersten Krankheitsanzeichen bei chronischen Schmerzen, Sinneseinschränkungen und Kognitiver Dysfunktion Insbesondere die Kognitive Dysfunktion hat als altersbedingte, neurodegenerative Erkrankung große Bedeutung für die verhaltenstherapeutische Praxis. Kognitive Dysfunktion (1). Cognitive dysfunction syndrome oder senile Demenz ist eine progressive, neurodegenerative Erkrankung. Ursächlich sind neurodegenerative Veränderungen im Gehirn mit Ablagerungen von Lipofuszin sowie β- Amyloidplaques. Fortschreitend kommt es zu gestörter Signalübertragung zwischen den Nervenzellen, zum Untergang von Neuronen sowie zu neurovaskulären Veränderungen und verminderter Gehirndurchblutung (2). Leitsymptome DISHA (3): Disorientation: Desorientierung bekannten Personen/Artgenossen, Interessen/Abneigungen ändern sich ohne erkennbaren Grund, nachlassende Lern- und Konzentrationsfähigkeit als frühes Krankheitsanzeichen, nachlassende Reaktionen auf bekannte Signale, Anpassungsschwierigkeiten in neuen Situationen gewohnter Umgebung, Nichterkennen von in Interaction: reduzierte Begrüßung und soziale Interaktionen mit vertrauten Personen/Artgenossen, vermehrte Anhänglichkeit, abnehmende Stresstoleranz, vermehrtes Angstverhalten Sleep/wake cycle: hohes Ruhebedürfnis tagsüber, nächtliche Unruhe und Rastlosigkeit, Vokalisation Housesoiling: Verlust der Stubenreinheit, Kot- und Urinabsatz im Haus an zufälligen Stellen, Unsauberkeit nach dem Spaziergang sowie Nachlassen des Anzeigeverhaltens bei Hunden Activity: reduziertes Erkundungs-/Spielverhalten, zielloses Umherwandern, unfokussiertes Starren, Apathie, Zunahme von repetitiven Verhaltensstörungen Diagnostisches Vorgehen Der von (z.B. chronische Ausschluss organischen Differentialdiagnosen Schmerzen, Sinneseinschränkungen, endokrinologische/ neurologische/ urologische Erkrankungen) ist wichtig, aber gerade bei geriatrischen Patienten nicht immer einfach. Insbesondere im Frühstadium ist die Abgrenzung von altersbedingten Verhaltensveränderungen und beginnender kognitiver Dysfunktion eine Herausforderung (3). Unter Laborbedingungen werden diagnostische Tests erforscht (4), diese sind in der verhaltensmedizinischen Praxis derzeit noch nicht etabliert. Kognitive Dysfunktion ist eine Ausschlussdiagnose und der Verdacht erhärtet sich durch das Vorliegen typischer Leitsymptome (DISHA v.a. Desorientierung) sowie das Fortschreiten der Erkrankung. Eine fortlaufende Dokumentation der Verhaltensauffälligkeiten und Evaluierung der Verhaltensentwicklung im Therapieverlauf sind sinnvoll. Therapeutische Maßnahmen Kognitive Dysfunktion ist eine unheilbare, neurodegenerative Erkrankung. Die Therapieansätze zielen darauf ab, frühzeitig das Fortschreiten der neurodegenerativen Prozesse durch geistige Stimulation sowie neuroprotektive Pharmakotherapie zu verzögern (5). Geistige, soziale und körperliche Stimulation sind wichtig 272 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Verhaltenstherapie ___________________________________________________________________________________________________________ für die Gehirnfunktion. Fordern, aber nicht überfordern und die Lebensqualität für das Individuum erhalten sind maßgebliche Therapieziele (6). Geistige, soziale und körperliche Aktivierung - Gelenkschonendes Training bekannter und auch neuer Signale mit positiver Verstärkung - Medical Training für stressfreie Behandlungen - Abwechslungsreiche Futterspielzeuge mit angepasster Schwierigkeit - Nasenarbeit ist besonders empfehlenswert, da der Geruchssinn wenig altersbedinge Einschränkungen erleidet und Nasenarbeit meist nicht gelenkbelastend ist (z.B. Futterbeutel suchen, Fährten, Nasensport, Geruchsunterscheidung) - Geruchlich interessante Spazierwege bei Hunden mit vielen Geruchsmarken von Artgenossen - Soziale Interaktion mit Hauptbezugspersonen sowie interaktive, altersangepasste Spielangebote - Gemeinsame Spaziergänge oder Spiel mit bekannten Artgenossen - - Koordinationsübungen dienen der Feinabstimmung der Bewegung, der Körperbalance und regen das Freilauf bei Katzen u.U. räumliche Begrenzung des Freilaufes auf den Garten propriozeptive System an Physiotherapeutische Übungen sowie gelenkschonende Bewegung für den Muskelerhalt (z.B. Schwimmen, isometrische Übungen) - Überanstrengung vermeiden sowie Hitze/Auskühlung meiden Strukturierung - Gewohnheit gibt Sicherheit - Klar strukturierter Tagesablauf mit festen Futter-, Aktivitäts- sowie Ruhezeiten gibt alten Tieren Sicherheit - Gleichbleibende Rituale aller Hauptbezugspersonen im Umgang mit dem Tier schaffen vorhersehbare Routine - Gewohnte, barrierefreie Haltungsumwelt für bessere Orientierung - Sichere Rückzugsorte und rücksichtsvoller Umgang - Verkleinerung und übersichtliche Gestaltung des Lebensbereiches im Einzelfall Nächtliche Unruhe Nächtliche Unruhe unterscheidet sich von Tier zu Tier. Es ist häufig der Hauptvorstellungs-grund, da auch die Halter stark belastet sind. Viele Tiere kommen nicht zur Ruhe und haben Probleme beim Einschlafen. Häufig wachen die Tiere mehrfach nachts auf, wandern in der Wohnung herum und beginnen zu vokalisieren. Andere zeigen zunehmend Angstverhalten nachts oder auch aufmerksamkeitsforderndes Verhalten gegenüber den Hauptbezugspersonen. - - Therapieansätze: Tagsüber durch strukturierten Tagesablauf mit festen Aktivitäts- und Ruhezeiten mehr körperlich und geistig auslasten Identifizierung von individuellen Stressoren, die das Tier vom Ein-/Durchschlafen abhalten (z.B. chronischer Schmerz beim Liegen, Schilddrüsenüberfunktion, Geräuschangst, Trennungsangst, Erreichbarkeit von erhöhten Liegeplätzen, soziale Konflikte mit Artgenossen) - Entspannung beim Einschlafen fördern: Einschlafrituale, gelenkschonende/warme Liegeplätze nach individuellen Vorlieben, Aufsuchen von Liegeplätzen positiv verstärken, Nähe zum Halter, beruhigende Pheromone (Dog Appeasing Pheromon/ Feliway), entspannende Massage/ TTouch sowie Entspannungsmusik - Durchschlafen fördern: störende Außenreize nachts dämpfen, Nachtlichter, white noise, u.U. räumliche Begrenzung - Alters-/ krankheitsbedingte körperliche Bedürfnisse befriedigen bzw. Managementmaßnahmen ergreifen (z.B. Hund auch nachts lösen lassen, Futterautomaten für die Nacht) - Nächtliche Unruhe mit aufmerksamkeitsfordernder Komponente nicht weiter verstärken - Ruhebedürfnis des Halters beachten 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 273

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Verhaltenstherapie ___________________________________________________________________________________________________________ Stubenreinheitsmanagement Bei Kognitiver Dysfunktion kann es zum Vergessen der Ausscheidungsorte kommen bzw. der Weg nach draußen zu komplex für das Individuum werden. Differentialdiagnostisch sollte eine Katzentoilettenaversion stets abgeklärt werden. - Katzentoiletten optimieren: mühelose Zugänglichkeit hinsichtlich der Standorte und der Anzahl, komfortable Größe und niedriger Einstieg, keine Deckel verwenden - Stubenreinheitsmanagement bei Hunden - Korrekte Reinigung von Unsauberkeitsstellen - Trinkwasser muss stets zugänglich sein Inkontinenzmaßnahmen - Nutraceutical und Psychopharmaka Nahrungsergänzungsmittel mit antioxidativer Wirkung (z.B. Coenzym Q10, Vitamin A, B6, C, E, Selen), neuroprotektiven Substanzen (z.B. Omega-3-Fettsäuren, S-Adenosylmethionin, Phosphatidylserin) sowie mitochondrialen Cofaktoren (z.B. L-Carnitin) werden positive Wirkungen bei Alterungsprozessen im Gehirn zugeschrieben (2). Der Einsatz von Nutraceuticals kann unterstützend hilfreich sein (z.B. Activait, Senilife). Bei bestehender Kognitiver Dysfunktion ist der Monoaminooxidase-Hemmer Selegilin mit neuroprotektiver, angstlösender Wirkung das Mittel der Wahl. Keine Kombination mit SSRI/ TCA/ SARI möglich, aufgrund der Gefahr eines Serotoninsyndroms (7). Propentofyllin wirkt durchblutungsfördernd im ZNS und kann die Gehirnfunktion unterstützen. Nächtliche Unruhe belastet die Tier-Halterbeziehung häufig sehr. Medikamentös können u.a. Gabapentin, Trazodon oder auch Melatonin das Einschlafen erleichtern und die nächtliche Unruhe reduzieren. Gabapentin hemmt die glutamaterge Erregungsübertragung, beeinflusst den Neutrotransmitter GABA und wird bei neuropathischen Schmerzen sowie als angstlösendes, entspannendes Medikament eingesetzt (3). Trazodon, als 5-HT-Rezeptor-Antagonist und Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer, eignet sich durch seine kurzfristige, angstlösende Wirkung ebenfalls bei angstbedingten Schlafstörungen (3,7). Melatonin, als wichtiges Hormon für den Schlaf-Wachzyklus, kann ebenfalls das Einschlafen sowie den Schlaf-Wachzyklus unterstützen (7). Literatur 1. Ray M, Carney H, Boynton B, et al. AAFP Feline Senior Care Guidelines. Journal of Feline Medicine and Surgery. 2021; 2. 3. 23(7):613-638. Landsberg, G, Nichol J, Araujo J. Cognitive dysfunction syndrome: a disease of canine and feline brain aging. Veterinary Clinics: Small Animal Practice. 2012; 42.4:749-768. Landsberg G, Hunthausen W, Ackerman L. Behavior problems of the dog and cat. 3. Aufl. Elsevier Health Sciences; 2013. S. 211-235. 4. Chapagain D, et al. Cognitive aging in dogs. Gerontology. 2018; 64.2: 165-171. 5. Landsberg G, Denenberg S. Behavior problems in the senior pet. In: Horwitz D, Mills D. BSAVA Manual of Canine and Feline Behavioural Medicine. 2. Aufl. Waterwells: BSAVA; 2021. S. 127-135. 6. Overall K. Manual of Clinical Behavioral Medicine for Dogs and Cats. Elsevier Mosby; 2013 S. 432-441, 264-273. 7. Gronostay S. Einsatz von Medikamenten in der Verhaltenstherapie. Vortragunterlagen Verhaltenstherapie.vet; 2023. S. 16- 57. Kontakt Dr. Angelika Firnkes; Lehrstuhl für Tierschutz, Verhaltenskunde, Tierhygiene und Tierhaltung Veterinärwissenschaftliches Department, Ludwig-Maximilian-Universität, München a.firnkes@tierhyg.vetmed.uni-muenchen.de 274 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Heimtiere ___________________________________________________________________________________________________________ Notfall oder nicht, das ist immer die Frage! Milena Thöle Tierklinik Posthausen Schwierige Triage Notfälle beim Heimtier richtig einzuschätzen, stellt sich oft deutlich komplizierter dar als bei Hunden und Katzen. Als Beutetiere neigen viele Kleinsäuger dazu ihre akuten Symptome zu verstecken, so dass diese Patienten häufiger mit chronischen, aber dennoch schwerwiegenden, Problemen in den tierärztlichen Notdienst kommen. Denn die lange Unterdrückung der Symptomatik hat nicht selten zur Folge, dass die Tiere in einem weit fortgeschrittenen Krankheitszustand mit dementsprechend schlechtem Allgemeinfinden vorgestellt werden (1,2). Weiterhin können sich auch hinter lapidar anmutenden, akuten Problemen („frisst seit einigen Stunden nicht“) lebensbedrohliche Notfälle stecken. Sowohl bei chronisch erkrankten Tieren als auch bei akuten Krankheitszuständen ist oftmals schnelles Handeln gefragt, um die Prognose zu verbessern. Eine zügige Vorstellung im Notdienst kann daher im Zweifel für einen Heimtierpatienten sinnvoller sein als abzuwarten. Wann ist eine Vorstellung im Notdienst immer sinnvoll (1)? Bei: • • • • • • • • • • • • • • • • • • Literatur Akuter Lahmheit Apathie, Lethargie, Stupor, Koma Aufgetriebenem Abdomen Blutverlust Durchfall, reduziertem Kotabsatz Dyspnoe, veränderter Atmung Dystokie Dysurie, Strangurie Hämaturie Hypothermie/Hyperthermie Inappetenz, reduzierter Futteraufnahme Intoxikation Myiasis Neurologischen Symptomen, Paresen, Paralysen Polyurie, Polydipsie Schmerzen, Zähneknirschen, aufgekrümmter Haltung Trauma Verhaltensänderungen (z.B. Zurückgezogenheit, Unruhe etc.) 1. 2. Schoemaker NJ, van Zeeland YRA: History and clinical examination. In: Graham JE, Doss AD, Beaufrere H, Herausgeber. Exotic animal emergency and critical care medicine, 1. Auflage, Wiley Blackwell; 2021. S. 5–23. Vella D. Emergency presentations of exotic mammal herbivores. Journal of Exotic Pet Medicine, 2012; 21(4): 293- 299. Kontakt Dr. Milena Thöle; Tierklinik Posthausen, 28870 Posthausen thoele@tierklinik-posthausen.de 276 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Heimtiere ___________________________________________________________________________________________________________ Atemlos – Hilfe der Kleinsäuger pumpt! Tina Brezina Zentrum für Tiergesundheit Baden-Baden Erkrankungen der oberen Atemwege (1-7) Heimtiere sind obligatorische Nasenatmer. Sie reagieren bei Infektionen und damit (teilweisem) Verschluss der oberen Atemwege schnell mit Dyspnoe, Inappetenz und Magen-Darm-Tympanien. Meist sind bakterielle Infekte ursächlich für Symptome wie Nasen- und Augenausfluss, niesen, Atemgeräusche, Vestibularsyndrom, Dyspnoe, Orthopnoe und/oder Abszesse. Pasteurella multocida, ein gram negatives Bakterium, wird laut Literatur am häufigsten aus Proben des oberen Atemtraktes isoliert. Weitere Erreger sind Bordetella bronchiseptica, Pseudomonas spp., Staphylococcus aureus, Streptococcus pneumoniae, Moraxella catarrhalis, Mykoplasma spp., E. coli, Chlamydien, Mykobakterien, Pneumocystis oryctolagi und Adenoviren. Meist treten Mischinfektionen auf. Die Übertragung der Erreger erfolgt horizontal und vertikal. Stress, ein reduziertes Immunsystem durch Co-Erkrankungen und Haltungsfehler erhöhen das Risiko einer Infektion. Differentialdiagnostisch muss bei Erkrankungen im Bereich des oberen Atemtraktes an Zahnerkrankungen, Kaninchensyphilis, eine Fremdkörperinhalation, Traumata, Neoplasien (8), Pilzerkrankungen oder virale Erkrankungen (Myxomatose, Herpesvirus, RHD) gedacht werden. Eine diagnostische Abklärung umfasst neben einer ausführlichen Anamnese und Allgemeinuntersuchung vor allem bildgebende Verfahren (Röntgen, CT, Endoskopie) sowie pathohistologische und mikrobiologische/mykologische Untersuchungsverfahren aus Abstrichen, Spülproben und/oder Biopsien. Erkrankungen der unteren Atemwege (1-7) Absteigende Infektionen der oberen Atemwege, Metastasen und Neoplasien sind die häufigsten Veränderungen der unteren Atemwege beim Heimtier. Neben bildgebenden Verfahren kann eine Probenentnahme (BAL) sinnvoll sein. Erkrankungen des Larynx und der Trachea wurden lange stiefmütterlich vernachlässigt. In den letzten Jahren wurden vermehrt Berichte zu laryngealen und trachealen Strikturen (9) und Neoplasien (10) sowie Trachealkollaps (11) und auch negative Konsequenzen einer endotrachealen Intubation (12) veröffentlicht. Erkrankungen des Thorax (1-7, 13,14) Sowohl Zubildungen des Mediastinums wie auch Umfangsvermehrungen oder Veränderungen im Pleuralspalt können das Lungenvolumen einengen und In-/Exspiration beeinflussen. Zu einer der häufigsten Thoraxveränderungen/zubildungen beim Kaninchen zählt das Thymom/Lymphom. Hierbei handelt es sich um eine Neoplasie des Mediastinums. Da eine zytologische Unterscheidung zwischen Thymom und Lymphom schwierig ist, wird diese Erkrankung meist zusammengefasst. Es handelt sich hierbei entweder um eine langsam wachsende Neoplasie des nicht vollständig zurückgebildeten Thymus oder um ein Lymphom mit vorrangiger Vergrößerung der mediastinalen Lymphknoten. Klinisch zeigen betroffene Tiere einen bds. Exophthalmus (Vena cava Syndrom), Dyspnoe, Atemgeräusche, Leistungsschwäche, seltener eine exfoliative Dermatitis (15). Labordiagnostisch wird diese Neoplasie des Öfteren zusammen mit einer ggr. Anämie und Hyperkalzämie (16) diagnostiziert. Während Röntgenaufnahmen den ersten Hinweis auf diese Erkrankung liefern, kann sie mittels CT oder Sonographie des Thorax weiter abgeklärt werden. Therapeutisch stehen sowohl eine chirurgische Behandlung (vorsichtige bis schlechte Prognose) als auch eine Bestrahlung (gute Ergebnisse bei erhöhtem Narkoserisiko) oder eine palliative Kortisonbehandlung (gute Ergebnisse im Vergleich zur Bestrahlung, Dauertherapie) zur Verfügung (z.B. Zwerchfellhernie) sind besonders für das Kaninchen beschrieben. Erkrankungen des Herzens, des Kreislaufs, des Stoffwechsels oder eine Volumenzunahme des Abdomens können ebenfalls Dyspnoe verursachen. raumfordernde Prozesse (18,19). Weitere 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 277

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Heimtiere ___________________________________________________________________________________________________________ Literatur 1. Meredith A, Lord B. BSAVA Manual of Rabbit Medicine. 2014 2. Oglesbee BL. Blackwell´s five-minute Veterinary Consul: Small Mammal. Wiley-Blackwell, 2te Auflage 2011 3. Quesenberry CE, Mans C, Orcutt C. Ferrets, Rabbits and Rodents. Clinical Medicine an Sugery. Elsevier 4te Ausgabe 2020 Jekl V. Respiratory Disorders in Rabbits. Vet Clin Exot Anim 2021;24: 459–482. 4. 5. Garcia MA., Barcelo AM., Bonvehi Nadeu C., Jekl V. Respiratory Diseases in Guinea Pigs, Chinchillas and Degus. Vet Clin Exot Anim 2021;24: 419–457. 6. Capello V., Lennox AM. Diagnostic Imaging of the Respiratory System in Exotic Companion Mammals. Vet Clin Exot Anim 7. 2011;14: 369–389. Johnson-Delaney CA., Orosz SE. Rabbit Respiratory System: Clinical Anatomy, Physiology and Disease. Vet Clin Exot Anim 2011;14: 257–266. 8. Brezina T, Reuschel M, Gerhauser I, Fehr M. Nasales ulzeriertes Adenokarzinom bei einem vierjährigen Kaninchen. DGK- 9. DVG: Augsburger Thementage – Kleinsäuger, 01.-03.05.2020 Ferris RL, Quesenberry KE, Weisse CW. Outcome of intraluminal tracheal stent placement for tracheal stenosis in a rabbit (Oryctolagus cuniculus). J Exot Pet Med 2019;31: 23. 10. Bertram CA, Klopfleisch R, Müller K. Tracheal and laryngeal tumors in two domestic rabbits (Orytolagus cuniculus). J Exot Pet Med 2019;29: 142-146. 11. Swisher S, Lennox A, Vecchio N. Tracheal resection and anastomosis for treatment of tracheal collapse in a rabbit. J Exot Pet Med 2020;33: 46. 12. Grint NJ, Sayers IR, Cecchi R, Harley R, Day MJ. Postanaesthetic tracheal strictures in three rabbits. Laboratory Animals Ltd. Laboratory Animals 2006; 40: 301–308. 13. Yanez RA, Magestro LM, French SJ, Kiupel M. Type A thymoma in a pet rabbit. J Vet Diagn Invest 2022;34(2): 327-330. 14. Almeida IO, Alves RR, Gorza LL, Cassali GD, Flecher MC, Horta RS. Clinical, histopathological and immunohistochemical features of a thymoma in a domestic rabbit (Oryctolagus cuniculus) – Case report. Braz J Vet Pathol 2020;13(2): 527 – 535. 15. Koenraad F. Thymoma-associated exfoliative dermatitis in a rabbit. Veterinary Dermatology 2005;16: 281–284. 16. Meier H, Crary DD, Norberg RF, Myers DD. Hemolytic anemia associated with thymoma in the rabbit. Genetic studies and pathological findings. Oncology 1971; 25(4):372-82. 17. Sanchez-Migallon Guzman D, Mayer J, Gould J, Azuma C. Radiation Therapy for the Treatment of Thymoma in Rabbits (Oryctolagus Cuniculus). J Exot Pet Med 2006; 15/2: 138–144. 18. McCready JE, Poirier VJ, Fleck A, Darco J, Beaufrère HH. Adaptive radiation therapy using weekly hypofractionation for thymoma treatment: A retrospective study of 10 rabbits. 2022;20(3):559-567. 19. Palmera A, Wub CC, Miwab Y, Turekc M, Sladky KK. Outcomes and survival times of client-owned rabbits diagnosed with thymoma and treated with either prednisolone or radiotherapy or left untreated. J Exot Pet Med 2021;38: 35-43. Kontakt Dr. Tina Brezina; Zentrum für Tiergesundheit Baden-Baden tina.brezina@gmx.de 278 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Heimtiere ___________________________________________________________________________________________________________ Mein Kleinsäuger setzt keinen Harn ab ‐ ist das schlimm? Kerstin Müller Klein- und Heimtierklinik der Freien Universität Berlin Einleitung Fehlender Harnabsatz ist ein regelmäßiger Vorstellungsgrund von Kleinsäugern, insbesondere von Kaninchen, in der tierärztlichen Praxis. Dieses Symptom kann ein Hinweis auf einen lebensbedrohlichen Zustand sein, so dass eine schnelle und systematische Aufarbeitung dieser Patienten wichtig ist. Regelmäßig vorkommende Ursachen für fehlenden Harnabsatz bei Kleinsäugern (Reihenfolge nach Wichtung): - - - - Harnwegsobstruktionen (Harnblasenhals-, Harnröhrensteine) Oligurie durch Dehydratation Oligurie/Anurie durch akutes Nierenversagen Rückenmarkserkrankungen/-verletzungen Andere Ursachen, wie Verletzung der Harnwege, Tumore, Blasen- und Urethraentzündungen scheinen als Ursache für einen reduzierten Harnabsatz bei Kleinsäugern sehr selten zu sein. Harnblasenhals- und Harnröhrensteine als Obstruktionsursache treten insbesondere bei Kaninchen und Meerschweinchen auf. Bei Chinchillas (insbesondere bei männlichen Tieren) wurden ebenfalls vereinzelt Harnsteine beschrieben, die die Harnwege blockierten. Zwar werden bei weiblichen Meerschweinchen regelmäßig teilweise sehr große Harnröhrensteine nachgewiesen, trotzdem können die betroffenen Tiere meist Urin absetzen. Dehydratisierte Tiere setzen insgesamt weniger Harn ab, dies fällt den Besitzer*innen meist aber nicht auf. Auch bei einer Oligurie/Anurie durch akutes Nierenversagen ist der Vorstellungsgrund nicht fehlender Harnabsatz, sondern Apathie und Inappetenz. Liegen Erkrankungen/Verletzungen des Rückenmarkes vor, kann es ebenfalls zu geringerem oder gar keinem Harnabsatz kommen. Durch das Überlaufen der Blase kann aber Harnabsatz vorgetäuscht werden. Anamnese Die Anamnese kann wichtige Hinweise für die Diagnose geben. Wird häufiges Lecken im Anogenitalbereich sowie häufiges Aufsuchen der Toilette erwähnt, sind das oft Hinweise auf das Vorliegen eines Harnsteins im Bereich der Urethra oder des Blasenhalses. Ein urinverschmutzter Anogenitalbereich, von Besitzer*innen nicht selten mit Durchfall verwechselt, kann hinweisend auf einen veränderten Harnabsatz sein. Allgemeinuntersuchung Die Allgemeinuntersuchung sollte sorgfältig durchgeführt werden, da nicht selten hinweisende Befunde übersehen werden. Der Dehydratationsgrad muss in jedem Fall erfasst werden, da dieser bei der Beurteilung von Blutwertveränderungen entscheidende Hinweise geben kann. Der Genital-/Urethralbereich sollte bei allen Kleinsäugern gründlich inspiziert werden. Beispielsweise kann man nicht selten Urethrasteine von weiblichen Meerschweinchen schon bei der klinischen Untersuchung feststellen, die bei Erreichen einer entsprechenden Größe zu einer Vorwölbung der Urethra führen können. Besteht der Verdacht, dass eine Harnwegsobstruktion vorliegt, sollte bei der Allgemeinuntersuchung kein Harn gewonnen werden. In diesem Fall sollten die Befunde der Bildgebung abgewartet werden. Labor Eine Blutuntersuchung ist Standarddiagnostik bei apathischen oder inappetenten Kleinsäugern, insbesondere bei Frettchen, Kaninchen, Meerschweinchen und Chinchillas. Auch bei Verdacht auf eine Harnwegsobstruktion ist eine Blutuntersuchung angezeigt. Die minimal Datenbasis sollte mindestens Hämatokrit, Gesamtprotein, Kreatinin, Glucose und AST umfassen. Weitere Parameter wie ALT, Elektrolyte, Harnstoff und die verschiedenen hämatologischen Parameter (Anzahl Leukozyten, Erythrozyten, 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 279

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Heimtiere ___________________________________________________________________________________________________________ Thrombozyten, Differenzialblutbild, Retikulozyten etc.) können bei ausreichend Material ebenfalls bestimmt oder bei Vorliegen von Abweichungen gegebenenfalls nachgefordert werden. Eine Harnuntersuchung ist insbesondere bei Nachweis einer Azotämie notwendig, um prärenaler und renaler Azotämie voneinander differenzieren zu können. Bei einer prärenalen Azotämie ist mit einem spezifischen Gewicht von über 1030 zu rechnen, bei einer chronischen renalen Azotämie mit einem spezifischen Gewicht von 1007-1015 und bei einer akuten renalen Azotämie mit einem spezifischen Gewicht von 1020 bis 1025. Bei postrenaler Azotämie kann das spezifische Gewicht in allen Bereichen liegen. Sie ist über die Bildgebung auszuschließen bzw. nachzuweisen. Wurden Patienten bereits vor der Harnuntersuchung umfassend infundiert, muss mit einer entsprechenden Beeinflussung des spezifischen Gewichts gerechnet und dies bei der Bewertung mit einbezogen werden. Bildgebung Eine röntgenologische Gesamtkörperaufnahme ist ebenfalls Standard bei der Abklärung von fehlendem Harnabsatz. In den meisten Fällen (aber eben nicht immer) sind Harnsteine von Kaninchen und Nagern röntgendicht und können gut röntgenologisch erfasst werden. Eine sonografische Untersuchung kann sehr wertvolle zusätzliche Informationen liefern, ist aber allein in keinem Fall ausreichend, da sonografisch nicht alle Bereiche ausreichend erfasst werden können, wie beispielsweise die Urethra. Sonografisch können aber beispielsweise Bereiche, die röntgenologisch nicht gut dargestellt werden können, wie beispielsweise die Harnleiter, auf Veränderungen wie Stauungen und Konkremente untersucht werden. Insbesondere bei Meerschweinchen stellen sich Nierengrieß und Harnleitersteine nicht immer röntgenologisch dar. Bei der Sonografie sollte darauf geachtet werden, dass vor allem im Bereich der Blase Schallauslöschungen durch Gas im Darm nicht als Blasensteine fehlinterpretiert werden. Da die Blasenwand vergleichsweise dünn ist, muss gründlich evaluiert werden, ob die Schallauslöschungen aus dem Bereich innerhalb oder außerhalb der Blase kommen. Im Zweifel muss das Tier umgelagert und erneut die Position der Schallauslöschung beurteilt werden. Therapie Je nach Befunden wird eine adäquate Therapie eingeleitet. Im Falle eines Blasensteines wird dies in vielen Fällen die chirurgische Entfernung durch Zystotomie sein. Bei weiblichen Tieren können kleine Steine auch via naturalis von allein abgehen. Bei Urethrasteinen von Meerschweinchen, die meist nicht zu einer Obstruktion führen, werden unter Sedierung/Anästhesie sowie Lokalanästhesie Steine aus der Urethra entfernt. Meist sind diese Steine zwiebelschalenförmig aufgebaut, sodass sie vorsichtig in der Urethra Schicht für Schicht verkleinert und dann entfernt werden können. Vorliegende prärenale und postrenale Azotämien sollten entsprechend mit Infusionstherapie ausgeglichen werden. Bei der Kalkulation muss die Höhe des Kreatinins, des Gesamtproteins und des Hämatokrits beachtet werden. Zu hohe Infusionsmengen innerhalb kurzer Zeit können zu einem starken Abfall des Hämatokrit und des Gesamtproteins führen. Bei der Wahl der Infusionslösung ist die Kenntnis des Elektrolytstatus hilfreich, wobei es selten starke Abweichungen gibt. Bei akutem Nierenversagen und damit einhergehender Oligurie/Anurie ist die Prognose meist schlecht. Mit einer angepassten Infusionstherapie (5 % Dehydratation plus halber Erhaltungsbedarf bis klar ist, ob Urin produziert wird) sollte begonnen werden. Je nach Höhe der Urinproduktion ist die Infusionsmenge anzupassen. Da bei Kaninchen ein akutes Nierenversagen regelmäßig mit einer Anurie einhergeht, muss gegebenenfalls auf sogenannte „Nierenstarterprotokolle“ aus der Kleintiermedizin zurückgegriffen werden. Die Erfolgsrate ist nach eigener Erfahrung aber mäßig. Nicht selten müssen die Tiere aufgrund persistierender massiver Nierenfunktionsstörung und der damit einhergehenden Hypervolämie euthanasiert werden. Weiterführende Literatur 1. 2. Müller K. Azotämien bei Kaninchen und Nagern – ein Update. Tierärztliche Praxis Ausgabe K: Kleintiere / Heimtiere. 2019;47(01):37-47. Madel A. Untersuchungen zur Azotämie bei Heimtierkaninchen. Dissertation, Berlin: Freie Universität; 2016. Kontakt PD Dr. Kerstin Müller; Klein- und Heimtierklinik der Freien Universität Berlin 280 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Heimtiere ___________________________________________________________________________________________________________ Ein Kleinsäuger mit Blutung! Kleiner Patient = großes Problem? Tina Brezina Zentrum für Tiergesundheit Baden-Baden Blutungsursachen (1,2) Spontane Blutungen sind in diversen Körperregionen – mal mehr, mal weniger sichtbar – natürlich auch beim Heimtier möglich. Wichtige Ursachen für eine Blutungsneigung bei Kaninchen, Meerschweinchen, Frettchen und Nagern sind im Folgenden aufgelistet*: Thrombozytopenie • verminderte Produktion von Thrombozyten o o o infektiöse Ursachen zB. RHD (K), Aleutenkrankheit (F) toxische Ursachen zB. Östrogene (F), Aflatoxine (K), Metamizol, Chloramphenicol, Sulfonamide, Tetrazykline, Fenbendazol infektiöse Ursachen zB. ferret systemic coronavirus (F) immunmediierte Ursachen o o Vitamin C Defizit (M) o neoplastische Ursachen bzw. paraneoplastisches Syndrom • erhöhter Verbrauch von Thrombozyten o DIC o Leberlappentorsion (K), Magendrehung, usw. o immunmediierte Ursachen infektiöse Ursachen zB. RHD (K), Leberkokzidiose (K) o o Splenomegalie (F) o Leberlipidose o chronische Blutungen • analytische Fehlerquellen o Thrombozytenaggregate Thrombozytopathie • Arzneimittel • Nieren- oder Lebererkrankung • neoplastische Ursachen bzw. paraneoplastisches Syndrom Sonstige Gerinnungsstörungen • Vitamin K-Mangel • DIC • Heparingabe Die meisten Blutungen äußern sich – je nach Dauer der Erkrankung – in einer Anämie. Diese kann in eine regenerative und nichtregenerative Anämie eingeteilt werden*: hämolytischen Anämie (regenerative Anämie) infektiöse Ursachen zB. RHD (K), Dirofilariose (F), Septikämie immunmediierte Ursachen zB. Arzneimittel, Bluttransfusion toxische Ursachen zB. diverse Antibiotika, Levamisol, Metronidazol, Impfstoffe, Zwiebelgewächse sonstige Ursachen zB. DIC, Leberlappentorsion, Milztorsion, Hitzschlag • • • • • neoplastische Ursachen 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 281

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Heimtiere ___________________________________________________________________________________________________________ Blutungsanämie (regenerative Anämie) • akuter Blutverlust zB. Magen-Darm-Trakt, Harntrakt, Genitaltrakt (K), Körperhöhlen, äußerliche Blutungen chronischer Blutverlust zB. Magen-Darm-Trakt, Harntrakt (M), Genitaltrakt, Ektoparasitenbefall • Knochenmarksinsuffizienz/aplastische Anämie/Mangelanämie (nichtregenerative Anämie) infektöse Ursachen zB. RHD (K), Aleutenkrankheit (F) • • hormonelle/endokrine Ursachen zB. Hyeröstrogenismus (F), Ovarialzysten (M, N) • toxische Ursachen zB. Fenbendazol, Metamizol, Acetylsalicylsäure, Chloramphenicol, Trimetoprim/Sulfonamid, Schwermetalle • Erythropoetinmangel zB. CNI • chronische Erkrankungen zB. Abszesserkrankungen, Kaninchenschnupfen (K), Thymom (K), andere Neoplasien * Die Liste der möglichen Erkrankungen ist nicht vollständig. K … Kaninchen F … Frettchen M … Meerschweinchen N … Nager Die Aufarbeitung und Diagnose einer jeden Blutung bzw. Anämie umfasst eine ausführliche Anamnese und eine fundierte Allgemeinuntersuchung. Eine Blutuntersuchung sollte ein Blutbild inkl. Blutausstrich und Retikulozytenbestimmung sowie die wichtigsten blutchemischen Parameter umfassen. Für die Blutgerinnung (prothrombin time PT, activated thromboplastin time APTT, fibrinogen degradation product FDP, D-dimer concentrations) sind wenige Referenzbereiche für Heimtiere angegeben. Ergebnisse eigener Geräte sollten jedoch idealerweise anhand einer gesunden Tierpopulation validiert und die Ergebnisse stets mit Vorsicht interpretiert werden. Weitere Testmöglichkeiten sind die activated clotting time (ACT) sowie das Visocoelastogramm, welche jedoch zurzeit lediglich spezialisierten Laboren und Universitäten vorbehalten sind. Daten zur buccal mucosal bleeding time (BMBT) gibt es nur für den Labortierbereich (2,3). Weitere diagnostische Schritte (Hormonpanels, Erregernachweis, Röntgen, Sonographie, CT, Harnuntersuchung, Kotuntersuchung, Knochenmarksbiopsie, Organbiopsien) sind in Abhängigkeit der Symptome und der klinischen Allgemeinuntersuchung zu wählen. Es können Blutvolumina bis zu 1 % des Körpergewichts des Patienten abgenommen werden. In älteren und kranken Tieren sollte jedoch das nötige Minimum entnommen werden (4). Eine Entnahme oder ein Blutverlust von unter 10% des Körpergewichtes führt zu einer temporären Vasokonstriktion und einer steigenden Herzfrequenz. Bei einem Blutverlust von 15-20 % des Körpergewichts kommt es zur Hypotension, anaeroben Glykolyse und Herz- sowie Atemfrequenz steigen an (5). Literatur 1. Schrey CF. Leitsymptome und Leitbefunde bei Hund und Katze. 4te Auflage. 2019 Schattauer 2. Kaye S, Stokol T. Hemostatic Testing in Companion Exotic Mammals. Vet Clin Exot Anim 2022;25: 613–630. 3. Perrin KL. Coagulation Disorders, Testing, and Treatment in Exotic Animal Critical Care. Vet Clin Exot Anim 2023;26(3): 4. 5. 751-769. Joslin JO. Blood Collection Techniques in Exotic Small Mammals. J Exot Pet Med 2009;18(2): 117–139. Fachinformation aus dem Ausschuss für Tierschutzbeauftragte und dem Arbeitskreis 4 in der TVT. Empfehlung zur Blutentnahme bei Versuchstieren, insbesondere kleinen Versuchstieren. Stand Juli 2017 Kontakt Dr. Tina Brezina; Zentrum für Tiergesundheit Baden-Baden tina.brezina@gmx.de 282 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Heimtiere ___________________________________________________________________________________________________________ Lebensbedrohlich? Notfall Magen-Darm-Trakt Milena Thöle Tierklinik Posthausen Der gastrointestinale Notfall Perakute Inappetenz, abdominale Schmerzen, Apathie sowie reduzierter oder fehlender Kotabsatz sind beim Kaninchen die häufigsten Gründe für eine Vorstellung im Notdienst. Die Ursachen für diese unspezifische Symptomatik können sehr vielfältig sein und führen nicht selten schnell zu lebensbedrohlichen Zuständen. Eine vollständige und zügige diagnostische Aufarbeitung ist daher essenziell, um gezielt Therapiemaßnahmen einleiten und die Prognose für den Patienten verbessern zu können. Obstruktiver Ileus – das häufigste Problem Bei Kaninchen mit akutem Abdomen liegt besonders häufig eine Obstruktion des Magen-Darm-Traktes vor. Diese Obstruktion wird in den meisten Fällen von Trichobezoaren verursacht, welche vorwiegend im proximalen Duodenum das Darmlumen verschließen. In der Folge kommt es zu einer starken Vergrößerung des Magens inklusive Verflüssigung des Inhaltes und der Entwicklung von Gasansammlungen. Schmerzen und Gastromegalie führen beim Kaninchen zügig zur Entwicklung eines dekompensierten Schockgeschehens mit Hypothermie, Dehydratation, prärenaler Azotämie und Azidose. Die Diagnosestellung erfolgt in den meisten Fällen über Röntgenaufnahmen in 2 Ebenen (mit oder ohne Kontrastmittel). Blutuntersuchungen können zur besseren Einschätzung der Prognose herangezogen werden und andere Erkrankungen ausschließen. Die konservative Therapie beinhaltet vor allem die langsame Aufwärmung des Patienten, Rehydratation sowie eine adäquate Schmerztherapie. Bei ausbleibender Besserung kann eine diagnostische Laparotomie und ggf. ein Weiterschieben des Fremdkörpers bzw. eine Enterotomie/ Gastrotomie notwendig werden (1). Appendizitis – eine Erkrankung auf dem Vormarsch? Die Appendizitis ist eine (meist) akute, entzündliche Erkrankung des Appendix vermiformis, z.T. auch vergesellschaftet mit einer Entzündung des Sacculus rotundus, welche in den letzten Jahren verstärkt an Bedeutung gewonnen hat. Betroffene Kaninchen können hypotherm, aber auch hypertherm oder normotherm vorgestellt werden. Die Ursachen für diese Erkrankung sind bisher nicht vollständig geklärt. Eine bakterielle Ätiologie (v.a. die Beteiligung von Klebsiellen) wird diskutiert. Auffällig ist die Häufung von Fällen in der warmen Jahreszeit. Die Diagnosestellung mittels Röntgen ist in der Regel nicht möglich, auch eine Palpation des vergrößerten Appendix gelingt nicht in allen Fällen. Bei den meisten Patienten können der veränderte Appendix vermiformis und Sacculus rotundus jedoch im Ultraschall sicher dargestellt werden. In der Blutuntersuchung werden v.a. Blutglukoseveränderungen (Hypo- oder Hyperglykämie) regelmäßig festgestellt. Die konservative Therapie beinhaltet neben Analgesie und intravenöser Flüssigkeitsgabe auch die Verabreichung von Antibiotika. Eine chirurgische Therapie mittels Appendektomie ist weiterhin möglich (2). Leberlappentorsion – selten, aber gefährlich Perakute Inappetenz kann auch bei einer Leberlappentorsion vorliegen. Bei dieser Erkrankung ist die Ätiologie nicht vollständig geklärt, aber das Fehlen bzw. die reduzierte Festigkeit von Leberbändern wird als ein möglicher, prädisponierender Faktor diskutiert. Die sichere Diagnosestellung mittels röntgenologischer Untersuchung ist auch im Falle einer Leberlappentorsion in der Regel nicht möglich. Meist sind die Veränderungen im Röntgenbild uneindeutig oder weisen auf eine gastrointestinale Stase hin. In der Blutuntersuchung ergibt sich ein erster Verdacht auf das Vorliegen einer Leberlappentorsion, wenn eine deutliche Erhöhung von Leberenzymen (v.a. ALT und AST) nachgewiesen wird. Durch Blutungen in den betroffenen Leberlappen oder in die Bauchhöhle kann es weiterhin zu einer Anämie kommen, welche schnell lebensbedrohliche Ausmaße annehmen kann. Mittels sonografischer Untersuchung kann die Verdachtsdiagnose Leberlappentorsion bestätigt werden. Die betroffenen Leberbereiche sind dabei vergrößert, weisen ein gemischtechogenes oder hypoechogenes Parenchym auf und sind nicht oder stark reduziert 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 283

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Heimtiere ___________________________________________________________________________________________________________ durchblutet. Sowohl eine chirurgische Therapie (Lobektomie) als auch eine konservative Therapie können, je nach Fall, erfolgreich zum Einsatz kommen (3,4) Literatur 1. 2. 3. 4. Oglesbee BL, Lord B: Gastrointestinal diseases of rabbits. In: Quesenberry K, Orcutt CJ, Mans C, Carpenter JW, Herausgeber. Ferrets, Rabbits, and Rodents, 4. Auflage, Elsevier; 2020. S. 174–187. Di Girolamo N, Petrini D, Zabo S, Volait-Rosset L, Oglesbee BL, Nardini G, Possenti M, Gerosa S, Rota S, Minh Huynh, Vitolo D, Devescovi E, Nicoletti A, Selleri P, Guillier D, Reese D, Nicolier A, Reyes-Gomez E, Matteucci G, Reavill DR, Binanti D. Clinical, surgical, and pathological findings in client-owned rabbits with histologically confirmed appendicitis: 19 cases (2015–2019). Journal of the American Veterinary Medical Association,2022; 260 (1): 82-93. Ozawa SM, Graham JE, Sanchez-Migallon Guzman D, Tucker SM, Petritz OA, Sullivan P, Robertson JB, Hawkins MG. Clinicopathological findings in and prognostic factors for domestic rabbits with liver lobe torsion: 82 cases (2010– 2020). Journal of the American Veterinary Medical Association, 2022; 260 (11). DOI: 10.2460/javma.22.03.0154 Sheen JC, Vella D, Hung L. Retrospective analysis of liver lobe torsion in pet rabbits: 40 cases (2016–2021). Veterinary Record, 2022; 191(7). DOI: 10.1002/vetr.1971 Kontakt Dr. Milena Thöle; Tierklinik Posthausen, 28870 Posthausen thoele@tierklinik-posthausen.de 284 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Heimtiere ___________________________________________________________________________________________________________ What is new? Aktuelle Kleinsäugerliteratur für Sie gelesen Kerstin Müller Klein- und Heimtierklinik der Freien Universität Berlin Im Folgenden werden drei kurze Abstracts von Publikationen vorgestellt, die in den letzten Monaten publiziert wurden und gegebenenfalls interessant für praktizierende Tierärzt*innen mit Schwerpunkt Kleinsäuger sind. Meerschweinchen und Zystitis Azevedo et al. (2023): Lower Urinary Tract Diseases in Guinea Pigs: A 14-Year Retrospective Study (2004– 2018). Animals 2023, 13, 112. https://doi.org/10.3390/ani13010112 In dieser Studie wurden klinische Daten von Meerschweinchen aus einer Tierklinik, bei denen eine Erkrankung der unteren Harnwege im Zeitraum von 2004 bis 2018 (14 Jahren) diagnostiziert wurde, ausgewertet. Es wurden 117 klinische Fälle erfasst, die 57 Tieren entsprachen. Urolithiasis war die häufigste Diagnose (n = 52; 44,4 %), gefolgt von Zystitis und/oder einer Harnwegsinfektion (UTI). Weibliche Meerschweinchen aufwiesen häufiger als männliche Meerschweinchen eine familiäre Vorgeschichte von Harnwegserkrankungen, wiesen häufiger Dysurie auf und erlitten häufiger ein Rezidiv. Männliche Tiere wiesen häufiger eine Urolithiasis, weibliche Tiere eine Zystitis/UTI auf. Tiere mit Zystitis/UTI, hatten mehr Symptome, die hinweisend für Harnwegserkrankungen waren und abdominale Schmerzen bei der Palpation als Tiere mit Urolithiasis. Der Einsatz von Kaliumzitrat und eine Urethrotomy waren mit einem besseren therapeutischen Ansprechen assoziiert. Meerschweinchen und Vertebral Heart Score (VHS) De Silva et al. (2022): Radiographic and anatomical morphometric assessments of heart size in presumed healthy pet guinea pigs. Vet Radiol Ultrasound. 2022 Jan;63(1):8-17. doi:10.1111/vru.13020. Herzerkrankungen kommen auch bei Meerschweinchen vor. Bisher war eine Diagnose anhand von röntgenologischen Maßen nicht möglich, da Referenzbereiche fehlten. Die prospektive Untersuchung von de Silva et al. untersuchte Thoraxröntgenbilder von klinisch gesunden Meerschweinchen und ermittelte den Vertebral Heart Score (VHS). Zudem wurde eine anatomische Studie an 10 Meerschweinchen durchgeführt, um die röntgenologischen und anatomischen Befunde zu vergleichen. Der Thorax von 30 klinisch gesunden Heimtiermeerschweinchen wurde in rechter Seitenlage, von 10 in linker Seitenlage geröntgt. Der Median des VHS betrug 7,4 (7,1-7,6). Es wurden keine Unterschiede zwischen rechter und linker Seitenlage oder den Geschlechtern nachgewiesen. Auch das Alter und das Gewicht hatte keinen Einfluss auf den VHS. In der anatomischen Studie wurde ein medianer VHS von 7,5 (7,2-8,0) VHS ermittelt. Die Referenzintervalle können zukünftig helfen die Herzgröße von Meerschweinchen radiologisch zu interpretieren. Kaninchen und Ohren Monge et al. (2023): Lateral ear canal resection and bulla osteotomy with marsupialization to treat otitis media in rabbits: forty-eight procedures. Vet Surg. 2023;1–12. In der retrospektiven klinischen Fallserie werden die Ergebnisse (bis 21 Tage postoperativ) einer lateralen Gehörgangsresektion und Bullaosteotomie mit Marsupialisation (LECARBOM) bei 42 Kaninchen und 48 Ohren mit Otitis media (OM) beschrieben. Bei allen Tieren wurde die OM mittels CT bestätigt. Es handelte sich um 33 Widder und 9 Stehohrkaninchen. Alle 48 Ohren wurden operiert und die Tiere überlebten den Eingriff. Die Otitis externa heilte bei allen Kaninchen mit Hängeohren. Von 29 Ohren mit OM-assoziierter Kopfschiefhaltung wurden acht (28 %) symptomlos, neun (31 %) verbesserten sich, sieben (24 %) blieben bestehen und fünf (17 %) verschlechterten sich. Das Ergebnis war nicht mit der Krankheitsdauer oder dem Schweregrad der OM assoziiert. Postoperative Komplikationen traten in 12 (25 %) Fällen auf, sieben davon entwickelten eine Nahtdehiszenz, die nach 21 Tagen abheilte. Die am häufigsten isolierten Bakterien waren Pasteurella multocida (16 %), Bordetella 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 285

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Heimtiere ___________________________________________________________________________________________________________ bronchiseptica (14 %) und Staphylococcus aureus (14 %). Die Bakterien waren empfindlich gegenüber Azithromycin, Marbofloxacin oder Enrofloxacin und resistent gegen Penicillin. Die Autoren schließen aus ihren Ergebnissen, dass LECARBOM ein gut verträgliches chirurgisches Verfahren zur Behandlung von OM ist. Es verbesserte oder stabilisierte 83 % der Fälle mit Kopfschiefhaltung und heilte alle Fälle mit Otitis externa. Was nicht im Abstract steht: Drei Kaninchen starben innerhalb der ersten 48 Stunden (7 %). Ein Kaninchen wurde nach 15 Tagen euthanasiert, da sich die Symptome verschlechterten. Ein Tier entwickelt postoperativ eine Kopfschiefhaltung, die dann aber wieder verschwand. Zwei Tiere bildeten paraauriculare Abszesse. Bei 29 (60 %) Ohren war Kopfschiefhaltung unterschiedlicher Ausprägung der Vorstellungsgrund, davon waren 10 (21 %) mit einer Fazialisparalyse assoziiert. Bei sieben (17 %) Ohren lag nach Besitzerangaben eine Fazialisparalyse ohne Kopfschiefhaltung vor, davon hatten aber drei (6%) Ohren doch beide Befunde. Zwei Kaninchen (4 Ohren; 8 %) wiesen eine chronische Rhinitis mit OM auf. Kontakt PD Dr. Kerstin Müller; Klein- und Heimtierklinik der Freien Universität Berlin 286 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Heimtiere ___________________________________________________________________________________________________________ Wildvogelbehandlung: Spagat zwischen Tierschutz-Artenschutz-Liquidation Gerald Fritz Schusser1, Philipp Mädje2, Hans Lilie2 1Medizinische Tierklinik, Veterinärmedizinische Fakultät, Universität Leipzig; 2Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozeßrecht, Rechtsvergleichung und Medizinrecht, Juristische und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Die Rechte einer Tierärztin oder eines Tierarztes, ein Wildtier zu untersuchen und zu behandeln, liegen in der Bundes-Tierärzteordnung (§§ 2, 3, 4; vom 15. August 2019, BGBl. I S. 1307) in Verbindung mit der Berufsordnung (§§ 1,2,3; Berufsordnung der Sächsischen Landestierärztekammer vom 7. Juli 2021). Das bedeutet, dass die Tierärztin und der Tierarzt berufen sind und sind in hohem Maße während der Berufsausübung verantwortlich über die Gesundheit des Menschen und Tieres. Aufgrund dessen sind die Tierärztin und der Tierarzt berufen und verpflichtet, den Schutz des Tieres zu gewährleisten. Das bedeutet, dass die Tierärztin und der Tierarzt die Aufgabe haben, Leiden und Krankheiten zu lindern und zu heilen. Weiters haben sie die Aufgabe, das Leben und das Wohlbefinden der Tiere zu wahren und vor weiteren Schäden zu schützen. Das Gesetz und die Berufsordnung beschränken die tierärztliche Pflicht nicht auf die Haustiere, sondern diese umfassen die Tiere und in diese sind die Wildtiere/Wildvögel eingeschlossen. Im Ethik-Kodex der Tierärztinnen und Tierärzte Deutschlands der Bundestierärztekammer wird das noch untermauert und im Punkt 1 ist die nachhaltige, ökologische Entwicklung herausgehoben. Das betrifft auch die Wildtierökologie. Außerdem wird im Punkt 2 die „One Health“ und die Bekämpfung der Zoonosen als Verpflichtung herausgestellt. Dies bedeutet zum Beispiel das Aufdecken der Tollwut, West-Nil-Virus-Infektion, Vogelgrippe, Bornaschen Krankheit, usw. bei Wildtieren/Wildvögel durch die Tierärztin oder den Tierarzt. Das bedeutet gleichzeitig die Einschaltung der Landesuntersuchungsanstalten. Selbstverständlich ist die Tierärztin oder der Tierarzt befugt aufgrund des Ergebnisses der klinischen Untersuchung eines Wildtieres/Wildvogels und somit der aussichtslosen Prognose, ein Wildtier/Wildvogel schmerzlos zu euthanasieren. Das ist im Ethik-Kodex im Punkt 3 dargelegt. Das Tierschutzgesetz (§ 1, 20. November 2019, BGBl. I S. 1626) unterstreicht die Pflichten der Tierärztin und des Tierarztes noch. Im Bundesnaturschutzgesetz im §45, 5 (vom 8. Dezember 2022, BGBl. I S. 2240) ist es zulässig kranke, hilflose, verletzte Tiere/Vögel/artgeschützte Vögel aufzunehmen und gesund zu pflegen. Da bei verletzten Tieren/Vögel die Tierärztin und der Tierarzt berufen sind Leiden zu lindern (siehe oben), besteht natürlich nach der Meldung des Tieres/Vogels bei der Naturschutzbehörde auch das Recht auf Rechnungslegung an den Überbringer, Naturschutzbehörde oder an die Gemeinde. Dies betrifft besonders die artgeschützten Vögel, gemäß Bundesartenschutzverordnung (21. Januar 2013, BGBl. I S. 95) und gemäß Roter Liste der Wirbeltiere Sachsens vom Dezember 2015. Voraussetzung ist die Meldung bei der zuständigen Naturschutzbehörde. Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (II. Art. 20a, 19. Dezember 2022, BGBl. I S. 2478) beschreibt die Verantwortung des Staates und somit der Staatsbürgerinnen und Staatsbürger zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und der Wildtiere. Eine Ersatzpflicht der Tierarztkosten aufgrund der Behandlung eines Wildtieres/Wildvogels (= herrenlosen Tieres/Vogels) durch die Gemeinde kann nur in folgenden Fällen angenommen werden: Entsorgung des Tierkadavers, Diagnostik bei Seuchengefahr (z.B.: Vogelgrippe, West-Nil-Virus, Bornasche Krankheit, Tollwut, Afrikanische Schweinepest). Ansonsten ist es Sache der Gemeinde, zu entscheiden, ob kranken Wildtieren/Wildvögel (= herrenlosen Tieren/Vögel) eine tierärztliche Behandlung zukommen soll oder ob den "natürlichen Abläufen" entsprochen wird (OVG Münster, Beschluss vom 06.03.1996 - 13 A 638/95). Die Tierfinderin/der Tierfinder eines Wildtieres/artgeschützten Wildvogels, die/der eine(n) Tierärztin/Tierarzt zur Behandlung dieses gefundenen Wildtieres/Wildvogels in Anspruch nimmt, kann zur Liquidation der Tierarztkosten gemäß GOT herangezogen werden. Diese Kosten der Behandlung eines gefundenen 288 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Heimtiere ___________________________________________________________________________________________________________ Fortbildung im Bereich Wildtiermedizin – was gibt es, was macht Sinn, lohnt sich das? Kerstin Müller Klein- und Heimtierklinik der Freien Universität Berlin Die tiermedizinische Versorgung von Wildtieren ist immer wieder Thema in der tierärztlichen Praxis. Nicht wenige Kolleg*innen behandeln diese Tiergruppe nach bestem Wissen und Gewissen, aber nicht selten mit fehlendem Hintergrundwissen und einem entsprechenden Netzwerk an fachlich kompetenten Unterstützern. Damit wird aber der gesamte Prozess der Pflege in Frage gestellt, denn eine Wiederauswilderung ist nur erfolgreich, wenn eine Reihe von Kriterien erfüllt wird. Ob eine Versorgung eines Wildtierpatienten erfolgreich ist, ist in jedem Fall eine Einzelentscheidung pro Individuum und ist teilweise sehr komplex. Wildtiermedizin ist häufig vor allem Tierschutz, in einigen Fällen auch Artenschutz. Eine Problematik bei der Weiterbildung zum Thema Wildtiermedizin ist, dass es bisher in Deutschland und international keine einheitlichen anerkannten Standards zur Versorgung und Freilassung von Wildtieren gibt. Jede Einrichtung entscheidet individuell, ob und wie Wildtierindividuen versorgt werden, größtenteils ohne eine wissenschaftliche Grundlage, da nur wenige Themengebiete im Bereich der Wildtierversorgung wissenschaftlich untersucht sind. Während einige Einrichtungen die Aufzucht von Jungtieren aus verschiedensten Gründen ablehnen, ist die Hauptbeschäftigung anderer Einrichtung insbesondere im Sommer die Aufzucht dieser. Verschiedenste Abhandlungen gehen zwar allgemein auf das Thema ein, geben aber für die tägliche Arbeit und für die verschiedensten Wildtierarten nur bedingt Hilfestellungen und sind Praktizierenden meist überhaupt nicht zugänglich. Zudem gehen die Meinungen hinsichtlich Sinn und Unsinn zur Art und Weise der Versorgung und Freilassung von Wildtierpatienten teilweise auch unter „Expert*innen“ sehr weit unter auseinander. Bei der Recherche nach Möglichkeiten zu Weiterbildungen im Bereich Wildtiermedizin, fällt auf, dass es nur wenige gibt und keine wissenschaftliche Einrichtung unter den Anbietern und Ausrichtern dieser Veranstaltungen vertreten ist. Die angebotenen Themen sind sehr divers, was aufgrund der Vielzahl an Wildtierarten, die in der tierärztlichen Praxis vorgestellt werden, verständlich ist. Wenn sich aber einige der Fortbildungen nur mit der Aufzucht von Jungtieren befassen, hinterlässt das eine Reihe offener Fragen, da eine Handaufzucht meist nicht zu einer erfolgreichen Auswilderung führt und aus diesem Grund andere Methoden für viele Wildtierarten zur Verfügung stehen und eingesetzt werden sollten. Leichte Verfügbarkeit für Praktizierende Was wäre grundsätzlich wünschenswert bei Weiterbildungen im Bereich Wildtierversorgung? - Vermittlung fachkompetenter einheitlicher Standards - Vermittlung wissenschaftlicher Grundlagen - - Regelmäßiger Wissensaustausch und Wissenstransfer Um das sicherzustellen, ist ein Wissensaustausch zwischen den Einrichtungen, die in größerem Rahmen Wildtiere tiermedizinisch versorgen notwendig. Die Erarbeitung einheitlicher Standards hinsichtlich der Versorgung sowie hinsichtlich der Weiterbildung sollte das Ziel sein. Kontaktadresse PD Dr. Kerstin Müller; Klein- und Heimtierklinik der Freien Universität Berlin 290 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Heimtiere ___________________________________________________________________________________________________________ Bildgebende Diagnostik am Bewegungsapparat des Vogels Anna Korshunova, Maria-Elisabeth Krautwald-Junghanns Klinik für Vögel und Reptilien, Universität Leipzig Abstract Erkrankungen des Bewegungsapparates kommen bei Vögeln häufig vor. Oft lassen sie sich allerdings nur mittels bildgebender Verfahren adäquat diagnostizieren. Die Röntgendiagnostik wird in der Tiermedizin traditionell als erstes bildgebendes Verfahren eingesetzt. In den letzten Jahren gewinnen jedoch auch andere bildgebende Verfahren wie z. B. Computertomografie (CT), Magnetresonanztomografie (MRT) und auch Ultraschall (US) zunehmend an Bedeutung. Röntgen und CT werden häufig für die Diagnose orthopädischer Erkrankungen, sowie für die Planung und Nachsorge von Operationen eingesetzt. MRT ist wiederum für die Beurteilung von Weichteilstrukturen wie Muskeln, Bändern, Sehnen und Gelenke am besten geeignet. Außerdem ist MRT für die Untersuchung des zentralen Nervensystems bei traumatisierten oder neurologischen Patienten die Methode der Wahl. Ultraschalldiagnostik wird in der Kleintier- und Humanmedizin häufig bei orthopädischen Fällen eingesetzt und eignet sich am besten für die Untersuchung von Weichteilen wie Muskeln, Bändern, Nerven und Gelenke. Die Kenntnisse über die Anwendung dieser Methode in der Vogelorthopädie jedoch waren bis vor kurzem auf einige wenige Studien beschränkt. In unserer Studie wurde der Einsatz von B-Mode-Ultraschall bei verschiedenen Vogelarten mit und ohne Auffälligkeiten am Bewegungsapparat untersucht. Dadurch wurde bestätigt, dass die Ultraschalldiagnostik eine gute alternative bzw. ergänzende Methode für die Untersuchung von Knochen, Muskeln, einigen Sehnen und Gelenken darstellt. Einführung Orthopädische Probleme stellen einen großen Teil der Krankheiten in der Vogelmedizin dar. Verschiedene Verletzungen der knöchernen und weichen Strukturen sowie Erkrankungen, die durch Infektionen oder Stoffwechselstörungen verursacht werden, kommen am häufigsten vor. In vielen Fällen gestaltet es sich schwierig, eine Diagnose zu stellen, ohne bildgebende Verfahren anzuwenden. Vogelmedizin und diagnostische Maßnahmen haben sich seit mehreren Jahren so weiterentwickelt, dass heutzutage eine Vielfalt von diagnostischen Methoden zur Verfügung steht. Es sollte jedoch berücksichtigt werden, dass die visuelle Diagnose eine eher subjektive Untersuchungsmethode darstellt. Diagnose und Prognose hängen im Wesentlichen von der Qualität der Darstellung und der Kompetenz des Spezialisten ab. Daher ist es wichtig, den Anwendungsbereich der verschiedenen diagnostischen Methoden zu kennen, um die Ergebnisse interpretieren zu können. Röntgenuntersuchung In den meisten orthopädischen Fällen ist die Röntgenaufnahme traditionell die erste Methode der Wahl. Sie ermöglicht eine gute Darstellung der knöchernen Strukturen und eine schnelle Beurteilung des gesamten Patientenkörpers (bei Vögeln bis zu 2 kg Körpergewicht) (2). Heutzutage werden in der Regel digitale Röntgenbilder verwendet, die über mehrere Vorteile gegenüber analogen Röntgenbildern verfügen. Dazu gehören vor allem kurze Durchführungsdauer, die Flexibilität der Einstellungen beim Bilderstellen und die Möglichkeit ihrer post-facto Korrektur. Dies erhöht die Effizienz der Diagnostik und verringert die Risiken einer Überbelichtung des Patienten. Eine präzise und symmetrische Positionierung des Patienten auf dem Detektor ist äußerst wichtig. Da die meisten Vogelpatienten ziemlich klein sind und eine extrem hohe Atmungs- und Herzschlag-Frequenz haben, besteht ein hohes Risiko von Artefakten auf dem Bild. Es wird daher empfohlen, eine Belichtungszeit von 1/60 Sekunden oder sogar weniger zu verwenden (3). Standardmäßig sind mindestens zwei Projektionen für eine angemessene Interpretation erforderlich: lateral und ventrodorsal bzw. dorsoventral. In einigen Fällen werden zusätzliche Untersuchungsebenen verwendet, wie z. B. eine orthogonale Flügelprojektion. In diesem Fall wird der Vogel senkrecht mit dem Kopf nach unten gehalten, und die Röntgenstrahlen werden in kraniokaudaler Richtung durch den Flügel geführt (2,4). 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 291

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Heimtiere ___________________________________________________________________________________________________________ Die Fixierung von ruhigen Patienten in stabilem Zustand ist ohne Anästhesie möglich. Dazu wird der Patient vom Personal oder mithilfe von Fixierungsmitteln (z. B. Schnürsenkel, Bänder, Bleihandschuhe usw.) in Rückenlage auf einer Kunststoffkassette fixiert. Bei großen Papageien, Greifvögeln und medizinischen Indikationen wird die Fixierung von Patienten auch mit Narkose durchgeführt. Zu diesem Zweck wird in der Regel eine Inhalationsnarkose, z. B. Isofluran, oder injizierbare Anästhetika verwendet. Die kontinuierliche Überwachung der physiologischen Parameter des Patienten ist dabei essentiell (Atmung, Herzschlag) (3). Die Knochen von Vögeln weisen im Gegensatz zu Säugetieren eine viel dünnere Kortikalis auf (5). Das Skelettsystem flugfähiger Vögel ist durch eine gewisse Pneumatisation der Knochen gekennzeichnet, die vor allem die proximalen Teile des Skeletts (Thorax, Schlüsselbein, Oberarmknochen, Becken und Oberschenkelknochen) betrifft (6). Der Grad der Pneumatisation hängt von der Vogelart und ihrer Größe ab. Einzigartig ist auch das Achsenskelett der Vögel, das aus drei miteinander verschmolzenen Wirbelsegmenten besteht, von denen man annimmt, dass sie für eine erhöhte Stabilität während des Fluges sorgen. Der Anstieg des Östrogenspiegels im Blut reproduktionsaktiver weiblichen Vögel führt zu einer Verdickung der kompakten Knochen und zur Einlagerung von Kalzium in Form von sogenanntem "medialer Knochen" in der Markhöhle (4). Dies führt zu einer deutlich erhöhten Röntgendichte oder Hyperostose dieser bestimmten Knochen (3). Die Überlagerung von Schlüsselbein und Korakoid schränkt die Beurteilung des Brustgürtels ein, was unbedingt berücksichtigt werden sollte. Das Gleiche gilt für die Beckenregion, wenn der Patient symmetrisch gelagert wird und sich beide Körperseiten überlappen (3). Frakturen stellen eines der häufigsten orthopädischen Probleme dar, die durch Röntgenaufnahmen diagnostiziert werden. Pathologische oder unvollständige Knochenhautbrüche ohne Verschiebung von Knochenfragmenten können jedoch auf Röntgenbildern oft nicht angemessen beurteilt werden. Die Planung von Operationen (z. B. Osteosynthese) und die postoperative Überwachung der Knochenheilung sind ebenfalls Indikationen für diese Untersuchung. Auch bei Verdacht auf Knocheninfektionen (z. B. Tuberkulose) oder Stoffwechselstörungen (z. B. Rachitis) kann das Röntgenbild Aufschluss über die Knochengesundheit geben. Allerdings ist die Darstellung von Weichteilen (z. B. Muskeln, Bänder, Gelenkkapseln usw.) mittels Radiographie nicht möglich, was die Anwendungsmöglichkeiten dieser Methode dementsprechend einschränkt (1,3,4). Computertomografie (CT) Die Computertomografie (CT) ist inzwischen besser verfügbar geworden, so dass ihr Einsatz in der Heimtier- und Exotenmedizin in den letzten Jahren exponentiell zugenommen hat. Moderne Multidetektor-CT- Geräte ermöglichen das schnelle Scannen großer anatomischer Bereiche (1). Die CT hat gegenüber der Röntgenuntersuchung viele Vorteile. Ein wesentlicher ist die Visualisierung der inneren Anatomie ohne Überlagerung der angrenzenden oder äußeren Strukturen (7). Die CT hat eine höhere Kontrastauflösung als die Röntgenaufnahme und kann zwischen verschiedenen Arten von Weichteilen und Flüssigkeiten unterscheiden. Darüber hinaus kann die hohe räumliche Auflösung der CT helfen, subtile Frakturen zu erkennen, die mit Röntgenuntersuchung möglicherweise nicht darstellbar sind. Multiplanare Rekonstruktionen (z. B. dorsal und sagittal) können nach der Aufnahme des transversalen Scans des Patienten neu formatiert werden. Manchmal können auch dreidimensionale (3D) Rekonstruktionen erstellt werden. Sie sind üblicherweise für die Operationsplanung sehr hilfreich, insbesondere bei komplizierten Frakturen. Ähnlich wie bei der US-Untersuchung können CT-gesteuerte FNAs und Biopsien durchgeführt werden. Zu den Nachteilen der CT gehören der Einsatz ionisierender Strahlung, die höheren Kosten und die geringere Verfügbarkeit (1). Die Mikro-Computertomografie (m-CT) wird zurzeit in der Exotenmedizin immer beliebter. Ursprünglich wurde diese Art der CT für Labortiere (z. B. kleine Nagetiere) entwickelt, aber aufgrund ihrer hohen Auflösung kann sie auch bei kleinen exotischen Tierarten eingesetzt werden. Die Scan- und Funktionsprinzipien der m- CT sind ähnlich wie die der Standard-CT. Einige Vorteile der m-CT gegenüber der Standard-CT sind die wesentlich geringere Größe und die fehlende Notwendigkeit einer Bleiabschirmung im CT-Raum (d. h., die m- CT-Geräte sind innerhalb einer bleihaltigen Abschirmstruktur konfiguriert). Der Hauptnachteil des m-CT ist die 292 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Heimtiere ___________________________________________________________________________________________________________ begrenzte Anzahl der Arten, die in das Gerät reinpassen. Je nach Hersteller kann ein solches m-CT-Gerät Patienten mit einem Gewicht von bis zu 15 kg aufnehmen (1). Die CT kann nützlich sein, wenn Röntgenbilder nicht ausreichen, um den betreffenden Bereich angemessen zu beurteilen. Die Hauptindikationen für eine CT sind Verletzungen im Bereich der Wirbelsäule, Neoplasien, pathologische Gewebeveränderungen, intraartikuläre Veränderungen und Traumata unklarer Lokalisation. Eine gute Darstellung des Gefäßsystems kann durch die Anwendung von jodhaltigen Kontrastmitteln erreicht werden. Die größten Einschränkungen dieser Methode sind die finanziellen Kosten, die geringe Verfügbarkeit für die meisten Patienten, die fehlende Zugänglichkeit für die Mehrheit der Praxen und die in vielen Fällen erforderliche Vollnarkose (1). Magnetresonanztomografie (MRT) Die MRT ist ein alternatives bildgebendes Verfahren zur Untersuchung des Bewegungsapparates und des zentralen Nervensystems. Dieses Verfahren gilt als nicht invasiv, da keine ionisierende Strahlung zur Bilderzeugung verwendet wird. Die MRT hat im Vergleich zur CT eine höhere Kontrastauflösung und ermöglicht eine bessere Darstellung von Weichteilstrukturen (1). Der Kontrast des MRT-Bildes gibt Auskunft über den Wasserstoffgehalt des Gewebes ("Protonenbildgebung"). Durch Änderung der Parameter des Scanners können verschiedene Gewichte im Gewebe erreicht werden (4). Wie die CT hat die MRT den Vorteil, dass sie die Überlagerung von Strukturen vermeidet. Im Gegensatz zur CT müssen die verschiedenen Untersuchungsebenen jedoch separat erfasst werden und können nicht rekonstruiert werden, was die Untersuchungszeit verlängert. Diese kann weiterhin durch die Art der verwendeten Sequenzen, die Sequenzebenen und die Gesamtzahl der Serien verlängert werden. Die wesentlichen Nachteile der MRT sind die geringere Verfügbarkeit, die höheren Kosten und die langen Untersuchungszeiten, die häufig eine Vollnarkose erfordern. Diese Allgemeinanästhesie ist der wichtigste limitierende Faktor. Bei sehr kleinen Patienten kann eine Inhalationsnarkose für MRT-Untersuchungen wegen weiterer begrenzender Faktoren nicht durchgeführt werden wie z. B. die Toträume im Narkosegerätkreislauf und die Tatsache, dass im MRT-Raum kein Beatmungsgerät verwendet werden kann (1). Ultraschallunteruchung Die US-Untersuchung ist ein nichtinvasives bildgebendes Verfahren, das eine gute Beurteilung von Weichteilen und flüssigkeitsgefüllten Strukturen ermöglicht und keine ionisierende Strahlung erzeugt. Bei exotischen Haustieren mit orthopädischen Erkrankungen ist die US-Untersuchung von Vorteil für die Beurteilung von Weichteilschwellungen, Muskeln, Sehnen und Gelenken (1). Die Ultraschalluntersuchung wird in der Säugetiermedizin heutzutage häufiger eingesetzt. Der Einsatz von Ultraschall zur Untersuchung von Gelenk- und Muskelstrukturen bei Hunden und Pferden sowie zur Überwachung während einer Nervenblockade bei Kühen und Hunden beschrieben (8–11). Die Anwendung von Color Doppler ermöglicht die Darstellung von peripheren Gefäßen sowie die Beurteilung des Blutflusses. Diese Technik wurde hauptsächlich bei Pferden beschrieben (12). Die Kenntnisse über die Anwendung dieser Methode in der Vogelorthopädie sind jedoch bis vor kurzem auf einige wenige Studien beschränkt gewesen. Eine Studie von Gonzalez et. al (2018) beschreibt den B-Mode Ultraschall für die Darstellung der Knochenkortikalis bei einigen Falken- und Eulenartigen Vögeln. Dabei wurde eine mögliche Ultraschallanwendung zwecks der Überwachung der postoperativen Knochenreparatur vorgestellt (13). Das Ziel unserer Studie war die Bewertung der Anwendbarkeit und Effektivität von Ultraschall bei der Diagnose in der Vogelorthopädie. Wir haben B-Mode Ultraschall bei verschiedenen Vogelarten sowohl mit intaktem als auch mit pathologisch auffälligem Bewegungsapparat angewendet. Alle Vögel wurden im Wachzustand ohne Narkose fixiert. Das Deckgefieder wurde mittels Hautdesinfektionsmittel gescheitelt, um den Interessenbereich freizulegen. Anhand der Ergebnisse dieser Studie konnte bestätigt werden, dass mittels Ultraschalles eine gute Visualisierung von Knochen (einschließlich einer detaillierten Beurteilung der Knochen Kortikalis), einigen Gelenken und Weichteilen (z. B. Muskeln, Bänder) erreicht werden kann. Sollte man über Grundkenntnisse der Ultraschallstruktur des Bewegungsapparats von Vögeln verfügen, sollte die Untersuchung nicht länger als 5 Minuten dauern. Daher in einer aufrechten Position 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 293

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Heimtiere ___________________________________________________________________________________________________________ stellt die Sonografie eine überwiegend wirksamen, bequemen und nicht invasiven Diagnosemethode für die Vogelorthopädie dar. Literatur 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. Vilaplana Grosso F. Orthopedic Diagnostic Imaging in Exotic Pets. Veterinary Clin North Am Exot Anim Pract. 2019 May;22(2):149–73. Krautwald-Junghanns ME, Moerke-Schindler T, Vorbrüggen S, Cramer K. Radiography and Ultrasonography in the Backyard Poultry and Waterfowl Patient. J Avian Med Surg. 2017 Sep;31(3):189–97. Williams J. Orthopedic radiography in exotic animal practice. Veterinary Clin North Am Exot Anim Pract. 2002 Jan;5(1):1–22. Krautwald-Junghanns ME, Pees M, Reese S. Diagnostic Imaging of Exotic Pets: Birds - Small Mammals - Reptiles. Schlütersche; 2010. 469 p. Sabater González M. Skeletal Bone Structure and Repair in Small Mammals, Birds, and Reptiles. Veterinary Clin North Am Exot Anim Pract. 2019 May 1;22(2):135–47. König HE, Korbel R, Liebich HG, Klupiec C. Avian Anatomy: Textbook and Colour Atlas. 2nd Edition. Sheffield (United Kingdom): 5M Publishing Ltd; 2016. 340 p. Gumpenberger M, Henninger W. The use of computed tomography in avian and reptile medicine. Semin Avian Exot Pet Med. 2001 Oct 1;10(4):174–80. Garbin M, Portela DA, Bertolizio G, Garcia-Pereira F, Gallastegui A, Otero PE. Description of ultrasound-guided quadratus lumborum block technique and evaluation of injectate spread in canine cadavers. Vet Anaesth Analg. 2020 Mar 1;47(2):249–58. Tabozzi SA, Stancari G, Zucca E, Tajoli M, Stucchi L, Lafortuna CL, et al. Variation of skeletal muscle ultrasound imaging intensity in horses after treadmill exercise: a proof of concept for glycogen content estimation. BMC Vet Res. 2021 Mar 16;17(1):121. Frank I, Duerr F, Zanghi B, Middleton R, Lang L. Diagnostic Ultrasound Detection of Changes in Femoral Muscle Mass Recovery after Tibial Plateau Levelling Osteotomy in Dogs. Vet Comp Orthop Traumatol VCOT. 2019 Sep;32(5):394–400. Schnappauf A. Die sonographische Untersuchung und Vermessung des Kniegelenkes bei Hunden mit Patellaluxation [Dissertation]. Gießen: Justus-Liebig-Universität; 2005. Raisis AL. Skeletal muscle blood flow in anaesthetized horses. Part I: measurement techniques. Vet Anaesth Analg. 2005 Nov;32(6):324–30. González CAG, Lopes CTA, Teixeira PPM, Santos RR, Domingues SFS. B-mode ultrasonographic evaluation of long bones in Falconiformes and Strigiformes birds. Avian Pathol J WVPA. 2018 Dec;47(6):625–9. Kontakt Anna Korshunova; Klinik für Vögel und Reptilien, Universität Leipzig anna.korshunova@vogelklinik.uni-leipzig.de 294 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Heimtiere ___________________________________________________________________________________________________________ Neues zum Bornavirus der Papageien Michael Lierz Klinik für Vögel, Reptilien, Amphibien und Fische, Justus-Liebig- Universität Giessen, Giessen Die Infektion mit aviären Bornaviren ist eine der bedeutsamsten Infektionskrankheiten bei Papageien. Eine Infektion mit aviären Bornaviren ist bei vielen Vogelarten bekannt, spielt aber klinisch vor allem bei Papageien eine Rolle (1,2). Klinisch apparent wird eine Infektion vor allem durch das Auftreten einer nervalen Entzündung (Ganglioneuritis). Dies führt z.B. zu einer Psittaziden Drüsenmagendilatation der Papageien, aber auch zu zentral-nervösen Symptomen. Zudem wird diskutiert ob auch in einigen Fällen Federrupfen durch eine Infektion mit aviären Bornaviren ausgelöst werden kann (3). Neben klinisch erkrankten Tieren kommen auch symptomlose Virusausscheider vor, die eine wichtige Rolle in der Epidemiologie dieser Viruserkrankung spielen (4). Faktoren, die den Infektionsverlauf beeinflussen und zur klinischen Ausprägung der Infektion führen, sind nur wenig bekannt. Eine immunvermittelte Genese und ein altersabhängiger Verlauf der Erkrankung ist wahrscheinlich (5). Es konnte experimentell gezeigt werden, dass Tiere die in einem sehr jungen Alter infiziert wurden, nicht klinisch erkranken, während Tiere die adult infiziert wurden klinisch deutlich häufiger erkrankten (6). Dies scheint für die Epidemiologie der Erkrankung sehr wichtig zu sein. Es konnte gezeigt werden, dass diese sehr jung infizierten Tiere später das Virus häufiger vertikal über das Ei übertragen als die Tiere die adult infiziert wurden (7). Es ist nachfolgend wahrscheinlich, dass diese vertikale Übertragung in der nächsten Generation auch wieder klinisch unauffällige Trägertiere entstehen lässt und somit die Infektion in den Beständen aufrechterhält. Es wurde lange vermutet, dass aviäre Bornaviren faeco-oral übertragen werden, welches aber nicht der primäre Übertragungsweg ist (8). Neben der oben erwähnten vertikalen Übertragung scheint die horizontale Übertragung vor allem über Wunden zu erfolgen von denen sich die aviären Bornaviren über das periphere Nervensystem Richtung Gehirn und von dort wieder in die Peripherie ausbreiten (9,10). Dieser Übertragungsweg kann dann vornehmlich ältere Tiere treffen, welches in klinisch apparenten Infektionen mündet. Dies erklärt die im Feld beobachtete hohe Prävalenz von infizierten Tieren (über 30 %) bei nur wenigen klinischen Erkrankungen in Zuchtbeständen (4,11). Es erscheint daher relevant vor allem die Trägertiere in den Beständen zu ermitteln um die Infektionskette über die vertikale Übertragung zu unterbrechen (12). Hierbei ist eine Kombination aus serologischem Nachweis von Antikörpern gegen aviäre Bornaviren und dem direkten Virusnachweis ratsam, da infizierte Tiere nicht immer sicher Antikörper bilden und Virus intermittierend ausgeschieden werden kann (11). Hierbei ist zu beachten, dass der direkte Virusnachweis, vornehmlich über eine PCR, auch alle vorkommenden Virusstämme erfassen sollte. Ebenso ist das verwendete serologische Verfahren relevant (13), da sich zwischen den Verfahren Sensitivitätsunterschiede zeigen können. Wiederholte Tests bei den einzelnen Vögeln eines Bestandes und eine strikte Trennung positiv- und negativ getesteter Tiere ist wichtig, um eine Bestandssanierung erfolgreich abzuschließen (12). Die klinische Diagnostik eines erkrankten Vogels in der tierärztlichen Praxis ist dagegen schwierig. Klinische Symptome die zur Verdachtsdiagnose einer aviären Bornavirusinfektion führen, treffen auch auf anderen Erkrankungen zu. Zudem gibt es eben eine Reihe von Bornavirus-positiven Trägertieren, die ggf. diese anderen Erkrankungen zeitgleich haben. Fokussiert nun die Diagnostik auf eine Bornavirusinfektion, können diese Tiere positiv getestet werden, die eigentliche Ursache der Symptome wird aber übersehen (12). Da die Höhe der Virusausscheidung und die Höhe des Anti-Bornavirusantikörper-Titers zusätzliche Informationen liefert, ist eine gezielte Bornavirusdiagnostik wichtig. Andere typische Ursachen für diese Symptome sollten bei dem Einzeltier aber immer zusätzlich ausgeschlossen werden. In jüngster Zeit werden auf dem Markt Tests angeboten, die unabhängig von einer Bornavirusdiagnostik klinische Fälle direkt erkennen sollen. Diese basieren auf dem Nachweis von Anti-Gangliosid Antikörpern. Hierbei wird davon ausgegangen, dass durch eine Infektion (nicht zwingend durch Bornaviren, sondern auch mutmaßlich andere Erreger), eine Autoimmunantwort gegen körpereigene Ganglioside getriggert werden und somit zu einer nervalen Entzündung führen. Eine Validierung des Tests und Überprüfung dieser Theorie steht wissenschaftlich bislang aber noch aus und nachvollziehbare Belege hierfür fehlen bislang (14). Auch eine De-Sensibilisierungstherapie, die auf dieser Theorie des 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 295

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Heimtiere ___________________________________________________________________________________________________________ Pathomechanismus beruht, erscheint wenig belastbar. Eine ursächliche Therapie klinisch kranker Vögel ist nicht möglich und daher sollte auf das Ausmerzen des Virus in Zuchtbeständen hingearbeitet werden. Eine Reduktion der Symptome beim Einzeltier kann über verschiedene Entzündungshemmer erreicht werden (15- 17). Der Einsatz von Immunsuppresiva wird diskutiert (18) und scheint Symptome zunächst zu reduzieren, erhöht aber das Risiko anderer Infektionen. Impfstoffe befinden sich zurzeit in der Entwicklungsphase und erreichen bislang keine sterile Immunität, sondern erlauben weiter die Infektion geimpfter Tiere, auch wenn es scheint, dass Symptome nach einer Infektion reduziert sind oder gar ausbleiben (19-21). In naher Zukunft ist somit eine Impfung keine Option in tierärztlichen Praxen. Literatur 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 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Heimtiere ___________________________________________________________________________________________________________ 19. 20. 21. Olbert, Marita, Angela Römer-Oberdörfer, Christiane Herden, Sara Malberg, Solveig Runge, Peter Staeheli, and Dennis Rubbenstroth. 2016. ‘Viral Vector Vaccines Expressing Nucleoprotein and Phosphoprotein Genes of Avian Bornaviruses Ameliorate Homologous Challenge Infections in Cockatiels and Common Canaries’. Scientific Reports 6 (August): 1–14.Runge et al, 2017 Runge S, Olbert M, Herden C et al. Viral vector vaccines protect cockatiels from inflammatory lesions after heterologous parrot bornavirus 2 challenge infection. Vaccine 2017 35(4): 557-563 Rall I, Amann R, Malberg S et al. Recombinant Modified Vaccinia Virus Ankara (MVA) Vaccines Efficiently Protect Cockatiels Against Parrot Bornavirus Infection and Proventricular Dilatation Disease. Viruses 2019 11(12):1130 Kontakt Prof. Dr. Michael Lierz; Klinik für Vögel, Reptilien, Amphibien und Fische, Justus-Liebig-Universität Giessen michael.lierz@vetmed.uni-giessen.de 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 297

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Heimtiere ___________________________________________________________________________________________________________ Psittacines Adenovirus 2 Volker Schmidt1, Kristin Heenemann2 1Klinik für Vögel und Reptilien, Universität Leipzig; 2Institut für Virologie, Universität Leipzig Das Psittacine adenovirus 2 [PsAdV-2; Synonym: Psittacine siadenovirus F (PsSiAdV-F)] gehört in die Familie der Adenoviren in den Genus Siadenovirus. Seit ca. 15 Jahren wird das PsAdV-2 überwiegend bei Australischen Papageienvögeln in den USA, Australien und Europa beschrieben (1-4). In Deutschland sind Infektionsfälle seit 2018 dokumentiert (5). Assoziierte klinische Befunde sind Dyspnoe, Konjunktivitis, Apathie. Intranukleäre basophile Einschlusskörper in den Sammelgangsepithelzellen der Niere stellen das (6). Das gehäufte Auftreten von disseminierten viszeralen pathomorphologische Korrelat dar Xanthogranulomen war in den eigenen Untersuchungen auffallend (5) und werden vorgestellt. Insgesamt wurden über 50 Papageienvögel mit und ohne PsAdV-2 spezifisches pathomorphologisches Korrelat molekularbiologisch auf das PsAdV-2 und vergleichend untersucht. Auswahlkriterien für die Untersuchung auf PsAdV-2 waren Papageienvögel mit Epiphora und verdickten Augenlidern, Zubildungen an den Knien oder in der Körperhöhle, Dyspnoe sowie zentralnervöse Störungen. Erstnachweise des viralen Erregers und assoziierten Befunden in der Klinik für Vögel und Reptilien gelangen bereits 2013. Neben diversen Australischen Sittichen, sind besonders häufig Ziegensittiche (Cyanoramphus novaezelandiae) positiv für das PsAdV-2. Die amplifizierten und sequenzierten Genomabschnitte des PsAdV- 2 sind variabel, was Unterschiede in der Virulenz wahrscheinlich erscheinen lassen. Die hohe Tenazität dieses unbehüllten DNA-Virus begünstigt eine rasche Durchseuchung eines Bestandes. Neben seltenen akuten virämischen Krankheitsausbrüchen in einem Bestand, stellt das PsAdV-2 insbesondere einen viralen Krankheitserreger dar, welcher protrahierte Krankheitsverläufe und Verluste in Beständen mit Sittichen der Australischen Fauna verursachen kann. Eine PsAdV-2 Infektion und die hiermit sehr wahrscheinlich assoziierte disseminierte viszerale Xanthogranulomatose stellt somit bei Ziegensittichen aktuell eine häufige Entität dar. Im Rahmen von Ankaufsuntersuchungen ist es daher sinnvoll insbesondere Australische Papageienvögel anhand einer Kotprobe auf Ausscheidung des PsAdV-2 zu untersuchen, um einen Eintrag des Virus in virusfreie Bestände zu vermeiden. Literatur 1. 2. 3. 4. 5. 6. Wellehan JF Jr, Greenacre CB, Fleming GJ, Stetter MD, Childress AL, Terrell SP. Siadenovirus infection in two psittacine bird species. Avian Pathol. 2009;38(5):413-7. Phalen DN, Agius J, Vaz FF, Eden JS, Setyo LC, Donahoe S. A survey of a mixed species aviary provides new insights into the pathogenicity, diversity, evolution, host range, and distribution of psittacine and passerine adenoviruses. Avian Pathol. 2019;48(5):437-443. Zadravec M, Račnik J, Slavec B, Ballmann MZ, Kaján GL, Doszpoly A, Zorman-Rojs O, Marhold C, Harrach B. Novel adenoviruses from captive psittacine birds in Slovenia. Comp Immunol Microbiol Infect Dis. 2022;90- 91:101902. Surphlis AC, Dill-Okubo JA, Harrach B, Waltzek T, Subramaniam K. Genomic characterization of psittacine adenovirus 2, a siadenovirus identified in a moribund African grey parrot (Psittacus erithacus). Arch Virol. 2022;167(3):911-916. Konicek C, Heenemann K, Cramer K, Vahlenkamp TW, Schmidt V. Case series of disseminated xanthogranulomatosis in red-crowned parakeets (Cyanoramphus novaezelandiae) with detection of Psittacine adenovirus 2 (PsAdV-2). Animals (Basel). 2022;12(18):2316. Yang N, McLelland J, McLelland DJ, Clarke J, Woolford L, Eden P, Phalen DN. Psittacid adenovirus-2 infection in the critically endangered orange-bellied parrot (Neophema chrysogastor): A key threatening process or an example of a host-adapted virus?. PLoS ONE. 2019;14(2):e0208674. Kontakt PD Dr. Volker Schmidt; Klinik für Vögel und Reptilien, Veterinärmedizinische Fakultät, Universität Leipzig E-Mail: vschmidt@vogelklinik.uni-leipzig.de 298 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Heimtiere ___________________________________________________________________________________________________________ Diagnostik und Therapie von aviären Schilddrüsenerkrankungen Cornelia Konicek1, Michaela Gumpenberger2 1Interne Medizin Kleintiere, Service für Vögel und Reptilien, Veterinärmedizinische Universität Wien, Österreich; 2Klinische Abteilung für Bildgebende Diagnostik, Veterinärmedizinische Universität Wien, Österreich Die aviäre Schilddrüse ist ein paariges, ovales, meist rötlich-braunes Organ, das beim Vogel rechts und links im Thoraxeingang, an der Aufzweigung der A. carotis und A. subclavia und medial der V. jugularis liegt. Sie ist ähnlich wie die Schilddrüse der Säuger aufgebaut, bestehend aus Follikeln, deren Epithelzellen Thyroglobulin produzieren, welches im Lumen gespeichert wird. Nur C- Zellen befinden sich beim Vogel in den Ultimobranchialen Körpern und nicht in der Schilddrüse. Die Schilddrüsenhormone, Thyroxin (T4) und Triiodthyronin (T3), sind neben Metabolismus, Wachstum und Körpertemperatur auch für die Induktion der Mauser verantwortlich. (Melopsittacus undulatus) und beim Gelbrustara Schilddrüsenerkrankungen werden durch nicht funktionelle Vergrößerungen, den sogenannten Kropf/ das Struma, sowie durch Unterfunktion (Hypothyreose) oder Überfunktion (Hyperthyreose) charakterisiert. Der Kropf/ das Struma sind dabei die am häufigsten beschriebene Pathologie beim Vogel. Sie wird in der Regel durch fetthaltige, jodarme Ernährung und goitrogene Lebensmittel hervorgerufen und ist besonders häufig beim (Ara ararauna) beschrieben. Wellensittich Differentialdiagnostisch muss bei (vor allem einseitigen) Schilddrüsenvergrößerungen auch an Adenokarzinome gedacht werden. Auch diese gelten in der Regel als nicht funktionell. Die klinischen Symptome ergeben sich daher aufgrund der Massenzunahme und die daraus resultierende Verlagerung und Kompression der umliegenden Organe (va der Trachea). Zur Diagnosestellung ist hier die bildgebende Diagnostik, im Besonderen die Computertomographie, das Mittel der Wahl. Hypothyreosen und Hyperthyreosen werden in einzelnen Fallberichten beschrieben und immer wieder in Zusammenhang mit einer entsprechenden klinischen Symptomatik vermutet, die Diagnostik ist hier aber eine größere Herausforderung. Kontakt Dr. Cornelia Konicek; Interne Medizin Kleintiere, Service für Vögel und Reptilien, Veterinärmedizinische Universität Wien, Österreich cornelia.konicek@vetmeduni.ac.at 300 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Heimtiere ___________________________________________________________________________________________________________ Ophidiomyces ophidiicola bei Schlangen in Deutschland und Stand der Forschung in Europa Rachel E. Marschang, Lisa Schüler Laboklin GmbH & Co. KG, Bad Kissingen Einleitung Der Pilz Ophidiomyces ophidiicola (Oo) ist ein keratinophiler Pilz der Ordnung Onygenales. Mehre Pilze dieser Ordnung verursachen Hautinfektionen bei Reptilien. Andere bedeutende Genera in dieser Gruppe sind Nannizziopsis, Paranannizziopsis und Emydomyces. Oo infiziert primär Schlangen. Er ist bei sehr vielen verschiedene Spezies beschrieben worden, am häufigsten bei Vipern und Nattern. Natürliche Infektionen sind bisher bei Echsen nicht gefunden worden, allerdings zeigten Infektionsversuche, dass auch Echsen (Bartagamen, Pogona vitticeps) infiziert werden können (1). Umweltbedingungen und Lebensräume von Schlangen scheinen die Epidemiologie und den Verlauf von Infektionen zu beeinflussen. Suboptimale Temperaturen und Saison scheinen dabei eine Rolle zu spielen, und Tiere aus gemäßigten Klimazonen scheinen nach dem Winterschlaf besonders stark betroffen zu sein. Auch die Jahreszeit soll den klinischen Verlauf der Erkrankung beeinflussen (2-5). Verbreitung Bei in Gefangenschaft gehaltenen Schlangen wurde Oo bisher in Nordamerika, Australien, Asien, und in verschiedenen europäischen Ländern nachgewiesen (3, 6-9). Aus Deutschland gibt es bisher nur wenige Berichte über Oo. Bei in Gefangenschaft gehaltenen Tiere gibt es einen Bericht über Infektion bei einer Strumpfbandnatter (Thamnophis spp.) mit Hautläsionen (10). Bei wildlebenden Schlangen stammen die meisten Beschreibungen aus Nordamerika, wo Oo bei einigen Arten auch zu Populationsrückgängen beigetragen hat (3). Einzelne Nachweise gibt es auch aus Asien (9, 11, 12). Nachweise von Oo in wildlebenden Schlangen in Europa gibt es erst seit weniger als 10 Jahren. Inzwischen sind Infektionen bei Schlangen aus Großbritannien, der Tschechischen Republik, der Schweiz, Italien, Frankreich, Österreich, Ungarn, Polen, der Ukraine, die Slowakische Republik und Deutschland dokumentiert worden (6, 13-17). In Europa stammt ein Großteil der Nachweise bei wildlebenden Schlangen aus Nattern (6, 13). Obwohl Untersuchungen und Nachweise von Oo in wildlebenden Schlangen in Europa erst in den letzten Jahren durchgeführt wurden, wurde in einer Untersuchung von Schlangenproben aus Museumsproben nachgewiesen, dass Oo bei Schlangen in Europa seit mindestens Ende der 1950-er Jahre vorkommt (18). Untersuchungen zur Charakterisierung von Oo-Isolaten verschiedener Herkünfte haben gezeigt, dass diese Pilze genetisch variabel sind (19). Die bisher bei wildlebenden Schlangen in Europa nachgewiesene Stämme (Clade I) unterscheiden sich von den in den USA vorkommenden Stämmen (Clade II) (13). Zusätzlich werden Clade II und ein weiterer Clade (Clade III) bei in Gefangenschaft gehaltene Schlangen in verschiedene Teile der Welt gefunden. Über einen Einfluss des Stammes auf die Pathogenität wird noch diskutiert. Eine Übertragung von Oo erfolgt wahrscheinlich durch direkten Kontakt zu symptomatischen oder asymptomatischen Tieren. Eine Übertragung über die Umwelt ist nicht auszuschließen. Nachweise bei Nachkommen von Oo-positiven Muttertieren haben auch zu Diskussionen über eine mögliche horizontale Übertragung geführt. Erkrankung Bei Schlangen können die mit Oo-Infektionen assoziierten Symptome von asymptomatischen Fällen bis hin zu schweren Infektionen und Todesfällen reichen (20-22). Schlangen mit schwachen klinischen Symptomen können Hautverfärbungen, -verdickungen oder den Verlust einzelner Schuppen zeigen. Mit Exsudat gefüllte Blasen sind ebenfalls beschrieben. In manchen Fällen kann sich eine nekrotische und ulzerative Dermatitis mit Krustenbildung entwickeln. Eine erhöhte Häutungsfrequenz ist in einigen Fällen beschrieben worden (4, 5, 8, 16, 23) und diese Häutungen können zu einer klinischen Besserung oder scheinbare Abheilung führen (21). 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 301

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Heimtiere ___________________________________________________________________________________________________________ Schwerwiegendere Verläufe können auch mit Gesichtsschwellungen, Schädelverformungen und Läsionen in der Maulhöhle und um die Kloake einhergehen. Eine Beteiligung des Kopfes ist v.a. bei betroffenen Vipern in den USA beschrieben (20). Aspiration von infiziertem Material kann auch zu Pneumonien führen (20). Systemische Ophidiomykose ist beschrieben worden und betroffene Tiere können granulomatöse Läsionen in der Lunge, der Leber, der Niere oder der Milz zeigen (22, 24). Mit Oo infizierte Tiere haben ein erhöhtes Risiko, Sekundärinfektionen zu entwickeln (20) und reduzierte Aufnahme von Nahrung kann zu Schwäche und einer Verschlechterung des Allgemeinzustandes beitragen. Schwere Infektionen können mit einer hohen Morbidität und Mortalität einhergehen. Populationsrückgänge bei wildlebenden Schlangenpopulationen sind beschrieben, v.a. in Nordamerika (3). Diagnose Am häufigsten wird Oo via PCR von Haut oder Hauttupfer nachgewiesen (24, 25). Vergleichsstudien haben gezeigt, dass es zwischen Hauttupfer und Schuppenproben keinen Unterschied in der Sensitivität des Nachweises gibt (27). Allerdings kann der Bereich des Körpers, der beprobt wird, beim Nachweis eine Rolle spielen und es wird daher empfohlen, den gesamten Körper, von vorne bis hinten und oben, seitlich und unten zu beproben, wenn es sich um klinisch unauffällige Tiere handelt (28). Bei Tieren mit Hautläsionen wird empfohlen, die Läsionen zu beproben. Wiederholte Untersuchungen können die Sensitivität des Nachweises weiter steigern (28). Pilzkulturen sind evtl. weniger sensitiv und dauern länger als eine PCR, allerdings bieten sie die Möglichkeit einer weiteren Untersuchung der isolierten Pilze. Um einen Zusammenhang zwischen nachgewiesenem Erreger und klinischer Läsionen zu beweisen, ist die Kombination von einer histologischen Untersuchung der Haut und die Durchführung einer Oo- spezifischen PCR die Methode der Wahl. Behandlung und Desinfektion Sowohl die direkte Behandlung also auch die Hygiene und Desinfektion sollten bei einem Behandlungsplan berücksichtigt werden. Bei Tieren mit Hautläsionen kann es notwendig sein, die betroffenen Stellen chirurgisch zu behandeln (29). Flüssigkeitszufuhr, Erhöhung der Umgebungstemperatur und die Gabe von Antibiotika gegen sekundäre bakterielle Infektionen können unterstützend eingesetzt werden. Gegen die Pilzinfektion wird am häufigsten eine Behandlung mit Terbinafin empfohlen (30). Diese kann u.a. durch Vernebelung gegeben werden. Vorikonazol und Itrakonazol werden auch eingesetzt, können aber starke Nebenwirkungen bis hin zum Tod der Tiere haben (31). Ein regelmäßiger Wechsel des Substrats und Desinfektion des Terrariums und der Einrichtungsgegenstände mit fungizidem Desinfektionsmittel werden ebenfalls empfohlen. Literatur 1. Gentry S, Lorch JM, Lankton JS, Pringle A. A cross-inoculation experiment reveals that Ophidiomyces ophiodiicola and 2. 3. Nannizziopsis guarroi can each infect both snakes and lizards. Appl Environ Microbiol. 2023;89(5):e0216822. Lind C, Moore IT, Akçay Ç, Vernasco BJ, Lorch JM, Farrell TM. Patterns of Circulating Corticosterone in a Population of Rattlesnakes Afflicted with Snake Fungal Disease: Stress Hormones as a Potential Mediator of Seasonal Cycles in Disease Severity and Outcomes. Physiol Biochem Zool. 2018;91(2):765-775. Lorch JM, Knowles S, Lankton JS, Michell K, Edwards JL, Kapfer JM, Staffen RA, Wild ER, Schmidt KZ, Ballmann AE, Blodgett D, Farrell TM, Glorioso BM, Last LA, Price SJ, Schuler KL, Smith CE, Wellehan JF Jr, Blehert DS. Snake fungal disease: an emerging threat to wild snakes. Philos Trans R Soc Lond B Biol Sci. 2016;371(1709):20150457. 4. McCoy CM, Lind CM, Farrell TM. Environmental and physiological correlates of the severity of clinical signs of snake fungal disease in a population of pigmy rattlesnakes, Sistrurus miliarius. Conserv Physiol. 2017;5(1):cow077. 5. McKenzie CM, Oesterle PT, Stevens B, Shirose L, Mastromonaco GF, Lillie BN, Davy CM, Jardine CM, Nemeth NM. Ophidiomycosis in red cornsnakes (Pantherophis guttatus): potential roles of brumation and temperature on pathogenesis and transmission. Vet Pathol. 2020;57(6):825-837. 6. Blanvillain G, Lorch JM, Joudrier N, Bury S, Cuenot T, Franzen M, Freiría FM, Guiller G, Halpern B, Kolanek A, Kurek K, Lourdais O, Michon A, Musilová R, Schweiger S, Szulc B, Ursenbacher S, Zinenko O. Hotspots for snake fungal disease across Europe are maintained by host and pathogen identity. bioRxiv. 2022;11.10.515990. 7. Ovchinnikov RS, Vasilyev DB, Gaynullina AG, Yuzhakov AG, Kapustin AV, Savinov VA, Gulyukin AM. Detection of Ophidiomyces ophidiicola in three file snakes (Acrochordus granulatus) imported from Indonesia to the Moscow Zoo (Russia). J Zoo Wildl Med. 2021;52(3):1074-1078. 8. Picquet P, Heckers KO, Kolesnik E, Heusinger A, Marschang RE. Detection of Ophidiomyces ophidiicola in two captive Bocourt water snakes (Subsessor bocourti) and one captive pueblan milk snake (Lampropeltis triangulum campbelli). J Zoo Wildl Med. 2018;49(1):219-222. 302 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Heimtiere ___________________________________________________________________________________________________________ 9. Takami Y, Nam KO, Takaki Y, Kadekaru S, Hemmi C, Hosoya T, Une Y. First report of ophidiomycosis in Asia caused by Ophidiomyces ophiodiicola in captive snakes in Japan. J Vet Med Sci. 2021;83(8):1234-1239. 10. Vissiennon T, Schüppel KF, Ullrich E, Kuijpers AF. Case report. A disseminated infection due to Chrysosporium queenslandicum in a garter snake (Thamnophis). Mycoses. 1999;42:107–110. 11. Grioni A, To KW, Crow P, Rose-Jeffreys L, Ching KK, Chu LO, Hill FI, Chan HK, Cheung KS. Detection of Ophidiomyces ophidiicola in a wild Burmese pythons (Python bivittatus) in Hong Kong SAR, China. J Herpetol Med Surg. 2021;31(4):283- 291. 12. Sun PL, Yang CK, Li WT, Lai WY, Fan YC, Huang HC, Yu PH. Infection with Nannizziopsis guarroi and Ophidiomyces ophiodiicola in reptiles in Taiwan. Transbound Emerg Dis. 2022;69(2):764-775. 13. Franklinos LHV, Lorch JM, Bohuski E, Rodriguez-Ramos Fernandez J, Wright ON, Fitzpatrick L, Petrovan S, Durrant C, Linton C, Baláž V, Cunningham AA, Lawson B. Emerging fungal pathogen Ophidiomyces ophiodiicola in wild European snakes. Sci Rep. 2017;7(1):3844. 14. Marini D, Di Nicola MR, Crocchianti V, Notomista T, Iversen D, Coppari L, Di Criscio M, Brouard V, Dorne JCM, Rüegg J, Marenzoni ML. Pilot survey reveals ophidiomycosis in dice snakes Natrix tessellata from Lake Garda, Italy. Vet Res Commun. 2023;47(3):1707-1719. 15. Marschang RE, Schüler L, Laufer H, Renner D, Lindner T, Pees M, Lenz S. 2022. Ophidiomyces ophidiicola in wild snakes in Germany. Proceedings der First Global Amphibian and Reptile Disease Conference; 04.-10.08.2022; Knoxville, TN, USA. S. 32. 16. Meier G, Notomista T, Marini D, Ferri V. First case of snake fungal disease affecting a free-ranging Natrix natrix (Linnaeus, 1758) in Ticino Canton, Switzerland. Herpetol Notes. 2018;11:885-891. 17. Přibyl M, Kabelka R, Hanzlík PM, Mikulíček P, Folk N, Piaček V, Pikula J, Balážl V. Ophidiomyces ophidiicola in free- ranging and captive snakes in the Czech and Slovak Republics. J Vert Biol. 2023;72(23050):23050.1. 18. Origgi FC, Pisano SRR, Glaizot O, Hertwig ST, Schmitz A, Ursenbacher S. Ophiodimyces ophiodiicola, etiologic agent of snake fungal disease, in Europe since late 1950s. Emerg Infect Dis. 2022;28(10):2064-2068. 19. Ladner JT, Palmer JM, Ettinger CL, Stajich JE, Farrell TM, Glorioso BM, Lawson B, Price SJ, Stengle AG, Grear DA, Lorch JM. The population genetics of the causative agent of snake fungal disease indicate recent introductions to the USA. PLoS Biol. 2022;20(6):e3001676. 20. Baker S, Haynes E, Gramhofer M, Stanford K, Bailey S, Christman M, Conley K, Frasca Jr S, Ossiboff RJ, Lobato D, Allender MC. Case definition and diagnostic testing for snake fungal disease. Herpetol Rev. 2019;50(2):279-285. 21. Di Nicola M, Coppari L, Notomista T, Marini D. Ophidiomyces ophidiicola detection and infection: a global review on a potential threat to the world’s snake populations. Europ J Wildl Res. 2022;68:64. 22. Steeil JC, Hope KL, Evans M, Peters A, Cartoceti A. Multifocal Ophidiomyces ophiodiicola infection in an eastern diamondback rattlesnake (Crotalus adamanteus) without the presence of skin lesions. J Herpetol Med Surg. 2018;28(3- 4):76–80. 23. Lorch JM, Lankton J, Werner K, Falendysz EA, McCurley K, Blehert DS. Experimental infection of snakes with Ophidiomyces ophiodiicola causes pathological changes that typify snake fungal disease. mBio. 2015;6(6):e01534-15. 24. Robertson J, Chinnadurai SK, Woodburn DB, Adkesson MJ, Landolfi JA. Disseminated Ophidiomyces ophiodiicola infection in a captive eastern massasauga (Sistrurus catenatus catenatus). J Zoo Wildl Med. 2016;47(1):337-340. 25. Allender MC, Bunick D, Dzhaman E, Burrus L, Maddox C. Development and use of a real-time polymerase chain reaction assay for the detection of Ophidiomyces ophiodiicola in snakes. J Vet Diagn Invest. 2015;27(2):217-20. 26. Bohuski E, Lorch JM, Griffin KM, Blehert DS. TaqMan real-time polymerase chain reaction for detection of Ophidiomyces ophiodiicola, the fungus associated with snake fungal disease. BMC Vet Res. 2015;11:95. 27. McKenzie JM, Price SJ, Fleckenstein JL, Drayer AN, Connette GM, Bohuski E, Lorch JM. Field diagnostics and seasonality of Ophidiomyces ophiodiicola in wild snake populations. Ecohealth. 2019;16(1):141-150. 28. Hileman ET, Allender MC, Bradke DR, Faust LJ, Moore JA, Ravesi MJ, Tetzlaff SJ. Estimation of Ophidiomyces prevalence to evaluate snake fungal disease risk. J Wildl Managem. 2018;82(1):173-181. 29. Paré JA, Sigler L. An overview of reptile fungal pathogens in the genera Nannizziopsis, Paranannizziopsis, and Ophidiomyces. J Herpetol Med Surg. 2016;26(1-2):46-53. 30. Latney LV, Wellehan JFX. Selected emerging infectious diseases of Squamata: an update. Vet Clin North Am Exot Anim Pract. 2020;23(2):353-371. 31. Lindemann DM, Allender MC, Rzadkowska M, Archer G, Kane L, Baitchman E, Driskell EA, Chu CT, Singh K, Hsiao SH, Sykes JM 4th, Cox S. Pharmacokinetics, efficacy, and safety of voriconazole and itraconazole in healthy cottonmouths (Agkistrodon piscivorus) and massasauga rattlesnakes (Sistrurus catenatus) with snake fungal disease. J Zoo Wildl Med. 2017;48(3):757-766. Kontakt PD Dr. Rachel E. Marschang; Laboklin GmbH & Co. KG, Bad Kissingen marschang@laboklin.com 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 303

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Heimtiere ___________________________________________________________________________________________________________ Exotenhaltung in der Dauerkrise? Markus Baur & Sabine Öfner Auffangstation für Reptilien, München e.V. Die Haltung exotischer Tiere erfreute sich bin in die 1990er bis 2000-er Jahre wachsender Beliebtheit, Interesse, nicht zuletzt gefördert durch reißerische erregte aber zeitglich zunehmend öffentliches Presseberichterstattung und einen Wandel in der öffentlichen Wahrnehmung und Grundhaltung. Es wurde viel Kritik am „Einsperren“ wild lebender Tiere geäußert und nicht selten wurde und wird ein Verbot gefordert. Es stellt sich also die Frage, ob wir ein reales Problem mit der Exoten- oder Wildtierhaltung haben und ob es im Wildtier- und Exotenbereich realen Handlungsbedarf gibt. Die Antwort ist, auch Sicht des Tierschutzes ein klares JA, aber! Jedoch gestaltet es sich aus Sicht der Auffangstation für Reptilien etwas anders als landläufig gedacht. Der Begriff des „Exotischen“ ist in Bezug auf Heimtiere sehr weit gefasst und muss teilweise noch weiter gefasst werden. In der Regel bedeutet er hier nicht primär aus fernen Ländern stammend, sondern wird auf Tiere wild lebender Arten angewandt. Somit ist die Herkunft der Tiere nicht zwingend von größter Relevanz, auch nicht, ob es sich bei den gehaltenen Wildtieren um heimische, heimisch gewordene, invasive oder fremdländische Tiere handelt. Zudem wird oft vergessen, dass einige gehaltene Arten, wie Alpakas, Lamas, Wasserbüffel etc. keine Wildtiere, sondern domestizierte Formen sind. Andere, ebenfalls exotische Tiere, die häufig gehalten werden, werden nicht berücksichtigt, wie z. B. Kanarienvögel, Wellensittiche, Meerschweinchen, Hamster, Kaninchen, ja selbst die Hauskatze. Bei diesen Arten wird generell vorausgesetzt, dass sie zur Gänze domestiziert seien, was u. E. falsch ist. Stammen gehaltene Tiere aus tropischen oder neotropischen Gebieten, so wird primär die Frage gestellt, ob Lebensbedingungen vollumfänglich oder mindestens ausreichend erfüllt werden können. Als „klassisch“ betrachtete Heimtiere, wie z. B. der syrische Goldhamster oder das Zwergkaninchen sind Arten, die ebenfalls aus klimatisch begünstigten Gebieten stammen und deren Haltung nicht selten – soll sie der Art und dem Verhalten der Tiere angemessen sein – als schwierig anzusprechen ist. Ferner muss die Frage gestattet sein, ob die Domestikation bei einigen etablierten Arten, seien es Schauwellensittiche, Stieglitz-major-Züchtungen, Kaninchen oder Rosettenmeerschweinchen vollständig abgeschlossen ist oder ob hier lediglich Morphen gepflegt werden. Ferner stellt sich die immanent wichtige Grundfrage, ob Domestikation eine zwingende Voraussetzung zur tiergerechten Haltung darstellt, oder ob die etablierte Haltung bei domestizierten Gruppen vergleichbare Leiden bedingt bzw. ob sich Leiden, Leidensfähigkeit und Bedürfnisse bei domestizierten Arten und Wildtieren grundlegend unterscheiden. Die TVT hat sich hierzu – nachvollziehbar und begründet – eindeutig geäußert und dies verneint (1). Darüber hinaus muss die Frage gestellt werden, ob sich die Pflege heimischer oder zumindest europäischer Arten, also von nicht exotischen Tieren, besser eignet als jene tropischer oder neotropischer, ggf. ebenfalls aus fernen gemäßigten Zonen stammender Tiere und ob sie „besser“ sei als diejenige exotischer Arten. Hier zeigt sich, dass die Herstellung passender klimatischer Bedingungen oft weit schwieriger zu erreichen ist als bei Tieren aus den Tropen. Dennoch gab es und gibt es weiterhin relevante Probleme bei vielen Tierhaltungen in Bezug auf den Tierschutz. Jedoch kann verneint werden, dass dieser in nicht verfügbarem Wissen oder in der schwierigen technischen Umsetzung begründet läge, wie dies sicherlich bis in die 1980-er und 1990-er Jahre der Fall gewesen ist. Vielmehr fehlt vielen Tierhalter:innen das persönliche Fachwissen oder die Tierhalterfachkunde, viele sind nicht bereit, sich über zu pflegende Tierarten genauestens zu informieren, oder aber, ggf. sehr kostspielige Notwendigkeiten umzusetzen und zu realisieren. Modetrends spielen nach wie vor eine gewichtige Rolle, wie am Beispiel der aus Russland stammenden und als Hundeersatz geltenden Füchse aus sibirischen Farmen, die über den illegalen Tierhandel verfügbar gemacht wurden oder „neuer Katzenrassen“, die aus Hybridisierung mit Wildkatzen hervorgingen und in der überwiegenden Zahl scheiterten. Nicht selten ist die 304 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Heimtiere ___________________________________________________________________________________________________________ Kombination aus Unwissen, dem fehlenden Willen zum Erwerb der notwendigen Fachkunde und die „Sparsamkeit“ einiger Halter:innen eine enorme Rolle. Hinzu kommt das nicht seltene „das haben wir schon immer so gemacht“, das auch in Tierschutzkreisen noch immer weit verbreitet ist. So liegt die Unhaltbarkeit und das darin begründete, nicht von der Hand zu weisende Tierleid nicht an den Tierarten oder ihrer Provenienz, sondern am Unvermögen Einzelner. Eine Frage der Moral? Der Gedanke des Tierschutzes, ebenso wie die Toleranz oder gar Bewunderung der Bevölkerung gegenüber Tierhaltungen und Tierhalter:innen ist ein, dem Zeitgeist und der Ideologie unterliegendes Phänomen. Hier sollen keinesfalls die Wichtigkeit und Notwendigkeit des Tierschutzes infrage gestellt oder in Abrede gestellt werden. Dennoch zeigt sich in den Jahrzehnten der Tierschutzarbeit der Verfasser eine immense Wandlung hierbei, die „spannend“ ist. In den 1980-er Jahren galten Primaten als Staffage oder Handelsgut in Zoofachgeschäften als „normal“. Prominente, wie S. Mooshammer (Gepard) oder Siegfried und Roy erfreuten sich hoher Beliebtheit und Wertschätzung. Dies hat sich gottlob gewandelt. Dennoch galten Tierhalter:innen als „normale“ Mitglieder der Gesellschaft (obwohl es damals noch weit größere Defizite, auch im Wissensschatz und dessen allgemeiner Verfügbarkeit gab). In den vergangenen gut zwanzig Jahren hat sich dies drastisch gewandelt. Die Toleranz in der Gesellschaft hat sich verändert und heute stehen viele der Exotenhaltung skeptisch oder ablehnend gegenüber. Dies ist sicherlich einer Veränderung des Gedankengutes in der Bevölkerung geschuldet und keinesfalls schlecht. Dennoch haben Medien und nicht zuletzt „Tierhalter“, wie der Tiger King, Tierschutzskandale, die jedoch immer Einzelfälle gewesen sind, dazu beigetragen. Im aktiven Tierschutz und noch weit mehr im Bereich der Tierrechtsorganisationen herrscht eine regelrechte Ablehnung in Bezug auf die Wildtierhaltung – nicht nur in privater Hand. und „die Politik“ folgt dieser Strömung leider oft genug blindlings und unreflektiert, bzw. nur geringfügig faktenbasiert. So wird die – auch die gut gemachte und tiergerechte – Wildtier- und Exotenhaltung nicht nur auf den notwendigen Prüfstand gestellt, sondern nicht selten abgelehnt. „Lieber in Würde ausgestorben“, als in Zoos gezüchtet scheint die landläufige Devise zu sein… So werden Zoologische Gärten insgesamt als nicht zeitgemäße, abzulehnende Einrichtungen ohne Sinn in weiten Kreisen der Bevölkerung betrachtet, private Tierhalter:innen als neurotisch, profilierungssüchtig und fehlgeleitete Spinner abgetan. Hieraus entstand ein Zustand des Misstrauens, der Ablehnung und der fehlenden Kommunikation. Selbst sehr gute, notwendige Projekte wie Citizen Conservation, Erhaltungszuchtprojekte (ohne Rücksicht auf deren massive Erfolge) von Zoos, Urban Science-Projekte und viele mehr geraten in Verruf und erhalten viel zu wenig Unterstützung… Landläufiges und uraltes Argument humanistischer und ethisch hinterlegter Betrachtungsweisen ist die Frage, ob „wir“ das „Recht“ hätten, Tiere zu halten, in Besitz zu nehmen und sie „einzusperren“. Die „Gefangenschaft“ wird als „würdelos und entwürdigend“ der „Freiheit“ gegenübergestellt und glorifiziert. Leiden wird – leider teils unreflektiert – vorausgesetzt und die „Lust“ an der Freiheit, alles tun und lassen zu können, die wir den wild lebenden Tieren unterstellen, angenommen. Sie sehen an den vielen Anführungszeichen, dass wir hieran Zweifel hegen. Bereits H. Hediger (2) verneinte die Frage biologisch begründet, ob ein Tier in der Wildnis in Bezug auf sein räumliches und zeitliches Leben frei sei und der Wissensstand der Biologie und der Ökologie bestätigt dies. Wir Menschen sehen aus menschlichen, anthropozentrischen Augen auf die Natur und die Tiere und vermenschlichen häufig Fragen und Antworten, die sich hierauf beziehen. Ja, Tiere sind zu weit höherer Wahrnehmung und Kognition imstande, als wir noch vor wenigen Jahren dachten. Ja, Tiere können leiden und sie tun es leider, in der Freiheit ebenso, wie in Gefangenschaft (die ich nicht mit menschlicher Obhut gleichgestellt sehen möchte!). Ja, zweifelsohne haben Tiere Bedürfnisse, die weit über die Deckung ihrer Bedarfe hinausgehen und spätestens seit der Postulierung des Analogieschlusses (3) sollten wir endgültig akzeptieren, dass sie keine Maschinen im Sinne des Behaviorismus oder reine Fleischklopse sind, sondern empfindsame, fühlende Wesen – wie wir. Dennoch stelle ich in Abrede, dass menschliche Gedanken und Emotionen, menschliche hehre moralische Ziele und Idole für Tiere auch nur die allergeringste Bedeutung haben. Sie sind den Menschen vorbehalten, entstammen seinem genialen Geist und seiner Vorstellung und seinen idealisierten (Wunsch-)Träumen und differierenden Ideologien! „Freiheit“, „Würde“, „Gefangenschaft“, „Glück“ im menschlichen Sinn sollten wir in 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 305

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Heimtiere ___________________________________________________________________________________________________________ unserer Betrachtung den Menschen vorbehalten sein lassen und sie nicht vermenschlichend auf Tiere anwenden und sie ihnen aufzwängen. Das bedeutet keinesfalls, dass wir ihre Bedürfnisse, Bedarfe, Verhaltensweisen, Empfindungen und Empfindungsfähigkeit(en) ignorieren dürften. Keineswegs. Nur sollten wir die vermenschlichende Brille gegen jene der Biologie austauschen und Verantwortung erkennen und zur Anwendung bringen. Nur so, davon sind wir überzeugt, kann Tierschutz, der von allergrößter Wichtigkeit ist, Sinn machen und seine Wirkung entfalten: Wissen schützt Tiere! Es sei noch eine Randbemerkung erlaubt, die uns wichtig erscheint: Die meist reglementierten, mit Verboten belegten Tiergruppen sind jene, von denen wir nicht – und sei es als Futterquelle für unsere Tierheimtiere – profitieren und sie werden von Menschen gehalten, die politisch wie verbandspolitisch irrelevant scheinen, denn ansonsten gäbe es weder Bulldogge, Nacktkatze, Blue d‘ Aquitaine oder Holstein-Friesian. Trotzdem haben Tiere, egal ob als Hochleitungs-Milchkuh, Batteriehuhn oder Königskobra das Anrecht auf die Erfüllung ihrer Bedarfe und die Befriedigung ihrer Bedürfnisse, darauf, dass die „Fünf Freiheiten“ vollumfänglich erfüllt sind und dass Leiden von ihnen ferngehalten wird. Das garantiert weitestgehend das Tierschutzgesetz. Verlassen wir jedoch wieder die Tiermediziner-Philosophie und kehren wir zum Status praesens zurück: Wo steht Wildtier- und Exotenhaltung heute, Ende 2023? - Der Tierverbrauch der 1980-er bis 2000-er Jahre gehört der Vergangenheit an (Und das ist gut so). Zoofachhandel, Ketten mit Tierhandel, Großimporteure gehen statistisch gesehen drastisch zurück. - Tierschutzwidriges Zubehör ist auf dem Index. - - Die Gutachten des BMEL sind und werden zukünftig gute Leitlinien zur Beurteilung guter und schlechter Tierhaltung sein können. - Die Zahlen nachgezüchteter Tiere überwiegen bei Weitem jene aus Wildfängen, Ranching und Farming. - Die Importzahlen (lt. CITES.org) für Wildtiere sind immens rückläufig. Viele Arten nicht mehr oder nicht mehr als WF im Handel vertreten. - Das Wissen über Herkunftsländer, Klima und Habitate ist unermesslich angewachsen und weit valider als vor Jahren noch. - Basis- und Detailwissen über die gehaltenen Tierarten, ihre Lebensweise und ihre Bedürfnisse ist analog hierzu sprunghaft angewachsen. - Die wissenschaftliche Forschung und die Ergebnisse vieler Urban Scientists haben ein Füllhorn an - anwendbarem Wissen generiert. Fachwissen ist in Büchern, Papers, Dissertationen, aber auch populärwissenschaftlich verfügbar und kein „Hoheitswissen“ mehr. - Die Tierhalterverbände leisten großteils hervorragende Arbeit in der Wissensvermittlung und im de facto Tierschutz sensu stricto. - Es wurde eine freiwillige Tierhalterfachkunde in vielen Bereichen etabliert und vermittelt. - Die Technik bietet heute punktgenaue Möglichkeiten zur Klimatisierung, Beleuchtung, UV- Versorgung u. v. m. für eine gute und fachlich fundierte Tierhaltung. - Mindestanforderungen wurden etabliert und werden eingefordert. - Computer erlauben eine lückenlose, selbst jahreszeitliche Steuerung dieser Technik im Sinne der Erfüllung der Lebensbedürfnisse der gehaltenen Tiere. - Die Tiermedizin gewährleistet heute flächendeckend Überwachung und Prophylaxe, sowie Prävention in Bezug auf Haltungsfehler. - Das spezifische Wissen in der Tiermedizin in Bezug auf „Exoten“ ist sprunghaft angewachsen und tiefgehende Expertise ist klinisch, pathologisch und chirurgisch vorhanden, belegt durch spezielle Fachbereichsanerkennungen und -ausbildungen, z. B. Fachtierärzt:innen und Diplomates. Die Vernetzung und Weiterbildung funktionieren hervorragend. - Das Wissen über Ernährung und Supplementierung hat Quantensprünge gemacht und spezielle Futtermittel sind verfügbar. - Erhaltungszucht mit tiergärtnerischem Management bis hin zu internationalen Zuchtbüchern ist möglich und wird praktiziert. 306 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Heimtiere ___________________________________________________________________________________________________________ Diese Auffassung teilt auch der BNA (4). Durch diese enormen Verbesserungen und den damit verbundenen, leicht verfügbaren Wissenszuwachs kann die Territoriologie (ebenfalls Streifgebiete und Home Ranges), sowie die Verhaltensbiologie der gehaltenen Arten positiv zur Anwendung gebracht werden, was zusätzlich zu den technischen Neuerungen die Gestaltung von sehr guten Haltungssystemen und Haltungsformen führt. Daher kann in der Haltung kleinerer und ggf. mittelgroßer Exoten und Wildtiere eine vollumfängliche Umsetzung der Vorgaben der §§ 1 & 2 TierSchG gewährleistet werden, § 2b wird durch die Durchsetzung und Neuauflage (z. B. Greifvögel und Reptilien) der Gutachten des BMEL (Mindestanforderungen) sichergestellt. Bei ausreichend fundierter Fachkunde der Tierhalter:innen und der Bereitschaft, notwendige Maßnahmen zu ergreifen und zu finanzieren, kann zudem sichergestellt werden, dass die fünf Freiheiten im Tierschutz - - - - Freiheit von Hunger, Durst und Fehlernährung Freiheit von Unbehagen (negativen und unangenehmen physischen Zuständen), also als negativ empfundenen Zuständen im Haltungssystem Freiheit von Verletzung, Schmerz und Krankheit Freiheit von Angst und Leiden (emotionalen negativen Empfindungen) Freiheit zum Ausleben natürlicher Verhaltensweisen - Ebenfalls in vollem Umfang sichergestellt werden können. Dies setzt jedoch eine fundierte und belastbare Tierhaler:innen-Fachkunde (§ 2 TierSchG) voraus. So weit, so gut, aber: - Die – im Auftrag der Bundesregierung durchgeführte – Studie Exopet belegt nach wie vor vorhandene Defizite und teils stark veraltete Haltungsformen und einen teilweisen Mangel an Tierhalter:innen-Fachkunde. - Es wachsen „neue Märkte“ als Folge der Globalisierung (z. B. Morphen aus USA, Exporte nach Asien, Internetplattformen (z. B. Enimals.com). - Der Handel verlagert sich ins Internet und verliert Überwachbarkeit, teils mit interessanten Ausprägungen (z. B. facebook: Turtles for Hamm), Börsen wachsen teils immens an und sollen dem Absatz der Tiere dienen: Hier muss bedacht werden, dass Börsen und ihr Umfeld behördlich und zollrechtlich überwacht werden können, im Gegensatz zum offenen oder verdecktem Internethandel. - Die Hybrid- und Morphenzucht steigt nach wie vor an, teilweise mit Verstößen gegen §§ 2 & 11 TierSchG, § 11b TierSchG, TierschTransportVO, Steuerrecht. - Rackhaltung wird zunehmend modern und häufig, trotz Unvereinbarkeit mit § 2 TierSchG und BMEL- Gutachten. - Massenzuchten bei vielen Arten überschwemmen den Markt inkl. Aufzuchtproblematik (Platz, § 2TierSchG) mit Problemstellungen bis hin zur Kastration als Prophylaxe (z. B. Europäische Landschildkröten). Auch in Hinblick auf Kontrollen, Verwaltung, Ahndung (Rechtsabteilungen der Landratsämter, Staatsanwaltschaften, Richter), Vollzug bestehen akute Probleme: - Es fehlen in Deutschland spezialisierte Polizei- und Zollkräfte, Spezialisten und Sachverständige, die - Kooperation läuft teils miserabel. Lobby-Gruppen, sowohl bei Tierhaltern, als auch Tierschützern und Tierrechtlern bestimmen die Diskussion bis hin zur Gesetzgebung: Ideologie vor Sachkunde. - Ein neues Tierhalter:innen-Klientel etabliert sich, das mit dem engagierten Hobbyismus vergangener Tage nur noch wenig zu tun hat. - Hinzu kommen aktuelle gesellschaftliche und weltpolitische Problemfelder (siehe unten). Grundsätzlich ist es gut und vollkommen in Ordnung, wenn sich in der Öffentlichkeit die Einstellung zur Wildtierhaltung im Lauf der Jahrzehnte verändert und ethische Gedanken, sowie der Tierschutzgedanke gegenüber Gleichgültigkeit und teils Ignoranz durchsetzen. Dennoch wird, allen sehr positiven Entwicklungen und Erfolgen zum Trotz noch immer ein ganz erheblicher Druck auf die Halterinnen und Halter von Wildtieren ausgeübt und nach wie vor hält sich – nicht selten durch 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 307

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Heimtiere ___________________________________________________________________________________________________________ Tierschutz- und Tierrechtsverbände geschürt und aufrechterhalten – die Idee der Unhaltbarkeit und der ethischen Unvertretbarkeit von Wildtierhaltung in menschlicher Obhut. Hier werden Importzahlen herangezogen, die bei den Behörden abrufbar sind. Allerdings ist hier unklar, wie viele Tiere in Deutschland verbleiben oder in andere EU-Staaten weitertransportiert werden. Auch ist es frappierend, dass z. B. bei Importen von Waranen nicht differenziert wird, ob es sich um lebende Tiere oder Häute von Waranen handelt, die in die Modeindustrie einfließen. Hinzu kommen hohe Zahlen dahingehend zustande, dass lebende Tiere, z. B. Landschildkröten für den Tierhandel aus EU-zertifizierten Farmen stammen. Diese stellen in mannigfaltiger Weise ein erhebliches Problem dar. In Bezug auf Tierbörsen (von denen man halten mag, was man möchte), wird diskutiert, dass hier Wildfangtiere nicht länger erlaubt sein sollen. Dies ist grundlegend kein schlechter Gedanke, zumal fast alle gehaltenen Arten aus innereuropäischen Nachzuchten verfügbar sind, jedoch muss die Frage erlaubt sein, ob ein oft jahrelang gepflegtes Tier, das irgendwann der Natur entnommen worden ist, noch als Wildfang zu betrachten sei, oder nicht. Nicht selten erscheinen, durchaus viele Informationen beisteuernde Internetrecherchen, z. B. von Pro Wildlife, die erfassen, welche Arten und wie viele Individuen im Internet angeboten werden. Hier jedoch fehlt uns die Differenzierung zwischen Abgaben von legalen Nachzuchten, Bestandsaufgaben und reinem kommerziellem Tierhandel. So entstehen Gutachten und Gegengutachten, Studien über Studien, die jedoch nur belegen sollen, wie gravierend das Problem (das wir keinesfalls leugnen wollen) des Wildtierhandels sei. Probleme in diesem Bereich gibt es nach wie vor und diese müssen angegangen werden, jedoch erfolgt hier meist keine Differenzierung im Sinne eines Faktenchecks, ob es sich um die vollkommen legale Abgabe z. B. von Nachzuchttieren oder den illegalen Handel mit Wildtieren handelt. Diesen sollte man erwarten dürfen. Wer jemals auf einer der größeren Tierbörsen gewesen ist wird sicherlich die Massen von Menschen teils aus aller Herren Ländern und Tieren, die Hektik und Enge beobachtet haben. Dies kann einem als Besucher abstoßen oder gefallen. Generell jedoch genehmigte und – hoffentlich – behördlich überwachte Tierbörsen, die die einschlägigen Leitlinien und Auflagenbescheide einhalten und durchsetzen, als die „Wurzel des Bösen“ zu betrachten, erscheint blauäugig. Jede Tierbörse kann real, in Echtzeit und durch jede zuständige Behörde überwacht, jeder Händler kann kontrolliert und jeder Verkauf auf seine Rechtmäßigkeit hin überprüft werden, findet eine Börse doch an einem realen Ort statt, der betreten und überwacht werden kann und muss. Rahmenbedingungen können durch Veterinärbehörde und Veranstalter gesteckt und eingefordert werden. Hier sei einmal lobend Hamm erwähnt, da hier durch den Veranstalter ein strenges Regime etabliert wird und zudem freiwillig auf den Verkauf von Qualzuchten verzichtet wird. Ja, Märkte, auf denen leidensfähige Lebewesen verkauft werden sind heutzutage irritierend und mögen auf viele Menschen abstoßend wirken. Beseitigten wir sie jedoch, würde Handel im Inter- oder Darknet stattfinden, die sich jeglicher Kontrolle entziehen. Dass auf Tierbörsen auch „gemauschelt“ wird und dass in ihrem Umfeld widerrechtliche und illegale Geschäfte stattfinden ist unbestreitbar, jedoch können diese Probleme behördlich angegangen und eingeschränkt werden, was im Netz schier unmöglich wäre. Daher prüfe, wer nach Verboten verlangt! Basierend auf mehr Ideologie, denn nachweisbarem Problem und im Widerspruch zu den oben geschilderten immensen Fortschritten in der Haltung von Wildtieren, auch in Privathand, ist die Forderung nach Listen (Positiv-, wie Negativlisten) und Verboten laut und nachhaltig. Sie finden auf der Ebene der Bundesregierung, wie der EU teilweise Gehör und Fürsprecher. Negativlisten, also Verbotslisten kennen wir seit längerer Zeit, z. B. i. S. von Gefahrtierlisten, die durchaus sinnvoll sein können. In diesem Kontext wären sogar kurze, belegbare „Positivlisten“ sinnvoll, um sehr gefährliche Tiere von minder gefährlichen unterscheiden zu können (z. B. Kreuzotter, viele Trugnattern, Krustenechsen, Pfeilgiftfrösche) und die ersatzlose Streichung einiger artifiziell gelisteter Arten wäre sinnvoll. So wäre ein zielgenaues und auf Fakten basierendes Regelwerk denkbar und ggf. möglich. Eine Positivliste, also eine Liste einfach zu pflegender Arten, die „Jedermann“ halten und pflegen kann und die alle anderen Tierarten und -gruppen de facto ausschließen und verbieten würde, ist aktuell und seit Jahren massiv in der Diskussion. 308 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Heimtiere ___________________________________________________________________________________________________________ Eine solche Liste müsste somit Arten beinhalten, die häufig und „leicht zu pflegen“ wären. Hier zeigen anhaltende Rechtsstreitigkeiten in Ländern, die eine solche Liste haben, wie schwierig ein solches Auswahlverfahren ist und wie enorm schwierig Abgrenzungen hier sein können. Doch stellt sich bei einem solchen Vorhaben immer auch die Frage, was mit betroffenen, also nicht gelisteten Tierarten, die sich bereits in Haltung befinden? Gäbe es einen Bestandsschutz für sie? Wir eng wäre ein solcher Bestandsschutz gefasst bei Arten, die hoch sozial sind, wenn ein Partnertier stirbt? Dürfte nachgestellt werden? Wie müssten tierschutzwidrige Einzelhaltungen, z. B. von Papageien oder Affen rechtlich behandelt werden, wenn nicht? Was würde aus sehr guten und sinnvollen Erhaltungszuchtprojekten, z. B. von Citizen Conservation, wenn die relevanten Arten (was mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Fall wäre) nicht gelistet wären? Bedeutet das das AUS! Für diese Projekte und ihre Mitarbeitenden (meist Privathalter:innen)? Verlagert man dann die Erhaltungszucht kleiner Arten mit teilweise sehr hoher Reproduktionsrate, kurzer Generationsfolge und folglich hoher Gendrift in Zoos und Universitäten oder „gehen sie ein“? Das erscheint nur wenig sinnvoll. Gelangen betroffene, nicht gelistete Tiere in Einrichtungen des Tierschutzes, was soll mit ihnen geschehen? Dürfen sie vermittelt werden oder werden aus Tierheimen und Auffangstationen riesige, kostenintensive Gnadenhöfe ungeahnten Ausmaßes und wer finanziert dies? Oder muss hier mit der Euthanasie der betroffenen Tiere „geliebäugelt“ werden (Besser tot als in Gefangenschaft, besser in Würde ausgestorben...)? Diese Fragen sind von enormer Bedeutung und müssen geklärt werden, ansonsten werden diese Listen nur Tierleid bedingen, das niemand möchte. Wollte man eine Positivliste als lediglich ersten Schritt sehen, de eine Vielzahl weiterer folgen müssten, wäre sie kein schlechtes Werkzeug. Es müsste, analog zur Schweiz definiert werden, welche Tierarten oder - gruppen jede Bürgerin und jeder Bürger zweifelsfrei bestmöglich pflegen kann. Nur muss die Frage gestellt werden, ob dann Kaninchen und Hamster und viele mehr, auf einer solchen Liste würden auftauchen dürfen. In der Folge jedoch müssten Ausnahmeregelungen getroffen werden, die bei nachzuweisender Tierhalterfachkunde (stufenweise)und einer best practise bei der angestrebten Haltung eine Ausnahmegenehmigung möglich machen würden. Hier bedürfte es der Rechtssicherheit für die Bürger:innen, also keinesfalls eine sog. „Kann-Bestimmung“. Hier also kommt sie ins Spiel: Die Tierhalter-Fach- (oder Sach)kunde. Diese müsste für alle nicht gelisteten Arten verpflichtend und zu belegen sein, es wäre also eine Anpassung der AVV zum Tierschutzgesetz vonnöten (und dringend angezeigt). Wer aber legt die Rahmenbedingungen hierfür fest? Was soll Sachkunde für welche Tierarten beinhalten? Wer vermittelt sie, wer prüft sie. Hier sollten die Verbände herangezogen werden und ins Boot kommen. Die Schweiz belegt eindrücklich, dass die funktioniert und keinen Mehraufwand bei Behörden beinhaltet. Hier sind Stufen des Umfanges an Fachkunde vorgesehen, teils bis hin zu verpflichtenden Praktika und ihre Vermittlung erfolgt ebenfalls stufenweise vom Care-Sheet über Fortbildungen mit und ohne Praktika bis hin zur abgeschlossenen Tierpflegerausbildung (Affen). Ein gewichtiger Vorteil für die Ahndung von Verstößen und gerichtliche Einschätzungen wäre die Tatsache, dass ohne Fachkunde keine Tierhaltung erlaubt wäre und mit Fachkunde bei Zuwiderhandlungen Vorsatz vorläge (5 & 6). Alle diese Betrachtungen jedoch blenden eine gewichtigen, kaum zu reglementierenden Faktor aus: Der Handelsstrom aus den östlichen EU-Mitgliedsstaaten und angrenzender Gebiete. Hier ist längst nicht mehr nur der illegale Welpenhandel ein Thema, sondern der nicht enden wollende Strom an Wildtieren und Exoten, vom Lisztäffchen bis zum Hirsch, über Geflügel bis zu seltenen Singvögeln und Giftschlangen. Destination? Benelux! Staaten mit Positivlisten. Doch Deutschland ist nicht nicht betroffen. Im Netz werden z. B. Raubkatzen aus Tschechen (wo es Tiger-King-ähnliche Farmen und Zuchten gibt, angeboten und gekauft… Nach wie vor haben wir ein absolutes Kontroll- und Vollzugsdefizit und hier ist Deutschland bestenfalls ein „Schwellenland“. Zuständige Behörden können und dürfen nicht selten garnicht agieren oder aktiv werden, es mangelt an Etats und Personal und an geeigneten, staatlich überwachten Unterbringungsmöglichkeiten, die zudem den Staat bei der Umsetzung seiner hoheitlichen Aufgaben nicht nur unterstützen, sondern durch Spendengelder indirekt Sponsoring betreiben müssen. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 309

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Heimtiere ___________________________________________________________________________________________________________ Hinzu kommt ein teils undurchschaubares Regelchaos, denken wir nur an die Verordnung (EU) 1143/2014 und die Arten(Negativ-)listen seit 2016. Nur diejenigen Arten, für die es - Dank der LANA-Konferenz - Managementpläne gibt, können zumindest teilweise sinnvoll gehandhabt werden, wobei allerdings Meldeverpflichtungen, die eine Regel überwachbar machen könnten, fehlen. Auch hier sind weitestgehend sozial lebende Arten nicht ausreichend geregelt. Ein weiteres Beispiel für sich widersprechende Regelungen ist die art- und verhaltensgerechte Ernährung von Wildtieren und die Frage nach der Verfütterung lebender Beute an aktive Jäger. Hier widersprechen sind die §§ 2 & 17 TierSchG (7). Auch dies bedingt eine zunehmende Unsicherheit bei den Tierhalter:innen und bietet sozialen Sprengstoff. Hinzu kommt das Problem, dass z. B. der Bund Studien in Auftrag gibt, die in der Folge keinerlei staatliche Reaktion nach sich ziehen. EXOPET (8), das mit immensem Aufwand und einer Vielzahl von Sachverständigen und den Verbänden erstellt wurde, belegt dies traurigerweise nachdrücklich. Immerhin werden aktuell Landestierschutzbeauftragte, z. B. in Brandenburg, NRW und Baden-Württemberg tätig und suchen nach praktikablen Wegen zur Verbesserung des praktischen und praktikablen Tierschutzes. Welt in der Krise – Tierhaltung in Deutschland auch? Gefühlt seit einem Jahrzehnt befindet sich Deutschland in wechselnden Krisen. Schuldenkrise, Pandemie, Krieg in der Ukraine und insbesondere seine Folgen in Bezug auf Energieverfügbarkeit und Energiepreise und eine „nie dagewesene“ Inflation. Es bestanden berechtigte Sorgen, ob dies in Hinblick auf Wildtier- und Exotenhalter:innen und ihre Tiere von Relevanz sei. Corona bzw. Covid-19 hat in vielen Tierheimen (für Hund und Katze) mehrfach Ausnahmezustände hervorgerufen: Viele Menschen suchten nach einem Companion-Animal während der Lockdowns und die Nachfrage nach Hund und Katze stieg sprunghaft, ebenso wie der illegale Welpenhandel. Nach den staatlichen Maßnahmen und der Beendigung des Homeoffice in vielen Bereichen stellte sich für viele Neuhalter:innen heraus, dass ein Heimtier „nicht mehr geht“. Eine Ab- und Rückgabewelle war die Folge. Im Exotensektor blieben beide Phänomene weitgehend aus. Allerdings bedingte der Ukraine-Krieg weitere Ängste und Probleme bzw. Problemchen. Mit den Geflüchteten aus der Ukraine kamen auch deren Haustiere. Dies ist zunächst menschlich sehr löblich, dass Tiere nicht zurückgelassen wurden. Dennoch stellten diese Tiere in Lagern, Wohneinrichtungen und Aufnahmezentren für Probleme. Die Veterinärämter und Tierschutzvereine haben hier Großartiges geleistet. Allerdings kamen auch Exoten: Schildkröten, Riesenschlangen, Affen u. v. m. Weitaus gravierender gestaltete sich der Herbst 2022. Es schien, als stünde mit dem Importstopp von Öl und Billiggas aus Russland kaum genug Energie zur Verfügung, um ein normales Leben aufrechterhalten zu können. Strom- und Heizkosten steigen ins Unermessliche und die Angst mit ihnen. Auffangstationen und Tierheime befürchteten, die Kostenwelle nicht stemmen zu können – Tierhalter mit energieintensiven Arten ebenfalls. Die telefonischen Anfragen besorgter Tierhalter:innen häuften sich, mit dem Inhalt, dass Tiere abgegeben werden sollten. Die Aufnahmekapazitäten jedoch konnten nirgends ausgeweitet werden. Dennoch erfolgte auch hier nicht die befürchtete massive Abgabewelle. Es gab allerdings weit mehr „Fundtiere“ als in den Jahren zuvor. Nachweisliche Aussetzungen blieben jedoch die seltene Ausnahme, trotz der Schlagzeilen von erfrorenen, ausgesetzten Riesenschlangen im Winter oder von in Baden-Württemberg ausgesetzten Königspythons im Dutzend. Auch kamen nicht mehr Tiere in schlechtem Ernährungs-, Pflege- oder Gesundheitszustand zu uns in die Auffangstation. Glück gehabt! Was allerdings während der Lockdowns und danach in Tierhaltungen passierte entzieht sich jedweder Kenntnis, da vielerorts, auch in Bezug auf Kontaktbeschränkungen und Zutrittsreglementierungen an die Veterinärbehörden seitens der Ministerien ergingen, die Tierschutzkontrollen unmöglich machten. in Bayern, Anweisungen 310 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Heimtiere ___________________________________________________________________________________________________________ Fazit Ja, wir haben nach wie vor Probleme, die jedoch aus unserer Sicht nicht mit der Wildtier- und Exotenhaltung einhergehen. Es gibt nach wie vor schwarze Schafe in der Tierhaltung, vom Dackel über den Graupapagei bis zum Krokodil, die strikt geahndet werden müss(t)en. Wir haben aber einen auf Exoten und Wildtiere bezogenen immensen kulturellen und fachlichen Evolutionsschritt von Prestigetieren und Tierverbrauchern zu gut machbarer, tiergerechter Haltung geschafft, den es anzuerkennen und zu beachten gilt. Wildtierhaltung ist mit genügend Fachkunde und unter Anwendung der technischen Möglichkeiten – mit teils hohem finanziellem Aufwand – ebenso oder besser machbar als die Haltung einiger etablierter „Heimtiere“ vom Kaninchen im Käfig bis zum einzeln vegetierenden Kanarienvogel. Es fehlt weniger an guten Tierhalter:innen, als an sinnvollen und tier-, wie bürgerfreundlichen Regeln und deren stringenter Umsetzung und der besseren Ausstattung der Behörden und der spezifischen Fachkunde bei Staatsanwälten und Richtern. Dennoch haben wir Probleme, sei es der Osteuropahandel, Exotenmärkte im Internet, tierschutzwidrige Haltungsformen (9 & 10 zum Rack), Zuchten von Qualzuchten und Morphen (11) und zweifelsohne mit Individuen, die Tiere unter schrecklichen Verhältnissen halten. Doch dies sind Probleme, die im Einzelnen betrachtet, geregelt und behoben werden müssen. Wir jedoch sehen die viel beschworene Krise durch Wildtier- und Exotenhaltung, wie wir sie aus den 1980- er bis 2000-er Jahren kannten, nicht (mehr). Vielmehr würde der Natur- und Artenschutz i. S. gut gemachter Erhaltungszuchtbemühungen und Reservebestände bedrohter (und vielleicht zukünftig bedrohter) Arten erheblichen Schaden nehmen, verlören wir fachkundige und engagierte Tierhaltungen in Zoo und Privathand, zumal Zoos in Europa diese Aufgabe alleine nicht bewältigen können (11). Ja, es braucht Regeln, gute, sinnvolle, machbare Regeln, basierend auf heutigem Wissensstand und Forschung – weniger Ideologie, für die Tiere, aber auch die Menschen, denn wir möchten uns keine Zukunft vorstellen, in der Kinder keinen Zugang mehr zur belebten Natur haben können und Tiere nur noch aus dem Fernseher kennen. Wissen schützt Tiere – wenden wir es an und, wenn nicht wir Tierärzte, wer dann? PS: Uns ist bewusst, dass wir hier etwas polemisch formuliert haben und zuspitzen, wir bitten Sie, dies zu entschuldigen, aber das Thema ist spannend und emotional aufgeladen und leider viel zu oft irrational. Literatur 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. Richter, T. et al., 2012: Wildtiere in Menschenhand – Überlegungen zum moralisch-rechtlichen und biologischen Status von Wildtieren; Deutsches Tierärzteblatt, 11/2012, pp. 150-153. Hediger, H., 1961: Tierpsychologie in Zoo und Zirkus; Basel. Sambraus, H.H., 1995: Befindlichkeiten und Analogieschluß, In: Aktuelle Arbeiten zur artgemäßen Tierhaltung, 1664. KTBL-Schrift 370, pp.31-39. BNA-publikation, 2020: Reptilienhandel in Deutschland: Ergänzende Daten zum BfN-Skript 545 – „Strategien zur Reduktion der Nachfrage nach als Heimtiere gehaltenen Reptilien, Amphibien und kleinen Säugetieren. Auffangstation für Reptilien: Positionspapier der Auffangstation für Reptilien, München e.V. zum Thema „Verbote, Positiv- und Negativlisten oder Sachkunde?“. https://www.reptilienauffangstation.de/Aktuelles%20und%20Wissen/Downloads%20und%20Wissen/Positions% 20Papiere/10_PosPap_SK-SKN.pdf. Baur, M. et al., 2023: Neue regeln braucht das Land? Gedanken zur Positivliste; Proceedings 58. Arbeitstagung der AG Amphibien- und Reptilienkrankheuten – Tagungsband, pp. 69-79. Auffangstation für Reptilien: Positionspapier der Auffangstation für Reptilien, München e.V. zum Thema Fütterung von Reptilien mit anderen Tieren, so genannten „Futtertieren“. https://www.reptilienauffangstation.de/Aktuelles%20und%20Wissen/Downloads%20und%20Wissen/Positions% 20Papiere/07_PosPap_Lebend-Fuetterung.pdf. EXOPET Studie: https://service.ble.de/ptdb/index2.php?detail_id=57204&site_key=141&stichw=exotisch&zeilenzahl_zaehler=23 Gemeinsame Stellungnahme des AK 8 (Zoofachhandel und Heimtierhaltung) der TVT, des BNA, der AG ARK der DGHT, der DVG-Fachgruppe ZWE, der DVG- Fachgruppe Zier-, Zoo- und Wildvögel, Reptilien und 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 311

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Heimtiere ___________________________________________________________________________________________________________ Amphibien und der Reptilienauffangstation München e. V. zur Haltung von Schlangen in Racksystemen bzw. Schubladen, 2013: http://pdfs.dght.de/agark/Stellungnahme_AK8_Rackhaltung_07.2013%20(1).pdf. Hollandt, T., (2022): Zur tiergerechten Haltung von Königspythons (Python regius): Beurteilung unterschiedlicher Haltungssysteme unter den Aspekten des Tierverhaltens und der Stressbelastung. Dissertation, LMU München: Tierärztliche Fakultät: https://edoc.ub.uni-muenchen.de/29648/1/Hollandt_Tina.pdf. Öfner, S., 2023: Erkrankungen bei Morphen - Wenn Zucht krank macht. Im Vereinsmagazin der Auffangstation für Reptilien, München e.V. Wissen schützt Tiere, München, 01/2023, pp 6-9 Tudge, C., 1991: Letzte Zuflucht Zoo. Spektrum Akademischer Verlag Heidelberg Berlin Oxford. 9. 10. 11. Kontakt Dr. Markus Baur & Sabine Öfner; Auffangstation für Reptilien, München e.V. markus.baur@reptilienauffangstation.de sabine.oefner@reptilienauffangstation.de 312 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Heimtiere ___________________________________________________________________________________________________________ Zwischen Klimawandel und Globalisierung – das stille (Aus)sterben unserer einheimischen Amphibien und Reptilien Johannes Hetterich Klinik für Heimtiere, Reptilien und Vögel, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover Sowohl die heimische als auch die weltweite Reptilien- und Amphibienfauna ist durch multiple Einflussfaktoren bedroht. Neueste Erhebungen der IUCN (International Union for Conservation of Nature) belegen, dass über 20 % der Bestände der untersuchten Reptilienarten und gar 41 % aller Amphibienarten als gefährdet bzw. als vom Aussterben bedroht eingestuft werden (1). Noch höher sind die Werte für Spezies, die einem beschriebenen Bestandsrückgang unterliegen und der Trend ist seit Beginn der exakten Erfassung durch die IUCN fortwährend negativ. Altbekannte Ursachen für diese Entwicklung wie Lebensraumzerstörung und illegale Entnahme aus der Wildbahn betreffen Reptilien und Amphibien weltweit (1). So spielt in Deutschland insbesondere die jahrzehntelange Trockenlegung von Feuchtgebieten eine wesentliche Rolle für den Rückgang geeigneter Lebensräume heimischer Amphibien (2). Weltweit betrachtet ist der fortwährende Verlust tropischer Lebensräume, insbesondere der Regen- und Nebelwälder des tropischen Gürtels, von gravierender Bedeutung. Die Tropen beherbergen nahezu die Hälfte aller bekannten Amphibienarten (1). Welche Auswirkungen illegale Entnahmen von teils enormen Tierzahlen auf Spezies haben zeigte sich in den vergangenen zehn bis zwanzig Jahren in Südostasien. Die dortige Schildkrötenfauna ist durch Massenentnahmen in einigen Teilen des Kontinents nahezu zusammengebrochen (3). Aufwändigen Forschungs- und Erhaltungsprogrammen sichern die Existenz einiger Arten, die in freier Wildbahn inzwischen als sehr selten oder gar ausgestorben gelten (4). Die beschriebenen Probleme werden ergänzt durch ´neuartige´ Einflussfaktoren, die die weltweite Bedrohung von Reptilien und Amphibien verkomplizieren und in vielen Fällen dynamisieren. Das durch die Globalisierung fortschreitende Verbringen von Neozoen ist eine auch für Säugetiere und Vögel bekannte ökologische Problematik. Die engen und teils hochsensiblen ökologischen Nischen insbesondere vieler Amphibienspezies haben invasiven Arten in vielen Fällen meist nichts entgegenzusetzen. In besonderem Maße wirkt sich der fortschreitende Klimawandel auf poikilotherme Arten aus (5). Veränderungen des Makroklimas, im Besonderen jedoch des Mikroklimas, haben gravierende Folge für die oftmals sehr speziellen Habitatansprüche vieler Reptilien- und Amphibienarten. Während IUCN- Untersuchungen für den Zeitraum 1980-2004 Infektionserkrankungen als Hauptgrund für das Aussterben von Amphibien anführten, belegen neuere Untersuchungen den Klimawandel mit seinen Folgen inzwischen als Hauptursache (1). Die oben genannten Faktoren können gleichwohl nicht als thematisch separate Einflussfaktoren angesehen werden. Vielmehr stehen multiple Problemfelder in mittelbarem oder unmittelbarem Zusammenhang. So beschrieben Forschende schon vor einigen Jahren einen komplexen Zusammenhang von Klimaveränderungen und der Steigerung der Infektiosität des Chytridpilzes in Amphibienhabitaten (6). Auch für zahlreiche Reptilienspezies haben Forschende inzwischen einen fundamentalen Einfluss von Klimaveränderungen nachgewiesen (5). Zahlreiche Säugetier- und Vogelspezies sind in Deutschland wie auch weltweit nicht minder gefährdet. Die IUCN stuft in der letzten Gesamterhebung 13 % aller Vogel- und 27 % aller Säugetierarten als mindestens gefährdet ein (1). Die mediale Aufmerksamkeit für diese Tiergruppen ist aufgrund ihrer Bekanntheit und Lebensweise in vielen Fällen größer einzustufen. Reptilien und Amphibien hingegen stehen für weite Teile der Bevölkerung eher am Rand der Aufmerksamkeit. Mit dem Verlust ihrer Lebensräume gehen die Zahlen vieler Reptilien- und Amphibienspezies geräuschlos verloren. Dabei sollten wir erkennen, dass die bevorzugten 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 313

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Heimtiere ___________________________________________________________________________________________________________ Lebensräume der Kaltblüter, die für ihr Überleben unverzichtbar sind, Kornkammern der Biodiversität sind. Ob Feuchtwiesen, Moore oder Heidelandschaften: Auch hierzulande bedeutet der noch immer fortwährende Verlust dieser Habitate nicht nur die immer stärkere Bedrohung vieler Reptilien und Amphibien, sondern den Verlust ganzer Naturräume mit seinen komplexen Wechselwirkungen und Lebensgemeinschaften. Literatur 1. 2. 3. 4. 5. 6. LUEDTKE, Jennifer A., et al. Ongoing declines for the world’s amphibians in the face of emerging threats. Nature, 2023, S. 1-7. COLDITZ, Gabriele. Auen, moore, feuchtwiesen: Gefährdung und schutz von feuchtgebieten. Springer-Verlag, 2013. STANFORD, Craig B., et al. Turtles and tortoises are in trouble. Current Biology, 2020, 30. Jg., Nr. 12, S. R721- R735. Zentrum für Schildkrötenschutz im Zoo Münster (allwetterzoo.de) BÖHM, Monika, et al. Hot and bothered: using trait-based approaches to assess climate change vulnerability in reptiles. Biological Conservation, 2016, 204. Jg., S. 32-41. ALAN POUNDS, J., et al. Widespread amphibian extinctions from epidemic disease driven by global warming. Nature, 2006, 439. Jg., Nr. 7073, S. 161-167. Kontakt Dr. Johannes Hetterich; Klinik für Heimtiere, Reptilien und Vögel, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover 314 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Heimtiere ___________________________________________________________________________________________________________ Ursachen und Therapiemöglichkeiten von Nierenerkrankungen Sabine Öfner, Markus Baur Auffangstation für Reptilien, München e.V., Kaulbachstraße 37, 80539 München Nierenerkrankungen zählen, neben Lebererkrankungen, zu den mit Abstand häufigsten organisch bedingten Krankheiten bei Reptilien. Besonders bei Landschildkröten und Echsen werden sie relativ häufig diagnostiziert, seltener bei Wasserschildkröten und Schlangen. Die Symptome einer Nierenerkrankung sind in der Regel eher unspezifisch (Inappetenz, Kachexie, Lethargie, etc.), deshalb bleiben sie häufig unerkannt. Setzen die Tiere hingegen eher trüben, schleimigen oder sogar verfärbten Harn ab, deutet dies häufig auf eine Nierenerkrankung hin. Auch eine Hinterhandschwäche bei Landschildkröten, erschwerter Harn- und Kotabsatz bei Echsen sowie Körperschwellungen im Bereich der Niere bei Schlangen können auf eine Nephropathie hindeuten. Ursachen für Nierenerkrankungen Die Ursachen für Nierenerkrankungen sind vielfältig; eine der Hauptursachen bei Reptilien findet sich in der Regel in haltungs- und ernährungsbedingten Problemen. So kann eine viel zu trockene Haltung und eine zu proteinreiche Fütterung schnell zu einer Schädigung der Niere führen. Insbesondere die Verfütterung von proteinreicher Nahrung (Insekten, Fleisch, Hunde- und Katzenfutter, proteinreiches Fertigfutter, Getreide- und Milchprodukte, etc.) an pflanzenfressende Reptilien ist sehr schädlich für die Tiere und führt, neben anderen Erkrankungen, auch häufig zu einer Nephropathie. Denn eine übermäßige Versorgung mit tierischem Protein bedingt in den meisten Fällen ein massives Anfluten von Harnsäure; die Nieren können diese übermäßigen Mengen an Harnsäure nicht mehr ausreichend ausscheiden und so kommt es zur Ablagerung der Harnsäurekristalle in der Niere. Aber auch in anderen Organsystemen, wie z.B. Gelenken, dem Perikard sowie den Serosen kann es zur Ablagerung kommen. In einigen Fällen kommt es dadurch auch zu einer hochgradigen Schwellung der Nieren, die dann häufig - aufgrund ihrer Lage - ein Passagehindernis für Kot, Eier, etc. darstellt und so weitere Erkrankungen nach sich zieht. Wenn die Gelenke betroffen sind, dann zeigen die Tiere häufig eine gewisse Bewegungsunlust und auch Schwellungen im Bereich z.B. der Kniegelenke. Eine Ablagerung kann hier auch im Kiefergelenk oftmals gesehen werden; diese zeigt sich durch weißliche, kristallartige Ablagerungen im Kieferwinkel. Auch Parasiten können zu Erkrankungen der Nieren führen. Hier ist vor allem Hexamita parva zu nennen, die durch eine aufsteigende Infektion (Aufstieg über die Harnblase und Kloake) zu Schäden in der Niere führen. Ein weiterer Parasit, der die Niere vor allem von Tropischen Landschildkröten befallen kann und dort zu Veränderungen führt, sind Kokzidien (TINC = Tortoise Intranuclear Coccidia; häufig Sarcocystidae und Eimeriinae). Bei Wasserschildkröten werden immer wieder Trematoden der Gattung Spirorchis gefunden, die den Harnleiter der Tiere verstopfen und so zum Rückstau von Harn führten. Seltener kommen iatrogen Ursachen vor, z.B. durch eine Überdosierung von bestimmten Medikamenten oder durch die Applikation von nephrotoxischen Substanzen; in einigen Fällen haben Tiere auch durch den Einsatz von Insektiziden in der Umgebung Nierenprobleme bekommen. So können beispielsweise Nephropathien durch die Gabe von Gentamycin oder auch bei erhöhter Verabreichung von Vitamin D3 hervorgerufen werden. Auch Tumore der Nieren werden immer wieder in der Literatur beschrieben. So konnten bei Echsen und Schildkröten Nierenzellkarzinome, bei Schildkröten und Schlangen Adenom der Niere und bei allen Reptilienklassen Metastasen in der Niere ausgelöst durch Fibrosarkome gefunden werden. Bei Königspythons treten immer wieder Nierenprobleme auf, die durch Harnleitersteine verursacht werden. Diese verlegen in der Regel bei den Schlangen den gesamten Harnleiter und führen zu einem Rückstau des konzentrierten Urins in die Nieren, was bereits nach kurzer Zeit zu einer Veränderung der Niere führt. Sehr selten treten Nierenzysten bei Reptilien auf. Bei dieser Erkrankung wird eine angeborene Kondition vermutet, die dafür sorgt, dass die Nierentubuli hochgradig dilatieren und sich dann aus diesen Zysten bilden. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 315

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Heimtiere ___________________________________________________________________________________________________________ Therapie von Nierenerkrankungen Gute Erfolge lassen sich in der Regel nur im Frühstadium einer Nierenerkrankung erzielen. Da Nephropathien aber häufig erst sehr spät diagnostiziert werden, ist die Prognose immer vorsichtig zu stellen. Essentiell für jede Therapie ist eine deutliche Verbesserung der Haltungs- und Ernährungsbedingungen – hier muss ausreichend durch den Tierarzt beraten werden! Im Fall einer Nierengicht sollte umgehend eine Therapie mit Allopurinol (100 mg/kg, oral) sowie begleitend Infusionen (z.B. isotonische Kochsalzlösung, 10 ml/kg) begonnen werden, um zum einen Verhinderung der Bildung von Harnsäure sowie eine Durchspülung der Niere zu erreichen. In einigen Fällen muss diese Therapie lebenslang erfolgen; in vielen Fällen ist aber nach einer Besserung der Blutwerte auch ein Ausschleichen von Allopurinol möglich. So sollten anfangs in regelmäßigen Abständen (alle 2-4 Wochen) Blutkontrollen erfolgen; wenn die Harnsäurewerte im Blut sinken, dann kann auch das Allopurinol reduziert werden – hier sollte man einem strikten Schema folgen, wie z.B. zuerst noch täglich Gabe, aber die Dosis reduzieren; dann, nach weiterer Besserung, die Gabe alle 2 Tage, usw. In der Auffangstation leben einige Landschildkröten, die seit Jahren einmal in der Woche 10 mg Allopurinol benötigen und damit ihre Werte halten; bei einem Absetzen gehen die Werte sofort nach oben. Bei einer Infektion mit Hexamita parva sollte neben einer strikten hygienischen Haltung eine Therapie mit Metronidazol (50 mg/kg über 5 Tage, oral) erfolgen. Da häufig auch eine bakterielle Infektion vorliegt, sollte auch eine Antibiose sowie Infusionen gegeben werden. Bei einer Intoxikation oder einer iatrogenen Ursache muss die Niere gut durchgespült werden. Hier hat es sich bewährt, das Tier mehrfach am Tag zu infundieren (2-3x täglich 10 ml/kg). Die Harnleitersteine bei Königspythons werden häufig erst in der Pathologie festgestellt. Sollten sie bei einem lebenden Tier diagnostiziert werden, bleibt nur die chirurgische Entfernung des Konkrements. Literatur 1. Bayerische Landestierärztekammer, “Blauer Band”, Band 6: Reptilienmedizin, Mai 2008 2. Divers SJ, Innes CJ (2019), Urology, in Mader DR, Reptile Medicine and Surgery (Saunders Elsevier), pp.624 - 648; 3. Garner MM, Gardiner CH, Wellehan JFX, Johnson AJ, McNamara T, Linn M, Terrell SP, Childress A., Jacobson ER; Intranuclear Coccidiosis in Tortoises, Nine Cases, Vet Pathol 43:311-320 (2006) 4. Hnizdo J., Pantchev N. (2011): Tierarztpraxis Schildkröten, Diagnose, Therapie, Pflege, Prävention, Edition Chimaira 5. Kölle P., Blahak S. (2016): Memovet ReptilienSkills, Praxisleitfaden Schildkröten Echsen und Schlangen 6. Sassenburg L., Zwart P. (2015), Schildkröten, Schlangen, Echsen, in Gabrisch, Zwart, Krankheiten der Heimtiere, pp, 757- 1020 7. Schroeder, Patricia Jena and Ulmer, Martin J. (1959) "Host-Parasite Relationships of Spirorchis elegans Stunkard (Trematoda: Spirorchiidae)," Proceedings of the Iowa Academy of Science, 66(1), 443-454. 8. Sinn AD: Pathologie der Reptilien, eine retrospektive Studie, Dissertation Vetmed Uni München, 2004 Kontakt Sabine Öfner; Auffangstation für Reptilien, München e.V., München sabine.oefner@reptilienauffangstation.de 316 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Heimtiere ___________________________________________________________________________________________________________ Vergleichende sonographische Untersuchungen der Nieren bei Echsen Nils Klützow, PD Dr. Volker Schmidt Klinik für Vögel und Reptilien, Universität Leipzig Abstract Klinische Anzeichen von Nierenerkrankungen bei Reptilien können schwer zu erkennen sein, insbesondere in den frühen Stadien der Krankheit (1) und durch die meist unspezifischen Symptome (2). Die sonographische Untersuchung ist dabei eine nicht-invasive, schnelle und effektive Bildgebungstechnik zur Diagnostik von Nierenerkrankungen bei Reptilien, jedoch ist für eine angemessene Beurteilung sonographischer Bilder der Nieren spezialisiertes Wissen und Erfahrung aufgrund der anatomischen Unterschiede zwischen verschiedenen Reptilienarten erforderlich (3). Um den Harntrakt bei vor allem kleinen Reptilien beurteilen zu können erfordert es hochfrequente Schallsonden zur Verbesserung der Bildqualität. Ultraschalluntersuchung der Nieren bei Echsen Für die Untersuchung der meisten Echsen kann eine manuelle Fixation in Rücken- oder Sternumlage verwendet werden (4,5,6). Eine aufrechte Lagerung ist dabei anzustreben und der Beckenbereich muss für die Untersuchung freigehalten werden. Insbesondere kleinere Reptilien erfordern hochauflösende Geräte mit Schallköpfen von 12-18 MHz (7,8), welche zudem eine kleine Kontaktfläche aufweisen (9). Die Ankopplung für die Nierendarstellung bei Echsen sollte auf Höhe des Beckens von dorsolateral erfolgen, ist dies nicht gut möglich kann auch ein ventraler Zugang genutzt werden (5,10). Eine Ausnahme bilden die Chamäleons, die eine lateral abgeflachte Körperform besitzen, weswegen eine Untersuchung von ventral nicht gut möglich ist und ein lateraler Zugang genutzt werden sollte (11). Sind Veränderungen in der Größe und Echogenität darstellbar, können dies Anzeichen einer Nierenerkrankung sein (5,12) und durch die Verwendung eines Farbdopplers kann zudem die Nierendurchblutung beurteilt werden, was Hinweise auf die Nierenfunktion geben kann (5,10). Auf eine ausreichende Verbindung mit Ultraschallgel sollte dabei geachtet werden, da sich durch die schuppige Haut von Echsen Lufteinschlüsse bilden können, die eventuell eine adäquate Ankopplung des Schallkopfes verhindern (4,5,9,13). Wenn sich ein Tier in der Häutung befindet, können zudem Artefakte entstehen, die durch diffuse distale Schallschatten gekennzeichnet sind und die Darstellung der inneren Organe beeinträchtigen können (5,7,8). Bei einigen Echsenarten unterscheiden sich die Nierensegmente von männlichen Tieren hinsichtlich ihrer Größe von denen weiblicher. Dabei vergrößern sich die distalen Tubuli in den als Sexualsegmente bezeichneten Bereichen und tragen zur Samenflüssigkeit bei (14,15). Dadurch nehmen die Nieren während der Fortpflanzungszeit an Größe zu und können eine starke Farbveränderung durchlaufen, was dazu führen kann, dass unerfahrene Untersucher sie als pathologisch betrachten (14). Sonographische Untersuchungsmethoden und Darstellungsbeispiele bei Bartagamen, Chamäleons, Grünen Leguanen und Leopardgeckos sollen im Verlauf des Vortrags vorgestellt und diskutiert werden. Literatur 1. 2. 3. 4. 5. 6. Selleri P, Hernandez-Divers SJ. Renal diseases of reptiles. Vet Clin North Am Exot Anim Pract 2006; 9(1):161–74. doi: 10.1016/j.cvex.2005.10.008. Banzato T, Hellebuyck T, van Caelenberg A, Saunders JH, Zotti A. A review of diagnostic imaging of snakes and lizards. Vet Rec 2013; 173(2):43–9. doi: 10.1136/vr.101450. Gumpenberger M. Diagnostic Imaging of Reproductive Tract Disorders in Reptiles. Vet Clin North Am Exot Anim Pract 2017; 20(2):327–43. doi: 10.1016/j.cvex.2016.11.003. Schumacher J, Toal RL. Advanced Radiography and Ultrasonography in Reptiles. Seminars in Avian and Exotic Pet Medicine, 2001; 10(4):162–8. Pees M. 3.2 Ultraschalluntersuchung. In: Krautwald-Junghanns M-E, Pees M, Reese S, Tully T, Hrsg. Atlas der bildgebenden Diagnostik bei Heimtieren: Vögel - Kleinsäuger - Reptilien. Hannover: Schlütersche Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG; 2010. p. 334–53. Bucy DS, Sanchez-Migallon Guzman D, Zwingenberger AL. Ultrasonographic anatomy of bearded dragons (Pogona vitticeps). J Am Vet Med Assoc 2015; 246(8):868–76. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 317

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Heimtiere ___________________________________________________________________________________________________________ 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. Cojean O, Vergneau-Grosset C, Masseau I. Ultrasonographic anatomy of reproductive female leopard geckos (Eublepharis macularius). Vet Radiol Ultrasound 2018; 59(3):333–44. doi: 10.1111/vru.12599. Hochleithner C, Sharma A. Ultrasonography. In: Divers SJ, Stahl SJ, Hrsg. Mader's reptile and amphibian medicine and surgery. Third edition. St. Louis: Elsevier; 2019. p. 543–59. Silverman S. Diagnostic Imaging. In: Mader DR, Hrsg. Reptile medicine and surgery. 2nd ed. St. Louis, Mo.: Saunders Elsevier; 2006. p. 471–89. Pees M. Leitsymptome bei Reptilien: Diagnostischer Leitfaden und Therapie. 1. Aufl. Stuttgart: Enke; 2015. Aßmann M. Untersuchungen zum Urogenitaltrakt der Chamäleons (Chamaeleonidae) Anatomie und bildgebende Diagnostik; 2015. Pees M. 3.9 Harntakt. In: Krautwald-Junghanns M-E, Pees M, Reese S, Tully T, Hrsg. Atlas der bildgebenden Diagnostik bei Heimtieren: Vögel - Kleinsäuger - Reptilien. Hannover: Schlütersche Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG; 2010. p. 414–9. Hernandez-Divers SJ. Green iguana nephrology: A review of diagnostic techniques. Vet Clin Exot Anim 2003; 6:233– 50. Barten S, Simpson S. Lizard Taxonomy, Anatomy, and Physiology. In: Divers SJ, Stahl SJ, Hrsg. Mader's reptile and amphibian medicine and surgery. Third edition. St. Louis: Elsevier; 2019. p. 63–74. Divers SJ, Innis CJ. Urology. In: Divers SJ, Stahl SJ, Hrsg. Mader's reptile and amphibian medicine and surgery. Third edition. St. Louis: Elsevier; 2019. p. 624–48. Kontakt Nils Klützow; Klinik für Vögel und Reptilien – Universität Leipzig nils.kluetzow@vogelklinik.uni-leipzig.de 318 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Heimtiere ___________________________________________________________________________________________________________ Klinisch-chemische Parameter bei Nierenerkrankungen Gregor Geisler Laboklin GmbH & Co. KG, Bad Kissingen Nierenerkrankungen sind keine seltenen Fälle in der Reptilienpraxis und können mit schwerwiegenden gesundheitlichen Problemen einhergehen. Die Nieren spielen auch bei Reptilien eine entscheidende Rolle beim Ausscheiden von Abfallstoffen und der Regulation des Wasser- und Elektrolythaushalts. Die Diagnose dieser Erkrankungen kann aus verschiedenen Gründen eine besondere Herausforderung darstellen. Einerseits neigen Reptilien dazu, Symptome von Erkrankungen, auch von denen der Niere, erst spät in ihrem Verlauf zu zeigen. Dies bedeutet, dass die Erkrankung oft fortgeschritten ist, wenn sie erkannt wird. Gleichzeitig zeigen Reptilien oft unspezifische Symptome wie Appetitlosigkeit, Abgeschlagenheit und Gewichtsverlust, die auf verschiedene Gesundheitsprobleme hinweisen können. Zudem gibt es Tausende verschiedener Reptilienarten, die viele unterschiedliche physiologische Anpassungen an ihren Lebensraum aufweisen, weshalb es schwierig ist, allgemeingültige Diagnosekriterien für alle Reptilien zu erstellen. Der Nieren- und Harnapparat von Reptilien und Säugetieren weist einige bemerkenswerte Unterschiede in Bau und Funktion auf, die auf die jeweiligen Anpassungen an verschiedene Umweltbedingungen und Lebensweisen zurückzuführen sind. Einer der wichtigsten anatomischen Unterschiede ist das Fehlen der Henle-Schleife, was funktionell eine deutlich geringere Fähigkeit der Reptilien zur Harnkonzentration bedingt. Die glomeruläre Filtrationsrate und die Anzahl der Nephrone ist bei Reptilien ebenfalls deutlich geringer und sie weisen kein Nierenbecken auf. Auch in Bezug auf Existenz und Struktur der Harnblase gibt es große Unterschiede zwischen den einzelnen Reptiliengruppen. Während Schildkröten und viele Echsen fast immer eine Harnblase aufweisen, fehlt sie bei Schlangen und Krokodilen. Bei diesen münden die Ureteren direkt ins Urodeum (1). Harnsäure & Harnstoff Der wichtigste Unterschied mit Hinblick auf die Bedeutung klinisch-chemischer Untersuchungen besteht in den Endprodukten des Proteinstoffwechsels. Während Säugetiere hauptsächlich Harnstoff produzieren und ausscheiden, produzieren die meisten Reptilien hauptsächlich Harnsäure. Harnsäure ist weniger wasserlöslich als Harnstoff und erfordert weniger Wasser für die Ausscheidung. Dies ist vorteilhaft für Reptilien, die oft in wasserarmen Umgebungen leben, z.B. die häufig gehaltenen mediterranen Landschildkröten der Gattung Testudo (2). Der Harnsäurewert kann als derzeit wichtigster Parameter für die Nierendiagnostik bei Reptilien angesehen werden. Er wird allerdings von einer Anzahl von Faktoren beeinflusst, die bei der Interpretation berücksichtigt werden müssen. 1. Artspezifische Unterschiede Die physiologischen Harnsäurewerte schwanken zwischen den jeweiligen Reptilienspezies und sind stark von deren Ernährung abhängig. Carnivore Arten haben mit ihrer stickstoffreicheren Ernährung im Allgemeinen höhere Harnsäurewerte. Der Artenvielfalt kann hier am ehesten über das Aufstellen artspezifischer Referenzintervalle begegnet werden. Viele Reptilienarten, die in wasserreicher Umgebung leben, können Harnstoff oder Ammoniak als Endprodukt des Stickstoffabbaus produzieren, da sie weniger strenge Anforderungen an die Wassereinsparung haben. Dies gilt z.B. für viele Wasserschildkröten und Krokodile, die eine ähnliche Plasmaosmolarität wie die Hausäugetiere aufweisen. Bei diesen Arten ist der Harnstoffspiegel aussagekräftiger für die Nierenfunktion. 2. Saisonale Unterschiede Von einigen Spezies, z.B. Griechischen Landschildkröten (Testudo hermanni) ist bekannt, dass sie im Frühjahr, nach der Winterruhe, im Vergleich zu späteren Zeitpunkten im Jahr höhere Harnsäurewerte haben (3). Dies hängt mit der während dieser Periode reduzierten Stoffwechselleistung zusammen, die mit reduzierter bis vollständig sistierender Ausscheidung einhergeht. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 319

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Heimtiere ___________________________________________________________________________________________________________ Präanalytik 3. Lymphkontamination kann zu falsch niedrigen Messwerten führen. Postprandial kann der Harnsäurewert, v. A. bei carnivoren Reptilien, stark erhöht sein. Dies kann z.B. bei Schlangen zu einem Anstieg auf bis zu 1500 mmol/l führen, ein Wert solcher Größenordnungen wird auch bei Tieren mit manifester Gichterkrankung gemessen. Auch Dehydration führt zu erhöhten Werten. Kalzium & Phosphat Kalzium und Phosphat werden gelegentlich zur Beurteilung der Nierenfunktion betrachtet. Beide Elektrolyte unterliegen allerdings einem starken geschlechtsspezifischen und saisonabhängigen Einfluss und werden gleichzeitig stark durch die Ernährung beeinflusst, sodass sie immer im Kontext der anderen klinischen Informationen betrachtet werden müssen. Hyperphosphatämie für verschiedene Reptilien mit Nierenfunktionsstörungen beschrieben worden (z.B. Leguane). Das Ca/P-Verhältnis wird gelegentlich als möglicher Parameter für die Nierenfunktion genannt, häufig zeigen allerdings Schildkröten mit stark erhöhtem Harnsäurespiegel ein normales Ca/P-Verhältnis von > 1. ist Andere Parameter Kreatinin spielt bei Reptilien keine Rolle in der Diagnostik. Es wird von den Nierentubuluszellen weder aktiv sezerniert noch reabsorbiert. SDMA als möglicher Nierenparameter wurde bei Europäischen Landschildkröten untersucht. Es ist zwar bei Schildkröten vorhanden und messbar, seine Aussagekraft für die Nierenfunktion ist unbekannt, da Studien und Fallberichte zum SDMA-Spiegel bei nierenkranken Tieren bis jetzt fehlen (4). Ein Anstieg von Harnstoff- und Harnsäurewerten kann mit verschieden Erkrankungen der Niere assoziiert sein und kann z.B. bei Sepsis, Nephrokalzinose oder Schädigung der Niere durch nephrotoxische Substanzen auftreten. Ein Anstieg der Harnsäure tritt erst sehr spät auf, der Schädigungsgrad liegt dann häufig schon bei 2/3 des Nierengewebes. Zusammenfassend muss festgehalten werden, dass blutchemische Untersuchungen zur Nierengesundheit von Reptilien immer im Kontext der Ergebnisse anderer diagnostischer Methoden, wie bildgebender Verfahren und Erregerdiagnostik, betrachtet werden müssen. Harnsäure ist dabei weiterhin der wichtigste Parameter. Es gilt bei der Interpretation des Harnsäurespiegels die genannten Einflussfaktoren mit einzubeziehen. Eine optimierte Haltung und Ernährung der Reptilien ist die essentielle Prophylaxe, um Nierenerkrankungen bei Reptilien vorzubeugen. Literatur 1. Meyer J, McArthur S, Innis C. Chapter 3 Anatomy and Physiology. In: McArthur S, Wilkinson R, Meyer J, Hrsg. Medicine and surgery of tortoises and turtles. Oxford: Blackwell; 2004: 35–72 2. Campbell TW. Chaper 28 - Clinical pathology of reptiles. In: Mader DR, Hrsg. Reptile medicine and surgery. 2. Aufl. St. Louis, 3. 4. Mo.: Saunders Elsevier; 2006 Leineweber C, Stöhr AC, Öfner S et al. Changes in plasma chemistry parameters in Hermann's tortoises (Testudo hermanni) influenced by season and sex. J Herpetol Med Surg 2019; 29: 113 Lehmann V, Altherr B, Pantchev N et al. Symmetrical dimethylarginine as a diagnostic parameter in Hermann's tortoises (Testudo hermanni). Frontiers Vet Sci 2022; 9: 824748 Kontakt Gregor Geisler; Laboklin GmbH & Co. KG, Bad Kissingen geisler@laboklin.com 320 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Heimtiere ___________________________________________________________________________________________________________ Nicht jede Diagnostik hilft: Typische Beispiele von Fehlinterpretationen bei Reptilien Michael Pees, Johannes Hetterich Klinik für Heimtiere, Reptilien und Vögel, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover In den letzten Jahren ist das diagnostisch nutzbare Panel bei Reptilien stetig erweitert worden und es steht nun eine breite Palette an bildgebenden und auch labordiagnostischen Untersuchungen zur Verfügung. Damit einhergehen aber auch Probleme bei der Interpretation und den Schlussfolgerungen für die Therapie. Diese Interpretation ist bei Reptilien gleich aus mehreren Gründen herausfordernd. Zu diesen Gründen zählen • der Mangel an Referenzangaben in der Literatur und generellen wie persönlichen Erfahrungswerten • die großen anatomischen und physiologischen Unterschiede zwischen Spezies innerhalb der Klasse Reptilien • die haltungs- und fütterungsbedingten Begleiterkrankungen, die sich sowohl auf das klinische Bild als auch auf weitergehende diagnostische Befunde auswirken Der Vortrag zeigt anhand von Fallbeispielen typische und weniger typische Situationen, in denen das Ergebnis einer durchgeführten Diagnostik zumindest falsch interpretiert werden kann. Neben dem Erfahrungsgewinn aus diesen Situationen zeigen diese Beispiele auch, dass es bei Reptilien notwendig sein kann, ein Problem aus mehreren Richtungen zu betrachten, und die im Gesamtzusammenhang mit dem klinischen Bild sowie sämtlichen verfügbaren Begleitbefunden erfolgen sollte. Interpretation immer Die Fallbeispiele greifen insbesondere auf: röntgenologische und sonographische Darstellungen Interpretation von blutchemischen Parametern • • • Beispiele zur Lungen-, Magen-Darm- und Urogenitaltraktdiagnostik Kontakt Prof. Dr. Michael Pees, Klinik für Heimtiere, Reptilien und Vögel, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover, Bünteweg 9, 30559 Hannover 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 321

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Wild- und Zootiere ___________________________________________________________________________________________________________ Zierfischsprechstunde – wie behandelt man Darmflagellaten und Co.? Sandra Lechleiter Fischcare Dr. Lechleiter, Neuenbürg Mit Inkrafttreten der EU-Verordnung für Tierarzneimittel (EU) 2019/6 und der Umsetzung in das deutsche Tierarzneimittelgesetz im Jahr 2022 haben sich bei der Behandlung kranker Zierfische einige schwerwiegende Veränderungen ergeben. Vor allem sind alle „antimikrobiell wirksamen“ Arzneimittel - also neben Antibiotika nun auch alle gegen Viren, Pilze und Protozoon (Einzeller) wirksamen Arzneimittel seitdem verschreibungspflichtig. Ihre Anwendung ist also nur noch nach einer Untersuchung und Verschreibung durch den Tierarzt erlaubt. (1) Es warten nun viele Millionen Aquarienfische auf eine Untersuchung und Behandlung durch einen Tierarzt. Gerade die Behandlung von Darmflagellaten ist durch die rechtlichen Veränderungen ein wichtiges Thema in der Zierfischsprechstunde. Abb. 1: Symptome des Flagellatenbefalls. Diskus mit „Lochkrakheit“ Inappetenz, veränderte Ausscheidungen („gallertiger, fädiger Kot“) und tiefe Einschmelzungen der Kopfknochen („Lochkrankheit“) sind die häufigsten Symptome, die jedoch nicht ausschließlich durch einen Befall mit Darmflagellaten entstehen. Die Tierbesitzer assoziieren sie jedoch mit dieser Diagnose und verlangen daher nach Medikamenten aus der Wirkstoffgruppe der Nitroimidazole, die ehemals frei verkäuflich waren („Flagellol“, „Hexamita“, „Spirohexol“, „Hexa-ex“ und andere) und sich jahrzehntelang bei der Anwendung in Aquarienwasser bewährt haben. (2) Der Tierarzt verfügt dagegen über die verschreibungspflichten Wirkstoffe Metronidazol, Dimetridazol und Ronidazol in verschiedenen nicht für Zierfische, aber für den Menschen und verschiedene Haustiere zugelassenen Präparaten. Sie oder er müssen sie für die Anwendung an Zierfischen umwidmen, da ein Therapienotstand besteht. (1) Der Nachweis von Darmflagellaten gelingt bei stark infizierten Tieren in einer Kotprobe, die möglichst schnell nach dem Absetzen nativ untersucht werden muss, in einem Darmspülpräparat und in einer Sektion nach Euthanasie schwerst erkrankter Tiere. (3) 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 323

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Wild- und Zootiere ___________________________________________________________________________________________________________ Abb. 2: Darmflagellaten im Nativpräparat 100 x Im Vortrag wird der Weg von der Untersuchung bis zur Diagnose und Behandlung vollzogen. Es werden Behandlungshinweise zu den verschiedenen Präparaten und den Herausforderungen der Behandlung von Aquarienfischen gegeben. In der Hoffnung, dass sich möglichst viele praktizierende Tierärzte der Behandlung dieser einfach zu diagnostizierenden Erkrankung von Aquarienfischen annehmen mögen. Literatur 1. www.vetidata.de 2. Köhler HW: Gesundheitsprobleme bei Diskusfischen, Diskusbrief Verlag; 2003. S. 191-202 3. Wildgoose HW ed.: BSAVA Manual of Ornamental Fish, second edition; 2001. S. 93-94 Kontakt Fischcare Dr. med. vet. Sandra Lechleiter, Fachtierarzt für Fische. sandra-lechleiter@fischcare.de 324 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Wild- und Zootiere ___________________________________________________________________________________________________________ Amöbeninfektion bei Regenbogenforellen mit Ausblick auf Therapiemöglichkeiten Stefania M. Vannetti1,5 James W. Wynne2, Chloe English3, Christine Huynh4, Ralph Knüsel5, Carolina de Sales Ribeiro1, Maro Widmer6, Gary Delalay1, Heike Schmidt-Posthaus1 1Institut für Fisch- und Wildtiergesundheit, Department für Infektiöse Erkrankungen und Pathobiologie, Vetsuisse Fakultät, Universität Bern, Schweiz; 2CSIRO Agriculture and Food, Tasmanien, Australien; 3The University of Queensland, School of Biological Sciences, Brisbane, Australien; 4Nautilus collaboration, Lucaston, Australien; 5Fishdoc GmbH, Rain, Schweiz; 6Interfaculty Bioinformatics Unit and SIB Swiss Institute of Bioinformatics, Universität Bern, Schweiz (NGD) diagnostiziert. NGD Seit 2017 häufen sich in Schweizer Fischzuchten Fälle von Regenbogenforellen mit Atemnot und hoher Sterblichkeit. Mittels Histopathologie wurde am Institut für Fisch- und Wildtiergesundheit (FIWI) die Ursache als Nodular Gill Disease ist eine weltweit verbreitete Krankheit, die Süsswassersalmoniden befällt. Die Symptome sind eine Wucherung des Kiemenepithels, vermehrte Schleimbildung mit daraus resultierenden Atemproblemen und hoher Sterblichkeit. Die Ursache von NGD sind Amöben. In verschiedenen Ländern wurden unterschiedliche Amöben-Spezies gefunden. Auch andere Erreger können bei der Entstehung der Krankheit eine Rolle spielen. Die Sterblichkeitsrate kann bis zu 50 % betragen, wenn keine Therapie erfolgt. Die beste Behandlung ist noch unbekannt, Salz und Formalin haben eine gewisse Wirksamkeit. In dieser Studie wurden Kiemenproben von Regenbogenforellen aus verschiedenen Schweizer Fischzuchten analysiert. Es wurde ein Kiemen-Score (GS) entwickelt, der die makroskopisch sichtbaren Veränderungen, wie Schleimmenge und Kiemenproliferation, in 6 Klassen einteilt. Dies ist ein erstes Instrument für eine klinische Diagnose der Krankheit. In unserer Studie wiesen mit Amöben infizierte Kiemen eine mässige bis schwere Epithelhyperplasie mit Lamellenfusion und Plattenepithelmetaplasie auf, von der hauptsächlich die distalen Spitzen der Filamente betroffen waren. Multifokal bildeten verschmolzene Lamellen zystische Leerräume (Pseudozysten). In dieser Studie wurden Kulturen aus Kiemenabstrichen angelegt. Die verschiedenen Amöbenspezies können morphologisch identifiziert werden, allerdings sind sie sich teilweise sehr ähnlich. Am FIWI wurde die Kultur als Diagnostikmittel etabliert. Aus den Amöbenkulturen wurde DNA extrahiert und eine PCR mit universellen eukaryotischen Primern durchgeführt. Zwei Amöbenarten konnten durch Sanger-Sequenzierung identifiziert werden: Cochliopodium sp. und Naegleria sp. Spezifische Primer für diese beiden Amöbenarten wurden entwickelt. Um weitere Amöbenspezies in den Kulturen zu identifizieren, wurde Next Generation Sequencing (NGS) durchgeführt. Insgesamt wurden sechs Amöben sequenziert: Cochliopodium sp., Naegleria sp., Vannella sp., Ripella sp., Saccamoeba sp. und Mycamoeba sp. Diese Sequenzen konnten mit dem morphologischen Erscheinungsbild der Amöben in Verbindung gebracht werden. Ein siebter Amöbenstamm war in den Kulturen vorhanden, aber es wurde keine Sequenz gefunden. Basierend auf den NGS Daten wurde ein phylogenetischer Baum erstellt (Figur 1). 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 325

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Wild- und Zootiere ___________________________________________________________________________________________________________ Figur 1 Phylogenetischer Baum basierend auf den 18s-Sequenzen. Es ist immer noch unklar, welcher Amöbenstamm hauptsächlich für die Auslösung der Krankheit verantwortlich ist, oder ob andere Erreger die primäre Schädigung verursachen. Zur Beantwortung dieser Fragen sind weitere Studien erforderlich. In einem zweiten Schritt wurden Proben vor und nach verschiedenen Therapieversuchen entnommen. Die Forellen wurden mit Salz und Formalin in verschiedenen Konzentrationen, Zeitabständen und -dauer behandelt. Die entnommenen Kiementupfer wurden anschliessend mittels qPCR analysiert, um die Präsenz der Amöben auf den Kiemen zu bestimmen und die Menge abzuschätzen. Diese Untersuchungen sind noch im Gange. Kontakt Stefania M. Vannetti; Institut für Fisch- und Wildtiergesundheit, Department für Infektiöse Erkrankungen und Pathobiologie, Vetsuisse Fakultät, Universität Bern, Schweiz 326 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Wild- und Zootiere ___________________________________________________________________________________________________________ Perch Rhabdovirus (PRV) und andere (bisher unbekannte) Viren in der Barsch- Aquakultur Heike Schmidt-Posthaus1, Torsten Seuberlich2, Nicolas Diserens1 1Institut für Fisch- und Wildtiergesundheit, Departement für Infektionskrankheiten und Pathobiologie, Vetsuisse-Fakultät, Universität Bern, Bern, Schweiz; 2Abteilung Neurologische Wissenschaften, Department of Clinical Research and Veterinary Public Health, Vetsuisse-Fakultät, Universität Bern, Bern, Schweiz Einleitung Barschartige, insbesondere der Europäische Flussbarsch (Perca fluviatilis) wird zunehmend in der Schweiz und auch europaweit in Aquakulturen gehalten, da die Nachfrage der Konsumenten stark steigt. Jedoch sind die Kenntnisse zu Infektionskrankheiten und deren Bedeutung für die Fischgesundheit immer noch sehr beschränkt. Vor allem virale Erkrankungen sind weitgehend unbekannt, wobei insbesondere Virusinfektionen oft zu hohen Verlusten in der Aquakultur führen (Pallandre et al. 2022). Bei Barschen beschränkten sich Untersuchungen bisher v.a. auf Rhabdoviren, weitere Viren sind hingegen nicht näher beschrieben. Dies stellt für die Barsch-Aquakultur ein unkalkulierbares Risiko verheerender Epizootien dar und ist auch eine potenzielle Gefahr für den Verbraucher, wenn das zoonotische Potenzial noch unbekannt ist. Perch Rhabdovirus (PRV) kann zu hohen Verlusten in Flussbarschen und Zandern (Sander lucioperca) führen, von denen v.a. die Larven und juvenile Stadien betroffen sind. Typische klinische Zeichen sind spiralige Schwimmbewegungen und im weiteren Verlauf der Infektion Kachexie durch Auszehrung. Gefördert durch intensiven Fischhandel zirkulieren aktuell verschiedene Varianten des PRV in europäischen Barschfarmen. PRV wird zu den Perhabdoviren gezählt. Das Perhabdovirus Genom besteht aus einem RNA-Einzelstrang negativer Polarität, welches für verschiedene Proteine kodiert. Unterschiede im Nukleoprotein (N)- und Phosphoprotein (P)-Gen werden für die Differenzierung verschiedener PRV Isolate und der Bestimmung des Verwandtschaftsgrades verwendet (Bigarré et al. 2017). Wir beschreiben hier PRV Infektionen bei Zandern und Flussbarschen in verschiedenen grossen Schweizer Aquakulturbetrieben. Der Verwandtschaftsgrad der nachgewiesenen Rhabdoviren wird verglichen. Um der Frage nach weiteren klinisch relevanten Viren nachzugehen, wurden klinisch auffällige Barsche einer grösseren Fischfarm mittels Metatranskriptomik untersucht. Histologie und in-situ Hybridisierung wurden durchgeführt, um assoziierte Organläsionen nachzuweisen. Innere Organe und das zentrale Nervensystem (ZNS) wurden auf Zellkulturen kultiviert, um die Virusreplikation nachzuweisen. Material und Methoden Alle Tiere wurden pathologisch untersucht sowie mittels konventioneller RT-PCR (Bigarré et al. 2017) und anschliessender Sequenzierung auf das Vorhandensein von PRV-RNA getestet. Als Grundlage für die phylogenetische Analyse wurde eine 484 bp lange Sequenz des N-Gens verwendet. Bei den klinisch auffälligen Flussbarschen wurde das Zentrale Nervensystem insbesondere das Gehirn, zusätzlich histopathologisch untersucht. (ZNS), 2017 wurden klinisch auffällige Europäische Barsche auf das Vorkommen von relevanten Viren untersucht. Aus dem Gehirn und den inneren Organen (Kiemen, Milz, Leber, Niere) wurde RNA extrahiert und mittels Next Generation Sequencing (NGS) auf Virus RNA getestet. Weiter wurde ZNS-Material auf Bluegill (Lepomis macrochirus) fry Zellen (BF-2) und Fathead minnow (Pimephales promelas) epithelioma papulosum cyprini (EPC) Zellen inkubiert. Schliesslich wurde Organgewebe (Kiemen und Leber) mittels in-situ Hybridisierung auf die Präsenz von Hantavirus RNA untersucht. Ergebnisse Perch Rhabdovirus Die PRV Infektionen in Zandern und Europäischen Flussbarschen zeigten unterschiedliche klinische Symptome. Teilweise (häufiger bei Zandern) zeigten die Tiere wenig oder keine Symptome und eine geringe 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 327

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Wild- und Zootiere ___________________________________________________________________________________________________________ Mortalität. Im Gegensatz dazu gab es auch Fälle (häufiger bei Europäischen Flussbarschen) mit starken klinischen Symptomen, wie Kreisschwimmen und hoher Mortalität. In allen hier präsentierten Einsendungen (Zander und Flussbarsche) konnte PRV-RNA nachgewiesen werden. Die PRV, die aus den Zandern isoliert wurden, zeigten einen hohen Verwandtschaftsgrad, ebenso wie die Viren aus den Flussbarschen (Abb. 1). Abb. 1: Phylogenetische Beziehungen zwischen den seit 2018 in der Schweiz isolierten Barsch-Rhabdoviren (PRV). Die Maximum-Likelihood-Methode (1000 Wiederholungen) wurde für Teilsequenzen des N-Gens verwendet. Die vom Zander isolierten Viren bilden ein gemeinsames Cluster (blauer Kasten), während die vom Flussbarsch isolierten Viren ein zweites Cluster bilden (violetter Kasten). Ein drittes Cluster umfasst zwei von Wildfischen isolierte Viren (gelber Kasten). Das Sternchen kennzeichnet ein Isolat, das in Zandern innerhalb des Clusters des europäischen Barsches nachgewiesen wurde. In der histopathologischen Untersuchung der Flussbarsche wurde eine Meningitis und eine Enzephalitis diagnostiziert (Abb. 2). Abb. 2: Gehirn eines Flussbarsches, im Hirnstamm (grün eingekreister Bereich) perivaskuläre Manschetten mit v.a. Lymphozyten (Pfeilköpfe), Meningen sind erweitert mit v.a. Lymphozyten (Pfeil) Andere relevante Viren 2017 zeigten Flussbarschen aus einer Schweizer Aquakultur abnormales Schwimmverhalten und eine erhöhte Mortalität. Interessanterweise konnte genetisches Material verschiedener Viren nachgewiesen werden. Es wurden verschiedene neue Süsswasser- Filoviren, ein neues Süsswasser- Hantavirus und ein bisher unbekanntes Rhabdovirus gefunden (Abb. 3) (Hierweger et al. 2021). 328 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Wild- und Zootiere ___________________________________________________________________________________________________________ Abb. 3: Aus Europäischen Flussbarschen (Perca fluviatilis) in der Aquakultur wurden neue Süßwasserfisch-Filoviren (Fiwi Virus, Oberland Virus, Kander Virus), ein neues Süßwasserfisch-Hantavirus (Bern perch Virus) und ein bisher unbekanntes Rhabdovirus (Egli Virus) nachgewiesen (Hierweger et al. 2021). Das Hantavirus war in grösserer Menge im Organmaterial vorhanden und das Virus konnte in Makrophagen und Kiemenendothelzellen mittels in-situ Hybridisierung nachgewiesen werden (Abb. 4). Die Rhabdovirus-Titer in den Organproben, einschließlich ZNS, waren niedrig, aber das Virus konnte in Zellkulturen isoliert werden. Die Filovirus-Konzentrationen waren ebenfalls niedrig. Abb. 4: Histopathologie der Kiemen in Europäischen Flussbarschen und virale RNA in Barschen infiziert mit Bern perch Virus. A) Histopathologie der Kiemen (H&E Färbung), mit Epithelhypertrophie und –hyperplasie, multifokal mit Lamellenfusion (Stern) und Epithelablösung aufgrund eines Ödems (Pfeilkopf). Bar = 25 μm. B) In-situ Hybridisierung, RNA des Bern perch Virus in den Kiemen (braune Färbung): positive Makrophagen, v.a. in proliferierten Bereichen; Insert: höhere Vergrösserung, positiv angefärbte Makrophagen (offene Pfeilköpfe) und Endothelzellen (Pfeile). Bar = 50 μm. Diskussion Diese Studie zeigt, dass PRV in der Perziden Aquakultur stärker verbreitet ist, als bisher angenommen (Pallandre et al. 2022). Die untersuchten Zander dieser Studie zeigten häufig geringere klinische Symptome als die Flussbarsche. Das Virus war jedoch auch in diesen klinisch grösstenteils unauffälligen Fischen nachweisbar. Die Mechanismen der Pathogenität in den verschiedenen Fischarten sind noch weitgehend unbekannt. Die hier detektierten Viren in den Zandern gruppieren phylogenetisch zusammen mit früher gefundenen PRV in Zandern. Auch die Viren aus den Flussbarschen sind mit anderen Isolaten aus Flussbarschen verwandt. Jedoch sind alle hier dokumentierten Viren stark unterschiedlich zum ersten in 2013 in der Schweiz isolierten PRV sowie dem nachgewiesenen Egli Virus (Wahli et al. 2015). Dies deutet darauf hin, dass die Viren eher in 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 329

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Wild- und Zootiere ___________________________________________________________________________________________________________ den verschiedenen Fischpopulationen zirkulieren und ein Austausch selten ist. Systematische phylogenetische Studien werden in Zukunft helfen, mehr Informationen zur Epidemiologie der Viren zu erhalten und somit Kontrollmechanismen, die die weitere Ausbreitung von Viren verhindern sollen, zu optimieren. Die Ergebnisse der Metatranskriptomik Studie bei klinisch erkrankten Flussbarschen zeigen das Vorhandensein weiterer, bisher unbekannter, Viren als Fisch-Krankheitserreger oder -Kommensalen und deuten auf eine deutlich grössere Verbreitung dieser Viren hin, als bisher angenommen (Hierweger et al. 2021). Unsere Daten untermauern die Hypothese, dass Filoviren, Hantaviren und Rhabdoviren weltweit verbreitet sind. Unsere Ergebnisse werfen ein neues Licht auf die Vielfalt und Evolution von RNA-Viren. Ob und inwieweit diese Viren an der Krankheitsentwicklung beteiligt sind, muss noch abgeklärt werden. Die hohen Hantavirus-Titer und der Nachweis der Virus RNA im geschädigten Gewebe deuten jedoch auf eine Beteiligung in der Krankheitsentwicklung hin. Im Gegensatz dazu war die Konzentration des Rhabdovirus eher klein und es konnte keine RNA mittels in-situ Hybridisierung nachgewiesen werden. Literatur 1. 2. 3. 4. Bigarré, L., Plassiart, G., De Boisseson, C., Pallandre, L., Pozet, F., Ledore, Y., Fontaine, P., Lieffrig, F. (2017) Molecular investigations 279 of outbreaks of Perch perhabdovirus infections in pike-perch. Diseases of Aquatic Organisms, 127, 19-27. Hierweger, M. M., Koch, M. C., Rupp, M., Maes, P., Di Paola, N., Bruggmann, R., Kuhn, J. H., Schmidt-Posthaus, H.*, T. Seuberlich* (*equal contribution) (2021) Novel Filoviruses, Hantavirus, and Rhabdovirus in Freshwater Fish, Switzerland, 2017. Emerging Infectious Diseases, 27(12): 3082–3091 Pallandre, L., Schmidt-Posthaus, H., Pozet, F., Rupp, M., Cristina, E., Bigarré, L. (2022) Further spread of perch rhabdovirus on European percid farms. Journal of Fish Diseases, 45(12): 1831-1837 Wahli, T., Bellec, L., Von Siebenthal, K., Cabon, J., Schmidt-Posthaus, H., Morin, T. (2015) First isolation of a rhabdovirus from perch Perca fluviatilis in Switzerland. Diseases of Aquatic Organisms, 116(2): 93-101 Kontakt Prof. Dr. Heike Schmidt-Posthaus; Institut für Fisch- und Wildtiergesundheit, Departement für Infektionskrankheiten und Pathobiologie, Vetsuisse-Fakultät, Universität Bern, Bern, Schweiz 330 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Wild- und Zootiere ___________________________________________________________________________________________________________ Nitrit – Neues und Altes neu betrachtet zu einem der wichtigsten Wasserparameter bei der Zierfischhaltung Stefan Karl Hetz Zentralverband Zoologischer Fachbetriebe (ZZF), Wiesbaden Einleitung Nitrit spielt im Stoffwechselgeschehen von Wirbeltieren eine wichtige Rolle. Das Nitrition (NO2 -), Ion der salpetrigen Säure (HNO2) liegt bei physiologischem pH im Blutplasma von Wirbeltieren dissoziiert vor (pK 3.3). Nitrit wird mit der Nahrung oder Trinkwasser aufgenommen, direkt oder als Reduktionsprodukt von Nitrat (NO3 - steht mit Stickstoffmonoxid (NO), einem Signalmolekül für die Steuerung der -). Aufgenommenes NO2 Durchblutung, in Verbindung. Aus diesem kann es unter bestimmten Bedingungen entstehen (1). Bekannt ist Nitrit auch als Pökelsalz oder als Grund für die in früheren Jahren verbreitete Einschränkung der Sauerstoffaufnahme bei Kleinkindern („Blausucht“). Einer der wichtigen Reaktionen von NO2 - ist die Oxidation des zweiwertigen Eisenatoms (Fe2+) im Hämoglobin (Hb) zu Fe3+, welches als Methämoglobin (Met-Hb) keinen Sauerstoff mehr binden kann. Normalerweise findet sich Nitrit bei Säugern nur in sehr geringen Konzentrationen (0.1 bis 0.6 µmol/L) (2). Bei Süßwasserfischen wurden höhere Konzentrationen (~10 µmol/L) festgestellt (1), die auf eine weitere Quelle hinweisen. Nitrit kann in aquatischen Umgebungen in hohen Konzentrationen bis zu 1000 µmol/L auftreten (3). Es wird vor allem durch die Nitrifikation gebildet (4). Da NO2 - toxisch ist, sollte die Konzentration im Wasser immer möglichst gering sein, max. 0.2 bis 0.5 mg/L an (5). Niedrige Konzentrationen sind in der Fischhaltung besonders vor dem Hintergrund der Aufnahmemechanismen von Nitrit von Bedeutung. Unbelastete natürliche Gewässer zeigen typischerweise Nitrit-Konzentrationen unter 1 µmol/L bzw. 0.05 mg/L (6). Nitritaufnahme Die Nitritaufnahme durch Fische wurde lange Zeit kontrovers diskutiert. Messungen zeigten, dass Nitritkonzentrationen im Blut teilweise um den Faktor 60 über der Konzentration des Umgebungswassers liegen konnten (7). Deshalb wurde bereits in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts die Vermutung geäußert, dass die Nitritaufnahme aktiv über die Kiemen erfolgt. Im Aquakulturbereich wurde hingegen die Ansicht vertreten, dass vor allem die undissoziierte salpetrige Säure diffusiv aufgenommen wurde. Passive oder aktive Aufnahme? Beide Hypothesen hatten zunächst ihre Berechtigung. Obwohl Konzentrationen an HNO2 in Wasser mit einem pH zwischen 6 und 8 sehr niedrig sind (pK 3.3) und selbst kritische Nitritkonzentrationen nur im µmolaren Bereich liegen, hätte salpetrige Säure über einen Ionenfallenmechanismus aufgenommen werden können (8). Dabei würde im Blut HNO2 zu NO2 - dissoziieren und so lange nachdiffundieren, bis sich ein pH-abhängiges Gleichgewicht eingestellt hätte und die Nitritkonzentration konstant bliebe. Zudem sollte die Zunahme der Nitritkonzentration im Blut mit steigender Konzentration langsamer erfolgen und sich der Sättigung nähern. Beides konnte nicht bestätigt werden. Die Beobachtung, dass die Nitritaufnahme bei Anwesenheit von Chlorid (Cl-) gehemmt wurde (6, 9-11), führte schließlich zu der heute allgemein akzeptierten Ansicht, dass Nitrit über einen Chlorid/Hydrogencarbonat- Austauschmechanismus in den Kiemen aktiv aufgenommen wird. verknüpft (12). Für Die Nitritaufnahme ist somit eng mit der Aufnahme von Cl-, einem der wichtigsten Ionen im Blutplasma von Fischen (13). Austauschmechanismen über die Fischkiemen folgen einer klassischen Michaelis-Menten-Kinetik. Km beschreibt die Affinität zu Chlorid. Geringe Werte deuten auf hohe Affinitäten, Fische können Cl- aus sehr verdünnten Lösungen aufnehmen. Jmax ist ein Maß für die Aufnahmerate, also wie schnell Nitrit- Ionen sich im Blutplasma anreichern lassen. Km für die Chloridaufnahme von Forellen wurde mit 159 µmol/L angegeben, Jmax die Chlorid-Aufnahme umfangreiche existiert Literatur 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 331

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Wild- und Zootiere ___________________________________________________________________________________________________________ in der gleichen Arbeit mit 368 nmol/g h (14). Für Barsche lagen die Werte in der gleichen Arbeit bei 333 µmol/L bzw. 429 nmol/g h. Für die Nitritaufnahme bei Forellen liegen Km und Jmax bei 198 µmol/L bzw. 281 nmol/g h (11). Fische mit niedrigem Km und hohem Jmax werden sich also bereits bei niedrigen Nitrit-Konzentrationen relativ schnell vergiften. Durch Akklimatisation an sehr ionenarme Gewässer können Fische ihre Ionenaufnahme anpassen und dann ggf. niedrigere Km und höhere Jmax aufweisen, die mit einer erhöhten Empfindlichkeit gegenüber Nitrit einhergehen. Die Letalität hängt somit auch von der Dauer der Einwirkung ab, was sich bei den Angaben von Einwirkzeiten, z.B. auf 24, 48 oder 96 h, zeigt (3). Bedeutung für die Fischhaltung Aus den oben aufgeführten Erkenntnissen lässt sich ableiten, weshalb Fische unterschiedliche empfindlich auf Nitrit reagieren. Für eine tiergerechte Fischhaltung hat diese Erkenntnis mehrere wichtige Bedeutungen: Geringe Nitrit-Konzentration Schon niedrige Nitrit-Konzentrationen können potenziell schädlich sein, da Nitrit aktiv aufgenommen wird. Die Nitritkonzentration sollte deshalb stets niedrig sein, am besten „im gelben Bereich“ (<0.1 mg/L) gängiger Tests. Chlorid-Konzentration Anwesenheit von Cl- im Wasser kann die Aufnahme von Nitrit beeinflussen. Die Chlorid-Konzentration sollte für eine kompetitive Hemmung ein bis zwei Größenordnungen über der maximalen Nitritkonzentration liegen (15). In deutschen Leitungswässern liegt die Chlorid- Konzentration nach eigenen Recherchen größtenteils zwischen 200 und 2500 µmol/L, ausreichend hoch, um bei sehr niedrigen Nitrit- Konzentrationen die Aufnahme kompetitiv zu hemmen. Artspezifische Empfindlichkeit Aquarienfische reagieren unterschiedlich auf Chlorid- und Nitrit-Konzentrationen im Umgebungswasser. Zum Teil können diese Unterschiede darauf zurückgeführt werden, zu welchen taxonomischen Gruppen diese Arten gehören und ob diese als primäre oder sekundäre Süßwasserfische gelten (16-18). Akklimatisation beachten Akklimatisation kann die Empfindlichkeit verändern. Seen des ostafrikanischen Grabenbruchs weisen Chlorid-Konzentrationen zwischen 120 (Malawisee) und 700 µmol/L (Tanganyikasee) auf. Chlorid- Konzentrationen in amazonischen Gewässern liegen bei ungefähr 50 µmol/L oder darunter. An niedrige Konzentrationen akklimatisierte Zebrabärblinge zeigen einen extrem niedrigen Km von 8 µmol/L während in ionenreichem Wasser gehaltene Fische einen höheren Km von 34 µmol/L zeigten (12). An bestimmte Wasserparameter akklimatisierte Fische zeigen beim Umsetzen möglicherweise veränderte Empfindlichkeiten gegenüber Nitrit. Weitere Wasserparameter Viele Wasserparameter wie Temperatur, pH, Karbonat- und Gesamthärte, Sauerstoffkonzentration, Redoxpotenzial, Wasserwechselraten und Flussrate in Filtersystemen bestimmen auf direktem oder indirektem Weg die Effizienz der Nitrifikation in einem Haltungssystem für Fische und damit die auftretenden Nitritkonzentrationen. Ausblick Obigen Ausführungen zeigen, dass die Zusammenhänge zwischen der Empfindlichkeit verschiedener Fische auf Nitrit, dem Auftreten einer eindeutigen Nitritvergiftung und einer dabei gemessenen Nitritkonzentration nicht trivial sind. Die teilweise sehr hohen Angaben nichttoxischer Nitritkonzentrationen 332 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Wild- und Zootiere ___________________________________________________________________________________________________________ könnten auf Kombinationen bestimmter Umgebungsfaktoren zurückzuführen sein. Verlassen sollte man sich jedoch nicht darauf. Literatur 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. Jensen FB. The role of nitrite in nitric oxide homeostasis: A comparative perspective. Biochim Biophys Acta 2009;1787(7):841–8. Kleinbongard P, Dejam A, Lauer T, Rassaf T, Schindler A, Picker O et al. Plasma nitrite reflects constitutive nitric oxide synthase activity in mammals. Free Radical Biology and Medicine 2003;35(7):790–6. Kroupova H, Machova J, Svobodova Z. Nitrite influence on fish: a review. Vet Med 2005;50(11):461–71. Kühl H, Mann H. Über den Stickstoffkreislauf im Aquarium. Aquar Terr Zeitschr 1956;9(4):99–102. Geisler R. Wasserkunde für die aquaristische Praxis. 3. Aufl. Stuttgart: Alfred Kernen Verlag; 1964. Jensen FB. Nitrite disrupts multiple physiological functions in aquatic animals. Comp Biochem Physiol A 2003;135(1):9–24. Margiocco C, Arillo A, Mensi P, Schenone G. Nitrite bioaccumulation in Salmo gairdneri rich. and hematological consequences. Aquatic Toxicology 1983;3(3):261–70. Lewis WM, Jr., Morris DP. Toxicity of Nitrite to Fish: A Review. Trans. Am. Fish. Soc. 1986;115(2):183–95. Eddy FB, Kunzlik PA, Bath RN. Uptake and loss of nitrite from the blood of rainbow trout, Salmo gairdneri Richardson, and Atlantic salmon, Salmo salar L. in fresh water and in dilute sea water. J. Fish Biol. 1983;23(1):105–16. Boudreaux PJ, Ferrara AM, Fontenot QC. Chloride inhibition of nitrite uptake for non-teleost Actinopterygiian fishes. Comp Biochem Physiol A 2007;147(2):420–3. Bath RN, Eddy FB. Transport of nitrite across fish gills. Journal of Experimental Zoology 1980;214(1):119–21. Boisen AMZ, Amstrup J, Novak I, Grosell MH. Sodium and chloride transport in zebrafish soft water and hard water acclimated (Danio rerio). Biochim Biophys Acta 2003;1618(2):207–18. Tomasso JR, Grosell MH. Physiological basis for large differences in resistance to nitrite among freshwater and freshwater-acclimated euryhaline fishes. Environmental Science & Technology 2005;39(1):98–102. Williams EM, Eddy FB. Chloride uptake in freshwater teleosts and its relationship to nitrite uptake and toxicity. J. Comp. Physiol. B, Biochem. Syst. Environ. Physiol. 1986;156(6):867–72. Svobodova Z, Machova J, Poleszczuk G, Huda J, Hamackova J, Kroupova H. Nitrite poisoning of fish in aquaculture facilities with water-recirculating systems. Acta Vet Brno 2005;74(1):129–37. Gonzalez RJ, Cradeur A, Guinnip M, Mitchell A, Reduta V. South American characids share very similar ionoregulatory characteristics. Comp Biochem Physiol A 2018;226:17–21. Gonzalez RJ, Wilson RW, Wood CM, Patrick ML, Val AL. Diverse strategies for ion regulation in fish collected from the ion-poor, acidic Rio Negro. Phys. Biochem. Zool. 2002;75(1):37–47. Gonzalez RJ. Patterns of ion regulation in acidophilic fish native to the ion-poor, acidic Rio Negro. J. Fish Biol. 2001;58(6):1680–90. Kontakt Dr. Stefan Karl Hetz; Zentralverband Zoologischer Fachbetriebe (ZZF), Wiesbaden hetz@zzf.de 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 333

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Wild- und Zootiere ___________________________________________________________________________________________________________ Fallbeispiele zur Diagnostik und Prophylaxestrategien mittels bestandsspezifischer Impfstoffe bei Kois und Salmoniden Marcel Erhard1, Sarah Lechleiter2 & Falk Wortberg3 1RIPAC LABOR GmbH, Potsdam; 2Fischcare, Neuenbürg; 3Tierärztliche Praxis für Fische, Olpe Biggesee Infektionen beim Koi Bei der Haltung von Koikarpfen kommt es zu unterschiedlichsten Krankheiten. So verursachen z. B. Aeromonas oder Pseudomonas die Flossenfäule, Mycobacterium die Fischtuberkulose und die sogenannte Lochkrankheit oder Hautläsionen werden von verschiedensten Erregern ausgelöst. In Kooperation mit unterschiedlichen Fachtierärzten für Fische und unseren modernen Diagnostikmethoden konnten so unterschiedlichste Spezies nachgewiesen werden: Citrobacter freundii, Citrobacter gillenii, Morganella morganii, Serratia fonticola, Serratia marcescens, Escherichia coli, Hafnia alvei, Enterobacter spp., Buttiauxella agrestis, Cedecea davisae, Shewanella putrefaciens, Chryseobacterium spp. und Aeromonas spp.. Dabei scheinen als primäre Auslöser der Hautinfektionen die Enterobacteriaceae relevant zu sein. In mehr als jeder zweiten Probe wird Citrobacter freundii, oftmals in Kombination mit anderen Erregern, nachgewiesen. Mittels der MALDI-TOF Massenspektrometrie und dem Aufbau einer eigenen, Fisch-spezifischen Referenzdatenbank, konnten ebenso z.B. die verwandte Spezies Citrobacter gillenii eindeutig nachgewiesen werden. Zur Bekämpfung der diagnostizierten Krankheiten beim Koi konnten in Zusammenarbeit mit den Tierärzten unterschiedliche Prophylaxestrategien mittels bestandsspezifischer Impfstoffe (BI) für die Bekämpfung dieser Krankheiten entwickelt und erfolgreich getestet werden. Bei den bestandsspezifischen Impfstoffen handelt es sich um Inaktivatsimpfstoffe, die immer aus den Infektionserregern, isoliert aus einem Bestand hergestellt werden, um sie dann im identischen Herkunftsbetrieb zu verabreichen. Im Vortrag werden typische positive, aber auch negative Fallbeispiele bei der Behandlung von Koi-Beständen dargestellt. Dabei kamen unterschiedliche unterschiedlichen Impfstoffzusammensetzung zum Einsatz. Applikationsmethoden wie Injektion Tauchbad und in Abb. 1: Verteilung der TOP 15 Spezies der Koi-Ioslate isoliert aus Hautläsionen 334 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Wild- und Zootiere ___________________________________________________________________________________________________________ Infektionen bei Salmoniden Ein weiterer Schwerpunkt in unserem Labor ist die Diagnose von klassischen Fischkrankheiten wie z. B. Furunkulose oder der Rotmaulseuche in Salmoniden-Beständen und anderen Nutzfischbeständen aus Süß- und Salzwasser. Dabei spielen neben Yersinia ruckeri und Aeromonas salmonicida auch weitere wichtige Pathogene eine wichtige Rolle. So konnten ebenso in Kooperation mit unterschiedlichsten Laboren und Fachtierärzten folgende Gattungen und Spezies nachgewiesen werden: Aeromonas dhakensis und Aeromonas bestiarum, Plesiomonas shigelloides Tenacibaculum mesophilum (bei Doraden) und unterschiedlichste Spezies von Shewanella, Flavobacterium, Photobacterium und natürlich Vibrio. Eine große Herausforderung bei der Identifizierung der Aeromonas und Flavobacterium Gattungen ist die Vielzahl von sehr eng-verwandten Spezies mit teilweise fast identischen 16S rRNA Sequenzen. Dabei greift unser Labor auf eine Vielzahl von unterschiedlichsten Methoden und teilweise in Kombination zurück. So kommen z.B. der klassische Furunkulose-AGAR und PCR-Methoden zum Einsatz. Teilweise werden aber Weiterhin werden immer wieder neue, für die MALDI-TOF MS Referenzdatenbank unbekannte Erreger z.B. bei Shewanella spp. nachgewiesen. Bei bestätigten Verdachtsfällen und bei wiederholten Nachweisen führen wir eine 16S rRNA Sequenzierung durch und erhalten bei vielen Sequenzen eine neue, noch nicht publizierte Spezies. Komplettgenome (https://www.ncbi.nlm.nih.gov/genome/browse#!/prokaryotes/) neue Speziesbezeichnung haben. Seit einiger Zeit gibt es die Möglichkeit unbekannte MALDI-Spektren oder MALDI- Spektren bei unklarer Zuordnung eng-verwandter Spezies in einer zentralen Datenbank abzugleichen. So enthält z.B. die MabriTecCentral Datenbank theoretische, durch bioinformatische Algorithmen erzeugte Referenzspektren aller publizierten Komplettgenome (>550.000 Prokaryoten, https://www.ncbi.nlm.nih.gov/genome/browse#!/prokaryotes/). (https://app.mabriteccentral.com/) hier gefunden, publizierte die noch keine auch Neben der Spezies-Identifizierung wird die MALDI-TOF Massenspektrometrie von uns auch zur Typisierung von Yersinia ruckeri eingesetzt und der meist vorherrschende Biotyp 1 kann so einfach nachgewiesen werden. Dafür ist keine besondere Probenaufarbeitung oder Messmethode notwendig. Anhang spezifischer Biomarker im „normalen“ MALDI-FOF Spektrum kann der Biotyp 1 bestimmt werden. Zur Bekämpfung der diagnostizierten Krankheiten bei Salmoniden und anderen Nutzfischen konnten ebenso in Kooperationen neue Prophylaxestrategien mittels bestandsspezifischer Impfstoffe entwickelt werden. Dabei zeigten sich die besten erfolgreichsten Strategien bei einer Kombination von Grundimmunisierung mittels zweimaligem Tauchbad und einer Boosterungen mittels wiederholter oraler Gabe. Diese Strategien konnten inzwischen erfolgreich bei vielen Forellen, Saiblingen, Felchen und weiteren Fischarten angewendet werden. Kontaktadresse Dr. Marcel Erhard; RIPAC-LABOR GmbH, Potsdam merhard@dopharma-ripac.com 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 335

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Wild- und Zootiere ___________________________________________________________________________________________________________ Vergleich mikrobiologischer Wasseruntersuchungen unter Praxisbedingungen Christine Lange Tierärztliche Praxis für Fische, Gießen Fische können ihren Lebensraum, bis auf wenige Ausnahmen, nicht verlassen und sind ihrer Umwelt damit auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Um Fische langfristig gesund zu erhalten sind daher optimale Umweltbedingungen zu gewährleisten. Viele wichtige Werte sind für Besitzer relativ leicht zu messen, zum Beispiel mittels Tröpfchentest für Ammonium, Nitrit, pH- Wert, Karbonathärte, etc. Die bakterielle Belastung des Wassers lässt sich weder optisch am Wasser noch mittels Tröpfchentest bestimmen. Auch bei regelmäßigen Wasserwechseln, eingefahrenen Filtern, ausreichender UV- Leistung und optimalen chemischen Wasserparametern kann es zu hohen bis sehr hohen Keimzahlen im Wasser kommen. Ursache dafür können unter anderem verschlammte Filter und Rohrleitungen, Eintrag von Mäuse- oder Rattenkot oder auch fehlerhaft gebaute Teiche sein. In Folge einer hohen bakteriellen Belastung des Aquarien- oder Teichwassers kann es bei den Fischen zu den unterschiedlichsten Krankheitssymptomen, wie Juckreiz, Rötungen, Kiemenschwellungen, schlecht heilenden Wunden und auch zu Todesfällen kommen. Um die Keimzahl des Wassers effektiv bestimmen zu können müssen Wasserproben mikrobiologisch im Labor untersucht werden. Eine korrekte Probenahme sowie ein zügiger Versand sind Voraussetzug für eine aussagekräftige Analyse. Der Einsatz von Dip-Slides durch Besitzer als Ersatz oder Ergänzung zur mikrobiologischen Laboruntersuchung wurde unter Praxisbedingungen erprobt. Kontakt Christine Lange; Tierärztliche Praxis für Fische, Gießen christine-lange@zierfischtierarzt.de 336 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Wild- und Zootiere ___________________________________________________________________________________________________________ Handwerkliche Be- und Verarbeitung von Fischen Helmut Wedekind Institut für Fischerei der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft, Starnberg Fisch ist ein hochwertiges, eiweißreiches Lebensmittel. Neben einem hohen Eiweißgehalt und wertvollen Fetten enthalten Fische auch wichtige Mineralstoffe und Vitamine. Fischfleisch ist zudem leicht verdaulich, da es wenig Bindegewebe enthält. Das Eiweiß weist eine hohe biologische Wertigkeit auf, im Fettanteil sind ernährungsphysiologisch wertvolle ω-3-Fettsäuren enthalten. Die meisten Fische sind energiearm, weil sie wenig Fett enthalten. In der Binnenfischerei und -aquakultur erzeugte Arten weisen folgende Filet-Fettgehalte auf: • Magerfische • Mittelfette Fische • Fettfische < 1 % (z.B. Barsch, Hecht, Schleie, Zander), 1 – 10 % (z.B. Brasse, Forelle, Karpfen, Renke), > 10 % (z.B. Aal, Waller). Mehr als die Hälfte des weltweiten Fischkonsums geht mittlerweile auf die Fischproduktion in der Aquakultur zurück. In der Binnenfischerei und Aquakultur in Deutschland werden pro Jahr etwa 21.000 t Süßwasserfisch erzeugt. Dabei handelt es sich einerseits um die Fischerei in Flüssen und Seen (2.350 t/Jahr), anderseits um die Aquakultur in Teichen und Anlagen (18.400 t/Jahr). Die wirtschaftlich bedeutendsten Bereiche sind die Erzeugung von Forellen und Saiblingen in Teichen und Anlagen, die Aufzucht von Welsen und anderen Arten in Warmwasseranlagen und die Karpfenteichwirtschaft. in diesen Betrieben Insbesondere in den zumeist klein strukturierten Forellen- und Karpfenbetrieben, aber auch in der traditionellen Seenfischerei, wird der Großteil der Produktion über den Einzelhandel, die Gastronomie und bei Standorten mit eigener Verkaufsstelle im Direktverkauf an Endverbraucher vermarktet. Die Schlachtung, Be- und Verarbeitung sowie Veredelung erfolgt in Form einer handwerklichen Lebensmittelherstellung, d.h. die selbst erzeugten oder zugekauften Fische werden in eigenen Verarbeitungsstätten geschlachtet, ausgenommen, zerlegt bzw. filetiert und zu küchenfertigen Produkten verarbeitet. Häufig werden zudem verpackte Filets, Räucherware, Fischmarinaden und -salate sowie andere Fischwaren hergestellt. Die Fischereibetriebe bieten eine breite Palette an Erzeugnissen und Convenience- Produkte aus heimischen Süßwasserfischen an, manche sind auch auf Wochenmärkten und als Partyservice aktiv. Die Erzeugung von Lebensmitteln ist ein wichtiger Bestandteil des Betriebseinkommens, weshalb die Herstellung und Vermarktung auch erheblichen Raum in der beruflichen Bildung zum Fischwirt bzw. zur Fischwirtin einnimmt. Vor der Schlachtung ist bei vielen Fischarten, sowohl aus arbeitswirtschaftlichen Gründen, als auch in Bezug auf die sensorischen Qualitätseigenschaften, eine Hälterung erforderlich. Hälterung unterscheidet sich von der Haltung dadurch, dass in der Regel nicht gefüttert und kein Zuwachs erzielt wird. Die Hälterung dient also der Qualitätsverbesserung und der Bevorratung lebender Fische vor der Schlachtung. Praxisbetriebe verfügen dafür über separate, mit sauberem Frischwasser versorgte Hälterungsbecken, die sich in der Nähe der Schlachtstätte befinden und zumeist mit kühlem Wasser im Durchlauf versorgt werden. Für die Fischverarbeitung gelten die rechtlichen Rahmenbedingungen der Tierschutzschlachtverordnung, nach der eine möglichst schonende Handhabung und eine wirksame und nachhaltige Betäubung vor der Schlachtung vorgeschrieben sind. Für Fische zur Erzeugung von Lebensmitteln zugelassene Betäubungsmethoden sind die elektrische Durchströmung und der Kopfschlag. Beide Methoden werden in der Praxis angewendet, die Fischwirte/-innen verfügen über die erforderliche Sachkunde. Für Forellen ist zudem die CO2-Betäubung zulässig. Die Schlachtung der Fische wird in den Betrieben von Hand ausgeführt. Unverzüglich nach der Betäubung folgt der Schlachtvorgang durch Kiemenrundschnitt und Ausnehmen mit weitgehendem Blutentzug. Anschließend erfolgt die Verarbeitung der Fische: Der von Innereien befreite Schlachtkörper wird von Geweberesten, Blut und Schleim gereinigt und umgehend gekühlt. Bereits ausgenommen mit oder ohne Kopf sind Fische verkaufsfähige Produkte, in vielen Betrieben werden aber auch weitere Verarbeitungsschritte durchgeführt. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 337

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Wild- und Zootiere ___________________________________________________________________________________________________________ Bei der Zerlegung (Köpfen, Filetieren, Enthäuten, Zerlegen, Spalten) und weiteren Verarbeitung (Räuchern, Marinieren, Salatherstellung, u.a.) kommt der Hygiene eine besondere Bedeutung zu. In einschlägigen Vorschriften wird für die Verarbeitung ein trockener, leicht zu reinigender Raum gefordert, der ausschließlich der Lebensmittelherstellung dient. Um eine Kontamination des entstehenden Lebensmittels mit Keimen aus dem Herkunftsgewässer (Primärflora) zu vermeiden, ist eine Trennung der Arbeitsschritte bei der Schlachtung und Verarbeitung vorgeschrieben. Im Einzelnen sollen die Arbeitsräume in einen „reinen“ und „unreinen“ Bereich unterteilt sein, zudem existieren Vorgaben zur Beschaffenheit der Räumlichkeiten sowie Arbeitsflächen und -geräten. Die Fischverarbeitung erfolgt letztendlich unter ähnlichen Vorgaben, wie sie für andere tierische Lebensmittel gelten. Fische sind auf Grund ihres hohen Eiweißgehaltes und der leichten Verderblichkeit ein besonders empfindliches Lebensmittel. Zudem besteht durch den hohen Anteil an mehrfach ungesättigten Fettsäuren im Fettanteil eine hohe Oxidationsneigung. Wichtigster Qualitätsfaktor bei Fischen ist deshalb die Frische. Postmortal kommt es im Vergleich zu Warmblüterfleisch zu einer geringeren Säuerung, es werden End-pH- Werte zwischen 6 und 6,5 erreicht. Daher können verschiedene Mikroorganismen insbesondere bei unzureichender Kühlung bereits nach wenigen Tagen zu Verderbnisprozessen führen. Wie bei anderen Lebensmitteln ist die Haltbarkeit von enzymatischen Reaktionen (Autolyse) und der mikrobiellen Besiedlung abhängig. Daher müssen Fische nach der Tötung und Bearbeitung schnell herunter gekühlt werden. Neben der notwendigen Betriebshygiene hat die weitere Behandlung des Fischfleisches starken Einfluss auf die spätere Fleischqualität. Die Aufbewahrung sollte bei Temperaturen wenig über 0 °C erfolgen. In der Praxis ist die Verwendung von Scherben- oder Brucheis üblich, welches aus Trinkwasser hergestellt wird. Aus der Hygienegesetzgebung ergibt sich u.a. die Verpflichtung die Lagertemperatur zu dokumentieren. Um die Wertschöpfung zu erhöhen, folgen in einigen Betrieben auch weitere Verarbeitungsschritte, wie z. B. die Veredelung zu Räucherware. Für das Räuchern werden die Fischprodukte (ausgenommen mit Kopf, Filets mit oder ohne Haut) zunächst nass oder trocken gesalzen. Der Räucherprozess kann mit dem Heißräucherverfahren bei Temperaturen von 60 bis 100 °C für einige Stunden, oder als Kalträuchern über mehrere Tage bei 15 bis 25 °C erfolgen. Dabei werden zumeist traditionelle Räucheröfen (Altonaer Ofen) mit Buchenholz (Späne), in einigen Betrieben auch moderne Räucherautomaten, eingesetzt. In einigen Betrieben wird auch tiefgekühlte Ware angeboten, die in Folie vakuumiert verpackt werden. Verkauft werden küchenfertig hergerichtete ausgenommene Fische mit oder ohne Kopf, Teilstücke oder Fischfilets mit oder ohne Haut. Besonders aus hochwertigen Forellen, Felchen/Renken, aber zunehmend auch aus Karpfen und Weißfischen (Cypriniden), werden Kaltmarinaden oder Fischsalate, Fischsuppen und anderen Fertigwaren hergestellt. In der Salmoniden-Produktion gehört auch die Kaviarerzeugung aus Regenbogenforellen und Saiblingen zur Produktvielfalt. Für die Deklaration von Fisch und Fischerzeugnissen gilt das Fischetikettierungsgesetz mit speziellen Kennzeichnungsvorschriften. Beim Verkauf verpackter Ware müssen auf einem verbundenen Etikett Angaben zur Beschaffenheit und Herkunft des Lebensmittels, zu kennzeichnungspflichtigen Zusatzstoffen, zum Nährwert und zur Mindesthaltbarkeit angegeben werden. In der Binnenfischerei erfolgt der Verkauf zumeist in betriebseigenen Verkaufsräumen, dort kann die Auszeichnung loser Fischprodukte durch einen Aushang ersetzt werden. Bei der Schlachtung und der weiteren Be- und Verarbeitung von Fischen aus der Binnenfischerei und inländischen Aquakultur handelt es sich also um eine Lebensmittelerzeugung, die im handwerklichen Maßstab von klein strukturierten Betrieben durchgeführt wird. Kennzeichnend ist die Verarbeitung regional erzeugter Süßwasserfische, die auf kurzen Transportwegen schlachtfrisch bzw. weiterverarbeitet zumeist direkt an Endverbraucher vermarktet werden. Kontakt Dr. Helmut Wedekind, Institut für Fischerei der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft, Starnberg 338 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Wild- und Zootiere ___________________________________________________________________________________________________________ Wie hämatologische Analysen uns etwas über das Wohlergehen von Fischen lehren können – Einfluss von Stress und das Immunsystem von Fischen Henrike Seibel1, Björn Baßmann2, Alexander Rebl3 1Fraunhofer-Einrichtung für Individualisierte und Zellbasierte Medizintechnik (IMTE), Aquakultur und Aquatische Ressourcen, Büsum; Praxis für Fische, Wesseln; 2Universität Rostock, Rostock; 3Forschungsinstitut für Nutztierbiologie, Dummerstorf Blutanalysen liefern wichtige Informationen über die Physiologie, das Neuroendokrinium und das Immunsystem und können damit wichtige Hinweise zu Einflüssen durch akute und langfristige Auswirkungen von ungünstigen Haltungsbedingungen, möglichen Krankheiten und genetischen Prädispositionen geben. Damit können sie einen entscheidenden Beitrag zum Tierschutz leisten. Allerdings wird Fischblut noch immer nicht routinemäßig analysiert, um die Gesundheit und/oder das Wohlergehen von Fischen in Forschung und Aquakultur zu beurteilen. Obwohl einige schnelle und zuverlässige Point-of-Care-Tests in Aquakulturbetrieben durchaus anwendbar sind, erfordert der Großteil der Blutanalysen ein entsprechend ausgestattetes Labor. Ursprünglich galten die Blutspiegel von Cortisol und Glukose als Schlüsselindikatoren für die Bewertung des allgemeinen Zustands der Fische. Im Laufe der Jahre hat sich eine Reihe von Untersuchungstechniken entwickelt, die von Antikörper- oder PCR-basierten Einzelparameteranalysen bis hin zu transkriptomischen, metabolomischen und proteomischen Ansätzen oder von hämatologischen Beobachtungen bis hin zur fluoreszenzaktivierten Blutzellsortierung im Hochdurchsatzverfahren reichen. Diese Übersicht fasst das breite Spektrum an Techniken zusammen, die es erlauben, informative Parameter im Fischblut zu überwachen, die durch verschiedene Stressoren moduliert werden. Dabei bieten wir einen kompakten Überblick über verschiedene einfache Plasmatests sowie multiparametrische Analysen von Fischblut und erörtern ihren potenziellen Nutzen für die Bewertung von Tierschutzaspekten. Literatur 1. Seibel H, Baßmann B, Rebl A. Blood will tell: what hematological analyses can reveal about fish welfare. Front. Vet. Sci. 2021;8:616955. Kontakt Dr. Henrike Seibel; 1Fraunhofer-Einrichtung für Individualisierte und Zellbasierte Medizintechnik (IMTE), Aquakultur und Aquatische Ressourcen, Büsum; Praxis für Fische, Wesseln 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 339

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Wild- und Zootiere ___________________________________________________________________________________________________________ Bolzenschuss als Betäubungsmethode für große Fischspezies G. Bröcker¹, K. Retter¹, A.-C. Miebach¹, Felix Teitge¹, M. Sterneberg¹, D. Steinhagen¹, M. Kempkes², M. Lüpke², I. Wilk³, A. Baumer4, H. Seifert², V. Jung-Schroers¹ ¹Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover, Abteilung Fischkrankheiten und Fischhaltung, Hannover; ²Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover, Fachgebiet Allgemeine Radiologie und Medizinische Physik, Hannover; ³Friedrich-Löffler-Institut, Institut für Tierschutz und Tierhaltung, Celle; 4Landesbetrieb Hessisches Landeslabor, Gießen Einleitung Zur Sicherstellung des Tierschutzes müssen Fische vor der Schlachtung betäubt werden. Als zulässige Verfahren stehen in Deutschland hierfür das Abschlagen (Perkussion), die elektrische Durchströmung, die CO2-Betäubung bei Salmoniden sowie die Anwendung eines Stoffes mit betäubender Wirkung zur Verfügung (Tierschutz-Schlachtverordnung Anlage 1, Nr. 9 [1]). Bei dem einzigen in der EU für die Anwendung bei Fischen zugelassene Betäubungsmittel muss nach Anwendung eine Wartezeit von 500 Tagesgraden eingehalten werden, wodurch sich der Einsatz zur Betäubung vor der Schlachtung ausschließt. Viele Fischarten weisen hinsichtlich der betäubenden Wirkung des elektrischen Stroms große Unterschiede in der Empfindlichkeit auf, so dass in der Praxis Fische großer Spezies nicht wirksam durch elektrischen Strom betäubt werden können und deshalb üblicherweise durch Perkussion (Abschlagen) betäubt werden. Die zulässige Betäubungsmethode des Kopfschlages als Betäubung großer Fischarten wie Störe, Welse und Arapaimas ist aufgrund anatomischer und physiologischer Besonderheiten nur bedingt geeignet, da die Gefahr einer unzureichenden Betäubung besteht. Zur Sicherstellung einer wirksamen Betäubung wird im Verbundprojekt "Betäubung großer Fische durch Perkussion oder Bolzenschuss: Entwicklung von Verfahrensbeschreibungen und Evaluierung von Tierschutzaspekten (BeFiBo)" evaluiert, ob durch die Anwendung eines penetrierenden oder nicht-penetrierenden Bolzenschusses eine Fehlbetäubung vermieden werden kann Lokalisation des Gehirns Eine Identifizierung bestimmter äußerer anatomischer Strukturen der Schädel ist wichtig, um anhand dieser Merkmale die Lokalisation der Ansatzstelle für den Bolzenschuss zu ermitteln. Diese wurden daher bei vier verschiedenen Störarten (Acipenser ruthenus, Acipenser baerii, Acipenser gueldenstaedtii, Acipenser transmontanus), bei dem Afrikanischen Wels (Clarias gariepinus) und bei Arapaimas (Arapaima gigas) untersucht. Hierzu wurden zum einen geschlachtete Fische seziert und vermessen und zum anderen Röntgenbilder sowie anatomische Schnittbilder und Fotoaufnahmen angefertigt und ausgewertet. Durch die genannten Untersuchungsmethoden konnte die Position der Gehirnstrukturen genau bestimmt werden (Abb. 1). Es konnten sowohl interspezifische (bei den 4 Störspezies) als auch intraspezifische Unterschiede bei der Lokalisation der Gehirne im Schädel festgestellt und äußerlich sichtbare Lokalisationsmerkmale benannt werden. Abb.1: A: Medianansicht eines Schädelstücks eines Sterlets (Acipenser ruthenus); die Lage des Gehirns ist durch das grüne Quadrat gekennzeichnet; B: Mesencephalon: blau, Diencephalon: grün, Cerebellum: rot; C: Röntgenaufnahme laterolateral; D: Querschnitt von der Seite, Gehirn grün dargestellt 340 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Wild- und Zootiere ___________________________________________________________________________________________________________ Die Lage des Gehirns variiert zwischen unterschiedlichen Spezies und damit auch die die korrekte Ansatzsatzstelle des Bolzenschussgerätes. Bei den verschiedenen Störspezies liegt das Gehirn je nach Spezies weiter rostral oder weiter caudal, was anhand der Lage der Augen sowie der dorsalen Winkel der Kiemendeckel beschrieben werden kann (Abb. 2). Abb. 2: Vergleichende Darstellung der Lokalisation des Gehirns (grün) im Schädel des Sterlets (A. ruthenus), des Russischen Störs (A. gueldenstaedtii), des Sibirischen Störs (A. baerii) und des Weißen Störs (A. transmontanus) in Relation zu äußerlich erkennbaren anatomischen Merkmalen. Die vordere horizontale Verbindungslinie (rot) stellt die Verbindung der kaudalen Augenwinkel (Augen in gelb) dar; die hintere Verbindungslinie (blau) stellt die Verbindung der dorsalen Kiemendeckelansätze dar und die vertikale Verbindungsinie (rot) stellt die Mediane der Köpfe dar. Zusammenhang zwischen Reflexen und Verhalten des Fisches und dem Verlust der Wahrnehmungsfähigkeit Die Wahrnehmungslosigkeit wird als das Fehlen von Erregung durch sensorische Reize definiert. Um den Funktionsverlust des Gehirns zu evaluieren, wurden Stören unter Betäubung Elektroden zur Aufzeichnung einer Antwort des Gehirns auf Lichtreize, sogenannte visuell evozierte Reaktionen (VERs), implantiert. Dafür wurden Störe mittels dem wasserlöslichen Tricainmethansulphonat (MS 222) in Narkose versetzt, dann wurde die Aufzeichnungs-Elektrode über der rechten Hemisphäre des Tectum opticum positioniert, zwei weitere Elektroden über der linken Hemisphäre des Tectum opticum und dem Cerebellum dienen als Referenzelektroden zur Unterdrückung von Artefakten und zur Erdung des Fisches. Nach dem Überprüfen, dass am wachen Fisch VERs korrekt aufgezeichnet werden, wurden dann die Fische in einem Wasserbad mit einem Betäubungsmittel sediert und der Betäubungsverlauf protokollieren. Durch das Aufzeichnen von visuell evozierten Reaktionen des Gehirns auf Lichtblitze wurde bei diesen Fischen ermittelt, wann eine neuronale Reaktion auf den äußeren Reiz ausbleibt, was als Wahrnehmungsverlust angesehen wird. Parallel erfolgte die Erfassung von Verhaltensparametern und Reflexen, um die Beurteilung des Betäubungszustandes anhand von äußerlich auftretenden Merkmalen zu erkennen. Die Versuche haben gezeigt, dass bei wahrnehmungsfähigen Fischen auf die Lichtreize unmittelbar ein VER folgt. Die Amplitudenhöhe der VERs nimmt mit zunehmender Anästhesie ab. Allerdings ist die Dauer bis zum Ausbleiben der VERs individuell sehr unterschiedlich. Die Verhaltensmerkmale und die Reflexe waren aber in allen Fällen bereits vor dem Ausbleiben der VERs nicht mehr erkennbar und eignen sich daher nicht für die Beurteilung der Wahrnehmungslosigkeit bei Stören. Praxiserprobung Verschiedene Bolzenschussgeräte wurden in Praxisbetrieben getestet. Verglichen wurden penetrierende und nicht penetrierende Bolzenschussgeräte (Kartusche betriebene Bolzenschussgeräte „Blitz Kerner“, „Blitz 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 341

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Wild- und Zootiere ___________________________________________________________________________________________________________ Schlag“ und „Kleiner Blitz“ der Firma turbocut Jopp GmbH und der Druckluft betriebende „Zepyhr F“ der Firma Bock Industries) im Vergleich zum Abschlagen. Für die Betäubung von Stören und Arapaimas mit einem Körpergewicht von weniger als 13 kg kann der nicht-penetrierende Bolzenschussapparat empfohlen werden. Störe aller Größen und untersuchten Arten sowie der Arapaima gigas konnten mit einem durchdringenden Bolzenschussgerät erfolgreich und schnell betäubt werden. Die Betäubung durch Perkussion ist ebenfalls möglich, erfordert jedoch viel Kraft von den Ausführenden. Als Stressreaktion der Fische auf die verschiedenen Bolzenschussmethoden wurden Blutproben sowohl vor als auch nach der Betäubung analysiert. Bei dem Blut der durch Bolzenschuss betäubten Fische konnten keine erhöhten Stressparameter gemessen werden. Diskussion Ziel des Projektes ist es, wissenschaftlich fundierte Daten über die Wirksamkeit der Bolzenschussmethode zur Betäubung großer Fischspezies und die damit verbundenen Auswirkungen auf das Wohlergehen der Tiere im Vergleich zur bisher zugelassenen Betäubungsmethode durch Perkussion zu gewinnen. Die Lage des Gehirns ist bei den verschiedenen Spezies abweichend, auch innerhalb einer Gattung gibt es unter Umständen leichte Abweichungen wie am Beispiel der Acipenser-Arten gezeigt. Für die erfolgreiche Betäubung eines großen Fisches mit einem Bolzenschussgerät sind genaue anatomische Kenntnisse aber erforderlich. Anhand von Verhaltensmerkmalen und Reflexen lässt sich nicht eindeutig beurteilen, ob ein Stör betäubt ist. Deswegen sind Betäubungsmethoden, die auch zum Tod des Fisches führen, wie z. B. durchdringende Bolzenschüsse, reinen Betäubungsmethoden vorzuziehen Die Analyse der Blutwerte hat gezeigt, dass die Betäubung durch Bolzenschussgeräte nicht zu einer erhöhten Stressreaktion führt. Die tierschutzkonforme Betäubung von großen Fischspeziesmittels Bolzenschuss ist also möglich und sinnvoll. Danksagung Die Projektträgerschaft und Finanzierung erfolgt über die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung. Kontaktadresse Gabi Bröcker; Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover, Institut für Parasitologie, Abteilung Fischkrankheiten und Fischhaltung, Hannover gabi.broecker@tiho-hannover.de 342 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Wild- und Zootiere ___________________________________________________________________________________________________________ Wirbelsäulenschäden bei Aalen – Vorkommen und mögliche Ursachen Verena Jung-Schroers1, Felix Teitge1, Julia Bauer1,4, Anne-Carina Miebach1, Vanessa Guddorf2, Erik Fladung3, Janek Simon3, Dieter Steinhagen1 1Abteilung Fischkrankheiten und Fischhaltung, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover; 2Klinik für Heimtiere, Reptilien und Vögel, Tierärztliche Hochschule Hannover; 3Institut für Binnenfischerei in Potsdam- Sacrow; 4Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, Dezernat 32, Task-Force Veterinärwesen Einleitung Europäische Aale (Anguilla anguilla) sind katadrome Wanderfische, die im Westatlantik ablaichen. Die Larven wandern innerhalb eines Zeitraums von zwei bis drei Jahren an die europäischen Küsten. Als Glasaale steigen sie in die Flüsse auf und entwickeln sich zu Steigaalen. Europäische Aale verbringen etwa fünf bis fünfzehn Jahre in Süßwassergewässern, bevor sie sich auf die Rückwanderung in den Atlantik machen. Während dieser Wanderung werden die Tiere geschlechtsreif und wandeln sich zu Blankaalen um. Seit Beginn der 1990er Jahre sind die Bestände des Europäischen Aals rückläufig. Schädigungen der Aale sind in den Flusssystemen durch verschiedene Faktoren möglich. Zum einen treten infektiöse Erkrankungen, wie Virusinfektionen und parasitäre Infektionen, regelmäßig auf. Zum anderen sind Europäische Aale aufgrund ihres Lebenszyklus auf die Durchgängigkeit der Gewässer angewiesen. Wasserkraftanlagen können die Abwanderung der Blankaale daher beeinflussen. In Flüssen in Deutschland sind mehr als 7300 Wasserkraftanlagen vorhanden. In der Weser sind neun Wasserkraftanlagen im Hauptstrom, in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Bremen, lokalisiert. Je nach Wasserkraftanlage kann eine Gefahr für abwandernde Aale bestehen, wenn diese die Anlage durchwandern. Mögliche Schädigungen hängen dabei insbesondere vom Turbinentyp in den Anlagen, von der Durchflussmenge, von der Anströmgeschwindigkeit am Rechen sowie vom Vorhandensein von Abweisevorrichtungen und alternativen Passagemöglichkeiten für die Fische ab. Auch Vorhersagesysteme zur Ankündigung einer Wanderung vieler Aale, spielen eine Rolle bei der Reduzierung möglicher Schädigungen. Verschiedene Maßnahmen zum Schutz der Aale werden inzwischen getroffen. So werden an der Weser abwandernde Blankaale oberhalb der Wasserkraftanlagen mittels Aalschokker gefangen und in der Unterweser wieder ausgesetzt werden („Aaltaxi Weser“). Inwieweit Aale in der Weser bereits vor dieser Taxipassage Schädigungen aufweisen und ob das Fangen mittels Aalschokker zu Schäden bei den Fischen führt, wodurch der Transport im „Aaltaxi“ als nicht empfehlenswert einzustufen wäre, wurde anhand verschiedener Aalgruppen im Rahmen einer Studie untersucht. Material und Methoden Es wurden drei Gruppen Europäische Aale untersucht. Die erste Gruppe bestand aus 77 Aalen aus dem Tagesfang eines Weserfischers, der mehr Verluste als üblich beobachtet hatte. Die Fische wurden in der Mittelweser bei Landesbergen hinter einer Wasserkraftanlage gefangen und wiesen keine Auffälligkeiten im Schwimmverhalten auf. Um zu untersuchen, ob fischereiliche Techniken zu Schäden bei Aalen führen können, wurden 220 Aale zum Zweck des Wiederfangs aus der Weser gefangen (Gruppe 2). Diese Tiere wiesen ebenfalls keine Auffälligkeiten im Schwimmverhalten auf. Sie wurden vor dem Wiedereinsetzen und dem Wiederfang untersucht und mittels Transpondern markiert, um eine individuelle Zuordnung nach dem Wiederfang zu ermöglichen. Die dritte Gruppe Aale bestand aus 135 Tieren der zweiten Gruppe, die wiedergefangen werden konnten. Die Fische wurden mittels Hamen gefangen, und nach einer 14-tägigen Hälterung, wie sie auch im Rahmen des Betriebs des „Aaltaxis“ vorkommen kann, erneut untersucht. Auch diese Fische wiesen keine Auffälligkeiten im Schwimmverhalten auf. Die vierte Gruppe Aale bestand aus 24 Tieren, die von einem Fischer in der Mittelweser bei Verden nach einer Wasserkraftanlage gefangen wurden und massive Auffälligkeiten im Schwimmverhalten sowie hochgradige Verluste zeigten. Die Aale aller Gruppen wurden auf äußere Verletzungen, wie Hautrisse, Flossendefekte sowie Auflagerungen auf und Blutungen in der Haut untersucht. Zudem wurden die Tiere im laterolateralen Strahlengang geröntgt, wobei bis zu drei überlappende Röntgenaufnahmen pro Tier angefertigt wurden. Die Fokus-Film-Distanz betrug dabei 90 cm, die 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 343

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Wild- und Zootiere ___________________________________________________________________________________________________________ Röhrenspannung 38 Kilovolt (kV) und der Röhrenstrom 9,34 Milliampersekunden (mAs). Aale der Gruppen 1, 3 und 4 wurden zudem im Rahmen einer Sektion auf innere Verletzungen untersucht. Ergebnisse Die meisten Aale der ersten untersuchten Gruppe wiesen nur geringgradige äußere Schäden in Form von Hautabschürfungen auf. Es wurden jedoch bei 36 der untersuchten 77 Aale (entspricht 46,75%) röntgenologisch erkennbare Veränderungen der Wirbelsäule nachgewiesen (Abb. 1). Diese Wirbelsäulendefekte traten insbesondere bei längeren Tieren und im zweiten Körperdrittel auf. Bei fast der Hälfte der Tiere ohne äußere Veränderungen konnten Wirbelsäulendefekte festgestellt werden. In der Sektion konnten keine Blutungen in der Muskulatur der Aale im Bereich der Wirbelsäulendefekte nachgewiesen werden, weswegen die Knochendefekte als chronisch eingestuft wurden. Abb. 1: Wirbelsäulenschäden der Aale der Gruppe 1: Reihe a: Stauchungen der Wirbelsäule. Reihe b: Abriss der Wirbelfortsätze dorsal und / oder ventral vom Wirbelkörper. Reihe c: Brüche von Wirbelkörpern. Reihe d: Verschiebungen von Wirbelkörpern nach dorsal oder ventral, zum Teil kombiniert mit Brüchen der Wirbelkörper. Von den 220 untersuchten Aalen der zweiten Gruppe, die zum Zweck des Wiedereinsetzens und Wiederfangens gefangen worden waren, wiesen die meisten Tiere nur geringgradige äußere Verletzungen auf. Bei 41 Aalen (18,6 %) wurden röntgenologische Wirbelsäulenschäden festgestellt, wobei 24 Tiere Mehrfachschädigungen aufwiesen. Die meisten Frakturen traten an den Ventralfortsätze der Wirbel auf, gefolgt von den Wirbelkörpern selbst und den Dorsalfortsätzen der Wirbel. Meist traten Frakturen der Wirbelkörper in Kombination mit Frakturen der Ventral- und Dorsalfortsätze der gleichen Wirbel auf. Im ersten Körperdrittel wurden insbesondere Frakturen der Wirbelkörper festgestellt, während im zweiten und dritten Körperdrittel 344 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Wild- und Zootiere ___________________________________________________________________________________________________________ häufiger Frakturen der Ventralfortsätze mit oder ohne gleichzeitiger Fraktur der zugehörigen Wirbelkörper auftraten. Bei keinem der Aale wurden Blutungen in der Muskulatur festgestellt, was als Hinweis darauf gewertet wurde, dass die Wirbelsäulenschäden der Aale der Gruppe 2 bereits längere Zeit bestanden. Nur bei einem Aal der dritten untersuchten Gruppe (0,74 %; nach dem Wiederfang) wurde eine geringgradige Veränderung der Wirbelsäule in Form einer geringgradigen Stauchung zweier Wirbelkörper nachgewiesen, die zuvor nicht vorhanden war. Von den 24 untersuchten Aalen der vierten Gruppe wiesen 21 Tiere (87,5 %) im Röntgenbild erkennbare Wirbelsäulenschäden auf, wobei bei 18 Tiere Mehrfachschädigungen auftraten. Die Schäden traten hauptsächlich im ersten Körperdrittel auf, wobei die meisten Frakturen an den Wirbelkörpern und bei Aalen mit einer Körperlänge zwischen 70 und 80 cm zu sehen waren. Insgesamt bei dreizehn Aalen wurden Blutungen in der Muskulatur im Bereich der Frakturen festgestellt, was auf akute Frakturen hindeutete. Bei acht Aalen wurden zwar Frakturen nachgewiesen, jedoch traten keine Blutungen in der Muskulatur auf, weswegen diese Frakturen als chronisch eingestuft wurden. Zusammenfassung und Diskussion Wirbelsäulenschäden traten häufig in klinisch unauffälligen Europäischen Aalen aus natürlichen Gewässern insbesondere im hinteren Körperabschnitt auf. Bei diesen Tieren waren in der Regel keine Blutungen in der Muskulatur zu erkennen, was auf chronische Schäden hindeutet. Durch fischereiliche Praktiken traten so gut wie keine zusätzlichen Schädigungen der Wirbelsäulen auf. Der Aalfang mittels Aalschokker stellt daher offenbar eine schonende Fangmethode dar und das „Aaltaxi“ ist eine sinnvolle Alternative zur Passage der Blankaale durch Wasserkraftanlagen. Massive Schäden der Wirbelsäulen wurden bei klinisch auffälligen Aalen nachgewiesen. Die Schäden wurden insbesondere im vorderen Körperbereich festgestellt. Blutungen in der Muskulatur deuteten auf akute Schädigungen hin und es wurden hohe Verlustrate unter diesen Tieren beobachtet. Offenbar tritt bei vielen Aalen keine Veränderungen des Schwimmverhaltens durch vorhandenen Wirbelsäulenschäden im hinteren Körperbereich auf, während Schäden im vorderen Körperbereich zu verändertem Schwimmverhalten und Verlusten führen können. Möglicherweise überleben Aale, die Schädigungen im hinteren Bereich des Körpers erlitten haben, häufiger als Aale, die im vorderen Körperbereich geschädigt wurden. Dennoch ist es denkbar, dass auch bei klinisch unauffälligen Aalen mit teilweise erheblichen Beeinträchtigungen und erhöhten Verlusten bei der Blankaalabwanderung ist zu rechnen ist. Dies sollte in weiteren Studien untersucht werden. Inwieweit Passagen durch Wasserkraftanlagen eine Rolle für die Wirbelsäulenschäden spielen und wie durch Anpassungen von Anlagen die Schädigungen reduziert werden könnten, sollte ebenfalls näher untersucht werden. Danksagung Die Studien wurden teilweise vom Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit gefördert. Kontakt PD Dr. Verena Jung-Schroers; Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover, Abteilung Fischkrankheiten und Fischhaltung, Hannover verena.jung-schroers@tiho-hannover.de 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 345

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Wild- und Zootiere ___________________________________________________________________________________________________________ Thunfisch in der Gastronomie – ein hoch sensibles Lebensmittel Edda Bartelt, Sandra Bisenius und Daniel Melles Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (LAVES), Institut für Fische und Fischereierzeugnisse (IFF) Cuxhaven Einleitung „Thune und Thunfischverwandte“ umfassen die für den europäischen Binnenmarkt wichtigsten Handels- Fischarten, u.a. Weißer Thun (Langflossenthun, Thunnus alalunga), Roter Thun (Großer Thun, Blauflossen- Thun, Thunnus thynnus), Echter Bonito (Katsuwonus pelamis) und Gelbflossen-Thun (Thunnus albacares). Sie gehören zur Familie der ‚Thunfische und Makrelen‘ (Scombridae), sind große Raubfische und kommen in tropischen, subtropischen und gemäßigten Meeren vor. Der charakteristische Körperbau und die physiologischen Bedingungen in der Rumpfmuskulatur verleihen den Thunfischen eine höhere Körperinnentemperatur als das umgebende Wasser (sog. Heterothermie) und damit die Fähigkeit, schneller und ausdauernder als ihre Beute zu schwimmen. Thunfische haben einen hohen Anteil roter Muskulatur, bedingt durch den physiologisch hohen Anteil am Muskelprotein Myoglobin bzw. Oxymyoglobin, was zur Aufrechterhaltung der hohen Geschwindigkeiten dient. Thunfische sind von großer fischereiwirtschaftlicher Bedeutung und wegen ihrer Fleischqualität die in der EU am meisten verbrauchten Speisefische. Sie werden zumeist importiert und stammen aus Wildfängen. Mittlerweile gibt es Erfolgsmeldungen über die rentable Etablierung von Thunfischen aus der Aquakultur. Für die Herstellung von Dauerkonserven wird zumeist der Echte Bonito (Katsuwonus pelamis) verwendet. Thunfisch aus Konserven stellt in der Gastronomie eine beliebte Zutat dar. Histamin als Lebensmittelsicherheitskriterium Die Bedeutung des Histamins als Vergiftungsursache durch Fisch gilt als erwiesen. Die bekannte „Scombroid fish poisoning“, die „Makrelenvergiftung“ wird durch Fische der Familie der Scombraesosidae (Makrelenhechte) und Scombridae (Makrelen- und Thunfischarten) verursacht. Aber auch Arten der Familien der Heringsartigen (Clupeidae), Engraulidae (Sardellen), Coryfenidae (Goldmakrelen) und Pomatomidae (Blaufisch) sind ursächlich zu nennen. Das Fischfleisch von Arten der o.g. Familien ist sehr histidinreich. Bei Lagerung steigt der Histidingehalt im Fischfleisch ständig an aufgrund der Veränderungen der Eiweißstrukturen im Verlaufe der enzymatisch bedingten autolytischen Verderbsprozesse. Das Histamin ist im histidinreichen Fleisch in Arten dieser Familien nur zu erwarten, wenn die Aminosäure Histidin als freie Aminosäure vorliegt. Da bspw. Innereien besonders enzym- und aminosäurereich sind ist eine sorgfältige Schlachthygiene mit Entbluten und Entfernen der Innereien unerläßlich, um das Risiko der enzymatisch bedingten Histaminbildung aus dem Histidin zu minimieren. Bei Fischfleisch mit hohem Histidingehalt sind daher Histaminbildungen nicht sicher zu vermeiden, auch wenn das Fleisch noch keine sensorischen Abweichungen aufweist. Die wesentlichen Prozesse zur Bildung von Histamin sind jedoch auf eine bakterielle Decarboxylierung zurückzuführen, d.h. im Prozess des bakteriellen Verderbs von Fischfleisch. Klassische Histaminbildner sind vor allem Bakterien, die häufig Bestandteil der Darmflora der Tiere sind und die aus der marinen Umwelt von Fischen, wie z.B. Proteus spp., Morganella spp., Hafnia spp., Photobacterium phosphoreum. Histamin ist hitzestabil. Ist es einmal im Fischfleisch vorhanden kann es durch Erhitzung nicht mehr inaktiviert werden. Bei der Herstellung von Thunfischkonserven sind daher die einwandfreie Beschaffenheit der Ausgangsware und höchste Sorgfalt und Hygiene bei der Verarbeitung des Fischfleisches zu Konserven unerläßlich. Der Histamin-Gehalt ist daher ein essentielles Lebensmittelsicherheitskriterium für unverarbeitete und verarbeitete Fischereierzeugnisse und in der Verordnung (EU) 2073/2005 über mikrobiologische Kriterien, gerichtet an den Hersteller von Fischereierzeugnissen, verankert: in Verkehr gebrachte Fischereierzeugnisse von Fischarten, bei denen ein hoher Gehalt an Histidin auftritt, dürfen während ihrer Haltbarkeitsdauer Histamingehalte von maximal 200 mg/kg aufweisen. Für Fischereierzeugnisse, die einem enzymatischen 346 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Wild- und Zootiere ___________________________________________________________________________________________________________ Reifungsprozess in Salzlösung unterzogen und aus Fischarten hergestellt werden, bei denen ein hoher Gehalt an Histidin auftritt, wird ein Grenzwert von maximal 400mg/kg angegeben. Eine Gute Herstellungspraxis und die Einhaltung der Lebensmittelsicherheitsanforderungen bei der Herstellung von Thunfisch-Konserven vorausgesetzt ist eine ungeöffnete Konserve sicher und zudem lange haltbar. Nach dem Öffnen ist jedoch erneut auf eine gute Verarbeitungshygiene und die strikte Einhaltung der Kühlkette zu achten, um das Risiko der mikrobiellen Rekontamination mit decarboxylierenden Bakterien zu minimieren. Denn zusätzlich zum mikrobiellen Verderb besteht das Risiko der Bildung von gesundheitsschädlichem Histamin in Thunfischfleisch geöffneter Konserven. Eigene Untersuchungen Im Jahr 2022 wurden 144 Planproben von Thunfisch-Konserven mit Herkunft aus der Gastronomie untersucht. Dabei lag der Fokus auf Proben, die aus bereits geöffneten Konserven oder Umfüllbehältern entnommen wurden. Alle Proben wurden auf Histamin und 86 der 144 Proben zusätzlich mikrobiologisch untersucht. Zwar waren 92 (64 %) der 144 Proben unauffällig, in 33 Proben (23 %) wurden jedoch in der mikrobiologischen Untersuchung erhöhte Keimgehalte festgestellt. In 14 Proben (10 %) wurde eine derart hohe mikrobiologische Keimbelastung, u.a. mit Fäkalkeimen, festgestellt, dass sie für den Verzehr als nicht geeignet eingestuft wurden. Fünf (3 Prozent) der 144 Proben überschritten zudem den rechtlichen Grenzwert für Histamin von 200 mg/kg und wurden als gesundheitsschädlich beurteilt. Dabei wiesen zwei Proben (1 Prozent) sogar einen deutlich erhöhten Gehalt von circa 2000 mg/kg auf. Des Weiteren erfolgte eine Auswertung der seit 2015 ausgesprochenen abweichenden Beurteilungen aufgrund zu hoher Histamingehalte (n = 60 beanstandete Proben). Im Vergleich zu Fischfleischproben anderer Arten war auffallend, dass insbesondere bei Thunfisch häufig die Überschreitungen des Grenzwertes für die Histaminkonzentration festgestellt worden sind. Zudem waren die Gehalte auffallend hoch bis hin zu 4290 mg/kg in einer Thunfischprobe aus einer angebrochenen Konserve. Alle Beanstandungen von erhöhten Histamingehalten in Thunfischproben betrafen ausschließlich Proben mit einer Herkunft aus der Gastronomie. Diskussion und Schlussfolgerungen Die in den Untersuchungen nachgewiesene hohen Keimbelastungen bestätigen, dass beim bakteriellen Verderb von Thunfischfleisch geöffneter Konserven eine andere, v.a. mesophile aerobe Keimflora wie Enterobacteriaceae, Pseudomonaden, Lactobazillen, Hefen und Schimmelpilze vorherrschend ist. Gerade bei Vertretern der Enterobacteriaceen ist die hohe Histidindecarboxylaseaktivität beschrieben, v.a. bei höheren Umgebungstemperaturen und längerer Lagerungszeit. Die nachgewiesenen und zudem sehr hohen Histamingehalte in 3 % der untersuchten Proben bestätigen dies. Bei der Beurteilung von Histamingehalten und der mikrobiellen Kontamination angebrochener Thunfischkonserven sei erwähnt, dass trotz fortbestehend hoher Keimbelastung der Gehalt an biogenen Aminen auch wieder zurückgehen kann. Derartige Befunde sind nicht ungewöhnlich, da bakteriell bedingte Prozesse von Histaminbildung und -abbau nebeneinander im Lebensmittel stattfinden können. Thunfisch-Arten, die für die Herstellung von in Konserven verwendet werden, haben analog zu den anderen Arten der Thunfische und Thunfischverwandten einen hohen Anteil histidinreichen, dunklen Muskelfleisches. Das Risiko der Histaminbildung aus Histidin besteht bei der Be- und Verarbeitung des Fischfleisches, sowohl vor der Konservenherstellung als auch bei der küchentechnischen Verwendung nach dem Öffnen der Konserven. Während strengen Lebensmittelsicherheits-Managementmaßnahmen unterliegt und überwacht wird verfügt der Endverbraucher einschließlich der Gastronomie nur über wenige Maßnahmen, um bei der Handhabung geöffneter Konserven den bakteriellen Verderb und der Bildung gesundheitsschädlichen Histamins im Thunfischfleisch zu vermeiden. Hier sind die Einhaltung größter Sorgfalt und Hygiene bei der Entnahme von Fischfleisch geöffneter Konserven, fischverarbeitenden Betrieben die Konservenherstellung in 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 347

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Wild- und Zootiere ___________________________________________________________________________________________________________ die Nutzung vorzugsweise kleinerer Gebinde sowie die strikte Einhaltung der Kühlung bei Temperaturen unter 7°C. Die erforderliche Sorgfalt und Hygiene beim Umgang mit diesem Lebensmittel in Gastronomiebetrieben nehmen einen hohen Stellenwert ein. Die Hygiene- und Temperaturanforderungen betreffen die Handhabung und Lagerung geöffneter Gebinde und die Vorhaltung von daraus entnommenem Thunfischfleisch in Kühltheken. Die Untersuchungsergebnisse verdeutlichen, dass im gastronomischen Bereich nach wie vor Handlungs- und Verbesserungsbedarf zur Einhaltung von Hygiene- und Temperaturanforderungen bezüglich Thunfischfleisch aus angebrochenen Konserven besteht. Kontakt Dr. Edda Bartelt; Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (LAVES), Institut für Fische und Fischereierzeugnisse (IFF) Cuxhaven Edda.bartelt@laves.niedersachsen.de 348 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Wild- und Zootiere ___________________________________________________________________________________________________________ PFAS in Fisch - Kontaminanten für die Ewigkeit? Daniel Melles, Edda Bartelt Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, Institut für Fische und Fischereierzeugnisse Cuxhaven, Schleusenstraße 1, 27472 Cuxhaven Was sind PFAS und warum sind diese in den Fokus geraten? Die Abkürzung PFAS steht für perfluorierte Alkylsubstanzen. Trotz dieses sperrigen Begriffs sind diese Substanzen derzeit aus dem Alltag nicht wegzudenken. Aufgrund ihrer Eigenschaften werden PFAS in zahlreichen industriellen Produkten und Prozessen genutzt. Sie werden z. B. zur Oberflächenbeschichtung von Papier, zur Imprägnierung von Kleidung, Polstermöbeln und Teppichen und in Feuerlöschschäumen eingesetzt. Nach Beschichtung und Imprägnierung verfügen diese Materialien über öl- und wasserabweisende Eigenschaften. In Löschschäumen erleichtern PFAS die Verteilung über brennende Oberflächen. Bei der Herstellung von Polytetrafluorethylen (PTFE) werden PFAS zudem als Prozesshilfsstoffe verwendet. Aufgrund der großen Bandbreite an Substanzen, die unter dem Begriff PFAS zusammengefasst werden, kann die Liste der Anwendungen endlos weitergeführt werden. Aufgrund ihres weitreichenden Einsatzes und ihrer enormen Stabilität sind viele PFAS-Verbindungen ubiquitär zu finden und wurden bereits in Böden, Gewässern, Fleisch und Organen von Tieren und im Menschen nachgewiesen. Als Expositionsquellen werden vordergründig kontaminierte Lebensmittel und kontaminiertes Trinkwasser, Staub und der direkte Kontakt mit PFAS-modifizierten Bedarfsgegenständen diskutiert. In der Umwelt werden PFAS nahezu kaum abgebaut. Bisherige Studien zeigen zudem, dass die Halbwertzeiten zum Abbau und zur Ausscheidung aus dem menschlichen Körper mehrere Jahre betragen. Die aktuelle Studienlage beschreibt für einige PFAS bereits in geringen Konzentrationen negative Auswirkungen auf Leber, Schilddrüse, Niere, Fertilität und Reproduktion. Ebenso wurde darüber berichtet, dass einige PFAS zu einem Anstieg des Cholesterinspiegels führen und vor allem auch immunotoxisch sind. In der aktuellen „Scientific Opinion“ der EFSA zur Bewertung des Risikos auf die menschliche Gesundheit durch PFAS in Lebensmittel kommt man zu dem Schluss, dass ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung einigen PFAS soweit ausgesetzt ist, als es toxikologisch tolerierbar wäre. Wie ist die Rückstandssituation bei Fisch und Fischereierzeugnissen zu bewerten? Welche Risiken bestehen für den Verzehr? Im Vortrag wird der Schwerpunkt vor allem auf das Lebensmittel Fisch gelegt, welches zu den Hauptakkumulatoren von PFAS zählt. Eine differenzierte Betrachtung ist jedoch notwendig: Vorgestellt werden hierbei die neuesten Erkenntnisse von amtlichen Untersuchungen zu PFAS- Rückständen. Sind alle Fische schwer belastet? Gibt es Fischarten, die besonders betroffen sind? Hat die Herkunft der Fische einen Einfluss auf die gefundenen PFAS-Rückstände? Die Ergebnisse legen nahe, dass vor allem der Eintrag menschengemachter Emissionen in die Umwelt hier eine enorme Auswirkung haben. Auf diese Fragen wird mit aktuellen Beispielen aus Niedersachsen eingegangen. Seit Beginn dieses Jahres gibt es nunmehr auch gesetzlich festgelegte Höchstgehalte für einige PFAS-Verbindungen. Die Einordnung der Befunde vor dem Hintergrund dieser neu etablierten Höchstmengen wird ebenso diskutiert. Kontakt Dr. Daniel Melles; Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, Institut für Fische und Fischereierzeugnisse Cuxhaven daniel.melles@laves.niedersachsen.de 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 349

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Wild- und Zootiere ___________________________________________________________________________________________________________ Verbesserter Nachweis von Anisakidae L3-Larven in Fischereierzeugnissen - UV-Press-Methode nach ISO 23036-1:2021 Henner Neuhaus Institut für Fische und Fischereierzeugnisse Cuxhaven, Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, Cuxhaven Zusammenfassung Nematodenlarven aus der Familie der Anisakidae können in vielen Fischen und Fischereierzeugnissen als Stadium L3 vorkommen. Insbesondere durch die Aufnahme von nicht oder nicht ausreichend erhitzten oder anderweitig behandelten Lebensmitteln, treten humane Infektionen auf. Auch nicht lebende Parasitenlarven können Allergien beim Menschen entstehen lassen. Für den werden Für die Routine ist es somit essentiell, auf verlässliche Verfahren zur Untersuchung zurückgreifen zu das können. Durchleuchtungsverfahren/Sichtkontrolle gemäß Verordnung (EG) Nr. 2074/2005 für durchleuchtungsfähige Erzeugnisse und das Digestionsverfahren gemäß ISO 23036-2:2021 für nicht-durchleuchtungsfähige Erzeugnisse eingesetzt. Anisakiden-Larven üblicherweise Nachweis der Mit der ISO 23036-1:2021 wird die Liste der vorhandenen Verfahren um die UV-Press-Methode erweitert. Hierbei wird die Fischmuskulatur auf eine Dicke von 1-2 mm gepresst und unter UV-Licht begutachtet. Im Rahmen von Routineuntersuchungen wurde die UV-Press-Methode mit der Digestionsmethode sowie der Sichtkontrolle / Durchleuchtung verglichen. Die Ergebnisse zeigen, dass die Anwendung von UV-Licht an gepressten Fischstücken in der Routine eine gleichwertige, verlässliche und schnelle Methode zur Klärung der Parasitenbelastung darstellt. Sie im Mittel vergleichbare Zahlen zur Digestions- und Durchleuchtungsmethode, tendenziell jedoch mit höheren Nachweisraten. In Abhängigkeit von der Matrix erhält der Untersucher von Routineproben mit der UV-Press-Methode ein zusätzliches Werkzeug, welches -auch in Kombination mit den anderen Methoden- unerlässlich ist, um die Nematodengehalte in Fischereierzeugnissen zu bestimmen. Die UV-Press-Methode verbessert die Nachweismöglichkeiten und den Ablauf im Routinelabor. Beurteilung der Relevanz von Anisakidae-Larven für die menschliche Ernährung liefert Mit Fischen und deren Erzeugnissen aufgenommene, lebende Anisakidae-Larven können auch beim Menschen, der einen Fehlwirt für die Larven darstellt, Erkrankungen – insbesondere des Magen-Darm-Traktes – auslösen. Die Rundwurmlarven werden durch Gefriertemperaturen oder durch Hitze, aber auch durch die Einwirkung anderer Behandlungsverfahren -wie das Einwirken von Säure über einen längeren Zeitraum- sicher abgetötet. Fische und Fischereierzeugnisse, die nicht ausreichend erhitzt oder anderweitig zur Abtötung von Parasiten behandelt sind, können generell lebende Anisakidae-Larven enthalten. Die EU-Gesetzgebung hat hierfür bestimmte Vorschriften für die Lebensmittelunternehmer erlassen, die zum Schutz vor bestimmten Parasiten einzuhalten sind wie zum Beispiel das Einfrieren von Fischereierzeugnissen. Von toten Anisakidae-Larven in Fischen geht hingegen nach aktuellem Kenntnisstand bei gesunden Menschen keine Gesundheitsgefahr aus. Gleichwohl ist von der Europäischen Lebensmittelbehörde EFSA (2010) bestätigt worden, dass Allergien auch durch tote Larven von Anisakis spp. entstehen können. Eindeutig mit Anisakidae-Larven befallene Fische oder Filets sind für den menschlichen Verzehr ungeeignet und für Verbraucherinnen und Verbraucher ekelerregend und – wie weiter oben beschrieben- unter bestimmten Voraussetzungen ggf. sogar als gesundheitsgefährlich zu beurteilen. Eindeutig von Parasiten befallene Erzeugnisse dürfen nicht in den Handel gebracht werden. Herstellerbetriebe sind daher gesetzlich verpflichtet, Sichtkontrollen auf Parasiten beim Filetieren und Ausnehmen von Fischen durchzuführen. Dies geschieht unter anderem mit Hilfe von Leuchttischen, die das Filet durchleuchten und Parasiten besser sichtbar machen. Im Rahmen der allgemeinen Sorgfaltspflicht ist der 350 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1

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Wild- und Zootiere ___________________________________________________________________________________________________________ Lebensmittelunternehmer, insbesondere bei nicht durchleuchtungsfähigen Erzeugnissen, angehalten, bei den Eigenkontrollen geeignete alternative Verfahren zum Parasitennachweis anzuwenden. Nachweis von Anisakidae L3-Larven in Fischereierzeugnissen – Prinzip der Methoden Das Prinzip der Sichtkontrolle beruht darauf, dass makroskopisch sichtbare Parasiten durch Inaugenscheinnahme des Erzeugnisses erkannt werden. Zur Unterstützung wird bei durchleuchtungsfähigen Erzeugnissen ein Leuchttisch verwendet, der 30 cm über der Lichtquelle eine Helligkeit von 1500 Lux aufweist. Bei der Digestion wird die Biologie/Physiologie der Nematodenlarven ausgenutzt, die die Passage durch einen Säugetiermagen ermöglicht: Die Parasitenstadien können kurzfristige niedrige pH-Werte durch Salzsäure sowie die Anwesenheit von Pepsin, überstehen, während das umgebende Fischgewebe durch diese Umgebung verdaut wird. Das Prinzip der UV-Press-Methode beruht darauf, dass Anisakidae-Larven Lipofuscin enthalten, welches durch die Beschickung mit UV-Licht mit einer Wellenlänge von 366 nm angeregt wird und dann fluoresziert. Die fluoreszierenden Larven sind einfach und schnell vom umgebenden Fischgewebe zu unterscheiden. Damit die Fluoreszenz auftritt, muss das Erzeugnis zuvor eingefroren werden/gewesen sein. Material und Methode Für die Untersuchung wurden Routineproben von Fischen und Fischereierzeugnissen verwendet, die durch in Niedersachsen eingesendet wurden. Hierin waren sowohl die kommunalen Veterinärbehörden durchleuchtungs- unterschiedlichen Verarbeitungszuständen enthalten. Vornehmlich handelte es sich um tiefgekühlte bzw. frische, unverarbeitete Erzeugnisse. Frische Erzeugnisse wurden vor der Untersuchung eingefroren. Es wurden auch geräucherte Erzeugnisse wie geräucherte Makrele und geräucherter Wildlachs untersucht. nicht-durchleuchtungsfähige Erzeugnisse mit als auch Zur Anwendung kamen das Durchleuchtungsverfahren/Sichtkontrolle gemäß Verordnung (EG) Nr. 2074/2005, das Digestionsverfahren gemäß ISO 23036-2:2021 vornehmlich für nicht-durchleuchtungsfähige Erzeugnisse sowie das UV-Press-Verfahren gemäß ISO 23036-1:2021. Die Filets wurden dabei auf 1-2 mm in einer Klarsichtfolie gepresst und mit UV-Licht (366 nm) in einer Kammer mit Aufsicht (CabUVis, Fa. Sarstedt) beschickt und fluoreszierende Nematodenlarven ausgezählt. Zunächst wurden die Gehalte an Nematodenlarven mittels UV-Press-Methode in nicht- durchleuchtungsfähigen Erzeugnissen bestimmt, worauf an denselben Proben die Digestionsmethode durchgeführt und die erhaltenen Nematodenzahlen vergleichend ermittelt wurden. Weiterhin wurden bei durchleuchtungsfähigen Erzeugnissen die Ergebnisse der Sichtkontrolle/Durchleuchtung mit denen der UV-Press-Methode bzw. der Digestionsmethode verglichen. Ergebnisse und Diskussion Für die Untersuchung wurden insgesamt n=148 Routineproben mit einem Gesamtgewicht von knapp 40 kg untersucht. In den TK-Erzeugnissen sowie in den frischen Erzeugnissen nach Gefrierbehandlung konnten mittels der UV-Press-Methode fluoreszierende Nematodenlarven dargestellt werden. In geräucherten Erzeugnissen konnten mittels UV-Press-Methode keine fluoreszierenden Nematodenlarven dargestellt werden. in nicht-durchleuchtungsfähigen Erzeugnissen erkannt, wobei in denselben Proben mit der Digestion 1299 Larven gefunden wurden. Mit der Sichtkontrolle wurden in 20 durchleuchtungsfähigen Proben exakt die Nematodenlarven gezählt, die auch mittels der UV-Press-Methode bestimmt werden konnten. Es wurden mit der UV-Press-Methode 1313 Nematodenlarven Generell kann auf Grundlage der Untersuchungen der Routineproben festgehalten werden, dass die UV- Press-Methode die Untersuchungsmöglichkeiten auf Nematodenlarven aus der Familie der Anisakidae sinnvoll und gleichwertig ergänzt: Im Mittel liefert sie vergleichbare Ergebnisse zu den anderen Methoden. In der Durchführung ist sie zeitlich deutlich kürzer und weniger Materialintensiv als die Digestionsmethode. Auch wenn sich tendenziell höhere Nachweisraten unter Anwendung der UV-Press-Methode im Vergleich zur Digestionsmethode bei Betrachtung der nicht-durchleuchtungsfähigen, unverarbeiteten Erzeugnissen 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1 351

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Wild- und Zootiere ___________________________________________________________________________________________________________ zeigen, sind diese Nachweisraten nicht signifikant. In den untersuchten Proben war diese tendenzielle Abweichung in den Nematodenlarven-Zahlen nie ausschlaggebend für eine unterschiedliche Beurteilung. Die tendenzielle Unterschiedlichkeit in den Ergebnissen der Methoden kann durch die Tatsache erklärt werden, dass Nematodenlarven in der Digestion scheinbar auch so aufgelöst/verdaut werden können, dass sie mit der Digestionsmethode nicht mehr erfasst werden können. Der Verdau kann auftreten, wenn die schützende Cuticula nicht mehr intakt ist. Diese Zerstörung der Kutikula scheint empirisch insbesondere bei mehrfach eingefrorenen, sogenannten „triplefrozen Erzeugnissen“ aufzutreten. Es wurden auch Proben untersucht, bei denen nur eine Kombination der Untersuchungstechniken zu zielführenden Ergebnissen führte. So konnte insbesondere bei geräucherten Erzeugnissen gezeigt werden, dass die Sichtkontrolle nur dann Ergebnisse lieferte, wenn das Erzeugnis zuvor mit der UV-Press-Methode gepresst wurde und dann auf einem Leuchttisch angeschaut wurde. Bei Beschickung mit UV-Licht gemäß der UV-Press-Methode trat keine Fluoreszenz der Nematodenlarven auf. Sie wurden dadurch nicht bzw. nicht ausreichend erkannt. Bei anschließender Digestion derselben Proben konnten keine Nematodenlarven gefunden werden. Diese Ergebnisse zeigen, dass in Abhängigkeit von der Probe, d.h. insbesondere von der Art ihrer Be- /Verarbeitung eine Kombination der Nachweismethoden sinnvoll sein kann, um Nematodenbelastungen im Erzeugnis zu erkennen. Nach derzeitiger Erkenntnis scheint dies insbesondere für geräucherte Erzeugnisse zuzutreffen. Hier kann das vorherige Pressen in Verbindung mit der Durchleuchtung hilfreich sein. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass auf Grundlage der vorgenommenen Untersuchungen an Routineproben die UV-Press-Methode ein wertvolles, ergänzendes und schnelles Verfahren ist, um etwaige Nematodenbelastungen zu erkennen. Sie sollte in keinem Untersuchungslabor fehlen, insbesondere für bestimmte Erzeugnisse in Kombination mit den anderen Nachweisverfahren. Literatur 1. DIN EN ISO 23036-1:2021-08: Mikrobiologie der Lebensmittelkette - Verfahren zum Nachweis von Anisakidae L3-Larven in Fisch und Fischereierzeugnissen - Teil 1: UV-Pressverfahren (ISO 23036-1:2021); Deutsche Fassung EN ISO 23036-1:2021 2. DIN EN ISO 23036-2:2021-08: Mikrobiologie der Lebensmittelkette - Verfahren zum Nachweis von Anisakidae L3-Larven in Fisch und Fischereierzeugnissen - Teil 2: Verfahren der künstlichen Verdauung (ISO 23036-2:2021); Deutsche Fassung EN ISO 23036-2:2021 3. Verordnung (EG) Nr. 2074/2005 der Kommission vom 5. Dezember 2005 i.d.F. vom 14.12.2019 4. Verordnung (EG) Nr. 853/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 i.d.F. vom 15.02.2023 5. EFSA Panel on Biological Hazards (BIOHAZ). (2010). Scientific opinion on risk assessment of parasites in fishery products. EFSA journal, 8(4), 1543. Kontakt Dr. Henner Neuhaus; Fachtierarzt für Fische, Institut für Fische und Fischereierzeugnisse Cuxhaven, Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, Cuxhaven Henner.Neuhaus@Laves.Niedersachsen.de 352 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband 1