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LBH: Leipziger Blaue Hefte 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband Tiermedizinische Fachangestellte Proceedings zum 12. Leipziger Tierärztekongress, 18. – 20. Januar 2024 Albrecht-Daniel-Thaer-Institut e.V., Universität Leipzig Prof. Dr. Uwe Truyen Institut für Tierhygiene und Öffentliches Veterinärwesen, Universität Leipzig Editoren: Dr. Reiko Rackwitz Facheditorin dieses Bandes: Dr. F. Rödler Redaktionsleitung: Dr. Reiko Rackwitz, Albrecht-Daniel-Thaer-Institut für Agrar- und Veterinärwissenschaften e.V., Universität Leipzig An den Tierkliniken 7, 04103 Leipzig blaue-hefte@uni-leipzig.de; https://www.vetmed.uni-leipzig.de/fakultaet/leipziger-blaue-hefte/ Gestaltung: Dr. Reiko Rackwitz Das Copyright der Manuskripte liegt bei den Autoren. Zitation dieses Bandes: Rackwitz R, Truyen U (Hrsg): LBH: 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband Tiermedizinische Fachangestellte Leipzig, 2024

Editorial Sehr geehrte Tiermedizinische Fachangestellte, genau wie die Tiermedizin unterliegt auch Ihr Berufsfeld der permanenten Weiterentwicklung. Neue Erkenntnisse der veterinärmedizinischen Forschung erfordern vielleicht ein Umdenken bei der Bewertung des Patientenverhaltens oder eine Anpassung des Handlings, neue diagnostische und therapeutische Methoden setzen das Erlernen neuer Fertigkeiten in der Assistenz voraus. Der Schwerpunkt „Tiermedizinische Fachangestellte“ des Leipziger Tierärztekongresses bietet Ihnen die Möglichkeit, neue Erkenntnisse und Methoden praxisnah kennenzulernen. In diesem Jahr steht dabei der Umgang mit Notfällen im Mittelpunkt. Dies betrifft natürlich das Management der betreffenden Patienten, ihr Handling und die entsprechende Assistenz. Aber auch der Umgang mit Patientenbesitzern erfordert in diesen Fällen spezielles Feingefühl und ist Inhalt des Vortragsprogramms. Wir wünschen Ihnen viel Spaß beim 12. Leipziger Tierärztekongress und beim Mit- und Nachlesen in dieser kleinen Zusammenstellung! Leipzig, November 2023 Prof. Dr. Uwe Truyen Dr. Reiko Rackwitz 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband Tiermedizinische Fachangestellte

Tiermedizinische Fachangestellte ___________________________________________________________________________________________________________ Inhaltsverzeichnis Ophthalmologische Notfälle in der Kleintierpraxis ....................................................................................... 5 Nicole Ewald Wenn im Notfall jede Hilfe zu spät kommt - wie überbringe ich schlechte Nachrichten, wie kann ich bei der Trauer unterstützen? .................................................................................................... 7 Karolina Kantor Herz und arterielle Thrombembolie – wenn die gelähmte Katze atemlos macht ....................................... 8 Katrin Birka Not-Felle in der Röntgendiagnostik: Worauf muss ich achten? ................................................................ 11 Anne-Kristin Moritz, Claudia Köhler, Ingmar Kiefer Unproduktives Würgen, aufgeblähter Bauch: Strukturiertes Vorgehen bei der Magendrehung beim Hund ................................................................................................................................................................ 12 Claudette Claure Cubillos Diabetes mellitus der Katze – wann ist es ein Notfall? .............................................................................. 15 Natalie Bertl „Der muss vergiftet sein!“ – Erste Hilfe beim Intoxikationsverdacht ....................................................... 18 Alexandra König Labordiagnostik beim Notfallpatienten - Was braucht man? Worauf muss ich achten? ........................ 19 Theresa Marquar Wenn Katzen keine Luft kriegen: Atemnot-Management für Tiermedizinische Fachangestellte ........... 22 Florian Traub Da sein, wenn sich alles dreht – Management des vestibulären Patienten .............................................. 24 Josephine Dietzel 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband Tiermedizinische Fachangestellte 3

Tiermedizinische Fachangestellte ___________________________________________________________________________________________________________ Ophthalmologische Notfälle in der Kleintierpraxis Nicole Ewald Kleintierzentrum am Schmelzbach, Wilkau-Haßlau im Praxisalltag immer wieder vor. Doch was Ophthalmologische Patienten kommen ist ein ophthalmologischer Notfall und wie kann ich die Patienten adäquat behandeln oder stabilisieren, um sie dann ggf. an einen Spezialisten zu überweisen. Die meisten Augenerkrankungen und auch Notfälle können mittels einer Otoskoplampe auch ohne teure technische Hilfsmittel wie Spaltlampe oder Ophthalmoskop diagnostiziert werden. Aber das Tonometer ist ein sehr wichtiges Hilfsmittel zur Einschätzung von ophthalmologischen Notfällen. Proptosis bulbi Der Vorfall des Augapfels aus der Augenhöhle definiert die Proptosis bulbi und hat fast immer traumatische Ursachen. Bei brachyzephalen Rassen reichen bereits ggr Einwirkungen auf den Hals oder den Kopf aus (z.B. Leinenzug oder Abwehrreaktionen bei Fixation) um eine Proptosis zu erzeugen. Anders bei dolichozephalen Rassen, hier braucht es ein sehr starkes Trauma (z.B. Autounfall oder Schlag/Tritt) gegen den Kopf. Initial nach dem Trauma sollten bereits die Besitzer oder die TFAs das Auge kühlen (Schwellung), die Augenoberfläche feucht halten (fehlender Lidschluss) und die Automutilation verhindern. Die Schwere der Verletzung entscheidet über die Prognose und Therapie, sind mehr als 2 gerade Augenmuskeln und/oder die Sklera gerissen muss das Auge enukleiert werden. Bei leichteren Verletzungen kann das Auge chirurgisch in die Orbita zurück verlagert werden und mit einer zeitweisen Tarsorrhaphie stabilisiert werden, zudem erfolgt eine medikamentelle Therapie. Glaukom Das Glaukom ist definiert durch die Abflussstörung des Kammerwassers aus dem Augapfel, welche zur Erhöhung des IOD (> 25mmHg) führt. Typische Symptome sind ein „rotes Auge“ (perilimbale Hyperämie), eine weite Pupille (Mydriasis), Blindheit oder vermindertes Sehvermögen und Hornhautödem. Das Glaukom kann primär oder sekundär auftreten. Beim Primärglaukom sind in der Regel beide Augen betroffen (ggf zeitlich versetzt), es besteht eine genetische Prädisposition und der Kammerwinkel ist meist strukturell so verändert, dass der Abfluss gestört ist. Das Sekundärglaukom tritt immer in Zusammenhang mit einer anderen Augenerkrankung auf, wie eine Uveitis (Entzündung der inneren Strukturen (Iris, Zilliarkörper und Aderhaut) des Auges), Neoplasie, Linsenluxation intraokuläre Blutung. Dabei verschließen Entzündungszellen, Blut, neoplastische Zellen, Narbengewebe, Linsenmaterial oder Glaskörper den Kammerwinkel. Die Tonometrie ist hier die essenzielle Methode der Diagnostik. Der erhöhte IOD muss innerhalb weniger Stunden medikamentell oder chirurgisch gesenkt werden um den Visus und das Auge zu erhalten. Die Glaukompatienten müssen bis zur Normalisierung des IOD streng in der Praxis überwacht werden. (nach anterior), plötzlicher Visusverlust Die plötzlich auftretende Blindheit kommt häufig bei älteren Katzen vor, meist ohne vorherige Einschränkung des Allgemeinbefindens. Als Ursache kann oft eine Netzhautablösung auf Grund eines zu hohen Blutdrucks diagnostiziert werden. Dies wird als hypertone Retinopathie bezeichnet. Therapeutisch muss der Blutdruck schnell normalisiert werden und die Netzhautablösung medikamentell behandelt werden. Bei schneller Therapie besteht die Chance den Visus innerhalb der ersten 24 h zurückzuerlangen. Auch Neoplasien, Entzündungen oder Infektionen können zum plötzlichen Visusverlust führen. Beim Hund gibt es zudem eine Erkrankung, bei der trotz physiologischer Befunde am Auge eine komplette Erblindung innerhalb weniger Tage auftritt. Ursache für SARDS (Sudden Acquired Retinal Degeneration Syndrome) ist das plötzliche Absterben der Fotorezeptoren in der Netzhaut. Die Ätiologie für diese Erkrankung ist bislang nicht abschließend geklärt. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband Tiermedizinische Fachangestellte 5

Tiermedizinische Fachangestellte ___________________________________________________________________________________________________________ Kollagenaseulcus Hornhautulcera gehören zu den am häufigsten vorgestellten Augenerkrankungen in der Sprechstunde. Auch diese können zu einem akuten Notfall werden. Kommt es zusätzlich zu einer Infektion mit bestimmten Bakterien oder Pilzen, kann sich durch die freigesetzten Kollagenasen das Kollagen der Hornhaut auflösen. Die Hornhaut wird weich und schmilzt regelrecht ein. Dies kann innerhalb von Stunden oder Tagen zur Ruptur der Hornhaut führen. Ein Kollagenaseulcus erfordert eine konsequente Therapie mit Antibiotika und Kollagenase hemmenden Medikamenten. Im Falle einer Hornhautruptur erfolgt eine chirurgische Therapie mit einem Konjuntivalflap oder einer CCT (Corneoconjunktivale Transposition). perforierende Hornhautverletzung Verletzungen durch Katzenkrallen in der Hornhaut oder Fremdkörper wie Dornen oder Stöckchen führen häufig zu Perforationen der Hornhaut. Die Tiefe des Traumas ist hier wichtig, denn ggf. können auch tiefere Strukturen wie die Iris oder Linse betroffen sein und zu schweren Entzündungen im Auge führen. Fremdkörper in der Hornhaut werden chirurgisch unter dem Operationsmikroskop mit mikrochirurgischen Instrumenten entfernt und Perforationen werden mittels Hornhautnaht verschlossen. Weiterführende Literatur 1. Featherstone HJ, Heinrich CL. The eye examination and diagnostic procedures. In: Gelatt KN, Gilger BC and Kern TJ (eds): Veterinary Ophthalmology (5th Ed). Ames, IO, John Wiley & Sons 2013;533-613. 2. Mandell DC, Holt E. Ophthalmic emergencies. Vet Clin North Am 2005; 35(2):445-480. 3. Maggs DJ, Miller PE, Ofri R. Cornea and Sclera. In: Slatter’s Fundamentals of Veterinary Ophthalmology (5th Ed): Philadelphia, PA, Saunders 2013;184-219. 4. Nasisse MP. (ed): Surgical management of ocular disease. Philadelphia: W.B. Saunders Co. Vet Clin North Am Small Anim Pract 1997;27(5) 5. Stades FC, Wyman M, Boevé MH, et al. Ocular emergencies. In: Ophthalmology for the Veterinary Practitioner. Hannover, Schlütersche GmbH & Co, 1998;31-38. 6. Williams DL, Barrie K, Evans TF. Veterinary Ocular Emergencies. Marnickville, Australia, Elsevier Science/Harcourt, 2002. Kontakt FTÄ Nicole Ewald; Kleintierzentrum am Schmelzbach, Wilkau-Haßlau Nicole.Ewald@tierdoc-team.de 6 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband Tiermedizinische Fachangestellte

Tiermedizinische Fachangestellte ___________________________________________________________________________________________________________ Herz und arterielle Thrombembolie – wenn die gelähmte Katze atemlos macht Katrin Birka Klinik für Kleintiere, Universität Leipzig Einleitung Arterielle Thrombembolie (ATE) bedeutet, dass ein Thrombus eine Arterie verschließt. Die Minderversorgung des Gebiets distal der Embolie führt zu starker Dolenz und Symptomen der fehlenden Blutversorgung. Typisch ist der Verschluss von Arterien der Extremitäten, es kann aber auch andere Arterien betreffen. Obwohl fast alle ATE-Fälle durch eine fortgeschrittene Herzerkrankung verursacht werden, ist die ATE häufig das erste klinische Symptom. Kardiomyopathien (Herzmuskelerkrankungen) stehen im Vordergrund, allen voran die Hypertrophe Kardiomyopathie (HCM). Bei ca. 50 % der Katzen liegt bei Diagnosestellung eine kongestive Linksherzinsuffizienz (Rückstau in und um die Lunge) vor. Kater sind häufiger als Kätzinnen betroffen; das typische Alter liegt bei 8-12 Jahren, häufigste Rasse ist Europäisch Kurzhaar. Pathogenese In den meisten Fällen liegen Erkrankungen der linken Herzseite zugrunde, die zu einer Vergrößerung des linken Atriums führen – hier können Blutgerinnsel entstehen. Die Entstehung von Thromben in Gefäßen erfordert eine übermäßige thrombotische Aktivität. Die Ursachen können mit der Virchow-Trias zusammengefasst werden: Hyperkoagulabilität (erhöhte Gerinnungsneigung), Störung der Hämodynamik (Stase) und Endothelläsionen. Bei felinen Kardiomyopathien spielen alle drei Faktoren eine Rolle. Gut sichtbar ist per Herzultraschall die Strömungsverlangsamung bis Stase in dem dilatierten linken Vorhof und dem Herzohr. Hier kann ein Gerinnsel entstehen, das insgesamt oder in Teilen abgeschwemmt werden kann. Werden die Gefäßlumina enger als der Thrombus, bleibt dieser stecken. Klassische Lokalisation ist die Aortenbifurkation (>2/3 der Fälle). Klinisches Bild und Diagnosestellung Die Besitzer werden meist wegen der motorischen Ausfälle und Schmerzen vorstellig, die oft fälschlicherweise einem Trauma zugeordnet werden. Typisch ist bei ATE der Extremitäten ein akutes schweres klinisches Bild: Hochgradige Dolenz mit Vokalisation, eingeschränkte Motorik bis Paralyse, ggf. begleitet von Symptomen einer gleichzeitigen kongestiven Linksherzinsuffizienz (Dyspnoe). Klinisch fällt meist der Ausfall des unteren Motoneurons auf. Der Grad des Gefäßverschlusses korreliert mit der Schwere der klinischen Symptomatik; etwa ein Drittel der Katzen haben noch Motorik in den betroffenen Gliedmaßen. Möglich sind auch Symptome anderer betroffener Regionen: Akute Nierenerkrankung (renal), zentralnervöse Ausfälle (ZNS) oder bei der Mesenterialarterie gastrointestinale Symptome. Bei der Auskultation des Herzens können Galopprhythmus, Herzgeräusch oder Arrhythmie vorliegen. Ein normaler Auskultationsbefund schließt allerdings eine Herzerkrankung nicht aus. Tachypnoe ist bei ATE-Patienten zu erwarten, zu achten ist aber auf Dyspnoe und Rasselgeräusche im Zuge einer konkurrenten kongestiven Herzinsuffizienz. Die Leitsymptome der ATE lassen sich als die „6 P“ beschreiben: - Paralysis/Paresis: Para- oder Monoparese bis –plegie - Pain/Paresthesia: Hochgradige Dolenz (cave!) - Pulselessness: Puls schwach bis fehlend - Pallor/Paleness: Kalte, blasse bis zyanotische Ballen - Poikilothermia: Kalt/kühler im minderperfundierten Bereich - Prostration: Schock (distributiv, kardiogen oder beides) Schock und Minderperfusion können zu Hypothermie bei der Messung der Rektaltemperatur führen. 8 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband Tiermedizinische Fachangestellte

Tiermedizinische Fachangestellte ___________________________________________________________________________________________________________ Bei der Beurteilung der Pulsqualität ist zu beachten, dass diese auch bei nicht betroffenen Katzen insbesondere im Bereich der Vorderbeine schwierig sein kann. Helfen kann die Darstellung mit Doppler- Verfahren. Infrarotthermografie hat zudem eine exzellente Spezifität (100 %, Sensitivität 80 %) bei 2,4 °C Temperaturunterschied zwischen betroffener und normal perfundierter Gliedmaße. Weiterhin kann die periphere Glukose bestimmt werden: 30 mg/dl bzw. 1,7 mmol/l Differenz hat eine exzellente Sensitivität (100%, Spezifität 80 %). Laktat kann ebenfalls bestimmt werden, hier fehlt noch ein zuverlässiger Cut-off-Wert. Die Gliedmaßen können verhärtete Muskulatur aufweisen. Die Muskelschädigung spiegelt sich in der massiven Erhöhung der Kreatinkinase (CK) bei Blutuntersuchungen wider. Bei Blutuntersuchungen fällt typischerweise eine Stresshyperglykämie sowie eine prärenale Azotämie auf. Hyperphosphatämie liegt ebenfalls häufig vor. Durch das Zugrundegehen der Zellen im embolisierten Areal wird Kalium freigesetzt. Diese Hyperkaliämie kann im Zuge eines Reperfusionsschadens lebensbedrohlich werden und muss unbedingt überwacht und ggf. therapiert werden. Hypokalzämie und Hyponatriämie sind ebenfalls häufig. Routinemäßige Gerinnungstests (PT, aPTT) sind häufig unverändert, D-Dimere können erhöht sein. Der Nachweis der Hyperkoagulabilität würde spezifischer Gerinnungstests bedürfen, die nur in wenigen Institutionen verfügbar sind. Thromben können mit verschiedenen bildgeberischen Verfahren direkt dargestellt werden (Sonografie, Angiografie, CT oder MRT), was aber nur in seltenen Fällen erforderlich ist. Therapie: Akut Eine intensive Therapie ist erforderlich. Vor jeder weiteren Maßnahme sollte eine suffiziente Analgesie stehen: Volle µ-Rezeptor-Agonisten (z.B. Fentanyl) sind angemessen. Auch eine gleichzeitige kongestive Herzinsuffizienz bedarf einer Stabilisierung: Sauerstoff und Furosemid (0,5-1 mg/kg i.m. oder i.v. oder 0,25 mg/kg/h i.v. mit Anpassung an Bedarf) sowie Stressvermeidung stehen an erster Stelle. Jede Diagnostik muss unter der Prämisse erfolgen, dass die Katze stabil genug sein muss. Geklärt werden muss die Bereitschaft des Besitzers, die auch kostenintensive Stabilisierung und im Erfolgsfall auch im Weiteren die Dauermedikation und Kontrollen zu gewährleisten. Erfolgen sollte ein Herzultraschall. Eine Röntgenuntersuchung kann ein Lungenödem darstellen, für Pleuraerguss ist eine Ultraschalluntersuchung gefolgt von einer Thorakozentese sinnvoll. Je nach Schockzustand kann eine sehr vorsichtige und streng überwachte Infusionstherapie angezeigt sein. Medikamente, die den Auswurf des Herzens stärken (Pimobendan 0,15 mg/kg i.v. oder 0,3 mg/kg p.o.) sind insbesondere bei systolischer Dysfunktion (Pumpschwäche des Herzens) sinnvoll, aber ohne Evidenz. Die Patienten sollten nicht aktiv aufgewärmt werden, um das Blut nicht umzuverteilen und den Schock zu verschlechtern. Als Gerinnungshemmer sollte die Katze so bald wie möglich Clopidogrel erhalten (75 mg/Katze über drei Tage, dann 18,75 mg/kg/Tag). Clopidogrel schmeckt allerdings bitter, was die Gabe erschweren kann. Zudem wird in der Akutphase niedermolekulares Heparin empfohlen (z.B. Dalteparin 75-150 IU/kg s.c. q6h) oder unfraktioniertes Heparin (250-300 IU/kg q6h s.c.). Diese Präparate können normalerweise 2-3 Tage nach Stabilisierung und Umstellung auf Clopidogrel abgesetzt werden. Bei manchen Patienten kann eine Kombinationstherapie Clopidogrel/Aspirin (20,25-81 mg/Katze q72h) in Erwägung gezogen werden. Allerdings sollte das nur bei Futteraufnahme verabreicht werden, um das Risiko der Entstehung gastrointestinaler Ulzera zu reduzieren. Bei allen antikoagulierten Patienten sollte auf zentralvenöse Blutentnahme verzichtet werden und auf Hinweise auf eine Blutungsneigung geachtet werden. Eine thrombolytische Therapie wird nicht empfohlen. Regelmäßig sollte das Schmerzlevel überprüft werden. Nach 24-48 h kann ein partieller µ-Rezeptor-Agonist wie Buprenorphin ausreichend sein. Stets zu überwachen sind Blutparameter: Hyperkaliämie und Azidose sind umgehend mit z. B. Dextrose, Insulin und Dextrose oder Natriumbicarbonat zu therapieren. Mindestens 72 h sollte die Gliedmaße möglichst wenig manipuliert werden. 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband Tiermedizinische Fachangestellte 9

Tiermedizinische Fachangestellte ___________________________________________________________________________________________________________ Therapie: Langzeit-Management Clopidogrel (18,75 mg/kg/Katze) ist unverzichtbar. Ein oraler Faktor Xa-Hemmer (z. B. Rivaroxaban: 0,5-1 mg/kg/Tag) wird mitunter empfohlen, entsprechende Studien laufen. Die Kombination beider Präparate wird i. d. R. gut toleriert. Bei Rezidiven oder sehr schweren Fällen kann der Besitzer zuhause weiterhin Heparin spritzen, auch hier gibt es nur wenige Daten. Die oft zugrundeliegende Herzerkrankung erfordert Furosemid (0,5-2 mg/kg q8-12h). Bei physiologischer Nierenfunktion kann unter Monitoring ein ACE-Hemmer erwogen werden (z.B. Benazepril 0,5 mg/kg oder Enalapril 0,25-0,5 mg/kg q12-24h). Pimobendan kann bei systolischer Funktion sinnvoll sein (0,3 mg/kg q12h). Bei Arrhythmien kann eine entsprechende gezielte Medikation erfolgen. Physiotherapie kann beim stabilisierten Patienten für die geschädigte Muskulatur auch über Wochen angezeigt sein und Kontrakturen entgegenwirken. Regelmäßige kardiologische Kontrollen sollten erfolgen. Prognose Besonders die ersten 24 h sind kritisch. Wenn diese überstanden sind, können sogar über 2/3 der Patienten überleben. Katzen mit nur einer betroffenen Gliedmaße (70-80 %) und erhaltener Motorik (90 %) können noch deutlich bessere Überlebensraten aufweisen. Negativ prognostische Faktoren sind eine Rektaltemperatur <37°C, Bradykardie, fehlende motorische Funktion, gleichzeitige kongestive Herzinsuffizienz, vorangegangene thrombembolische Ereignisse und mehr als eine betroffene Gliedmaße. Langzeit-Komplikationen können Muskelkontrakturen oder Nekrosen an betroffenen Gliedmaßen sein. Eine Amputation kann erforderlich werden, wenn die Nekrose die gesamte Gliedmaße erfasst. Eine nicht voll wiedererlangte neurologische Funktion kann zu Hautabschürfungen durch Überköten führen. Neuropathische Schmerzen können empirisch mit Gabapentin therapiert werden. Es wird eine mittlere Zeit bis zum Rezidiv mit Clopidogrel von über einem Jahr im Mittel beschrieben. Insgesamt handelt es sich um eine schwere, aber nicht aussichtslose Erkrankung, sofern die Besitzercompliance und die intensivmedizinische Betreuung gewährleistet sind. Kontakt Dr. Katrin Birka; Klinik für Kleintiere, Universität Leipzig 10 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband Tiermedizinische Fachangestellte

Tiermedizinische Fachangestellte ___________________________________________________________________________________________________________ Not-Felle in der Röntgendiagnostik: Worauf muss ich achten? Anne-Kristin Moritz, Claudia Köhler, Ingmar Kiefer Klinik für Kleintiere, Universität Leipzig Bei der Vorstellung eines Patienten im Notdienst ist schnelles Handeln gefragt. Die Röntgendiagnostik kann in vielen Fällen einen Hinweis auf die Ursache liefern oder bereits die Diagnose stellen. Der Schutz des Personals vor Röntgenstrahlen (Röntgenschürze, Schilddrüsenschutz) und vor Verletzungen (ggf. Maulkorb) ist bei einer Röntgenuntersuchung sehr wichtig (1). Je nachdem mit welchen Symptomen der Patient vorgestellt wird, ist eine Röntgenuntersuchung nützlich. Notfall-Patienten sollten so kurz wie möglich Stress ausgesetzt werden, weshalb einige Dinge im Vorfeld bereits durchdacht worden sein sollten, bevor der Patient auf dem Röntgentisch gelagert wird. Zeigt das Tier ein Trauma oder eine hochgradige Dyspnoe ist die Röntgenuntersuchung des Thorax die Methode der Wahl. Bei der Anfertigung einer Röntgenaufnahme ist die Auswahl geeigneter Projektionen und eine gute Lagerung wichtig. Standardmäßig erfolgt zunächst der ventro-dorsale Strahlengang, gefolgt von einer latero-lateralen Aufnahme (2). Es ist bei Röntgenuntersuchungen im Allgemeinen sinnvoll (mindestens) zwei Projektionsebenen (latero-lateral und ventro-dorsal/dorso-ventral) anzufertigen (2). Diese liefern zusammen mehr Informationen als eine Einzelprojektion und reduzieren die Wahrscheinlichkeit eine Fehldiagnose zu stellen. Bei Traumapatienten kann gegebenenfalls eine leicht verkippte Lagerung akzeptiert werden, wenn die Aufnahme hinsichtlich der Fragestellung auswertbar ist. In Einzelfällen, wie z.B. bei einer Torsio ventriculi oder einer eindeutigen Fraktur, kann im Rahmen der Notfalldiagnostik eine Projektionsebene ausreichend sein. Der behandelnde Tierarzt entscheidet dies je nachdem, ob eine weitere Aufnahme einen relevanten Einfluss auf die Weiterbehandlung des Patienten hätte. Nach oder anstelle einer Röntgenuntersuchung ist in einigen Fällen eine Ultraschalluntersuchung sinnvoll. Auf mögliche Fallbeispiele wird im Vortrag eingegangen. Wenn Notf(ä)elle in der bildgebenden Diagnostik Schritt für Schritt und mit viel Ruhe untersucht werden, kann in vielen Fällen eine Diagnose gestellt und dem Patienten schnell geholfen werden. Literatur 1. Hecht S. Angewandter Strahlenschutz. In: Hecht S. Röntgendiagnostik in der Kleintierpraxis. Stuttgart: Schattauer; 2012. S. 37-42. 2. Von Pückler K. Patientenlagerung und Aufnahmetechnik. In: Von Pückler K, Herausgeber. Röntgen Hund und Katze: Thorax und Abdomen. Stuttgart: Georg Thieme Verlag; 2019. S. 15-20. Kontakt Anne-Kristin Moritz; Klinik für Kleintiere, Universität Leipzig Anne-Kristin.Moritz@kleintierklinik.uni-leipzig.de 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband Tiermedizinische Fachangestellte 11

Tiermedizinische Fachangestellte ___________________________________________________________________________________________________________ Unproduktives Würgen, aufgeblähter Bauch: Strukturiertes Vorgehen bei der Magendrehung beim Hund Claudette Claure Cubillos Tierarztpraxis Kolonnadenviertel, Leipzig Definition Das Magen-Dilatations-Volvulus-Syndrom (MDV) wird auch als Magendrehung oder Torsio ventriculi bezeichnet. Dabei erfolgt eine Aufdehnung (Dilatation) des Magens im Zusammenhang mit einer Drehung (Volvulus) um seine mesenteriale Achse (1, 2). Folgen einer Magendrehung können z. B. verminderter venöser Rückfluss zum Herzen, Hypovolämie, Magenischämie, systemische Hypotonie, Schock, Sepsis und Tod sein (2). Signalement Am stärksten gefährdet für eine Magendrehung sind große bis sehr große Hunde mit tiefem Brustkorb (wie z. B. Doggen, Deutscher Schäferhund, Irish Setter, Dobermann, Weimaraner), aber auch Hunde kleinerer Rassen (wie Shar Pei, Bassett, Cocker Spaniel), die ein erhöhtes Verhältnis von Brustkorbtiefe zu Brustkorbbreite zeigen, können betroffen sein (1, 2, 3). Und auch Katzen und kleine Hunde können eine Magendrehung aufweisen (1). Pathophysiologie Eine auslösende Ursache ist nicht bekannt, aber multiple Faktoren erhöhen das Risiko, z.B. ältere Hunde; ängstliche, gestresste Tiere; erhöhte Fütterung; Schlingen der Nahrung; große Portionen Futter (nur 1x tägliche Fütterung); bereits erfolgte Splenektomie, vorherige Magendilatation, Magenfremdkörper oder Magen-Darm- Erkrankung, sowie Vorkommen in der engen Verwandtschaft (1. Grades). Der Magen dreht sich in den meisten Fällen im Uhrzeigersinn (Patient in Rückenlage, Chirurg steht rechts und schaut zum Kopf des Patienten) um 90 bis 360° (meist 220-270°). Dabei verlagern sich das Duodenum und der Pylorus nach ventral und links der Mittellinie, die Milz verlagert sich dadurch häufig auf die rechte ventrale Seite des Abdomens (1). Der Magen gast auf, die V. cava caudalis und V. portae werden komprimiert, wodurch es zu einer kardialen Ischämie kommt. Der zentrale Venendruck, der arterielle Blutdruck, das Herzschlagvolumen und das Herzminutenvolumen sinken, wodurch sich ein obstruktionsbedingter Schock mit einer Minderperfusion von Nieren, Herz, Magen-Darm-Trakt und weiteren Organen ergeben kann. Viele Hunde zeigen dadurch Arrhythmien, die unbehandelt auch zum Tod führen können (1). Klinik Häufig zeigen die Hunde neben einem zunehmend aufgeblähtem Abdomen, Unruhe, Speicheln und unproduktives Erbrechen. Bei Patienten die erst im fortgeschrittenen Stadium vorgestellt werden, können diese bereits dekompensiert im Schockgeschehen oder gar verstorben sein (1,2). Allgemeine Untersuchung Bei der abdominalen Palpation lassen sich eine Vergrößerung des Abdomens und eine Tympanie, gelegentlich auch eine Vergrößerung der Milz erkennen. Infolge des Schockgeschehens kann der Patient einen schwachen peripheren Puls, Tachykardie, verlängerte kapilläre Füllungszeit, blasse Schleimhäute und/oder Dyspnoe aufweisen (1, 2). Bildgebung Um die Magendrehung von einer einfachen Magendilatation zu unterscheiden benötigt man ein Röntgenbild. Eine rechtsanliegende seitliche Aufnahme ist gut geeignet um den verlagerten Pylorus 12 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband Tiermedizinische Fachangestellte

Tiermedizinische Fachangestellte ___________________________________________________________________________________________________________ darzustellen. Bei einer Magendrehung liegt der Pylorus im rechtsanliegenden lateralen Bild kranial des Corpus ventriculi und erscheint durch Weichteilgewebe getrennt (sog. Doppelblase, seitenverkehrtes C, Boxhandschuh, Kompartimentierung). Freies Gas in der Bauchhöhle weist auf eine Magenruptur durch Magenwandnekrose hin (1,2). Ist der Patient nicht ausreichend stabil, so sollte die Dekomprimierung des Magens bereits vor der Röntgenuntersuchung erfolgen (1). Ein Röntgenbild in Rückenlage sollte vermieden werden, da hier das Risiko einer Aspiration besteht. Eine dorsoventrale Aufnahme zeigt beim Vorliegen einer Magendrehung den Pylorus luftgefüllt links der Mittellinie (1). Versorgung des Patienten Oberstes Ziel ist es, den Patienten zu stabilisieren. Hierfür sollten großlumige Venenkatheter in die V. jugularis oder beide Vv. cephalicae gelegt werden. Isotone Infusionen können mit 90ml/kg/h verabreicht werden. Im Zuge des Einlegens der Venenzugänge kann auch eine Blutentnahme erfolgen, wichtige Parameter sind hierbei das Blutbild, die Elektrolyte und das Laktat (1,2). Die Dekomprimierung des Magens kann perkutan über großlumige Venenzugänge bzw. einen kleinen Trokar oder über das Einführen einer Magenschlundsonde erfolgen. Vor einer chirurgischen Versorgung sollten das Flüssigkeitsdefizit und eventuell bestehende Abweichungen des Elektrolythaushaltes ausgeglichen werden (1,2). Mackenzie et al. stellten 2010 fest, dass bei längerer Zeit zwischen Vorstellung und OP die Mortalitätsrate sinkt. Diese Zeit sollte also zur Stabilisierung des Patienten genutzt, aber auch nicht unnötig verlängert werden, um das Risiko für Ischämien nicht zu vergrößern (4). Song et al.begrenzten das Zeitfenster 2020 auf 3 Stunden von der Aufnahme bis zur operativen Versorgung, bevor die Mortalitätsrate steigt. Des Weiteren war in dieser Studie die Überlebensrate von Hunden, die von spezialisierten Chirurgen operiert wurden signifikant höher als bei Allgemeinchirurgen (3). In der Studie von Lhuillery et al. zeigte sich 2022 kein signifikanter Unterschied in der Überlebensrate, wenn die Zeit bis zur Versorgung länger (bis zu 13 Stunden) dauerte. Voraussetzung waren die ausreichende Dekomprimierung des Magens und Infusionstherapie zur Stabilisierung des Kreislaufes (5). Anästhesie Ist der Patient ausreichend stabilisiert und frei von signifikanten Arrhythmien, kann eine Prämedikation mit Diazepam i.v. und anschließend die Narkoseeinleitung mit Propofol i.v. erfolgen. Zur Erhaltung der Narkose eignen sich Iso- oder Sevofluran. Treten Arrhythmien auf, kann Lidocain verwendet werden (Boli oder DTI) (1,2). Chirurgische Versorgung Nach Eröffnung der Bauchhöhle wird zunächst der Magen repositioniert. Magen, Milz und die weiteren ihre Durchblutung kontrolliert. Bei Bedarf soll eine Splenektomie oder Bauchorgane werden auf Magenteilresektion erfolgen (1, 2). Anschließend wird der Magen, zur Vermeidung von Rezidiven, an der rechten Bauchwand fixiert. Dies kann über verschiedene Techniken erfolgen, die häufigsten sind die Inzisionsgastropexie und die Belt Loop Technik, wobei Song et al. keinen signifikanten Unterschied zwischen diesen Techniken feststellen konnten (3). Ohne Gastropexie liegt das Risiko für ein Rezidiv bei ca. 70-80 % und auch die mittlere Überlebenszeit ist deutlich geringer (2, 3). Postoperative Überwachung Die postoperative Überwachung beinhaltet die regelmäßige Kontrolle der Kreislaufparameter. Bei über der Hälfte der Patienten treten in den ersten 24 Stunden post OP Arrhythmien auf, eine engmaschige Kontrolle des EKG und Behandlung auftretender Arrhythmien ist daher besonders wichtig (1,2). Zur analgetischen Behandlung werden Opioide empfohlen (1, 5). Sollte postoperativ Erbrechen auftreten, so kann dies Folge einer Magenatonie nach Magendilatation sein. Hierfür können Antiemetika oder Prokinetika verabreicht werden (1,2). 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband Tiermedizinische Fachangestellte 13

Tiermedizinische Fachangestellte ___________________________________________________________________________________________________________ Da es bei fortgeschrittener Ischämie der Magenwand zu einer erhöhten Schleimhautpermeabilität kommt, besteht das Risiko einer bakteriellen Translokation. Daher wird der Einsatz von Antibiotika befürwortet (2,5). Komplikationen Sollte nekrotisches Gewebe nicht vollständig entfernt oder eingestülpt worden sein, kann es durch Perforationen zu einer Peritonitis oder Sepsis kommen. Eine regelmäßige Kontrolle in kurzen Abständen ist daher angeraten um zeitnah chirurgisch eingreifen zu können. Um eine disseminierte intravasale Gerinnung zu detektieren, sind Kontrollen der Gerinnungsparameter erforderlich (1). Prognose Die Mortalitätsrate für chirurgisch behandelte Hunde liegt zwischen 10-28 %, wobei folgende Faktoren eine Infusionstherapie ansprechen, schlechtere Prognose bedingen: erhöhte Laktatwerte, die nicht auf Magenwandnekrose, präoperative Arrhythmien, Notwendigkeit einer Splenektomie, Vorstellung mit bereits deutlich reduziertem Allgemeinbefinden, Hypotonie, Peritonitis/Sepsis, DIC (1, 2). Fazit Die Stabilisierung des Patienten ist der wichtigste Faktor um die Prognose zu verbessern. Auch wenn der operative Eingriff nicht vor Ort durchgeführt werden kann, liegen die Möglichkeiten der Infusionstherapie und der Dekomprimierung des Magens im Rahmen jeder Haustierarztpraxis und sollten daher jedem betroffenen Patienten zugänglich gemacht werden. Literatur Theresa W. Fossum: Chirurgie der Kleintiere, 2.Auflage, Urban & Fischer, S. 449ff 1. 2. Desiree Rosselli: Updated Information on Gastric Dilatation and Volvulus and Gastropexy in Dogs, Veterinary Clinics of North America: Small Animal Practice Volume 52, Issue 2, March 2022, Pages 317-337 3. KK Song, SE Goldsmid, J Lee et al., Retrospective analysis of 736 cases of canine gastric dilatation volvulus, Australian Veterinary Journal Volume 98 No. 6, June 2020 4. Mackenzie G, Barnhart M, Kennedy S, DeHoff W, Schertel E. A retrospective study of factors influencing survival following 5. surgery for gastric dilatation-volvulus syndrome in 306 dogs. JAAHA 2010;46(2):97-102. Lhuillery E, Libermann S, Le Boedec K et al., Outcomes of dogs undergoing surgery for gastric dilatation volvolus after rapid versus prolonged medical stabilization, Veterinary Surgery, 2022; 51: 843-852. Kontakt Claudette Claure Cubillos; TAP Kolonnadenviertel, Leipzig c.cubillos@gmx.de 14 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband Tiermedizinische Fachangestellte

Tiermedizinische Fachangestellte ___________________________________________________________________________________________________________ Diabetes mellitus der Katze – wann ist es ein Notfall? Natalie Bertl Anicura Tierklinik Haar Definition Im Jahr 2022 wurde im “The Veterinary Journal“ zur Vereinheitlichung von Begrifflichkeiten eine Definition des Diabetes mellitus bei Hund und Katze veröffentlicht: “Diabetes mellitus (DM) is a heterogeneous group of diseases with multiple aetiologies, characterized by hyperglycaemia resulting from inadequate insulin secretion, inadequate insulin action or both“ (1). Demnach handelt es sich beim Diabetes mellitus um eine heterogene Gruppe von Krankheiten mit multiplen Ätiologien, die durch Hyperglykämie gekennzeichnet ist. Diese entsteht durch inadequate Insulinsekretion, inadequate Insulinwirkung, oder beidem. Dabei sind folgende Kriterien für die Diagnose eines Diabetes mellitus bei der Katze angegeben: 1. Blutglucose ≥15mmol/l (270mg/dl) mit klinischen Symptomen einer Hyperglykämie oder hyperglykämischer Krise und mindestens eines der folgenden Kriterien: - erhöhte glykosylierte Proteine - Glukosurie zu mehr als einem Zeitpunkt, mindestens 2 Tage nach jeglichem Stressevent 2. bei Katzen (gefastet oder nicht) mit einer Blutglucose von >7 und < 15 mmol/l (126-270 mg/dl) und mindestens zwei der folgenden Kriterien: - klassische klinische Symptome einer Hyperglykämie (ohne andere ersichtliche Ursache) oder einer hyperglykämische Krise - erhöhte glykosylierte Proteine - Glukosurie (zu mehr als einem Zeitpunkt, aus einem in häuslicher Umgebung aufgefangenen Urin, mindestens 2 Tage nach jeglichem Stressevent) (1). Weiterhin wurde eine Übereinkunft über eine Klassifizierung der Ätiologie getroffen. Hier findet eine Einteilung der Pathogenese in zwei grundlegende Genesen statt: - insulindefizienter Diabetes mellitus (ß-Zell abhängige Erkrankungen) und - insulinresistenter Diabetes mellitus (Zielorganerkrankung). In der ersten Gruppe finden sich daher Krankheitskomplexe, die zum einen zu einer reduzierten Insulinsekretion führen (ß-Zell Dysfunktion, Zerstörung, Apoptose und /oder Aplasie/Abiotrophie/Hypoplasie) und zum zweiten eine Produktion von defektem Insulin. Bei den Zielorganerkrankungen handelt es sich wiederum um Erkrankungen, die zu einer verminderten Ansprechbarkeit der Zielzellen auf Insulin führen, wie endokrinologische Beeinflussungen (Wachstumshormon, Steroide, Katecholamine, Thyroidhormone), Adipositas, Medikamente, Entzündungsmediatoren und Erkrankungen am Rezeptor und der intrazellulären Signalweiterleitung (1). Symptomatik Solange noch ein metabolisches Gleichgewicht besteht, stehen vor allem die typischen Symptome des Diabetes im Vordergrund. Diese sind Polyurie, Polydipsie und Polyphagie. Weiterhin kommt es häufig zu einem deutlichen Gewichtsverlust bei erhaltener Futteraufnahme. Ausgeprägte Symptome wie Schwäche, plantigrade Fußung, Vomitus und Anorexie kommen seltener vor und sind eher der Ausdruck einer fortgeschrittenen Erkrankung oder metabolischen Entgleisung (DKA) (2). Therapie Bei einer frühzeitigen Vorstellung der Katze mit Symptomen eines Diabetes, mellitus handelt es sich nicht um einen Notfall per se. Dennoch sollte der Beginn einer Therapie unmittelbar nach Diagnosestellung erfolgen, um Folgeprobleme zu vermeiden und die Möglichkeit auf eine Remission auszunutzen. Die Therapie ist vor allem auf die Kontrolle der Hyperglykämie ausgerichtet und erfolgt in diesen Fällen mit für die Katze 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband Tiermedizinische Fachangestellte 15

Tiermedizinische Fachangestellte ___________________________________________________________________________________________________________ zugelassenen Insulinpräparaten: langwirksames ProZinc® (Boehringer Ingelheim; rekombiniertes humanes Protamin-Zink-Insulin) oder mittellangwirksames Caninsulin® (MSD Animal Health; porcines Lente-Insulin) (2- 4). Eine dietätische Anpassung wird in der Literatur für viele diabetische Katzen ausdrücklich empfohlen. Das Ziel des dietätischen Managements ist eine nutritiv vollwertige und schmackhafte Diät zur Verfügung zu stellen, die gut aufgenommen wird und dadurch Hypoglykämien und weiteren Gewichtsverlust verhindert. Postprandiale Hyperglykämien und Fluktuationen im Blutglukosespiegel sollten verhindert werden. Bei adipösen Katzen wird eine Gewichtsreduktion angestrebt, um die Ansprechbarkeit der Zielzellen auf Insulin (Reduktion der Insulinresistenz) und die glykämische Kontrolle zu verbessern (2,4). Bislang werden für diabetische Katzen überwiegend kohlehydratreduzierte Diäten (≤12 % metabolisierbare Energie (ME) oder ≤3g/100kcal) empfohlen (4). Der Diabetespatient als Notfall Bei nicht ausreichend gut oder unbehandelten Tieren kann es zu metabolischen Komplikationen kommen. Die diabetische Ketoazidose (DKA) ist eine schwere systemische Erkrankung, mit profunden Störungen des Wasser-, Elektrolyt- und Säure-Base-Haushalts, die sich mit Hyperglykämie, Ketonämie und/oder Ketonurie und metabolischer Azidose äußert. Bei Katzen mit einer DKA besteht ein dringender und intensiver Behandlungsbedarf. Hier muss nun von einem Notfallpatienten gesprochen werden, da es sich je nach dem Schweregrad der Ausprägung um einen lebensbedrohlichen Zustand handelt. Die wichtigsten fünf Behandlungsziele von schwerkranken Patienten mit DKA sind die Wiederherstellung des Flüssigkeits- und Elektrolythaushalts, Versorgung mit adequaten Mengen von Insulin, Korrektur der Azidose, Identifizierung der Ursachen der Entgleisung und wenn nötig, Zugabe von Kohlehydratsubstraten um die Insulingabe ohne Entstehung einer Hypoglykämie weiterführen zu können (5). Für den Ausgleich von Hypovolämie und Dehydratation muss eine unmittelbare intravenöse Flüssigkeitstherapie in Form von einer Dauertropfinfusion (DTI) erfolgen. Der Flüssigkeitsdefizit berechnet sich hierbei als Summe aus Dehydratation (% Dehydration x kg Körpergewicht x 1000 ml/kg), Verlusten und Erhaltungsbedarf. Das Defizit sollte möglichst innerhalb der ersten 24 Stunden ausgeglichen werden. Die Korrektur des Elektrolythaushaltes (Kalium, Phosphat) muss je nach Ausprägung und nach Beginn der Rehydratation erfolgen. Kontrollen zur Überprüfung der aktuellen Werte sind mehrfach notwendig. Bezüglich des Insulins muss ebenfalls sehr individuell entschieden werden. Der Start der Therapie sollte in der Regel erst ca. 4h nach Start der Infusionstherapie beginnen. In der Regel muss mit einem kurzwirksamen Insulin und intravenöser Verabreichung, idealerweise per DTI begonnen werden. Eine Umstellung auf eine subkutane Applikation kann erst im späteren Verlauf erfolgen, wenn die Ketonkörperkonzentration unter 2,55 mmol/l gesunken und eine konstante Futteraufnahme (selbständig oder per Sonde) gewährleistet ist (5). Der Ausgleich einer metabolischen Azidose über intravenöses Bicarbonat ist nur in sehr seltenen Fällen notwendig (pH <6,9 und HCO3 <11) und muss für jeden Patienten überdacht werden. Im Verlauf der Therapie muss der klinische Status der Katze mehrfach überprüft werden (Reevaluation der Vitalparameter alle 1-2h). Blutglukosekontrollen werden ebenfalls alle ein bis zwei Stunden, aus venösem oder kapillärem Blut (Ohrrandvene), oder über eine Messung der interstitiellen Blutglucosekonzentration über ein CGM-System (Continuous glucose monitoring system) durchgeführt. Das Freestyle Libre ist ein CGM-System, welches über 14 Tage alle 15 min die interstitielle Glucosekonzentration misst. Obwohl es bislang nicht für Katzen und Hund kalibriert wurde, scheinen die generierten Werte überwiegend adequat (6). Weitere Überprüfungen veränderter Laborwerte (Kalium, Phosphat, Blutgasanalyse, Ketonkörper) erfolgen je nach Parameter und Veränderung ca. alle 4-24h (5). Einen weiteren Notfall stellt die Entstehung hypoglykämischer Krisen dar, bei dem es zu einer kritischen Blutzuckerabsenkung kommt. Klinische Symptome entstehen meist, wenn der Blutzucker unter 2,8 bis 3,4 mmol/l (50 bis 60 mg/dl) sinkt (2). Hierbei handelt es sich ebenfalls um einen lebensbedrohlichen Zustand, der eine sofortige Therapie erfordert. Die Symptome beinhalten Krampfanfälle, Anorexie, Zittern, Erbrechen, Ataxie, Lethargie bis hin zur Seitenlage. Besitzer müssen über das Erscheinungsbild von Hypoglykämien aufgeklärt 16 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband Tiermedizinische Fachangestellte

Tiermedizinische Fachangestellte ___________________________________________________________________________________________________________ werden, damit sie adäquat und schnellstmöglich reagieren können. Die Erste Hilfe beinhaltet vor allem die Gabe von Honig, Dextrosegel oder Glucose auf die Maulschleimhaut oder in das Maul (4). Da meist vorab eine gute Aufklärung der Besitzer erfolgt, kommt es seltener zu einer Vorstellung hypoglykämischer Patienten in der tierärztlichen Praxis oder Klinik. Gerade daher muss diese Notfallsituation immer wieder aktiv in Betracht gezogen werden, wenn sich ein Patient unter Insulintherapie mit den genannten oder auch milden, unspezifischen Symptomen (wechselhafter Appetit, Abgeschlagenheit, Gangunsicherheiten etc) in der Sprechstunde vorstellt. Besteht der Verdacht auf wiederkehrende Hypoglykämien (fragliche Symptomatik, hohe Insulindosis) so können diese ebenfalls mit CGM-Systemen (Continuous glucose monitoring system) dargestellt werden (6). Die Insulindosis muss in der weiteren Therapie überdacht werden Literatur 1. Niessen SJM, Bjornvad C, Church DB, Davison L, Esteban-Saltiveri D, Fleeman LM, Forcada Y, Fracassi F, Gilor C, Hanson J, Herrtage M, Lathan P, Leal RO, Loste A, Reusch C, Schermerhorn T, Stengel C, Thoresen S, Thuroczy J; ESVE/SCE membership. Agreeing Language in Veterinary Endocrinology (ALIVE): Diabetes mellitus - a modified Delphi- method-based system to create consensus disease definitions. Vet J. 2022 Sep 29;289:105910. 2. Reusch C: Feline Diabetes Mellitus. In: Feldman E, Nelson R, Reusch C, et al, Herausgeber. Canine and Feline Endocrinology (Fourth Edition), W.B. Saunders, 2015, Seiten 258-314. 3. Niessen S, The Diabetic Cat: Insulin Resistance and Brittle Diabetes. In: Little S, Herausgeberin. August's Consultations in Feline Internal Medicine (7. Auflage), W.B. Saunders, 2016, Pages 221-230. 4. Sparkes AH, Cannon M, Church D, Fleeman L, Harvey A, Hoenig M, Peterson ME, C, Taylor S, Rosenberg D; ISFM consensus guidelines on the practical management of diabetes mellitus in cats. Feline Med Surg 2015 Mar;17(3):235-50. 5. Nelson R: Diabetic Ketoacidosis. In: Feldman E, Nelson R, Reusch C, et al, Herausgeber. Canine and Feline Endocrinology (Fourth Edition), W.B. Saunders, 2015, Seiten 315-347. 6. Behrend E, Holford A, Lathan P, VMD, Rucinsky R, Schulman R. 2018 AAHA Diabetes Management Guidelines for Dogs and Cats. J Am Anim Hosp Assoc 2018; 54:1–19. DOI 10.5326/JAAHA-MS-6822 Kontakt Dr. Natalie Bertl, Anicura Tierklinik Haar, Haar, Deutschland natalie.bertl@anicura.de 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband Tiermedizinische Fachangestellte 17

Tiermedizinische Fachangestellte ___________________________________________________________________________________________________________ Labordiagnostik beim Notfallpatienten - Was braucht man? Worauf muss ich achten? Theresa Marquar Laboklin GmbH & Co. KG, Bad Kissingen Notfallpatienten werden häufig mit zwar schwerwiegenden, aber zum Teil unspezifischen Symptomen vorgestellt. Daher ist es gerade bei diesen Tieren wichtig auch durch Labordiagnostik, ergänzend zu klinischer Untersuchung und Bildgebung, ein umfassendes Bild vom Patienten zu erhalten. Für die labordiagnostischen Notfalluntersuchungen ist es zunächst elementar, geeignetes Probenmaterial zu gewinnen. Hierzu zählt für eine Basis-Blutuntersuchung EDTA-Vollblut inklusive direkt nach Blutentnahme angefertigtem Blutausstrich sowie Serum oder Heparin-Plasma. Für eine Messung im Versandlabor muss das Serum oder Plasma zuvor abzentrifugiert (4000 g, 5-10 min) und in ein neues, neutrales Gefäß pipettiert werden. Zusätzlich empfiehlt es sich bei Versandproben Natriumfluoridblut für eine plausible Messung der Glukose zu entnehmen (1). Die Basis-Laboruntersuchung beim Notfallpatienten enthält ein Blutbild sowie eine blutchemische Untersuchung inklusive der Elektrolyte, optimal auch eine Harnuntersuchung. Tabelle 1: Häufige Blutbildveränderungen und mögliche Ursachen bei Hund und Katze Veränderung Anämie (13) Neutrophilie (14) Neutropenie (14) Lymphozytose (14) Lymphopenie (14) Mögliche Ursachen Regenerativ: • Hämolyse • Blutung Nicht regenerativ: • Sehr frische Blutung oder Hämolyse: noch nicht regenerativ (= präregenerativ) • Begleitanämie Erkrankungen bei chronischen/entzündlichen • Knochenmarkserkrankung • Chronische Nierenerkrankung • Medikamenten-assoziiert • Eisenmangel • Hormonelle Erkrankungen (z.B. M. Addison oder Hypothyreose) • Entzündung • • Endogene/ Infektion (Stressleukogramm) exogene Glukokortikoide • Physiologische (aufregungsbedingte) Leukozytose • Schwere Entzündung und/oder Infektion (Sepsis) • Problem im Knochenmark • • Physiologisch /aufregungsbedingt (insbesondere bei Immunvermittelte Zerstörung Katzen) Jungtiere Infektion (z.B. FeLV, Ehrlichiose, Leishmaniose) Leukämie/ Lymphom Stadium V • • • • Hypoadrenokortizismus • Endogene/ exogene Glukokortikoide • Virale Infektionen • Lymphknotenveränderungen Rezirkulation) (verminderte 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband Tiermedizinische Fachangestellte 19

Tiermedizinische Fachangestellte ___________________________________________________________________________________________________________ Tabelle 1 (Fortsetung): Häufige Blutbildveränderungen und mögliche Ursachen bei Hund und Katze Monozytose (14) Eosinophilie (14) Thrombozytose (15) Thrombozytopenie (15) • Entzündung • Endogene/ exogene Glukokortikoide • Parasitäre Infektionen • Allergie • Entzündung von Haut, Gastrointestinaltrakt, Lunge • Sekundär bei Tumoren (z.B. Mastzelltumor) • Hypereosinophiles Syndrom • Entzündungen • Chronische Blutungen • • Verminderte Produktion im Knochenmark (z.B. bei Tumore (Hund) Zytostatika Therapie) Zerstörung (z.B. immunmediiert oder bei Infektionen) • Erhöhter Verbrauch (z.B. bei schweren Entzündungen) • • Erhöhter Verlust (z.B. bei akuten Blutungen) • Thrombozytensequestration Tumoren) (z.B. in der Milz bei Das Blutbild enthält neben Erythrozytenzahl, Hämatokrit und Hämoglobinkonzentration auch die Leukozytenzahl inklusive Differentialblutbild sowie die Thrombozytenzahl. Gerade bei Verdacht auf eine Anämie (z.B. blasse Schleimhäute) sollte zudem die absolute Retikulozytenzahl bestimmt werden. Wenn in der Praxis kein Gerät zur Messung des Blutbildes zur Verfügung steht, kann eine Messung des Mikrohämatokrits mittels spezieller Zentrifuge erste Hinweise auf eine möglicherweise vorliegende Anämie liefern. Abweichungen im Blutbild sowie deren häufigsten Ursachen sind in Tabelle 1 aufgeführt. Die ergänzende Untersuchung eines Blutausstrichs kann vor allem bei unklaren Ergebnissen des Zellcounters sowie bei Verdacht auf Blutparasiten, atypische Zellen oder stabkernige Neutrophile sinnvoll sein. Dabei muss der Blutausstrich für eine optimale Zellbeurteilung direkt frisch in der Praxis angefertigt werden. In der klinisch-chemischen Untersuchung gehören zur minimalen Datenbasis eine Untersuchung der Nierenwerte Harnstoff und Kreatinin (2), ausgewählter Leberenzyme (mindestens ALT und AP), Bilirubin, Gesamteiweiß, Albumin, Globulin, Glukose und der Elektrolyte (insbesondere Kalium, Natrium, Calcium, Phosphat). Je nach Vorbericht und Verdachtsdiagnose ist eine Bestimmung weiterer Parameter sinnvoll. So können weitere Leberenzyme (wie z.B. AST) und Leberfunktionsparameter (z.B. Gallensäuren) bei Leberproblemen hilfreich sein. Im Fall eines möglichen Diabetes mellitus sind Fruktosamin sowie β-Hydroxybutyrat (3,4,5) nützlich und die Lipase (6) kann eine Bauchspeicheldrüsenentzündung anzeigen. Zur weiteren Abklärung entzündlicher Erkrankungen bietet sich die Messung spezifischer Entzündungsmarker an. Hierzu eignet sich beim Hund das C-reaktive Protein (CRP) und bei der Katze das Serum Amyloid A (SAA)(7,8). Im Idealfall wird die Blutuntersuchung durch eine Harnuntersuchung bestehend aus Harnstatus, Harnsediment und urinspezifischem Gewicht ergänzt. Diese kann gerade bei Harnabsatzstörungen oder vermehrtem Harnabsatz wichtige Hinweise liefern (9). Ergeben sich anhand des Vorberichtes und der klinischen Untersuchung Hinweise auf eine Gerinnungsstörung, ist neben der Messung der Thrombozytenzahl zunächst die Bestimmung der Thromboplastinzeit (Quick-Test, Prothrombinzeit) sowie der aktivierten partiellen Thromboplastinzeit (aPTT) angeraten. Für die Messung der Gerinnungstests ist Zitratblut notwendig (10). Dazu müssen (nicht abgelaufene) Zitratröhrchen zwingend exakt bis zur angezeigten Markierung gefüllt werden (1). Zum Erhalt einer guten Probenqualität bei Versandproben ist das zeitnahe Abzentrifugieren des Zitratblutes (1500-2000 g, 10 min) und Überführen des Zitratplasmas in ein neutrales Gefäß notwendig (10). Bei Körperhöhlenergüssen kann die Ergussflüssigkeit weiterführend untersucht werden. Untersuchungen des Punktates sollten neben der Analyse von Zellzahl und Zelltyp (Zytologie) insbesondere den Eiweißgehalt 20 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband Tiermedizinische Fachangestellte

Tiermedizinische Fachangestellte ___________________________________________________________________________________________________________ umfassen. Die spezifische Dichte kann ebenfalls Hinweise auf den Ursprung des Ergusses liefern. Weitere wichtige Parameter sind je nach klinischem Verdacht Albumin/Globulin, Glukose, Bilirubin, Kreatinin, Lipase, Triglyceride und Cholesterin. Für die zytologische Untersuchung, die z.B. für die Suche nach Bakterien und somit die schnelle Diagnose eines septischen Ergusses herangezogen wird, sollte die gewonnene Probe in ein EDTA-Gefäß überführt werden um die Zellintegrität zu erhalten. Es sollte sowohl ein Direktausstrich als auch, insbesondere bei zellarmen, makroskopisch meist klaren Punktaten, ein Zentrifugat-/ Sedimentausstrich (1500 g; 10 Minuten) angefertigt werden. Für die bakteriologische Untersuchung empfehlen sich Blutkulturflaschen oder ansonsten ein Tupfer mit geeignetem Medium (11). Anschließend an diese Basisdiagnostik kann nach der Stabilisierung des Patienten eine gezielte weitere Diagnostik erfolgen. Diese kann neben bildgebenden Verfahren (Sonografie, Röntgen) auch weitere labordiagnostische Untersuchungen wie die Herzparameter Troponin I und NT-proBNP umfassen (12). Auch spezifische Tests zum Nachweis von Infektionserregern wie PCR-Untersuchungen und Antikörper-Tests zählen hierzu. Die jeweilige Auswahl an diagnostischen Test sollte sich dabei am klinischen Erscheinungsbild des Patienten und möglichen Verdachtsdiagnosen orientieren. Nur so ist eine gezielte und sinnvolle Aufarbeitung des Notfallpatienten möglich. Literatur 1. Schwendenwein I: Allgemeine Labortechniken. In: Moritz A, Herausgeber. Klinische Labordiagnostik in der Tiermedizin. 7. Aufl. Stuttgart: Schattauer GmbH; 2014. S. 21-34. 2. Ross L. Acute kidney injury in dogs and cats. Veterinary Clinics: Small Animal Practice. 2011;41(1):1-14. 3. Weingart C, Kohn B. Pathophysiologie und diagnostische Bedeutung von Ketonkörpern bei Diabetes mellitus bei Hund und 4. Katze. Kleintierpraxis. 2012;11(3): 156-166. Fracassi F: Canine diabetes mellitus. In: Ettinger S, Herausgeber. Textbook of veterinary internal medicine 8. Aufl. St. Louis: Elsevier Inc.; 2017. S. 1767-1781. 5. Rand J, Gottlieb SA: Feline diabetes mellitus. In: Ettinger S, Herausgeber. Textbook of veterinary internal medicine 8. Aufl. St. Louis: Elsevier Inc. 2017. S. 1781-1795. 6. Hope A, Bailen EL, et al. Retrospective study evaluation of DGGR lipase for diagnosis, agreement with pancreatic lipase and prognosis in dogs with suspected acute pancreatitis. Journal of Small Animal Practice. 2021;62(12):1092-1100. 7. Cerón JJ, Eckersall PD. Acute phase proteins in dogs and cats: current knowledge and future perspectives. Veterinary clinical pathology. 2005;34(2):85-99. 8. Nakamura M, Takahashi M, et al. C-reactive protein concentration in dogs with various diseases. Journal of Veterinary Medical Science. 2008;70(2):127-131. 9. Piech TL, Wycislo KL. Importance of Urinalysis. Veterinary Clinics: Small Animal Practice. 2019;49(2):233-245. 10. Mischke R: Hämostase. In: Moritz A, Herausgeber. Klinische Labordiagnostik in der Tiermedizin. 7. Aufl. Stuttgart: Schattauer GmbH; 2014 S. 197-242. 11. Hirschberger, J: Körperhöhlenergüsse. In: Moritz A, Herausgeber. Klinische Labordiagnostik in der Tiermedizin. 7. Aufl. Stuttgart: Schattauer GmbH; 2014. S. 528-536. 12. Smith KF, Quinn RL et al. Biomarkers for differentiation of causes of respiratory distress in dogs and cats: part 1–cardiac diseases and pulmonary hypertension. Journal of Veterinary Emergency and Critical Care. 2015;25(3):311-329. 13. Harvey JW: Evaluation of erythrocytes. In: Harvey JW: Veterinary Hematology: A diagnostic Guide and Color Atlas. 1. Aufl. St. Louis: Elsevier Saunders; 2012. S.49-121. 14. Harvey JW: Evaluation of leukocytic disorders. In: Harvey JW: Veterinary Hematology: A diagnostic Guide and Color Atlas. 1. Aufl. St. Louis: Elsevier Saunders; 2012. S.122-176. 15. Harvey JW: Evaluation of hemostasis: coagulation and platelet disorders. In: Harvey JW: Veterinary Hematology: A diagnostic Guide and Color Atlas 1. Aufl. St. Louis: Elsevier Saunders; 2012. S.191-190. Kontakt Theresa Marquar; Laboklin GmbH & Co. KG, Bad Kissingen marquar@laboklin.com 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband Tiermedizinische Fachangestellte 21

Tiermedizinische Fachangestellte ___________________________________________________________________________________________________________ Wenn Katzen keine Luft kriegen: Atemnot-Management für Tiermedizinische Fachangestellte Florian Traub Klinik für Kleintiere, Universität Leipzig Einleitung Katzen mit Atemnot sind ein ernst zu nehmender Notfall. Atemprobleme können ein Anzeichen für schwerwiegende Erkrankungen sein und erfordern daher eine sorgfältige Untersuchung und Therapie. Mit einer gezielten Anamnese sowie Ersteinschätzung kann mit etwas Erfahrung die wahrscheinliche Ursache für die Atemnot der Katze herausgearbeitet werden. In diesem Vortrag werden die häufigsten Ursachen von Atemnot bei Katzen, die wichtige Ersteinschätzung, Diagnoseverfahren und der Umgang mit diesen kritischen Patienten behandelt. Ursachen von Atemnot bei Katzen Die Ursache für die Atemnot kann für eine praktische Herangehensweise nach dem Mechanismus gebündelt werden, nach welchem sie entsteht. Dabei gibt es folgende häufige Möglichkeiten: (a) Flüssigkeit in der Brusthöhle (Pleura-/Thoraxerguss), (b) Flüssigkeit im Lungengewebe (Lungenödem), (c) Luft in der Brusthöhle (Pneumothorax), (d) Verlegung der oberen Atemwege durch einen Fremdkörper oder eine Zubildung und (e) Verlegung der Bronchien durch Spasmus (Asthma) oder Entzündung (Bronchitis). Die häufigste Ursache für ein Lungenödem sowie für Pleuraerguss bei Katzen ist eine Herzerkrankung. Dennoch kommen gerade bei einem Pleuraerguss weitere Erkrankungen in Betracht wie z. B. Tumorerkrankungen, Ansammlung von Eiter in der Brusthöhle (Pyothorax) oder Feline Infektiöse Peritonitis (FIP). Die Ursache für einen Pneumothorax ist in den meisten Fällen ein massives Trauma wie z. B. ein Fenstersturz oder ein Autounfall. Eine weitere sinnvolle Unterteilung ist, parallel dazu, die Unterscheidung in Lokalisation des Problems nach oberen Atemwegen (vom Naseneingang bis zum Ende der Luftröhre) und unteren Atemwege (Bronchien bis Alveolen/Lungengewebe). Diagnose von Atemnot bei Katzen: • Anamnese: Gründliche Befragung des Besitzers zur Krankheitsgeschichte und Symptomen. Insbesondere Traumapatienten oder die Aufnahme von Fremdkörpern können so identifiziert werden. • Körperliche Untersuchung: Überprüfung von Atemfrequenz, Atemmuster und Auskultation der Lunge und des Herzens. So kann in vielen Fällen mit dem Atemmuster zwischen Problemen der oberen und unteren Atemwege unterschieden werden. Aber auch die rektale Körpertemperatur kann ein Hinweis auf die Ursache für die Atemnot geben: Katzen mit Pyothorax (eitriger Pleuraerguss) haben eher eine erhöhte Körpertemperatur und Katzen mit einer dekompensierten Herzerkrankung (Lungenödem und/oder Pleuraerguss) eine erniedrigte Körpertemperatur (1). • Röntgenuntersuchung: Zur Identifizierung von Pleuraerguss, Beurteilung von Lungenerkrankungen und Hinweise auf Herzerkrankungen. Hier sollte unbedingt auf die Stresstoleranz der Katze bei der Lagerung geachtet werden. • Echokardiografie: Die beste Untersuchung im Hinblick auf eine Herzerkrankung. Hier kann auch • Pleuraerguss identifiziert werden und eine Thorakozentese durchgeführt werden. Im Lungenultraschall kann außerdem ggf. ein Lungenödem diagnostiziert werden. Labordiagnostik: Blutbild und Blutchemie zur Identifizierung von Infektionen und anderen zugrunde liegenden Erkrankungen. Ein NT-proBNP-Schnelltest kann bei der Unterscheidung zwischen kardialer und nicht-kardialer Atemnot helfen (2). Schließlich spielt auch die Analyse des Pleuraergusses (falls vorhanden) eine wichtige Rolle auf dem Weg zur Diagnose. • Bronchoskopie: Zur Überprüfung der Atemwege auf Fremdkörper oder Anomalien. 22 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband Tiermedizinische Fachangestellte

Tiermedizinische Fachangestellte ___________________________________________________________________________________________________________ Therapie von Katzen mit Atemnot: • Sofortmaßnahmen: Das Wichtigste ist, die Katzen mit möglichst wenig Stress zu untersuchen und zu behandeln (ruhiger Raum, katzenfreundliche Umgebung, ggf. leichte Sedation). Katzen mit hochgradig Pleuraerguss sollten als erstes eine Thorakozentese erhalten, um die Hauptursache für die Atemnot zu beheben (im Anschluss immer wichtig: Ergussanalyse!). Falls weiterhin erforderlich: Sauerstofftherapie und Stabilisierung des Zustands vor weiterer Diagnostik. • Medikamentöse Therapie: Verabreichung von Medikamenten wie Diuretika, Bronchodilatatoren oder Antibiotika je nach Ursache. Kortikosteroide (wie Prednisolon und insbesondere keine langzeitwirksamen Präparate) sollten nicht auf Verdacht bzw. generell bei Katzen mit Atemnot verabreicht werden, sondern nur nach Ausschluss einer Herzerkrankung, da sie den Zustand von Katzen im Herzversagen deutlich verschlechtern und sogar zum Tod führen können. Kortikosteroide sind bei Katzen im Herzversagen kontraindiziert. • Management zu Hause: Anweisungen an den Besitzer zur Medikamentengabe, Überwachung der • Ruheatemfrequenz (Zielwert: unter 30-35/min) und Stressminimierung. Langfristige Betreuung: Regelmäßige Kontrolluntersuchungen und Anpassung der Behandlung bei Bedarf. Schlussfolgerung Atemnot bei Katzen kann eine Vielzahl von Ursachen haben, von Atemwegsproblemen bis hin zu Herzerkrankungen. Eine aufmerksame Ersteinschätzung kann entscheidend für die Diagnose und eine erfolgreiche Therapie sein. Als tiermedizinische Fachangestellte spielen Sie eine wichtige Rolle bei der Erkennung und Betreuung von Katzen mit Atemnot. Wir sollten stets daran arbeiten, unsere Kenntnisse auf diesem Gebiet zu vertiefen, um unseren Katzenpatienten die bestmögliche Versorgung zu bieten. Literatur 1. 2. Dickson D, Little CJL, Harris J, Rishniw M. Rapid assessment with physical examination in dyspnoeic cats: the RAPID CAT study. Journal of Small Animal Practice. 2018;59:75–84. Hezzell MJ, Rush JE, Humm K, Rozanski EA, Sargent J, Connolly DJ, u. a. Differentiation of Cardiac from Noncardiac Pleural Effusions in Cats using Second-Generation Quantitative and Point-of-Care NT-proBNP Measurements. J Vet Intern Med. 2016; Kontakt Dr. Florian Traub; Klinik für Kleintiere, Universität Leipzig florian.traub@kleintierklinik.uni-leipzig.de 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband Tiermedizinische Fachangestellte 23

Tiermedizinische Fachangestellte ___________________________________________________________________________________________________________ Da sein, wenn sich alles dreht – Management des vestibulären Patienten Josephine Dietzel Abteilung für Neurologie und Neurochirurgie, Klinik für Kleintiere, Universität Leipzig Abstract Störungen des Gleichgewichtssystems, welche sich in Form von Ataxie, Nystagmus und Kopfschiefhaltung äußern, werden als Vestibularsyndrom bezeichnet. Die Ursache kann im Innenohr, dem Gleichgewichtsnerv (N. vestibulocochlearis) oder den Gleichgewichtszentren des Gehirns lokalisiert sein. Die Identifizierung der Ursache durch weiterführende diagnostische Maßnahmen (Otoskopie, bildgebende Verfahrend des Kopfes, labordiagnostische Untersuchungen) ist essentiell für die Einleitung gerichteter therapeutischer Maßnahmen. Neben der kausalen Therapie benötigen die Patienten in den meisten Fällen eine Infusionstherapie sowie Medikamente gegen Schwindel und Erbrechen. Zusätzlich können, insbesondere beim peripheren Vestibularsyndrom, Durchblutungsförderer eingesetzt werden. Zur Vermeidung von Komplikationen sind individuell auf den Patienten angepasste Pflegemaßnahmen unerlässlich. Das Vestibularsyndrom bei Klein- und Heimtieren Beim Vestibularsyndrom (VS) handelt es sich um die klinische Manifestation einer Erkrankung des Gleichgewichtssystems. Die klassischen Symptome sind eine vestibuläre Ataxie, Nystagmus und Kopfschiefhaltung, wobei die einzelnen Komponenten in unterschiedlich starker Ausprägung vorliegen können. In den meisten, klassischen Fällen halten die Tiere den Kopf zur betroffenen Seite tiefer, ebenso zeigt die Ataxie eine deutliche Lateralisation zur Seite der Läsion. Bei Vorliegen eines horizontalen Nystagmus wird dieser nach der schnellen Phase benannt, welche sich von der betroffenen Seite wegbewegt. Vestibularsyndrome können sowohl bei Hunden und Katzen als auch bei Kleinsäugern, insbesondere Kaninchen, beobachtet werden [1-3]. Die Ursachen sind vielfältig und umfassen Erkrankungen bestimmter Hirnareale, der Ohren, des N. vestibulocochlearis und seltener der Schilddrüse [4]. Vor allem das akute Auftreten eines Vestibularsyndroms stellt eine enorme Stresssituation für das betroffene Tier, aber auch den Tierbesitzer dar, sodass viele dieser Patienten als Notfälle vorgestellt werden. Trotz dieser Ausnahmesituation sollte sich das Praxisteam stets die Zeit für eine gründliche klinische, neurologische und otologische Untersuchung nehmen. Peripher oder zentral – wo sitzt das Problem? Für die Auswahl weiterführender diagnostischer Tests und Planung einer zielgerichteten Therapie ist es essentiell herauszufinden, unter welcher Form des Vestibularsyndroms der Patient leidet. Das Gleichgewichtssystem setzt sich aus mehreren Komponenten zusammen, welche in einen peripheren und einen zentralen Anteil zusammengefasst werden können. Dem peripheren Anteil des Vestibularapparat werden das Labyrinthsystem des Innenohrs und der Nervus vestibulocochlearis, dem zentralen Vestibularapparat die Gleichgewichtskerne (lokalisiert im Hirnstamm und Kleinhirn) zugeordnet. Die Unterscheidung zwischen peripher und zentral kann in den meisten Fällen mit Hilfe der neurologischen Untersuchung getroffen werden [5]. Befunde wie eine reduzierte Bewusstseinslage, Verhaltensänderungen sowie propriozeptive Defizite (auch unilateral) sprechen für das Vorliegen einer zentralen Läsion. Ebenso weisen Defizite bei der Testung der Kopfnerven auf ein zentrales Vestibularsyndrom hin. Eine Ausnahme bildet jedoch eine isolierte Parese des Nervus facialis, erkennbar an einer einseitigen Gesichtslähmung [6]. Der Nervus facialis verläuft durch die Wandung der Bulla tympanica und kann dadurch auch bei Erkrankungen des Mittelohres Defizite aufweisen. Darüber hinaus spricht ein Hornersyndrom (tiefliegender Augapfel, hängendes Lid, kleine Pupille) auf der betroffenen Seite für eine periphere Problematik, da sympathische, zum Auge ziehende Fasern im Inneren des Mittelohres verlaufen. Die Art des Nystagmus kann ebenfalls Hinweise zur Lokalisation liefern. Dies trifft jedoch nur auf den vertikalen Nystagmus zu, welcher assoziiert zu zentralen Läsionen auftritt. Der horizontale und rotatorische Nystagmus liefern dagegen keine Hinweise zur Lokalisation, 24 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband Tiermedizinische Fachangestellte

Tiermedizinische Fachangestellte ___________________________________________________________________________________________________________ da diese Formen sowohl beim peripheren als auch beim zentralen Vestibularsyndrom beobachtet werden können. Neben der neurologischen Untersuchung sollte außerdem eine gründliche Untersuchung der Ohren, mit Fokus auf das Ohr der Seite der Kopfschiefhaltung, durchgeführt werden. Es sollte jedoch bedacht werden, dass eine unauffällige otologische und otoskopische Untersuchung eine Erkrankung der Ohren nicht ausschließt, da lediglich der äußere Gehörgang und das Trommelfell auf diese Art eingesehen werden können. Diagnostische Aufarbeitung des Vestibularsyndroms Zunächst sollte, wie eingangs erwähnt, anhand einer körperlichen Untersuchung des Patienten eine Klassifizierung in peripheres oder zentrales Vestibularsyndrom vorgenommen werden. Das periphere Vestibularsyndrom kann weitestgehend in der haustierärztlichen Praxis abgeklärt werden. Es sollte jedoch bedacht werden, dass ein vollständiges peripheres Vestibularsyndrom nur bei der Beteiligung des Innenohres und/oder des N. vestibulocochlearis entsteht, die gängigen Untersuchungsmethoden der Ohren sich allerdings auf den äußeren Gehörgang und die Mittelohren fokussieren. Bei Nachweis einer Mittelohrpathologie kann jedoch von einer sekundären Beteiligung des Innenohres ausgegangen werden. Liegen bereits bei der otoskopischen Untersuchung abnormale Befunde (Sekretfluss, Polypen etc.) im äußeren Gehörgang vor, sollte eine zytologische, mikrobiologische und gegebenenfalls histologische Untersuchung des pathologischen Prozesses erfolgen. Die Abklärung von Mittelohrpathologien erfolgt über bildgebende Diagnostik der Bulla tympanica [7]. In vielen Fällen kann bereits die radiologische Darstellung mit Hilfe eines sogenannten Bullaröntgens Aufschluss über eine Füllung des Mittelohres und die umgebenden knöchernen Strukturen geben. Diese Form der Röntgenuntersuchung wird jedoch zunehmend von der Computertomografie abgelöst, da diese eine überlagerungsfreue Darstellung der Mittelohren ermöglicht. Die Kopplung dieser Untersuchung mit einer otologischen Endoskopie wird derzeit als Goldstandard für die Abklärung von Mittelohrpathologien angesehen. Dieses Vorgehen ermöglicht darüber hinaus eine Reihe an therapeutischen Interventionen wie etwa der Spülung und Kürettage des Mittelohres. Für die direkte Darstellung des Innenohres sowie bei Vorliegen eines zentralen Vestibularsyndroms empfiehlt sich die magnetresonanztomographische Untersuchung des Kopfes [8]. Die meisten Pathologien des Gehirnparenchyms wie Entzündungen, Neoplasien, Infarkte und Blutungen können so dargestellt werden. Symmetrische Läsionen mit Betonung bestimmter Kerngebiete weisen in der MRT auf eine metabolische Ursache hin, sodass insbesondere bei Katzen ein Thiaminmangel in Betracht gezogen werden sollte [9]. Zur weiteren Klassifizierung der dargestellten Pathologie sollte eine Liquorpunktion und –analyse erfolgen. Tabelle 1: Mögliche Anzeichen zur klinischen Differenzierung zwischen peripherem und zentralem Vestibularsyndrom Bewusstsein Verhalten Propriozeption Kopfnervendefizite Horner-Syndrom Nystagmus Peripheres Vestibularsyndrom Normal Normal Normal Defizit N. facialis möglich Möglich Horizontal Rotatorisch Zentrales Vestibularsyndrom Kann abnormal sein Kann abnormal sein Kann abnormal sein Multiple Kopfnervendefizite möglich Nein Horizontal Rotatorisch vertikal Das geriatrische Vestibularsyndrom Bei alten Hunden jedweder Rasse kann es zum Auftreten eines idiopathischen oder auch geriatrischen Vestibularsyndroms kommen [4]. Dieses stellt eine Sonderform des peripheren Vestibularsyndroms dar, betroffene Hunde zeigen dementsprechend keine der zuvor erwähnten zentralnervösen Defizite. Es handelt sich hierbei um eine Ausschlussdiagnose, da ein geriatrisches Vestibularsyndrom zu keinerlei 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband Tiermedizinische Fachangestellte 25

Tiermedizinische Fachangestellte ___________________________________________________________________________________________________________ radiologischen Veränderungen für das geriatrische labordiagnostischen oder Vestibularsyndrom ist derzeit noch unbekannt. Differentialdiagnostisch sollte stets eine Hypothyreose bedacht werden. Dies gilt auch, wenn keine weiteren Hinweise auf eine Schilddrüsenunterfunktion vorliegen. Ein idiopathisches Vestibularsyndrom kann ebenfalls bei Katzen auftreten. Im Gegensatz zum Hund können jedoch Tiere jeder Altersstufe von dieser Erkrankung betroffen sein. Therapie des vestibulären Patienten führt. Die Ursache Im Idealfall ermöglicht die vorangegangene diagnostische Aufarbeitung des Patienten eine kausale Therapie (zum Beispiel immunsuppressive Therapie bei autoimmunvermittelter Meningoenzephalitis oder Thiaminsubstitution bei Thiaminmangelenzephalopathie). Diese sollte jedoch stets mit der symptomatischen Behandlung von Schwindel und Übelkeit sowie Pflegemaßnahmen des Patienten gekoppelt werden. Bei schwerwiegenden Vestibularsyndromen kann es zum Festliegen des Patienten und Drehen um die eigene Achse (insbesondere bei Kaninchen) kommen. Eine weiche Unterlage zum Vermeiden von Dekubitus und Polsterung der Wände der Box sind bei solchen Patienten essentiell. Ebenso ist ein Großteil der betroffenen Tiere initial aufgrund mangelnder Futter- und Wasseraufnahme auf eine adäquate Infusionstherapie angewiesen. Insbesondere bei sich drehenden Tieren muss jedoch eine engmaschige Kontrolle erfolgen, da es durch die Infusionsleitungen zu Verletzungen oder Strangulationen kommen kann. Futter und Wasser sollten regelmäßig angereicht und der Patient für die Aufnahme aufgerichtet und unterstützt werden. In der Regel führt ein Vestibularsyndrom (unabhängig von der Ursache) nicht zu Harnabsatzproblemen. Aus hygienischen Gründen kann jedoch, insbesondere bei großen Hunden, das Legen eines Harnkatheters notwendig sein. Bei bestehender Fazialisparese ist außerdem auf eine hochfrequente Applikation von Tränenersatzgel auf das Auge der betroffenen Seite zu achten. Bezüglich der medikamentellen Therapie herrscht bislang kein eindeutiger Konsens. Das von Veterinärneurologen am häufigsten angewendete Medikament im europäischen Raum ist derzeit Maropitant in einer Dosierung von 1 mg/kg einmal täglich [10]. Weitere angewandte antiemetische Wirkstoffe sind Metoclopramid (0,1 – 0,5 mg/kg dreimal täglich oder als Dauertropfinfusion) und Ondansetron (0,5 mg/kg gefolgt von einer Dauertropfinfusion). Zunehmend wird in der Tiermedizin auch Betahistin (wirksam gegen Schwindel und Erbrechen), üblicherweise in einer Dosis von 20-25 mg/kg zweimal täglich, eingesetzt [10, 11]. Insbesondere beim idiopathischen/geriatrischen Vestibularsyndrom wird darüber hinaus Propentofyllin (3 mg/kg zweimal täglich) zur Durchblutungsförderung angewandt. Literatur 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. Radulescu, S.M., et al., Vestibular disease in dogs under UK primary veterinary care: Epidemiology and clinical management. Journal of veterinary internal medicine, 2020. 34(5): p. 1993-2004. Negrin, A., et al., Clinical signs, magnetic resonance imaging findings and outcome in 77 cats with vestibular disease: a retrospective study. 2010. Gruber, A., et al., A retrospective study of neurological disease in 118 rabbits. Journal of comparative pathology, 2009. 140(1): p. 31-37. Rossmeisl, J.H., Vestibular disease in dogs and cats. Veterinary Clinics: Small Animal Practice, 2010. 40(1): p. 81-100. Bongartz, U., et al., Vestibular disease in dogs: association between neurological examination, MRI lesion localisation and outcome. Journal of small animal practice, 2020. 61(1): p. 57-63. Garosi, L.S., M.L. Lowrie, and N.F. Swinbourne, Neurological manifestations of ear disease in dogs and cats. Veterinary Clinics: Small Animal Practice, 2012. 42(6): p. 1143-1160. Gotthelf, L.N., Diagnosis and treatment of otitis media in dogs and cats. Veterinary Clinics: Small Animal Practice, 2004. 34(2): p. 469-487. Garosi, L.S., R. Dennis, and T. Schwarz, Review of diagnostic imaging of ear diseases in the dog and cat. Veterinary Radiology & Ultrasound, 2003. 44(2): p. 137-146. Moon, S.-J., M.-H. Kang, and H.-M. Park, Clinical signs, MRI features, and outcomes of two cats with thiamine deficiency secondary to diet change. Journal of veterinary science, 2013. 14(4): p. 499-502. Mertens, A.M., H.C. Schenk, and H.A. Volk, Current definition, diagnosis and treatment of canine and feline idiopathic vestibular syndrome. Frontiers in Veterinary Science. 10: p. 1263976. Brum, A.d., et al., Betahistine dihydrochloride in canine peripheral vestibular syndrome-case report. Ciência Animal Brasileira, 2010. 11(1): p. 239-244. 26 12. Leipziger Tierärztekongress – Tagungsband Tiermedizinische Fachangestellte